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Ob Allianz, BASF oder DaimlerChrysler – trotz guter Arbeitslage kündigen Unternehmen immer wieder Umstrukturierungen, Entlassungen und Arbeitsplatzabbau an. Deshalb sollte jeder Arbeitnehmer frühzeitig darüber nachdenken, wie er sich für seine Firma unentbehrlich machen kann.
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Seitenzahl: 228
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Meyer, Jens-Uwe
Fest im Sattel. Insider-Strategien zur Jobsicherung
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E-Book ISBN: 978-3-593-40296-3
Es gibt Dinge, die eigentlich jeder weiß, die aber selten ausgesprochen werden. Auch in Bezug auf den eigenen Arbeitsplatz gibt es drei unangenehme Wahrheiten, mit denen ich Sie hier konfrontieren möchte.
Erstens: Auch Sie könnten arbeitslos werden, egal wie sehr Ihnen Ihr derzeitiger Chef einen sicheren Job garantiert.
Zweitens: Wenn Ihr Unternehmen Mitarbeiter entlässt, stellt sich irgendwann die Frage, ob es Sie oder Ihre Kollegen trifft.
Und drittens: Wenn von 10 000 Angestellten eines Unternehmens 1 000 entlassen werden, ist Ihre einzige Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Sie zu den 9 000 gehören, die bleiben. Beim Kampf um die Existenz geht es Ihnen nicht anders als Cowboys beim Rodeo: Ihre Mitarbeiter sind Kollegen, vielleicht sogar Freunde, aber zugleich Konkurrenten, von denen es leider nicht alle bis ins Finale schaffen. Für Sie kommt es aber vor allem darauf an, sich möglichst lange auf dem Pferd zu halten und nicht abgeworfen zu werden.
»Moment! Moment!«, sagen Sie jetzt vielleicht. »Ist die Talsohle der Wirtschaftskrise nicht schon lange durchschritten? In vielen Branchen geht es doch sogar schon wieder aufwärts!« Im Prinzip ja. Und doch macht das Ihre Lage als Mitarbeiter nur bedingt besser. Denn auch wenn Unternehmen wieder mehr Aufträge bekommen als in den vergangenen Jahren, auch |10|wenn sie wieder Mitarbeiter einstellen, eines wird bleiben: die ständige Veränderung. Es wird niemals wieder so gemütlich wie es einmal war.
2006 führte IBM eine Umfrage unter 750 Unternehmenschefs und Führungskräften aus 20 Branchen in allen Industrienationen und aufstrebenden Märkten durch. Das Ergebnis: In den nächsten Jahren planen zwei Drittel aller Befragten grundlegende Veränderungen in ihrem Unternehmen. Die Organisationen seien vielfach »teuer, nicht reaktionsfähig genug, ineffizient und veraltet«. Um sich dem wachsenden Wettbewerb zu stellen, wollen die Unternehmenschefs ihre Geschäftsmodelle hinterfragen und vielfach komplett auf den Kopf stellen.
Die Liste deutscher Unternehmen, die umstrukturieren, Arbeitsplätze abbauen wollen oder gerade abbauen, liest sich wie ein Who is Who der Wirtschaft. Ob Allianz (»Neuordnung zügig vorantreiben«, Manager-Magazin 2006), BASF (»im Wesentlichen durch betriebsbedingte Kündigungen«, Frankfurter Allgemeine Zeitung 2006), Carl Zeiss Vision (»Die Produktion soll nach Ungarn verlegt werden«, Financial Times Deutschland 2005) oder DaimlerChrysler (»Wir müssen den Gürtel noch enger schnallen«, Focus Money 2006), überall werden Umstrukturierungen geplant, Mitarbeiter entlassen, Stellen gestrichen, Sozialpläne ausgehandelt oder sogenannte geheime Entlassungen über Abfindungsregelungen vollzogen.
Sie arbeiten in einem Großkonzern und fühlen sich sicher? Dazu gibt es leider keinen Grund. 2004 befragte das Münchener Ifo-Institut 1 100 Manager, was sie tun würden, um zu sparen. Dabei fanden die Wirtschaftsforscher heraus, dass gerade Großunternehmen dazu neigen, Personalabbau reflexartig zu betreiben: Vier von fünf Managern aus Großunternehmen sehen betriebsbedingte Kündigungen als wichtigste Maßnahme zur Kostensenkung an. Selbst für Höherqualifizierte |11|sind Arbeitsplätze in Großkonzernen auch in Zukunft mehr gefährdet als in anderen Unternehmen, so die Studie. Für den Computerchiphersteller Intel, das werden Sie in diesem Buch noch erfahren, sind sogar die eigenen Manager teilweise bereits zum Störfaktor geworden.
Für Meinhard Knoche, Vorstandsmitglied im ifo-Institut, keine Überraschung: »Kleinere und mittlere Unternehmen sehen ihr Personal stärker als Ertragsfaktor, während Großunternehmen eher dazu neigen, die Personalkosten durch Entlassungen und Outsourcing zu senken.«
»Kapitalismus Brutal« heißt es im April 2005 im Stern, weil nicht einmal Milliardengewinne der Unternehmen die Stellen sichern. Der Produktionsfaktor Mensch – also wir alle – ist der größte Kostentreiber eines Unternehmens und damit jedem Controller und jedem renditeorientierten Großanleger ein Dorn im Auge. Die Folge: Der umworbene Mitarbeiter von heute ist die personelle Altlast von morgen.
Selbst der Herr trennt sich von seinen Schäflein: Das Bistum Münster baut bis 2009 ein Drittel seiner 210 Stellen ab, das Bistum Aachen will sich bis 2008 sogar von jedem zweiten Mitarbeiter getrennt haben.
Die Betroffenheitsrhetorik klingt überall gleich: »Es ist sicher die unangenehmste Aufgabe für Personaler, die Zahl der Mitarbeiter reduzieren zu müssen, vor allem, wenn es nicht immer mit Instrumenten wie natürlicher Fluktuation, Altersteilzeit und Ähnlichem möglich ist«, gesteht Wulf Meier, Personalvorstand der Allianz Versicherungs-AG, in einem Interview der hausinternen Mitarbeiterzeitung. Und für den Aachener Generalvikar Manfred von Holtum, Sanierer im Auftrag des Herrn, sind die Kündigungen das »menschlich schwierigste Thema in dem Sanierungsprozess«. Durchaus hingebungsvolle Worte, die von tiefer Betroffenheit und wahrem Mitgefühl |12|derer sprechen, die ihren Arbeitsplatz behalten. Nur Ihnen helfen Sie im Falle eines Falles nicht.
Sie wollen Ihre Existenz sichern? Dann setzen Sie sich ab jetzt aktiv mit dem Gedanken auseinander, dass die Jobkrise auch Sie treffen kann und Sie im Zuge der nächsten Sparwelle oder Umstrukturierung überflüssig werden. Leiten Sie so früh wie möglich alle Schritte ein, die Ihnen helfen zu überleben. Sie werden in diesem Buch eine Reihe von Methoden kennen lernen, mit denen Sie Ihren Arbeitsplatz in Krisenzeiten retten können.
Dieses Buch ist ehrlich. Sehr ehrlich. Die Offenheit, mit der ich Sie konfrontiere, wird Sie stellenweise erschrecken. Doch ich habe mich entschlossen, Ihnen die ungeschminkte Wahrheit zu sagen. Denn je ehrlicher Sie zu sich selbst sind, desto mehr können Sie sich helfen. Malen Sie sich nichts schön und bauen Sie keine Luftschlösser. Je eher Sie sich zum Beispiel eingestehen, dass Sie – im Vergleich zu Ihren Kollegen – für Ihren Betrieb überflüssig sind, desto eher können Sie damit beginnen, dem entgegenzusteuern und sich Nutzenmerkmale zuzulegen.
Ich beschäftige mich in verschiedenen Funktionen – als Polizist, als Kriegsreporter, als Manager und als Berater – seit 25 Jahren mit Krisen. 1982 habe ich als junger Beamter bei der Hamburger Polizei angefangen. Als Bereitschaftspolizist wurde ich bei Straßenschlachten zwischen holländischen und deutschen Fußballfans eingesetzt; auf der Hamburger Davidwache konnte ich tief in das Milieu der Sündenmeile Reeperbahn blicken; als Angehöriger einer verdeckten Rauschgift-Einheit habe |13|ich gegen ein Kartell ermittelt, das in ganz Europa Heroin verkaufte, und während der Ausbildung zum gehobenen Dienst habe ich Insider-Kenntnisse über Ermittlungstaktiken und die Leitung von Einsätzen bekommen. Als ausgebildeter Kommissar verließ ich 1990 die Polizei und wurde Journalist.
Zwei Jahre später verfolgte ich hautnah den Wahlkampf von George W. Bush gegen Bill Clinton als Reporter des amerikanischen Auslandsrundfunks Voice of America in Washington. Von 1994 bis 1999 habe ich als Fernsehreporter und Auslandskorrespondent für Pro Sieben aus mehr als 25 Ländern berichtet. Ich war einer der Reporter, die man in Fachkreisen »Krisenhopper« nennt: spezialisiert auf Kriege und Katastrophen. Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern, den USA und dem Irak, der Türkei und der PKK, die Kriege in Bosnien und im Kosovo, die Lawinenkatastrophe von Galtür, der Amoklauf im französischen Nanterre oder der Absturz von Swissair 111 vor Kanada – jedes Mal war ich live dabei.
Mit der Jahrtausendwende änderte ich mein Leben: Ich hatte genug von Krisen, absolvierte ein MBA-Managementstudium und wurde zunächst Chefredakteur, dann Programmdirektor eines landesweiten Radiosenders. Und schlitterte hier in die nächste Krise, diesmal eine Unternehmenskrise. Die Kosten des Unternehmens mussten radikal gesenkt werden, jede vierte Planstelle der Redaktion fiel weg. Ich hatte eine Entlassungswelle zu verantworten, der eine komplette Umstrukturierung folgte.
Wenn es eine wichtige Lektion gibt, die ich in den Jahren als Krisenreporter und Krisenmanager gelernt habe, ist es die: In einer Krise kann man nur dann helfen, wenn man unbequeme Wahrheiten offen ausspricht. Als Polizist weiß ich, dass man einer Prostituierten nur dann aus der Szene heraushelfen kann, wenn man ihr ihre Situation ungeschminkt beschreibt: |14|»Es gibt drei Möglichkeiten, hier zu enden: Als Wrack, pleite oder tot.« Die gleiche Form von Ehrlichkeit braucht man in der Rauschgiftszene: Mehr als einmal habe ich mit Abhängigen gesprochen, die mich davon überzeugen wollten, dass sie nicht wirklich süchtig waren, sondern jederzeit aufhören können. Einen von ihnen habe ich zwei Tage später wiedergesehen: tot. Gestorben an einer Überdosis Heroin.
Dass Ehrlichkeit in Krisensituationen auch außerhalb der Polizei mehr bringt als diplomatisches Geplänkel, habe ich im US-Wahlkampf 1992 zwischen Bush und Clinton erfahren. Ich konnte damals Kontakte bis in den engsten Beraterkreis von Bill Clinton aufbauen und habe dort die Seite des Wahlkampfes kennen gelernt, von der nur wenig an die Öffentlichkeit gedrungen ist: wie es ein Kandidat schaffte, während seiner Wahlkampagne eine Krise nach der anderen zu überleben. Clinton hatte sich gleich zu Beginn seiner Kampagne einen der erfolgreichsten, aber auch einen der ungehobeltesten Berater ins Haus geholt: James Carville. Carville und Stan Greenberg, der die Marktforschung für Clinton betrieb, sagten ihrem Kandidaten ungeschminkt, dass er aalglatt und unglaubwürdig wirkte. Hätte Clinton diese Wahrheit nicht hören wollen, hätte er es nicht einmal bis zur Nominierung als Präsidentschaftskandidat geschafft. Sie werden in diesem Buch noch mehr davon erfahren.
Wahrheits-Allergien
Es hat mich immer wieder verwundert, wie viele Menschen auf die Wahrheit beinahe allergisch reagieren. Sie warten förmlich darauf, dass ihnen irgendjemand versichert, es werde schon nichts passieren. Alles andere lehnen sie energisch ab. Als Programmdirektor |15|beim Radio habe ich einem Moderator einmal sehr offen gesagt: »Vielleicht kannst du deinen Job noch drei Jahre machen, vielleicht fünf, vielleicht acht. Aber es wird der Tag kommen, an dem irgendjemand sagt, das Programm müsse verjüngt werden und an dem du entlassen wirst. Und dann gibt es für dich nur zwei Möglichkeiten: Du hast dir ein zweites Standbein aufgebaut oder Hartz IV.« Was glauben Sie war die Reaktion? Ein Dankeschön? Im Gegenteil: Der Mitarbeiter hat sich im Kollegenkreis anschließend lautstark über meine »merkwürdigen Ansichten« geäußert. Er war blind gegenüber der Situation, die jeder kennt, der lange in den Medien arbeitet.
Überhaupt: Von den Medien können Sie viel lernen, denn diese Branche ist das Musterbeispiel für Kurzlebigkeit. Harald Schmidt beschreibt es so: »Ist es nicht geil, anderen beim Scheitern zuzusehen?« Ich kenne ehemalige Kollegen, die vor einigen Jahren noch bekannte und beliebte Moderatoren beim Radio waren, die den Zenit ihrer Karriere jedoch irgendwann überschritten hatten. Da waren sie Mitte vierzig, hatten nie etwas anderes gelernt als zu moderieren und dachten offenbar, dass sie am Mikrofon sitzen können, bis sie Mitte sechzig sind. Doch es ist genauso wie in der Musik: Nur wenige Boygroups sind mit sechzig noch attraktiv. Oder im Sport: Können Sie sich Paul Breitner, den Weltmeister von 1974, heute noch in der Nationalmannschaft vorstellen? Irgendwann fällt in der Medienbranche beinahe jeder dem Jugendwahn zu Opfer. Die Folge: Einige ehemalige Radiomoderatoren sind inzwischen arbeitslose Alkoholiker. Es sind die, die der Wahrheit stets konsequent aus dem Weg gegangen sind.
Als Trainer und Berater ist Ehrlichkeit heute mein größtes Kapital. Ich werde auch Ihnen gegenüber ehrlich und offen sein, selbst auf die Gefahr hin, dass es manchmal wehtut. Ehrlichkeit |16|ist das Einzige, was Ihnen hilft. Wenn ein Unternehmen umstrukturiert wird und der Betriebsrat Ihnen als Mitarbeiter sagt, Sie sollen ruhig bleiben und abwarten, der Betriebsrat würde sich für Sie einsetzen, dann ist das rhetorisches Opium, sonst nichts. Aus Sicht eines Chefs, der ein Unternehmen wettbewerbsfähig machen muss, ist der Betriebsrat allenfalls ein zu managendes Ärgernis. Am Ende – und das habe ich bei Verhandlungen mit Betriebsräten selbst erlebt – geht es in vielen Fällen nicht darum, dass sich Mitarbeitervertreter für Einzelne einsetzen, sondern dass ein Ergebnis erzielt wird, das jeder für sich als Erfolg verkaufen kann. Das ist Realpolitik.
Ihr Chef denkt anders als Sie
Es gibt einen großen Unterschied im Denken von Mitarbeitern und im Denken von Chefs. Wenn Sie diesen Unterschied verinnerlichen und akzeptieren, sind Sie bereits den ersten Schritt gegangen. Viele Mitarbeiter haben das Gefühl, dass ihr Unternehmen ihnen dankbar sein muss für das, was sie in den vergangenen Jahren geleistet haben: »Seit 10 Jahren bin ich jeden Morgen um 6 Uhr hier. Und jetzt werde ich entlassen. Ist das der Dank?« Oder: »Ich habe mich immer aufgeopfert, 12 Stunden am Tag gearbeitet, ohne einmal nach Überstundenbezahlung zu fragen. Und nicht einmal ein Dankeschön bekommen.« Aus Sicht eines Mitarbeiters ist dieser Frust verständlich, aus Sicht eines Unternehmens jedoch sieht die Sache anders aus.
Der Inhaber eines Zeitungsverlags hat mir einmal gesagt: »Mich interessiert das Gestern nicht. Mich interessiert nicht einmal das Heute. Das Heute ist bereits Geschichte. Mich interessiert nur das Morgen.« Als Unternehmer verdient er sein Geld nicht gestern, sondern heute und morgen. Die Leistungen von |17|vor fünf Jahren besitzen höchstens ideellen Wert und keinen materiellen. Deshalb interessiert eine Firma nicht, was Sie gestern geleistet haben, sondern nur das, was Sie morgen leisten werden.
Seien Sie egoistisch
Ehrlichkeit tut immer weh: Natürlich ist es traurig, wenn Sie beginnen, Ihre Lieblingskollegin nunmehr als Konkurrentin um den Arbeitsplatz zu sehen. Und natürlich hat es etwas Hinterlistiges an sich, wenn Sie beginnen, sich dieser freundlichen Kollegin gegenüber Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, die Ihnen in der nächsten Entlassungsrunde eine bessere Ausgangsposition verschaffen. Aber es hilft nichts: Die Entscheidung darüber, wer ein Unternehmen verlässt und wer nicht, ist eine Frage der logischen Abwägung. Finden Sie sich damit ab, dass Ihr Überleben am Arbeitsplatz davon abhängt, wie viele logische Argumente es für Sie im Vergleich zu Ihren Kollegen gibt. Lassen Sie Ihre Emotionen beiseite! Für Ihr berufliches Überleben darf es keine Rolle spielen, ob Sie Mitleid mit einer Kollegin haben, die alleinerziehende Mutter ist und nach Feierabend aufopferungsvoll ihren kranken Vater pflegt. Es sei denn, dass Sie aus Großherzigkeit der Kollegin Ihren Arbeitsplatz überlassen wollen.
Egal ob Ihr Unternehmen Arbeitsplätze abbaut, weil es Kosten reduzieren muss oder umstrukturiert, um sich dem Wettbewerb zu stellen, heute und in den kommenden Jahren werden |18|Sie mit einer vollkommen neuen Situation konfrontiert: Krisen werden zum Normalfall. Dummerweise lernen Mitarbeiter den Umgang mit Krisen in keinem Ausbildungsplan. Ich habe viele Kollegen erlebt, die in unsicheren Zeiten die Orientierung verloren haben, weil sie eine der wichtigsten Verhaltensregeln aus Krisengebieten nie gelernt haben: ihre Emotionen auszuschalten und mithilfe von analytischen Werkzeugen nach Lösungen zu suchen.
In den vielen Jahren, in denen ich für Pro Sieben aus Krisengebieten berichtet habe, habe ich viel darüber gelernt, wie Generäle ihre Gegner analysieren und Strategien entwickeln, um sich gegen Angriffe zu schützen. Nabil Quaouk, der Kommandant der südlibanesischen Hisbollah, den ich in einem Geheimversteck getroffen habe, hat mir erklärt, wie man jahrelang überlebt, wenn man auf der israelischen Todesliste ganz oben steht. In Armeestellungen im bosnischen Bürgerkrieg habe ich gesehen, wie Einheiten ihre Gegner in die Irre führten und der Kommandant einer PKK-Einheit im Nordirak hat mir eine Lehrstunde in Guerilla-Taktik erteilt. Ich werde Ihnen in diesem Buch immer wieder Parallelen zwischen Krisengebieten und Ihrem Unternehmen aufzeigen. Das heißt nicht, dass Sie solche Strategien in beruflichen Krisen für sich einsetzen sollen – ich möchte Ihnen vielmehr zeigen, mit welchen Mitteln Ihre Gegner, seien es Kollegen, Mitarbeiter oder Chefs, möglicherweise gegen Sie vorgehen und wie Sie sich dagegen wehren können.
Krisen in Unternehmen kommen nicht überraschend. Dem Großteil aller Entscheidungen liegen lange Abwägungsprozesse |19|zugrunde. Das Management von Unternehmen greift dabei auf Tools zurück, die in der Managementausbildung gelehrt werden. Ich habe sie studiert, in der Praxis eingesetzt und werde sie an Sie weitergeben. So können Sie diese Werkzeuge, mit denen das Management häufig Entscheidungen gegen Sie trifft, geschickt für sich nutzen. Arbeiten Sie das Buch Schritt für Schritt durch. Insgesamt 12 Tests werden Ihnen dabei helfen, sich ein Bild von der Situation Ihres Unternehmens und Ihrer eigenen Position zu machen. Übertragen Sie die Ergebnisse der einzelnen Tests in die Übersicht in Kapitel 11. Ich werde Ihnen dort Ihren persönlichen Überlebenskompass vorstellen, mit dessen Hilfe Sie sich durch das Dickicht der Veränderungen schlagen können.
Machen Sie sich bewusst: Nur wenn Sie bereit sind, der Realität offen ins Auge zu blicken, können Sie auch die Chancen sehen, die in einer Veränderung liegen. Sie werden bei der Lektüre dieses Buches zwei Seiten sehen: Einerseits war die Gefahr, dass Ihr Unternehmen radikal umgebaut wird, dass Ihr Arbeitsplatz wegfällt oder künftig komplett anders aussehen wird, noch nie so groß wie heute. Andererseits waren auch die Chancen, gemeinsam mit einem Unternehmen zu wachsen, noch nie so groß. Noch nie gab es so viele Gelegenheiten, Veränderungen als Chance für die eigene Entwicklung zu sehen.
Haben Sie auch den Film Titanic gesehen? Und das Orchester bewundert, das bis zuletzt spielte? Dieses Orchester ist zu einem Symbol für Ehre und Anstand geworden: Nicht nur, weil die Mitglieder spielten, obwohl sie eigentlich bereits außer Dienst waren, also freiwillig Überstunden leisteten, sondern vor allem, weil sie im Moment der Katastrophe allen anderen Passagieren Mut machten und ihnen den Vortritt bei der Flucht in die Rettungsboote ließen. Ein ehrenwertes Verhalten, das Henry Hartley Wallace und seine sechs Kollegen aber leider ins sichere Verderben führte.
Was tun Sie, wenn es in Ihrem Unternehmen heißt: »Hilfe, wir sinken«? Greifen Sie zur Geige, unterhalten Sie die Kollegen mit Kammermusik und gehen Sie stilvoll unter? Oder kämpfen Sie um Ihr eigenes Überleben? Für den Fall, dass Ihnen ein Platz im Rettungsboot lieber ist als der Tod im kalten Wasser, müssen Sie dafür sorgen, dass Sie in der Schlange so weit wie möglich vorne stehen. Und das bedeutet, dass Sie die Krise früher wittern müssen als Ihre Kollegen. Idealerweise sitzen Sie schon im Rettungsboot, wenn das Schiff auf den Eisberg prallt.
Woran merkt das Management Ihres Unternehmens, dass eine Krise naht? Ganz einfach: mit einem Krisenradar, das Sie auch nutzen können. Ich habe nur wenige Mitarbeiter kennen |21|gelernt, die überhaupt etwas von einer herannahenden Krise hören wollten. Selbst als die Anzeichen schon nicht mehr zu übersehen waren, warteten sie auf den Tag, an dem die Krise offiziell verkündet wurde. Natürlich trifft es sie dann wie der Eisberg die Titanic. Aber wie gesagt: Sie sitzen zu diesem Zeitpunkt bereits im Rettungsboot.
Achten Sie auf die schwachen Signale
Bereits in den 70er Jahren hat Igor Ansoff, einer der bedeutsamsten Management-Vordenker, das Konzept der »schwachen Signale« entwickelt, welches bis heute in den Führungsetagen vieler Unternehmen verwendet wird. Ansoff ging davon aus, dass Krisen ein Unternehmen nicht heimsuchen wie ein plötzlicher Wirbelsturm, sondern sehr langsam entstehen. Nehmen wir das Internet: Die Technologie hat sich langsam entwickelt. Unternehmen, die die ersten Signale nicht wahrgenommen haben, fanden sich plötzlich in einer Situation wieder, in der irgendetwas passierte, was sie nicht verstanden. Vor Google waren die Gelben Seiten eine Lizenz zum Gelddrucken, wer ein Unternehmen suchte, fand es dort. Und heute? Binnen weniger Jahre verwandelte die Suchtechnologie von Google die gedruckte Ausgabe der Gelben Seiten in Museumsstücke.
Unternehmen, die die schwachen Signale einer Veränderung nicht wahrnehmen oder nicht wahrnehmen wollen, sprechen plötzlich von einer Krise. Andere, die die Frühsignale wahrnehmen und interpretieren, sehen große Chancen. Bei Ihnen und Ihrem Kollegenkreis ist es genauso. Die einen trifft es wie ein Donnerschlag, die anderen haben die Chancen des Wandels schon lange vorher erkannt.
Trainieren Sie, Frühindikatoren zu erkennen und Schlüsse aus ihnen zu ziehen! Richten Sie sich dazu Ihr persönliches Krisenradar ein, mit dem Sie kontinuierlich Ihre Umwelt absuchen. Internet-Suchmaschinen sind hier ein gutes Vorbild: Haben Sie sich jemals gefragt, wie Google es schafft, stets die neuesten Suchergebnisse zu liefern? Google hat – wie andere Suchmaschinen auch – sogenannte »Spider«, Programme, die das Internet systematisch nach neuen Informationen durchsuchen. Auf jeder Webseite, die im Internet steht, schaut das Spiderprogramm regelmäßig vorbei, saugt sich mit Informationen voll und zieht weiter.
Manager, die frühzeitig neue Trends erkennen wollen, verhalten sich ähnlich: Sie suchen regelmäßig den Markt nach neuen Informationen ab. Tun Sie das Gleiche! Gewöhnen Sie sich an, ähnlich wie ein Spiderprogramm Ihre Branche mit einem Netz zu überziehen, in dem die wichtigsten Informationen, die für Ihr Unternehmen oder Ihre Abteilung von Bedeutung sind, hängen bleiben. Damit Sie dabei vor lauter Informationsüberschuss nicht abstürzen wie ein Windows-Rechner aus den Anfangsjahren, müssen Sie die Informationen in einem zweiten Schritt filtern und analysieren. Dazu kommen wir gleich.
Die Schwierigkeit, der Sie begegnen, ist, dass die Signale, die Sie empfangen, häufig kein klares Bild ergeben. Ansoff schreibt, »wenn eine Gefahr oder eine Gelegenheit das erste Mal am Horizont auftaucht, müssen wir uns auf sehr vage Informationen einstellen, die sich mit der Zeit entwickeln und verbessern«. Eine der wichtigsten Fähigkeiten, so Ansoff, ist die, auf diese schwachen Signale zu hören. Diese Fähigkeit sollten Sie trainieren.
Unser Gehirn ist nicht darauf programmiert, schwache Signale |23|automatisch wahrzunehmen. Warum das so ist, erklärt der Bremer Hirnforscher Gerhard Roth anhand neuester Forschungsergebnisse. In seinem Buch Fühlen, Denken, Handeln beschreibt er, dass unser Gehirn ein Aufmerksamkeitssystem besitzt, »das unseren Blick bewusst oder unbewusst auf dasjenige lenkt, was für dass Gehirn auffallend und wichtig erscheint«. Dieses Aufmerksamkeitssystem hat die dumme Angewohnheit, bestimmte Dinge vollkommen überzubewerten und andere auszublenden. Denn es arbeitet nicht logisch kombinierend, sondern reagiert auf bestimmte Schlüsselreize.
Beispiel: Eines Morgens statten fremde Männer mit Aktenkoffern und ernsten Gesichtern Ihrem Chef einen Besuch ab. Das wird Sie die nächsten Tage garantiert beschäftigen: Was kann das bedeuten? Warum waren ihre Blicke so ernst? Das Reizsignal »fremde Männer mit ernsten Blicken« wird von Ihrem Gehirn als Gefahr erkannt, auch wenn es vielleicht nur Vertreter einer Versicherungsfirma waren, die ihre Kompetenz durch ernste Blicke unterstreichen wollten. Andere mögliche Gefahrenquellen, beispielsweise dass die Umsätze in einem bestimmten Marktsegment seit sechs Monaten stetig zurückgehen, werden von Ihrem Aufmerksamkeitssystem dagegen ignoriert.
Noch eine weitere Tücke Ihres Gehirns verhindert, dass Sie sich ausgiebig mit Analysen beschäftigen: Das Handeln von Menschen ist belohnungsorientiert. Das heißt, wir alle tun am liebsten Dinge, die einen Gefühlszustand hervorrufen, den Gerhard Roth als »befriedigend, positiv erregend oder lustvoll« bezeichnet. Finden Sie es besonders lustvoll, nach Informationen zu suchen, die Sie beunruhigen? Erregt Sie das positiv? Ich vermute mal: Nein. Aus diesem Grund gilt es, den berühmten inneren Schweinehund zu bekämpfen, der Ihnen die ganze Zeit |24|suggeriert: »Geh nicht auf die Suche nach diesen belastenden Zahlen! Iss lieber ein Eis mit der süßen Assistentin (beziehungsweise dem süßen Assistenten) aus dem Rechnungswesen.«
Wenn Sie jetzt sagen: »Hilfe! Nicht noch mehr Informationen! Das treibt mich in den Wahnsinn!«, so ist das vollkommen nachvollziehbar. Wir werden mit so viel Irrelevantem überschüttet, dass wir mit dem Filtern kaum hinterherkommen. Und jetzt noch mehr Informationen? Führt das nicht fast automatisch zur Hirnblockade? Auf diese Frage gibt es eine klare Antwort: Ja. Und Sie werden sehen, dass ich alles andere vorhabe, als Sie in einen Datenjunkie zu verwandeln, der zitternd vor dem Computer sitzt und vor Angst, er könnte etwas verpassen, mit den Zähnen klappert. Im Gegenteil: Ich möchte Sie in die Lage versetzen, die wichtigsten Informationen aus der Datenflut herauszufischen und miteinander in Verbindung zu setzen.
Nichts anderes tut auch das Topmanagement eines Unternehmens, wenn es eine Analyse des wirtschaftlichen Umfelds durchführt. Das »Five-Forces-Modell« von Michael Porter, Professor der Harvard University in Cambridge, ist dafür ein einfaches, aber sehr wirkungsvolles Modell. Laut Porter können Sie den Markt, in dem Ihr Unternehmen tätig ist, mit nur fünf Fragen analysieren:
Wie stark ist der Wettbewerb zwischen den verschiedenen Unternehmen in Ihrer Branche?
Wie viel Macht haben Konsumenten, also die Kunden Ihres Unternehmens?
|25|Wie viel Macht haben die Lieferanten Ihres Unternehmens? (Zu den Lieferanten gehören übrigens auch Sie. Sie sind der Lieferant einer Dienstleistung, die Arbeitskraft heißt.)
Welche Bedeutung hat der Eintritt neuer Mitbewerber?
Wie groß ist die Bedrohung durch Ersatzprodukte und -dienstleistungen?
Abbildung 1: Das Five-Forces-Modell
Mit diesem Modell können Sie Ihren persönlichen Radarschirm für herannahende Gefahren und für neue Chancen entwickeln. Ich möchte Ihnen das anhand eines konkreten Beispiels näher erläutern.
Beispiel: Sie sind Mitarbeiter im Marketing des wachsenden Internet-Unternehmens Passion Webnet mit inzwischen 200 Mitarbeitern. Was das Unternehmen genau tut, ist für dieses Beispiel |26|erst einmal nicht so wichtig. Den Zusammenbruch des Neuen Marktes und der ersten euphorischen Internet-Welle haben Sie am eigenen Leib miterlebt. Ihre Aktienoptionen waren binnen weniger Wochen fast wertlos und das Unternehmen, für das Sie damals arbeiteten, hat zwei Drittel seiner Belegschaft entlassen. Seitdem sind Sie skeptischer gegenüber Luftschlössern geworden und Sie haben sich geschworen, dass Sie bei der nächsten Krise zu den Ersten gehören, die das nahende Gewitter erkennen.
Ich werde Ihnen jetzt erklären, wie Sie sich mithilfe des Five-Forces-Modells Ihr persönliches Krisenradar einrichten. Zur Verdeutlichung dient dabei unser Beispielunternehmen Passion Webnet.
Wie hitzig ist der Wettbewerb in Ihrer Branche?
Es gibt Branchen, in denen es so gemütlich ist wie beim Tanz auf einer heißen Herdplatte: Branchen, in denen sich Unternehmen bis aufs Messer bekämpfen und beinahe jedes Mittel recht ist, um Kunden zu gewinnen und Konkurrenten auszustechen, in denen Unternehmen, über die Sie gestern noch müde gelächelt haben, Ihnen heute einen Großteil Ihrer Kundschaft abnehmen. Dass diese Branchen ihren Mitarbeitern keine wirklich sicheren Arbeitsplätze bieten können, leuchtet ein.
Gehen Sie von folgender Grundregel aus: Je hitziger der Wettbewerb in Ihrer Branche ist, desto unsicherer ist Ihr Arbeitsplatz. Wenn Ihr Unternehmen einen sicheren Markt ohne großen Wettbewerb hat, braucht das Management in der Regel nicht ernsthaft über Kostensenkungen oder Umstrukturierungen nachzudenken.
Als Mitarbeiter eines Unternehmens wie Passion Webnet hingegen spüren Sie die Hitze deutlich! Sie müssen ständig damit |27|rechnen, dass die Konkurrenz Sie aushebelt und Sie Ihren Kunden nur noch hinterherwinken können. Internet-Nutzer sind nun mal keine besonders treuen Kunden, sondern hüpfen schneller von Anbieter zu Anbieter als ein Gibbon-Affe den Baum wechseln kann. Mit einem guten Konzept und einem aggressiven Marketing kann es Ihre Konkurrenz schaffen, die Umsätze Ihrer Firma binnen kürzester Zeit in den Keller zu treiben.
Der erste Test in diesem Buch wird Ihnen zeigen, wie heiß es in Ihrer Branche zugeht. Dieser Hitzetest ist ein guter Indikator dafür, wie krisengefährdet Ihr Unternehmen ist.
1. Der Branchentest: Tanzen Sie schon auf der heißen Herdplatte?
Stimme ich
zu
Stimme ich
nicht zu
Der Markt, in dem unsere Firma tätig ist,
ist gesättigt. Es gibt kaum noch neue Kunden.
Es kommen ständig neue Anbieter in den
Markt, die uns Marktanteile abnehmen.
Die Kunden sind nicht mehr so treu wie früher.
In unserer Branche tobt ein gnadenloser
Preiskampf.
In einigen Jahren wird es in unserer
Branche voraussichtlich weniger Anbieter
geben als jetzt.
Wenn Sie keiner oder nur einer Aussage zustimmen: Das Klima ist angenehm. In den Unternehmen Ihrer Branche führen Sie (noch) ein angenehmes Leben. Die Sicherheit eines Beamten |28|haben Sie dennoch nicht: Wenn Anleger höhere Renditen fordern, muss das Management auch hier die Kosten senken.
Wenn Sie zwei oder drei Aussagen zustimmen, könnte es schlimmer sein, aber der Markt bringt das Management Ihres Unternehmens häufiger ins Schwitzen. Beobachten Sie, ob sich der Wettbewerb verschärft!
Wenn Sie vier oder fünf Aussagen zustimmen, gehören Sie leider zu denen, die auf der heißen Herdplatte tanzen. Der Wettbewerb in Ihrer Branche ist extrem und wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar noch deutlich verschärfen!
Sorgen Sie dafür, dass Sie sich auf der Herdplatte nicht die Füße verbrennen: Machen Sie es sich zur Angewohnheit, die Preismodelle und Marketingstrategien der fünf wichtigsten Mitbewerber jede Woche zu analysieren! Achten Sie vor allem auf das, was Igor Ansoff »schwache Signale« nannte! Hat sich im Angebot der Mitbewerber etwas verändert? Gibt es Anzeichen für Angriffe oder neue attraktive Angebote? Notieren Sie die kleinsten Veränderungen und beobachten Sie sie.
Haben Sie früher Signale erst dann beachtet, wenn Sie schon fast Ohrenstöpsel brauchten, um sie zu überhören? Dann achten Sie ab jetzt darauf, ob die leisen Töne, die Sie wahrnehmen, stärker werden. Weitet die Konkurrenz das neue Preismodell aus? Hat sich die neue Marketingstrategie durchgesetzt? Verliert Ihr Unternehmen mehr und mehr Marktanteile? Geht der Umsatz in Ihrer Firma zurück?