0,99 €
Verrat. Gier. Berlin. Fast wäre Hauptkommissar Carl Rau an seinem Job zerbrochen. Er fühlt sich reif für eine Auszeit, dennoch muss er die Leitung der Soko Innen übernehmen. Zusammen mit seinem neuen Team soll er einen politisch brisanten Fall untersuchen. Hat ein Ermittler des LKAs einen Verdächtigen misshandelt? Die Schuld des Kollegen scheint erwiesen, doch dann wird der Ermittler niedergeschossen, seine Frau ermordet und sein neunjähriger Sohn verschwindet spurlos. Die Soko Innen irrt durch ein Labyrinth aus Lügen. Und im Verborgenen verfolgt jemand ganz eigene Pläne. »Fatale Lügen« ist der erste Band einer vierteiligen Krimi-Serie, die das Autorenduo Axel Hollmann und Marcus Johanus im Laufe der nächsten Monate veröffentlicht.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Impressum
Axel Hollmann
Insterburgallee 33d, 14055 Berlin
www.axelhollmann.com
Alle Rechte vorbehalten. Eine Kopie oder anderweitige Verwendung, auch auszugsweise, ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors gestattet.
© 2021 Axel Hollmann
Cover: Axel Hollmann - stock.adobe.com
Druck: Create Space, Leipzig
Das Buch
Der Autor
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Epilog
Danksagung
Weitere Romane
Weitere Romane
Verrat. Gier. Berlin.
Fast wäre Hauptkommissar Carl Rau an seinem Job zerbrochen. Er fühlt sich reif für eine Auszeit, dennoch muss er die Leitung der Soko Innen übernehmen. Zusammen mit seinem neuen Team soll er einen politisch brisanten Fall untersuchen.
Hat ein Ermittler des LKAs einen Verdächtigen misshandelt? Die Schuld des Kollegen scheint erwiesen, doch dann wird der Ermittler niedergeschossen, seine Frau ermordet und sein neunjähriger Sohn verschwindet spurlos.
Die Soko Innen irrt durch ein Labyrinth aus Lügen. Und im Verborgenen verfolgt jemand ganz eigene Pläne.
»Fatale Lügen« ist der erste Band einer vierteiligen Krimi-Serie, die das Autorenduo Axel Hollmann und Marcus Johanus im Laufe der nächsten Monate veröffentlicht.
Axel Hollmann, Jahrgang 1968, steckte schon als Jugendlicher seine Nase in alle SF-Romane und Fantasy-Rollenspiele, deren er habhaft werden konnte.
Während seines Studiums verbrachte er mehr Zeit mit dem Lesen von Krimis und Thrillern, als in BWL-Vorlesungen. Rechtzeitig vor seinem dreißigsten Geburtstag macht er sein Hobby zum Beruf: Er wurde Mitinhaber eines Buch- und Spieleladens, bis er sich dann dem Schreiben widmete. 2014 erschien sein erster Thriller. Mit seiner Familie lebt er in Berlin.
»Die erledigen mich«, flüsterte Staatssekretär Joost Amann. Er versteckte die Hände hinter dem Rücken. Seine Besucherin sollte nicht sehen, wie er sich nervös die Finger rieb.
Sie saß auf der Kante seines Schreibtischs und spielte mit einer Büroklammer. Ein Mädchen. Sie nannte sich Nyela Hoteq, und dem Gesicht mit den nordafrikanischen Zügen nach zu urteilen, musste sie zwölf, höchstens dreizehn Jahre alt sein.
Nicht mehr als ein Kind.
Nyela Hoteq trug einen schwarzen Rollkragenpullover, Jeans und Sneakers, die über dem Dielenboden baumelten. Kajal betonte ihre onyxfarbenen Augen. Augen, die ihn aufmerksam musterten.
Seine Kehle schnürte sich zusammen. Raubtieraugen, dachte der Staatssekretär unvermittelt.
Sein Büro befand sich im ersten Stock der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Es war dreiundzwanzig Uhr. Freitag. Durch die Fenster fiel Licht von der Württembergischen Straße, sonst lag das Zimmer im Dunkeln. Er trat über die Schwelle und schloss die Tür hinter sich.
Klick! Ein Geräusch, wie das Spannen einer Pistole. Er zwang sich, die Lippen zu der Andeutung eines Lächelns zu verziehen. »Helfen Sie mir. Bitte.«
Er wartete, doch seine Besucherin hatte nur Augen für die Büroklammer.
»Haben Sie mitbekommen, was die Zeitungen schreiben? Nichts als Lügen und wilde Behauptungen, die diese Schmierfinken verbreiten. Beweise?« Er wandte sich zu der Anrichte, die unter einem Gemälde stand, das das Brandenburger Tor zeigte. »Denen ist doch egal, dass es keine gibt. Hauptsache, die Auflage stimmt.«
Sein Herz pochte wild, so sehr hatte er sich in Rage geredet. Erst wollte er nach der Karaffe mit dem Wasser greifen, doch dann entschied er sich für die Flasche mit dem Scotch. Der Staatssekretär schraubte den Verschluss ab und füllte eines der Gläser. Seine Hand zitterte so stark, dass er zweimal absetzen musste, um die bernsteinfarbene Flüssigkeit nicht zu verschütten.
Hoffentlich hatte es seine Besucherin nicht bemerkt.
Er stellte die Flasche wieder beiseite und trank so hastig, dass er husten musste. Der Scotch in dem halbvollen Glas schwappte, als er es zurück auf die Anrichte stellte.
Joost Amann wandte sich wieder seiner Besucherin zu. Sie verdrehte den dünnen Draht zu einem Ring. Stumm. Unmöglich, in ihrer Miene zu lesen.
»Dieser Kommissar vom Dezernat 34 ist an allem schuld. Er hat sich da in etwas verrannt.« Wieder griff der Staatssekretär nach dem Glas. Er leerte es in einem Schluck. »Er hat mit meinen Mitarbeitern gesprochen. Sie ausgefragt und gegen mich aufgehetzt. Und Mio auch.«
Joost Amann trat einen Schritt auf den Schreibtisch zu. Es brodelte in ihm.
»Man will mich vernichten. Mich zerstören. Meine Beziehung, mein Leben. Meine Karriere. Haben Sie eine Ahnung, wie mich alle ansehen? Die Kollegen in der Senatskanzlei. Meine Freunde. Nein, natürlich nicht. Wie sollten Sie auch?«
Der Staatssekretär sah dem Mädchen direkt in die Augen. Er spürte noch immer die wohltuende Wärme des Scotchs in seiner Kehle.
»Hören Sie, ich habe immer getan, was für den Kreis am besten war.« Er hob den Zeigefinger, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Ohne Widerspruch. Ohne Fragen zu stellen. Ich habe meinen Teil des Deals eingehalten. Dafür ist mir der Circulus Clausa etwas schuldig. Das ist nur fair. Ich möchte …« Er unterbrach sich. »… nein, ich fordere, dass Sie mir helfen. Bringen Sie die Presse zum Verstummen. Und sorgen Sie dafür, dass dieser Kommissar aus meinem Leben verschwindet. Ein für alle Mal. Es ist mir gleich, wie Sie das anstellen, aber denken Sie daran, ich bin nicht der Einzige, der etwas zu verlieren hat. Verstehen Sie, was ich …«
Er verstummte.
Das Mädchen schob den gebogenen Draht auf ihren Finger, als wäre er ein Ring. Dann rutschte sie von der Schreibtischkante und sah zu ihm auf. Nyela Hoteq war einen Kopf kleiner als er, doch Joost Amann hielt die Luft an. Du bist zu weit gegangen, du Narr! Das war seine Schwäche. Manchmal verlor er einfach die Beherrschung.
Er wollte schon den Mund öffnen, um sich zu entschuldigen, doch da nickte sie.
Bedächtig, beinahe unmerklich.
Ehe er etwas sagen konnte, hatte sich Nyela Hoteq schon abgewandt. Mit ein paar Schritten durchquerte sie das Büro. Die Sneakers geräuschlos auf den Dielen. Sie griff nach der Klinke und einen Augenblick später fiel die Tür hinter ihr ins Schloss.
Zurück blieb nur der Geruch ihres Parfüms. Zimt und Patchouli.
Erleichtert atmete der Staatssekretär aus.
Gut, dass du so bestimmt aufgetreten bist. Der Staatssekretär nickte sich selbst zu. Jetzt musste er sich nicht mehr sorgen. Der Kreis würde sich um alles kümmern. Daran zweifelte Joost Amann nicht.
Kriminalhauptkommissar Carl Rau nahm einen Schluck aus dem Pappbecher. Angewidert verzog er das Gesicht. Nicht nur, dass der Kaffee längst kalt geworden war. Irgendwie schaffte es die Brühe, gleichzeitig wässrig und viel zu bitter zu sein. Hoffentlich befand sich wenigstens etwas Koffein in dem widerlichen Getränk, das die Kollegen im Dezernat 34 des Landeskriminalamts für Kaffee hielten. Wenn nicht, war es um den Tag endgültig geschehen.
»Soll ich wirklich den ganzen Kram einpacken?«, hörte der Kommissar seine Kollegin fragen. Er wandte sich zu Paula Jacoby um. Carl kannte sie erst seit ein paar Wochen. Die Kommissarin war klein, ein wenig mollig und jung — jedenfalls im Vergleich zu ihm. Viel zu oft hatte sie ein nervtötendes Lächeln auf den Lippen. Dazu kam eine beunruhigende Vorliebe für bunte Klamotten. Heute trug Paula ein knallrotes Oberteil und darüber eine olivfarbene Fransenweste. Ihre Sneakers waren gelb wie ihre Jeans.
Missbilligend verzog Carl die Mundwinkel. »Den ganzen Kram, ja. Sacken Sie alles ein, was Vogt gehört.«
Paula hielt einen Bilderrahmen in die Höhe. Sie grinste. »Den auch?«
Der Rahmen bestand aus mehreren Lagen Wellpappe. Er war mit trockenen Nudeln beklebt und mit goldener Farbe bemalt. Ganz sicher von einem Kind. Das Foto, das auf der Pappe klebte, zeigte ein Sportstadion. Carl kannte das Gebäude. Es befand sich in Westend. Ein Junge in einem Fußballtrikot grinste in die Kamera. Er war vielleicht acht oder neun. Eine Frau in einer Sommerbluse streichelte seinen roten Schopf. Neben den beiden stand ein Mann, so rothaarig wie der Junge. Die Hände hatte er in den Hosentaschen verborgen. Die blauen Augen starrten an der Kamera vorbei ins Nichts. Es war der Mann, dem der Bilderrahmen gehörte: Kriminalhauptkommissar Leon Vogt. Dezernat 34 des Berliner LKAs. Korruptions- und Polizeidelikte.
»Er kommt mit, genauso wie die Bleistifte, der Radiergummi und die Büroklammern. Packen Sie alles dort hinein.«
Er nickte zu dem Karton, der auf dem behördengrünen Linoleumboden vor dem Schreibtisch stand. Das Büro befand sich im ersten Stock des ehemaligen Flughafens Tempelhof. Nun waren hier die Dezernate für Wirtschaftskriminalität, Korruption, Umwelt-, Verbraucher- und Polizeidelikte des Berliner Landeskriminalamts untergebracht.
Paula bedachte ihn mit einem breiten Lächeln. »Klar, Herr Hauptkommissar.«
Carl machte sich nicht die Mühe, das Lächeln zu erwidern. Er nahm noch einen Schluck von der kalten Brühe. Der Rest der Soko war in Ordnung, auch wenn Dominic Engels und Johnny Harms immer wieder miteinander stritten. Carl war sich nur nicht sicher, was er von der Kommissarin halten sollte.
Nahm sie ihre Arbeit ernst?
Besser, wenn er es bald herausfand. Auf dem Schreibtisch lag ein Stapel ungeöffneter Briefe. Carl stellte den Kaffee beiseite und griff danach.
»Weshalb sind Sie zur Polizei gegangen, Paula?«, fragte er, während er tat, als würde er die Absender der Briefe prüfen.
Aus den Augenwinkeln sah er, wie seine Kollegin den Kopf schief legte. Sie zögerte einen Moment, ehe sie antwortete. »Gute Frage. Nach der Schule wusste ich nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Ich wollte nur nicht dasselbe wie meine Eltern machen.«
Carl warf die Briefe in den Karton. »Und zwar?«
»Mein Vater ist Berufsmusiker und meine Mutter arbeitet als Psychologin. Zunächst war ich bei der Bereitschaftspolizei, aber …«
Sie verstummte und zuckte mit den Schultern.
»… aber es war Ihnen nicht abenteuerlich genug, sich bei Demos oder vor dem Olympiastadion die Beine in den Bauch zu stehen.«
Paula lachte. »So ungefähr. Jedenfalls habe ich ein paar Semester studiert und bin dann zum LKA gegangen. Das war vor zwei Jahren.«
Erst vor zwei Jahren? Sie war also eine Anfängerin. Toll, das konnte ja was werden. Warum hatte er sich nur von Konrad Faber breitschlagen lassen?
Carl blickte zum Fenster. Der Regen hatte aufgehört, doch der Novemberhimmel über den Skeletten der Straßenbäume war noch immer grau. Und auf dem Columbiadamm staute sich der Verkehr. Er nahm einen letzten Schluck Kaffee, auch wenn ihm das Gesöff vermutlich nicht auf die Beine helfen, sondern nur Magenschmerzen verursachen würde.
Seit ein paar Jahren tat ihm immer etwas weh. Er war halt nicht mehr der Jüngste. Zweiundfünfzig Jahre hatte er auf dem Buckel. Fünfundzwanzig davon hatte er dem LKA geschenkt. Früher hätte es ihm nichts ausgemacht, aber jetzt steckten ihm die Strapazen der letzten Tage in den Knochen. Dazu kam, dass er nachts keinen Schlaf fand. Er schaffte es einfach nicht, abzuschalten. Egal wie müde er war, er wälzte sich nur von der einen auf die andere Seite und hing müßigen Gedanken nach. Kein Wunder, dass er jeden Morgen wie gerädert aufstand und tagsüber Schwierigkeiten hatte, die Augen aufzuhalten.
»Herr Hauptkommissar?«
Er hatte seiner neuen Kollegin mindestens ein dutzend Mal gesagt, dass sie ihn mit seinem Namen anreden sollte, aber für Paula war er der »Herr Hauptkommissar«. Vermutlich, weil er nun einmal ein alter Sack war.
»Was ist?«
»Die Schreibtischschublade.« Demonstrativ rüttelte seine Kollegin an dem Griff. »Sie ist abgeschlossen. Soll ich herumfragen, ob jemand einen Zweitschlüssel hat?«
»Das wäre sinnlos.«
»Warum?«
Carl seufzte in sich hinein. Es war nicht zu übersehen, dass sie frisch von der Hochschule kam. Paula hatte nicht den Hauch einer Ahnung davon, wie die Dinge beim LKA liefen.
»Nicht einer von Vogts Kollegen würde einen Finger für uns krümmen, darum.« Er musterte das Schloss und nickte sich dann selbst zu. »Egal, das schaffe ich auch so. Machen Sie mal Platz, Paula.«
Sie trat einen Schritt zur Seite und als er an den Schreibtisch herantrat, roch er ihr Parfüm. Frisch und süß. Wie Blumen im Hochsommer. Der Duft passte zu ihr.
Carl merkte, dass sich ein Lächeln auf seine Lippen stahl. Ehe seine Kollegin es sah, drehte er den Kopf zur Seite. Er hatte nie das Bedürfnis verspürt, ein Kind in diese Welt zu setzen und eine Tochter schon gar nicht. Aber wenn, dann wäre sie jetzt ungefähr in Paulas Alter … Carl schob den Gedanken beiseite. Es war sinnlos, darüber nachzudenken, was hätte sein können.
Er beugte sich über die Schublade und wandte ihr dabei den Rücken zu. »Hat man Ihnen an der Hochschule denn gar nichts beigebracht?«
Sie schwieg. Wahrscheinlich war sie sauer. Kein Wunder, so ruppig, wie er die ganze Zeit zu ihr war. Aber lieber so, als eine zu enge Beziehung zu Kollegen aufzubauen. Er hatte auf die harte Tour gelernt, dass es besser war, niemanden zu nahe an sich heranzulassen.
»Geben Sie mir mal eine von den Büroklammern.« Carl streckte die Hand aus.
Immer noch wortlos reichte sie ihm eine. Routiniert bog er die Klammer zurecht und schob sie dann in das Schloss der Schublade. Es war ein billiges Ding, doch er war außer Übung.
Carl fummelte mit dem gebogenen Draht herum. Nichts. »Geh endlich auf!«
»Soll ich mich vielleicht doch nach dem Schlüssel umhören?«, fragte Paula betont freundlich.
Er biss sich auf die Unterlippe. Wer hätte es gedacht? Sie konnte schnippisch sein. Was wohl sonst noch in der Kommissarin steckte?
»Nein, nein, ich krieg das hin.« Er richtete sich auf und warf einen Blick in den Pappkarton mit Leon Vogts Besitztümern. Da war ein Brieföffner. Mit einer Klinge und einem Holzgriff. Carl schnippte die Büroklammer zur Seite, zog ihn hervor und wog den Brieföffner in der Hand. Der Griff war massiv. Die Klinge stumpf, machte aber einen stabilen Eindruck. »Damit könnte es gehen.«
»Herr Hauptkommissar …«
»Hm?«
»Ich verstehe nicht, wieso uns Vogts Kollegen nicht unterstützen sollten.«
»Können Sie sich das nicht denken? Die wünschen uns zum Teufel, deswegen.«
»Weil wir gegen einen von ihnen ermitteln?«
»Auch, und weil wir uns in Dinge einmischen, die uns nichts angehen. Wetten, dass die vom Dezernat 34 im Dreieck springen, weil der Innensenator ihnen unsere Soko vor die Nase gesetzt hat? Die Kollegen fühlen sich in ihrer Ehre gekränkt. Und wieso auch nicht? Erst sind Hauptkommissar Vogt und sie Helden. Das Dezernat wird von der Polizeipräsidentin gelobt und die Presse berichtet darüber, wie gegen einen vermeintlich korrupten Staatssekretär ermittelt wird. Doch dann taucht dieses Video auf und nun sind wir es, die gegen Leon Vogt ermitteln. Nein, glauben Sie mir, Paula, wenn jetzt die Decke einstürzt und uns begräbt, würde keiner von denen die Feuerwehr rufen.«
»Die Kollegen sollten wissen, dass wir nur unseren Job machen.«
»Sie sind naiv, Paula.«
»Naiv?« Sie musterte ihn ernst. »Schon möglich, aber das ist allemal besser, als so desillusioniert wie Sie zu sein. Auch wenn ich noch nicht so lange dabei bin wie Sie, weiß ich, wie hart der Job ist. Aber ich werde mich von ihm nicht unterkriegen lassen, Herr Hauptkommissar.«
Carl wusste nicht, was er erwidern sollte. Sah Paula ihn wirklich so? Desillusioniert? Und hatte er sich tatsächlich von der Arbeit in die Knie zwingen lassen?
Der Gedanke versetzte ihm einen Stich. Carl schob ihn beiseite und wandte sich wieder dem Schloss zu. Er zwängte die Klinge des Brieföffners in den Spalt zwischen Schublade und Tisch. So weit es ging.
»Jetzt wollen wir mal sehen, aus welchem Holz du geschnitzt bist«, sagte er zu sich selbst.
Er drehte die Klinge. Erst vorsichtig. Und als das Schloss nicht nachgab, fester. Es knirschte. Carl trat einen Schritt zur Seite, um einen besseren Winkel zu haben. Mit der linken Hand packte er die Tischplatte, dann drückte er den Brieföffner mit aller Kraft nach unten. Das Holz krachte. Ein Splitter, so lang wie sein kleiner Finger löste sich zusammen mit dem Schloss und auf einmal ruckte die Schublade auf.
Carl trat einen Schritt zurück und wandte sich zu seiner Kollegin um. »Sehen Sie, eine Kleinigkeit.«
»Ich bin beeindruckt, Herr Hauptkommissar. Wollen wir hoffen, dass man uns die Reparatur nicht vom Gehalt abzieht.«
Da war es wieder, ihr offenes Lächeln. Überrascht stellte Carl fest, dass er es mochte. Schnell wandte er sich wieder dem Schreibtisch zu.
»Mal sehen, ob sich die Mühe gelohnt hat.« Er griff in das Fach und zog einen dicken Stapel Papphefter hervor. Graue. Rote. Blaue. Beigefarbene. Mindestens ein Dutzend. Und hinten in der Schublade waren noch mehr. »Schau an, sieht so aus, als hätte Leon Vogt hier ein privates Archiv gehabt.«
»Ich dachte, er wäre von allen Fällen abgezogen worden?«
Carl blätterte durch die Papphefter. »Das sind keine aktuellen Fälle. Den Daten nach, handelt es sich um alte Unterlagen. Der Mord an einem Familienvater, Malik, ungelöst, von 2002. Die Brandstiftung an mehreren Kraftfahrzeugen eines Versicherungsunternehmens in Marzahn. Auf dem steht Pollitt, B. und in dem roten hier scheint es um Menschenschmuggel zu gehen. Die Ermittlungen sind wohl im Sande verlaufen.«
»Sind das Fälle, mit denen der Kommissar früher zu tun hatte?«
»Wie soll ich das auf die Schnelle sagen?« Carl warf die Papphefter zu den anderen Sachen in den Karton. »Soll sich Engels den Kram anschauen. Sich durch Akten zu wühlen, ist doch sein Ding …«
Carl verstummte. Ein Mann trat durch die offene Tür in das Büro. Er war mittelgroß, hatte rote Haare und einen roten Dreitagebart.
Leon Vogt.
Der Kommissar sah mies aus. Seine Haut war grau, sein Blick glasig. Ein Arm hing schlaff an seiner Seite herab, mit dem anderen stützte er sich am Türrahmen ab.
Er schwankte.
War er betrunken?
Carl trat einen Schritt auf den Kollegen zu. Er streckte die Hand aus. » Kriminalhauptkommissar Rau und das ist meine Kollegin Kriminalhauptkommissarin Jacoby. Der Innensenator hat mir in Abstimmung mit der Polizeipräsidentin die Leitung einer Sonderkommission übertragen, die die Vorwürfe gegen Sie in Zusammenhang mit Ihren Ermittlungen gegen Staatssekretär Joost Amann untersuchen soll. Deshalb sind wir hier.«
Vogt stieß sich von dem Türrahmen ab und schwankte auf sie zu. Seine Stirn war von einem dünnen Schweißfilm bedeckt. Die ausgestreckte Hand beachtete er nicht. »Verschwinden Sie …« Er schluckte. »Verschwinden Sie aus meinem …«
Seine Augen verdrehten sich, seine Beine gaben nach und er sackte in sich zusammen. Carl sprang vor. Er streckte die Arme aus und schaffte es eben so, Vogt unter den Achseln zu packen. Einigermaßen sanft legte er den schlaffen Körper auf den Boden. Er spürte, wie Paula an seine Seite trat.
»Was ist?« Besorgnis klang aus ihrer Stimme.
»Rufen Sie den Notarzt!« Unter Vogts Körper sickerte eine dunkelrote Lache auf das Linoleum. »Beeilung! Er verblutet!«
Der Rettungswagen parkte auf dem Bürgersteig. Die blinkenden Blaulichter spiegelten sich in den Pfützen, auf denen Blätter trieben.
Carl schlug den Kragen hoch. Er fror.
Zwei Sanitäter wuchteten die Rolltrage, auf der Leon Vogt lag, durch die Hecktüren. Der Kommissar schien noch immer bewusstlos zu sein. Ein paar Schaulustige umringten das Wrack, das sein Wagen gewesen war. Vogt hatte eine Laterne getroffen. Die Frontscheibe des Fahrzeugs war geborsten. Stoßstange, Motorhaube und ein Kotflügel verbeult. Ein Polizist versuchte, die Gaffer zurückzuhalten. Er fluchte, als einer sein Handy zückte, um Fotos zu schießen.
Carl versenkte seine Hände in den Taschen seines Mantels.
Es hatte wieder zu nieseln begonnen, dennoch standen eine Handvoll von Leon Vogts Kollegen vor dem Gebäude Columbiadamm 4. Im Schein einer Laterne beobachteten sie stumm das Geschehen. Einer der Kommissare hielt sich an einer Zigarette fest. Sein Gesicht war von Falten zerfurcht.
Carl konnte sich gut vorstellen, was in ihm vor sich ging. Ab und zu sah der Raucher zu ihm herüber und dann spürte er die unterdrückte Wut. Keine Frage, der Mann mit der Zigarette machte ihn verantwortlich für das, was geschehen war. Und seine Kollegen vermutlich auch. Doch damit musste er nun einmal zurechtkommen.
Carl warf einen prüfenden Blick zu dem Karton mit Leon Vogts Sachen. Er stand neben seinen Füßen. Allmählich durchweichte der Regen die Pappe.
Er zog die Schultern hoch. Der Wind blies kalt.
Es war nicht seine Idee gewesen, die Leitung der Sonderkommission »Innen« zu übernehmen. Ganz im Gegenteil. Zu viel war in den letzten Jahren geschehen. Es war ein Wunder, dass er die Kurve gekriegt hatte. Gerade so. Er hatte sich darauf eingerichtet, noch ein paar Jahre Dienst nach Vorschrift zu machen und dann in Frühpension zu gehen.
Warum auch nicht? Er hatte sein Leben dem Landeskriminalamt geschenkt. Alles, wirklich alles hatte er für den Job aufgegeben. Er hatte es sich verdient, die letzten Jahre eine ruhige Kugel zu schieben. Am Schreibtisch, wenn irgendwie möglich. Aber jetzt stand er hier. Durchgefroren. Todmüde. Und musste sich auch noch dumm von Kollegen anstarren lassen.
»Blödes Arschloch«, knurrte er, als der rauchende Kommissar wieder zu ihm herübersah.
»Wie bitte?«
»Du hast mich schon verstanden.« Carl wusste, dass es klüger wäre, die Klappe zu halten, aber es war ihm gleich.
Der Kommissar mit dem faltenzerfurchten Gesicht schnippte die Kippe zu Boden und zertrat sie unter dem Hacken seines Schuhs. Er deutete zu dem Rettungswagen, dabei ließ er Carl keine Sekunde aus den Augen. »Wie fühlt man sich, wenn man einen Kollegen fertiggemacht hat? Leon hat eine Frau und einen Sohn. Na, bist du stolz auf dich?«
Jetzt wäre der Moment gewesen, sich umzudrehen und davon zu gehen, aber etwas in Carl schien auf Streit aus zu sein. Er trat auf den Raucher zu.
»Du redest Blödsinn.« Carl spürte, wie sein Herz schneller schlug. Sein Gegenüber war einen halben Kopf größer als er und durchtrainiert dazu, doch das war ihm gleich. »Meine Kollegen und ich sind nicht dafür verantwortlich, was geschehen ist, also verpiss dich.«
»Ach? Und was, wenn nicht?« Der Raucher legte den Kopf schief und grinste ihn herausfordernd an.
Carl presste den Kiefer zusammen. Wie von alleine ballten sich seine Hände zu Fäusten.
Auf einmal spürte er, wie jemand seinen rechten Unterarm berührte.
Paula.
»Na, was ist denn nun?«, höhnte der Raucher. Er verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen.
Paula zog an seinem Arm. »Nicht.«
Auf einmal kam er sich dämlich vor. Um ein Haar wäre er auf einen Kollegen losgegangen. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Carl wandte sich ab.
Paula machte Anstalten, sich nach dem Karton zu bücken, doch er kam ihr zuvor.
»Haben Sie etwas in Erfahrung gebracht?«, fragte er seine Kollegin nach ein paar Schritten. Verdammt, war der Karton schwer.
»Ein wenig. Von einem der Rettungssanitäter.«
»Und?«
»Es ist eine Schussverletzung.«
»Eine was?«
»Hauptkommissar Leon Vogt hat sich eine Kugel eingefangen. Hier.« Paula deutete auf ihre linke Seite.
Kein Wunder, dass der Kommissar so furchtbar ausgesehen hatte. Erstaunlich, dass er sich trotz der Wunde überhaupt auf den Beinen gehalten hatte.
»Was hat der Sanitäter gesagt? Kommt er durch?«
Paula zuckte mit den Schultern. »Der Kommissar hat ziemlich viel Blut verloren. Wahrscheinlich hat er auch innere Verletzungen, meinte der Sanitäter, doch das können sie erst sagen, wenn er genauer untersucht wurde. Erst einmal ist es ihnen gelungen, seinen Zustand einigermaßen zu stabilisieren. Sie wollen ihn ins Benjamin-Franklin bringen. Da ist er wohl am besten aufgehoben. Alles Weitere wird sich dann zeigen.«
»Wann werden wir ihn befragen können?«
»Er ist bewusstlos, Herr Hauptkommissar. Wann er aufwachen wird, steht in den Sternen.«
Falls er aufwachte.
Carl atmete langsam ein. Der Karton in seinen Armen wurde schwerer und schwerer. Wieso war Leon Vogt angeschossen worden? Und von wem? Wenn es etwas mit ihren Ermittlungen zu tun hatte, dann …
»Sie machen sich Vorwürfe«, riss ihn Paula aus seinen Gedanken.
Er blieb stehen und sah sie an. »Vorwürfe?«
»Was war das eben mit Ihnen und dem Kerl vom Dezernat 34?«
»Eine kleine Meinungsverschiedenheit unter Kollegen, nicht mehr.«
»Für mich sah es aus, als würden Sie Streit suchen.«
Er erwiderte nichts.
»Sagen Sie mir, dass Sie es nicht darauf angelegt haben, zusammengeschlagen zu werden.«
»Zusammengeschlagen? Ich?«
»Der Kerl war ein Riese mit Oberarmen wie Baumstämme. Er hätte Sie auseinandergenommen, Herr Hauptkommissar. Ist das Ihre Art, Schuldgefühle zu bewältigen?«
»Reden Sie so, weil Ihre Mutter Psychologin ist oder hat man Ihnen den Schwachsinn im Studium beigebracht?«
»Sie können nichts dafür, dass wir gegen Leon Vogt ermitteln. Wir erledigen unseren Job. Unvoreingenommen. Aber wenn sich herausstellen sollte, dass er sich nicht korrekt in den Ermittlungen gegen Staatssekretär Amann verhalten hat, muss er die Konsequenzen tragen. Wie jeder, der das Gesetz bricht.«
»Unvoreingenommen?« Carl schnaubte. »Sagen Sie das einmal der Presse. Für die steht seine Schuld fest.«
»Schon möglich, aber Sie können das nicht ändern. Sie müssen darauf achten, dass Sie professionellen Abstand zu den Ermittlungen wahren. Sie sind zu engagiert.«
»Wie kann man als Polizist zu engagiert sein? Was wir tun, ist kein Beruf, sondern eine Berufung.«
»Wann sind Sie gestern Abend nach Hause gegangen? Gegen Mitternacht?«
»So ungefähr.« Tatsächlich hatte er die halbe Nacht am Schreibtisch verbracht, um die Akten der Soko noch einmal durchzugehen. Er hatte ein paar Stunden zusammengerollt auf einem Sofa geschlafen. Sein Jackett hatte er als Kopfkissen verwendet.
»Haben Sie in letzter Zeit mal in einen Spiegel geschaut, Herr Hauptkommissar?«
Das hatte er nicht, aber wenn er so aussah, wie er sich fühlte, wusste er, was Paula meinte.
»Der Fall ist wichtig«, erwiderte er. Wieso verstand seine Kollegin nicht, weshalb er sich so in die Ermittlungen vertiefen musste?
»Darauf hat der Herr Innensenator immer wieder hingewiesen, ich weiß.«
»Ich leite die Sonderkommission. Ich habe es mir nicht ausgesucht, aber ich trage nun einmal die Verantwortung. Was bleibt mir denn anderes übrig?«
»Gerade, weil Sie so viel Verantwortung tragen, müssen Sie einen klaren Kopf behalten. Wie wollen Sie das Team führen, wenn Sie völlig übermüdet sind und kaum einen klaren Gedanken fassen können?«
»Blödsinn.« Sein Rücken schmerzte. Carl stellte den Karton vor sich auf den Boden. Er reckte sich.
»Ach wirklich? Sie lassen sich von den Ermittlungen aufreiben. Wem nützt es, dass Sie völlig übermüdet sind? Um sich irgendwie auf den Beinen zu halten, kippen Sie einen Kaffee nach dem nächsten rein. Gesund ist das nicht. Jede Wette, dass Sie deswegen so gereizt sind.«
»Gereizt? Ich?«
»Allerdings. Sie sind ein Pulverfass. Sie bemühen sich, es zu verbergen, aber wenn Sie auf Kollegen losgehen, ist das ein eindeutiges Zeichen. Verstehen Sie nicht, dass Ihr Verhalten unsere Arbeit behindert?«
Die Worte trafen ihn wie einen Schlag in die Magengrube. Er riss sich für das Team den Arsch auf und wie wurde es ihm gedankt?
Paula hob die Hände. »Herr Hauptkommissar, jeder im Team weiß, dass Sie sich für uns aufreiben. Und welcher Druck auf Ihnen lastet. Aber wir brauchen Sie. Und weil wir Sie brauchen, müssen Sie besser auf sich aufpassen. Gehen Sie nach Hause. Es bringt doch nichts, wenn Sie noch eine Nacht im Büro verbringen. Nehmen Sie eine heiße Dusche und dann legen Sie sich hin.«
Schlafen. Nur für ein paar Stunden. Es klang so verlockend. »Und was ist mit den Ermittlungen?«
Sie trat auf ihn zu und legte ihm sanft die Hand auf die Schulter. »Harms und Engels wissen, was sie tun und ich unterstütze die beiden, so gut ich kann. Für ein paar Stunden kommen wir auch ohne Sie aus. Schlafen Sie ein wenig. Und wenn Sie wieder bei Kräften sind, ziehen Sie ein paar frische Klamotten an. Denken Sie, es ist niemanden aufgefallen, dass Sie seit vier Tagen dieselben Sachen anhaben? Und da wir gerade dabei sind, Deo und eine frische Rasur würden auch nicht schaden.«
Sah er tatsächlich so schlimm aus? Wenn er seiner Kollegin zuhörte, klang es, als würde er wie ein Penner herumlaufen. Carl warf einen Blick auf seine Armbanduhr.