Fastenopfer - Anton Leiss-Huber - E-Book

Fastenopfer E-Book

Anton Leiss-Huber

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Beschreibung

Mörderisches Fastenbrechen Aschermittwoch im katholischen Wallfahrtsort Altötting: Nach einer feucht-fröhlichen Kehrausfeier muss Kommissar Max Kramer auf ein deftiges Katerfrühstücks verzichten – und sich stattdessen der Leiche des Verwalters des »Tilly-Benefiziums« stellen. Brutal erstochen und in einer riesigen Blutlache liegend wurde er in der Kapell-Administration gefunden! Am Tatort wird Kramer nicht nur vom örtlichen Frauenbund überrumpelt, die vor der Tür gegen die Abschaffung des Benefiziums demonstrieren, auch der Bischof macht ihm Probleme und weicht jeglichen Fragen geschickt aus. Gott sei Dank kann er auf die Unterstützung seiner damaligen Jugendliebe und jetzigen Novizin Maria setzen, die als Klosternonne einen ganz eigenen Zugang zum Fall bekommt … »Der zweite Fall des unsäglich g'schlamperten, aber dafür umso liebenswerteren Kommissar Max Kramer.«– Abendzeitung München Der zweite Fall für Kommissar Max Kramer und Novizin Maria! Mörderisch gute Regio-Spannung für Fans von Rita Falk und Klüpfl & Kobr!

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Seitenzahl: 249

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch:

Aschermittwoch im katholischen Wallfahrtsort Altötting: Nach einer feucht-fröhlichen Kehrausfeier muss Kommissar Max Kramer auf ein deftiges Katerfrühstücks verzichten – und sich stattdessen der Leiche des Verwalters des »Tilly-Benefiziums« stellen. Brutal erstochen und in einer riesigen Blutlache liegend wurde er in der Kapell-Administration gefunden! Am Tatort wird Kramer nicht nur vom örtlichen Frauenbund überrumpelt, die vor der Tür gegen die Abschaffung des Benefiziums demonstrieren, auch der Bischof macht ihm Probleme und weicht jeglichen Fragen geschickt aus. Gott sei Dank kann er auf die Unterstützung seiner damaligen Jugendliebe und jetzigen Novizin Maria setzen, die als Klosternonne einen ganz eigenen Zugang zum Fall bekommt …

Über den Autor:

Anton Leiss-Huber, geboren 1980 in Altötting, ist Autor und studierter Opernsänger und stand auf zahlreichen Bühnen im In- und Ausland. Einem breiten Publikum wurde er durch seine Auftritte im BR-Fernsehen bekannt.

Der Autor bei Facebook: AntonLeissHuber

Der Autor auf Instagram: antonleisshuber/

Bei dotbooks veröffentlichte der Autor seine Oberbayern-Krimis »Gnadenort« und »Fastenopfer«.

***

eBook-Neuausgabe März 2025

Copyright © der Originalausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017

Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Stefan Hilden, hildendesign.de unter Verwendung mehrerer Motive von Shutterstock.com

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)

ISBN 978-3-98952-766-9

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Anton Leiss-Huber

Fastenopfer

Kriminalroman

dotbooks.

Anmerkung des Autors

Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten aus meinem Lebenslaufund mit tatsächlich lebenden Menschen, Geschehnissen und Institutionen um mich herum sind rein zufällig!

Motto

»Man lobt und preist den Fastenbrauch

am häufigsten mit vollem Bauch.«

Sprichwort

Widmung

Für Mama und Franz

Prolog

»Uti sol in terris manes.«

(So wie die Sonne wirst du auf Erden bleiben.)

Anagramm über der Altöttinger Gruft von Johann t’Serclaes von Tilly – Feldherr im Dreißigjährigen Krieg

Tropfen für Tropfen füllte sich die Schale. Es war sein Lebenssaft, den Graf Johann t’Serclaes von Tilly durch einen Bader abzapfen ließ. Er vermied es bewusst, den Blick auf die rote Lache zu senken, und konzentrierte sich stattdessen auf das Gebet, das der Probst von Wartenberg in einer Ecke des Raumes für ihn sprach. Zu viel Blut hatte er bereits gesehen und vergossen. Zu viele Lichter im Namen des Glaubens ausgelöscht. Doch Tilly war über die Jahre nicht etwa abgestumpft. Es ekelte ihn mehr, als er bereit war einzugestehen.

»Gib, wenn für mich einst kommt die schwarze Stunde des Scheidens, dass auf bayrischer Erde die letzte Sonne mir leuchte! So will ich mich dir, der allerhöchsten Jungfrau, zu eigen machen und bis in alle Ewigkeit meine Seele weihen. Amen.«

Auf dem Tisch neben dem Blutopfer lag eine große Urkunde zur Unterschrift bereit. Durch seinen Namen würde er gleich den heiligen Pakt mit der Mutter Gottes auf Erden besiegeln. Glanzvoll und rein wollte Graf Tilly mit Hilfe dieses Benefiziums ins Jenseits eingehen. Und die tägliche Messe, die ihm durch die Kirche für die gestifteten 6300 Gulden versprochen wurde, würde seine Zeit im Fegefeuer verkürzen.

»Hier!« Der Bader drückte ihm einen Federkiel in die Hand. Graf Tillys Finger fassten die Spitze. Langsam führte er seine rechte Hand zu der Schale mit seinem Blut und von dort mit andächtiger Ruhe zum Papier. Diesen Vorgang wiederholte er, bis der prächtige Namenszug vollständig unter dem Vertrag stand. Es war vollbracht.

Von Wartenberg trat hinter Graf Tilly und sah über dessen Schulter auf die Urkunde. »Dies Benefizium wird Eure Seele schützen, bis das Jüngste Gericht auf uns alle niederkomme.« Er bekreuzigte sich und legte seine Handflächen auf Tillys Oberarme.

Graf Tilly versank in seiner Andacht zur Dreifaltigkeit. »Vater unser, der du bist im Himmel ...«

In ihm stieg die Ahnung auf, dass er bereits in naher Zukunft auf dem Schlachtfeld sein Leben lassen würde. Nichts würde von ihm bleiben außer Knochen, Erinnerung, dieses Benefizium und Gemälde, welche die Nachwelt an vielen Stellen Altöttings an seinen Ablasshandel mahnen würden. Asche zu Asche, Staub zu Staub. Was war schon wirklich ewig?

***

Rainer wandte sich von seinem späten Besucher ab. Diese ganze Geschichte drohte außer Kontrolle zu geraten. Die starren, mit Sorgfalt gepinselten Augen Graf Tillys sahen nun auf ihn herab. Wirklich schön hatte Rainer das Bild nie gefunden, aber es hing bereits an der Wand, als er diesen Raum vor zehn Jahren bezogen hatte. Außerdem war der Graf faktisch sein Arbeitgeber. Sich nun dieser hässlichen Kopie zuzuwenden, war ihm im Moment jedenfalls lieber, als noch länger in die überquellenden Augen seines Besuchers blicken zu müssen.

Er spielte verschiedene Lösungswege durch. Vielleicht ließ sich alles doch noch irgendwie regeln.

»Du Sau!«, donnerte die Stimme hinter ihm.

Rainer hielt die Luft an und drehte sich wieder um. Auf plötzliche Hilfe brauchte er während dieser Abendstunden nicht zu hoffen.

»Schau, wir können uns ...« Rainer konnte seinen Satz nicht vollenden. Von einer Sekunde zur nächsten verlor er plötzlich das Gleichgewicht, als hätte ihm jemand den Teppich unter den Schuhen weggezogen. Er klappte zusammen wie ein Sack. Der Knall, den er beim Aufprall vernahm, kam von seiner Schläfe, die ungebremst auf dem Boden aufgeschlagen war.

Auf einmal fühlte er unbändigen Schmerz. Der späte Besucher hatte ihm ohne Vorwarnung ein Messer in seinen Bauch gerammt. Fassungslos sah er an sich herab. Die Wunde wurde zum Zentrum, auf das sich alle Sinne konzentrierten. Sein Kopf dröhnte vom Sturz, doch der Schmerz, der von seiner Mitte heraufpochte, überdeckte alles. Aus diesem Loch seitlich seines Bauchnabels, wo die Klinge steckte, floss ein roter Schwall, der im Teppichboden versickerte. Seine beiden Hände umklammerten den Knauf, als wolle er verhindern, dass noch mehr Blut seinen Körper verließ – vergeblich. Rainer konnte nicht sagen, ob er weinte oder schrie. Jegliches Gefühl außerhalb des Schmerzzentrums war weg, sein Körper nur mehr eine Hülle.

Vor ihm schritten die Besucherfüße auf und ab. Rastlos von einer Ecke zur anderen.

Rainer kniff krampfhaft seine Augen zu, dann öffnete er sie wieder und blinzelte zur Deckenlampe. Der Besucher war verschwunden. Auch das Vibrieren der Schritte, das die alten Dielen unter dem Teppichboden an sein Ohr weiterleiteten, war verstummt. Dafür trommelte sein Herzschlag mit rasender Geschwindigkeit und erfüllte jede Ader. Er drehte sein Gesicht in die andere Richtung, und dort standen sie, wie aus dem Nichts: die Füße in den grünen Schuhen.

Der Besucher beugte sich über ihn und drückte ihm etwas auf Mund und Nase.

Rainers Lunge zuckte und schrie stumm nach Luft. Mit der letzten Kraftreserve öffnete er den Mund, was sein Kiefergelenk fast zum Bersten brachte. Seine Zähne fühlten Fleisch, und der Handschweiß des Angreifers lag ihm auf den Lippen. Er schmeckte Blut.

In diesem Moment traten die grünen Schuhe auf den Messerknauf in seinem Unterleib, woraufhin die Klinge sich komplett durch seinen Körper bohrte und am Teppichboden unter ihm entlangkratzte.

39 Sekunden später hörte Rainers Herz auf zu schlagen.

Feldherr Tilly blickte weiter erhaben aus seinem Gemälde herunter, als wäre nichts geschehen. Bloß am Rand seiner Rüstung war ein kleiner Blutspritzer gelandet, der aber ein paar Stunden später bereits eingetrocknet sein würde, so dass er sich nicht mehr von der Pinselführung abhob.

***

Sie verfolgten ihn. Nepomuk nahm auf seinem nächtlichen Weg zwischen dem dominierenden Gebäude der Altöttinger Kapelladministration und Graf Tillys Reiterstandbild immer wieder schattenhafte Bewegungen im Augenwinkel wahr. Möglich, dass das Unterbewusstsein mit ihm ein böses Spiel trieb. Die Gnadenkapelle ließ er links liegen. Vom Turm der Stiftskirche her schlug es halb zwölf. Er hörte weit entferntes Gelächter, das entweder vom Bichlerschen Gasthof oder dem Hotel zur Post über den kirchlichen Platz klang. Die Menschen feierten den sogenannten »Kehraus«. Niemand würde ihm in der nächsten halben Stunde begegnen. Die Altöttinger waren im Bett oder damit beschäftigt, sich am letzten Tag des Faschings ins Koma zu saufen. Trotzdem wurde Nepomuk das Gefühl nicht los, dass ihm jemand auf den Fersen war.

Sein Haaransatz war unangenehm kalt. An dieser Stelle spürte er den Angstschweiß, der aus seinen Poren strömte, am heftigsten. Er wischte sich mit seinem Unterarm über die Stirn, bevor die Schweißtropfen in seine Augen gerieten.

Als er um die Ecke bog, versperrte ihm plötzlich eine Gestalt den Weg. Wie aus dem Nichts war eine Frau in das fahle Licht der Gassenbeleuchtung getreten. Nepomuk brauchte gar nicht hinzusehen, um zu wissen, wer es war.

»Und?«, kam es heiser aus ihrer Kehle.

»Zwei Tage, ich schwör’s, dann hab ich’s.« Nepomuk wich zurück und spürte, wie sich ein harter Gegenstand in sein Kreuz bohrte. Zwei Männer waren von hinten an ihn herangetreten. Sie hatten ihn eingeholt.

»Ob ich die Jungs noch so lange zurückhalten kann ...«

In seinem Rücken vernahm Nepomuk ein leises Lachen.

»Bitte! Nur noch zwei verdammte Tage.«

»Hoffen wir mal, dass bis dahin deinen Kindern auf dem Schulweg nichts zustößt.«

»Du verdammte Schlampe!« Panisch drehte sich Nepomuk um.

»In deiner Lage würde ich mir Beleidigungen sparen!«

Die Männer trugen dunkle Lederhandschuhe und hielten Baseballschläger umklammert. Nepomuks Adrenalinspiegel schnellte noch weiter in die Höhe, und sein Herz donnerte gegen das Brustbein.

»Schau mich mal an.«

Nur mit Mühe behielt Nepomuk die Fassung, als er direkt in die Augen der Frau sah. Ihr fettig glänzendes Gesicht wurde von ein paar Lichtstrahlen der Straßenlaterne an der Ecke erhellt. Pinker Lippenstift, der sich zu einem falschen Lächeln verzog. Ihre blondierten Haare hatten einen dunklen Ansatz. Sie nickte ihren Begleitern aufmunternd zu.

Die Schläge trafen ihn an Schulter und Armen, im Kreuz. Durch die Wucht gab sein Körper nach und sank auf den Kies. Er rollte sich zusammen und hielt schützend seine Arme über den Kopf. Die beiden Männer prügelten und traten auf ihn ein, ohne mehr als ein angestrengtes Keuchen von sich zu geben.

Ein Kläffen durchbrach die Stille. Unvermittelt ließen die Männer von Nepomuk ab und verschwanden mit der Frau in der Dunkelheit.

Sein Körper schmerzte an jeder erdenklichen Stelle. Als er wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, bemerkte Nepomuk an seiner Seite einen Dackel, der an seiner Jacke schnupperte. Dessen Besitzer ging kurz darauf neben ihm auf die Knie.

»Hallo!« Eine Hand berührte sein Schlüsselbein, was ihn dazu veranlasste, ein unkontrolliertes Stöhnen von sich zu geben. »Geht’s Ihnen gut? Um Himmels willen! Sie san grad überfallen worden, gell?«

Nepomuk versuchte zu antworten, doch es gelang ihm nicht sofort, denn sein Atem hatte sich noch immer nicht beruhigt. »Passt schon«, presste er hervor.

»Nepo! Oh mein Gott. Jetzt erkenn ich dich erst. Du blutest ja. Ich ruf die Polizei und einen Krankenwagen.«

»Nein, bloß nicht!«

»Nepo, vielleicht hast du auch innere Verletzungen.«

»Es geht mir gut!« Trotz des Schleiers, der seine Augen umgab, hatte Nepomuk seinen Retter inzwischen identifiziert. Es war Ludwig Sporer. Eine ganze Weile sagte dieser nichts und blickte ihn nur verständnislos aus seinen stumpfen Pupillen an.

Mühsam kam Nepomuk ins Sitzen. Seine Beine waren eiskalt, sein Rücken tat weh. »Keine Polizei! Keinen Arzt!«, mahnte er Sporer. »Besser, wir haben uns nicht gesehen.«

Seufzend stand Sporer auf und wandte sich tatsächlich zum Gehen. Doch dann hielt er inne. »Brauchst du wirklich keine Hilfe? Ich denke ...«

»Ludwig, ich kann dir nicht viel sagen. Nur so viel: Denk an den Tilly! Keine Polizei!«, flüsterte Nepomuk nachdrücklich.

Als der Name des Feldherrn fiel, begann Sporer zu begreifen. Seine Augen weiteten sich. »Verstehe.« Nun hatte er Angst.

»Soluti terris inmanes.«

(Die von der Erde Erlösten sind groß.)

Umstellung des Tilly-Anagramms

I. Der Mensch lebt nicht nur von Brot(Lukas 4,4)

Der Artikel im Alt-Neuöttinger Anzeiger verursachte Stirnrunzeln. Fräulein Schosi war bei ihrer täglichen Morgenlektüre über ein paar Zeilen gestolpert, die ihr nicht passten.

»Das schmeckt mir ganz und gar ned!«, sagte sie immer wieder, und dabei meinte sie nicht ihr Frühstück aus sechs Spiegeleiern mit Räucherlachs. Am Aschermittwoch kam in ihrem Haushalt kein Fleisch auf den Tisch!

Monsignore Joseph Hirlinger saß neben ihr und würgte bereits an seinem vierten. Der Eiweißstapel machte ihm Angst. Vor allem, da er wusste, dass er erst nach dem letzten Bissen die Chance bekam, aufzustehen. Seine Haushälterin achtete peinlich genau darauf, dass ihr Monsignore die vor fünf Tagen begonnene Low-Carb-Diät auch einhielt. Mit äußerst deutlichen Worten hatte sie ihn davon in Kenntnis gesetzt, dass sie in den nächsten Wochen auf alle Teigwaren verzichten würden. Kein Brot, kein Kuchen und ganz bestimmt keine Nudeln. Ebenso hatte sie Kartoffeln, Reis und Obst vom Speiseplan gestrichen. Ihrer Meinung nach war dies das beste Mittel, um dem drohenden Alterszucker, vor dem sein Hausarzt ständig warnte, entgegenzutreten.

Monsignore Hirlinger wollte ihr schon beipflichten, als ihm klarwurde, dass ihr Kommentar nicht auf die neue Ernährungsform abzielte.

Fräulein Schosi hielt ihm die Zeitung vors Gesicht. »So eine Sauerei!«

Hirlinger ließ seine Gabel sinken und wagte einen Blick auf die aufgeschlagene Seite. »Mir wird gleich übel.«

Fräulein Schosi nickte aufgeregt. »Ja, mir auch.«

Dass er damit eigentlich nun das kohlenhydratfreie Frühstück gemeint hatte, lag außerhalb ihrer Vorstellungskraft.

Hirlinger spürte ein ungewohntes Kribbeln auf seinen Wangen. Die gedruckten Wörter verschwammen vor seinen Augen. Mit einem Mal rückte er seinen Stuhl zurück, stand auf und rannte ins Bad.

»Monsignore, wo wollen S’ denn hin?«

Hirlinger war zu keiner Antwort mehr fähig. Sein Körper wehrte sich vehement gegen jedes Gramm Eiweiß, das er in der letzten Viertelstunde tapfer verschlungen hatte. Keine Sekunde zu spät erreichte er die weiße Kloschüssel, und wie eine riesige Welle schossen ihm halbverdaute Spiegeleier mit rosafarbenen Lachsstücken durch den Rachen heraus.

»Monsignore, jetzt regen sie sich halt ned so auf! Als ehemaliger Stadtpfarrer können S’ doch was dagegen machen, oder?«

Hirlinger verstand kein Wort. Gegen was sollte er was machen?

In der nächsten Sekunde klatschte bereits der nächste Schwall in die Kloschüssel, und ihm war vollkommen egal, was seine Haushälterin in der Küche gerade von sich gab. Hirlinger atmete schwer und wischte sich über die Nase.

Fräulein Schosi rührte derweil in ihrem Kaffee und besah sich erneut den Artikel. »Ewigkeit hält 379 Jahre«, stand in großen, fettgedruckten Buchstaben auf der ersten Seite des Regionalteils.

»Dass selbst der Kirche gar nix mehr heilig is«, sagte sie empört. »Der arme Graf Tilly verdient seine tägliche Messe!«

Sie nahm einen Schluck Kaffee, den sie vorher mit ordentlich Rahm verdünnt hatte, und drehte sich zur Tür. »Eine Sauerei, einfach eine Sauerei! Oder was meinen Sie, Monsignore?«

Das charakteristische Geräusch der Klospülung drang in die Küche, und Hirlinger wankte herein. Seine Wangen waren blass. Langsam sank er zurück auf seinen Stuhl und schob den Teller mit den verbliebenen Spiegeleiern weit von sich. »Es war ausgezeichnet, aber ich kann nicht mehr!« In seinem Innern wünschte er sich nichts sehnlicher als einen Schnaps.

»Gell, bei dem Louu-Kaab-Essen bleiben irgendwann die Heißhungerattacken aus!?«

»Schmarrn!«, raunte Hirlinger in sich hinein.

»Ich find auch, dass man des denen ned so einfach durchgehen lassen kann.«

»Wie bitte?« Hirlingers Gedanken kreisten um Magenbitter oder Rennie-Tabletten. Er konnte Fräulein Schosis Ausführungen nicht folgen.

»Ja, des mit dem Tilly-Benefizium! Des geht doch so ned!«

Hirlinger griff nach der aufgeschlagenen Zeitung und überflog die Zeilen. »Ich dachte mir schon, dass der Pemmerl das irgendwann abschafft. Die Kirche muss jetzt auch sparen! Wissen Sie, das Stiftungsgeld ist bereits in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts komplett flöten gegangen. Damals hatte die Verwaltung das Tilly-Geld in Anleihen investiert, die später bei der Hyperinflation im Jahr 23 vollkommen wertlos wurden. Dass die das so lange noch durchgezogen haben, war mir immer schon schleierhaft.«

»Sie meinen, der Bischof steckt dahinter?«

»Ich meine nicht, sondern habe es eben hier gelesen!« Genervt legte er den Artikel vor Fräulein Schosi auf den Küchentisch und deutete mit seinem Zeigefinger auf den letzten Absatz. »Hier steht es: ›Bischof Aloisius Pemmerl war zu keinerlei Stellungnahme bereit. Seine Entscheidung, das Tilly-Benefizium nicht mehr weiterzuführen, sei unumstößlich, so das bischöfliche Ordinariat Passau.‹ Haben Sie vielleicht einen Schnaps für mich?«

Fräulein Schosi zog bei dieser Frage ihren rechten Mundwinkel nach oben, wie sie das immer tat, wenn ihr etwas nicht gefiel oder sie nervös wurde. Doch plötzlich entspannten sich ihre Gesichtszüge wieder. »Monsignore, Sie haben recht! Auf diesen Schock hin brauch ich auch einen. Klosterlikör von den hiesigen Schwestern, Klosterfrau Melissengeist oder einen Pfefferminzlikör?«

Himmel! Vielleicht hätte er doch lieber nach Magentabletten fragen sollen. Bereits der Gedanke an die ihm angebotene Auswahl verursachte weitere Beschwerden. »Grappa haben Sie keinen?«, erkundigte sich Hirlinger.

»Nein! Tut's vielleicht auch ein Pfefferminzlikör?!« In Windeseile standen auf dem Frühstückstisch zwei mit grüner Flüssigkeit gefüllte Schnapsgläser. »Auf dass die droben noch eins auf den Deckel kriegen mit ihrer Abschaffung!«

Fräulein Schosi hob ihr Glas und prostete dem Monsignore zu. Das grüne Etwas sah aus wie Mundwasser und roch auch danach. Was seine Haushälterin an diesem scheußlichen Gebräu fand, war Hirlinger schleierhaft. Allerdings war es vielleicht in dieser Situation genau das Richtige. Hirlinger leerte das Glas in einem Zug. Der üble Nachgeschmack im Mund musste unter allen Umständen betäubt werden, sonst sah er sich in den nächsten Minuten wieder zur Toilette laufen.

Fräulein Schosi sah ihn erwartungsvoll an. »Ham S’ scho eine Idee?«

Wovon sprach seine Haushälterin schon wieder? Hirlingers Augen wanderten hilfesuchend durch die Küche. »Haben Sie denn eine?«

Fräulein Schosi stemmte ihren Ellenbogen auf den Tisch und legte ihren Kopf in die Handfläche. In dieser Haltung fixierte sie ihren Monsignore und überlegte. Plötzlich prallte ihre Faust auf die Tischplatte, dass die Teller in die Höhe sprangen. Unweigerlich zuckte er zusammen.

»Demonstrieren! Ich ruf jetzt gleich den Frauenbund an, und dann marschieren wir auf den Kapellplatz!«

Hirlinger bekam beim Gedanken an eine Horde katholischer Suffragetten Kopfschmerzen. »Wofür denn?«

»Nicht wofür! Wogegen! Die Frage is, wogegen. Na, gegen die Abschaffung des Tilly-Benefiziums natürlich!«

»Das ist vierhundert Jahre alt!«

»379!«, verbesserte ihn Fräulein Schosi.

»Trotzdem ist es ein alter Hut! Das wurde doch bloß noch aus fragwürdigen Traditionsgründen aufrechterhalten!« Sein Geduldsfaden war kurz davor, mit einem Knall zu reißen.

»Wehret den Anfängen! Mehr sag i ned!«

Fräulein Schosis Entschlossenheit ließ Hirlinger nichts Gutes ahnen. Er schloss seine Augen und zählte innerlich bis zehn. Erst dann hatte sich sein Gemüt so weit beruhigt, dass er wieder zu ein paar wohlüberlegten Sätzen fähig war. Er hasste es, wütend zu sein.

»Fräulein Schosi, ich denke, wir sollten nicht auf den fahrenden Zug der Medien aufspringen und von Grund auf gegen Entscheidungen des Bischofs opponieren, sondern ruhig aus der Distanz heraus die Geschehnisse beobachten.«

Seine Haushälterin hatte sich bereits bei dem Wort »Medien« ausgeklinkt. Was der Monsignore manchmal für Ausdrücke kannte ... Dieser Mann würde wohl auf ewig ein Rätsel für sie bleiben.

Im Kopf legte sie sich bereits einen Plan für den Aufmarsch vor die Kirchenverwaltung zurecht. Sie stand auf, ohne den Monsignore weiter zu beachten. Ihre Beine schlurften zum Telefon im Wohnungsgang.

»Was machen Sie denn jetzt?«, rief ihr Hirlinger hinterher, doch sie reagierte nicht.

Fräulein Schosi hob den Hörer ab und wählte die Nummer der Frauenbundvorsitzenden Baronin Novotny. »Servus, hier spricht die Petronilla. Novotny, hast du des mit dem Tilly-Benefizium gelesen?«

Der Monsignore knirschte mit den Zähnen. Seine Haushälterin konnte manchmal so stur sein, dass es ihn in Rage versetzte.

»Ja, eine Sauerei!«, hörte er Fräulein Schosi in den Hörer kreischen. Er beschloss, wieder bis zehn zu zählen. Als er bei fünf angekommen war, sprach Fräulein Schosi von der geplanten Demonstration.

»Heilige Maria, Mutter Gottes ... sechs, sieben ...«

»Telefonkette!«, war das nächste Schlagwort, das an Hirlingers Ohr drang.

» ... neun, zehn!« Er rang nach Luft. »Fräulein Schosi, halten Sie das Ganze nicht für ein wenig übertrieben?«

Auf dem Flur herrschte Stille. Nun stand Hirlinger auf und schritt selbst in Richtung Telefon. Seine Haushälterin blätterte schweigend in ihrem kleinen Adressbuch. »Fräulein Schosi ...«

»Unterprammer Devotionalien«, hörte er seine Haushälterin abwesend murmeln. »Hier Petronilla, servus Traudl! Wir marschieren auf den Kapellplatz.«

Hirlinger schüttelte fassungslos den Kopf und bat seinen Herrgott um Verzeihung, dass er Fräulein Schosi in diesem Moment einen qualvollen Tod wünschte. Um seinen Puls wieder in normale Bahnen zu lenken, hätte er mindestens bis hundert zählen müssen. Grußlos ging er an seiner Haushälterin vorbei und öffnete die Wohnungstür. Er brauchte Frischluft und einen Spaziergang.

»Wie, du hast keine Zeit? Wir müssen uns wehren!« Das waren die letzten Worte, die er von Fräulein Schosis walkürenhafter Stimme mitbekam. Dann verließ Hirlinger das Haus.

***

Aschermittwoch war schon immer scheiße! Oberkommissar Max Kramers persönliche Fastenzeit begann meist mit einem riesigen Kater. Als er an diesem Morgen aufwachte, entdeckte Max als Erstes, dass sich sein linker Fuß außerhalb des Bettes befand: ein untrügliches Zeichen für den Versuch, in der Nacht noch das Kotzen zu verhindern. Ein erprobtes Rezept aus der Pubertät: Man musste eine der unteren Extremitäten auf dem Boden platzieren und sich auf den Rücken legen. Dann hieß es einfach nur hoffen, dass der Schlaf vor dem Würgen einsetzte. Auch diesmal hatte es einwandfrei funktioniert.

Langsam erhob er sich und versuchte seinen Gleichgewichtssinn zu aktivieren, um in die Küche zu gelangen. Zehn Schritte, perfekt! Zielgerichtet öffnete Max die rechte Schublade neben dem Müllfach und zog ein Päckchen Paracetamol hervor. Er drückte zwei Pillen aus der Verpackung, schob sie sich in den Mund und bewegte diesen zum Wasserhahn. Glas brauchte er jetzt keines. War eh nicht abgespült.

Bis die Wirkung einsetzte, begann er nach einer benutzbaren Tasse Ausschau zu halten, um sich einen doppelten Espresso aus dem neuen Vollautomaten zu zapfen. Eine hervorragende Investition, die sich vor allem an verkaterten Vormittagen unglaublich lohnte.

Kurz spielte er mit dem Gedanken, sich eine Putzfrau zuzulegen. Die Geschirrstapel zwischen Herd und Essecke waren in den letzten Wochen auf ein bedenkliches Maß herangewachsen. Sogar die Weihnachtspost wartetet immer noch darauf, im Altpapier zu verschwinden. Obenauf lag eine Karte, deren Vorderseite ein Gruppenfoto der Altöttinger Nonnen zierte. Milde lächelnd blickten die greisen Pinguine Max entgegen. Nur ein faltenfreies Gesicht war darunter und wirkte wie ein Fremdkörper. Es versetzte ihm einen Stich. Seine Exfreundin, die jetzige Novizin Maria Evita. Sie hatte auch die Zeilen auf der Rückseite verfasst: »Lieber Maxi! Ein gesegnetes Weihnachtsfest für Dich und Deine Eltern. Möge Dir im kommenden Jahr alles erdenklich Gute widerfahren. Von ganzem Herzen, Deine Maria Evita. P. S. Wir seh’n uns ;)«

Über den Zwinkersmiley am Ende musste er immer wieder aufs Neue schmunzeln. Na ja, vorbei war vorbei.

Mit dem Kaffee in der Hand, schlich Max zurück zu seinem Bett. »Zefix!« Er traute seinen Augen nicht. So dicht war er doch gestern Abend auch wieder nicht gewesen, oder? Jetzt hätte er sich am liebsten in Luft aufgelöst. Innerlich schimpfte er weiter: »Zefix! Zefix! Und noch mal zefix!«

Max ging auf die Zehenspitzen, was für den eben wiedergefundenen Gleichgewichtssinn eine enorme Herausforderung darstellte, und balancierte zehn Schritte zurück. Auf dem Küchentisch lag sein Handy, daneben sein Indianerkostüm. Das T-Shirt bestand nur noch aus Fetzen, Überreste der »Blaulicht-Party« vom gestrigen Faschingsdienstag. Seine Hand griff nach dem Mobiltelefon und drückte die Nummer seines Kollegen Fritz Fäustl.

Fäustl meldete sich umgehend: »Du lebst noch?! Hast es ja echt krachen lassen.« Das Grinsen in seiner Stimme war nicht zu überhören.

»Fritz ...«

»Die Idee, als YMCA zu gehen, war phantastisch! Mei Lederkluft is bei der Mieze aus der Verwaltung sauguad angekommen. Wennst verstehst, was ich mein.« Fäustl war nicht nur gutgelaunt, sondern klang geradezu euphorisch.

»Ich hab Scheiße gebaut!«, grätschte Max ein.

»Kann man so sagen. Du hättest einfach die Cocktails irgendwann stehen lassen sollen!«

»Viel größere Scheiße!«

Fäustl lachte am anderen Ende der Leitung. »Willst dich also krankmelden?«

»Immens große Scheiße!«, schnaubte Max.

»Wie oft willst du dieses Wort noch benutzen? Was is los?«

Max schielte zur Schlafzimmertür und sprach dann betont vorsichtig in sein Telefon: »Die Rasske liegt in meinem Bett.«

»Du bist auf einmal so leise. Wer?«

»Die Rasske liegt in meinem Bett. Nackt! Und sie ist tätowiert!«

»Wer?«

»Die Staatsanwältin!«, kam es mit Nachdruck aus Max hervor.

Das Atemgeräusch seines Kollegen verstummte in der Leitung. Max’ Blick wanderte wieder nervös zur Tür. »Fritz, wie konnte des nur passieren?«

»Ich persönlich hätt einfach vom Spusi-Toni keinen selbsterfundenen Cocktail angenommen, den er ›Amnesia‹ getauft hat.«

Max atmete laut ein. »Ich bin grad echt nicht zum Scherzen aufgelegt!«

»Tut mir wirklich leid, Kramer.« Fäustl lachte. »Aber das muss ich den Kollegen erzählen. Die haut diese Info garantiert auf die Fresse!«

»Du hältst bitte deinen Rand!« Max lehnte sich an die Küchenzeile. »Was soll ich jetzt bloß machen?«

»Sei ned immer glei so garstig! Biet ihr halt an Kaffee an. So eine körperliche Verbindung zur Staatsanwaltschaft kann nur von Vorteil sein.«

»Vielleicht hast recht. Flucht nach vorn. Allerdings kann ich mich nicht mal mehr an ihren Vornamen erinnern ... Bis jetzt hab ich sie immer nur Dr. Rasske genannt.«

»Verdammter Amnesia, kann ich da nur sagen. Ihr habt gestern übrigens Brüderschaft getrunken. Mehrmals sogar. Die heißt, wart kurz ...«

»Des war irgendwas ganz Normales, Fritz.«

»Ich hab’s gleich ...«

Max kam ihm mit dem Geistesblitz zuvor: »Die heißt Dani! Daniela Rasske!«

»Tina.« Die Staatsanwältin stand in seinem Türrahmen, bekleidet mit einem Fünfziger-Jahre-Tupfenkleid. Ihre blonden Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.

Max betete, dass sich vor ihm der Boden auftun möge und ihn verschlänge. »Fritz, ich ... ich ruf dich später noch mal an!« Seine Arme sanken nach unten.

»Hast du für mich auch so einen?« Der Zeigefinger der Staatsanwältin deutete auf den Kaffee.

Schweigend drehte Max sich zur Spüle und griff nach einer benutzten Tasse. Warum schwitzte er auf einmal so?

Tina Rasske ließ ihre Augen durch die Küche streifen. »Deine Wohnung hat einen ganz eigenen Stil. Nett!«

Gut, dann also Small Talk zur Entspannung. Auf diese Vorlage sollte er nun schleunigst eingehen. »Ja ...«, er räusperte sich, »ein bisschen größer als meine vorherige Bude in München.« Jetzt vielleicht noch ein Lächeln dranhängen?

Ihre Augen hatten die Pillenschachtel auf der Ablage entdeckt. »Schmerzmittel?«

Er zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Paracetamol. Ich hätte gestern nicht so viel trinken dürfen.«

»Gibt es in diesem Haushalt auch was Stärkeres?« Die Brauen der Staatsanwältin hoben sich erwartungsvoll.

Max schüttelte den Kopf. »Die Ibuprofen 800 hab ich leider nach dem letzten Betriebsausflug aufgebraucht.«

Die Tasse in seinen Händen war nun endlich sauber, und er setzte den Vollautomaten in Gang. Mit einem lauten Ächzen spuckte der einen weiteren Espresso aus. Als Max danach greifen wollte, war Tina Rasske schneller.

»Danke! Ich brauche weder Zucker noch Milch.« Sie nippte. »Übrigens ist das nicht so schlimm, dass du dir meinen Vornamen nicht merken konntest. Auch wenn wir heute Nacht miteinander geschlafen haben, bleib ich im Job Frau Dr. Rasske für Sie, Oberkommissar Kramer!«

Oh Mann! Eine Ohrfeige hätte Max nicht schlimmer treffen können. Er fühlte sich klein, und das kam nicht nur daher, dass ihn Tina Rasske um einen ganzen Kopf überragte.

»Was aber nicht ausschließt, dass wir uns privat mal wieder bei dir treffen könnten«, setzte sie hinzu. »Wenn du aufgeräumt hast.«

Hatte er das richtig verstanden? War das jetzt ein Vorschlag oder der Befehl einer Vorgesetzten gewesen? Beides klang aus dem Mund der Staatsanwältin komischerweise nicht erregend. Warum wollte ihm gerade kein belangloses »Ja, klar!« über die Lippen kommen?

Tina Rasske schritt an Max vorbei zum Küchentisch und zog einen Stuhl hervor. Langsam nahm sie darauf Platz. Ihre langen Beine schlug sie damenhaft übereinander.

Okay, das war jetzt dann doch sexy. Max wurde schlagartig klar, warum er mit ihr am Abend zuvor mehrmals Brüderschaft getrunken hatte. Eigentlich waren diese Beine und diese Hüfte ein Hauptgewinn! Auf seinem Herd zeigte die Digitaluhr Viertel nach acht an. Auch inklusive einer flotten zweiten Runde könnte er noch um halb zehn in seinem Büro in Mühldorf aufschlagen. Diese Option wäre zu überlegen.

Aus der Schublade, aus der er vorher die Tabletten gezogen hatte, kramte er eine Packung Kaugummi hervor. Knutschen ohne Zähneputzen, und dann noch einen Kaffee auf nüchternen Magen: schlechte Idee. Die Staatsanwältin nippte weiter an ihrem Espresso.

»Kaugummi?« Max lächelte auffordernd.

Tina Rasske schüttelte den Kopf »Nö!«

Jetzt war er irritiert. Hatte sie nicht verstanden, dass die Frage nur eine Chiffre für Sex war? Er konnte jedoch nicht lange über dieses schroffe »Nö« nachdenken, denn sein Handy auf der Ablage begann zu vibrieren. Die elektronische Version des »Bayerischen Defiliermarsches« erfüllte den Raum.

»Interessanter Klingelton«, kommentierte die Staatsanwältin, während Max den Annahmeknopf betätigte.

»Kramer, schmeiß die Rasske raus! Wir haben einen übel zugerichteten Toten!«

»Guten Morgen, Kriminalhauptmeister Fäustl.« Die Staatsanwältin hatte die Stimme aus dem Lautsprecher identifiziert. Max konnte fühlen, dass er rot wurde. Vielleicht wollte ihm das Universum mitteilen, dass weiterer Matratzensport für diesen Tag keine gute Idee war.

»Hat die des jetzt g’hört?«

»Nein, natürlich nicht! Manchmal hast du echt die Auffassungsgabe einer Leitplanke ...« Nun hatte er endgültig genug von dem miesen Start in den Tag.

***

Max ließ den morgendlichen Verkehr auf der A 94 hinter sich und bog Richtung Pleiskirchen ab. Ein Bauerndorf, welches durch eine Wirtshausküche, die mit einem Michelin-Stern geadelt worden war, und billigen Baugrund in den letzten Jahren einen enormen Aufschwung genommen hatte. Das war die Route, der sonst immer die Golfspieler aus Altötting folgten. Aber er wollte ja gar nicht zum Club, nur bis zum auf halber Strecke liegenden Gasthof Engfurt, wo gestern die Blaulicht-Party stattgefunden hatte. Dieser Abstecher, um Tina bei ihrem Auto rauszulassen, kostete ihn fünfzehn Minuten.