Familienhotel am Park 1 - Susann Brennero - E-Book

Familienhotel am Park 1 E-Book

Susann Brennero

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Beschreibung

„Wenn es ums Erben geht, kommen sie alle!“ Dieser Ansicht ist der Patriarch der Familie Königsrot. Während Günter und Waltraud Königsrot sich bereits auf ihr Leben im eigenen Altersdomizil an der spanischen Küste freuen, kochen die Emotionen bei ihren Kindern Sven, Annette und Torsten wegen der Erbfolge hoch. Schließlich sind die Enkelkinder Pit, Lea, Kim, Chris, Finn und Nico die erklärten Lieblinge ihrer Großeltern. Dann verschwindet auch noch ein Enkelkind und alle schönen Lebenspläne scheinen aus den Fugen zu geraten.

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Susann Brennero

Familienhotel am Park 1

Familienhotel am Park 1Serial von Susann Brennero

Inhaltsverzeichnis

STIPENDIUM NEUSTART KULTUR

Copyrights

Vorwort

Personen im Familienhotel am Park

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Nachtrag

Werbung zum Schluss

Impressum

STIPENDIUM NEUSTART KULTUR

Für die Entwicklung des Serials „Familienhotel am Park“ sowie für die Fertigstellung der ersten drei Teile des Serials hat die Autorin Susann Brennero ein Stipendium der VG WORT und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen von Neustart Kultur 2021/2022 erhalten.

Die drei folgenden Logos hat die VG Wort freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Copyrights

FAMILIENHOTEL AM PARK

„Wenn es ums Erben geht, kommen sie alle!“ Dieser Ansicht ist der Patriarch der Familie Königsrot. Während Günter und Waltraud Königsrot sich bereits auf ihr Leben im eigenen Altersdomizil an der spanischen Küste freuen, kochen die Emotionen bei ihren Kindern Sven, Annette und Torsten wegen der Erbfolge hoch. Schließlich sind die Enkelkinder Pit, Lea, Kim, Chris, Finn und Nico die erklärten Lieblinge ihrer Großeltern. Dann verschwindet auch noch ein Enkelkind und alle schönen Lebenspläne scheinen aus den Fugen zu geraten.

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Deutsche Erstausgabe Februar 2022

Alle Rechte vorbehalten.

Copyright 2022 by Susann Brennero

Impressum:

Susann Brennero

Oberbilker Allee 296a

40227 Düsseldorf

E-Mail: [email protected]

Homepage: www.susannbrennero.de

Coverdesign by A&K Buchcover

verwendete Bildlizenzen:

[email protected]

Susann Brennero, Jahrgang 1969 aus Düsseldorf, ist Autorin zahlreicher kurzer Liebesgeschichten und einiger Krimis. Der Rhein ist ihre Inspirationsquelle, denn dieser Fluss birgt für sie von seinem Ursprung in der Schweiz bis zur Mündung in die Nordsee zahllose Geschichten und menschliche Schicksale.

Vorwort

In Zeiten ständiger Umbrüche und Veränderungen kommen Menschen in jeder Lebensphase einmal mehr und einmal weniger erfolgreich mit neuen Herausforderungen zurecht. Nicht nur jede Generationen findet ihre ganz speziellen eigenen Wege. Jedes Individuum geht Schritt für Schritt oft unbeeinflusst von den für seine Zeit typischen technischen Errungenschaften seinen eigenen Pfad. Daher unterscheiden sich die jungen Anpassungskünstler gar nicht so sehr von ihren Eltern, Großeltern und allen anderen Urahnen.

Heute scheinen Smartphones, Soziale Medien und jeder andere neue Trend im Mittelpunkt des Alltagslebens zu stehen - doch eigentlich haben sie nur am Rande Einfluss auf die Entwicklung von Charakter und Persönlichkeit und auf die Fähigkeit mit emotionalen Ausnahmesituationen umzugehen.

Während wir nach Ansicht unserer Eltern in den 70er Jahren noch viereckige Augen bekamen beim Fernsehen und unter dem extrem gefährliche Einfluss von unzähligen Werbeinformationen standen, sollen die jungen Leute von heute mit einem Tunnelblick einer begrenzten Realität aus selbst gewählten sozialen Kanälen leben.

Dennoch sind es auch heutzutage die typischen Charaktereigenschaften, die bei der Wahl der für das ganze Leben entscheidenden Weggabelungen in einem Bruchteil von Sekunden ausschlaggebend sind.

Insbesondere in außergewöhnlichen Lebenssituationen werden die modernen digitalen Elemente oft zum Nebenschauplatz, weil Gefühle und Empfindungen ihren Platz beanspruchen.

Wie unterschiedlich sich Menschen entscheiden können, erleben Sie bei der jüngsten Generation der Familie Königsrot, an deren Spitze der erfolgreiche Handwerksmeister Günter-Alois und seine Ehefrau Waltraud stehen. Obwohl beide aufgrund ihrer Lebenserfahrung und Weisheit am liebsten für ihre Kinder und Enkelkinder alle Entscheidungen treffen würden, kommt es halt immer anders als gedacht.

Mit freundlicher Unterstützung durch ein Stipendium der VG Wort im Rahmen des Programms Neustart Kultur 2021/2022 und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien konnte ich in sechs Teilen die Geschichte der Familie Königsrot und insbesondere des herausfordernden Lebens der Enkelgeneration entwickeln.

Natürlich sind alle Figuren des Serials frei erfunden, sodass Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen rein zufällig sind. Ebenso sind alle Orte eine reine Erfindung.

Wenn Sie der Familie Königsrot wider aller Erwartungen dennoch irgendwo auf dieser Welt begegnen sollten, dann grüßen Sie sie alle von mir ganz herzlich!

* * * * * * * * * *

Personen im Familienhotel am Park

Günter-Alois Königsrot

Waltraud Sophie Königsrot, geborene Bandmann

Sven-Markus Königsrot

Linda Königsrot-Weber

Peter-Patrick Günter Königsrot-Weber

Adele-Lea Waltraud Königsrot-Weber

Annette-Martina Raasch-Königsrot

Stefan Obergraf

Christiana-Melissa Obergraf-Königsrot

Dirk Raasch-Königsrot

Finn-Philipp Rasch-Königsrot

Nico-Leander Rasch-Königsrot

Torsten-Marco Beller-Königsrot

Lisa Beller-Königsrot

Kim-Marie Beller-Königsrot

* * * * * * * * * *

Prolog

Das Jahr 2004

Das Jahr 2004 begann mit einem faszinierenden Ereignis in den Weiten des Weltalls. Die Nasa-Raumsonde Stardust erreichte nach einer Reisedauer von fünf Jahren am 2. Januar 2004 den Kometen Wild 2. Mit Proben von Sternenstaub dieses Kometen landete die Sonde erst zwei Jahre später wieder auf der Erde. Die Zusammensetzung des Sternenstaubs von Wild 2 gilt als fast unverändert seit der Entstehung unseres Sonnensystems vor ungefähr 4,5 Milliarden Jahren.

Während ein Moment gefühlter Ewigkeit in Form von Sternenstaub auf dem Rückweg zur Erde war, erlebte die Welt am Ende des Jahres 2004 ein gewaltiges Erdbeben im Indischen Ozean. Die vom Seebeben ausgelösten Tsunamis führten mit über 230.000 Opfern zu einer der folgenreichsten Naturkatastrophen im neuen Jahrtausend.

Dennoch waren die Geschehnisse des Jahres 2004 für die meisten Menschen bloße Nachrichtenmeldungen im Fernsehen und im Radio. Heute sind diese Nachrichten als internationales Gedächtnis im Internet von nahezu jedem Ort der Welt jederzeit abrufbar - zumindest wenn der Internetzugang funktioniert.

Im Gegensatz zu den für die Menschheit bedeutenden Geschehnissen bleiben die für das private Leben wichtigen Ereignisse meistens dauerhaft im eigenen Gedächtnis. Schließlich stellen persönlich einschneidende Erlebnisse fast immer neue Weichen für den weiteren Lebensweg in jeder Generation. Selbst kleine Kinder können sich oft ein ganzes Leben lang an herausragende Momente ihrer frühen Kindheit erinnern, wenn sie zum Beispiel einen geliebten Menschen in einem Tsunami oder in einer Pandemie verlieren.

Beständig und unverwüstlich scheinen nur die Sterne und Planeten am Firmament zu sein, die unbeeindruckt von den Wirrnissen auf der Erde auf ihrem Weg in die Ewigkeit sind.

Kapitel 1

Die Einladung

„Schrecklich!“, urteilte Waltraud Königsrot über die Schlagzeilen auf der Titelseite der Tageszeitung.

Ihr Ehemann Günter nahm ihr die Zeitung aus der Hand und faltetet sie zusammen. „Zerbrich dir nicht den Kopf über die Sorgen anderer Leute bei dem schönen Wetter!“

„Lässt dich dieser Artikel über dieses verschwundene Kind etwa kalt?“, fragte Waltraud erstaunt.

„Natürlich nicht“, sagte Günter. „Aber in unserer Familie passiert so etwas nun einmal nicht.“

„Ich könnte schon allein bei dem Gedanken irre werden“, fuhr Waltraud fort.

„Deshalb solltest du auch ganz schnell auf andere Gedanken kommen. Wir könnten zum Beispiel die Einladungen schreiben“, schlug Günter vor.

„Du bist dir sicher, dass sie alle kommen werden?“ 4 In Waltrauds Stimme schwang Zweifel.

„Wenn es ums Erben geht, kommen sie alle“, erklärte Günter. „Da bin ich mir ganz sicher.“

„Gespannt bin ich schon, was unsere Kinder zu unserem Altersruhesitz sagen werden.“

„Unsere Kinder oder unsere Schwiegerkinder?“, fragte Günter mit einem süffisanten Lächeln.

„Du misstraust ihnen allen?“

Günter zuckte mit den Schultern. „Ich denke, dass beim Thema Erben die eine oder andere Maske fallen wird“, sinnierte er. Dann zog er aus dem chaotisch auf dem Terrassentisch ausgebreiteten Haufen von Fotografien ein vergilbtes Schwarz-Weiß-Foto hervor. „Sieh nur Walli!“

Waltraud Königsrot lächelte wehmütig. „Wie lange ist das her? Der Rosenstrauch war ein Geschenk von den Bormanns. Wenn ich mich richtig erinnere, war es ein Ableger aus ihrem eigenen Garten.“ Sie sog die nach Salz riechende Meeresluft ein, die sich mit dem aus ihrer Porzellantasse aufsteigenden Aroma des frisch gebrühten Kaffees vermischte.

„Sie haben uns diese Rosen zu unserem siebten Hochzeitstag geschenkt. Ich weiß noch genau, was der alte Bormann gesagt hat. Der soll euch Glück bringen. Damit es nicht zum verflixten siebten Jahr kommt bei euch. Das hat er gesagt.“

Waltraud ließ ihren Blick vom blauen Horizont über die immergrünen Hecken und den kurz gemähten Rasen bis zu den breiten Glasschiebetüren ihrer vor wenigen Wochen gekauften Finca wandern. Der barrierefreie Neubau war perfekt auf ihre sich allmählich ändernden Bedürfnisse im Seniorenalter abgestimmt. „Das milde Klima hier am Meer ist ideal für uns“, sagte sie.

„Hier kommen wir richtig zur Ruhe. Und ich mache mein Versprechen wahr. Ich werde keinen Handschlag mehr tun“, sagte Günter. „Egal, wie das Familientreffen ausgehen wird.“

Waltraud begann die Fotografien auf dem Tisch zusammenschieben.

Von der Meerseite kam Wind auf. Jede stärkere Böe war von einem leisen Heulen begleitet. Waltraud hob eine hohe Kiste aus hartem Karton vom Terrassenboden auf. „An unserem Leben wird sich ab jetzt zum Glück nichts mehr ändern“, stellte sie zufrieden fest. „Ich fühle mich rundum wohl. Ich genieße jeden Luxus, den wir uns hier leisten. Schließlich haben wir hart genug gearbeitet in unserem Leben.“ Waltraud legte das letzte Foto vom Tisch in den Karton. „Ich muss diese Fotos dringend sortieren und in ein Album einkleben.“

„Du hast Recht, Walli! Aber sowohl Sven als auch Annette und Torsten denken mit Sicherheit beim Erben in erster Linie jeder an ihre eigenen Kinder. Und wie groß und welcher Art der Einfluss ihrer Ehepartner ist, wissen wir auch nicht sicher.“

Unwirsch schüttelte Waltraud ihren Kopf. „Unsere Kinder haben alle eine Ausbildung bekommen. Und eine schöne Stange Geld als Startkapitel ins Leben. Das soll wohl genügen! Oder fühlst du dich etwa für die Zukunft unserer Enkelkinder verantwortlich? Du willst dich doch nicht vor ihre Eltern drängeln?“

Günter lächelte, während er mit den Schultern zuckte. „Lassen wir uns überraschen. An unseren Entscheidungen wird sich nichts ändern. Es ist genau so, wie es du gesagt hast.“

Waltraud schaute auf das oberste Foto im Karton. „Ich möchte den Rosenstrauch für immer behalten. Wir sollten ihn ausgraben und hier wieder einpflanzen!“

„Etwas Altes als Symbol für unseren zweiten Start ins Leben?“

Waltraud strahlte ihn voller Stolz an. „Genau! Wir haben es einmal erfolgreich geschafft, uns ein gemeinsames Leben aufzubauen. Und wir schaffen es wieder. Es fühlt sich für mich gerade an wie Flitterwochen, die nie mehr enden werden.“ Sie streckte ihre frisch manikürten Hände mit den im French Look lackierten Fingernägeln aus. Bei den Bewegungen ihrer Finger glitzerte ihr alter Ehering mit einem neuen Ring um die Wette.

Waltraud und Günter hatten sich nach der Unterschrift unter den Kaufvertrag für ihr Altersdomizil zur Besiegelung des Beginns ihres Lebensabends ein zweites Paar Eheringe geleistet.

„Du hast Recht, Liebling“, bestätigte Günter. „Es ist Zeit, unsere Kinder für immer alleine ihrer Wege ziehen zu lassen. Schließlich hat keiner der drei unseren Handwerksbetrieb übernehmen wollen. Warum sollten wir uns noch Gedanken machen?“

Einzelne dunkle Regenwolken tauchten in der Ferne am Horizont auf. Das leise Heulen des Windes schwoll wie in einem sich wiederholenden Intervall allmählich an.

„Lass uns noch einen Nachmittagskaffee im Haus trinken“, schlug er vor.

„Mit Schuss und Schlagsahne!“

„Mit einem ordentlichen Schuss Whiskey und Vanillesahne aus der Sprühflasche.“

„Irish Coffee nach blitzschnell zubereitetem Geheimrezept Königsrot mit Sprühsahne an der spanischen Küste“, amüsierte sich Waltraud. „Wenn das kein internationales Leben ist.“

Das Ehepaar Königsrot betrat den Wohnbereich der Finca durch die geöffneten Glastüren. Waltraud stellte den Karton mit den Fotos auf dem runden Esstisch aus Wildeiche ab. Sie schaute in den ovalen Spiegel mit dem antiken Rahmen aus Holz, der inmitten der Fotowand über der cremefarbenen Sitzecke hing. Von den Polstern stieg das intensive Aroma von Lavendelwasser auf. Waltraud hatte Gardinen, Teppiche, Laken und Kissen mit dem französischen Duftwasser besprüht, weil sie der Geruch nach Baumaterialien beim Einzug in das neu fertiggestellte Haus gestört hatte. Sie betrachtete, wie immer wenn sie in den Spiegel blickte, eine Momentaufnahme von sich selbst zwischen den vielen Familienfotos ihrer Kinder und Enkelkinder. Sie sah in ein Gesicht mit Fältchen um Augen und Mund, die das Alter und die Sonne dorthin gezaubert hatten. Seit ihrer Jugend hatte sie keine so kurzen Haare mehr getragen. Nur einen Tag nach ihrem Umzug ans Meer hatte sie ihren geliebten Stufenbob gegen einen Pixie-Schnitt eingetauscht. Nach dem Schwimmen trockneten ihre kurzen grauen Haare mit den weißen Strähnchen auch ohne Haartrockner und Lockenstab in wenigen Minuten. Außerdem sah sie mit der Kurzhaarfrisur viel jünger aus. In dieser Ansicht hatte sie auch ihr neuer Friseur bestätigt. Der in der „Calle Alemana“, wie die Einheimischen die Straße mit den vielen Läden deutscher Auswanderer im Zentrum nannten, ansässige junge Friseurmeister Merlin war selbst erst seit einem halben Jahr an der Küste daheim. Waltraud und Günter tauschten bei jedem Besuch in seinem Salon Tipps für das Leben vor Ort aus. Auf jeden Fall liebte Waltraud Merlins Komplimente über ihren jugendlich wirkenden Teint. Vielleicht lag es auch an ihrer gesunden Hautfarbe, die von den kleinen Falten und Linien ablenkte. Ihre blauen Augen leuchteten so intensiv in ihrem leicht gebräunten Gesicht. Genau dieses strahlende Blau schaute sie auch aus den Augen ihrer drei Enkelkinder Chris, Finn und Nico auf den Fotos an.

Über die ganze Wand verteilt hingen neben Bildern von Hochzeiten Fotografien von Abschlussfeiern und Einschulungen. Ihre Tochter Annette-Martina war mit gleich zwei Hochzeitsfotos vertreten. Auf dem ersten Hochzeitsbild stand sie in einem weißen Traum aus Spitze neben ihrem geschiedenen Ehemann Stefan. Die kleine Christiana war gerade vier Monate alt gewesen, als Annette nach einem Seitensprung mit den Zwillingen Finn und Nico schwanger wurde. Die zweite Hochzeit mit Dirk hatte Anette hochschwanger noch einmal in strahlendem Weiß in einem bequemen Hängekleid mit Spaghettiträgern gefeiert. Links von den Hochzeitsfotos ihrer Tochter hing ein Bild ihres Sohnes Sven-Markus mit seiner Ehefrau Linda. Ihr erstes Enkelkind Pit und seine kleine Schwester Lea hatte sie selbst fotografiert, als sie das letzte Weihnachtsfest zu Besuch waren. Die beiden Geschwisterkinder hatten die braunen Augen ihres Vaters Sven geerbt.

„Wo sind die letzten Jahre geblieben?“, fragte sich Waltraud selbst.

Aus der Küche hörte sie das Geklapper von Geschirr und das Geräusch des Kaffeeautomaten. Ihr Blick blieb am Hochzeitsfoto ihres jüngsten Sohnes Torsten-Marco hängen, auf dem nicht nur seine Ehefrau Lisa, sondern auch die kleine Kim mit ihren roten Haaren und den grünen Augen zu sehen war.

Günter betrat den Wohnbereich mit einem Tablett in seinen Händen, die die Spuren vieler Jahre harter Arbeit trugen. „Schon wieder in Gedanken bei unseren Kindern?“, fragte er.

„An manchen Tagen fällt es so schwer, sie loszulassen“, sagte Waltraud. „Ob wir noch mehr als sechs Enkelkinder erleben werden?“

„Diese Frage können dir nur die Sterne beantworten.“

„Auf jeden Fall werde ich die Fotos im Karton in ein Album kleben und in eine Zeitkapsel legen. Die öffnen wir erst wieder mit allen gemeinsam, wenn das erste Urenkelkind zur Welt kommt.“

Günter lachte laut auf. „Das sagst ausgerechnet du! Wer hat denn vorhin noch erklärt, dass wir uns nicht mehr einmischen sollen in das Leben unserer Kinder und Enkelkinder?“ Günter holte tief Luft. „Außerdem wäre eine digitale Zeitkapsel mit Bildern viel praktischer. Dann könnten sie alle von jedem Ort dieser Welt auf unsere Erinnerungen zugreifen. Wir müssten ihnen nur noch zum passenden Zeitpunkt ein Speichermedium mit Zugangscode senden, damit sie das Album an unserem geheimen Speicherort finden können.“

„Wie unromantisch!“

„Das ist kein bisschen unromantisch. Diese persönlichen Erinnerungen sind wie Sterne am dunklen Nachthimmel, die hell und klar aus der Vergangenheit in ihre Leben hineinleuchten werden. Selbst wenn sie nie wieder etwas miteinander zu tun haben sollten, werden sie immer nur einen Klick von uns allen entfernt sein.“

„Du denkst, ihre Wege können so weit auseinandergehen, dass ihre gemeinsamen Kindheitserlebnisse wie die Sterne bei aufgehender Sonne verblassen und im hellen Nichts verschwinden?“

„So ähnlich denke ich mir das.“ Günter goss in beide Kaffeebecher einen doppelten Schuss Whiskey aus einer Kristallkaraffe. Er setzte einen Klecks Sprühsahne mit Vanillearoma auf die alkoholische Mischung. „Wann haben sich unsere drei Kinder zuletzt gesehen? Sie haben sich soweit auseinandergelebt. Ihre Lebenswege haben sie in alle Himmelsrichtungen verstreut. Torsten lebt auf La Palma in einer Künstlerkolonie. Sven ist bald nur noch im Ausland zu erreichen. Und Annette zieht von einer Großstadt in die nächste.“

„Jetzt hast du es selbst gesagt.“ Waltraud steckte ihren Silberlöffel in die Sahnehaube. „Lecker!“

„Was denn?“

„Dass sie alle bereits erfolgreich ihren Weg gefunden haben. Sie brauchen uns nicht mehr. Daher war der Verkauf die richtige Entscheidung.“

„Trotzdem bin ich auf ihre Reaktionen gespannt. Und unsere Enkel beginnen gerade erst diese Welt zu erkunden. Vielleicht sehen sie sich auf dem großen Fest zum letzten Mal?“

„Trübe Gedanken! Hoffentlich verziehen die so schnell wie die dunklen Wolken über uns.“

Der heftig gewordene Wind trieb über der Königsrot Finca die Regenwolken vom Meer aus in Richtung Landesinnere. Vereinzelt fielen dicke Tropfen, die auf dem im Laufe des sonnigen Tages heiß gewordenen Terrassenboden rasch trockneten.

Auf der Terrasse erklang ein leises Miauen.

„Wenn das schlechte Wetter über uns hinwegzieht, könnten wir gegen Abend noch einmal im Meer baden gehen“, schlug Waltraud vor. „Natürlich erst, wenn unsere kleine Streunerin ihr Futter bekommen hat.“

„Was für ein cleverer Themenwechsel, mein Liebling“, bemerkte Günter, während er zurück auf die Terrasse ging. Er hob den schweren Deckel von einer der vier flachen Holzkisten, die neben den Terrassentüren standen, und entnahm einen Karton Trockenfutter für Katzen. „Wir haben unserer kleinen Streunerin immer noch keinen Namen gegeben“, sagte Günter. „Dabei ist sie so anhänglich. Und sie kommt immer alleine.“

„Wie wäre es mit Sternchen?“, schlug Waltraud vor. „Vielleicht bleibt sie bei uns, wenn wir ihr einen Namen geben?“

Günter füllte eine Schale mit Trockenfutter und schüttete einen Rest stillen Wassers aus einer Mineralwasserflasche in eine zweite Schale. Gierig steckte Sternchen ihren Kopf in die Schüssel mit dem Wasser. „Du bleibst draußen!“, sagte Günter zu der mageren grau getigerten Katze mit dem leicht struppigen Fell, als er die Schiebetüren hinter sich schloss. Er wendete sich seiner Ehefrau zu. „Du bist nicht nur wunderschön. Du bist auch klug. Und die einzigen Dornen in unserer Ehe waren die Rosendornen des Geschenks der Bormanns.“

„Dann lass uns jetzt noch rasch die Einladungen schreiben.“

„Mit der Hand?“

„Ja!“

„Und dann kleben wir sechs goldfarbene Sterne auf die Karten. Für jedes Enkelkind ein Stern!“

Waltraud stand auf und nahm aus einer Schublade eines der vier Sideboards eine Mappe mit Einladungskarten und Umschlägen. Wie viele der Möbel im Wohnbereich hatte Günter auch die niedrigen Schränke aus Wildeiche angefertigt. Stück für Stück hatte er in seiner Werkstatt in Deutschland als letzte Möbelstücke die Schrankwände, Truhen, Tische und Regale für den gesamten Wohnbereich gebaut. Als die Mitarbeiter der Möbeltransportfirma den runden Esstisch zum Schluss vor dem endgültigen Schließen der Wagentüren eingepackt hatten, war Günter alleine noch einmal durch ihren mit so viel Energie aufgebauten Betrieb gegangen. Auf einer der Werkbänke standen sieben Werkzeugkisten. In der größten Kiste lagen Hämmer, Schraubenzieher und viele andere Werkzeuge, die das Herz jeden Hobby-Handwerkers hätten höher schlagen lassen. Diese Kiste war die Seniorenreserve für die neue Finca an ihrem Altersdomizil in Spanien. Keinen einzigen Handschlag mehr wollte er machen. Das hatte er Waltraud versprochen. Die Heimwerkerkiste war nur für den Notfall gedacht. Schließlich gab es mit Sicherheit hin und wieder einen Nagel, den er für ein neues Foto in die Fotowand einschlagen musste. Vielleicht gab es doch bald schon eine neue Hochzeit oder ein siebtes oder gar achtes Enkelkind. Neben seiner Kiste hatten sechs kleine Kisten gestanden. Diese waren in der Farbe Rot angemalt. An der breiten Vorderseite waren die Namen ihrer Enkelkinder zu lesen. Jeder ihrer kleinen Lieblinge sollte eine Erinnerung an den Betrieb mit sich ins Leben nehmen dürfen. Kindgerecht hatte er liebevoll kleine Werkzeuge zusammengestellt. Mehr war vom Handwerksbetrieb Königsrot nicht übrig geblieben.

„Sollen wir auf die Einladungen wirklich sechs Sterne kleben?“ Waltraud riss ihren Ehemann aus seinen Gedanken. „Oder ist das zu kitschig?“

„Nein! Es ist eine gute Idee!“ Er stellte die Porzellantassen wieder auf das Tablett. „Hast du die Adresse?“

„Selbstverständlich. Die hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt wie ein Nummernkonto in der Schweiz.“

„Genialer Vergleich“, kommentierte Günter. „Auf jeden Fall erfahren sie es erst am letzten Tag. Ich will ihre Reaktionen auf den Kauf unserer Finca abwarten.“

Waltraud schrieb mit gestochen schöner Schreibschrift, deren Buchstabenformen aus der Mitte des 20. Jahrhunderts stammten. Die Buchstaben in der Farbe Schwarz nahmen die gesamte Breite beider Innenseiten der drei apricotfarbenen Karten ein:

Einladung zur Familienfeier Königsrot

Ort

Cityhotel am Park

Parkweg 19

Lampenburg am Forstberg

Datum

04. Juli 2004 bis 07. Juli 2004

„Wir freuen uns auf eine schöne gemeinsame Zeit mit der ganzen Familie“, ergänzte Waltraud die wichtigen Daten für das Familientreffen. Dann unterschrieben die Eheleute Königsrot mit ihren Vornamen die drei Karten.

„Ich bin gespannt, ob sie alle zusagen werden. Ich wünsche es mir so sehr. Wenigstens dieses eine letzte Mal bevor Pit in die Schule kommt“, sagte Waltraud. „Dabei muss ich immer noch an die Einschulungen unserer drei zurückdenken. Annette, Torsten und Sven waren so grundverschieden. Einig waren sie sich immer nur in einem Punkt. Wenn es Nudeln mit Tomatensoße und Vanilleeis mit Erdbeeren und Sahne zum Mittagessen gab, war Waffenruhe zwischen den kleinen Streithähnen!“

„Sie werden kommen, unsere kleinen Streithähne. Die Dauer von drei Tagen wird für sie wie ein Signal sein“, sagte Günter. Er senkte seine Stimme fast unhörbar leise. „Keiner von ihnen wird sich sein Erbe entgehen lassen wollen! Hoffen wir, dass sie sich nicht zu großen Kampfhähne entwickeln werden!“

„Vielleicht verzichten sie freiwillig zugunsten ihrer Kinder?“, schlug Waltraud vor. Ihre zaghafte Stimme ließ ahnen, dass sie selbst nicht an einen friedlichen Ausgang der Diskussion nach der Bekanntgabe der Betriebsaufgabe glaubte. Viel wahrscheinlicher war ein hitzig geführter Streit auf der Familienfeier im vermutlich heißen Juli.

„Wir haben die Weichen gestellt und bisher alles für die drei getan. Jetzt ist die Zeit gekommen, in der wir nur noch an uns denken. Wir dürfen erwarten, dass sie unsere Entscheidungen respektieren werden.“

„Dann nehmen wir doch jetzt unsere Badesachen und genießen noch einmal ein paar Züge im Meer. Die Karten können wir heute Abend auf dem Weg zu unseren neuen Nachbarn bei einem kleinen Umweg am Briefkasten vorbei einwerfen.“ Waltraud schaute auf die splitterfreien Spitzen ihrer harten Fingernägel. „Ich werde das blaue Kassettenkleid anziehen. In Shorts und Tank-Top können wir dort wohl kaum auftauchen. Was denkst du?“

„Richtig! Heute Abend sind wir zum Essen eingeladen. Was die Kleiderfragen angeht, verlasse ich mich ganz auf dich.“

Waltraud lächelte zufrieden. „Ein heller Leinenanzug mit dunkelblauem Polo. Dann passen wir auch farblich zusammen.“

„Wie schnell wir hier neue Bekanntschaften geschlossen haben“, sagte Günter. „Ich bin gespannt, wie es weitergeht."

„Überlassen wir die Zukunft den Sternen. Das ist doch bis jetzt auch immer gut gegangen in unserem Leben!“ Waltraud schob die Einladungskarten in die Umschläge.

„Sagen wir es so“, kommentierte Günter. „Wir haben die Gunst der Sterne genutzt und mit viel Tüchtigkeit viel erreicht. Jetzt ist die nächste Generation am Zug!“

* * * * * * * * *

Einfaches Hausrezept für eine Portion Irish Coffee

200 Milliliter heißer Kaffee

2 bis 3 Stück bzw. Teelöffel Zucker

1 Zentiliter Whiskey

frische Schlagsahne oder Sahne mit Aroma aus der Sprühflasche

Den heißen Kaffee mit Zucker süßen. Einen Zentiliter Whiskey in den Kaffee gießen. Die frisch geschlagene Schlagsahne oder die Sprühsahne aus der Flasche als großen Klecks auf das Kaffeegetränk geben. Heiß servieren und entspannt genießen.

Kapitel 2

Aufbruchstimmung bei Familie Königsrot-Weber

„Ich bin so stolz auf dich!“ Linda Königsrot-Weber hob ihr Sektglas mit ihren langen spitzen Fingern am Stiel hoch. Beim Anstoßen des gerade gefüllten Glases an das Sektglas ihres Ehemannes Sven-Markus Königsrot erklang ein heller Ton. Der dunkelrote Nagellack auf ihren perfekt manikürten Fingernägeln spiegelte sich in den Gläsern.

„Ich weiß Schatz. Wir können beide stolz auf uns sein. Ohne dich hätte ich das alles nicht geschafft.“

Nach dem ersten Schluck nahm Sven seiner Ehefrau das Glas aus der Hand. Er stellte die beiden Sektgläser auf den Küchentisch und legte seine Arme um Linda. „Ich bin so froh, dass wir uns gefunden haben für ein ganzes Leben.“ Sven roch den intensiven Duft des Apfelshampoos in Lindas hellbraunen glatten Haaren.

„Wir sind halt beide keine Typen für halbe Sachen“, ergänzte Linda ihren Ehemann. „Deshalb wird der neue Posten auch noch lange nicht die letzte Sprosse auf deiner Karriereleiter sein. Ich bin schon so gespannt auf deine neuen Kollegen und ihre Frauen. Meinst du wir werden oft eingeladen? Ich liebe diese gesellschaftlichen Partys.“

„Lass uns erst einmal ankommen. Am besten geben wir als erstes eine Party in der Nachbarschaft und dann eine für meine neuen Kollegen. Zumindest die Kollegen, die für uns wichtig sind.“

„Wie gut, dass wir ein möbliertes Haus gefunden haben.

---ENDE DER LESEPROBE---