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Rock Me Amadeus! Zu Lebzeiten war er bereits Legende, nach seinem bis heute mit Rätseln behafteten Tod wurde er zum Mythos: Falco, bürgerlich Hans Hölzl, lebte exzessiv. Er wurde Star, Stilikone und gleichzeitig Spiegel einer Generation. Berufliche Höhenflüge folgten privaten Abstürzen. Und umgekehrt. Mit "Rock Me Amadeus" wurde er Nummer 1 in der ganzen Welt. Als er meinte, sein persönliches Glück mit Frau und Kind gefunden zu haben, fing sein Verhängnis an. Im Zentrum seines Denkens, Fühlens und Schaffens stand stets die Musik. Und seine Musik lebt weiter - und damit mehr denn je der Wunsch, dem Rätsel Falco auf die Spur zu kommen.
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Seitenzahl: 286
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INHALT
Über dieses Buch – Rock Me Amadeus!
Prolog
Musik liegt in der Luft
Die Wiener Szene
Der Höhenflug des Falken
Der Weltstar
Katharina Bianca
Sterben, um zu leben
Discografie
Über den Autor
Impressum
Über dieses Buch – Rock Me Amadeus!
Zu Lebzeiten war er bereits Legende, nach seinem bis heute mit Rätseln behafteten Tod wurde er zum Mythos: Falco, bürgerlich Hans Hölzl, lebte exzessiv. Er wurde Star, Stilikone und gleichzeitig Spiegel einer Generation. Berufliche Höhenflüge folgten privaten Abstürzen. Und umgekehrt. Mit »Rock Me Amadeus« wurde er Nummer 1 in der ganzen Welt. Als er meinte, sein persönliches Glück mit Frau und Kind gefunden zu haben, fing sein Verhängnis an. Im Zentrum seines Denkens, Fühlens und Schaffens stand stets die Musik. Und seine Musik lebt weiter – und damit mehr denn je der Wunsch, dem Rätsel Falco auf die Spur zu kommen.
PROLOG
Once you are dead you are made for life.
Jimi Hendrix
FALCOS Rebellion war aggressiv und kompromisslos. Der stetige Widerstand gegen die Banalität war beseelt von einer Ahnung um die letzte, unbestreitbare Wahrheit, die auch für ihn rätselhaft blieb und ihm immer wieder Angst bereitete. FALCO, ein Mann in den Jahren, ist schwer vorstellbar. »Wen die Götter lieben, stirbt jung«, schrieb Titus Maccius Plautus.
FALCO ist Phantom geblieben.
Hans Hölzel, der unter dem Künstlernamen FALCO im Popbusiness zu Weltruhm gelangt war, starb am Freitag, dem 6. Februar 1998, in seiner Wahlheimat, der Dominikanischen Republik in der Karibik. Er wurde nicht einmal 41 Jahre alt. Die Jahre, die seither vergangen sind, haben ihn noch mehr zur Ikone einer ganzen Generation, zum Idol von Abertausenden von Musikfans werden lassen. Kult und Legende brennen weiter, zu einer Zeit, in der Hans Hölzel längst die Mitte seines Lebens überschritten hätte.
Dieses Buch berichtet über ein unstetes, wildbewegtes Leben. Es entstand in mehreren Phasen: Mitte der 80er-Jahre, als Hans Hölzel kometengleich zum Erfolg kam und nicht nur die deutschsprachigen Hitlisten beherrschte, sondern als erster österreichischer Künstler überhaupt in allen drei großen amerikanischen Charts an der Spitze stand, wollte er seine Erfahrungen weitergeben und – er war damals nicht einmal 30 Jahre alt – Rechenschaft ablegen. Er schrieb im August 1986 in einem begleitenden Vorwort: »Hin und wieder wurde ich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, meine Memoiren zu schreiben. Ich sagte dann immer nein, es ist viel zu früh für Memoiren, ich bin noch nicht 60. Andererseits verstehe ich gut, dass viele Menschen, die meine Musik mögen und sich mit meiner Person auseinandersetzen, mehr über mich wissen möchten.
Und deshalb ist dieses Buch mein Buch.
Der Autor, Peter Lanz, hat viele Tage mit mir Gespräche geführt und dann versucht, ganz ehrlich, ohne zu beschönigen oder zu verfälschen, diese Interviews zusammenzufassen und über die ersten 30 Jahre meines Lebens zu schreiben. Es ist eine kritische Auseinandersetzung mit meiner Arbeit, meiner Karriere, ja, mit mir geworden. Es erzählt von meinen Songs, meinen Träumen und Enttäuschungen.«
FALCO autorisierte diese Biografie.
Wenige Tage vor seinem 41. Geburtstag verunglückte Hans Hölzel tödlich – das Opfer eines banalen, wenn vielleicht auch mysteriösen Unfalls. Die Hoffnung, die er 1986 mit nicht einmal 30 Jahren im Vorwort zu dem Buch ausgedrückt hatte, »ich kann keine Memoiren schreiben, weil ich heute nicht einmal Bilanz einer Halbzeit meines Lebens ziehen kann«, erwies sich als trügerisch. Nicht einmal zwölf Jahre nachdem er das niedergeschrieben hatte, war FALCO tot.
Als Hans Hölzel praktisch über Nacht zum Star wurde, fanden sich Jugendliche auf der ganzen Welt in seinem Image wieder. Sie haben ihn nie vergessen: Schon Stunden nach seinem Tod war die Internet-Homepage FALCOS mit bestürzten Statements aus aller Welt, aus Spanien und den USA, aus Süd-amerika, Osteuropa und natürlich Deutschland, der Schweiz und vor allem Österreich gefüllt. Zu seiner Beerdigung auf dem Wiener Zentralfriedhof kamen zehntausend Menschen. Und die Pilgerfahrten zu seiner Grabstätte reißen nicht ab.
FALCO war die vollendete Verkörperung einer stetigen Auseinandersetzung. Eines Kampfes zwischen Unschuld und Erfahrung, zwischen Ironie und Gutgläubigkeit oder zwischen dem Willen und der Schwäche. Er war in jeder Hinsicht ein Spiegel für eine ganze Generation. Er wurde für eine bestimmte Zeit nicht zum Mythos, weil er ohne Tadel war, sondern weil er seiner Zeit Ausdruck verlieh.
Nach seinem Tod wurde das Buch, das ich mit Hans Hölzel gemeinsam erarbeitet hatte, durch eine Fülle neuer Interviews mit Freunden und Zeugen der Zeit ergänzt und überarbeitet.
Jahre später und gut zwei Jahrzehnte nach seinen ersten weltumspannenden Erfolgen ist es an der Zeit, mit Abstand die Geschichte einer einmaligen Karriere zu durchleuchten und wiederzugeben. Ich habe der Versuchung widerstanden, die zahlreichen Spekulationen, die seit seinem Tod wucherten, weiter anzureichern, sondern versucht, Berichte und fundierte Darstellungen auszuwählen, Interviews und Gespräche als Basis für die Chronik des Hans Hölzel zu nehmen, der als FALCO musikalische Geschichte schrieb.
Bei den Vorarbeiten zu diesem Buch und bei dessen aktueller Überarbeitung waren mir viele Personen eine unerschöpfliche Quelle von Information und Inspiration, ihnen sei hier Dank gesagt.
Im Besonderen gilt der Dank Horst Bork, FALCOS Weggefährten und Geschäftspartner während vieler Jahre, sowie Hans Mahr, FALCOS Freund und Berater. Marie-Louise Heindel danke ich, die mir immer wieder half, in zeitraubender Kleinarbeit scheinbar längst vergessene Ereignisse im Leben FALCOS aufzuspüren und zu dokumentieren. Ich danke Conny Bischofberger für ihre Hilfe und Marc Rasmus, einem kenntnisreichen Beobachter der Karriere von FALCO. Ich danke Conny de Beauclair, der, nicht nur öfter FALCOS Schutzengel war, sondern auch viele Stationen seines Lebens fotografisch dokumentierte, und Edek Bartz, einem Begleiter FALCOS von der ersten Stunde an.
Mein ganz besonderer Dank gilt Maria Hölzel, FALCOS Mutter, für ihre Geduld und beredte Auskunftsbereitschaft während langer Gespräche.
Ich möchte nicht vergessen, Gerlinde Kolanda, die zahlreiche Interviews machte, zu danken, sowie Billy Filanowski für jene Zeit, die er opferte, um mitzuhelfen, dieses Buch zu erarbeiten.
Ein Tribut an FALCO.
Peter Lanz München, im Januar 2007
MUSIK LIEGT IN DER LUFT
Dreh dich nicht um –
oh, oh, oh
Der Kommissar geht um –
oh, oh, oh
1
Nichts wünschte sich Maria Hölzel so sehr wie dieses Baby.
Aber es hatte lange Zeit ganz den Anschein, als würde sie es nicht bekommen können. »Mir ist es«, sagte Maria Hölzel, »vom vierten, fünften Tag der Schwangerschaft an schon furchtbar schlecht ergangen. Mir war immer schrecklich übel und ich hatte ziemliche Schmerzen.«
Damals arbeitete sie als Geschäftsführerin einer Filiale der »Habsburger«-Wäscherei im 14. Bezirk in Wien. All die hochfliegenden Karriere-Pläne ihres Mannes Alois Hölzel platzten in den Kriegsjahren wie eine Seifenblase. Als Kind kam er zur Hitlerjugend und als Halbwüchsiger, nicht mehr als 15 Jahre alt, bekam er für die letzten Kriegstage eine Waffe in die Hand gedrückt, um – gemeinsam mit anderen Halbwüchsigen – als letztes Aufgebot Deutschland zu verteidigen. Danach blieb keine Zeit für Schule und Studium, Alois Hölzel erwies sich zwar als technisch äußerst begabt, aber seine Eltern starben Ende der 40er-Jahre, und er musste danach trachten, möglichst schnell Geld zu verdienen.
Er machte eine Schlosserlehre und arbeitete sich mit verbissenem Abendstudium bis zum Werkmeister einer Maschinenfabrik empor. Maria Hölzel unterstützte ihn dabei.
Die Arbeit in der Wäscherei war für die schwangere Frau viel zu anstrengend, sie musste sie aufgeben. »In den ersten Monaten nahm ich vier Kilogramm ab, es ging mir wirklich schlecht.« Maria und Alois Hölzel wohnten in einer etwa 70 Quadratmeter großen Mietwohnung in der Ziegelofengasse im 5. Bezirk. Dieser Bezirk – Margareten – umfasst eine Fläche von 203 Hektar, und zum damaligen Zeitpunkt war er mit nahezu 70.000 Bewohnern eines der dichtestbesiedelten Gebiete der Millionenstadt Wien.
Das Haus, in dem Alois und Maria Hölzel Mitte der 50er- Jahre wohnten, ist inzwischen längst abgerissen und durch ein neues und höheres ersetzt worden. »Wir hatten damals eine Küche, ein Schlafzimmer und zwei Kabinette. Es gab kein Bad in der Wohnung, aber mein Mann ließ eine Duschkabine neben der Küche installieren«, sagte Maria Hölzel.
Margareten war zu jener Zeit ein bürgerlicher Bezirk, der einerseits vom Gürtel, andererseits von der Wiedner Hauptstraße und der Wienzeile begrenzt wird.
Im September 1956 wurde Maria Hölzel mit einem Blutsturz in die Frauenklinik Gersthof eingeliefert. »Ich war im dritten Schwangerschaftsmonat, und es ging ganz schnell.« Die Ärzte stellten fest, dass Maria Hölzel mit Zwillingen schwanger gewesen war. »Ich war natürlich sehr deprimiert. Ich hatte mich so auf das Kind gefreut, und dann auch noch Zwillinge. Ultraschall-Untersuchungen wie heute kannte man 1956 noch nicht, und am Anfang der Schwangerschaft wusste mein Arzt nicht, dass ich Zwillinge erwartete. Der Arzt in der Klinik riet Maria Hölzel allerdings, noch einen Tag zur Beobachtung im Krankenhaus zu bleiben.
Am nächsten Tag wurde sie von einem anderen Arzt untersucht, der Sie danach beruhigte: »Ihrem Kind geht es gut, Frau Hölzel, man kann deutlich die Herztöne hören.«
»Aber sagen Sie einmal …«, Maria Hölzel war völlig konsterniert, »Sie müssen sich irren, ich habe mein Baby gestern verloren.«
Und dann stellte sich heraus, dass es Drillinge gewesen waren, die sie erwartet hatte. Und ein Baby wuchs weiter in ihrem Leib.
»Für mich war es klar, dass ich alles tun würde, um dieses Kind zu behalten. In gewisser Weise wusste ich schon zu dem Zeitpunkt, dass ich kein Kind mehr haben wollte, außer diesem.«
Die Ärzte warnten Maria Hölzel vor Komplikationen. Am 5. März 1957 sollte – nach Berechnung des Gynäkologen – das Baby zur Welt kommen. »Aber trotz aller Ruhe, die ich mir selbst auferlegte, schien es im November schon zu einer Frühgeburt zu kommen. Ich kam wieder ins Krankenhaus und musste tagelang völlig bewegungslos liegen.«
Für Maria Hölzel geschah ein kleines Wunder: »Ich bat die Ärzte, mir keine Spritzen zu geben. Ich wollte einfach der Natur ihren Lauf lassen. Und verblüffenderweise erlitten die Frauen in meinem Krankenzimmer, die eine Spritze bekommen hatten, eine Frühgeburt.« Bei Maria Hölzel ging es bis zum 19. Februar gut. Es war ein Dienstag, es war fünf Grad kalt und ziemlich windig. »Um sieben Uhr früh gingen die Wehen los.« Da man mit allerlei Problemen rechnete, wurde in der Klinik der Operationssaal für Maria Hölzel gerichtet. »Wir warten bis um dreizehn Uhr«, sagte ihr der Arzt, »wenn es bis dahin nicht da ist, machen wir einen Kaiserschnitt.«
Irgendwann im Laufe des Vormittags meinte Maria Hölzel zu ihrem Mann: »Wenn es ein Mädchen wird, dann soll es Brigitte heißen, und wenn es ein Junge wird, dann Johann.« Es war ein Johann, der um 13.15 Uhr das Licht der Welt erblickte. »Er brüllte vom ersten Moment an sehr laut. Die Hebamme reichte mir das Kind mit den Worten: ›Hier, Frau Hölzel, da haben Sie Ihren Sängerknaben.‹ Er war ein süßes Kind, sehr vital und ziemlich schwer, er wog 4,95 Kilo bei der Geburt und er war 54 Zentimeter groß.« Am ersten Tag noch ließ Alois Hölzel im Krankenhaus ein Foto von seinem neugeborenen Jungen anfertigen. Nach den ganzen Aufregungen und Schrecken der letzten Monate waren sie auf ihr strammes Baby besonders stolz.
Viele Jahre später erzählte Maria Hölzel ihrem Sohn davon, dass er der einzige Überlebende von Drillingen war. »Und er sagte mir darauf: ›Es ist merkwürdig, Mama, aber manchmal verspüre ich ein Gefühl, als ob die anderen bei mir wären, wie wenn noch einer da wäre, der mir hilft und sagt, dieses und jenes musst du so und so machen.‹ Ich weiß nicht, ob er das wirklich ernst gemeint hat, damals, aber ich denke schon, dass er so fühlt.« Horst Bork, der, was die Karriere angeht, wahrscheinlich wichtigste Mensch im Leben von Hans Hölzel, sein langjähriger Manager und Geschäftspartner, merkte auch immer wieder diese Zerrissenheit in FALCO: »Er sagte manchmal, er würde die beiden anderen um sich herum spüren. Es ist ganz merkwürdig, es war bei ihm manchmal wie eine Manie – ›mit mir hatte keiner gerechnet! Ich war für die anderen nicht da! Ich war nicht geplant‹.« Besonders nach den großen Erfolgen in den USA beobachtete Bork dieses seltsame Verhalten: »Er sagte damals in Los Angeles: ›Einer, den keiner vorhergesehen hatte, macht so eine Karriere.‹ Der einzige Überlebende von Drillingen zu sein hat ihn ein ganzes Leben lang beschäftigt.«
Johann Hölzel wuchs zu einem prächtigen Baby heran. »Einmal hat er in einer einzigen Woche ein ganzes Kilogramm zugenommen«, erinnerte sich seine Mutter, »aber er schrie dabei und brüllte in einem fort, und eines Tages fuhr ich mit ihm zum Kinderarzt und sagte: ›Der Junge schreit die ganze Zeit so laut, er muss krank sein.‹ Aber der Arzt beruhigte mich nach der Untersuchung. ›Er ist kerngesund. Und wenn ein Baby so stramm zunimmt, ist es sicherlich nicht krank.‹«
Früh fiel Maria Hölzel das musische Empfinden ihres Sohnes auf. »Er hat wirklich alle Töne angeschlagen. Ich weiß noch, er war acht Monate alt und konnte noch nicht laufen, da krabbelte er jedes Mal, wenn im Radio das Lied ›Anneliese, wann wirst du endlich einmal gescheiter‹, ein Schlager damals, gespielt wurde, hoch, hielt sich mit einer Hand an den Gitterstäben fest und versuchte mit der anderen Hand zu dirigieren. Und dann hat er noch im Takt dazu gekiekst.«
Wenn die Eltern später mit ihm am Wochenende ins Grüne fuhren, verschwand er immer und rannte dorthin, wo gerade Musik erklang. »Wir waren oftmals in Purkersdorf, am westlichen Stadtrand von Wien. In den 50er-Jahren gab es in vielen Orten noch betonierte Tanzflächen unter freiem Himmel, mit Lauben rundum. So auch in Purkersdorf. Und ich ertappte ihn oftmals dabei, wie der kleine Klecks ganz allein auf dem Tanzboden stand und zur Lautsprechermusik dirigierte. Nur wenn er merkte, dass ich ihn beobachtete, wurde er wütend. Das wollte er nicht.«
In der Tat beherrschte das unverkennbare musische Empfinden die frühe Kindheit von Hans Hölzel. Zu seinem vierten Geburtstag wünschte er sich ein kleines Akkordeon. »Wir haben ihm aber ein Klavier gekauft. Mit dem Akkordeon hätte es Probleme gegeben, weil er praktisch jedes Jahr ein neues, größeres Instrument benötigt hätte, und mein Mann meinte, wenn einer Klavier spielen kann, lernt er das Akkordeonspiel ganz rasch.«
Die angeborene Sensibilität für die Musik war so auffällig, dass sich die Eltern oft darüber Gedanken machten, woher der Junge das Talent wohl habe. Maria Hölzel: »Ich glaube nicht, dass es in der Familie liegt, obwohl mein Mann ganz musikalisch ist und ich recht gut singen kann. Früher hätte ich für einen ganzen Chor die zweite Stimme singen können, ich habe sehr gern getanzt und hatte ein ganz gutes Gehör, aber mein Mann und ich waren beide längst nicht so musikbegabt wie Hans.«
Als das Klavier angeschafft war, sahen sich die Eltern nach einer entsprechenden Lehrerin für ihren Sohn um. Sie fanden sie in der Pädagogin Maria Bodem, einer vornehmen älteren Dame, die in ihrer ausladenden Altbauwohnung in der Fillgradergasse, nur eine kurze Wegstrecke von der Ziegelofengasse entfernt, Unterricht gab.
Auf diese Zeiten gehen auch die ersten konkreten Erinnerungen FALCOS zurück: »Die Frau Dr. Bodem war eine sehr nette Dame, vielleicht lebt sie heute sogar noch. Ich entsinne mich noch, wie ich immer an der Hand meiner Großmutter in dieses wunderschöne Jugendstilhaus geführt wurde. Es war ein verführerischer Flair von Wohlstand und Ruhe, der diese Stunden begleitete. Sicherlich war es für meine Mutter auch ein Ausdruck der Grenzüberschreitung aus den kleinbürgerlichen Schichten in den Mittelstand; man schickte seine Söhne in den Klavierunterricht und brachte ihnen Englisch bei, noch bevor sie die erste Schulklasse besuchten.«
Hans Hölzels frühe Kindheit verlief in geordneten Verhältnissen. Weil sie ihren Sohn nicht allzu lange allein lassen wollten, die Familie aber dringend Geld brauchte, übernahm Maria Hölzel einen Kaufmannsladen in der Ziegelofengasse. Sie verabscheute alles Gewöhnliche und Hans wuchs unter peinlich genauer Beachtung seiner Manieren und seines Auftretens auf. Für Maria Hölzel waren die ermunternden Worte der Klavierlehrerin ein Labsal: »Er kam kaum auf den Klavierschemel, aber er hatte Talent«, erzählt Maria Hölzel über das erste Lob der Lehrerin, und: »Ich glaube, sagte die Lehrerin, er hat besonders für Beethoven ein Gehör.«
Innerhalb kurzer Zeit hatte er eine ganze Reihe von Musikstücken gelernt. Er konnte zwar keine einzige Note lesen, doch »mit fünf Jahren spielte er bereits 35 Schlager zweihändig«, erinnert sich Maria Hölzel.
Die Mutter muss sehr stolz auf ihn gewesen sein: »Wir haben ihn einmal zum Vorspielen an der Akademie für Musik angemeldet. Der Professor brachte ihn auf dem Arm heraus und sagte zu mir: ›Sie, Frau Hölzel, das ist ein kleiner Mozart.‹ Er betonte, er hätte solch ein absolutes Gehör in seiner Laufbahn noch nie erlebt, und er würde dringend darauf pochen, das Kind weiter ausbilden zu lassen.« Viele Jahre später hatte dieser Satz vom kleinen Mozart, den Hans immer wieder von seiner Mutter hörte, eine besondere Bedeutung. »Als er sich entschloss, ›Amadeus‹ einzusingen, sagte er, na, das passe ja ganz gut, nachdem er schon als Kind ein kleiner Mozart gewesen sei«, sagt Horst Bork.
Einmal, Hans Hölzel ging noch nicht zur Schule, hörte die Mutter, als sie einmal in der Mittagspause heimkam, ihren Jungen Klavier spielen. »Er spielte ganz toll den Schlager ›Was ist los mit der Frau?‹. Den hatte er am Vormittag gehört und ihn sich selbst beigebracht, er wollte mich damit überraschen. Es war wirklich faszinierend, er hörte Musik und konnte sie sofort nachspielen.«
Später einmal wollte ihm ein gewisser Herr Wagner, ein Klavierlehrer, der bei Hölzels um die Ecke wohnte, das Spiel nach Noten beibringen. FALCO sagte noch nach Jahren: »Ich habe es gehasst. Ich hatte damals ›A Hard Days’ Night‹ im Kopf und sollte die Cerny-Schule und Chopin-Preluden nach dem Metronom herunterspielen, es war schrecklich.«
Im Rückblick auf die Kinderjahre meinte er später: »Es gibt Rabauken und es gibt Kriecher. Ich war weder das eine noch das andere. Ich war stur und ungezogen, aber ich rannte andererseits auch nicht mit den Jungs im Park herum, um auf Bäume zu klettern oder mit dem Fahrrad auf selbst gebauten Sprungschanzen herumzutollen. Das war mir zu dumm, das hat mich nicht interessiert. Wenn ich jetzt behauptete, ich wäre stets ein Einzelgänger gewesen, ist das nicht richtig. Aber zeit meines Lebens war die Musik eine Art Regulativ für mich. Ich war nie in Cliquen und ich war schon gar nicht Anführer einer Clique oder einer Bande. In der Volksschule sind mir meine Mitschüler bereits unglaublich unreif und dumm vorgekommen. Sie schlugen sich, sie warfen mit Steinen aufeinander, und ich sah in dem keinen rechten Sinn. In gewisser Weise war ich wahrscheinlich damals schon ein Außenseiter, und ich fühlte es deutlich, ich konnte mit meiner Welt so lange gut auskommen, solange ich ruhig war und zurückgezogen und es auf keine Konfrontation ankommen ließ. Ich war wirklich lange Jahre sehr verinnerlicht.«
Hans Hölzel wünschte sich damals sehnlichst ein Tier. »Er wollte einen Hund oder eine Katze«, erzählt Maria Hölzel, »er beschwor mich und versprach, dass er sich immer um das Tier kümmern würde. Er sagte: ›Mutter, der Hund könnte ja in unserer Badekabine schlafen, da würde er dich nicht stören.‹ Aber ich war immer dagegen, ich bin der Meinung, ein Tier braucht Auslauf, das leidet in einer Wohnung. Und ich sagte es ihm auch. Aber ich glaube, er hat es nie recht überwunden, kein Tier bekommen zu haben.«
Die Großeltern väterlicherseits waren bereits tot, als FALCO zur Welt kam. Zur Mutter seiner Mutter jedoch entwickelte er eine besonders innige, liebevolle Beziehung. Wenn Maria Hölzel in ihrem Laden beschäftigt war, kümmerte sich die Großmutter um den kleinen Jungen. Die Familie stammte aus Bad Tatzmannsdorf, einem namhaften Kurort im Burgenland, und FALCOS Großmutter besaß noch ein Haus da.
»Ich verbrachte viele Jahre lang den Sommer in Bad Tatzmannsdorf, und es sind tolle, aufregende Erinnerungen. Das Haus stand direkt am Hauptplatz. Ich konnte mit sechs Jahren meine Großmutter überreden, mir einen Eumig-Plattenspieler zu kaufen. Ich war wirklich selig. Der Plattenspieler stand am Fenster, die anderen Kinder versammelten sich darum herum, weil die meisten von ihnen keinen solchen Apparat daheim hatten, und den ganzen Tag über dröhnten Elvis Presley, Cliff Richard und auch schon die ersten Nummern der Beatles, wie ›Love Me Do‹ und ›Please Please Me‹, und dann später die Stones, die Bee Gees, Beach Boys, alles quer durch den Gemüsegarten.«
Sein größtes Ereignis im September 1963 war natürlich die Einschulung in der Volksschule der Piaristen, einer sehr angesehenen katholischen Privatschule in der Ziegelofengasse, nur wenige Schritte vom Wohnhaus der Familie Hölzel entfernt. Es gab damals auch Überlegungen, ob man den musikbegeisterten Jungen nicht bei den Sängerknaben unterbringen sollte, um ihm dort eine solide Musikkarriere zu gewährleisten. Aber schließlich sperrte sich Maria Hölzel gegen den Gedanken: »Mein Mann und ich arbeiteten und ich hatte ohnedies wenig von meinem Sohn. Wenn er noch ins Internat gekommen wäre, hätte ich gar nichts von ihm gehabt.«
Bei den Piaristen gab es ein Halbinternat, und damit schien gesichert, dass Hans so lange gut untergebracht war, bis Maria Hölzel nach Geschäftsschluss Zeit für ihn fand.
Zur Weihnachtsfeier – Hans Hölzel war gerade sechseinhalb Jahre alt – suchte man in der Schule Kinder, die ein Instrument beherrschten. FALCO meldete sich zögernd, durfte vorspielen und war der Star dieser kleinen improvisierten Feier. Damals zu Weihnachten 1963, während sich in Liverpool gerade John Lennon, Paul McCartney, George Harrison und Ringo Starr daran machten, mit ihrer Musik völlig neue Akzente zu setzen, war es der erste richtige, große Auftritt von FALCO vor einem größeren Publikum.
Maria Hölzel: »Ich war natürlich auch zu der Feier eingeladen, aber ich konnte meinen Laden nicht schließen, und deshalb ging nur meine Mutter hin. Als sie nach Hause kam, war sie ganz aus dem Häuschen. Die Leute hatten getobt vor Begeisterung, wie der Kleine Klavier spielte. Der Höhepunkt war dann, als er den ›Donauwalzer‹ intonierte.«
Von diesem Moment an galt Hans Hölzel auch in der Schule als eine Art musikalisches Wunderkind. Wann immer eine Feierlichkeit ins Haus stand, wurde er ans Klavier gebeten. Dieses Aufheben um sein Spiel und die damit verbundene Aufmerksamkeit seiner Person ärgerte FALCO mit der Zeit. »Wenn Besuch zu uns kam«, erzählt Maria Hölzel, »wollten die Leute natürlich den Jungen spielen hören. Und wenn er wusste, dass sich Gäste angesagt hatten, verdrückte er sich schon vorher oder er beschwor mich und sagte, ich solle ihn doch in Ruhe lassen. Er ließ sich höchstens dazu animieren, ein Lied zu spielen, dann war Schluss.«
Zwei Anekdoten aus dieser Zeit sind Maria Hölzel in Erinnerung: »Einmal kam seine Tante mit ihrer Gitarre und sagte, sie würde ihn begleiten, er solle nur mal anfangen, Klavier zu spielen. Und Hans, der von der Kunst seiner Tante offenbar nicht viel hielt, sah sie strafend an und erwiderte: ›Lass mich nur machen, du kannst dann die Pausen spielen.‹ Und ein anderes Mal bat ihn ein Onkel, doch ein wenig vorzuspielen. Und Hans machte es wie immer, er spielte ein Lied, stand auf und ging. Der Onkel steckte ihm daraufhin 50 Schilling, etwa vier Euro, zu. Nachher sagte Hans zu mir: ›Wenn ich gewusst hätte, dass ich so viel Geld kriege, hätte ich schon noch mehr gespielt.‹
Hans Hölzel hatte schon als Junge einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und fürchtete nichts und niemand, wenn er sich ungerecht behandelt fühlte. Als ihm seine Klavierlehrerin einmal streng und liebevoll auf die Finger klopfte, weil er einen Melodienlauf überhastet gespielt hatte, schlug er kurz entschlossen zurück. Aber solche Zwischenfälle konnten das gute Verhältnis zwischen der Lehrerin und Hans nicht trüben. Sie sagte immer wieder zu Maria Hölzel: »Es macht einfach Spaß, ihn zu unterrichten, er hat das absolute Gehör.«
2
FALCO verbrachte seine ersten Jahre in der Obhut von Frauen. Da waren seine Mutter, die ihn abgöttisch liebte, seine Großmutter und eine Nachbarin, die ihn ins Herz geschlossen hatte. »Hans«, sagte seine Mutter, »verstand es damals ganz gut, seine Großmutter und die Nachbarin, die er ›Schlintzi‹ nannte, gegeneinander auszuspielen. Und so setzte er stets seinen Kopf durch. Was ihm die eine nicht gestattete, erlaubte ihm die andere, sobald er sich beklagte.« Die beiden alten Damen buhlten regelrecht um die Liebe des Jungen mit den dunklen, ausdrucksvollen Augen. »Bei uns waren stets alle Türen offen und Hans konnte in die Wohnungen gehen. Das nutzte er auch kräftig aus. 1963 bezog meine Mutter, also seine Großmutter, eine kleine Wohnung gegenüber der unseren, und zwar über dem Gasthaus ›Altes Faßl‹. Er war dann häufig bei ihr.«
Die Zeit damals, Anfang der 60er-Jahre, war die Zeit des Rock ’n’ Roll, die Morgendämmerung einer Studentenbewegung zu neuer Freiheit, die Zeit des Petticoats und, beinahe im Widerspruch zu der rhythmischen, neuen Musik aus England und den USA, eine Zeit romantischer deutscher Schmachtfetzen. »Die Platten, die meine Eltern daheim sammelten«, sagte FALCO einmal, »waren schrecklich. Oberkrainer und Ähnliches, das Einzige aus der Plattensammlung meines Vaters, das mir in guter Erinnerung geblieben ist, waren die Platten der Spitzbuben, also humorvolle, manchmal recht derbe Kabarettdarbietungen. Ansonsten konnte ich mit der Musik, die meine Eltern mochten, nichts anfangen. Mein Vater spielte ganz gut Ziehharmonika, aber sein Musikgeschmack war von meinem eine Ewigkeit weit entfernt.«
Die Eltern waren klug genug, ihren Sohn nicht künstlerisch in eine bestimmte Richtung drängen zu wollen. Sie ließen ihm die Freiheit, seine Beatles- oder Presley-Platten zu hören. »Nur einmal war ich stinksauer, als ich von einer Tante zu meinem Geburtstag Geld für eine Musikkassette bekam und meine Mutter unbedingt mit mir in den Laden gehen wollte, um die Kassette zu kaufen. Sie bestand darauf, eine Kassette von Roy Black zu erstehen, weil ihr seine Lieder, insbesondere ›Ganz in Weiß‹, das damals ein großer Schlager war, so sehr gefielen. Ich war noch recht klein, aber ich weiß, dass ich heftig protestiert habe. Und meine Mutter sagte: ›Na, wir wollen auch einmal etwas kaufen, was mir gefällt.‹ Das machte mich ziemlich heiß.
Grundsätzlich hat mich die Schnulzenmusik der Jahre aber kalt gelassen, eine gewisse Reaktion darauf kann man nur daran erkennen, dass sich bei meinen Texten sicherlich nie Hiebe auf Liebe reimen wird und schon gar nicht Herz auf Schmerz.«
Beim Essen langte Hans kräftig zu, seine Leibgerichte waren Erbsen, Karotten, Wiener Schnitzel mit Kartoffelsalat und Backhendl. »Leber mochte er überhaupt nicht, nur Leberknödel«, berichtet seine Mutter. »Ich sagte ihm: ›Hör mal, das ist doch hirnverbrannt. Entweder du magst keine Leber, dann isst du auch keine Leberknödel, oder du magst sie. Leber wäre so gesund für dich.‹ Aber er ließ sich nicht überreden, und wann immer es Leber bei uns gab, blieb sein Teller unberührt.«
Nach einem Italienurlaub hatte er ein neues Leibgericht entdeckt: »Da stopfte er sich dauernd mit Spaghetti und Pasta asciutta voll. Wenn er vom Halbinternat heimkam, raste er in meinen Laden und verlangte nach Wurstsemmeln, die er hastig verschlang.«
Bei all dem Appetit machte sich Maria Hölzel Sorgen, als Hans mit acht Jahren abmagerte. Er war eigentlich nie ernsthaft krank gewesen, und bis auf ein paar Erkältungen konnten ihm auch die üblichen Kinderkrankheiten nichts anhaben. Einmal bat der Lehrer von Hans, Anton Frei, Maria Hölzel zu sich.
»Sagen Sie einmal, Frau Hölzel, was führen Sie eigentlich für eine Superküche?«
»Superküche? Ich verstehe Sie nicht recht. Wie meinen Sie das?«
»Na, wissen Sie denn nicht, dass Ihr Hans bei uns zu Mittag keinen Bissen anrührt? Wir haben Kinder, die mögen die eine oder andere Speise nicht, aber Hans isst gar nichts, er sagt nur, dass es zu Hause um so viel besser schmecke, deshalb wollte ich wissen, was Sie für eine Superküche haben.«
Hans Hölzel später: »Ich hatte zu der Zeit wirklich eine tolle Figur, ich, der ich schon als Kind ein wenig zum Dicksein neigte, hatte plötzlich Untergewicht. Das Essen, das uns in der Privatschule vorgesetzt wurde, war einfach ungenießbar, und bis auf ein paar Löffel Suppe habe ich wirklich alles zurückgeschickt. Es kam von den WÖK, den ›Wiener öffentlichen Küchen‹, und eine Speise schmeckte wie die andere.« FALCO beklagte sich zwar nie über das Essen, er nahm es hin und war in gewissem Sinne froh, wenigstens abzunehmen. Maria Hölzel: »Wenn mir nicht Herr Frei alles erzählt hätte, hätte ich nicht gewusst, weshalb Hans so abnahm. Wenn ich ihn fragte, was es zu Mittag gegeben hätte, hat er immer etwas gemurmelt und mir etwas von einer Suppe erzählt. Das war’s.«
Abends hörte Hans viel Musik, er hatte einen Kassettenrekorder und ein Radio, und wenn er sich damit beschäftigte, war er für die Umwelt nicht ansprechbar.
Sein Vater, der es geschafft hatte, Betriebsleiter in einer Firma für Blechbearbeitungsmaschinen zu werden, und der damit spekulierte, sich selbstständig zu machen, war häufig weg. Die Ehe der Eltern war damals noch nicht ausgesprochen schlecht, aber auch nicht gerade harmonisch. »Wir hatten nie Streit«, erinnert sich Maria Hölzel, »und mein Mann hat sich daheim nie anmerken lassen, dass er eine andere Frau liebte und mich betrog.«
FALCO bekam wenig Taschengeld. »Mein Vater setzte da auf andere Methoden, er versuchte mich für gute Noten zu bezahlen. Als ich noch zur Volksschule ging, hatten beinahe alle aus meiner Klasse ein Zeugnis mit lauter Einsen. Und er sagte: ›Wenn du auch lauter Einsen heimbringst, gebe ich dir 100 Schilling. Und wenn es nur eine Zwei ist, dann kriegst du 50 Schilling.‹ Ich fand diese Art der Bestechung schon damals dumm. Aber man muss andererseits auch bedenken, dass unsere Eltern aus einem ganz anderen Grund zu solchen Handlungen getrieben wurden. Geld war etwas Glorioses, Erstrebenswertes danach trachtete man mit all seinen Sinnen.«
Hans durchschaute ziemlich bald den Ablauf in der Schule und akzeptierte die Gegebenheiten. Er lernte fast nie, dennoch kam er gut mit und hatte zum Teil hervorragende Zensuren. »Ich hatte nie eine Schultasche dabei, alle meine Bücher und Hefte blieben im Schulfach. Ich hasste es, Vokabeln zu pauken und unsinnige Lehrsätze herunterzuleiern. Was half es mir, dass ich wusste, dass A-Quadrat plus B-Quadrat C-Quadrat ergibt? Ich wollte das alles gar nicht wissen.«
Er versuchte schon zu dieser frühen Zeit nie, Vorbild oder Anführer zu sein, aber er strahlte offenbar eine Aura aus, die ihn zu etwas Besonderem machte. »Die anderen haben mich mit Zurückhaltung und einer gewissen Scheu behandelt, auch wenn ich nicht der Stärkste in der Klasse war. Ich akzeptierte keine Hierarchie, und wahrscheinlich brachte mir das den meisten Respekt ein. Ich glaube, die dachten damals: ›Wir wissen zwar nicht, was wir von ihm halten sollen, aber wir können uns doch nicht alles mit ihm erlauben, denn irgendwas hat er wohl drauf.‹«
Es war eine verwirrende Widersprüchlichkeit in ihm, eine Mischung aus Zügellosigkeit und Ehrbarkeit, aus Rebellion und Wohlbehütet sein. »Es war ein steter Traum von der Freiheit, ich war frustriert, und ich selbst schien immer viel älter zu sein, als ich tatsächlich war. Fußball spielen hat mir nie besonders viel gegeben, nicht halb so viel wie den anderen. Meine Faszination lag anderswo – ich legte die Nadel auf eine Platte und dann kam etwas, was ich gar nicht verstand, weil ich nicht genug Englisch sprach, aber es versetzte mich trotzdem in eine ganz andere Welt.«
Hans war damals häufig mit seiner Cousine zusammen. »Ich behandelte sie zu der Zeit wie einen Jungen. Bis zu meinem 14. Lebensjahr war ich im Verhältnis zum anderen Geschlecht ziemlich naiv. Mit meiner Cousine verstand ich mich, wir hatten viele gemeinsame Interessen.« Streit gab es häufig wegen ihrer Schlampigkeit. Maria Hölzel: »Hans war schon als Kind pedantisch. Er war nicht wie andere Jungen in seinem Alter, die abends die Kleider auszogen und einfach liegen ließen, sondern er stellte seine Hausschuhe akkurat neben das Bett und hängte die Hose über eine Stuhllehne. Das hat er sich nie abgewöhnt. Einmal war ich bei ihm und stellte meine Handtasche achtlos auf sein Klavier. Da bat er mich, die Tasche wegzustellen, weil ihn das störe. Er hat sich auch immer mit Mädchen zerstritten, die nicht so ordentlich waren wie er. Ich glaube, diesen Wesenszug hatte er von mir. Früher bin ich nicht aus dem Haus gegangen, ohne vorher geputzt zu haben. Heute ist das zwar nicht mehr so schlimm, aber ich weiß noch auf Anhieb, welcher Gegenstand in welcher Schublade liegt. Ich habe für alles einen Platz. Ich sage immer, Ordnung zu machen ist keine Kunst, Ordnung zu halten ist eine.«
Außer mit seiner Cousine spielte FALCO als Kind meist mit zwei Jungen aus dem Nachbarhaus. Der eine, Peter Watzlawick, wohnte mit seinem Bruder und den Eltern in dem angrenzenden Haus in der Parallelstraße zur Ziegelofengasse, in der Straußengasse 4. Die beiden Jungen gingen täglich gemeinsam zur Schule, und Peter Watzlawick holte Hans am Morgen ab. Einmal stand er ohne Schultasche vor der Tür. Maria Hölzel öffnete.
»Wo hast du denn deine Schultasche?«
»Ach, die ist schon in der Schule. Ich war nämlich bei der Morgenandacht und hab die Tasche dagelassen. Aber ich dachte, wenn ich den Hans jetzt nicht abhole, wartet er umsonst.«
Maria Hölzel war damals sehr gerührt: »Da ist der Junge extra den Weg von der Schule zweimal gelaufen, um Hans nicht warten zu lassen. Ich sagte dann zu Hans: ›Siehst du, das ist ein richtiger Freund.‹«
Als Hans die Volksschule verlässt, wird er im Rainer-Gymnasium eingeschult, er besteht die Aufnahmeprüfung, die damals noch vorgeschrieben war, problemlos. Auch sein Freund Peter Watzlawick geht in dieselbe Schule. »Ich war«, entsann sich Hans Hölzel später, »in Bezug auf Freundschaften vielleicht oberflächlicher als die anderen. Ich habe das nie so recht ernst genommen.«
Der andere Freund von Hans war Raul Müller. »Das war ein absoluter Outsider, der wie ich ohne nach links oder rechts zu schauen durchs Leben ging. Ich habe mich um nicht viel gekümmert, und das imponierte ihm. In gewissem Sinne verband uns eine Weile eine beinahe brüderliche Freundschaft.«
Der Sport war für Hans unwichtig. Er ging gern schwimmen, andere Sportarten begeisterten ihn überhaupt nicht. »Ich habe ihm sogar für den Skikurs eine teure Ausrüstung gekauft, aber die hat er kaum angerührt«, meinte Maria Hölzel. »Die Musik war sein alles und ich akzeptierte das. Ich wollte ihn zu nichts zwingen, was ihm keinen Spaß machte.«
Wenn er mit seinen Freunden in die Innenstadt ging, konnte er einen Stil der neuen Zeit kennenlernen. In Kneipen wie der Palette beim Künstlerhaus oder dem 12-Apostel-Keller am Lugeck saßen langhaarige, verwegen aussehende Typen herum, die Frieden predigten und den Krieg, im Speziellen den Vietnam-Krieg, verdammten. Im Festsaal des Porr-Hauses, dem inzwischen niedergerissenen Gewerkschaftsgebäude, traten Joan Baez und Pete Seeger auf und sangen »We Shall Overcome«. Dazu gab es überall die Musik der aufregenden neuen wilden Bands, es gab die Troggs, die Tremeloes, Casey Jones, die Marmalades und natürlich die Wegbereiter der Popmusik, die Rolling Stones und FALCOS Heroen, die Beatles.
Man trug enge Jeans und bunte Hemden, hatte lange Koteletten und lange Haare.