Ferien in Beekbüll - Ingrid Uebe - E-Book

Ferien in Beekbüll E-Book

Ingrid Uebe

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Beschreibung

Emma und Tobi fahren in den Ferien zu ihrer Großtante an die Nordsee. In Beekbüll gibt es ein leerstehendes Haus, von dem sich die Leute seltsame Geschichten erzählen. Ob es dort wirklich spukt? Das müssen Emma und Tobi unbedingt herauskriegen!

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2015Die Print-Ausgabe erscheint in der Ravensburger Verlag GmbHOriginalausgabe© 2015 Ravensburger Verlag GmbHUmschlaggestaltung: Claudia Stein unter Verwendung einer Illustration von Cathy IonescuInnenillustrationen: Cathy IonescuLektorat: Emily HugginsAlle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.ISBN978-3-473-47613-8www.ravensburger.de

Erstes Kapitel

„Wären wir doch nach Italien gefahren!“, seufzte Emma.

„Oder in die Türkei geflogen!“, stöhnte Tobi.

„Meinetwegen hätten wir auch zu Hause bleiben können“, sagte Mama.

Papas Hände fassten das Lenkrad fester. Dabei musste er gar nicht viel lenken. Die Straße vor ihm war schnurgerade und hatte auch in den letzten zwei Stunden so gut wie keine Kurve gemacht.

„Gefällt es euch hier etwa nicht?“, knurrte er.

„Es ist alles so platt“, seufzte Emma.

„Total langweilig“, stöhnte Tobi.

„Ehrlich gestanden hatte ich es mir auch etwas aufregender vorgestellt“, sagte Mama.

Die Unterhaltung gefiel Papa gar nicht. Seine Hände fassten das Lenkrad so fest, dass die Fingerknöchel deutlich hervortraten.

„Ich finde diese grüne Landschaft ganz wunderbar“, schwärmte er. „Als Kind habe ich hier immer besonders spannende Ferien verbracht.“

Emma und Tobi warfen von der Rückbank aus missmutige Blicke durchs Fenster – Emma nach links, Tobi nach rechts. Man sah nur Wiesen und Felder, Felder und Wiesen. Und ab und zu einen Baum.

Mama auf dem Beifahrersitz grub in einer knisternden Tüte nach Bonbons: Zitrone für Emma, Himbeere für Tobi, Waldmeister für sich selbst. Damit Papa das Lenkrad nicht loslassen musste, steckte sie ihm ein Orangenbonbon direkt in den Mund.

„Und warum waren deine Ferien früher so spannend?“, wollte sie wissen.

Ohne Rücksicht auf seine Zähne zerkaute Papa das Bonbon. Mit Emma und Tobi hätte er todsicher geschimpft.

„Das Meer war nicht weit“, sagte er dann. „Bei schönem Wetter verbrachten wir ganze Tage am Strand. Aber auch das Landleben gefiel mir. Ich kam ja aus der Stadt und fand auf dem Dorf alles super – die Tiere, die Ställe und dass alle sich kannten. Mir gefiel die endlose Heide und besonders das düstere Moor.“

Emma und Tobi horchten auf.

„Warst du auch mal im Moor?“, fragte Emma. „Vielleicht bis an die Knie oder noch tiefer?“

„Natürlich nicht“, antwortete Papa. „Wenn ich so tief reingegangen wäre, säße ich jetzt nicht hier im Auto.“

„Hast du denn mal gesehen, wie ein anderer reinging?“, erkundigte sich Tobi.

Papa schüttelte den Kopf. „Ich habe nur davon gehört. Die Leute im Dorf erzählten gern solche Geschichten. Eine immer schauriger als die andere.“

Emma und Tobi beugten sich vor.

„Weißt du noch eine?“, fragte Emma begierig. „Dann musst du sie uns erzählen!“

„Und zwar sofort!“, sagte Tobi. „Ruhig eine ganz schlimme! Es macht mir nichts, wenn sie kein gutes Ende nimmt.“

„Mir sowieso nicht!“, versicherte Emma.

„Muss das wirklich sein?“, fragte Mama und knisterte erneut mit der Tüte. „Wollt ihr nicht lieber noch ein Bonbon?“

„Ein Bonbon und eine Geschichte!“, verlangte Emma.

„Genau!“ Tobi nickte. „Das ist eine gute Mischung.“

Papa schien nicht ganz überzeugt. „Ach, ich weiß nicht … Ich bin nicht besonders gut im Erzählen von Gruselgeschichten. Wartet, bis wir in Beekbüll sind! Da kommt ihr auf eure Kosten. Tante Gesine schüttelt sich die schaurigen Geschichten nur so aus dem Ärmel.“

Emma und Tobi ließen sich enttäuscht wieder nach hinten fallen. Hach, Beekbüll und Tante Gesine! Einfach zum Gähnen! Vor ihnen lagen drei Wochen Urlaub in Beekbüll, in dem Haus, das Tante Gesine gehörte. Nur weil Papa als kleiner Junge da so spannende Ferien verbracht hatte, dass er jetzt unbedingt noch mal hin wollte.

„Wie lange ist das eigentlich her?“, fragte Tobi. „Ich meine, seit du in Beekbüll warst.“

„Fast dreißig Jahre“, antwortete Papa. Er schien selbst leicht überrascht. „Tante Gesine kam mir damals schon ziemlich alt vor, so zwischen sechzig und siebzig.“

„Dann ist sie jetzt ungefähr hundert!“, staunte Tobi. „Ich hoffe, sie hat die Gruselgeschichten nicht vergessen.“

„Das kann ich mir nicht vorstellen“, sagte Papa. „Am Telefon klang sie genau wie früher. Ich freue mich wirklich sehr, sie wiederzusehen.“

„Wann sind wir denn endlich da?“, erkundigte sich Emma.

Papa hob die Schultern. „In einer halben Stunde, schätze ich mal.“

„Vielleicht dauert es auch noch länger“, sagte Mama. „Wenn mich nicht alles täuscht, zieht da vorn eine Schafherde über die Straße.“

Papa trat sacht auf die Bremse. Seine Hände lagen jetzt locker und leicht auf dem Lenkrad.

„Was für eine stattliche Herde!“, stellte er entzückt fest. „Habt ihr schon mal so tolle Schafe gesehen?“

Emma gähnte. „Ich nicht“, sagte sie knapp.

„Ich auch nicht“, bestätigte Tobi.

Mama lachte. „Jedenfalls nicht so viele auf einmal!“

Alle drei hörten sich nicht gerade begeistert an.

Papa schien es nicht zu bemerken. „Wie mutig die Tiere sind!“, meinte er voller Bewunderung. „Sie haben kein bisschen Angst vor uns und unserem Auto.“

Emma kicherte. „Vielleicht kennen sie dich noch von früher.“

„Oder sie sind einfach doof“, meinte Tobi.

Mama hielt sich die Nase zu. „Auf alle Fälle stinken sie, und das nicht zu knapp!“

„Na und?“ Papa streckte die Hand durch das heruntergekurbelte Seitenfenster und wedelte die Luft von draußen nach drinnen. „Sie riechen genau, wie sie riechen sollen! Wie Schafe eben. Streng und stark und gesund.“

„Du musst es ja wissen“, sagte Mama. „Ich gebe zu, wenn man sich die Nase zuhält, kann man sie ganz schnuckelig finden.“

In breiter Front zog die Herde dicht an dicht auf klickenden Hufen quer über die Straße. Die Parade wolliger Felle und das vielstimmige Mäh-ä-ä-ä-äh! nahmen kein Ende.

Papa konnte sich gar nicht satt sehen. Er hatte das Auto längst zum Stehen gebracht und obendrein den Motor abgestellt.

„Ist eigentlich keiner da, der auf die Schafe aufpasst?“, fragte Tobi. „Weder ein Mensch noch ein Hund?“

„Sieht fast so aus“, antwortete Papa. „Ich verstehe das auch nicht.“

„Da! Eins von ihnen kneift aus!“, rief Emma. „Es kommt direkt auf uns zu! Boah, was für ein riesiges Vieh!“

Das anrückende Tier war tatsächlich größer als alle anderen und schien beim Näherkommen sogar noch zu wachsen.

Vor dem geöffneten Fenster auf Papas Seite machte es Halt. Sein kurz geschorenes Fell war fast weiß. Nur das Gesicht war tiefschwarz und wirkte wie eine Maske.

Als ihm Papa die Hand entgegenstreckte, öffnete sich unter der stumpfen Nase ein kleines, rosiges Maul und machte mit überraschend hoher Stimme: „Mäh-ä-ä-ä-äh!“ Es klang fremd und keineswegs freundlich.

„Komisches Tier“, flüsterte Tobi.

„Ich finde, es sieht irgendwie böse aus“, wisperte Emma.

„Mir gefällt es auch nicht“, murmelte Mama. „Mach lieber das Fenster zu!“

Papa schüttelte den Kopf. „Warum denn? Schafe sind friedliche Tiere. Ihr braucht keine Angst zu haben!“

„Mäh-ä-ä-ä-äh!“, ertönte es wieder.

In nächsten Moment senkte das Schaf den Kopf mit dem tiefschwarzen Gesicht. Dann schoss es plötzlich nach vorn. Die brettharte Stirn schlug heftig gegen die Autotür. Boing. Boing. Boing.

Papa gefiel das Schaf mit jedem Boing weniger. „Lass den Blödsinn!“, brüllte er. „Was hast du denn bloß?“

„Vermutlich die Tollwut“, sagte Mama. „Fahr weiter! Das Mistvieh zerbeult uns das ganze Auto.“

Das Schaf warf seinen Kopf in den Nacken und machte zum dritten Mal: „Mäh-ä-ä-ä-h!“ Es hörte sich an wie das Signal zum Angriff.

Doch so weit kam es nicht. Quer über die Wiese hetzte nun nämlich ein Wolf. Jedenfalls sah es auf den ersten Blick so aus. Auf den zweiten Blick war es dann nur noch ein Hund. Ein großer, grauer, struppiger Hund, der in flachen Sprüngen über das Gras jagte und das Schaf nicht fressen, sondern nur zu seiner Herde zurücktreiben wollte.

Das Schaf begriff auch sofort. Mit empörtem Mäh-ä-ä-ä-äh drehte es sich um und lief zurück zu den anderen.

Der Hund blieb. Das war merkwürdig. Er stand da, wo eben noch das Schaf gewesen war, streckte den Kopf vor und knurrte. Zwischen den hochgezogenen Lefzen bleckte er zwei Reihen kräftiger Zähne. Die Eckzähne waren sehr lang und sehr spitz.

Emma und Tobi drückten sich tief in die Lehne der Rückbank.

„Was hat er nur gegen uns?“, fragte Tobi.

„Er kann uns nicht leiden“, vermutete Emma.

„Ich will hier weg!“, sagte Mama bestimmt.

Nun bellte der Hund. Außerdem knurrte er. Seltsamerweise konnte er beides gleichzeitig. Er hörte sich genauso gefährlich an, wie er aussah.

Papa drehte den Zündschlüssel. Das Auto setzte sich in Bewegung. In einiger Entfernung überquerten die letzten Schafe die Fahrbahn.

Emma und Tobi knieten sich auf ihre Sitze und blickten durch das hintere Fenster zurück. Der Hund stand mitten auf der Straße und schaute dem Auto nach. Als er die Gesichter der Kinder sah, legte er den Kopf in den Nacken und heulte – langgezogen und laut.

„Das ist kein normaler Hund“, stellte Emma fest.

„Das Schaf mit dem schwarzen Gesicht war auch nicht normal“, sagte Tobi.

Emma schluckte. „Das bedeutet nichts Gutes.“

Tobi nickte. „Genau. Die Tiere wollen uns warnen.“

Papa warf einen schrägen Blick nach hinten und sagte: „Ihr werdet in Beekbüll viel Spaß haben.“

„Warum?“, fragte Tobi.

„Es gab ganz hinten im Dorf so ein merkwürdiges Haus …“ Papa brach ab.

„Was für ein Haus?“, bohrte Tobi nach.

Diesmal schüttelte Papa den Kopf. „Schluss damit! Ich hätte gar nicht davon anfangen sollen.“

„Doch! Mach weiter!“, rief Emma.

„Wem gehörte das Haus?“, fragte Tobi.

„Einem alten Seemann, der später ertrank. Ich habe nie jemanden hineingehen oder herauskommen sehen. Die Leute in Beekbüll nannten es Spukhaus. Wahrscheinlich nennen sie es immer noch so.“

„Meinst du, es steht noch?“, erkundigte sich Emma hoffnungsvoll.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass man es abgerissen hat“, antwortete Papa. „Eigentlich war es ein schönes Haus. Jedenfalls von außen.“

„Bist du nie drin gewesen?“, fragte Tobi.

Papa schüttelte den Kopf. „N-n-nein. N-n-nicht wirklich.“

„Ich glaube, du schwindelst“, warf Mama ein. „Aber das ist ganz gut. Noch mehr über das Spukhaus möchte ich ehrlich gesagt gar nicht wissen.“

„Ich schon!“, murrte Emma.