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Auf einmal war das Betreten der Ostseeinsel Fehmarn verboten! Es war eine ganz besondere Situation zu Beginn der Corona-Pandemie im Jahr 2020, als die Inseln in Schleswig-Holstein abgeriegelt wurden, auch die mit einer Brücke - das Urlaubsparadies Fehmarn. Es bedeutete, dass alle Feriengäste die Insel verlassen mussten und acht Wochen lang keine mehr kommen durften. Die Insulaner waren unter sich - so wie seit über siebzig Jahren nicht mehr. Das machte Elke Rathsfeld und Claudia Czellnik, beide auf Fehmarn lebend, neugierig, ob dazu die Inselbewohner und ihre Festlandnachbarn Worte finden würden, die zu Beiträgen für dieses besondere Buch erwachsen könnten. Willkommen waren persönliche Eindrücke wie auch fiktive Texte aus der Zeit des coronabedingten Lockdowns. So entstand diese Sammlung aus ganz unterschiedlichen Werken wie Kurzgeschichten, Krimis, Slam, Gedichten, Satire und Fiktion. Tauchen Sie mit uns ein in diese außergewöhnliche Zeit: Fehmarn hat zu!
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Seitenzahl: 138
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Vorwort
Fehmarn eben!
Kennst Du die Situation?
Schönheiten
Osterspaziergang
Alleine auf Fehmarn?
Sperrzone Spielplatz
Die Pandemie machte es möglich
Das kleine Corona
Hintertüren
Haben Sie Ihren Schnutenpulli dabei?
Sonnenuntergänge
Testament
Fraktale einer Ethik in Corona-Zeiten
Ich wünscht‘
Hühner sind auch nur Menschen
Weit weg von der Insel
Glauben Sie an Bitcoins?
Das Flügelhorn
Du bist gar kein Clown
Logik
Reif für die Insel
Singen ist unser Glück!
Die stille Zeit
Coronazeit
Coronageschichte
Zurzeit sind „Superlative out"?
Liebesglück in diesen Zeiten
Anregung
Vom Virus
Die Zeiten haben sich geändert?
Corona Demo
Es ist (fast) wie immer
Der letzte Gulasch 2030
Es kommen wieder bessere Zeiten!
Gedanken
Maskenpflicht auf der Arche?
Die Autoren und Autorinnen
Im März dieses denkwürdigen Jahres 2020 passierte plötzlich, was keiner von uns allen je zuvor erlebt hatte. Grenzen schlossen, Betriebe schlossen, Schulen schlossen, Urlauber fuhren nach Hause, und vor der Brücke stand für viele Wochen eine improvisierte Polizeistation. Manche Insulaner fühlten sich dadurch beschützt, andere wiederum hatten ein mulmiges Gefühl.
Bei einem Strandspaziergang mit den Hunden fragten wir uns, was nun wohl alle so tun würden. Was würden besonders die Schüler und die Lehrer, was würden Eltern und Verwandte tun? Allgemein schienen alle zuerst einmal verblüfft, und auch das schnell einsetzende Homeschooling wurde doch sehr unterschiedlich gehandhabt. So entstand zunächst die Idee, ein Schreibprojekt für Schüler, Lehrer und Eltern auszurufen. Die Resonanz war positiv, denn viele schrieben uns, wie toll sie die Idee finden würden. Und die Resonanz war ernüchternd, denn zum Thema „Fehmarn hat schulfrei“ kam exakt ein Text ins elektronische Postkästchen geflattert. Es kamen außerdem zwei weitere Texte, die aber nicht von Fehmarn stammten, sondern dem angrenzenden Festland. Und also mussten wir uns eingestehen, dass wir die Sache mit dem Schreibprojekt für Schüler und Lehrer zwar für eine gute Idee gehalten hatten, aber damit nicht vorankamen. Während die Insel herrlich ruhig uns zu Füßen lag, die Tierwelt sich langsam die leeren Straßen zurückeroberte und die Temperaturen stiegen, beschlossen wir, das Thema zu ändern. Warum sollten nicht alle Insulaner etwas schreiben über ihre ganz persönliche Auszeit während des Lockdowns? Warum gaben wir das Thema nicht einfach frei für alle, die erfinden, fabulieren, berichten wollten?
Als wir dann den Titel in „Fehmarn hat zu“ änderten, lief es plötzlich. Es kam Interessantes von der Insel und auch aus der Nachbarschaft.
Jedem Schreiber wurde völlig freie Hand gelassen, und dadurch entstand ein buntes Mosaik aus persönlichen Erlebnissen, Eindrücken, Meinungen und Fiktionen.
Während wir noch lektorierten, konnten im Sommer bei der Veranstaltung BaeltKunst bereits erste Texte unseres Mitmachbuches öffentlich gelesen werden.
Nun, im November, sind wir, wie befürchtet, im zweiten Lockdown, wenn auch „light“, und das Büchlein ist fertig. Eigentlich
könnte man nun weiter schreiben und weitere Beiträge erbitten. Es soll nun aber erscheinen, greifbar und lesbar für alle sein und wenn Sie, liebe Leserin und lieber Leser, diese Zeilen lesen, dann ist es geschafft und das Mitmachbuch ist gedruckt.
Elke Rathsfeld & Claudia Czellnik
Fehmarn im November 2020
Die gesamte Insel scheint wie eine Geisterstadt.
Zuerst ist es besonders und mal anders als sonst,
doch dann hat man es irgendwann satt.
Die Farben der Tage sind trüb und grau,
wie eine dicke Wolke, die Sorgen verbreitet,
und es ist schwer, sie zu verbiegen,
sie lässt sich nicht einfach verschieben.
Doch der Himmel hier oben, trotzdem so schön und so weit
wie eine Hand voll blauer Heiterkeit.
Und eines wissen wir auch in dieser Zeit mit Sicherheit:
Andere sitzen nur dort in ihren engen Wohnungen.
Kaum Platz, kaum Luft zum Atmen,
verdammt zum ewigen Warten,
träumen nur von einem großen Garten,
wissen erst jetzt wirklich, was Freiheit ist
und werden sehnsüchtig von der Welt vermisst.
Kein Strand, kein Meer,
keine angenehm warme Sommerluft
mit dem unverkennbaren Erdbeerduft.
Kein feuerroter Sonnenuntergang
mit den Vögeln und ihrem lieblichen Klang,
kein Spazierengehen auf leeren Stegen
und sandig nassen Strandpromenadenwegen.
Hier auf Fehmarn wissen wir, wie man die Quarantäne
auf angenehme Weise verbringt.
Hier gibt es so viel zu erleben, zu tun und zu machen.
Hier gibt es Freiheit und Weite und immer was zu lachen.
Das Meer direkt vor der Nase.
Maske auf und vorsichtig sein, auf dem Land, am Strand
oder in der Stadt, ganz egal,
nur dass es klappt.
Zwar ist auch bei uns vieles ganz anders, aber auch vieles
ganz gleich.
Das schimmernde Goldbraun der Sonne und Felder,
das saftige Grüne der Wiesen und Wälder,
das nordische Blaue des Meeres und Himmels,
das natürliche Bunte des Klanges des Vogels
und das wollige Weiße der Wolken und Schafe.
So fühlt es sich an, dass Corona einem gar nicht so nah
kommen kann.
Da kann man doch sagen, so lässt es sich leben.
Kurz gesagt: Fehmarn eben.
Slam von
Marisa Störtenbecker
Man fährt entspannt und nichts ahnend auf der Autobahn, und plötzlich muss man fast eine Vollbremsung tätigen, weil man gerade am Ende eines mächtigen Staus angekommen ist. Eines nicht im Funk angekündigten Staus, weil sich ein Unfall gerade erst ereignet hatte.
Ich denke, jeder Mensch hat das schon mal erlebt, ob als Fahrer oder Beifahrer.
Plötzlich ist die Fahrt zu Ende.
Man kann nicht weiter, man kann aber auch nicht umdrehen, nur abwarten und durchhalten.
Man braucht ein Weilchen, bis man die Situation eingeschätzt und begriffen hat und kann ab jetzt nur warten.
Situationsbedingt … Fremdbestimmt …
Man kämpft auch kurz gegen ein schlechtes Gewissen, denn obwohl man emphatisch ist, schießt einem dennoch folgender Gedanke durch den Kopf: „Oh, das passt mir aber GAR nicht in den
Kram!“
Und eine andere Stimme im Kopf antwortet blitzschnell:
„Du da, den Betroffenen vorne gehts viel schlechter jetzt als dir, und in deren Leben hat das Schicksal viel mächtiger eingegriffen als in deins...“
Tja, so hat mein Frauchen mir die Öhrchen voll gejammert. So hat sich wohl für sie der Corona „Einmarsch“ in ihr Leben angefühlt. Gestatten Sie - ich bin ein schwarzer Kater, jung und majestätisch, und bei mir wohnt eine Musikerin und Künstlerin.
Ich kann sie ziemlich gut ertragen!
Sie freut sich immer so, meine Futterdosen aufmachen zu dürfen, und natürlich darf sie auch mit ins Bett.
Sie muss viel arbeiten, damit sie mir ein angenehmes Leben bieten kann.
Dafür muss ich aber fast täglich auf mein Frauchen warten.
Ich wünschte mir, sie müsste gar nicht aus dem Haus gehen. Und plötzlich war mein Wunsch fast erfüllt: Das öffentliche Leben war abrupt eingestellt, und somit war auch die Arbeit meines Frauchens stillgelegt. In der ersten Woche fand sie keine Ruhe, fühlte sich überrumpelt und hat kaum zehn Minuten stillgehalten. Ich dachte – wenn das jetzt so bleibt, dann kann sie lieber doch wieder für paar Stunden aus meinem Haus verschwinden und auch gerne den kläffigen Hund mitnehmen, den wir auch noch am Hals haben.
In der zweiten Woche hat sie versucht, die Situation in den Griff zu bekommen. Sie konnte sogar ganz herzlich lachen, als sie mit dem ganzen Kofferraum voller Futter und Katzenstreu nach Hause kam und meinte: „Ich kaufe IMMER so für den ganzen Monat ein und denke an nichts, außer an Bequemlichkeit dabei, aber jetzt könnte ich als Hamster-Käuferin abgestempelt werden!“
Und dann sind ein Auftritt nach dem anderen und ein Auftrag nach dem anderen coronabedingt ausgefallen.
Auch ihre geliebte Orgel in der Kirche durfte sie nicht bespielen, und das zu Ostern! Mein Frauchen hatte richtige Existenzängste und vermisste schmerzlich die Kreativität. Teilweise saß sie still auf der Couch und hat Löcher in die Luft gestarrt, die langsam eine unglaubliche Größe erreichten. Und außer bei zwei Leuten, die ihr besonders wichtig sind, hat sie sich auch streng an die Kontaktsperre gehalten.
Das war meine Sternstunde!
So viel und so lange habe ich noch nie auf ihrem Schoß liegen können!
Wenn ich egoistisch wäre, hätte ich mir ihr „Nichtstun“ für immer gewünscht.
Aber dann wäre mein Frauchen nicht glücklich, und das hätte ich nicht zulassen können.
Besonders verwirrt war sie, als sie plötzlich nicht nach Fehmarn durfte, was noch vor kurzem eine Selbstverständlichkeit für sie war. Ich habe sie sogar zu ihrem sehr guten Freund und Künstlerkollegen, der auf Fehmarn wohnt, sagen hören: „Das ist ja befremdlich, plötzlich irgendwo nicht sein zu dürfen, wo man sich noch vor kurzem wie zu Hause fühlte und sogar weiß, wo das Nutella-Glas steht.“
Eines Tages leitete mein Frauchen ihre angestaute Energie in eine Tat, die sie schon länger geplant, aber nicht umgesetzt hatte. Sie zerlegte mit einer Säge eine Couch, die längst hätte entsorgt werden müssen. Die war so monströs und schwer, dass man sie nicht mal ein kleines Stück bewegen konnte, und so wurde sie in Einzelteile zerlegt, um sie leicht nach draußen zu tragen.
Ich habe mein Frauchen noch nie so gesehen!
Sie sah verdammt zufrieden aus und meinte, der Dornröschen-Schlaf sei zu Ende. Das habe ich nicht ganz verstanden, genauso wie ihre unmögliche Undankbarkeit, als ich ihr aktiv helfen wollte mit der Couch.
Aber es ist nicht schlimm, als Künstlerin darf sie auch mal merkwürdig sein.
Es geht immer nach vorne, das habe ich nun auch als Katze gelernt! Obwohl die Corona-Pandemie noch lange nicht vorbei ist, hat mein Frauchen, wie viele andere Künstler auch, neue kreative Wege eingeschlagen und sieht viel glücklicher aus!
Und auf ihrem Schoß darf ich mich immer noch wie ein riesiger Pfannkuchen ausbreiten.
Sie hat dieses Kapitel mit einem kurzen Gedicht abgeschlossen:
Die Sonne schneit.
Ja, schneit, nicht scheint!
Nicht alles bleibt, wie‘s früher war.
Mal kommt‘s, dass auch ein Stummer schreit,
Und weiter geht's ...
Das ist doch wahr.
Ich persönlich habe vom „zu Hause bleiben“ profitiert und das auch in allen Zügen genossen!
Nein – das habt ihr jetzt wohl nicht gedacht – das habe ich herbei geschworen, weil ich eine pechschwarze Katze bin???
Polina Abu Saymeh
Polina
Im Garten, ja im Garten
viele Schönheiten auf uns warten.
Wenn ich dort ruhig wandere,
erscheint mir eine hübscher als die andere:
Die Blumenblüte
in all' ihrer farbigen, berauschenden Pracht,
eine Szenerie, die mir so herzlich entgegenlacht,
mich so richtig glücklich macht!
Der leise Wind lässt sie freundlich grüßend nicken,
zu des Betrachters großem Entzücken.
Eine jede hat ihr eigenes, meist strahlendes Gesicht,
von auffallend, protzend, bis hin zu eher schlicht.
Kann mich nicht entscheiden,
welche ich wohl mag besonders leiden.
Mein Blick fällt auf einen blauen Enzian,
eine Blüte, in seltenem Gewand:
Sie soll es sein - für eine Weile mein!
Möchte sie gern pflücken, brauch' mich nur zu bücken:
Doch es strauchelt meine Hand.
Im Garten, ja im Garten,
mögen auch weiterhin solche Schönheiten auf uns warten.
Ingrid Witt
Der Himmel Fehmarns, uns übergestülpt wie eine riesige Käseglocke im noch etwas blassen Azurblau eines Frühlingstages. In diesem mächtigen, gewölbten Raum breitet sich Stille aus, Innehalten einfordernd – hier und jetzt hält alles den Atem an.
Nichts stört die makellose Himmelsbläue hoch oben, kein sonst so geschäftiges, silbrig glänzendes Flugzeug, eilige Kondensstreifen hinterlassend. Und auch hier unten – es scheint an diesem Tag ein Wagnis zu sein, so wenige Fahrzeuge oder Fußgänger unterbrechen die allgegenwärtige Stille.
Aber es gibt auch Dinge, die jetzt mehr hervortreten: auf nahezu unberührt scheinenden Deichen das leuchtende Grün, durchbrochen von ungewöhnlich großen und farbigen Inseln aus Frühlingsblumen, unversehrt von den Spuren der in diesem Jahr ausbleibenden Osterspaziergänger.
Und auch die Tiere: sie erobern sich einen Teil ihres Lebensraums in diesen stillen Tagen zurück, der ihnen sonst durch unser allgegenwärtig Sein und unsere Geschäftigkeit beschnitten wird. Wo sonst eine Kette von Spaziergängern und Radfahrern die Deichkrone säumt, watscheln und schnattern Gänse. Graureiher quittieren unsere Gegenwart mit scheuem Auffliegen, mit elegantem Flügelschlag den sicheren Abstand wahrend. Kaninchen ducken sich mümmelnd im Grün oder schlagen Haken.
Während wir staunend und zugleich vorsichtig als einsames Spaziergängerpaar diese so veränderte Landschaft wahrnehmen, unseren Weg suchend, als ob wir verspätet an unsere Plätze in einem Konzertsaal gelangen wollten – das Bedürfnis, diese dargebotene Komposition nur ja nicht zu stören.
Am Ende eines ausgedehnten Spaziergangs steigen wir in unser Auto, in uns ruhend und versammelt, wie es nur selten geschieht – es war ein Tag, der noch lange in uns nachklingen wird.
Stephan von Brandis
Meine Fahrt geht rasant vom Hafen Orth über Petersdorf und Landkirchen bis zur Europastraße 47. Ich fahre schnell, es ist ja auch nichts los, die paar Menschen sind in ihren Häusern oder Wohnungen. Wir erleben gerade den ersten Lockdown in der Corona-Pandemie. Auf der Insel dürfen nur die Menschen sein, die hier gemeldet sind. Trotz des Notfalls, der mich zum Rasen veranlasst, geht mir durch den Kopf, dass am 16. März 2020 vor dem Einwohnermeldeamt in Burg auf Fehmarn ein unerwarteter Ansturm von Zweitwohnungsbesitzern herrschte, die ihren Status ändern wollten, um Fehmarn nicht verlassen zu müssen.
Aber das ist mir jetzt vollkommen egal. Ich muss runter von der Insel. Ich nehme die Auffahrt zur E 47, der Vogelfluglinie.
Auf dem ganzen Weg ist mir kein Auto begegnet, und auch auf der sonst vielbefahrenen Bundesstraße bin ich mutterseelenallein. Mich gruselt es. Ist noch etwas Schlimmeres passiert? Gab es einen Giftgasalarm? Oder einen altmodischen Bombenalarm? Hat das neue Corona-Virus schon alle Insulaner dahingerafft? Habe ich als einzige überlebt? Oder wurden alle Menschen auf einen anderen Planeten entführt? Landet gleich ein Ufo, um auch mich einzukassieren? Das kann doch nicht sein, dass ich ganz alleine auf der Insel bin. Mir ist unheimlich zumute. Ich habe gerade die Burger Altstadt vor meinem geistigen Auge, auch hier komme ich mir vor, als hätten wir eine Apokalypse erlebt. Kein Mensch weit und breit, ein, zwei Autos parken dort, wo sich sonst die Blechlawinen ergießen. So sehr wir in der Saison in unserem Urlaubsparadies über die Menschenmassen staunen, diese Stille und Leere gibt mir ein ausgesprochen mulmiges Gefühl.
Die Fehmarnsundbrücke erhebt sich vor mir, lässt mich zwischen ihren Bögen durchfahren. Zum Glück steht sie da wie immer. Es wäre nicht auszudenken, wenn sie gesprengt worden wäre, um die Insel konsequent abzuriegeln. Dann wären wir gefangen auf dem schönen Eiland. Wir kämen hier nicht weg. Die Sundfähren sind längst verschrottet, einen anderen Weg nach Süden auf das Festland gibt es nicht.
Ich bekomme es mit der Angst zu tun, wie wird es auf dem Festland aussehen? Gibt es da noch Menschen? Hinter mir wimmert es. Ach meine süße Trixi, merkst du als wachsame Hündin auch, dass alles anders ist? Und wir müssen die Insel verlassen, weil du dich im Reet hinter dem Deich verletzt hast. Wir fahren jetzt zum Tier-Notdienst nach Heiligenhafen, damit deine Pfote behandelt werden kann, du Tapfere. Stell dir vor, wir beide wären die letzten Lebewesen auf dieser Welt, dann gingen wir auf der Autobahn Gassi – wie in einem Weltuntergangsfilm. Das möchte ich nicht mal in einem schlechten Traum erleben, wo wir doch auf der Insel so schöne Strände haben.
Ich sehe Gestalten! Neongelb gekleidete Menschen mit deutlich sichtbaren weißen Mund-Nasen-Schutz-Masken im Gesicht stehen auf der anderen Fahrbahnseite Richtung Fehmarn an einer imposanten provisorischen Polizeistation. Da kommt wirklich keiner auf die Insel, ohne sich auszuweisen. Mein Weg ist allerdings frei. Gut, dann fahre ich mal ungehindert in die große weite Welt zum Hundedoktor. Und auf die Insel werden Sie uns ganz bestimmt fahren lassen, denn ich wohne doch dort. Und wenn nicht?
Claudia Czellnik
Überforderte Erwachsene und Kinder auf unserem Spielplatz in Corona-Zeiten!
Mein Haus liegt gegenüber von einem Spielplatz in einem Dorf mit ungefähr tausend Einwohnern.
Kurz nach dem Beginn des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020:
Situation 1
Ich beobachte, wie ein Vater sich mit seinem Kind auf dem eigentlich gesperrten Platz amüsiert. Ich denke: 'Okay, weit und breit ist niemand zu sehen. Also, was soll's.' Doch was ist, wenn andere Kinder aus ihren Häusern heraus dieses Treiben beobachten? Und eigentlich gäbe es in unserem Dorf ausreichend Gelegenheit für Auslauf. Außerdem hätte der Vater vielleicht doch die Möglichkeit, an den Strand zu fahren.
Situation 2
Eine Großmutter geht mit ihrer Enkelin auf den Spielplatz und schaut die ganze Zeit verunsichert zu mir, die in ihrem Vorgarten arbeitet, hinüber. Und sie guckt nach rechts und links und immer wieder zu mir. Ich erlöse sie aus ihrer Situation, indem ich sie anspreche. Sie zeigt sich erleichtert, dass sie mit mir reden kann. Ob sie denn auf den Platz dürfe, es sei doch niemand da. Nein, antworte ich, aber ich sei nicht vom Ordnungsamt. Es entwickelt sich ein längeres, intensives Gespräch, das mir zeigt, dass diese Frau überfordert ist – wie viele von uns – in den Corona-Zeiten.