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Manchmal geschieht etwas Unvorhergesehenes und das Leben spielt nach seinen eigenen Regeln. Und manchmal folgt auf ein böses Ende ein wundervoller Anfang. Lauren und Ben sind seit vier Monaten ein Paar. Sie beschließen, auf der Party eines Freundes zum ersten Mal miteinander zu schlafen. Doch dort begegnet Lauren dem smarten Noel, der sie zu einem schweren Fehler verleitet. Die Ereignisse überschlagen sich und der Abend endet für Lauren in einer Katastrophe, denn Ben wendet sich von ihr ab. Bereit, um ihre Liebe zu kämpfen, muss Lauren ausgerechnet Noel um Hilfe bitten, ahnungslos, in welches Gefühlschaos sie sich dadurch stürzt. Ein heiter-romantischer Roman über die erste Liebe.
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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Epilog
Danksagung
Impressum
1. Auflage
Copyright der ungekürzten Originalausgabe © 2022 LeuchtWort Verlag
Sonja Fürst & Andreas Puderbach GbR
Dillenburger Str. 16, 56459 Rothenbach
Korrektorat: Lektorat Textelfe, www.textelfe.at
Covergestaltung/eBook: Grit Bomhauer,
www.grit-bomhauer.com
unter Verwendung von:
© Adobe Stock – Strelciuc | Andy | ginae014
© VectorStock – fleurdesign
ISBN 978-3-949727-22-1
www.leuchtwort-verlag.de
Dieses Buch ist auch als E-Book erhältlich.
„Falsche Küsse schmecken besser“ erschien 2013 in gekürzter Version (68 Seiten) im Sammelband „Liebe Sex und andere Katastrophen“ unter dem Titel „Liebe aus Versehen“ im bookshouse Verlag.
Manchmal erscheint die Liebe kompliziert – bis man den falschen Jungen küsst.
Die 16-jährige Lauren und der 17-jährige Ben sind seit vier Monaten ein Paar. Sie beschließen, auf der Party eines Freundes zum ersten Mal miteinander zu schlafen. Doch dort begegnet Lauren dem smarten Noel, der sie zu einem schweren Fehler verleitet. Die Ereignisse überschlagen sich und der Abend endet für Lauren in einer Katastrophe, denn Ben wendet sich von ihr ab. Bereit, um ihre Liebe zu kämpfen, muss Lauren ausgerechnet Noel um Hilfe bitten, ahnungslos, in welches Gefühlschaos sie sich dadurch stürzt.
Anna Loyelle schreibt Jugendromane, Erotikgeschichten und Kurzgeschichten unterschiedlicher Genres. Hinter dem Pseudonym Anna Loyelle verbirgt sich die Gründerin und Herausgeberin des Tiroler Literaturmagazins „Schreib Was“ Andrea Kammerlander. Mehr über die Autorin erfahren Sie auf www.anna-loyelle.at.
Wenn Küsse besser schmecken als Vanilleeis, ist es Liebe
Anna Loyelle
Für Norbert, meine große Liebe, jetzt und für immer.
Für Andrea, meinen Sonnenschein, früher, heute und besonders morgen.
Willst du ihm gefallen oder ihm Nachhilfeunterricht geben?
Als Becky ihre Unterlippe vorschob, die Nase rümpfte und den Kopf schüttelte, drohte meine Laune in den Keller zu rasseln. Das war das fünfte Outfit, das ich anprobierte und das sie ablehnte. Langsam kam es mir so vor, als hätte sie ein Date, nicht ich.
»Was hast du dagegen?«, fragte ich und drehte mich vor dem bodentiefen Spiegel. Der knielange Jeansrock und die kurzärmelige weiße Bluse standen mir doch gut.
»Willst du ihm gefallen oder ihm Nachhilfeunterricht geben?« Becky erhob sich von meinem Bett und trat hinter mich. Mit missbilligender Miene zupfte sie an der Bluse. »Ernsthaft? Du beabsichtigst, deinen heißen Body mit dem Teil hier zu verhüllen?«
»Moment mal, die Bluse mag ich!«
»Klar, es spricht auch nichts dagegen, dass du sie anziehst – in der Schule, aber nicht, wenn du vorhast, mit deinem Freund zu schlafen. Du siehst darin aus wie Mrs Yardin.«
Die Erwähnung unserer Schuldirektorin ließ mich erschaudern. Ich stemmte die Hände in die Hüften und warf meiner besten Freundin seit Kindergartentagen einen giftigen Blick zu.
»Danke für den Vergleich. Vielleicht sollte ich mir ein Namensschild anstecken, damit Ben weiß, mit wem er es zu tun hat?«
»Keine schlechte Idee, aber dieser Abend soll etwas Besonderes für dich werden, also tu das lieber nicht. Was hält dich davon ab, Ben mit einem sexy Teil zu überraschen? Das gehört zum Vorspiel.«
Ich starrte Becky perplex an. »Du redest, als wärst du eine Expertin darin.« Was keineswegs der Fall war, denn sie hatte bisher ebenso wenig Sex wie ich. Genau genommen keinen.
Sie grinste und zuckte mit den Schultern. »Ich lese viele Ratgeber. Solltest du auch mal machen. Also, was haben wir denn da?« Sie öffnete den Kleiderschrank und inspizierte den Inhalt. Dabei tippte sie mit der Fingerspitze an ihre Unterlippe.
»Das ist es!« Sie zog einen Kleiderbügel aus den Untiefen des Schrankes und beförderte ein dunkelgrünes Kleid zum Vorschein, das diese Bezeichnung nicht verdiente. Soweit ich mich erinnerte, war es für meinen Geschmack zu kurz und zu eng. Becky kam damit lächelnd zu mir. Ich wich mit ausgestrecktem Arm und erhobenem Zeigefinger zurück. »Nein, niemals!«
»Oh doch, und wie.«
»Das hatte ich zuletzt mit vierzehn an!«
»Na und? Dann sitzt es jetzt eben enger und zeigt, was du hast.«
»Auf keinen Fall!«
»Oh doch.«
Mein Sitzsack wechselte die Fronten und stellte mir ein Bein. Ich plumpste ungebremst auf ihn nieder und versank in seiner verräterischen Mitte. Keine Chance, in dem engen Rock allein hochzukommen.
Becky sah grinsend zu mir herunter. »Das ist ein Zeichen, Lauren.« Siegessicher wedelte sie mit dem grünen Etwas vor meinem Gesicht herum. »Wenn du es wenigstens probeweise anziehst, helfe ich dir aus deiner Gefangenschaft.«
Seufzend ergab ich mich meinem Schicksal. Was blieb mir auch anderes übrig? Ich ergriff Beckys Hand und stemmte mich aus dem treulosen Sitzsack. Vielleicht verschenkte ich ihn heute noch an den ersten Interessenten, als Strafe für seinen Verrat. Resigniert zog ich Rock und Bluse aus und griff nach dem Kleid.
»Moment«, stoppte Becky mich. »Was wird das?« Ihr Zeigefinger bewegte sich kreisend vor meiner Brust. »Du willst nicht wirklich deine Schulunterwäsche anbehalten?«
Verwirrt blickte ich an mir hinunter. Was war verkehrt an einem weißen Slip und einem weißen BH? Ehe ich ihr die Frage stellen konnte, kramte sie bereits in der Unterwäscheschublade.
»Was machst du da?«
Triumphierend wandte sie sich mir zu. »Gesucht und gefunden! Unter diesem sexy Kleid wirst du keinen Baumwollslip anziehen!«
»Sondern?« Gegenwehr erschien mir aussichtslos, deshalb verhielt ich mich weiterhin resigniert.
»Tada! Das hier ist perfekt.« Sie hielt ein grünes Spitzenhöschen und einen dazu passenden BH in die Höhe. An meinem fünfzehnten Geburtstag hatten wir uns beide jeweils ein Set davon in unterschiedlichen Farben gekauft, damit wir gewappnet waren, wenn der große Tag, sprich unser erstes Mal, kam.
Ich seufzte. »Woher wusste ich das bloß?«
Becky zwinkerte mir zu. »Heute ist deine Nacht, Süße, nur dafür haben wir das hier gekauft.« Grinsend hielt sie mir Höschen und BH unter die Nase.
»Wenn ich Ben mit den Sachen hier so scharf mache, wie du sagst, dann wird es gar nicht erst dazu kommen«, gab ich zu bedenken. Becky lachte, stellte sich hinter mich und öffnete den Verschluss meines BHs.
»Runter mit dem Langweiler und rein in das sündige Teil.«
Es machte mir nichts aus, dass Becky mich nackt sah, schließlich kannten wir uns von klein auf und hatten keine Geheimnisse voreinander. Wir waren wie Schwestern, wie Seelenverwandte, wie eineiige Zwillinge. Deshalb vertraute ich ihr, was dieses Etwas von Kleid betraf. Becky würde mir nie zu einem Outfit raten, das mich in ein schlechtes Licht rückte.
»Wow«, stieß sie aus, als ich in Unterwäsche und Kleid geschlüpft war, »einfach nur wow!«
Ich drehte mich zum Spiegel um und lächelte. Das Kleid war gar nicht so übel, wie ich geglaubt hatte. Im Gegenteil, es reichte mir bis zu den Knien und war ein wenig ausgestellt, sodass es nicht wie eine zweite Haut um meinen Po lag. Es bot den unteren Regionen Freiraum. Meine Brüste waren seit dem letzten Tragen nicht übermäßig gewachsen, trotzdem gab es nichts, was ich hätte faken müssen. Außerdem wusste Ben inzwischen, wie sich meine Oberweite anfühlte, es wäre idiotisch, den BH auszustopfen, nur um einen falschen Eindruck zu vermitteln.
Becky grinste meinem Spiegelbild zu. Ich lächelte zurück, glücklich, sie zu haben. Obwohl wir unterschiedliche Typen waren, ergänzten wir uns perfekt. Vor zwei Monaten hatte sie sich von ihrer taillenlangen schwarzen Haarpracht getrennt und lief nun mit einer Kurzhaarfrisur à la Keira Knightley herum. Ich hingegen wollte keinen Millimeter meiner glatten roten Haare abgeben. Sie wuchsen langsamer, als Schnecken krochen. Im Moment reichten sie mir bis zum Ansatz der Brüste. Beckys Augen schimmerten in einem geheimnisvollen Graugrün, während ich zu den ein Prozent der Weltbevölkerung gehörte, die bei der Geburt die Rot-Blau-Kombination erhalten hatten: rote Haare, blaue Augen. Ihre Gesichtsform wirkte rundlich, meine herzförmig. Sie überragte mich um wenige Zentimeter, liebte – im Gegensatz zu mir – Haferflocken und reagierte allergisch auf Tierhaare. Ich bekam von keinem Fellknäuel Erstickungsanfälle und das Essen, in das ich mich reinlegen könnte, waren Honigwaffeln. Becky bevorzugte auffällige und coole Klamotten, ich bequeme.
Becky strich mir ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. Ihr Blick wurde ernst. »Was denkst du darüber?«
»Worüber?«
»Über das, was du und Ben heute vorhabt.«
Hitze stieg mir in die Wangen. Nicht, weil Becky mich ausfragte, sondern da mir klar wurde, dass dieser eine bedeutungsvolle Moment meines Lebens immer näher rückte und ich neben Vorfreude auch Angst verspürte. Was, wenn ich mich dumm anstellte oder Ben auf irgendeine Weise enttäuschte? Was, wenn ich es mir plötzlich anders überlegte? Ich wusste von einigen Mädchen aus der Schule, dass sie nach ihrem ersten Mal abserviert wurden. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Ben so etwas tun würde, trotzdem hatte sich dieser beängstigende Gedanke in meinem Kopf festgesetzt. Tat ich das Richtige? Wollte ich heute wirklich mit ihm schlafen oder hatte ich nur auf sein Drängen hin zugestimmt? In den vergangenen Wochen hatte er öfter versucht, mehr von mir zu bekommen. Dabei hatte ich ihm schon mehr gegeben, als ich wollte. Während wir in seinem Zimmer auf dem Bett lagen und knutschten, rutschten seine Hände unter mein Shirt und er versuchte, meinen BH zu öffnen. Das machte er so lange, bis ich es eher genervt als bereit zuließ. Am Ende des Abends lag ich mit nacktem Oberkörper neben ihm und genoss seine Berührungen zwar, trotzdem verspürte ich ein bitteres Gefühl, das mich ständig daran erinnerte, dass er mein Nein nicht akzeptiert und stattdessen seinen Willen durchgesetzt hatte. Zwar nicht mit Gewalt, aber mit Hartnäckigkeit.
»Lauren? Willst du es durchziehen? Das ganze Programm?«, holte Becky mich aus der Erinnerung.
»Ben meinte, das würde uns auf die nächste Stufe unserer Beziehung bringen.«
Becky stieß einen missbilligenden Laut aus. »Schon klar, das tut es. Aber darum geht’s nicht. Bist du dir sicher, dass du mit ihm schlafen möchtest?«
Nachdenklich setzte ich mich aufs Sofa. Becky nahm neben mir Platz und überließ es mir, als Erste zu reden. Nervös rieb ich die Handflächen aneinander.
»Wir sind vier Monate zusammen, da ist es normal, mehr voneinander zu wollen als Knutschen und Fummeln.«
»Das beantwortet nicht meine Frage. Ich will nicht deine Mutter spielen, aber das ist keine Sache, die man einfach wegsteckt, sollte sie schiefgehen, weil du es dir im letzten Moment anders überlegst und er das womöglich nicht akzeptiert. Du musst dir also sicher sein. Und tu es ja nicht, wenn er dir sonst mit Trennung droht.«
»Das hat er nicht! Das würde er nie tun!«, sagte ich eine Spur zu laut. Ich kannte nur Bens weiche, zärtliche Seite und die Blicke, mit denen er mich immer ansah, gaben mir das Gefühl, die Einzige für ihn zu sein. Wir hatten nie gestritten und aus Prügeleien hielt er sich stets raus. Das wirkte vielleicht auf andere feig, für mich zeugte das von Stärke. Ja, er mochte hartnäckig sein, was die weiteren Schritte in unserer Beziehung betraf, aber das bedeutete doch nur, dass er nicht genug von mir kriegen konnte. Warum sollte ich nicht mit ihm schlafen? Ich war in ihn verliebt und vertraute ihm. Seine Berührungen hatten mich bisher jedes Mal in Hochstimmung versetzt, warum sollte es in dieser Nacht anders sein? Meine Bedenken waren unnötig.
»Ja, ich will mit ihm schlafen, Becky«, sagte ich und lächelte.
Sie legte ihre Hand auf meine. »Hey, dann mach dir nicht zu viele Gedanken. Es wird bestimmt schön.« Sie zog mich an sich und drückte mir fast die Luft ab. Ihre Liebkosungen endeten ständig in Atemnot meinerseits. Nach einigen Sekunden ließ sie mich los und kramte in ihrer Handtasche.
»Hier, für dich. Du wirst es verwenden, egal ob Ben will oder nicht.« Sie hielt mir ein Kondom vor die Nase. »Auch wenn ich jetzt wie deine Mom rüberkomme – wenn Ben dazu Nein sagt, schließt du deinen Laden und verziehst dich.«
Lachend nahm ich das Teil in die Hand. »Mom würde niemals ›schließt du deinen Laden‹ sagen. Und wie soll ich es verwenden, wenn er nicht will? Hast du einen Tipp?«
Wir lachten, bis Becky mich plötzlich ernst ansah und wieder meine Hand nahm. »Ich will dir den Abend nicht vermiesen, Süße, aber denk daran, du musst nichts tun, was du nicht tun willst. Und wenn Ben das ignoriert, zieh das Knie an und bring seine Glocken zum Läuten, denn das wirkt sofort. Verstanden?«
»Ja, Mom«, sagte ich und salutierte, insgeheim dankbar und glücklich, dass sie sich Gedanken machte.
»Bis wann morgen soll ich dich decken?«
Rasch legte ich einen Finger an meine Lippen und blickte zur Tür.
»Ich weiß es nicht. Seine Eltern kommen erst gegen Abend zurück. Kann ich dich anrufen?«
»Klar.«
Keine Minute später klopfte es. In Windeseile ließ ich das Kondom in der kleinen Handtasche verschwinden. Gerade rechtzeitig, bevor Mom hereinkam. Als sie mich sah, lächelte sie.
»Wow, du siehst umwerfend aus. Was habt ihr heute vor?«
»Kino …«
»Pizza Hut …«, sagten Becky und ich gleichzeitig.
»Beides«, rettete Becky die Situation. »Zuerst Kino, dann Pizza Hut. Und bei mir zu Hause gibt’s dann eine Popcorn-Mädchen-Chill-Nacht, in der wir uns alle Filme mit Joe Alwyn reinziehen, bis wir einschlafen.«
Ich wich Moms Blick aus und tat, als suchte ich auf dem Boden nach etwas. Sie zu belügen, gefiel mir nicht, aber ich konnte ihr nicht sagen, dass ich heute Nacht mit Ben schlafen wollte. Das würde sie ganz sicher nicht entzückend finden. Eines ihrer Lieblingswörter, nur bestimmt nicht in diesem Zusammenhang.
»Lauren!« Meine achtjährige Schwester Zoë flitzte herein und umarmte mich mit ihrem gesamten Gewicht, weshalb ich mich mit ihr auf den Boden plumpsen ließ. Lachend drehten wir uns hin und her und ich kitzelte sie, bis sie kaum noch Luft bekam und die weiße Fahne schwenkte. Als wir uns außer Atem aufsetzten, schüttelte Mom lächelnd den Kopf.
»Keine Ahnung, was ihr zwei gegessen habt«, sagte Becky, »aber ich will die doppelte Portion davon.«
Das brachte Zoë erneut zum Lachen. Ich betrachtete sie und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Obwohl Zoë meine Halbschwester war und mir nur entfernt ähnlich sah, trugen wir beide mehr Wesenszüge von Mom in uns als von unseren Vätern. Mein Dad war Ire gewesen. Von ihm hatte ich das rote Haar, die blasse, im Hochsommer mit Sommersprossen gespickte Haut und die blauen Augen mitbekommen. Er war gestorben, als ich fünf war. Mom sprach nicht gern darüber, aber sie hatte mir verraten, dass er krank gewesen war. Zwei Jahre nach seinem Tod hatte Mom einen durchgeknallten Künstler namens Harmony kennengelernt. Dann war Zoë gekommen, unser Sonnenschein und Wirbelwind. Sie hatte Harmonysschwarze Haarpracht und seine grünen Augen geerbt, das Einzige, was er ihr hinterlassen hatte, bevor er von heute auf morgen mit einer Gruppe Seelenverwandter in den sonnigen Süden abgehauen war, um dort sein Glück zu finden. Das war drei Wochen vor Zoës Geburt gewesen.
Mein iPhone meldete das Eingehen einer Nachricht. Ben, schoss es mir durch den Kopf. Bestimmt war ich zu spät dran. Mist! Während ich nach meinem Handy griff, das halb unter einem Sofakissen verborgen lag, scheuchte Mom Zoë aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
Ben: Bin gleich beim Treffpunkt.
Ich: Okay
Ben: Kleine Planänderung, meine Eltern sind früher nach Hause gekommen.
Ich: Oh …
Ben: Wir müssen es aber nicht verschieben. Ich habe eine Idee. Erzähle ich dir, wenn du da bist.
Ich: Mach mich gleich auf den Weg.
Ben: Freu mich.
Ich: Ich auch.
»Was ist los?« Becky sah mich fragend an.
»Bens Eltern sind schon zu Hause.«
»Oh, Mist.«
»Er schreibt, er hat eine Idee.«
Ich eilte zum Spiegel. Da ich außer Mascara, Lidstrich und Lidschatten kein Make-up trug, hatte mich das Spiel mit Zoë nicht farblich entstellt. Rasch brachte ich meine Lippen mit Lipgloss zum Glänzen, kämmte mit gespreizten Fingern durch die Haare und warf alles, was ich brauchte, in das kleine schwarze Täschchen, das ich mitnahm.
Plötzlich bekam ich Herzklopfen. Was für eine Idee hatte Ben? Er würde doch nicht wollen, dass ich in einem Auto mit ihm schlief? Er hatte vor einer Woche im Wagen seines Bruders versucht, mich dazu zu überreden.
»Du siehst aus, als wolltest du dich in ein Mauseloch verkriechen.«
»Ich dachte nur … nein, alles gut.« Ich öffnete die Tür und trat in den Flur hinaus. Der Geruch von Gemüseauflauf strömte mir in die Nase. Wäre ich nicht so nervös gewesen, hätte ich einen Teller davon gegessen, aber so bekam ich nichts runter. Becky folgte mir in die Küche, wo wir uns von Mom und Zoë verabschiedeten. Mom belud gerade zwei Teller mit dem Auflauf.
»Viel Spaß euch beiden.«
»Danke, Mom.« Ich zog meine Sneakers an, steckte den Haustürschlüssel in das Täschchen und folgte Becky nach draußen. Wir gingen bis zur Kreuzung vor und bogen dann links ab. Während wir unserem Ziel, der neuen Tankstelle, näherkamen, drehte ich mich ständig um, aus Angst, Mom oder Zoë würde uns verfolgen. Das war Unsinn, aber mein schlechtes Gewissen hatte beschlossen, mich für meine Lüge mit Verfolgungswahn zu bestrafen.
»Wir sind da. Ben wartet schon.«
Ich folgte Beckys Blick. Ben lehnte lässig am Sportwagen seines Bruders und quatschte mit dem Tankwart. Wir überquerten die Straße und hielten auf ihn zu. Da drehte er den Kopf in unsere Richtung und es sah so aus, als würde er erstarren. Der Tankwart klopfte ihm lachend auf die Schulter und ging zur Familienkutsche, die an einer der Zapfsäulen stand.
»Siehst du«, flüsterte Becky mir zu, »dieses Kleid war die richtige Wahl.«
Keine Ahnung, warum, aber als ich Bens Blick erwiderte, errötete ich. Das passierte mir sonst nie. Erröten war etwas für Mädchen in Büchern oder Filmen.
»Lauren.« Die Art, wie Ben meinen Namen aussprach, verursachte ein Kribbeln auf meiner Haut. Er musterte mich unverhohlen, lächelte und zog mich in die Arme, als ich ihm endlich gegenüberstand. Er ließ mir keine Zeit, etwas zu sagen, seine Lippen auf meinen verwehrten mir jedes Wort. Ich bekam weiche Knie, wie immer, wenn er mich küsste, öffnete den Mund ein wenig und reizte ihn mit meiner Zunge, bis er leise stöhnte. Ihn zu küssen, war wunderschön und bescherte mir Herzklopfen.
»Okay, das wird mir zu heftig. Darf ich mich von meiner Freundin verabschieden, bevor du sie verschlingst?« Becky tippte Ben mit einem Finger auf die Schulter. Er löste sich widerwillig von mir und lächelte verlegen, als Becky mich kurz umarmte. »Ruf mich an, falls du es dir anders überlegst oder wenn du Unterstützung brauchst.«
Ich nickte und wartete, bis Becky an der Haltestelle schräg gegenüber in den Bus gestiegen war, ehe ich mich wieder Ben zuwandte. Er wirkte immer noch verlegen, was mich überraschte.
»Du siehst süß aus, Lauren.« Er legte eine Hand auf meine Wange und die andere auf meine Hüfte. »Und verdammt heiß. Was nicht allein an diesem Kleid liegt.«
Seine Worte trieben mir schon wieder die Röte ins Gesicht. Was war heute nur los mit mir?
»Danke … du …« Er unterbrach mich mit einem Kuss. Ich mochte es, wenn seine Lippen über meine streiften, meine Mundwinkel berührten und mich zum Zittern brachten. Ben spielte mit mir, zögerte das Zusammentreffen unserer Zungen hinaus, reizte mich mit seinen Liebkosungen und entlockte mir viele kleine Seufzer. Er drängte mich sachte gegen das Auto, drückte sich an mich, sodass ich seine Erektion spüren konnte. Das war mir nicht neu und es gefiel mir, zu wissen, dass ich ihn derart in Erregung versetzte. Dennoch, ihn jetzt zu spüren, auf diese Art, deutlich und hart, erweckte zwiespältige Gefühle in mir. Neugier, Erregung, Furcht, Glücksgefühle, Abneigung prasselten auf mich ein, erwischten mich eiskalt und erschreckten mich. Mein Herz schlug laut und schnell und mir wurde abwechselnd heiß und kalt. Diese Intensität an Empfindungen hatte ich nicht erwartet. Mir wurde erneut bewusst, dass ich dabei war, heute Nacht einen für mich großen Schritt mit Ben zu gehen.
Ich legte meine Hände auf seine Brust und beendete den Kuss.
»Sorry«, flüsterte Ben und trat zurück, um mir Freiraum zu geben. »Ich hatte nicht vor, dich zu bedrängen.«
»Schon gut«, wehrte ich lächelnd ab und zupfte am Träger des Kleides. Er strich sich mit gespreizten Fingern durchs Haar.
»Nun siehst du, was du in mir auslöst.«
»Dein Bruder leiht dir sein Auto?«, fragte ich in belanglosem Ton, um die Anspannung zwischen uns beiden zu lockern.
»Ja, ich musste nicht mal betteln.« Er öffnete die Beifahrertür und wartete, bis ich eingestiegen war. »Ich kann es bis morgen Mittag haben.«
Ich beobachtete, wie er um den Wagen herumging und einstieg. Bevor er den Motor anließ, sah er mich zerknirscht an.
»Meine Eltern sind bereits nach Hause gekommen. Ein Buchungsfehler, anscheinend hat Dad das Zimmer nicht bis morgen gebucht, sondern … egal, jedenfalls, aus unserem Plan wird dadurch leider nichts. Aber ich hätte eine Idee, die es uns ermöglicht, diese Nacht trotzdem zusammen zu verbringen. Willst du sie hören?«
Ich nickte und zwang mich, gruselige Szenarien von uns in diesem Auto zu verdrängen.
»Ein Kumpel meines Bruders schmeißt eine Party bei sich zu Hause. Ich kenne den Typen nicht persönlich, aber …«
»Du hast deinem Bruder davon erzählt?«, fiel ich ihm ins Wort.
»Nein. Ich hörte ihn zufällig mit seiner Freundin telefonieren, dabei erwähnte er diese Party. Sie gehen nicht hin, sie haben irgendwas anderes vor. Aber ich dachte, wir könnten unseren Plan dort …«
»Du möchtest in einem Haus voller fremder Menschen mit mir schlafen?«
Ben schüttelte den Kopf. »Warte, so wie du das sagst, klingt das total abgedreht. Ich kenne das Haus, ich war schon ein paarmal dort, um bei Streicharbeiten zu helfen. Du erinnerst dich, mein Sommerjob? In der oberen Etage befinden sich fünf Schlafräume und ein Badezimmer.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ben, diese Zimmer gehören jemandem. Ich leg mich doch nicht in ein fremdes Bett, um …«
»Das stimmt, aber nur drei Schlafzimmer sind bewohnt, zwei werden als Gästezimmer genutzt. Sie sind«, er räusperte sich, »jeweils mit Doppelbetten ausgestattet. Ich weiß noch genau, wo sie sich befinden. Die Türen sind von innen abschließbar, niemand wird merken, dass wir nur aus einem Grund auf der Party sind. Wenn du willst, gehen wir einzeln in das Zimmer. Ich checke die Lage und bereite alles vor und ein paar Minuten später kommst du nach. So ahnt keiner, was wir vorhaben.«
Ich sah ihn skeptisch an. Der Gedanke, in einem Haus voller Leute in Feierlaune mein erstes Mal zu erleben, behagte mir nicht. Dass nicht alles auf die romantische Art ablief, wie ich mir das immer vorgestellt hatte, war mir klar. Die Realität hielt sich selten an Wunschträume und was in Büchern und Filmen passierte, war zu schön, um je wahr zu werden. Im echten Leben verliebte man sich nicht von einer Sekunde auf die andere und der erste Sex würde alles andere als romantisch sein, denn bei Unerfahrenheit waren Pannen vorprogrammiert. Trotz allem wollte ich mir ein bisschen Romantik bewahren und das gelang mir dort bestimmt nicht.
»Vielleicht sollten wir warten, bis deine Eltern wieder einmal nicht da sind. Oder meine Mom«, schlug ich vor.
Ben schüttelte den Kopf. »Sie fahren in nächster Zeit nicht weg, weil Dad Termine in der Firma hat, die er weder verschieben noch absagen kann, und falls deine Mom mal weg ist, musst du auf deine Schwester aufpassen. Wie soll das funktionieren?« Er legte seine Hand auf meine. »Lauren, ich bin ehrlich. Ich will nicht mehr warten, sondern diese Gelegenheit nutzen. Was hältst du davon, wenn wir zur Party fahren und uns mal umsehen? Wenn du dich nicht wohlfühlst, hauen wir wieder ab.«
Was sollte ich tun? Mich auf dieses Abenteuer einlassen? Ich rief mir in Erinnerung, was vorhin passiert war, als Ben mich gegen das Auto gedrängt und wir uns geküsst hatten. Es hatte sich schön angefühlt.
Da fiel mir das Kondom ein, das Becky mir gegeben hatte, und ich musste lächeln. Was sprach dagegen, dass ich einen Versuch wagte und dem Ganzen eine Chance gab?
»Okay«, sagte ich mit fester Stimme. »Ich fahre mit dir dorthin, aber ich verspreche nichts.«
Ben grinste, beugte sich zu mir herüber und küsste mich.
Das wird die schönste Nacht deines Lebens
Ben stellte das Auto vor der Gartenmauer des Hauses ab, der einzige Platz, der nicht zugeparkt war. Als ich die Beifahrertür öffnete, schlug mir ein Schwall Technosound entgegen. Ben steckte den Autoschlüssel ein, kam zu mir und legte den Arm um mich. In einer Ahnung, dass mich Gedränge erwartete, hängte ich die Tasche quer über meine Brust. So konnte ich sie festhalten, sollte jemand versuchen, sie mir zu entreißen.
Wir betraten das Grundstück und folgten dem gepflasterten Weg zum Haus. Links von uns befand sich ein Swimmingpool, um den Mädchen und Jungs in Unterwäsche standen und aus Plastikbechern tranken. Im Pool selbst herrschte Platzmangel, ich hatte noch nie so viele Menschen zusammen in einem Schwimmbecken gesehen. Im Rasen stand ein Schild aus Karton mit dem handschriftlichen Hinweis Saufgelage →. Der Pfeil zeigte Richtung Pool. Für mich ein weiterer Grund, diesen Abschnitt zu meiden.
Die Haustür stand offen, Technobeat ließ nicht nur die Musikboxen vibrieren, ich spürte das Zittern bis in die Fingerspitzen. Körper an Körper bewegten sich Mädchen und Jungs schweißüberströmt zum Sound, zuckten, als würden Stromschläge sie durchfahren.
Ben nahm meine Hand und ich umfasste seine fest, aus Angst, ihn in dem Gedränge zu verlieren. Ich konnte in der Menge kein bekanntes Gesicht entdecken. Ben hob einige Male die Hand zum Gruß. »Der Typ war auch hier zum Streichen damals«, erklärte er. »Den anderen kenne ich aus der Schule.«
Wir bahnten uns einen Weg durch die Menschenmenge, den Flur entlang bis zu einer geräumigen, neumodern eingerichteten Küche. Dort hatten sich ein paar Jungs um ein Bierfass versammelt. Unter Gelächter machten sie sich daran zu schaffen und johlten, als das Bier endlich aus dem Zapfhahn floss. Sie benahmen sich wie Clowns auf Speed, um die Aufmerksamkeit der umstehenden Mädchen auf sich zu ziehen, und tranken ihre Becher in einem Zug leer. Dass ihnen die goldgelbe Flüssigkeit dabei unappetitlich über das Kinn rann, schien ihnen nichts auszumachen.
Ben griff nach zwei Bechern, die in Plastikfolie verpackt auf dem Küchentisch aus Massivholz lagen, und hielt sie unter den Zapfhahn. Einer der Jungs füllte sie bis zum Rand hin voll.
»Hier, probier mal.« Ben reichte mir einen der beiden Becher. Ich nippte daran und verzog angewidert das Gesicht. »Schmeckt widerlich!«
Ben lachte, nahm mir den Becher ab und stellte ihn ins Waschbecken. »Wir finden was anderes für dich.«
»Lass gut sein, ich möchte nichts«, winkte ich ab. »Ich bin viel zu nervös, um etwas zu trinken.« Das hätte ich nicht sagen sollen, denn nun sah Ben mich mit freudiger Erwartung an.
»Du musst nicht nervös sein.« Er lächelte und gab mir einen Kuss auf die Wange. Die sachte Berührung seiner Lippen auf meiner Haut ließ meinen Puls schneller schlagen. Ich schluckte.
»Ich weiß, trotzdem bin ich es.