Fallen Gods of Olympus - G.L.M. Nani - E-Book
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Fallen Gods of Olympus E-Book

G.L.M. Nani

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Beschreibung

Wenn die Götter der Liebe unter den Sterblichen wandeln …
Der romantische Urban Fantasy-Roman über griechische Mythen in unserer Zeit

Als Siela am ersten Tag des neuen Schuljahres auf Eros und seine Geschwister trifft, will sie nichts mit ihnen zu tun haben. So schön und mysteriös sie auch sein mögen, sind sie vor allem arrogant – allen voran Eros selbst. Umso schlimmer, dass sie gezwungen werden, mehr Zeit miteinander zu verbringen, da sie beide die Hauptrollen in der Abschlussaufführung ergattern. Eros sieht die elektrisierenden Auseinandersetzungen mit Siela als interessanten Zeitvertreib während seiner Strafe. Denn er ist nicht nur neu am Internat, sondern auch neu in der sterblichen Welt. Sein Großvater ist niemand geringeres als Zeus, der ihn und seine Geschwister wegen ihrer Eskapaden vom Olymp verbannt und ihnen verboten hat, ihrer göttlichen Natur nachzugeben. Und was macht der Gott der Liebe, wenn er nicht lieben darf, außer sich einem gefährlichen Spiel hinzugeben?

Erste Leser:innenstimmen
„Gelungene Verbindung zwischen Mythologie und der realen Welt. Ein echtes Highlight!“
„Die Liebesgeschichte zwischen Siela und Eros ist gefühlvoll und gleichzeitig voller Spannung. Göttliche Romance nach meinem Geschmack!“
„Erfrischende Abwechslung zu herkömmlichen Liebesromanen.“
„Die Charakterentwicklung und die überraschenden Wendungen machen diese Urban Fantasy zu einem Muss für alle, die mythologische Liebesgeschichten lieben.“

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Seitenzahl: 393

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Über dieses E-Book

Als Siela am ersten Tag des neuen Schuljahres auf Eros und seine Geschwister trifft, will sie nichts mit ihnen zu tun haben. So schön und mysteriös sie auch sein mögen, sind sie vor allem arrogant – allen voran Eros selbst. Umso schlimmer, dass sie gezwungen werden, mehr Zeit miteinander zu verbringen, da sie beide die Hauptrollen in der Abschlussaufführung ergattern. Eros sieht die elektrisierenden Auseinandersetzungen mit Siela als interessanten Zeitvertreib während seiner Strafe. Denn er ist nicht nur neu am Internat, sondern auch neu in der sterblichen Welt. Sein Großvater ist niemand geringeres als Zeus, der ihn und seine Geschwister wegen ihrer Eskapaden vom Olymp verbannt und ihnen verboten hat, ihrer göttlichen Natur nachzugeben. Und was macht der Gott der Liebe, wenn er nicht lieben darf, außer sich einem gefährlichen Spiel hinzugeben?

Impressum

Erstausgabe August 2024

Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98778-675-4 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98778-683-9

Covergestaltung: ArtC.ore-Design / Wildly & Slow Photography unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com: © Sentoriak, © Image Lounge, © Image Lounge, © Chaman, © Cuong Lektorat: Sandra Florean

E-Book-Version 03.09.2024, 16:40:42.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Fallen Gods of Olympus

Eine dankbare Seele sieht in jedem Moment ein Wunder; sie verwandelt Schwäche in Stärke, und Mühsal in Erfüllung.

(Unbekannt)

Der Zorn des Zeus

Was ist erschütternder als ein Himmel, der seine Fesseln sprengt und einen Sturm loslässt? Das Donnern des Zeus! Es hallt in meinen Ohren wie das Zerbersten von Bergen, doch statt Ehrfurcht fühle ich nur eine aufkeimende Rebellion in meiner Brust.

„Hast du dich nicht schon genug ausgetobt, Grandpa?“, frage ich mit einer Mischung aus Spott und Trotz in meiner Stimme. Ich weiß, ich spiele mit dem Feuer oder besser gesagt: mit dem Keil, den er so gern schwingt. Aber was ist das Leben ohne ein wenig Aufregung?

„Du respektloses Ding.“ Seine Antwort kommt so unerbittlich wie das Tosen eines Sturms. „Von allen Göttern bist du derjenige, der mir ein Dorn im Auge ist!“

Ich kann mir das Schmunzeln nicht verkneifen. Es ist ein ewiges Spiel, das wir austragen – eine Schlacht der Sticheleien zwischen dem Gott des Olymp und dem Gott der Liebe.

Meine Geschwister, Anteros und Harmonie, stehen zu meiner Seite, völlig erschrocken über das, was sich hier abspielt. Sie sind nicht wie ich. Das Feuer in mir brennt heißer als in jedem anderen Gott, allenfalls mit Ausnahme meines Großvaters. Und doch sind sie hier, verwickelt in die Konsequenzen meiner Dreistigkeit.

„Langweilig! Sie sagen mir, dass ihnen auf dem Olymp langweilig ist.“ Zeus’ Verachtung schlägt ein wie ein Blitzschlag nach dem anderen, jeder Funke ein Tadel für unsere Undankbarkeit. „Ihr habt das Privileg, auf dem Olymp zu leben, und nennt es langweilig?!“

Die Strafe, die nun über uns verhängt wird, kommt nicht unerwartet, denn in der Welt meines Großvaters bleibt kein Fehltritt ohne Konsequenz. Doch ihre Schärfe trifft selbst mich tiefer als gedacht.

Ein Jahr lang unter den Sterblichen.

Ein Jahr lang unserer göttlichen Umgebung und Privilegien beraubt.

Ich, der Gott der Liebe, soll Liebe und Leidenschaft empfinden, doch ich darf sie nicht ausleben – eine Qual, die tiefer schneidet als jede Klinge. Anteros, der Gott der Gegenliebe, wird umgeben sein von unerwiderten Gefühlen, gefangen in einem Netz aus Verlangen ohne Hoffnung auf Erfüllung. Harmonie eingebettet in Konflikte, ohne Frieden, ohne Ausgleich – eine Ironie, die selbst die Schicksalsgöttinnen zum Lachen bringen würde.

Ich schaue zu meinen Geschwistern, in ihrem Blick spiegelt sich meine eigene Besorgnis wider. Was erwartet uns abseits des göttlichen Glanzes und der göttlichen Macht? Welche Lieder werden wir singen, wenn die Harfen des Olymp verstummen?

Ein bedrückendes Gefühl breitet sich in mir aus, als mir die volle Härte der Strafe bewusstwird. Ein Jahr unter den Sterblichen könnte für einen Gott wie mich eine Ewigkeit bedeuten – eine Ewigkeit ohne die süßen Früchte der Liebe, die ich so großzügig gesät habe. Ein Jahr, um herauszufinden, was Liebe wirklich bedeutet, wenn man sie nicht einfach mit einem Pfeil erschaffen kann.

***

Aus. Ein letztes „krrr“ und dann Stille. Der alte Röhrenfernseher meiner Oma zeigt die schwarz-weißen Ameisen, die wie verrückt im Bildschirm umherlaufen. Die abgehackten Sätze des Nachrichtensprechers hängen noch in der Luft: „… krrr … dass dies das wohl schlimm… krrr …witter des Jahr… krrr … Verlassen Sie heute Nacht nicht … krrr … Zuhaus… krrr.“

Mein Handy hat kein Signal. Ich bin eh müde und muss morgen früh aus den Federn. Soll sich das Gewitter doch die ganze Nacht austoben. Mein Unterbewusstsein wird es tun.

Zwei Arten von Albträumen reißen mich regelmäßig aus meinem Schlaf. Mal ist nur meine Mutter die Protagonistin der onirischen Szene, mal ist mein Erzeuger ebenfalls anwesend, den ich selbst im Schlaf niemals zu Gesicht bekomme. Eins haben beide gemeinsam: Die kleine Siela steht am Ende des Traumes allein da.

Heute spaziert nur meine Mutter durch die Straßen von Morpheus’ Welt. Wir befinden uns in der Küche eines verlassenen und heruntergekommenen Hauses. Wir sitzen uns gegenüber auf wackligen Holzstühlen. Ich kann mich nicht an die Lehne stützen, die würde sonst zusammenbrechen. Ich schaue meine Mutter an und habe nur eine Frage, die ich ununterbrochen stelle: „Warum verlässt du mich wieder und wieder?“

Ihre Reaktionen sind ständig anders: Mal schaut sie mich wortlos an oder ignoriert mich, manchmal kann sie mich nicht hören, weil sie Kopfhörer trägt, und es gibt Male, da baut sie eine Mauer aus Stein zwischen uns. Die Antwort, die ich erhalte, ist stets dieselbe, nämlich keine. Dann folgt die Verwandlung. Sie ist schon zum davonfliegenden Vogel geworden, zur emotionslosen Statue oder Puppe und zum Gespenst. Heute Nacht verwandelt sie sich in die Eiskönigin, die mich mit einem Schauer am ganzen Körper und im Herzen da in diesem verkommenen Haus einfach sitzen lässt …

Acht Uhr dreißig. Das Gewitter hat die ganze Nacht wie verrückt getobt. Wie ein Stier in der Arena, der mit einem roten Tuch gereizt wird. Jetzt ist es still. Die sprichwörtliche Ruhe nach dem Sturm. Oder war es andersherum?

Auf meinem Handy sind keine Nachrichten von Linda und Marc. Äußerst merkwürdig, denn seit Wochen reden sie von nichts anderem. Heute startet unser Seniorjahr. Das letzte Jahr. Und dann? Ja, was dann?

„Siela, Schatz. Frühstück“, ruft meine Großmutter aus der Küche im Erdgeschoss.

„Gib mir zehn Minuten, Granny.“ Ich hüpfe aus dem Bett und achte darauf, dass der rechte Fuß zuerst den Boden berührt. Eine meiner Macken, die mir einen guten Start in den Tag garantiert. Meine Tischlampe funktioniert nicht, wahrscheinlich ein Kurzschluss. Dann wird die Sonne heute mein Zimmer erhellen. Mein Mund steht genauso weit offen wie meine Gardinen, als ich sie links und rechts von mir wegschiebe und aus dem Fenster schaue: Draußen herrscht das reinste Schlachtfeld. Die sonst so friedliche und spießige Nachbarschaft gleicht einer Szene aus einem Apokalypsen-Film. Ich bin sprachlos. Soll ich ein Reel auf TikTok hochladen? Ach, was. Den gleichen Gedanken haben sicher schon tausend andere gehabt, was dann wieder uncool wirkt.

„Sielaaaa!“

Oh, shit! Zähne, Dusche, Zopf, Uniform, Mascara, Lipgloss. Flüchtig betrachte ich mich im Spiegel. Dünn, undefinierbare Farbe, hängt schief. Und er verpufft. Wie immer. Der Rahmen, das große Rätsel um meine Wahrnehmung.

Meine Haare habe ich glücklicherweise gestern geglättet. Meine roten Locken sind mir zu wild. Gegen meine Haarfarbe kann ich nichts machen, ich habe es versucht, das Rot gewinnt immer. Aber gegen meine Wellen hilft mein Glätteisen. Ab nach unten.

Der Countrysender, Grannys treuer Begleiter, dudelt ununterbrochen seit siebzehn Jahren aus dem abgenutzten Radio. Mit dem Geld, das mein Erzeuger jeden Monat auf mein Konto überweist, könnte ich ihr Hunderte neuer Radios und HD-Fernseher kaufen, in den größten Formaten. Sie weigert sich. Es sei mein Geld und von diesem Mann, der ihre Tochter auf einen verhängnisvollen Pfad geführt hat, nehme sie keinen Penny an.

„Ist der Fahrer schon da?“

„Noch nicht, Kind.“ Altes poröses Holz, hängt abfallend seit dem Tag, an dem meine Mutter uns verlassen hat. Und er verpufft. Wie immer. Den Rahmen um den Kopf meiner Großmutter habe ich lange nicht mehr wahrgenommen.

„Alles in Ordnung? Du hinkst.“

„Ja, mein Herz. Mein Fuß ist nur taub, es wird gleich wieder. Hast du alles?“

„Ja. Sie haben doch alles gestern abgeholt.“ Das ist der Luxus, eines der teuersten Elite-Internate des Landes zu besuchen. Der Gepäck- und Chauffeurservice ist inklusive. Meinem Erzeuger sei Dank.

„Was möchtest du frühstücken? Möchtest du ein Stück Kuchen? Ich hole ihn gleich raus.“

Wann immer ich in den Backofen meiner Großmutter schaue, ist ein Gebäck in der Mache drin. Jedes Mal ein anderes. Heute gibt es Apfelkuchen, meinen Favoriten.

„Nein, danke. Ich trinke nur einen O-Saft.“

„Vergiss bitte deinen Termin bei Dr. Alden nicht. Er ist …“

„… übernächsten Dienstag. Keine Sorge, ich vergesse ihn nicht.“ Ich gehe nur hin, damit sie das Gefühl hat, alles zu tun, was in ihrer Macht steht, um mir zu helfen, und weil ich sie nicht enttäuschen möchte. Auch dieser Arztbesuch wird nichts Wesentliches verändern.

Ein kurzes Hupen erlöst mich. Mein Fahrer ist da. Granny umarmt mich und möchte mich nicht gehenlassen.

„Granny, ich muss los. Wir sehen uns in zwei Wochen“, sage ich und wische ihr eine Träne von der Wange. Ich mag es nicht, wenn sie leidet. Und den Kloß in meinem Hals mag ich ebenfalls nicht. Ich packe meinen Rucksack, stecke das Handy in die Hosentasche und gehe.

Loveland Elite Hall, ich komme!

Meine Großmutter wohnt nicht weit vom Internat entfernt. Aber für eine Strecke, die sonst sieben Minuten dauert, braucht mein Fahrer heute ganze vierzig. Äste liegen wie Konfetti auf den Straßen verteilt herum, Mülltonnen querbeet auf den Gehwegen, Baumstämme und Fahrräder haben es sich auf Autos gemütlich gemacht. Wir schlängeln uns da durch. Aber ich habe Zeit. Am ersten Tag beginnt der Unterricht in einer Lightversion: nur zwei Unterrichtsstunden und dazwischen die Mittagspause. Mich wundert, dass ich weder von Linda, noch von Marc etwas gehört habe.

Als wir entlang der Allee auf die Einfahrt des Loveland Elite Hall zusteuern, breitet sich eine düstere Pracht vor mir aus. Das schwere Tor erhebt sich majestätisch vor uns. Keine Fernbedienung. Der Fahrer muss aussteigen und es manuell öffnen. Die eisernen Spitzen des Tores wirken wie strenge Wächter, die meine Ankunft kritisch verfolgen. Doch das, was nach all den Jahren stets meine Aufmerksamkeit fesselt, ist das Emblem der alten Eiche, das in dem rostigen Tor eingearbeitet ist. Sie ist das Symbol für Standhaftigkeit und Wachstum. Die Konturen der mächtigen Baumkrone scheinen fast lebendig zu sein und werfen schattenhafte Schimmer auf den Weg, der in das Innere des Internats führt. Unmittelbar hinter dem Tor beginnt die reale Präsenz der Natur: Die Äste der knorrigen Bäume, beladen mit dem satten Grün des Spätsommers, hängen bedrohlich über der Einfahrt, als würden sie eine unsichtbare Grenze zwischen der Außenwelt und dem inneren Heiligtum des Internats markieren wollen.

Linda und Marc stehen schon an unserem langjährigen Treffpunkt in der Nähe des Flügel B des Schulgebäudes. Das alte Pflaster, das von der Auffahrt zum Gebäude führt, erzählt eine Geschichte des Voranschreitens. Jeder Stein trägt die Erwartungen und Hoffnungen all derjenigen in sich, die diesen Weg vor mir gegangen sind. Das leise Klappern meiner Schuhe und mein tapsiger Gang auf dem Stein hingegen verraten nur eins: meine Unsicherheit. Was mache ich nach diesem Schuljahr?

Trotz der beklemmenden Stimmung erkenne ich die Schönheit des Anwesens und spüre eine gewisse Dankbarkeit, denn all diese Jahre ist es mein Zuhause gewesen. Nun muss ich meinen Platz finden – außerhalb des Loveland Elite Hall.

Etwas beschäftigt Linda, sie zappelt und hampelt vor Marc herum. Der hingegen schaut unbeeindruckt durch die Gegend. Sie bemerkt mich nicht, als ich bei ihnen ankomme, und redet weiter: „… sogar in Europa scheint die Verbindung gekappt zu sein! …“

„Guten Morgen“, unterbreche ich sie.

„Guten Morgen, Sisi. Was sagst du dazu?“, stürmt es aus Linda heraus.

„Wozu?“, frage ich vorsichtig zurück.

„Na, dass wir kein Internet haben! In welcher Welt lebst du eigentlich? Ist dir nicht aufgefallen, dass du heute keine Nachricht von mir erhalten hast?“

„Natürlich ist es mir aufgefallen. Es war tatsächlich mein erster Gedanke heute Morgen“, gebe ich zu.

„Und?“

„Na, ich dachte, du seist wegen des ersten Schultages aufgeregt und meldest dich deshalb nicht. Was sagtest du mit Europa?“, versuche ich, das Gespräch weg von mir zu lenken.

„Meine Mutter hat heute Morgen mit meiner Tante in England telefoniert und die hat mit einer Freundin aus Frankreich telefoniert und beide sagten, dass selbst dort das Internet ausgefallen sei.“

„Ja, aber wenn die Telefonleitung funktioniert, wird das Internet es auch bald wieder tun. Wobei es für mich unerklärlich ist“, mutmaßt Marc, bevor er jemandem zuwinkt.

Ich folge seiner Handbewegung und zische ihn an: „Marc! Ernsthaft jetzt?“ Er weiß, wie sehr ich dieses Mädchen leiden kann, nämlich gar nicht. Trotzdem lädt er sie ständig in unseren Kreis ein.

„Hi“, quietscht Betty in die Runde und Marcs Gesicht leuchtet auf.

Was er an ihr so reizend findet, kann ich nicht verstehen. Alles an diesem Mädchen ist falsch, angefangen von ihren Wimpern, weiter zu ihrer Fake-Markentasche, bis hin zu ihren Fingernägeln und dem Zebralachen. Aber vor allem die Art, wie sie mit meinem besten Freund umgeht.

„Habt ihr es schon mitbekommen?“, fragt sie, bewegt dabei theatralisch ihre Hand, öffnet entsetzt die Augen und fächert dreimal mit den Wimpern.

„Wir werden ein paar Stunden ohne das World Wide Web überleben, Betty“, sage ich lebhaft desinteressiert.

„Was, das? Ach, Quatsch, das meine ich nicht. Also, habt ihr es nicht mitbekommen?“ Der Frage folgt eine dramatische Pause. Sie lebt die Tipps unserer Schauspiellehrerin.

„Jetzt rück raus mit der Sprache“, kommt mir Linda sichtlich genervt zuvor.

„Die neuen Geschwister … habt ihr sie noch nicht gesehen? Gott, ihr drei …“ Theatralische Pause mit Handrücken auf der Stirn. „… auf welchem Planeten lebt ihr?“

Ich wende mich Linda zu, doch bevor eine von uns reagieren kann, plappert Betty weiter: „Drei neue Schüler, Leute! Zwei Brüder und eine Schwester und ich sage nur eins: feuerhammerheiß!“

Sie liebt diese Wortkreationen, die keinen Sinn ergeben und nervig sind, ihrer Meinung nach aber die Bedeutung ihrer Aussagen betonen.

„Auch das werden wir überleben.“ Ich habe genug. Der Klassenraum ist mir in diesem Moment lieber als diese Runde, wobei ich Betty später im Schauspielkurs wieder ertragen muss. Literatur ist heute meine erste Stunde zusammen mit Linda. Ich lasse Marc mit Betty stehen, an seinem Gesichtsausdruck merke ich, dass ihm die Nachricht der neuen Mitschüler nicht gefallen hat. Selbst Schuld. Wenn er Interesse an ihr hat, dann muss er es klar und deutlich äußern. Nicht jeder kann zwischen den Zeilen lesen und was das angeht, ist Betty eine Analphabetin.

„Gib ihr doch mal eine Chance.“ Lindas Stimme reißt mich aus meinen Gedanken.

„Ach, Lin! Du kannst sie doch selbst nicht ausstehen.“

„Ich mache es nur aus Loyalität dir gegenüber“, erwidert meine beste Freundin.

„Bullshit! Ist Loyalität der Grund, weshalb du dich regelmäßig mit Donna triffst, obwohl sie mir den Freund ausgespannt hat?“

„Donna ist meine Cousine. Und es war auf der Grundschule, Sisi. Du warst sieben. Wie wär’s mal mit einem richtigen Freund?“

„Wie oft soll ich es noch wiederholen?“

„Ah, ja, wie war es nochmal? Eine Liebe, die nicht nur den Körper, sondern auch den Geist und die Seele erhebt!“

„Was ist so schlimm daran?“, frage ich und tue unschuldig.

„Dass es so eine Liebe nicht gibt.“

Das weiß ich. Und genau deshalb sage ich das auch. Ich möchte gar keine Liebe in meinem Leben!

„Dabei stehen sie alle Schlange.“

„Apropos Schlange. Was ist denn hier los?“, versuche ich, vom ungemütlichen Thema abzulenken.

In der Zwischenzeit haben wir das Schulgebäude betreten und vor dem Büro unserer Schulleiterin herrscht ein Gedrängel, wie ich es das letzte Mal auf Taylor Swifts Konzert erlebt habe. Das wird wohl die Wirkung der neuen Mitschüler sein. Ich versuche, mir mit dem Ellbogen meinen Weg in den Klassenraum freizuschlagen, als die Tür von Mrs. Summers Büro aufgeht. Das Gequietsche wird lauter und die Menge teilt sich, so wie angeblich Moses das Meer geteilt haben soll. Drei Gestalten treten aus dem Raum, begleitet von unserer Schulleiterin. Meine Aufmerksamkeit richtet sich auf den Jungen in der Mitte und auf seine braun-grünen Augen. Sein Blick trifft meinen und in diesem Moment scheint alles andere zu verblassen. Ich höre Linda etwas im Hintergrund sagen, verstehe aber kein einziges Wort. Er nickt mir zu und mein Herz setzt einen Moment aus. Rubinrot aus eben diesem Edelstein, mit Rissen, schief. Und er verpufft. Wie immer.

„Leute, bitte macht Platz. Wir sind hier doch nicht auf einer Viehschau!“ Mrs. Summers Worte wecken mich aus meiner kurzen Trance und ich laufe zu Linda, die mittlerweile schon im Klassenraum ist.

„Das waren wohl die Geschwister … und ihre Wirkung.“ Sie zwinkert mir zu und nimmt Platz, den gleichen wie letztes Jahr: vorletzte Reihe direkt am Fenster.

Ich setze mich daneben. „Das waren sie wohl.“ Wobei ich nur einen von ihnen kurz sehen konnte.

Ich gehe nicht auf Lindas Blicke ein, da ich genau weiß, worauf sie hinauswill. Stattdessen tue ich konzentriert, hole mein Buch, mein Heft und meine Stifte aus dem Rucksack. Ich spitze den Bleistift an, lege alles akribisch genau nebeneinander auf die Bank und beschäftige mich mit ihnen, bis ich aus dem Augenwinkel bemerke, dass sich Linda weggedreht hat. Dann lehne ich mich zurück und warte, dass Mr. Dollman den Raum betritt. Die Klingel hat längst den Stundenbeginn angekündigt, alle anderen Schüler sind schon da und ich höre seine Elefantenschritte und das passende Lachen dazu. Er spricht mit jemandem, öffnet die Tür und hält sie offen. Die Person tritt ein und schaut nur mich an. Ich fühle mich augenblicklich von seiner Präsenz angezogen.

„Bitte nehmen Sie doch in der letzten Reihe Platz, Mr. DeVine. Ich freue mich, Sie in meinem Unterricht begrüßen zu dürfen.“

Was stimmt denn mit Mr. Dollman nicht? So hat er bisher nie einen Schüler begrüßt.

Letzte Reihe. Schräg hinter mir. Um an seinen Platz zu kommen, geht Mr. DeVine durch den Korridor an meinem entlang und stößt dabei meinen Bleistift runter. Wir bücken uns beide und unsere Blicke treffen sich erneut. Diese Farbe und dieses Glitzern zu beschreiben, ist so aussichtslos, als würde man versuchen, den exakten Schimmer zu erklären, den man sieht, wenn das Sonnenlicht auf einen Wasserspiegel fällt und in alle Richtungen bricht.

„Dein Bleistift ist ja spitzer als ein Pfeil, sei vorsichtig!“, haucht er mir ins Ohr und legt ihn an seinen Platz zurück.

Plötzlich fühle ich mich, als hätte jemand die Schwerkraft ausgeschaltet. Ein Kribbeln zieht durch meine Wirbelsäule und für eine Sekunde steht die Welt still. Mit einer fast schon mechanischen Bewegung setze ich mich wieder aufrecht hin. Ich zwinge mich, das seltsame Flattern in meinem Bauch zu ignorieren und Mr. Dollman zuzusehen, wie er seine Bücher methodisch auf dem Pult stapelt.

„Herzlich willkommen, Seniors. Bevor wir beginnen, lassen Sie uns Mr. Eros DeVine willkommen heißen.“

Eros DeVine. Wer solche Eltern hat, braucht keine Feinde! Wie kann man seinen Sohn so nennen?

„Mr. DeVine, möchten Sie sich kurz vorstellen?“

„Sehr gerne, Mr. Dollman …“ Die Stimme ist tief und rau.

Ehe ich wieder in Trance falle, fange ich mich und versuche, mich nur auf den Inhalt und nicht auf den Ton zu konzentrieren. Was ist mit mir los? Alle haben sich zu ihm umgedreht, ich spiele mit meinem Bleistift.

Ich höre, wie er, Eros, kurz lacht und dann weiterredet: „… man könnte meinen, meine Eltern hätten mir mit diesem Namen einen Streich gespielt, statt mir einen Gefallen zu tun …“

Alle lachen. Ich fühle mich ertappt, was unmöglich ist. Ich spiele mit der Spitze des Bleistifts und tippe sie immer und immer wieder auf die Fingerkuppe meines Zeigefingers.

„… dabei hat es meinen Bruder schlimmer erwischt, er heißt Anteros.“

Wie auf Knopfdruck lachen alle erneut.

„Wie der Gott der Gegenliebe …“, flüstere ich.

„Wie der Gott der Gegenliebe“, sagt Eros und ich bin mir unsicher, ob er es aus eigener Initiative von sich gibt oder ob er meine Worte wiederholt. „Ich freue mich auf das Seniorjahr hier mit euch.“

Alle lachen, lächeln, tuscheln untereinander und drehen sich wieder nach vorn. Ich bin so vertieft in meine Gedanken, dass ich völlig vergesse, wo ich bin. Plötzlich holt mich ein schmerzhafter Piks in meiner Fingerkuppe zurück in die Realität. Erst jetzt bemerke ich, dass Linda mich anstarrt und dass Mr. Dollman bereits mit dem Unterricht begonnen hat. Ich sauge an der winzigen Wunde, bis sich kein Blutströpfchen mehr bildet, und höre Eros leicht lachen. Ich drehe den Kopf zu ihm. Er fixiert mich und lächelt dabei. Ich schaue schnell wieder weg. Warum schenke ich ihm und seinem doofen Gelächter mehr Gehör als dem Unterricht?

Den Rest der Stunde zwinge ich mich, an den Lippen meines Literaturlehrers zu hängen, der den Kurs mit folgender Ankündigung beendet: „Die diesjährige Klassenlektüre wird Apuleius’ Märchen von Amor und Psyche sein, aber dazu mehr heute Abend bei der Begrüßungszeremonie.“ Er zwinkert dem neuen Schüler zu und schon ertönt die Klingel.

„Da hatte heute aber jemand Schwierigkeiten, dem Unterricht zu folgen“, sucht Linda das Gespräch auf dem Weg zu unseren Schließfächern.

„Wen meinst du?“, stelle ich mich dumm.

„Ernsthaft? Es ist ja nicht so, dass wir schon im Kindergarten in einer Gruppe waren und ich dich in- und auswendig kenne, Sisi.“

„Ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst.“ Ich spiele meine Masche weiter.

„Seit dem Moment, an dem dein Bleistift den Boden berührt hat, warst du nicht mehr im Klassenraum.“

„Ach, Quatsch!“

Lindas Augenbraue wandert nach oben, das Zeichen, dass sie mir nicht glaubt.

„Ich habe mich gewundert, wie eine Mutter ihrem Kind sowas antun kann und es Eros nennt, wenn es schon mit Nachnamen DeVine heißt …“

„Hast du, ja?“ Die Braue ist weiterhin oben.

„Ja, findest du nicht …“

Lindas Miene wechselt schlagartig, ihre Pupillen weiten sich überrascht und mir ist klar, dass Eros hinter mir steht. Ich drehe mich um und behalte recht.

„Eventuell kannst du meine Mutter irgendwann mal selbst fragen, was sie dazu geritten hat, mir diesen Namen zu geben“, sagt er mit einem süffisanten Lächeln.

„Ich … also … ähm … es tut mir … ähm …“, stammele ich. Was ist heute nur mit mir los?

Wieder schaut er mich mit dieser arroganten Haltung an. Ich bin mir sicher, dass er genau weiß, wie er auf seine Mitmenschen wirkt. Er lächelt. „Du musst dich nicht rechtfertigen, ich weiß, dass es kein gewöhnlicher Name ist. Du bist aber auch nicht gewöhnlich.“

Oh, nein, jetzt fängt das Geflirte an.

„… nicht jeder kennt den Namen des Gottes der Gegenliebe.“

Er hat mich doch gehört! Ich habe es vor mich hin geflüstert und bin mir sicher, dass es nicht einmal Linda mitbekommen hat. Wie kann er?

„Und ich sagte doch, du sollst vorsichtig mit dem Bleistift sein.“ Diese Worte haucht er mir wie vorhin ins Ohr und ist dann weg, ohne sich zu verabschieden.

Linda macht keine Anstalten, sich das Schmunzeln zu verkneifen.

„Also, wo waren wir stehengeblieben?“

„Lin, bitte.“ Ich erblicke Marc, der an seinem Schließfach herumfuchtelt. „Hey, Marc. Hier sind wir.“ Dass er meine Rettung ist, hat mein Tonfall verraten.

„Lenke ruhig vom Thema ab“, beendet Linda unsere Konversation.

„Hey, Mädels. Wie schaut’s aus? Hunger? Habt ihr in die Speisekarte geschaut? Das Internet ist wieder in Betrieb. Hing wohl alles mit diesem ungewöhnlichen Unwetter zusammen.“

„Wie schaut’s aus, Sisi? Hast du Hunger oder ist dein Bauch voller Schmetterlinge?“, zieht mich Linda auf, während wir zu dritt in den Speisesaal laufen.

Ich antworte nicht, ganz Unrecht hat sie aber nicht. Ob es Schmetterlinge sind, weiß ich nicht, auf jeden Fall grummelt es leise in der Magengegend.

Der Speisesaal ist überfüllt. Wie an jedem ersten Schultag. Die Wahl der warmen Gerichte macht mich nicht an. Ich pflücke mir einen Salat aus der Greenbar zurecht. Mehr Oliven, Hähnchenstreifen und Käsewürfel als Grünzeug und Tomaten, so liebe ich ihn. Ich schaue auf meine gefüllte Bambusschüssel wie auf ein Gemälde und bin zufrieden mit dem Ergebnis. Marc und Linda sitzen schon an unserem Stammplatz, dem großen Achtertisch, den nur wir drei belegen. Als ich zu ihnen komme, sind sie in ein Gespräch vertieft. Linda stochert in ihrem matschigen und fettigen Kartoffelgratin herum. Ich bin dankbar, dass ich mich für den Salat entschieden habe, und setze mich an das Tischende zwischen den beiden.

„Erster Schultag nach den Ferien und wir haben schon Hausaufgaben“, seufzt Marc. „Zumindest haben wir jetzt besseres WiFi als letztes Jahr. Vielleicht überlebe ich den Physikunterricht, ohne einzuschlafen.“

Linda verdreht die Augen und klopft auf ihr Buch. „Es geht doch nichts über das echte Gefühl von Papier zwischen den Fingern. Wer braucht schon WiFi, wenn man eine Bibliothek voller Bücher hat?“

„Ich nehme das WiFi“, entgegnet Marc und tippt auf seinem Handy herum. „Stell dir vor, du musst jeden Tag Bücher mit dir herumschleppen.“

„Das würde dir ein bisschen Muskeln geben“, sage ich und zwinkere ihm zu.

„Wozu Muskeln, wenn man Gehirn hat?“, kontert Marc, schaut dabei aber nicht auf. „Ich setze auf geistige Stärke.“

„Ach, wirklich?“, frage ich und kann mir ein Kichern nicht verkneifen.

Linda beginnt zu lachen und als sie etwas sagen möchte, verschluckt sie sich an ihrem Wasser und sprüht es quer über den Tisch.

Nachdem wir uns beruhigt haben, schaue ich nach vorn und mir gefriert der ganze Körper. Auf der anderen Seite des Saals steht Eros, sein Kopf ist in meine Richtung gewandt. Er ist zu weit entfernt, um Details erkennen zu können, doch offensichtlich ist seine Aufmerksamkeit auf mich gerichtet. Die neben ihm müssen Anteros und seine Schwester sein. Vorhin habe ich sie kaum wahrgenommen. Saphirblau aus eben diesem Edelstein, mit Rissen, schief. Und er verpufft. Wie immer. Und Smaragdgrün aus eben diesem Edelstein, mit Rissen, schief. Und er verpufft. Wie immer.

Jetzt, da seine Ausstrahlung mich wegen der Entfernung nicht hypnotisiert, kann ich das Gesamtbild besser betrachten. Er hat schwarze Locken, die so durcheinanderfallen, dass es fast gewollt aussieht. Die trainierten Muskeln zeichnen sich überdeutlich unter seinem roten, kurzärmeligen Shirt ab. Eine Aufschrift ist auf der Höhe des Herzens gedruckt. Keiner von ihnen trägt eine Uniform.

„Dein Ernst?“ Linda stupst mich mit dem Ellbogen an und reißt mich aus meiner heimlichen Bewunderung.

Erst jetzt merke ich, dass seine Geschwister ebenfalls in meine Richtung schauen. Verschämt blicke ich nach unten. Aber es kommt noch besser. Betty, die sonst auf der anderen Seite des Saals sitzt, nähert sich unserem Tisch.

„Ist bei dir frei, Marc?“, fragt sie mit klimpernden Wimpern und Unschuldsmiene.

„Aber klar“, antwortet Marc, bevor Linda oder ich eingreifen können.

Der Essensplatz, den man sich am ersten Tag aussucht, bleibt für das ganze Jahr. So will es eine veraltete Internatsregel. Herrlich! Mit voller Wucht trete ich unter dem Tisch gegen sein Knie. Er verkneift sich einen Aufschrei und Linda ein Lachen. Im Nullkommanichts sitzt Betty neben ihm und zwei Sekunden später ist mir klar, was Sache ist. Sie hat ihre Gelegenheit gewittert, um den Neulingen näher zu sein.

Sie winkt ihnen zu. „Harmonie?! Harmonie?!“ Das muss der Name der Schwester sein. „Hier sind drei Plätze frei!“

Sie hätten ablehnen können, tun sie aber nicht. Alle drei schlendern sie in ihrer vollen Schönheit – und ich muss zugeben, sie sind verdammt schön – zu uns herüber. Harmonie setzt sich anmutig neben Linda, lächelt sie an und Linda – offensichtlich total fasziniert – erwidert das Lächeln. Sie tauschen diese freundlichen Blicke aus, die man gewöhnlich mit jemandem teilt, bei dem man sofort eine Verbindung spürt.

Anteros gesellt sich zu Betty und Eros nimmt selbstbewusst am Tischende Platz, direkt mir gegenüber. Auf seinem Shirt steht „love“ in Kleinbuchstaben und Schreibmaschinenschrift gedruckt. Ich werde von zwei leuchtenden, braun-grünen Augen gefesselt.

Ihre Rahmen blitzen erneut auf. Warum?

Das Licht blendet mich dermaßen, dass ich mir ziemlich sicher bin, einem Migräneanfall nicht zu entkommen. Es sei denn, ich verschwinde augenblicklich. Der Appetit ist mir vergangen, genauso wie Marc. Seine Miene spricht Bände. Buchbände.

„Wie viel bist du dir wert, Marc?“, frage ich ihn unvermittelt.

Er schaut mich an, als hätte ich ihm die Frage auf Hindu gestellt.

„Um dir das anzutun?“ Ich nicke hinüber zu Betty. „Wollen wir gehen?“, schlage ich mit möglichst munterer Stimme meinen zwei besten Freunden vor.

„Du hast deinen Salat nicht angerührt“, versucht Linda, mich auf meinem Stuhl zu halten.

„Die Oliven sind schrumpelig und schmecken bitter, ich habe keinen Hunger mehr.“

„Wegen der Oliven?“ Lindas Augenbraue ist erneut oben.

Mehr sagt sie aber nicht, um mich zum Bleiben zu bewegen, sondern wendet sich wieder Harmonie zu, die sie lächelnd etwas fragt.

„Marc, bitte bleib.“ Bettys Stimme klingt wie Zuckerwatte und er bleibt.

„Dann gehe ich eben alleine.“ Ich stehe auf und mache mich auf den Weg nach draußen.

„Wir essen noch fertig und kommen dann nach“, ruft Marc mir hinterher, kein Anzeichen mehr seines Unmutes.

Ich schaue mich nicht nochmal um, sondern laufe schnurstracks raus und verbringe den Rest der Mittagspause versteckt hinter der großen, alten Eiche, dem Symbol unseres Schulwappens, und meinem Lieblingsplatz. Ich ziehe das Handy aus der Tasche und bin erleichtert darüber, dass ich mich mit meiner Playlist ablenken kann. Ein Wischen über den Bildschirm und meine Lieblingssongs strömen in meine Ohren. Ich hoffe, die Kopfschmerzen bleiben aus!

Ich genieße die Ruhe und kurz vor Pausenende schlendere ich in den Theaterraum zum Schauspielunterricht. Selbst wenn ich nicht gerade als herausragende Schauspielerin glänze, schätze ich Mrs. Dawsons unkonventionelle Unterrichtsmethoden. Angefangen vom Gefühlskreis zu Beginn jeder Stunde. Ich nehme auf einem der ungemütlich harten Holzstühle Platz. Heute bin ich ausnahmsweise die Erste. Nach und nach trudeln die anderen ein, leider auch Betty. Mrs. Dawson begrüßt uns, zieht ihre Schuhe aus, nimmt das Klassenbuch und kritzelt hinein. Sie erledigt die Bürokratie immer lieber sofort.

„Herzlich willkommen im neuen, eurem letzten, Schuljahr.“ Sie holt einen weiteren Stuhl, bittet Betty und Donna, ein wenig Platz zu machen, und platziert ihn zwischen sie. „Bevor wir beginnen, lasst uns bitte noch auf euren neuen Klassenkameraden warten. Ah, da ist er schon.“

Die Tür öffnet sich und er spaziert herein. Das kann nicht wahr sein! Zwischen Betty und Donna, direkt mir gegenüber, setzt sich Eros DeVine und fixiert mich eindringlich.

Ich schaue sofort weg, was mir diesmal nicht schwerfällt, denn Eros‘ Sitznachbarinnen biegen und winden sich vor Freude in ihren Stühlen wie Klapperschlangen, wenn sie mit einer Flöte gelockt werden. Peinlich! Er scheint unbeeindruckt vom Tanz der Damen, seine Aufmerksamkeit ist stur auf mich gerichtet. Ich drehe mich demonstrativ zu Mrs. Dawson und hoffe, dass sie bald mit dem Unterricht beginnt.

„Mr. DeVine, herzlich willkommen in meinem Unt–“

Shit! Mein unzufriedenes Stöhnen muss zu laut gewesen sein. „Stört Sie etwas, Ms. Chrysalis?“

„Nein, alles in–“

„Ich würde vorschlagen, Sie steigen heute als Erste in den Gefühlskreis, Ms. Chrysalis“, unterbricht sie mich. „Mr. DeVine, kurz für Sie zur Info: Der Gefühlskreis ist unsere besondere Art, den Unterricht zu starten. Jemand setzt sich in die Mitte des Kreises und sagt mit einem Wort, wie es ihm geht. Wem spontan eine Frage zu dem Gefühlszustand einfällt, der steigt mit in den Kreis und daraus ergibt sich dann ein meist wunderbarer Impro-Dialog, den wir als Basis für unsere Schauspielstunde nutzen.“

„Mr. DeVine“ bedankt sich für die Erklärung und fängt schmunzelnd meinen Blick ein.

„Ms. Chrysalis, bitte … the circle is yours!“, leitet Mrs. Dawson den ersten Gefühlskreis des Jahres ein.

Sichtlich angefressen ziehe ich den Stuhl in die Mitte des Kreises und überhöre das dezent kratzende Geräusch der Stuhlbeine auf dem Fußboden. Im Zentrum angekommen, wende ich mich um hundertachtzig Grad und zeige dem neuen Mitschüler den Rücken. Ich starre lieber die Lücke an, die mein Stuhl hinterlassen hat, als ihn.

Wie geht es mir? Ich habe im Gefühlskreis nie gelogen. Bisher.

„Mir geht es … gut.“ Ich hasse diese Aussage. Es ist die langweiligste und banalste Antwort, die ein Mensch geben kann. Es ist wie ein Schüler mit unglaublichem Potential, der sich aber nicht anstrengt. Wie ich. Keiner steigt in den Kreis. Perfekt, dann kann ich gleich zurück an den Rand. Ich möchte gerade aufstehen, als sich mir zwei Hände sanft und dennoch bestimmt auf die Schultern legen und es mir unmöglich machen, mich zu bewegen. Selbst ohne mich umzudrehen, weiß ich, wer mich lähmt.

„Bist du dir da sicher?“, haucht er mir ins Ohr, aber so laut, dass alle anderen es hören können.

Reflexartig schließe ich die Augen und eine Gänsehautwelle überzieht meinen ganzen Körper. Eros DeVine steht in meinem Gefühlskreis. Ich habe die Wahl, entweder ich steige aus oder …

„Willst du etwa sagen, dass ich lüge?“, bekomme ich einigermaßen selbstsicher über die Lippen.

Mittlerweile steht er mir gegenüber, geht in die Hocke und trifft mich mit seinem Blick. „Es würde mich wundern, wenn es die Wahrheit wäre“, sagt er, ohne mit der Wimper zu zucken.

Wie bitte? Was zum Teufel? Wer glaubt er, wer er ist?

„Warum?“ Warum? Ernsthaft? In mir tobt es und das einzige Wort, das ich herausbekomme, ist ein dämliches „Warum“?

„Weil mir dein Körper etwas anderes verrät.“

„Woher willst du meinen Körper kennen, Eros DeVine?“

„Deinen Körper kenne ich noch nicht, aber ich kann Körpersprache lesen. Es gibt nichts, was für mich ungesagt bleibt! Und dir geht es nicht gut. Du bist aufgewühlt, unkonzentriert, schaust ständig grimmig drein, hast heute dein Essen nicht angerührt. Dir geht es alles andere als gut.“

Was für ein aufgeblasenes, arrogantes und selbstverliebtes Arschloch!

„Ich sage es dir klar und deutlich, Mr. Ich-bin-hier-der-Checker, dann brauchst du nichts an meiner Körpersprache zu lesen: Verschwinde aus meinem Gefühlskreis. Jetzt!“

Ohne den Augenkontakt zu unterbrechen, steht er auf, bückt sich dann wieder und flüstert mir ins Ohr: „Noch nicht.“ Diesmal hat es keiner gehört. Es ist nicht was, sondern wie er es mir sagt. Ich höre ein Versprechen, sanft wie der Flügelschlag eines Schmetterlings, das trotz meiner Wut eine leichte Unruhe in meiner Magengegend entfacht.

„Na, wenn es hier nicht geknistert hat!“ Mrs. Dawsons Äußerung reißt mich aus meinen Gedanken und Empfindungen.

Geknistert? Ja, nee, ist klar. Wenn es hier geknistert hat, dann habe ich einen Oscar verdient. Oder?

„Was sich neckt, das liebt sich. Das ist der perfekte Einstieg für heute …“

Mehr bekomme ich von der ersten Schauspielstunde in meinem letzten Schuljahr am Internat nicht mit. Was ist verdammt nochmal los mit mir?

Das Spiel des Eros

Auf dem Olymp wäre ein Tag wie jeder andere, ein einfaches Fingerschnippen und die Welt würde sich beugen. Ein Pfeil, gedankenlos in die Luft geschossen, aus reiner Lust am Spiel, und ich würde einen Sturm entfachen, das pure Chaos. Getrieben nicht aus dem Wunsch heraus zu zerstören, sondern aus einem unersättlichen Drang nach Spaß in der endlosen Weite der langweiligen Ewigkeit. Gähn.

Doch hier, in dieser irdischen Sphäre des sogenannten „Elite-Internats“, ist das Spiel ein anderes und mit ihm haben sich die Regeln geändert.

Ein Labyrinth der Jugend, wo jedes Gesicht eine Geschichte zu erzählen hat. Bei unserer Ankunft starrten sie uns an, wie Sterbliche es oft tun, wenn Götter unter ihnen wandeln – mit einem Mix aus Ehrfurcht und neugierigem Staunen in ihren Gesichtern.

Sie bemühen sich in ihren täglichen Ritualen, die von flüchtigen Modetrends und endlosen sozialen Tätigkeiten auf ihren Smartphones geprägt sind. In den Korridoren lamentieren sie über triviale Prüfungen, in der Kantine buhlen sie um die Anerkennung ihrer Altersgenossen und sind völlig überfordert von den Donnerschlägen und dem Gewitter meines Großvaters.

Und inmitten all dieser vorhersehbaren Muster und gespielten Dramen tauchte sie auf – Siela. Es brauchte nicht lange, bis sie das Zentrum meines Interesses wurde. Ihre grünen Augen, stolz und herausfordernd, verrieten mir nur eins: Sie ist mein neues Spielzeug.

Meine göttlichen Fähigkeiten mögen mir geraubt worden sein, doch selbst in dieser gedrosselten Form bin ich den Sterblichen weit überlegen in Intelligenz und Schnelligkeit. Ihre Körpersprache und ihre Energie sind derart simpel zu entziffern, dass ich die Gabe des Gedankenlesens nicht misse. Ihr Schlaf so tief, dass die Unsichtbarkeit überflüssig ist.

Meine Geschwister haben mal wieder Grund zur Beschwerde. Anteros, stets so dramatisch, warf mir vor, ich hätte selbst bei der Strafe das beste Los gezogen, während er von der Qual der unerwiderten Liebe heimgesucht würde und Harmonie umringt sei von Konflikten. Und ich? Ich soll Liebe und Leidenschaft zwar spüren, aber nicht selbst erleben dürfen – ein Zustand, den sie spöttisch als kaum eine Veränderung zu meinem jahrhundertelangen Treiben betitelten.

Ich zucke mit den Schultern. Wenn mein Großvater zu dämlich ist, eine Strafe vernünftig zu verkünden, kann ich nichts dafür.

Ich werde dieses Jahr genießen, so wie ich es jederzeit tue. Meine nächste Zielscheibe habe ich bereits ins Visier genommen.

***

Den Schulstart hatte ich mir anders vorgestellt. Ich hatte vor, dieses letzte Jahr passiv und apathisch vor mich hin zu dümpeln. Eigentlich. Wenn ich mir jedoch jetzt die Frage stelle, wie es mir geht, dann kann ich nur antworten: Ich bin aufgewühlt, unkonzentriert, schaue ständig grimmig drein und habe heute mein Essen nicht angerührt. Mir geht es alles andere als gut!

Er kann Körpersprache lesen und das verdammt gut. Nach dem Unterricht bin ich auf dem Anwesen umhergeschlendert. Hier im Loveland Elite Hall gibt es kein Anzeichen vom nächtlichen Sturm, ein weiterer Vorteil des Geldes: Die Gärtner und Hausmeister haben die Aufräumarbeiten erledigt, bevor der erste Schüler hereinchauffiert wurde. Was mache ich hier? Diese Frage stelle ich mir nach all den Jahren weiterhin. Ein Mann, der für mich ein Geist ist, überweist mir jeden Monat eine happige Summe. Macht ihn das zum Vater? Und zu welchem Preis? Er hat die Seele meiner Mutter entführt, die durch die Weltgeschichte reist, seitdem er sie verlassen hat. Und ich stehe da, ohne Mutter und ohne Vater. Nur seinen Vornamen hat sie mir mal verraten: Panagiotis.

Mein Handy vibriert und das ist gut so, denn die Richtung meiner Gedanken gefällt mir nicht.

„Wo bleibst du? Die Zeremonie fängt in einer Stunde an“, ruft Linda besorgt vom anderen Ende der Leitung in mein Ohr.

Mist! Ich hatte ihr versprochen, mich um halb vier mit ihr auf dem Zimmer zu treffen. Vier Uhr dreiundfünfzig. Dass sie sich jetzt erst meldet … Ungewöhnlich für Linda.

Ich befinde mich auf der komplett anderen Seite des Flügels C, wo sich unser Schlafbereich befindet, und lege einen Zahn zu.

Es kommen mir schon die ersten Schüler entgegen, die aufgebrezelt in Richtung der Aula Magna laufen. Es sind Marc, Betty und Anteros.

„Hey, Siela“, möchte mich Marc aufhalten. „Du warst in der Mittagspause nicht mehr aufzufinden. Darf ich dich etwas fragen?“

„Nicht jetzt, Marc. Die Zeremonie beginnt in einer knappen Stunde und wie du siehst, trage ich noch meine Uniform“, rufe ich ihm zu, ohne anzuhalten.

„Ich sage doch, dass du an Chronoverschleppung leidest“, ruft mir Betty in der typischen „ich-lache-und-möchte-klug-klingen“-Tonlage hinterher, die sie verwendet, wenn sie jemandem gefallen will. In diesem Fall Anteros.

Genervt verdrehe ich die Augen. Ein letzter Sprint und ich betrete endlich den Flügel C.

„Rennen im Flur verboten, Ms. Chrysalis. Und das seit zweihundertachtunddreißig Jahren“, ermahnt mich Ron, unsere Hausaufsicht. Seine Funktion im Internat ist mir ein Rätsel. Er müsste aufpassen, dass die Jungs im Flügel D bleiben und bloß nicht in unseren Bereich kommen. Aber genau das passiert nicht. Und das seit zweihundertachtunddreißig Jahren!

„Sorry, Ron. Ich habe es eilig. Die Zeremonie beginnt in weniger als einer Stunde.“ Er hat mich sicher nicht gehört und, wenn ich ehrlich bin, galten diese Worte eher als Erinnerung an mich.

Das Treppenhaus des Flügels C ist eine beeindruckende architektonische Kreation. Die majestätische Treppe, die die vier Etagen verbindet, füllt den Raum mit einer Aura vergangener Zeit. Sie besteht aus poliertem Holz, das im Laufe der Jahre eine wunderschöne Patina entwickelt hat. Die Stufen sind leicht abgenutzt, doch trotzdem stabil. Die Brüstung ist mit filigranen Verzierungen versehen, denselben wie am Eingangstor an der Allee. Jedes Mal, wenn ich die Treppen hinaufgehe, frage ich mich, wie viele Schülerinnen über die Jahre ihre Hände auf dem Geländer abgestützt haben. Ein Hauch von Nostalgie und Geschichte ist auf jeder Stufe spürbar. Aber nicht heute. Heute habe ich es eilig.

Der Aufstieg ist von einem warmen, gedämpften Licht erhellt, das durch die farbigen Fenster eindringt. Die regenbogenfarbenen Reflexionen tanzen an den Wänden und begleiten mich fast bis zu meiner Zimmertür.

Da bin ich, endlich! Raum 34 in der dritten Etage, ohne Aufzug. Keuchend lehne ich mich einen Moment an die Tür. Ich höre Linda kichern. Und es ist dieselbe Tonlage wie Bettys, wenn sie positiv auffallen möchte. Mit wem telefoniert sie? Dann ein weiteres Kichern. Jetzt packt mich die Neugier. Mit wem ist sie zusammen? Ohne zu klopfen, trete ich ein. Ich kann nicht sagen, dass ich dieses Zimmer vermisst habe. Mein Koffer liegt auf dem Bett, auch darum hat sich jemand heute gekümmert. Das Gekichere verstummt, sobald ich den Raum betrete.

„Da bist du ja“, begrüßt Linda mich. Sie steht vor ihrem Bett und schaut jemanden an, der darauf sitzt. Neben ihr … das kann nicht wahr sein! Harmonie. Sie verdeckt die andere Hälfte der Person. Wie ein Vorhang gehen beide zur Seite und enthüllen Eros, der lässig auf der Matratze liegt. Mit den Ellbogen stützt er sich ab und grinst mich an.

Prima Arbeit gemacht, Ron. So viel dazu, dass unsere Räume Tabu für Jungs sind. Was machen die beiden hier?

So lässig wie mein beschleunigter Herzschlag es zulässt, bringe ich ein „Hi“ über die Lippen. Ich gehe auf Harmonie zu und strecke ihr meine Hand entgegen. Ob sie merkt, dass sie zittert? „Sorry, in der Mittagspause haben wir keine Gelegenheit gehabt. Ich bin Siela“, stelle ich mich vor.

Ihre Schönheit ist unverschämt. Wie ihr Verhalten. Mit hocherhobenem Kopf und einem durchdringenden Blick schaut sie mich an und schweigt. Gut, womöglich habe ich es verdient.

„Harmonie, bitte“, mischt sich Eros ein.

„Wir müssen los“, lautet ihre Antwort. „Ich möchte nicht zu spät zur Begrüßungszeremonie kommen. Linda, begleitest du uns?“ Ihre Tonlage ist sanft und passt nicht zu der Art, wie sie mich angeschaut und behandelt hat.

In meiner Aufregung habe ich übersehen, dass sich alle drei schon herausgeputzt haben. Linda trägt ein pinkfarbenes, knielanges Trägerkleidchen, Eros einen anthrazitfarbenen Anzug mit einem hellgrauen Hemd ohne Krawatte. Etwas glitzert an seinem Jackett, es ist eine winzige Anstecknadel, ein Stein im gleichen Rot wie der flüchtige Rahmen, den ich heute Morgen um ihn wahrgenommen habe. Harmonie trägt ein weißes Kleid mit pastellfarbenem Blumenaufdruck und Ohrringe im gleichen Grün wie ihr Rahmen von heute Mittag. Die Rahmen flackern diesmal nicht auf und eine Welle der Erleichterung durchströmt mich, denn die Kopfschmerzen sind bisher ausgeblieben.

„Ähm … ich … Sisi?“, stammelt meine Freundin.

Ich nehme ihr die Entscheidung ab. „Geh ruhig vor, Lin. Aber halt mir einen Platz frei.“ Ich zwinkere ihr zu, damit sie kein schlechtes Gewissen hat.

„Okay, also dann bis gleich.“

Eros lächelt mich verschmitzt an, seine Schwester hat den Raum schon verlassen, er folgt ihr und als Letzte geht meine beste Freundin.

Ich stehe allein da. Mein Fokus richtet sich auf das dritte Bett. Es ist unsere Garderobe, wie wir es seit letztem Jahr nennen, seit Marta nicht mehr erschienen ist. Ich muss schlucken. Es war unsere Garderobe! Darauf befindet sich nun ein Koffer und auf dem Nachttisch ein Bild von Harmonie mit ihren Brüdern. Herrlich!

Ich habe keine Zeit, mir jetzt Gedanken über unsere neue Zimmerbewohnerin zu machen, sondern muss mich beeilen. Ich schnappe mir das Duschzeug und mein mintgrünes Kleid aus dem Koffer und wie ein Komet in Lichtgeschwindigkeit bin ich bereit. Die Haare binde ich zu einem Messy-Bun zusammen, so muss ich sie nicht nachglätten. Ich trage einen Klecks Lipgloss auf, hole mein Minitäschchen, in das gerade mal das Handy und die Schlüssel passen, und verschwinde durch die Tür. Wenn ich mich spute, kann ich es pünktlich schaffen.

Ron ist in sein Buch vertieft, Teil 127 einer Fantasy-Saga, die nur er zu kennen scheint. Er hebt nicht mal den Kopf, als ich mich von ihm verabschiede und in den Außenbereich des Internats trete. Ein kühler Abendwind und eine erhabene Stille empfangen mich.

Keine Menschenseele weit und breit. Ich liebe diese Stille. Ich entscheide mich, den Weg über die Wiese zu laufen, er ist angenehmer und schneller als der gepflasterte.

„Darf ich dich begleiten?“ Diese Stimme! Für einen Moment weiß ich nicht, ob ich die Stille oder diesen Wohlklang bevorzuge. Eros läuft neben mir. Mit seinem Arm streift er meinen und löst ein unerwartetes Kribbeln in mir aus.

„Was willst du?“ Ich maskiere meine Überraschung mit einem Anflug von Grobheit.

„Dich begleiten und mich für das Verhalten meiner Schwester entschuldigen.“ Eros’ Stimme ist ernst und sein Blick sucht meinen, während wir langsam den Weg in Richtung Flügel B einschlagen.

„Ich denke nicht, dass dies deine Aufgabe ist.“

„Sie hat es nicht leicht. Seit wir hergezogen sind, ist sie … wie soll ich sagen … nicht mehr sie selbst. Neue Leute, neue Umgebung, es ist nicht einfach für sie … für uns, wenn ich ehrlich sein soll. Von jetzt auf gleich hat sich alles verändert. Gestern noch waren wir im wohlbehüteten Heim bei unserer Familie und heute sind wir hier.“

Was soll ich darauf antworten? Ich kann ihn gut verstehen. So ging es mir auch. Einen Abend bringt mich meine Mutter ins Bett, liest mir meine Lieblingsgeschichte vor, sagt mir, wie sehr sie mich liebt – und am nächsten Morgen ist sie weg. Wieder. Wenn sie wenigstens gestorben wäre. Der Tod gibt Gewissheit. Aber, nein, sie reist durch die Welt und sucht nach ihrem Panagiotis.

„Aller Anfang ist schwer, ich kann sie verstehen. Mach dir keinen Kopf. Außerdem war ich heute Mittag selbst nicht sehr nett“, antworte ich und versuche, die Gedanken an meine Mutter zu vertreiben.

„Du trägst ein wunderschönes Kleid. Das Grün passt hervorragend zu deinem Haar und deiner Augenfarbe.“ Erneut fixiert er mich von der Seite.

Bitte nicht. „Eros, lass es!“

„Warum? Was habe ich gesagt?“

„Behalt deine billigen Anmachsprüche für dich.“

„Anmachsprüche?“

Wir haben es in den Flügel B geschafft. Die Korridore sind leer und die Tür der Aula Magna ist schon geschlossen. Scheiße, wir sind zu spät. Ich laufe einige Schritte vor Eros, will gerade die rostige Türklinke herunterdrücken, als er mich zu sich dreht und ich ihm direkt in die Augen schaue.

„Was willst du? Wir sind spät dran, wir müssen rein.“

„Du schuldest mir eine Antwort!“

„Ich schulde dir gar nichts.“ Meine Stimme ist entschlossener, als ich mich fühle.

„Oh, doch! Was meinst du mit ‚billige Anmachsprüche‘?“

„Das Grün passt hervorragend zu deinem Haar und deiner Augenfarbe“, wiederhole ich belustigt seinen platten Flirtspruch. „Ernsthaft, Eros? Da muss schon mehr kommen.“

Sein Gesichtsausdruck verändert sich schlagartig. Er lächelt und beugt sich zu mir herunter. „Provoziere mich nicht, Kleiner Fuchs!“

Der Hauch seiner Stimme in meinem Ohr setzt eine Welle in Bewegung, die sich durch meinen Körper windet und in meiner Magengegend einen Wirbel erzeugt. Es fühlt sich an, als hätten die Flügel eines einzelnen verirrten Schmetterlings, der im Gegenwind kämpft, meine Innenseiten gestreift. Und wie so oft heute, stehe ich ratlos vor den Gefühlen, die er in mir wachruft.