Feral Moon 2: Der schwarze Prinz - Asuka Lionera - E-Book
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Asuka Lionera

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Beschreibung

**Wenn dein Feind deinem Herzen am nächsten ist** Niemals hätte Scarlet zu hoffen gewagt, ihrer ersten großen Liebe noch einmal zu begegnen. Doch als sie Tristan endlich wiedersieht, hat sich vieles verändert. Aus dem kleinen Dorfmädchen ist eine mutige Kriegerin geworden, deren Herz an der Seite eines anderen zu neuer Stärke fand. Und er ist es auch, der sich immer wieder, ohne zu zögern, zu ihr und ihren Wünschen bekennt. Verwirrt von ihren eigenen Gefühlen lässt sich Scarlet von der eigentlichen Gefahr ablenken und erkennt nicht, dass die grausamen Bestien aus den Wäldern ihr bereits näher sind, als je zuvor... //Dies ist ein Roman aus dem Carlsen-Imprint Dark Diamonds. Jeder Roman ein Juwel.// //Alle Bände der dramatisch-düsteren Reihe »Feral Moon«: -- Band 1: Feral Moon. Die rote Kriegerin -- Band 2: Feral Moon. Der schwarze Prinz -- Band 3: Feral Moon. Die brennende Krone//

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Dark Diamonds

Jeder Roman ein Juwel.

Das digitale Imprint »Dark Diamonds« ist ein E-Book-Label des Carlsen Verlags und publiziert New Adult Fantasy.

Wer nach einer hochwertig geschliffenen Geschichte voller dunkler Romantik sucht, ist bei uns genau richtig. Im Mittelpunkt unserer Romane stehen starke weibliche Heldinnen, die ihre Teenagerjahre bereits hinter sich gelassen haben, aber noch nicht ganz in ihrer Zukunft angekommen sind. Mit viel Gefühl, einer Prise Gefahr und einem Hauch von Sinnlichkeit entführen sie uns in die grenzenlosen Weiten fantastischer Welten – genau dorthin, wo man die Realität vollkommen vergisst und sich selbst wiederfindet.

Das Dark-Diamonds-Programm wurde vom Lektorat des erfolgreichen Carlsen-Labels Impress handverlesen und enthält nur wahre Juwelen der romantischen Fantasyliteratur für junge Erwachsene.

Asuka Lionera

Feral Moon 2: Der schwarze Prinz

**Wenn dein Feind deinem Herzen am nächsten ist** Niemals hätte Scarlet zu hoffen gewagt, ihrer ersten großen Liebe noch einmal zu begegnen. Doch als sie Tristan endlich wiedersieht, hat sich vieles verändert. Aus dem kleinen Dorfmädchen ist eine mutige Kriegerin geworden, deren Herz an der Seite eines anderen zu neuer Stärke fand. Und er ist es auch, der sich immer wieder, ohne zu zögern, zu ihr und ihren Wünschen bekennt. Verwirrt von ihren eigenen Gefühlen lässt sich Scarlet von der eigentlichen Gefahr ablenken und erkennt nicht, dass die grausamen Bestien aus den Wäldern ihr bereits näher sind, als je zuvor …

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Vita

Bonuskapitel

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© rini

Asuka Lionera wurde 1987 in einer thüringischen Kleinstadt geboren und begann als Jugendliche nicht nur Fan-Fiction zu ihren Lieblingsserien zu schreiben, sondern entwickelte auch kleine RPG-Spiele für den PC. Ihre Leidenschaft machte sie nach ein paar Umwegen zu ihrem Beruf und ist heute eine erfolgreiche Autorin, die mit ihrem Mann und ihren vierbeinigen Kindern in einem kleinen Dorf in Hessen wohnt, das mehr Kühe als Einwohner hat.

Ich meinte nur, mein Herz sei Eurem so verbunden, dass nur EIN Herz in beiden wird gefunden.

William Shakespeare (Ein Sommernachtstraum)

SCARLET

KAPITEL 1

Ich weiß nicht, wie lange Tristan und ich halb erstarrt dastehen und uns ansehen. Es kommt mir endlos vor, als wären Stunden vergangen. Völlig gleichgültig im Übrigen, denn die verstrichene Zeit reicht nicht aus, um mich begreifen zu lassen, dass er tatsächlich hier ist.

Tristan.

Direkt vor mir. Er lebt. Und er sieht fast genauso aus wie früher – gleichzeitig auch wieder nicht. Schon immer war er größer als ich, doch er scheint noch ein paar Zentimeter gewachsen zu sein. Sein Rücken ist breiter. Ebenso wie Hals und Kiefer.

Das ist nicht mehr der Junge, der er einst war. Nein. Mein Prinz, hinter dem ich hergetapst bin, seit ich laufen konnte, ist zu einem Mann geworden. Dennoch habe ich ihn sofort erkannt, obwohl ich ihn zunächst für bloße Einbildung hielt. Doch dann hat er mich angesehen und mit mir gesprochen. Er hat mich ebenfalls erkannt – und ich wusste, dass es keine Einbildung, kein Traum sein konnte.

Ich habe ihn bluten sehen … seine Schreie gehört, die mich in meinen dunkelsten Albträumen heimgesucht haben. In der Nacht, als wir beide fliehen und uns eine gemeinsame Zukunft aufbauen wollten, wurden Tristan und ich von zwei Ferals überrascht. Ich kam knapp mit dem Leben davon, aber Tristan … Er hatte so viel Blut verloren, war so blass – er hätte unmöglich überleben können!

In dieser schrecklichen Nacht wollte ich auch sterben, doch Ash bewahrte mich vor dem Tod – und die Narben an meinem Rücken erinnern mich immer wieder daran, was damals geschah.

Es hat Jahre gedauert, bis ich über Tristans Tod hinwegkam. Vielleicht bin ich das nie wirklich. Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts mehr, denn alles, was ich tun kann, ist hier zu stehen und in die hellvioletten Augen meines Prinzen zu starren. Ich will ihn berühren, seinen Atem auf meiner Haut spüren, um mir sicher sein zu können, dass er keine Ausgeburt meiner Fantasie, sondern real ist. Ich will …

Mein Nexus piept und Ashs Gesicht taucht in meinem Kopf auf. Schnell schüttele ich mich und blocke ihn ab. Ich weiß, dass er nur ein paar Meter hinter mir steht, aber ich will nicht, dass er irgendwas von den wirren Gedanken erfährt, die zusammenhanglos auf mich einströmen. Ich verstehe selbst nicht, was hier vor sich geht, und ein Teil von mir will es auch nicht verstehen.

Der Teil, der immer Tristan gehört hat, aber bis eben tief in mir verschüttet lag, schreit nun lauter denn je und übernimmt mein Handeln und Fühlen.

Tristans Haare sind kürzer als früher, fällt mir auf; sie hängen ihm nicht mehr so tief in die Stirn. Er hat die Brauen sorgenvoll zusammengezogen, als verstünde auch er nicht, was hier gerade vor sich geht. Ich kann es ihm nicht verdenken. Auch in meinem Kopf herrscht ein solches Chaos, dass ich keine Ahnung habe, wie ich reagieren soll.

Mein Blick huscht zu der Hand, die er mir noch immer entgegenstreckt.

»Tristan«, hauche ich tonlos.

Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich seinen Namen zuletzt ausgesprochen habe. Es muss lange her sein. Ich wollte ihn ebenso wie die blutigen Erinnerungen in mir einschließen und nach vorn blicken. Doch jetzt, nachdem ich den Namen ausgesprochen habe, bin ich mir sicher, dass es nicht so einfach ist. Tristan war immer da, irgendwie; denn seit meiner frühsten Kindheit war er ein Teil von mir. Scarlet und Tristan. Tristan und Scarlet. Wo der eine auftauchte, konnte der andere nicht weit sein. Wir hielten zusammen, wuchsen gemeinsam auf und irgendwann … Irgendwann war da mehr zwischen uns. Doch wir waren jung. So jung. Wir wussten nicht, was das für Gefühle waren, die plötzlich in uns schwelten, wenn wir den anderen ansahen.

Wir waren Kinder und dennoch bereit, alles zu opfern und jede Sicherheit aufzugeben, um zusammen sein zu können.

Und nun … sind wir keine Kinder mehr. Meine Gedanken sind genauso wirr wie die Gefühle, die in mir toben. Vor mir steht Tristan! Lebendig – abwartend.

Ohne weiter zu zögern, ergreife ich seine Hand und mache einen Schritt auf ihn zu.

Anschließend passiert so vieles gleichzeitig, dass ich erneut erstarre. Tristan reckt das Kinn ein Stück und bläht die Nasenflügel, als rieche er irgendwas, was nur er wahrnehmen kann. Mir bleibt keine Zeit, mich über dieses Verhalten zu wundern. Ein Muskel zuckt unter seinem rechten Auge, ehe sein Blick zu etwas – oder jemandem – hinter mir huscht, von wo ich ein gemurmeltes »Verdammter Mist!« höre. Caleb.

Ein Arm schlingt sich von hinten um meinen Bauch und ich werde zurückgezogen. Taumelnd pralle ich gegen Ashs Brust, der mich sogleich hinter sich schiebt. Noch bevor ich protestieren kann, entsteigt ein tiefes Grollen seiner Kehle und Tristan macht einen Schritt zurück, wobei der den Kopf so weit wie möglich zwischen die Schultern zieht und sich kleiner macht, als er ist. Die ganze Vorstellung ist vollkommen lächerlich, dennoch wage ich nicht zu atmen. Mein Mund ist wie ausgetrocknet, während ich Tristans Reaktion beobachte.

Ash gibt ein freudloses Lachen von sich. Der Laut klingt hart und rau, genau wie seine Stimme, als er knurrt: »Das darf doch wohl nicht wahr sein …«

Ehe ich fragen kann, was hier verdammt noch mal los ist, geht die Königin dazwischen.

»König Cespar«, sagt sie liebenswürdig, als könne sie dadurch die greifbare Spannung, die zwischen uns herrscht, vertreiben. »Wir haben eine lange Reise hinter uns und sind sehr erschöpft. Ich denke, es wäre besser, wenn wir die Vorstellung auf heute Abend verschieben, nachdem alle ihre Gemüter durch kaltes Wasser und ein paar Stunden Schlaf abkühlen konnten.«

Beim letzten Satz wirft sie Ash einen Blick zu, der sogar mir das Blut in den Adern gefrieren lässt.

Ich sehe zu Tristan, der abwechselnd Ash und mich mustert und dann ungläubig den Kopf schüttelt. Was geht hier nur vor?

Hazel hakt sich bei mir unter und zieht mich von den anderen weg. Meine Knie fühlen sich so weich an, dass ich dankbar für ihre Stütze bin. Caleb versucht unterdessen Ash unter Kontrolle zu bringen, scheitert jedoch kläglich. Als ich dann auch noch Rubys hohe Stimme höre, reißt in meinem Kopf das letzte Fädchen, das meinen Verstand bis zu diesem Zeitpunkt beisammenhielt. Nur am Rande bekomme ich mit, dass ich an Payne weitergereicht werde, die es trotz meiner zitternden Glieder schafft, mich aufrecht zu halten. Hazel schnappt sich den ersten Diener, den sie findet, und bringt in Erfahrung, in welchem Trakt unsere Unterkünfte sind.

***

Wie wir zu unseren Zimmern gekommen sind, weiß ich nicht. Alles um mich herum verschwimmt zu Nichtigkeiten.

Tristan lebt. Tristan ist hier. Das ist das Einzige, woran ich denken kann. Wie er überleben konnte und wie es ihn nach Leerth verschlagen hat, zählt im Moment nicht. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich ihn je wiedersehen, je wieder mit ihm sprechen könnte … Aber er war real! Seine Stimme, sein Aussehen, die Wärme seiner Hand, als sie meine ergriff.

Ich muss zu ihm zurück! Ich muss mit ihm reden. Ich will so vieles erfahren!

»O nein, nichts da!«, grollt Payne und hält meinen Arm umklammert, nachdem ich wie in Trance einen Schritt zur Tür gemacht habe. »Wir lassen dich erst wieder aus diesem Zimmer, wenn die Königin es erlaubt. Oder wenn du nicht mehr so schneeweiß im Gesicht bist. Bis dahin bleibst du hier und ruhst dich aus.«

Sie deutet auf eines der drei Betten. Wo … sind wir hier? Verwirrt schaue ich mich um.

»Setz dich hin«, sagt Hazel.

Ihre Stimme klingt verständnisvoll, nicht so aufgedreht wie gewöhnlich. Das würde ich im Moment wahrscheinlich auch nicht ertragen. Sanft schiebt sie mich zu dem mittleren Bett und wartet, bis ich mich auf die Kante gesetzt habe. Als Erstes nimmt sie mir den Nexus ab und legt ihn auf die kleine Kommode direkt neben dem Bett. Anschließend beginnt sie die Schnürungen und Gurte meiner Rüstung zu öffnen. Ich bin so mit mir selbst und meinen Gedanken beschäftigt, dass ich gar nicht auf die Idee komme, es ihr zu verbieten oder ihr zu helfen. Sie braucht eine Weile, um mich aus der Lederrüstung zu schälen, und zieht mir dann ein weites weißes Hemd über den Kopf, bevor sie meinen Zopf löst und mir das Haar bürstet. Auch das lasse ich kommentarlos über mich ergehen. Ich fühle mich, als hätte sich mein Verstand vom Rest des Körpers abgekoppelt. Er führt nur noch das Nötigste aus und verwandelt mich in eine willenlose Puppe, während meine Gedanken einzig und allein um Tristan kreisen.

»Sie steht unter Schock«, murmelt Payne. »Wir sollten bei ihr bleiben. Wer weiß, was sie sonst anstellt!«

»Ich glaube nicht, dass sie sich aus dem Fenster stürzen würde«, sagt Hazel, während sie meine langen dunklen Haare zu einem neuen Zopf flicht. »Aber ich könnte darauf wetten, dass sie sich nach draußen schleicht.«

»Oder dass jemand hierher zu Besuch kommt.«

Hazels Hände unterbrechen für einen Moment ihre Arbeit. »Wen meinst du? Ash oder den Blonden? Wie hieß er gleich?«

»Tristan«, krächze ich kraftlos.

Payne gibt ein Schnauben von sich. »Wenn ich wetten müsste, würde ich auf Ash tippen. So wie er sich dort unten aufgeführt hat, geht weit mehr zwischen ihm und Scarlet vor, als wir bisher vermutet haben.«

»Ja, das war … eindrucksvoll.« Hazel seufzt. »Was gäbe ich darum, wenn ein Mann auch mal so auf mich reagieren würde! So leidenschaftlich!«

»Haben wir dieselbe Szene beobachtet?«, wirft Payne trocken ein. »Für mich sah es so aus, als würde er gleich ein Blutbad veranstalten wollen.«

»Aber genau das ist es doch!«, widerspricht Hazel. »Stell dir mal vor, es wäre Ruby anstatt Scarlet, um die es gegangen wäre. Für sie hätte Ash keinen Finger krumm gemacht.«

»Als ob irgendwer für Ruby einen Finger krumm machen würde …«, murmelt Payne. »Trotzdem wird das eine Menge Ärger nach sich ziehen. Dieser Tristan ist der Verlobte von Prinzessin Luisa und steht dadurch fast auf einer Stufe mit Ash. Wenn er irgendein bedeutungsloser Niemand wäre, würde sich keiner darum scheren, aber die Herrscher werden nicht Zwist in ihren eigenen Reihen dulden.«

»Verständlich«, sagt Hazel. »Schließlich haben sie genug andere Sorgen. Wir sollten darauf achten, dass sich Scarlet für die Zeit, die wir hier sind, im Hintergrund hält.«

»Nein«, widerspreche ich. »Ich muss mit ihm reden!«

»Mit wem?«, fragt Hazel.

Rein aus dem Bauch heraus will ich Tristan sagen, bis mir auffällt, dass auch Ash einige Fragen haben wird. Und ich habe ein paar an ihn. Warum musste er sich auch einmischen? Ich wollte doch nur … Ja, was wollte ich eigentlich? Was hätte ich getan, nachdem ich Tristans Hand ergriffen hatte?

Ich weiß es nicht …

»Mit unserem Prinzen kannst du über deinen Nexus reden«, schlägt Payne vor. »So, wie du es auch während unserer Anreise jeden Tag gemacht hast.« Als mein Blick zu ihr huscht, grinst sie mich an. »Halte uns nicht für dumm, Scarlet. Nur weil wir nicht zu allem unsere Meinung sagen, heißt das nicht, dass wir nichts mitbekommen.«

»Wir haben Ash seine nächtlichen Besuche nur durchgehen lassen, weil du dadurch deine Pflichten nicht vernachlässigt hast«, wirft Hazel ein.

»Ihr … wusstet es?«, frage ich kleinlaut und schaue von einer zur anderen.

Payne zuckt mit den Schultern. »Ihr seid nicht gerade besonnen vorgegangen.«

»Wir wären schlechte Leibwächter, wenn wir nicht bemerkt hätten, dass Ash sich jede Nacht vom Lager weggeschlichen hat«, sagt Hazel und grinst wie Payne. »Ganz zufällig immer, wenn du mit Wachehalten dran warst. Und wenn wir das nicht mitgekriegt hätten, wären da immer noch die Blicke, die ihr euch unaufhörlich zugeworfen habt.«

»Wir dachten manchmal, ihr würdet gleich übereinander herfallen«, meint Payne glucksend vor halb unterdrücktem Lachen. »Wir hatten sogar Wetten darüber abgeschlossen, wie lange es dauern würde, bis der Königin der Geduldsfaden reißt. Dummerweise hat Caleb gewonnen. Er war der Meinung, dass wir es bis Leerth schaffen würden, ohne dass sie etwas unternimmt.«

»Die Königin weiß es auch?«, frage ich. Meine Hände sind schweißnass, als ich sie im Schoß ringe.

»Sie ahnte auf jeden Fall etwas«, antwortet Payne. »Und nach der Vorstellung, die Ash im Burghof geliefert hat, weiß sie es nun mit Sicherheit. Wie alle anderen es auch tun.«

Ich wende den Blick ab und starre auf meine verschlungenen Hände. Jeder weiß es … Das sollte nicht passieren. Wir wollten vorsichtig sein und keinen Verdacht erregen, doch Hazel und Payne konnten uns spielend leicht durchschauen. Das wäre noch zu verkraften gewesen, denn offenbar haben sie nichts dagegen, doch nach dem, was vorhin geschehen ist … Das war nicht geplant. Aber wie hätte ich ahnen können, dass Tristan hier in Leerth ist? Dass er überhaupt noch lebt? Ich muss in Erfahrung bringen, was ihm passiert ist. Warum hat er sich nicht gemeldet? Wieso ist er nicht nach Hause gekommen?

Er hat … mich allein gelassen, als ich ihn am dringendsten gebraucht habe. Wenn ich gewusst hätte, dass er noch lebt … Mein ganzes Leben wäre anders verlaufen. Ich wäre heute eine andere. Ich hätte mich nicht vor allem und jedem verschlossen. Mein Herz wäre nicht zu Eis erstarrt und mein einziger Lebensinhalt wäre nicht der Wunsch nach Rache gewesen. Jyde hätte mich nicht trainieren müssen und ich … Wahrscheinlich hätte mir über kurz oder lang ein ähnliches Schicksal geblüht wie den anderen Frauen und Töchtern der Clan-Mitglieder: Abgeschoben in ein schäbiges Haus in der Stadt und darauf hoffend, die nächste Geburt irgendwie zu überleben.

Ich erinnere mich an den Besuch bei Lobrida in der Stadt und das Gespräch mit ihrer Tochter Mara. Ich habe versucht dem kleinen Mädchen Hoffnung zu schenken, weil ich selbst Hoffnung auf ein besseres Leben hatte. Aber derjenige, der mir meines ermöglicht hat, war nicht Tristan.

Ein Klopfen an der Tür reißt mich aus den Gedanken. Hazel und Payne tauschen über meinen Kopf hinweg einen Blick.

»Fünf Goldstücke, dass es Ash ist«, sagt Hazel sofort.

»Da gehe ich mit und setze auf Caleb«, entgegnet Payne und schlendert zur Tür.

Tatsächlich ist es Caleb, der unschlüssig auf dem Korridor steht und ins Zimmer schaut.

Hazel zieht einen Flunsch. »Wie gemein!«, murrt sie. »Woher wusstest du das?«

Payne zuckt mit den Schultern. »Unser Prinz wird gerade unter genauso scharfer Beobachtung stehen wie Scarlet, wenn nicht sogar schlimmer. Ausgeschlossen, dass er einfach so durch die Burg spazieren und an unsere Tür klopfen könnte.« Sie wendet sich wieder Caleb zu. »Deshalb schickt er seinen treuen Hund.«

»Vorsichtig, Payne«, knurrt Caleb. »Nachdem ich mir die größte Mühe gegeben habe, die Wogen zu glätten, möchte ich ungern für einen weiteren Zwischenfall verantwortlich sein.«

Payne grinst und lässt sich neben mir aufs Bett fallen. Die Matratze wippt ein paarmal nach. »Da ist aber jemand empfindlich.«

Caleb sieht wirklich alles andere als begeistert aus, hier zu sein. Er mustert mich sekundenlang mit einem verkniffenen Ausdruck um den Mund, bevor sein Blick durchs Zimmer huscht und an meinem Nexus hängen bleibt.

»Setz das verdammte Ding auf«, grollt er. »Das erspart uns eine Menge Scherereien.«

Nur kurz folge ich seinem Blick. »Ich will ihn im Moment nicht in meinem Kopf haben«, erwidere ich leise.

Es ist die Wahrheit. Ich weiß selbst nicht, was ich denken und fühlen soll. Wie ist es dann für einen Außenstehenden, wenn er mit dem Chaos, das in mir herrscht, konfrontiert wird? Ich will nicht, dass Ash es sieht – dass er mich so sieht.

»Ich will dich nicht dazu zwingen müssen, Prinzessin«, murrt Caleb barsch.

»Hier wird niemand zu irgendwas gezwungen«, sagt Hazel und baut sich mit verschränkten Armen vor ihm auf. Sie ist fast zwei Köpfe kleiner als Caleb und weniger als halb so breit, dennoch bewundere ich sie für ihren Mut.

Auch Payne erhebt sich wieder und stellt sich vor mich. »Es ist besser, wenn du gehst«, sagt sie kühl. »Lass die Beteiligten eine Nacht darüber schlafen und sich beruhigen. Wir sind alle müde.«

Caleb zögert und schaut mit gerunzelter Stirn auf mich herab, als müsse er abwägen, ob er mich einfach über die Schulter werfen und so aus dem Zimmer holen könnte. Ich weiche dem Blick aus und schlinge die Arme um mich, weil ich plötzlich friere.

»Wir passen auf, dass Scarlet hier im Zimmer bleibt«, meint Hazel versöhnlich. »Sieh zu, dass du das Gleiche von Ash sagen kannst. Es wird gewaltigen Ärger geben, wenn er noch mal auf Blondie trifft.«

»Komm mit, Großer«, sagt Payne und legt Caleb eine Hand auf die Schulter, während sie ihn aus dem Zimmer führt. »Ich bringe in Erfahrung, ob uns die Königin heute entbehren kann. Morgen früh, wenn alle wieder runtergekommen sind, sehen wir, wie wir die Zeit in Leerth überstehen, ohne dass es Tote gibt.«

Widerwillig lässt Caleb sich aus dem Zimmer führen. Erst als die Tür hinter den beiden ins Schloss fällt, kann ich wieder frei atmen. Trotzdem ist mir kalt und ich reibe mir mit den Händen über die Arme, um die hartnäckige Gänsehaut zu vertreiben.

»Leg dich hin und schlaf«, murmelt Hazel. »Ich sorge dafür, dass dich niemand stört.«

»Ich muss mit Tristan sprechen«, wispere ich.

»Ganz bestimmt nicht«, sagt sie und drückt mich nach hinten auf die Matratze. »Du wirst dich jetzt ausruhen und an keinen der beiden denken.«

»Aber ich …«

»Nichts aber, Scarlet«, knurrt Hazel. »Sieh endlich ein, dass du damit nicht nur dir schadest, wenn du jetzt Hals über Kopf durch die Burg rennst und Blondie suchst.«

»Tristan.«

»Wie auch immer.« Sie zieht die Decke bis knapp unter meinen Hals hoch. »Du musst hierbleiben. Andernfalls bringst du nicht nur dich und Ash, sondern auch Payne, Caleb und mich in Gefahr, weil wir unweigerlich zwischen die Fronten geraten. Und nicht zuletzt wird es auf die Königin zurückfallen.«

»Aber … was soll denn passieren?«, frage ich. »Ich will doch nur mit ihm reden.«

Sie zieht eine Augenbraue nach oben. »Wirklich?«

Ich schlucke gegen die Enge im Hals an und weiche ihrem Blick aus. »Nein«, murmele ich.

»Das habe ich mir gedacht«, sagt Hazel. »Mir ist schon klar, dass du Blondie von früher kennen musst. Aber da ist noch mehr, oder? Er ist nicht nur irgendein Typ, dem du mal begegnet bist.«

Ich schüttele den Kopf. Dann hole ich tief Luft und beginne zu erzählen. Von dem Jungen, den ich einst von ganzem Herzen geliebt habe. Von meinem besten und einzigen Freund und Prinzen. Von unserem Plan, gemeinsam wegzulaufen. Und von der Nacht, in der sich alles für uns veränderte. Ich zwinge mich sogar dazu, von dem Angriff der Ferals und Tristans Schreien zu erzählen, die mich noch jahrelang in meinen Träumen heimgesucht haben. Ich erzähle von meinem Leben, das nach Tristans »Tod« nie wieder so war, wie ich es kannte.

KAPITEL 2

Obwohl ich mich dagegen sträube, spüre ich, dass ich schon bald in einen tiefen Schlaf fallen werde. Nicht einmal die ungewohnte Umgebung kann mich davon abhalten. Hazel habe ich meine ganze Geschichte erzählt und für Payne, die später dazu kam, noch einmal das Wichtigste wiederholt. Sie verstehen mein Dilemma, sind aber weiterhin der Meinung, dass ich mich vorerst hier im Zimmer aufhalten sollte. Ich bin zu müde, um ihnen zu widersprechen. Mit jedem Wort, das meinen Mund verlässt, werden meine Lider schwerer und schwerer, bis es mir unmöglich ist, noch länger wach zu bleiben.

***

Am nächsten Morgen weckt mich Hazel. Wie gewohnt ist sie gut gelaunt und spricht den gestrigen Tag nicht an. Sie plappert über Nichtigkeiten, während sie darauf besteht, mir die Haare kämmen zu dürfen. Ohne Widerrede lasse ich sie gewähren.

»Der Ball wurde auf heute Abend verlegt, da der Abgesandte des letzten Herrschers aus Moorth erst gestern spät am Abend eingetroffen ist«, weiß sie zu berichten. »Zum Glück kam der König von Moorth nicht selbst. Das war meine größte Sorge, aber sie war mal wieder unbegründet, wie in den Jahren davor. Ich würde alles dafür geben, diesem Ekelpaket nie wieder begegnen zu müssen, und ich bin der Göttin unendlich dankbar, dass sie mich verschont hat.«

Mir wird beim bloßen Gedanken daran, dass ich mich heute Abend in einem Kleid zwischen wildfremden Menschen bewegen und so tun muss, als wäre alles in bester Ordnung, kotzübel. Spätestens dann werde ich Tristan wiedersehen. Und Ash. Ich weiß jetzt schon, dass es in einem Desaster enden wird.

»Kann ich nicht hier auf dem Zimmer bleiben?«, frage ich leise.

Hazel wirft mir im Spiegel einen mitleidigen Blick zu. »Wir brauchen dich, Scar. Wir müssen auf die Königin und Ruby aufpassen. Das schaffen wir nicht zu zweit.«

Ich nicke und murmele eine Entschuldigung. Ich darf mich nicht so gehen lassen! Ich bin hier, um meine Aufgabe als Leibwächterin zu erfüllen. Es wäre nicht fair, die ganze Arbeit Hazel und Payne aufzubürden, nur weil ich Angst vor einer Begegnung mit Tristan und Ash habe. Früher oder später werde ich ihnen sowieso wieder über den Weg laufen.

Ich muss mich zusammenreißen!

Ich bedanke mich bei Hazel, nachdem sie endlich von mir ablässt, und krame in unserem Gepäck nach meiner neuen Rüstung. Wenn ich mich ihnen schon stellen muss, dann ordentlich! Das Leder fühlt sich steif auf der Haut an und es wird eine Weile dauern, bis es eingetragen und so geschmeidig ist wie das der alten Rüstung. Aber dafür sieht es besser aus. Durch die Reise und die gestrigen Vorfälle bin ich noch nicht dazu gekommen, die andere Rüstung vom Staub und Schmutz zu befreien. Das wird bis heute Nachmittag warten müssen.

»Du siehst gut aus«, sagt Payne. Als ich jedoch nach meinen Klingen greife, fragt sie: »Bist du sicher, dass du spitze Gegenstände in deiner Reichweite haben solltest?«

Ich ziehe die Hand zurück, als ich gerade die erste Waffe greifen und umschnallen wollte. »Ohne Waffen bin ich euch nicht von Nutzen und kann meine Arbeit nicht machen«, halte ich dagegen.

»Ich bin auch dafür, dass du fürs Erste unbewaffnet gehen solltest«, meint Hazel. »Nur für alle Fälle.«

Ich verdrehe seufzend die Augen, beuge mich aber ihrem Urteil. Was denken die beiden von mir? Dass ich ernsthaft jemanden verletzen könnte? Wenn ich ehrlich bin, weiß ich es selbst nicht. Vielleicht ist es wirklich besser, meine Klingen hierzulassen, solange die Königin nicht die Burg verlässt.

Mein Blick huscht zur Kommode, wo seit gestern Abend mein Nexus liegt. Nein, dafür bin ich noch nicht bereit. Sobald ich ihn aufsetze, wird Ash versuchen mich zu kontaktieren – und ich habe keinen Schimmer, was ich sagen oder denken soll. Es wird schon schwer genug für mich werden, nachher äußerlich meine Rolle zu spielen; da brauche ich nicht noch seine Stimme in meinem Kopf.

Als wir unser Zimmer verlassen wollen, erwartet uns Caleb bereits vor der Tür im Gang und hält mir den Arm hin.

Er bemerkt mein Zögern und sagt: »Wir sind ein Paar, schon vergessen? Also müssen wir uns auch so verhalten.«

»O ja, das wird die Situation ganz bestimmt entspannen«, murre ich, hake mich aber bei ihm unter. Dann wende ich mich Hazel zu. »Was ist mit euch? Warum wurden euch keine unfreiwilligen Partner zugeteilt?«

»Auch wir haben Schein-Partner«, sagt sie. »Die Soldaten, die mit uns gereist sind. Erinnerst du dich? Zwei davon mimen immer unsere Männer, wenn wir uns außerhalb von Daarth aufhalten müssen. Sie sind es gewöhnt und wir auch. Hin und wieder gibt es sogar ein paar nette Extras.« Sie zwinkert mir grinsend zu und hält ihren Daumen nach oben.

Ich verdrehe die Augen. »Womit habe ich das verdient?«, murmele ich so leise, dass nur ich es hören kann.

Warum habe ich mich nicht dagegen gesträubt, nach Leerth mitzureisen? Zwar hätte ich mich allein in Daarth zu Tode gelangweilt, aber es wäre allemal besser als das, was mir jetzt bevorsteht.

»Entspann dich«, sagt Payne. »Du wirkst viel zu verkrampft. Sogar noch schlimmer als an dem Abend, als du uns in die Baracke begleitet hast. Du musst atmen.«

»Ich atme doch«, knurre ich.

»Wir finden schon eine Aufgabe, um dich abzulenken«, trällert Hazel.

Gegen etwas Ablenkung hätte ich wirklich nichts einzuwenden. Allerdings nicht die Art von Ablenkung, die Hazel meint.

***

Zu viert treten wir auf den Burghof. Mit aller Macht versuche ich meine teilnahmslose Miene aufrechtzuerhalten, als die bereits Anwesenden sich zu uns umwenden. Natürlich sind Königin Neera, Ruby und Ash schon da. Und ein paar Meter abseits stehen König Cespar, seine Tochter, deren Name mir entfallen ist, und Tristan.

»Ich glaube, mir wird schlecht«, jammere ich leise, als ich die Blicke der beiden Männer auf mir spüre.

»Gleichmäßig weiter atmen«, weist Payne mich an. »Du bist mit Caleb hier. Zur Not fängt er dich auf, wenn du umkippst.«

Was würde das denn für einen Eindruck machen? Ich bin eine Leibwächterin; ich kann nicht so einfach umkippen, nur weil ich nervös bin.

Ich fixiere irgendeinen Punkt hinter der Königin, als ich vor ihr auf die Knie sinke. Ashs Blick brennt sich förmlich in meine Haut, doch irgendwie schaffe ich es, nicht in seine Richtung zu schauen. Ich konzentriere mich auf meine Atmung und auf das, was die Königin uns zu sagen hat. Auch sie erwähnt den gestrigen Vorfall mit keinem Wort und ich bin ihr dankbar dafür. Aber ich weiß, dass sie es noch mir gegenüber ansprechen wird, sobald wir allein sind, und sie wird mich nicht leicht davonkommen lassen.

»Da der Empfang auf heute Abend verschoben wurde, nutzen wir den Tag, um uns von unseren Gastgebern herumführen zu lassen«, sagt die Königin. »Ihr dürft euch frei in der Stadt bewegen, wenn es euch beliebt. Aber dich, Scarlet …« Ich schrumpfe sofort in mich zusammen, als sie mich direkt anspricht. »… will ich zu meinem Schutz in der Nähe haben.«

»Natürlich, meine Königin«, sage ich. »Lasst mich nur kurz zurück aufs Zimmer gehen und meine Waffen holen.«

»Das wird nicht nötig sein«, entgegnet sie. »Wir werden die Burg nicht verlassen. Ich brauche deine Dienste in anderen Belangen.«

Ich kann nur hoffen, dass sie damit meinen Geruchssinn in Bezug auf Gifte meint und mich nicht nur im Auge behalten will. Hier eingesperrt zu sein, während die anderen nach Lust und Laune durch die Stadt streifen dürfen, lässt mich nichts Gutes hoffen. Aber wenigstens laufe ich so weder Ash noch Tristan über den Weg.

Schnell werfe ich einen Blick zu Ash hinüber. Ruby schmiegt sich bereits an ihn und hat sich bei ihm untergehakt, während sie mit einem triumphierenden breiten Schmunzeln zu mir sieht. Ich tue so, als würde ich es nicht bemerken, und schaue schnell zu Hazel und Payne, die mir zunicken.

Die anderen verstreuen sich schnell und finden sich in kleinen Grüppchen zusammen, um die Stadt unsicher zu machen. Caleb kümmert sich darum, dass auch Ash mit ihnen mitgeht, während Ruby mit ihrer zu hohen Stimme auf ihn einredet. Ich möchte ihr den Hals umdrehen und sie so endlich zum Schweigen bringen.

»Du weißt, warum ich dich hierlasse, oder?«, fragt die Königin leise, nachdem alle anderen außer Hörweite sind.

Ich nicke und schaue zu Boden.

»Bis die Verhandlungen abgeschlossen sind, dürfen wir uns keine weiteren Zwischenfälle erlauben«, fährt sie fort. »Cespar ist ein unersetzlicher Verbündeter und seine Tochter ist das Wichtigste in seinem Leben. Ich kann nicht zulassen, dass unsere Allianz deinetwegen zerstört wird.«

»Das ist nicht meine Absicht«, sage ich. »Ich war selbst über alle Maße erstaunt, als ich … Tristan sah.«

»Ich gebe dir nicht die Schuld daran«, sagt sie. »Aber ich bitte dich um Zurückhaltung. Suche ihn nicht auf und rede nicht mit ihm, wenn ihr allein seid. Das bringt nur Ärger und Gerede. Beides können wir uns nicht leisten. Es wird sich nicht vermeiden lassen, dass du während der Empfänge mit ihm sprichst, aber sorg dafür, dass dabei immer jemand in eurer Nähe ist.« Sanft legt sie mir eine Hand auf den Arm. »Gib Ash keinen Grund für seine Eifersucht.«

Ich schließe gequält die Augen. »Ich will nicht, dass er eifersüchtig ist.«

»Du solltest mit ihm reden, wenn du so weit bist«, schlägt sie vor.

Das weiß ich. Ich habe nur keine Ahnung, wann ich so weit bin. Oder ob ich es je sein werde. Ich würde mir wünschen, dass es keinen Grund für ihn gäbe, wütend oder eifersüchtig zu sein … Aber den gibt es und ich verstehe Ash sogar. Wären unsere Rollen vertauscht, würde ich ähnlich reagieren. Ganz sicher, doch ich kann nichts dagegen tun.

Dieser Teil in mir, der immer Tristan gehörte, will wieder zu ihm, will da weitermachen, wo wir aufhören mussten. Dieser Teil will, dass ich wieder zu dem Mädchen werde, das ich einst war, und nicht mehr die Frau mit dem kalten Herzen sein muss, die ich jetzt bin. Obwohl selbst das nicht richtig ist. Ash hat es geschafft, das Eis, das viele Jahre mein Herz umgab, zum Schmelzen zu bringen, und beinahe wäre es so wie früher gewesen. Ich war kurz davor zu wissen, was ich für ihn empfinde, abseits des Besitzanspruches, den ich ihm gegenüber hege. Da ist noch mehr oder zumindest war da noch mehr, doch jedes Mal, wenn ich dieses Gefühl benennen wollte, entglitt es mir und ich war zufrieden mit dem, was Ash und ich für eine kurze Zeit hatten. Es war … nicht dasselbe, was damals zwischen Tristan und mir war. In den Momenten, in denen ich mit Ash allein war, glaubte ich, dass es tiefer gehen würde als alles, was ich bisher irgendwem gegenüber empfunden hatte.

Aber jetzt fühlt sich alles anders an … Kompliziert und seltsam.

»Der Verlobte von Prinzessin Luisa ist der Junge, wegen dem du damals meine Einladung ins Schloss abgelehnt hast, nicht wahr?«, fragt die Königin.

Ich nicke erneut. »Ich wusste nicht, dass er noch lebt.«

»Bevor du Ash gegenübertrittst, solltest du dir über deine Gefühle im Klaren sein.«

»Ich weiß nicht, was ich fühlen soll«, wispere ich. »Es ist … alles etwas viel auf einmal.«

Neera schweigt einen Augenblick. »Das wird ihm nicht genügen.« Sie zieht die Hand zurück und geht ein paar Schritte. Ich folge ihr. »Du kannst nicht beide haben.«

»Ich will nicht beide«, widerspreche ich. Selbst in meinen Ohren klingt der Einwand schwach und ich beiße mir auf die Unterlippe.

Neera seufzt. »Mein Sohn hat dich beansprucht. Er wollte dich, seit er dich das erste Mal traf, und es war ihm egal, dass du einen anderen geliebt hast. Als ich dich auf dem Ball mit der Wolfsmaske sah, wusste ich, dass er seine Meinung über die Jahre nicht geändert hat. Und nach und nach erlagst auch du seinem Charme.«

Ich werfe ihr einen unsicheren Seitenblick zu. »Das klingt fast, als hättet Ihr … nichts dagegen?«

»Gegen dich?«, fragt sie. »Warum sollte ich etwas dagegen haben? Wir sind uns sehr ähnlich, du und ich, und genau deshalb hätte ich dir dieses Schicksal gerne erspart.«

Ich halte inne und mustere sie. »Welches Schicksal meint Ihr?«

Ihr Blick wird wehmütig, als sie mich ansieht. »Liebe ist nicht immer einfach. Ich habe für die Liebe alles geopfert und nur wenig zurückbekommen. Mein Mann, der Einzige, dem je mein Herz gehört hat, ist tot und mein Sohn ist …« Sie bricht ab und wedelt mit der Hand. »Meiner schlimmsten Feindin wünsche ich nicht das Leid, das ich durchleben musste. Aber du hast eine ungefähre Ahnung davon, wie es sich anfühlt, alles zu verlieren. Auch wenn der Junge damals nicht dein Gefährte war, hast du den Verlust gespürt und Jahre gebraucht, um dich davon zu erholen. Ash hat diese Zeit abgewartet, denn er wusste, dass du dich vor ihm verschließen würdest, wenn er dich sofort an den Hof geholt hätte.«

Sie legt eine Hand an meine Wange; eine mütterliche Geste, die ich bisher nie erfahren durfte und die mir einen Stich versetzt.

»Ich kann dir keinen Rat geben, Scarlet«, murmelt sie. »Egal, wie du dich entscheidest … Egal, auf wen deine Wahl fällt, du wirst den anderen dadurch verlieren.«

»Tristan ist verlobt«, werfe ich ein. »Ich würde nie … Er würde nie …«

Neera zieht eine Augenbraue nach oben und lässt die Hand sinken. Meine Wange fühlt sich augenblicklich kalt an. »Prinzessin Luisa ist keine einfache Frau. Vor einigen Jahren war eine Verbindung zwischen ihr und meinem Sohn im Gespräch und ich danke der Göttin dafür, dass sie nie zustande kam. Auch wenn die Göttin sonst meine Gebete nicht erhört, hat sie mir dieses eine Mal meinen Wunsch erfüllt.«

Ich erinnere mich daran, was Großmutter sagte. Neera war einst eine Unberührbare. Wie von selbst huscht mein Blick zu ihren Händen und sucht an den Gelenken nach den beiden tätowierten Halbmonden. Die Königin bemerkt es, hebt die Rechte und schiebt mehrere Armreifen zurück. Darunter, direkt über den Pulsadern, prangen zwei schwarze ineinander verschlungene Halbmonde; auf ihrer fast weißen Haut stechen die dunklen Tätowierungen hervor wie Fremdkörper, die dort nicht hingehören.

»Brianna hat mich verraten, nicht wahr?«, fragt sie lächelnd und schiebt die Armreifen wieder zurück an ihren Platz. »Wie du siehst, ist es wahr: Ich war eine Unberührbare. Ich diente der Göttin und weihte ihr mein Leben.« Sie zuckt mit den Schultern. »Ich war die dritte Tochter einer armen Familie. Für mich gab es nicht viele Möglichkeiten und ich war dankbar, als man mich in der Kunst des Heilens unterwies. Endlich hatte ich eine Aufgabe, einen Sinn in meinem Leben.«

»Wenn Ihr das Leben als Unberührbare gemocht habt, warum habt Ihr dann …?« Ich schlage mir eine Hand vor den Mund. »Verzeiht, das geht mich nichts an.«

Doch zu meiner Überraschung schüttelt Neera den Kopf. »Es ist kein Geheimnis. Im Grunde ist es das Gleiche, was zwischen dir und Ash geschehen ist. Ich war gut in dem, was ich als Unberührbare tat. Anders als du, die Gifte und Kräuter allgemein am Geruch erkennen kann, spezialisierte ich mich auf das Schienen und Richten von Knochenbrüchen, eine Arbeit, die unter den Unberührbaren alles andere als gerne ausgeführt wird. Es erfordert Kraft und Geschick gleichermaßen und es ist oft ein widerlicher Anblick.«

»Mir hat die eine Geburt, bei der ich Großmutter helfen musste, schon gereicht«, murmele ich. »Spätestens da wusste ich, dass ich nicht für die Arbeit als Unberührbare taugen würde.«

Neera nickt. »Das verstehe ich. Nicht jeder steckt den Anblick von Blut oder Knochensplittern und Zertrümmerungen einfach weg. Aber ich konnte es und ich war gut. Es dauerte nicht lang, bis sich meine besonderen Fähigkeiten herumsprachen, und ich wurde ins Schloss geladen. Dort gab es durch das ständig stattfindende Training immer wieder Verstauchungen oder Knochenbrüche, die geheilt werden mussten. Die alte Unberührbare war weniger geschickt darin, deshalb wurde ich ihr zur Seite gestellt.« Ihre Augen funkeln, als sie sich zurückerinnert. »Wir kamen gut miteinander aus und es vergingen ein paar Wochen, in denen ich mit mir und dem Leben vollends zufrieden war. Ich hatte eine Aufgabe, die mich ausfüllte, eine Kollegin an meiner Seite, die mich unterstützte, ein Dach über dem Kopf, feine Kleider am Leib und mehr Essen, als ich jemals verschlingen konnte.«

Das Aber, das spürbar in der Luft hängt, lässt meine Hände schwitzig werden. Es fällt mir nicht schwer, mir die Königin als zufriedene junge Frau vorzustellen, denn trotz des Leids, das sie ertragen musste, hat sie sich nach außen hin ihr fröhliches Gemüt bewahrt. Anders als ich: Ich stumpfte sowohl innerlich als auch äußerlich ab, bis kaum noch etwas an das Mädchen erinnerte, das ich einst war.

»Ich war glücklich«, fährt Neera nach einem Augenblick fort, »und dann traf ich ihn. Er kam als Patient wie so viele vor ihm. Seine Schulter wurde beim Training ausgekugelt, doch er hielt sich tapfer. Ich wusste, dass es nur Fassade war, schließlich hatte ich schon Männer anderen Kalibers als ihn heulend und wimmernd auf meiner Pritsche liegen und sich das kaputte Gelenk halten sehen. Er war blass wie das Laken, auf dem er lag, und seine Lippen waren so fest zusammenpresst, dass sie völlig blutleer waren. Aber kein Jammern, kein Wimmern verließ seinen Mund, auch nicht, als ich meine Utensilien zusammensuchte, um seine Schulter wieder einzurenken. Spätestens dann gaben die meisten Männer die Gleichgültigkeit, die sie zur Schau stellten, auf. Nicht wenige riefen nach ihren Müttern.«

Ich hatte selbst noch nie eine ausgekugelte Schulter, aber ich habe einmal zugesehen, als Großmutter die eines Jungen aus dem Dorf gerichtet hat. Sein Unterarm wurde dafür in eine Vorrichtung gelegt und festgebunden, diese Gerätschaft wurde anschließend so lange gedreht und nach oben gedrückt, bis das Gelenk zurück an seinen Platz sprang. Die Schreie, die der Junge bei der Prozedur ausstieß, hallten durchs Dorf und ließen meine Ohren auch Stunden später noch klingeln.

»Doch er tat nichts dergleichen«, sagt die Königin. »Er schaute mich nur an. Und als ich den Blick aus seinen weit aufgerissenen Augen erwiderte und zum ersten Mal diese wunderschönen unterschiedlichen Farben sah, die in ihnen tanzten, wusste ich mit einer erschreckenden Gewissheit, dass es ein Fehler war, eine Unberührbare zu werden.«

Ich verstehe, was sie meint. Die unterschiedliche Augenfarbe war bei mir auch das Erste, was mich an Ash faszinierte. Es ist einzigartig und wunderschön. Und wenn sein Vater nur halb so gut aussah wie Ash, kann ich Neeras ersten Impuls nachvollziehen.

»Während ich ihn behandelte, konnte ich die ganze Zeit den Blick nicht von seinem Gesicht nehmen«, sagt Neera lächelnd. »Im Nachhinein wusste ich nicht mehr, welche Bewegungen ich meine Hände ausführen ließ. Keiner von uns sprach ein Wort. Ich erkundigte mich nicht, ob es ihm besser ginge, und er bedankte sich nicht für die Behandlung. Wir schauten uns nur an. Ich weigerte mich sogar zu blinzeln, weil ich Angst hatte, dass er während dieses Augenblicks verschwinden könnte. Irgendwann, nach gefühlten Stunden, fragte ich ihn, ob er die Hand wieder bewegen könne. Statt zu antworten, griff er nach meiner und hielt sie fest. In dem Augenblick, als er mich berührte, vergaß ich den Grund, warum ich eine Unberührbare geworden war.«

Sie deutet auf eine Bank am Rand des Burghofes. Nachdem wir uns gesetzt haben, reckt sie das Gesicht der Sonne entgegen und schließt die Augen. Dennoch sehe ich die Tränen, die zwischen den dichten Wimpern aufblitzen.

»Ich wusste nicht, wer er war. Er trug einfache zerschlissene Trainingskleidung. Nichts, was auf seinen Stand hingewiesen hätte. Es dauerte eine Weile, bis ich es herausfand, denn ich traute mich nicht, mit irgendwem darüber zu sprechen. Ich hatte Angst davor zuzugeben, dass ich mir wünschte, nie eine Unberührbare geworden zu sein, sehnte ich mich doch nach nichts mehr als seinen Berührungen.«

Sie seufzt und schüttelt den Kopf.

»Aber das ist viele Jahre her. Genug von mir. Meine Vergangenheit kann ich nicht mehr ändern.« Neera dreht sich zu mir. »Doch ich kann dabei helfen, dass du nicht die gleichen Fehler begehst wie ich. Darf ich dir einen Rat geben?«

Ich zögere, dann nicke ich.

»Ich habe nichts gegen dich, Scarlet«, sagt sie und ich merke schon an diesen paar Worten, dass der Rat, den sie mir geben will, mir nicht gefallen wird. »Ich mag dich und ich verdanke dir mein Leben. Aber ich denke nicht, dass du meinen Platz einnehmen könntest. Du bist nicht dazu gemacht, eine Königin zu sein, doch dies wäre dein Los, wenn du an Ashs Seite stehen willst.«

»Und ein Mädchen wie Ruby würde eher zur Königin taugen?«, entfleucht es mir, bevor ich es schaffe, den Mund zu halten. Doch ich entschuldige mich nicht dafür.

»In gewisser Hinsicht, ja«, antwortet Neera. Ihr Blick, der meinem standhält, ist unerbittlich. »Sie ist von einfachem Gemüt und flatterhaft. Ihr Herz wird nicht entzweigehen, wenn Ash …« Sie bricht ab und seufzt. »Und sie würde vom Volk geliebt werden. Dich hingegen würde es zerstören, wenn Ash dir das Herz bricht. Und glaube mir, das wird er tun.« Sie schaut auf ihre Hände und schließt die Augen. »Kein Feind kann dir so wehtun wie der Mensch, den du von ganzem Herzen liebst.«

Ich runzele die Stirn. »Ihr ratet mir also, nicht Euren Sohn zu wählen.«

»Wie ich schon sagte, es liegt nicht an dir, sondern daran, dass du mich an mein früheres Ich erinnerst. Du wirst leiden, wenn du das ganze Ausmaß kennst, und dieses Leid möchte ich dir gern ersparen. Mein oberstes Ziel ist es jedoch, meine Nachfolge zu sichern, bevor … es zu spät ist. Alles andere kann ich nicht beeinflussen und will es auch gar nicht. Doch ich kann dir einen Hinweis geben. Die Entscheidung liegt bei euch und ich werde sie akzeptieren, egal, wie sie ausfallen mag.«

Bevor ich die Chance habe, etwas zu erwidern, erhebt Neera sich und geht von dannen. Ich bleibe noch verwirrter als zuvor zurück. Sie hat recht mit ihrer Annahme, dass ich nicht als Königin tauge. Da kann ich ihr nicht widersprechen. Ich will keine Königin sein, doch das müsste ich werden, wenn ich …

Ich stütze den Kopf in die Hände. Zuerst muss ich mit Tristan reden, muss in Erfahrung bringen, wie er überleben konnte und hier in Leerth gelandet ist. Und ob er aus freien Stücken die Prinzessin heiraten will. Aber würde das etwas ändern?

Am meisten beschäftigt mich jedoch die Frage, was Neera damit meinte, dass Ash mir auf jeden Fall das Herz brechen wird. Worauf zielte sie damit ab?

Geräusche in der Nähe lassen mich hochschrecken. Auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes stehen ein paar Soldaten um einen Übungsring und feuern zwei Kontrahenten an. Je länger ich ihnen zusehe, desto mehr juckt es mir in den Fingern. Ein wenig Training, ein kleiner Übungskampf könnte mich etwas ablenken.

***

Ohne weiter darüber nachgedacht zu haben, bin ich zu den fremden Männern gegangen und habe mich zu ihnen gestellt. Zwei Runden lang beobachte ich nun schon ihre Kampfweise, die sich deutlich von der in unserem Gebiet üblichen unterscheidet, und finde schnell ihre Schwachpunkte heraus.

Als der Kampf beendet ist, betritt ein großer breitschultriger Krieger den Ring und verlangt nach einem Gegner. Keiner der Umstehenden meldet sich; sie alle ziehen die Köpfe zwischen die Schultern und schauen in andere Richtungen. Mein Blick huscht wieder zu dem Krieger, der anscheinend der Beste ist, den Leerth zu bieten hat.

Perfekt.

Ich hebe die Hand und sage: »Ich werde gegen dich antreten.«

Wohl einen Lidschlag lang herrscht eine gespenstische Stille um mich herum. Dann brechen die Männer in schallendes Gelächter aus. Früher hätte mich ihr Verhalten verletzt, doch heute kann ich nur darüber lächeln. Als sie bemerken, dass ich es wirklich ernst meine, fangen sie an zu tuscheln.

Der Krieger kommt an den Rand des Ringes, wo ich stehe, und beugt sich zu mir herab. »Du bist eine von Königin Neeras Leibwächterinnen, oder?« Ich nicke. »Ich möchte der Königin ungern berichten müssen, dass ich eine ihrer Frauen zu Brei geschlagen habe.«

»Lass das meine Sorge sein, Großer«, erwidere ich mit süßlicher Stimme.

Er lacht erneut. »Dann geh und such dir deine Waffe aus. Erwarte aber nicht, dass ich sanft zu dir bin.«

Er deutet mit der riesigen Hand auf eine lange Holzwand, an der die Übungswaffen aufgereiht sind. Ich seufze. Schon wieder dieser Blödsinn mit den Stöcken! Warum nehmen sie nirgends echte Waffen? Ich brauche eine Weile, um die beiden Stöcke zu finden, die in Länge und Gewicht in etwa meinen Klingen entsprechen. Was würde ich dafür geben, sie jetzt benutzen zu dürfen …! Aber fürs Erste muss es so gehen.

Der Krieger erwartet mich im Ring und lässt die Fingerknöchel knacken. Das selbstgefällige Grinsen, das auf seinem Gesicht prangt, werde ich ihm schon noch früh genug austreiben. Ich lasse die Stöcke in der Hand wirbeln und dränge alle Gedanken, die nichts mit dem bevorstehenden Kampf zu tun haben, aus dem Kopf. Schon nach zwei Atemzügen fühle ich mich herrlich befreit und leicht. Vorfreude kribbelt in den Fingerspitzen. Keiner der Anwesenden wird je wieder über mich lachen, sobald ich ihren Champion besiegt habe. Und dass ich ihn besiege, steht außer Frage. Der Kerl ist zwar sehr kräftig, aber das war es auch schon. Er ist träge und ungelenk; das habe ich an der Art gesehen, wie er in den Ring gelaufen ist. Auch Caleb ist muskulös, aber im Gegensatz zu dem Krieger vor mir verfügt Caleb über Geschwindigkeit und Präzision, während der Krieger nur auf reine Körperkraft zu setzen scheint.

Wie gewohnt gehe ich in Position, halte einen Stock vor, den anderen hinter mich.

Gerade als ich auf meinen Gegner losstürmen will, sehe ich aus dem Augenwinkel, dass die anderen von ihrem Ausflug in die Stadt zurückkommen, und unterdrücke ein genervtes Schnauben. Und – wie sollte es auch anders sein? – sie alle gehen schnurstracks zur Absperrung des Trainingsrings.

»Scarlet!«, ruft Tristan, der drauf und dran ist, über das Gatter zu klettern. »Was tust du da?«

»Halt dich zurück, Blondie!«, sagt Hazel und kichert. »Sonst bekommen wir nichts zu sehen.«

»Aber … das ist Angur! Er ist unser bester Kämpfer! Wie kann sie so dumm sein, gegen ihn anzutreten?«, widerspricht Tristan.

Dumm? Hat er mich gerade dumm genannt? Ich fletsche die Zähne und verstärke den Griff um die Stöcke.

»Zehn Goldstücke auf Scarlet«, sagt Ash.

Wie von selbst fliegt mein Blick zu ihm. Das übermütige Funkeln in seinen Augen und das schiefe Grinsen lassen einen wohligen Schauer über meinen Rücken rieseln und vertreiben den Ärger, den Tristans Worte bei mir ausgelöst haben. Um mich herum werden andere Wettgebote laut und Münzen klimpern.

Als Ash meinen Blick bemerkt, nickt er mir zu und ruft: »Mach ihn fertig!«

Ich schmunzele und bin machtlos gegen das warme Gefühl, das in meiner Brust explodiert, bevor ich auf den Gegner – Angur – losgehe.

Mit meiner Einschätzung lag ich nicht daneben: Angur bewegt sich träge und schwerfällig, aber ich bin mir sicher, dass er mich mit einem gezielten Hieb zu Boden schicken könnte. Er nutzt keine Waffen, sondern verlässt sich auf seine Kraft. Ich ducke mich unter seinen Fäusten und schlage mit den Stöcken auf empfindliche Punkte ein: Magen, Nierengegend, Rücken, Hals. Mit meinen Klingen hätte ich ihn schon nach wenigen Sekunden besiegt, aber die durchschlagende Wirkung der Stöcke bleibt aus. Wann immer ich ihn treffe, zieht er zwar scharf die Luft ein, hält jedoch in seinen Angriffen nicht inne.

»Jemand muss ihr helfen!«, höre ich Tristan erneut rufen. »Wie könnt ihr zulassen, dass sie …?«

»Ich brauche keine Hilfe!«, schreie ich ihm zu und hole zu einem neuen Hieb aus.

Diesmal treffe ich Angurs Nase, die sofort anfängt zu bluten. Wimmernd hält er beide Hände davor. Ich wirbele herum und lasse den hinteren Stock auf seinen wulstigen Nacken sausen.

Nachdem mein Gegner zu Boden gegangen ist und sich nicht mehr rührt, schaue ich erst Tristan und dann Ash fest ins Gesicht.

»Ich brauche keinen Mann, um meine Kämpfe zu gewinnen«, sage ich. Durch die anhaltende Stille, die mein Sieg ausgelöst hat, hallt meine Stimme über den gesamten Hof. »Und erst recht keinen Prinzen.«

Mit dem letzten Satz meine ich beide, den neuen und den alten Prinzen. Ash und Tristan. Die beiden Männer, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Während Letzterer mich nur geschockt anschaut, grinst Ash bis über beide Ohren.

»Das ist mein Mädchen«, sagt er und fordert gleichzeitig mit ausgestreckter Hand von einem der Soldaten seinen Wettlohn ein.

Ich ziehe scharf die Luft ein und schaue zu den anderen. Hazel und Payne grinsen ebenfalls, Tristan sieht verwirrt aus. Doch am meisten trifft mich Rubys giftiger Blick. Es grenzt an ein Wunder, dass ich mich nicht augenblicklich in ein Häufchen Asche verwandele.

Innerlich jedoch platze ich beinahe vor Stolz, daran kann auch Rubys hasserfüllter Blick nichts ändern. Es ist das erste Mal, dass er mich vor anderen als »sein« bezeichnet. Äußerlich verdrehe ich die Augen, werfe die Stöcke zu Boden und knie mich neben Angur, um zu sehen, wie schlimm es um ihn steht. Er röchelt und seine Nase blutet immer noch, scheint aber nicht gebrochen zu sein. Abgesehen davon wird er mit ein paar blauen Flecken davonkommen.

Unschlüssig bleibe ich im Ring stehen. Das herrliche Gefühl des Verdrängens, das während des Kampfes in meinem Kopf herrschte und die negativen Gedanken von mir fernhielt, ist verschwunden. Sobald ich einen Fuß aus dem Ring setze, muss ich mich meinen Problemen, die beide bereits jenseits der Absperrung auf mich warten, stellen und ich weiß nicht, welches von ihnen ich zuerst angehen soll. Am einfachsten wäre es, zunächst mit Tristan zu reden, um zu erfahren, wie es ihm ergangen ist, aber wenn ich ihn bevorzuge … Nachdem er mich als dumm bezeichnet hat, verspüre ich sowieso keine Lust, sofort mit ihm zu reden.

Bliebe also Ash. Automatisch schaue ich in seine Richtung und er fängt meinen Blick auf. Seiner ist fragend, bittend, aber ich sehe ihm an, dass es ihn eine Menge Überwindung kostet, ruhig an Ort und Stelle stehen zu bleiben. Ich weiß nicht, ob er in meiner Miene lesen kann wie in einem offenen Buch, doch er tippt sich gegen den Nexus. Seufzend nicke ich, verlasse den Ring und mache mich auf den Weg in mein Zimmer.