Feuer in Eden - Sandra Brown - E-Book

Feuer in Eden E-Book

Sandra Brown

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Beschreibung

Heimliche Leidenschaften, eine verbotene Liebe und atemlose Spannung

Als die junge Ärztin Lara Mallory in Eden Pass auftaucht, gerät die verschlafene texanische Kleinstadt aus den Fugen: Denn dort herrscht der korrupte Tackett-Clan, mit dem Lara noch eine Rechnung offen hat. Angeblich soll sie in einen Sexskandal um Clark Tackett, den jüngsten Sohn der Familie, verwickelt und auch an seinem Tod nicht ganz unschuldig gewesen sein. Als Lara mit Key, dem schwarzen Schaf der Familie, eine heiße Affäre anfängt, wird aus Liebe, Hass und Rachsucht eine explosive Mischung …

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Seitenzahl: 749

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Buch

Welch einen Grund hat die junge Ärztin Lara Mallory, sich ausgerechnet in Eden Pass, einem verkommenen Nest in der heißesten Hölle von Texas, niederzulassen? Seit Jahrzehnten hat dort der Tackett-Clan vom Öl über die Supermarktkette bis zum Sheriff alles in der Hand. Lara, inzwischen Witwe eines Washingtoner Diplomaten, war die zentrale Figur in einem Sexskandal um einen jungen, hoffnungsvollen Senator, an dessen Sturz und späterem Tod sie angeblich nicht ganz unschuldig war: Clark Tackett. Schon nach kurzer Zeit ist die Stimmung in der Familie, und damit in der ganzen Stadt, hochgradig explosiv. Und ausgerechnet Key Tackett, das schwarze Schaf der Familie, begeht den unverzeihlichen Fehler, sich etwas zu oft in Begleitung der früheren Geliebten seines toten Bruders sehen zu lassen. Lange werden sie ihre leidenschaftlichen Rendezvous nicht geheim halten können, in Eden Pass haben selbst die Wände Ohren.

Autorin

Sandra Brown arbeitete als Schauspielerin und TV-Journalistin, bevor sie mit ihrem Roman Trügerischer Spiegel auf Anhieb einen großen Erfolg landete. Inzwischen ist sie eine der erfolgreichsten internationalen Autorinnen, die mit jedem ihrer Bücher weltweit Spitzenplätze der Bestsellerlisten erreicht. Sandra Brown lebt mit ihrer Familie abwechselnd in Texas und South Carolina.

Von Sandra Brown bei Blanvalet erschienen (Auswahl)

Schöne Lügen, Ein Hauch von Skandal, Sündige Seide, Verliebt in einen Fremden, Ein Kuss für die Ewigkeit, Zum Glück verführt, Wie ein Ruf in der Stille, Ein skandalöses Angebot, Heißer als Feuer, Lockruf des Glücks, Eine sündige Nacht, Eine unmoralische Affäre, Verruchte Begierde, Gefährliche Sünden, Zur Sünde verführt, Unschuldiges Begehren, In einer heißen Sommernacht, Wie ein reißender Strom, Tanz im Feuer

Sandra Brown

Feuer in Eden

Roman

Deutsch von Gabriela Prahm

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

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Copyright der Originalausgabe © 1993 by Sandra Brown

Translated from the English »Where there is Smoke«.

First published in the United States by Warner Books, New York.

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2014 by Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH

Covergestaltung: Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung eines Motivs von Shutterstock.com

Redaktion: Ursula Walther

wr · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-12345-1V004

www.blanvalet.de

Kapitel 1

Katzen hatte er noch nie sonderlich gemocht.

Das Problem war, dass die Frau neben ihm schnurrte wie eine Katze – tiefe Befriedigung ließ sie vom Hals bis zum Nabel vibrieren. Ihre Augen standen eng zusammen und waren schräg gestellt, ihre Bewegungen wirkten geschmeidig und fließend. Sie ging nicht – sie stolzierte. Beim Vorspiel hatte sie sich nach einer geheimen Choreografie geräkelt und sich an ihm gerieben, als wäre sie rollig, und als sie kam, hatte sie geschrien und sich an seinen Schultern festgekrallt.

Für ihn hatten Katzen schon immer etwas Raffiniertes, Verschlagenes an sich gehabt, man konnte ihnen nicht trauen. Ihm war nie ganz wohl dabei, wenn er einer den Rücken zuwandte.

»Wie war ich?« Ihre Stimme war so schwül wie die Nacht hinter den in Falten fallenden Vorhängen.

»Ich habe mich nicht beschwert, oder?«

Key Tackett hatte auch etwas gegen postkoitale Bewertungen. Wenn es gut gewesen war, erübrigte sich jegliches Geplänkel. Wenn nicht, dann sparte man sich am besten die Worte.

Sie deutete seine ausweichende Antwort fälschlicherweise als Kompliment und ließ sich von dem breiten Bett gleiten. Nackt ging sie quer durchs Zimmer zu dem unordentlichen Schminktisch und zündete sich mit einem mit Steinen besetzten Feuerzeug eine Zigarette an. »Auch eine?«

»Nein, danke.«

»Einen Drink?«

»Wenn du einen da hast, nehme ich einen auf die Schnelle.« Gelangweilt starrte er zum Kronleuchter an der Zimmerdecke. Es war ein kitschiges und ausnehmend hässliches Ding, das viel zu groß für das Schlafzimmer wirkte, selbst wenn, wie jetzt, die Birnen hinter den Kristalltropfen gedämpft waren.

Der knallig pinkfarbene Teppichboden war ähnlich geschmacklos, und die mobile Messingbar war aufgefüllt mit Kristallkaraffen. Sie schenkte ihm einen Bourbon ein. »Du musst nicht sofort aufbrechen«, sagte sie lächelnd. »Mein Mann ist außerhalb, und meine Tochter verbringt die Nacht bei Freunden.«

»Männlich oder weiblich?«

»Bei einer Freundin natürlich. Sie ist erst sechzehn.«

Jetzt anzumerken, dass ihr selbst in diesem zarten Alter schon lange der Ruf eines Flittchens angehaftet hatte, wäre ungalant gewesen, also schwieg er, vor allem aber aus reiner Gleichgültigkeit.

»Was ich sagen will – wir haben die ganze Nacht für uns.« Sie rieb ihre Hüfte an seiner, als sie sich neben ihm auf dem Bett niederließ und ihm den Drink reichte.

Er hob den Kopf vom seidenbezogenen Kissen und nippte an dem Bourbon ohne Eis. »Ich muss nach Hause. Ich bin schon seit …« – er warf einen Blick auf die Armbanduhr – »… dreieinhalb Stunden in der Stadt und hab mich noch nicht zu Hause blicken lassen.«

»Du hast doch gesagt, sie würden dich heute noch gar nicht erwarten.«

»Stimmt, aber ich habe versprochen vorbeizuschauen, sobald ich angekommen bin.«

Sie wickelte eine Strähne seines dunklen Haars um ihren Finger. »Aber dann bin ich dir in der Palme über den Weg gelaufen, nicht wahr?«

Er leerte das Glas und drückte es ihr in die Hand. »Ich frage mich, warum es Zur Palme heißt. Hier gibt’s im Umkreis von dreihundert Meilen keine einzige Palme. Bist du oft dort?«

»Oft genug.«

Key schenkte ihr ein verschlagenes Grinsen. »Immer wenn dein Alter auf Reisen ist, was?«

»Und wenn ich in dieser Einöde fast umkomme vor Langeweile, was praktisch täglich der Fall ist. In der Palme finde ich immer nette Gesellschaft.«

Er starrte auf ihren üppigen Busen. »Darauf würde ich glatt wetten. Und ich wette auch, dass du es genießt, wenn die Kerle heißlaufen und geil auf dich sind.«

»Wie gut du mich kennst …« Sie lachte kehlig und beugte sich vor, um ihm einen Kuss auf den Mund zu hauchen.

Er drehte den Kopf weg. »Ich kenne dich überhaupt nicht.«

»Tss, das stimmt doch nicht, Key Tackett.« Sie setzte sich zurück und machte ein beleidigtes Gesicht. »Immerhin sind wir schon zusammen zur Schule gegangen.«

»Ich bin mit einer Menge Kids zur Schule gegangen. Das heißt aber nicht, dass es über ein ›Hallo, wie geht’s?‹ hinausgegangen wäre.«

»Aber du hast mich geküsst.«

»Lügnerin.« Er schob alle Galanterie beiseite und fügte hinzu: »Ich hatte keine Lust, mich hinter den anderen anzustellen. Ich habe dich jedenfalls ganz sicher nie um eine Verabredung gebeten.«

Für einen kurzen Moment funkelte Boshaftigkeit in ihren katzenhaften Augen. Doch dann zog sie die Krallen ebenso schnell wieder ein, wie sie sie ausgefahren hatte. »Na ja, wir waren nicht zusammen aus«, schnurrte sie. »Aber einmal, an einem Freitagabend, nachdem ihr gegen Gladewater gewonnen hattet, da bist du und der Rest vom Footballteam vom Feld gelaufen, und ich stand mit meinen Freundinnen – genau wie alle anderen aus Eden Pass – an der Seitenlinie und habe euch auf dem Weg in die Kabine zugejubelt. Und du …«, betonte sie und pikste ihm dabei mit dem Fingernagel in die blanke Brust, »… warst der tollste Hecht von allen. Du warst am verschwitztesten, und dein Trikot war am schmutzigsten, und wir Mädchen fanden dich natürlich unwiderstehlich. Wie du selbst, glaube ich, übrigens auch.«

Sie wartete auf eine Reaktion seinerseits, doch er sah sie völlig ungerührt an. Für ihn hatte es Dutzende solcher Freitagabende gegeben. Zittern vor dem Spiel und Jubel danach. Das grelle Flutlicht. Der Rhythmus der Marschkapelle. Der Duft von frischem Popcorn. Die aufgeputschte Truppe. Die Anfeuerungsrufe der Menge.

Und Jody, die lauter als alle anderen brüllte. Für ihn brüllte. Das war vor sehr, sehr langer Zeit gewesen.

»Jedenfalls, als du an mir vorbeikamst«, fuhr sie fort, »hast du mich um die Taille gepackt, hochgehoben, an dich gedrückt und mich einfach auf den Mund geküsst. Hart. Es hatte so etwas … etwas Barbarisches.«

»Hmm. Bist du sicher?«

»Natürlich bin ich sicher! Ich hatte ein total feuchtes Höschen.« Sie beugte sich vor und rieb ihre Nippel gegen seine Brust. »Ich habe lange darauf warten müssen, dass du das zu Ende führst, was du damals angefangen hast.«

»Nun, es war mir eine Ehre, Ihnen zu Diensten gewesen sein zu dürfen.« Er gab ihr einen Klaps auf den Po und setzte sich auf. »Ich gehe lieber.« Er langte über sie und fischte nach seiner Jeans.

»Du willst wirklich schon weg?«, fragte sie überrascht.

»Ja.«

Stirnrunzelnd versenkte sie die Zigarette im Aschenbecher auf dem Nachttisch. »Verdammter Bastard«, murmelte sie. Dann versuchte sie es mit einer anderen Masche, stand auf, nahm ihm die Jeans aus der Hand, bevor er hineinsteigen konnte, und schmiegte sich verführerisch an ihn.

»Es ist spät, Key. Im Haus deiner Mama schlafen doch bestimmt alle schon. Du kannst ebenso gut hierbleiben.« Sie langte ihm zwischen die kräftigen Schenkel, streichelte ihn gekonnt und sah ihm dabei frech ins Gesicht, bis ihre geschickten Finger die gewünschte Reaktion erzielten. »Du weißt gar nicht, was dir entgeht, wenn du meine Frühstücksspezialität nicht probierst.«

Key verzog amüsiert den Mund. »Ach, servierst du die im Bett?«

»Worauf du dich verlassen kannst. Mit allen Zutaten. Ich habe sogar …« Mitten im Satz brach sie ab; ihre Hände verkrampften sich reflexartig, woraufhin er schmerzlich das Gesicht verzog.

»Hey, pass auf, du spielst mit dem Familienschmuck.«

»Schhh!« Sie ließ los und lief auf Zehenspitzen zur offenen Schlafzimmertür. Gerade als sie sie erreichte, rief eine männliche Stimme: »Zuckerschnäuzchen, ich bin wieder da-a!«

»Scheiße!« Ganz und gar nicht mehr geschmeidig oder verführerisch wandte sie sich zu Key um und zischte: »Du musst hier verschwinden, auf der Stelle!«

Key war bereits in seine Jeans gestiegen und bückte sich gerade, um die Stiefel zu suchen. »Und wie stellst du dir das bitte vor?«, flüsterte er zurück.

»Zuckerschnäuzchen? Bist du oben?« Key hörte die Schritte erst auf den Marmorfliesen unten, dann auf dem Treppenläufer. »Ich war schon früh fertig, und da habe ich mich entschlossen, heute Abend schon zurückzukommen!«

Sie wedelte panisch durch die Luft und deutete auf die Balkontür am anderen Ende des Zimmers. Key schnappte sich Hemd und Stiefel und schlüpfte durch die offene Tür. Er stand bereits auf dem Balkon, als ihm einfiel, dass sich das Schlafzimmer im zweiten Stock des Hauses befand. Er konnte keinen leichten Abstieg erkennen, als er über das schmiedeeiserne Geländer schaute.

Leise fluchend, wog er hastig seine Möglichkeiten ab. Ach, zum Teufel! Er war schon schlimmeren Klemmen entkommen. Taifunen, Kugelhagel, Erdbeben, Spektakeln Gottes und von Menschenhand verursachtem Chaos. Und auch ein Ehemann, der verfrüht und unerwartet nach Hause kam, war nichts Neues für ihn. Er würde einfach etwas erfinden und auf das Beste hoffen.

Er trat zurück ins Schlafzimmer, verharrte aber wie versteinert auf der Schwelle. Die Schublade des Nachttisches stand offen. Seine Geliebte kauerte im Bett; mit einer Hand raffte sie sich das Satinlaken vor die Brust, in der anderen hielt sie eine Waffe – direkt auf ihn gerichtet.

»Was machen Sie hier?«

Ihr gellender Schrei lähmte ihn. Eine Sekunde später erschütterte ein Schuss aus der Pistole sein Trommelfell. Und erst einige Herzschläge später begriff er, dass er getroffen war. Er starrte auf die klaffende Wunde an seiner Seite und hob dann den ungläubigen Blick zu ihr.

Die Schritte im Flur waren schneller geworden. »Zuckerschnäuzchen!«

Sie schrie erneut, so schrill, dass einem das Blut in den Adern gefror. Und wieder zielte sie auf ihn.

Wie unter Strom schwang Key herum, genau in dem Moment, als sie abdrückte. Er glaubte, entwischt zu sein, aber ihm blieb nicht die Zeit nachzusehen. Er warf Stiefel und Hemd übers Geländer, hob erst das rechte, dann das linke Bein über die Brüstung, balancierte noch einen Moment auf dem schmalen Vorsprung, ehe er sich in die Tiefe stürzte.

Unsanft landete er mit dem rechten Knöchel zuerst. Der Schmerz schoss ihm durch die Wade, den Schenkel, die Lende, ehe er ihn im Magen traf. Er schnappte nach Luft, blinzelte heftig und betete zu Gott, sich nicht übergeben zu müssen oder ohnmächtig zu werden, während er seine Sachen aufsammelte und wie der Teufel davonrannte.

Lara schreckte auf, als ein lautes Klopfen an der Hintertür ertönte.

Sie war in einen alten Streifen mit Bette Davis versunken gewesen. Per Fernbedienung dämpfte sie die Lautstärke und lauschte. Da war das Klopfen wieder, diesmal noch lauter und drängender. Sie schlug die Afghanendecke über ihren Beinen zurück, erhob sich von ihrem behaglichen Platz auf dem Wohnzimmersofa und hastete den Flur hinunter, wobei sie im Gehen das Licht anschaltete.

Als sie das hintere Zimmer der Praxis erreichte, konnte sie durch die halb gekippte Jalousie die Silhouette eines Mannes ausmachen, der am Türrahmen lehnte.

Im grellen Schein der Verandabeleuchtung wirkte sein Gesicht bleich und starr. Die untere Hälfte wurde von einem Dreitagebart verdunkelt. Auf seiner Stirn klebten mehrere Strähnen des widerspenstigen dunklen Haares. Er spähte unter seinen dunklen, dichten Brauen durch die Lamellen der Jalousie in den Raum.

»Doc?« Er hob die Faust und trommelte erneut gegen die Scheibe. »Hey, Doc! Machen Sie auf. Ich saue noch Ihre ganze Hintertreppe ein!«

Er wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn, und Lara konnte das Blut sehen.

Sie vergaß alle Vorsicht, stellte die Alarmanlage ab und entriegelte die Tür. Kaum gab das Schloss nach, fiel er mit der Schulter voran in die Tür und stolperte barfuß herein.

»Sie haben sich ganz schön Zeit gelassen«, murmelte er. »Aber ich werde Ihnen verzeihen, wenn Sie mir ’nen Schluck von dem Jack Daniels geben, den Sie hier verstaut haben.« Er ging direkt auf den weißen Emailleschrank zu und beugte sich vor, um die unterste Schublade aufzuziehen.

»Da ist kein Jack Daniels drin.«

Beim Klang ihrer Stimme schwang er herum. Mehrere Sekunden starrte er sie nur an. Lara starrte zurück. Er hatte etwas Animalisches an sich, das sie gleichzeitig anzog und abstieß; und obwohl sie längst an den Geruch frischen Blutes gewöhnt war, roch sie seines besonders intensiv.

Instinktiv wollte sie zurückweichen, doch nicht aus Angst. Der Impuls entsprang einer weiblichen Abwehrreaktion. Dennoch hielt sie seinem ungläubigen und abschätzenden Blick stand.

»Verdammt, wer sind Sie denn? Wo ist der Doc?«, dröhnte er düster und presste den blutgetränkten Saum seines offenen Hemdes auf die Wunde an der Seite.

»Sie sollten sich lieber setzen. Sie sind verletzt.«

»Sagen Sie bloß, Lady. Wo ist der Doc?«

»Wahrscheinlich in seiner Koje auf dem See. Er hat sich zur Ruhe gesetzt, vor einigen Monaten schon.«

Er starrte sie an. »Na, fabelhaft. Ist ja wirklich fabelhaft«, fluchte er vor sich hin und fuhr sich durchs Haar. Dann unternahm er einige unsichere Schritte in Richtung Tür und stieß dabei gegen den Untersuchungstisch.

Lara kam ihm automatisch zu Hilfe. Er wehrte sie ab, blieb allerdings gegen den gepolsterten Tisch gelehnt stehen. Schwer atmend und sich vor Schmerz krümmend, sagte er: »Könnte ich einen Whisky haben?«

»Was ist passiert?«

»Was geht Sie das an?«

»Nun, ich bin nicht nur die neue Mieterin von Dr. Pattons Haus. Ich habe auch seine Praxis übernommen.«

Seine saphirfarbenen Augen sahen zu ihr auf. »Sie sind Ärztin?«

Sie nickte, breitete die Arme aus und deutete ins Behandlungszimmer.

»Donnerwetter!« Er musterte sie von Kopf bis Fuß. »So wie Sie rumlaufen, sind Sie bestimmt der Hit im Krankenhaus«, sagte er und hob das Kinn. »Ist das der letzte Schrei in der Berufsbekleidungsbranche?«

Sie trug ein langes weißes Hemd über ihren Leggings, die kurz unter dem Knie endeten. Doch trotz ihrer bloßen Waden und Füße ließ sie sich nicht einschüchtern und antwortete barsch: »Nach Mitternacht laufe ich für gewöhnlich nicht mehr im Kittel herum. Es ist zwar keine Sprechzeit mehr, aber vergessen wir mal mein Outfit und konzentrieren uns lieber auf Ihre Verletzung. Also, was ist passiert?«

»Ein kleiner Unfall.«

Als er das Hemd von den Schultern gleiten ließ, bemerkte sie, dass sein Gürtel offen und der Hosenstall nur zur Hälfte zugeknöpft war. Sie schob seine blutige Hand beiseite, die er auf die Wunde, ungefähr in Hüfthöhe, gepresst hielt.

»Das ist eine Schussverletzung!«

»Ach was! Ich habe Ihnen doch gesagt – es war ein Unfall.«

Er log eindeutig, und er schien Übung darin zu haben, da es ihm offensichtlich leichtfiel. »Und was für ein Unfall soll das gewesen sein?«

»Bin in eine Harke gefallen.« Er deutete auf die Wunde. »Säubern Sie sie, machen Sie einen schönen Verband drum, und morgen ist alles wieder gut, okay?«

Sie richtete sich auf und sah ihm, ohne zu lächeln, ins grinsende Gesicht. »Lassen Sie den Blödsinn. Ich erkenne eine Schussverletzung, wenn ich eine sehe. Ich kann Sie hier nicht ausreichend versorgen. Sie gehören ins Krankenhaus.«

Sie kehrte ihm den Rücken zu und tippte eine Nummer ins Telefon ein. »Ich werde Sie, bis die Ambulanz eintrifft, so gut es geht, versorgen. Bitte legen Sie sich hin. Wenn ich fertig telefoniert habe, werde ich versuchen, die Blutung zu – Ja, hallo?«, sagte sie in den Hörer, als sich jemand meldete. »Hier spricht Dr. Mallory aus Eden Pass. Ich habe einen Notfall … «

Er langte um sie herum und drückte die Gabel herunter. Sie warf ihm einen alarmierten Blick über die Schulter zu.

»Ich werde in kein verdammtes Krankenhaus gehen«, verkündete er kurz und bündig. »Keine Ambulanz. Nichts. Gar nichts, haben Sie verstanden? Stoppen Sie die Blutung, und legen Sie mir einen Verband an. Mehr nicht. Haben Sie Whisky da?«, fragte er bereits zum dritten Mal.

Stur begann Lara erneut zu wählen. Doch ehe sie die vollständige Nummer eingeben konnte, hatte er ihr den Hörer aus der Hand gewunden und den Anschluss des Apparates herausgerissen.

Lara drehte sich zu ihm um, jetzt bekam sie es mit der Angst zu tun. Selbst hier, in dieser Kleinstadt in Ost-Texas, war Drogenmissbrauch zu einem Problem geworden. Gleich nach ihrem Einzug in die Praxis hatte sie eine Alarmanlage installieren lassen, um eventuellen Einbrüchen wegen Schmerzmittel und Narkotika vorzubeugen.

Er musste ihre Nervosität gespürt haben. Er knallte den Hörer geräuschvoll auf eine der Vitrinen und grinste sie grimmig an. »Jetzt hören Sie mal, Doc, wenn ich hergekommen wäre, um Ihnen was anzutun, dann wäre es schon geschehen, und ich wäre längst über alle Berge. Ich will nur nicht, dass zu viele Leute von der Sache Wind kriegen, kapiert? Kein Krankenhaus, okay? Versorgen Sie mich, und dann sind Sie mich schon wieder los!« Seine Lippen wurden während des Sprechens farblos und schmal. Er rang hörbar zwischen zusammengebissenen Zähnen nach Luft.

»Sie werden mir doch jetzt nicht ohnmächtig?«

»Nicht, wenn ich es verhindern kann.«

»Sie haben sehr starke Schmerzen.«

»Ja«, bestätigte er kopfnickend. »Es tut verdammt weh. Und wenn wir noch lange Zeit mit Quatschen vergeuden, werde ich wohl verbluten müssen.«

Sie musterte seine entschlossene Miene. Ihr war klar, dass er wieder gehen würde, wenn sie jetzt nicht nachgab. Doch das hieße auch, die Gesundheit, vielleicht sogar das Leben des Patienten zu riskieren. Also forderte sie ihn auf, sich hinzulegen und seine Jeans herunterzuziehen.

»Diesen Text habe ich selbst schon ein Dutzend Mal aufgesagt«, witzelte er, als er ihre Anweisungen befolgte.

»Überrascht mich nicht.« Unbeeindruckt von seiner Prahlerei ging sie zum Waschbecken und reinigte sich die Hände mit einer desinfizierenden Seife. »Wenn Sie Doc Patton so gut gekannt haben, dass Sie sogar wissen, wo er seinen Whisky versteckt hat, dann müssen Sie aus der Gegend sein.«

»Ja, hier geboren und aufgewachsen.«

»Wieso wussten Sie dann nicht, dass er sich zur Ruhe gesetzt hat?«

»Ich war eine Weile nicht im Lande.«

»Waren Sie Patient bei ihm?«

»Mein ganzes Leben lang. Er hat meine Windpocken kuriert, Mandelentzündung, zwei gebrochene Rippen, ein gebrochenes Schlüsselbein, einen angeknacksten Arm und einen Zusammenstoß mit einer rostigen Dose, die uns beim Baseball als Second Base gedient hat. Die Narbe auf meinem Schenkel, die ich mir zugezogen habe, als ich hineingerutscht bin, ist noch immer zu sehen.«

»Und, haben Sie den Punkt dabei geholt?«

»Großer Gott, ja!«, antwortete er, als wäre das etwas vollkommen Selbstverständliches. »Ich habe mehr als einmal mitten in der Nacht an dieser Hintertür geklopft, damit der Doc mich wieder zusammenflickt, aus den unterschiedlichsten Gründen. Allerdings war er bei weitem nicht so geizig mit seinem Whisky wie Sie. Was brauen Sie da in der Spritze zusammen?«

»Ein Sedativum.« Sie drückte behutsam den Kolben vor, bis etwas Flüssigkeit aus der Nadel sprudelte.

Dann legte sie die Spritze ab und rieb seinen Oberarm mit einem alkoholgetränkten Wattebausch ab. Noch ehe sie begriff, was er vorhatte, langte er nach der Spritze und presste den Kolben bis zum Anschlag durch; die Flüssigkeit verteilte sich auf dem Fußboden.

»Halten Sie mich für dämlich, oder was?«

»Mr. …«

»Wenn Sie mich betäuben wollen, holen Sie mir ein Glas Whisky. Sie werden mir dieses Zeug nicht in die Blutbahn pumpen, nur damit ich ausgeknockt bin und Sie in aller Ruhe das Krankenhaus anrufen können.«

»Vergessen Sie den Sheriff nicht. Ich bin verpflichtet, Schussverletzungen zu melden.«

Er setzte sich mühsam auf; hellrotes Blut quoll aus seiner Wunde. Er stöhnte. Lara zog sich hastig ein Paar Chirurgenhandschuhe über und begann, die Blutung mit einem Gazetupfer zu stoppen, damit sie sehen konnte, wie tief die Wunde war.

»Wohl Angst, sich Aids einzufangen, wie?«, fragte er mit einem Nicken auf die behandschuhten Hände.

»Berufsbedingte Schutzmaßnahmen.«

»Keine Panik«, sagte er mit einem breiten Grinsen. »Ich habe immer gut auf mich aufgepasst.«

»So wie heute Abend? Hat man Sie beim Falschspielen erwischt, oder haben Sie mit der falschen Frau geflirtet? Oder hat sich etwa beim Reinigen Ihres Gewehrs ein Schuss gelöst?«

»Ich habe Ihnen doch gesagt, es war ein …«

»Ach ja, eine Harke. Die hätte allerdings einen Einstich verursacht und nicht das Gewebe zerrissen.« Sie arbeitete flink und effektiv. »Hören Sie, ich muss das lose Gewebe abschneiden und die Wunde mit ein paar Stichen nähen. Es wird weh tun. Ich muss Sie betäuben.«

»Vergessen Sie’s.« Er schwang die Hüfte über die Tischkante, als wollte er gehen.

Lara hielt ihn zurück, indem sie ihm die Handballen an die Schultern drückte. Die Finger der Handschuhe waren blutig. »Lidocain. Örtliche Betäubung«, erklärte sie. Dann nahm sie ein Fläschchen aus dem Medizinschrank und ließ ihn den Aufdruck lesen. »Okay?«

Er nickte kurz und beobachtete, wie sie noch einmal eine Spritze aufzog. Sie injizierte das Medikament neben der Wunde. Als das umgebende Gewebe betäubt war, kappte sie die ausgefransten Ränder, reinigte die Wunde mit Salzlösung, vernähte die tiefliegende Schicht und polsterte sie mit einer Drainage aus.

»Was zum Teufel ist das?« Er war blass und schwitzte stark, dennoch hatte er ihre geschickten Hände nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen.

»Das ist eine sogenannte Penrose-Drainage. Sie fängt Blut und andere Flüssigkeiten auf und verhindert eine Infektion. Ich werde sie in ein paar Tagen entfernen.« Sie schloss die Wunde mit ein paar Stichen und bedeckte sie mit einem Verband.

Nachdem sie die blutigen Handschuhe in einen extra dafür ausgewiesenen Eimer für kontaminierten Abfall geworfen hatte, ging Lara zum Waschbecken, um sich die Hände zu reinigen. Danach bat sie ihn, sich aufzurichten, damit sie ihm einen Stützverband um die Hüfte wickeln konnte, der ein Verrutschen verhindern sollte.

Sie trat einen Schritt zurück und begutachtete kritisch ihr Werk. »Sie haben Glück gehabt, dass er kein besserer Schütze war. Ein paar Zentimeter weiter rechts, und die Kugel hätte Ihre inneren Organe penetrieren können.«

»Oder ein paar Zentimeter tiefer, und ich hätte nie wieder etwas penetrieren können.«

Lara schenkte ihm einen geringschätzigen Blick. »Tja, da haben Sie anscheinend wirklich noch mal Glück gehabt.«

Sie war professionell distanziert geblieben, obwohl jedes Mal, wenn sie den Verband um seine Mitte gewickelt hatte, ihre Wange seinen breiten Brustkorb gestreift hatte. Er hatte einen schlanken, sonnengebräunten, behaarten Oberkörper und einen harten, flachen Bauch. Sie hatte schon in vielen Notaufnahmen großer Krankenhäuser gearbeitet und so manchen zwielichtigen Charakter zusammengeflickt, aber keiner von ihnen war so schlagfertig, attraktiv und amüsant wie dieser Kerl hier gewesen.

»Glauben Sie mir, Doc, ich habe das Glück des Teufels persönlich.«

»Oh, das glaube ich Ihnen gern. Ich schätze Sie als einen Mann ein, der immer an der Klippe entlangbalanciert und nur aus purem Zufall überlebt. Wann hatten Sie Ihre letzte Tetanusimpfung?«

»Letztes Jahr.« Sie sah ihn skeptisch an. Er hob die rechte Hand, als würde er einen Eid ablegen. »Ich schwöre.«

Er ließ sich von der Kante des Untersuchungstisches gleiten, stellte sich auf die Füße und blieb mit der Hüfte angelehnt stehen, während er die Jeans zuknöpfte, den Gürtel allerdings offen ließ. »Was bin ich Ihnen schuldig?«

»Fünfzig Dollar für die Behandlung außerhalb der Sprechzeit. Fünfzig für das Nähen und die Bandagen, zwölf pro Injektion, einschließlich der, die Sie verschwendet haben, und vierzig für die Medikamente.«

»Medikamente?«

Sie nahm zwei Plastikfläschchen aus der verriegelten Vitrine und gab sie ihm. »Ein Antibiotikum und ein Schmerzmittel. Wenn die Wirkung des Lidocains nachlässt, wird’s weh tun.«

Er zog eine Geldklammer aus der Tasche seiner engsitzenden Jeans. »Mal sehen … Fünfzig plus fünfzig plus vierundzwanzig plus …«

»Einhundertvierundsechzig.«

Er hob eine Braue, anscheinend belustigt über ihre prompte Antwort.

»Stimmt. Einhundertvierundsechzig.« Er zog die Scheine heraus und legte sie auf den Untersuchungstisch. »Der Rest ist für Sie«, bemerkte er, als er eine Fünfdollarnote anstatt vier einzelner hinlegte.

Lara war überrascht, dass er so viel Bargeld bei sich trug. Selbst nachdem er sie bezahlt hatte, blieb ihm noch ein ganz ansehnliches Bündel. »Vielen Dank. Nehmen Sie heute Abend noch zwei Kapseln von dem Antibiotikum, ab morgen dann vier täglich, bis sie aufgebraucht sind.«

Er studierte die Etiketten, öffnete das Fläschchen mit dem Schmerzmittel und nahm eine Tablette heraus. Er warf sie sich in den Mund und schluckte sie trocken. »Mit ’nem Schluck Whisky würd’s besser runtergehen.« Es klang wie eine hoffnungsvolle Frage.

Sie schüttelte den Kopf. »Nehmen Sie davon alle vier Stunden eine. Zwei, wenn es gar nicht auszuhalten ist. Und zwar mit Wasser«, betonte sie, ohne ernsthaft zu glauben, dass er ihre Anweisung befolgen würde. »Kommen Sie morgen Nachmittag gegen halb fünf vorbei. Dann werde ich den Verband wechseln.«

»Das kostet noch mal fünfzig Scheinchen, nehme ich an?«

»Nein, das ist bereits im Preis inbegriffen.«

»Ich stehe tief in Ihrer Schuld.«

»Tun Sie nicht. Sobald Sie verschwunden sind, rufe ich Sheriff Baxter an.«

Er kreuzte die Arme über der blanken Brust und sah Lara nachsichtig an. »Und klingeln ihn zur nachtschlafenden Stunde aus dem Bett?« Er schüttelte tadelnd den Kopf. »Ich kenne den armen alten Elmo Baxter schon mein ganzes Leben. Er und mein Daddy waren Kumpel, schon als Jugendliche während des Ölbooms, wissen Sie? Mein Daddy hat immer gesagt, es wäre, als hätten sie den Krieg zusammen mitgemacht.

Sie hingen beide immer draußen bei den Bohrtürmen rum, waren so eine Art Maskottchen für die Arbeiter. Haben Besorgungen für sie gemacht und Hamburger, Zigaretten, Fusel oder was immer sie wollten, organisiert. Er und mein Daddy haben wahrscheinlich etliches beschafft, woran der alte Elmo lieber nicht erinnert werden würde«, sagte er mit einem Zwinkern. »Aber – nur zu, rufen Sie ihn ruhig an. Ich weiß allerdings, dass er sich lediglich freuen wird, mich wiederzusehen. Er wird mir auf den Rücken klopfen und etwas in der Art sagen wie ›Junge, lange nicht gesehen, wie?‹ und ›Was hast du die ganze Zeit getrieben?‹.« Er hielt inne, um Laras Reaktion abzuwarten. Ihr steinharter Blick irritierte ihn nicht.

»Elmo ist überarbeitet und unterbezahlt. Wenn Sie ihn wegen dieser Lappalie aus dem Bett holen, wird er stocksauer werden, und er ist so schon nicht der Gelassenste. Und wenn Sie dann mal einen echten Notfall haben, irgendeinen abgedrehten Drogi, der bei Ihnen einbricht, um sich was gegen die kleinen grünen Monster zu besorgen, die ihm übers Gesicht krabbeln, wird sich der gute Elmo zweimal überlegen, ob er Ihnen zu Hilfe kommt. Ganz abgesehen davon«, fügte er mit gesenkter Stimme hinzu, »werden es die Leute hier gar nicht gern sehen, dass ein Geheimnis bei Ihnen scheinbar nicht gut aufgehoben ist. Die Menschen in einer kleinen Stadt wie Eden Pass legen großen Wert auf Diskretion.«

»Ich bezweifle, dass die meisten überhaupt wissen, was dieses Wort bedeutet«, entgegnete Lara trocken. »Und im Gegensatz zu dem, was Sie mir weismachen wollen, habe ich in meiner kurzen Zeit hier erfahren müssen, wie schnell und effektiv Gerüchte in Umlauf gebracht werden. Ein Geheimnis ist in dieser Stadt nicht von langer Dauer. Trotzdem, Ihre Botschaft hinsichtlich Sheriff Baxter ist angekommen. Laut und deutlich. Was Sie mir sagen wollten, ist, dass er seine Kumpels kaum im Stich lassen wird, und selbst wenn er den Bericht über die Schussverletzung aufnehmen würde, damit hätte es sich auch bereits.«

»So ungefähr«, antwortete er wahrheitsgemäß. »Wenn der Sheriff in einer Gegend wie dieser jeden abgegebenen Schuss verfolgen würde, wäre er binnen eines Monats reif für den Ruhestand.«

Lara sah ein, dass er wahrscheinlich recht hatte, und seufzte tief. »Wurden Sie angeschossen, während Sie ein Verbrechen begangen haben?«

»Ein oder zwei Sünden vielleicht«, sagte er mit einem breiten, verschlagenen Grinsen. Seine blauen Augen funkelten schelmisch. »Aber ich glaube nicht, dass es ein Verbrechen war.«

Sie gab schließlich ihre professionelle Haltung auf und lachte. Er wirkte nicht wie ein Verbrecher, obwohl er mit Sicherheit ein Sünder war. Sie bezweifelte, dass er gefährlich war, höchstens vielleicht für leicht zu beeindruckende Frauen.

»Sieh an, unsere Ärztin ist anscheinend doch nicht so spießig. Sie kann ja sogar lächeln. Und was für ein hübsches Lächeln.« Die Lider halb geschlossen, fragte er etwas leiser: »Was haben wir denn sonst noch Hübsches vor mir versteckt, Doc?«

Jetzt war es an ihr, die Arme vor der Brust zu verschränken. »Kommen Sie mit dieser Art Sprüchen bei den Frauen an?«

»Ich war immer der Ansicht, dass Worte überflüssig sind, wenn es um Jungs und Mädchen geht.«

»Tatsächlich?«

»Spart Zeit und Energie. Energie, die man besser für andere Dinge verwenden sollte.«

»Ich wage kaum zu fragen, welche ›Dinge‹ damit gemeint sind …«

»Fragen Sie nur. Mir ist so schnell nichts peinlich. Ihnen etwa?«

Es war lange her, dass ein Mann mit ihr geflirtet hatte. Und noch länger, dass sie sich auf den Flirt eingelassen hatte. Es tat gut. Aber nur für ein paar Sekunden. Dann erinnerte sie sich, dass sie sich einen Flirt nicht leisten konnte, ungeachtet, wie harmlos er war. Ihr Lächeln wurde schwächer, versiegte dann ganz. Sie richtete sich auf und nahm ihre gewohnt professionelle Haltung an. »Vergessen Sie Ihr Hemd nicht«, sagte sie knapp.

»Das können Sie wegwerfen.« Er machte einen Schritt vorwärts, stolperte jedoch sogleich mit schmerzverzerrtem Gesicht zurück. »Verfluchte Scheiße.«

»Was ist?«

»Mein Knöchel. Muss ihn mir verstaucht haben, als ich … Sieht böse aus, fürchte ich.«

Sie kniete sich hin und schob vorsichtig sein rechtes Hosenbein hinauf. »Guter Gott! Warum haben Sie mir nicht eher was gesagt?« Der Knöchel war geschwollen und verfärbt.

»Weil ich geblutet habe wie ein abgestochenes Schwein. Man muss schließlich Prioritäten setzen. Es geht schon …« Er beugte sich hinunter, schob ihre tastenden Hände weg und zog das Hosenbein wieder runter.

»Der Knöchel muss geröntgt werden. Er könnte gebrochen sein.«

»Ist er nicht.«

»Sie haben gar nicht die Qualifikation, das zu beurteilen.«

»Stimmt. Aber ich hatte schon genug gebrochene Knochen, um zu wissen, wann einer gebrochen ist, und dieser ist es nicht.«

»Ich kann die Verantwortung nicht übernehmen, wenn …«

»Entspannen Sie sich, okay? Ich mache Sie für gar nichts verantwortlich.« Mit freiem Oberkörper und barfuß humpelte er zu der Tür, durch die er auch gekommen war.

»Möchten Sie sich nicht die Hände waschen, bevor Sie gehen?«, bot sie ihm an.

Er sah auf das Blut herunter und schüttelte den Kopf. »Die waren schon schmutziger.«

Als Ärztin hatte Lara kein gutes Gefühl dabei, ihn einfach so gehen zu lassen. Aber er war erwachsen und für sich selbst verantwortlich. Sie hatte für ihn getan, was er zugelassen hatte.

»Vergessen Sie nicht, die Antibiotika zu nehmen«, mahnte sie, während sie ihn mit der Schulter unter der rechten Achsel stützte, als er hinaushumpelte. Ein Pick-up parkte vor dem Hintereingang. Die Vorderreifen hatten ihr Petunienbeet nur um Zentimeter verfehlt.

»Haben Sie Krücken daheim?«

»Ich werde mir schon welche besorgen, wenn’s nötig ist.«

»Es wird nötig sein. Sie dürfen den Knöchel in den nächsten Tagen nicht belasten. Wenn Sie zu Hause sind, packen Sie ihn in Eis, und legen Sie ihn hoch, sooft Sie können. Und denken Sie daran, morgen um … «

»Halb fünf bei Ihnen. Ich werde da sein.«

Sie sah zu ihm auf. Er neigte den Kopf, um ihr in die Augen zu schauen. Ihre Blicke trafen sich. Lara spürte die Hitze, die von seinem Körper ausging. Er war muskulös und durchtrainiert, und sie war sicher, dass seine Verletzungen schnell heilen würden. Er war physisch betrachtet ein Bild von einem Mann, was ihr trotz aller Professionalität nicht entgangen war.

Sein Blick wanderte über sie, ihr Haar, ihr Gesicht, ihren Mund. Mit tiefer, kehliger Stimme sagte er: »Sie sehen verdammt noch mal einfach nicht wie die Ärzte aus, die ich bisher kennengelernt habe.« Seine Hand glitt von der Schulter zur Hüfte. »Und Sie fühlen sich auch nicht wie einer an.«

»Und wie fühlt sich ein Arzt normalerweise an?«

»Jedenfalls nicht so«, raunte er und drückte sanft zu.

Dann küsste er sie. Abrupt und unverschämt presste er seine Lippen auf ihre.

Lara keuchte vor Überraschung und befreite sich. Ihr Herz pochte, und ihr wurde ganz heiß. Unzählige Möglichkeiten, wie sie reagieren könnte, schossen ihr durch den Kopf, doch sie befand, es würde am besten sein, so zu tun, als wäre dieser Kuss nie passiert. Sich damit zu beschäftigen würde ihm nur unangemessene Bedeutung zukommen lassen. Sie wäre gezwungen, ihn zur Kenntnis zu nehmen und sich damit auseinanderzusetzen, was sie möglichst verhindern wollte.

Und so sagte sie in bewusst unterkühltem Ton: »Soll ich Sie irgendwohin fahren?«

Er grinste von einem Ohr zum anderen, als hätte er ihren Versuch, die Fassung zu bewahren, längst durchschaut. »Nein, danke«, antwortete er. »Mein Wagen hat Automatik. Das schaffe ich mit einem Fuß.«

Sie nickte nur. »Sollte ich hören, dass heute Nacht ein Verbrechen begangen wurde, werde ich Sheriff Baxter Meldung erstatten.«

Lachend, wenn auch mit schmerzverzerrtem Gesicht, kletterte er in den Pick-up. »Keine Sorge. Sie haben nichts Ungesetzliches getan.« Er zeichnete mit dem Finger ein X auf die Brust. »Großes Indianerehrenwort.« Der Motor sprang stotternd an. Er legte den Rückwärtsgang ein. »Bis bald, Doc.«

»Geben Sie auf sich acht, Mr. …«

»Tackett«, rief er ihr durchs offene Fenster zu. »Aber Sie dürfen Key zu mir sagen.«

Alles in Lara kam zum Stillstand. Es schien, als würde ihr Herz, das vor wenigen Sekunden noch gerast hatte, aufhören zu schlagen. Das Blut wich ihr aus dem Gesicht, und ihr wurde schwindlig. Wahrscheinlich war sie kreidebleich, doch es war zu dunkel, als dass er es bemerken konnte, als er den Pick-up rückwärts aus der Einfahrt lenkte. Er hupte zweimal, tippte sich mit den Fingerspitzen salutierend an die Stirn und verschwand holpernd in die Dunkelheit.

Lara sackte auf den kühlen Betonstufen zusammen, die mit Tropfen getrockneten Blutes gesprenkelt waren. Sie barg das Gesicht in ihren zitternden, feuchten Händen. Die Nacht war warm und mild, dennoch schauderte sie unter ihrem weiten weißen Hemd. Auf ihren nackten Beinen bildete sich Gänsehaut. Ihr Mund war trocken.

Key Tackett. Clarks jüngerer Bruder. Er war also zurück. Dies war der Tag, auf den sie gewartet hatte. Key war unabdingbar für den Plan, den sie seit einem Jahr entwickelt und vorbereitet hatte. Jetzt war er da. Sie musste ihn irgendwie dazu kriegen, ihr zu helfen. Aber wie?

Sie – Dr. Lara Mallory – war doch der letzte Mensch, dem Key Tackett begegnen wollte.

Kapitel 2

Wie jeden Morgen erhob sich Janellen Tackett beim ersten Schrillen des Weckers aus ihrem schmalen Bett. Die Armaturen an der Badewanne quietschten, und die Heißwasserrohre, die die Wände des Hauses durchzogen, klopften laut. Doch die Geräusche waren ihr so vertraut, dass sie sie nicht einmal mehr wahrnahm.

Janellen hatte die ganzen dreiunddreißig Jahre ihres Lebens hier verbracht und konnte sich nicht vorstellen, irgendwo anders zu wohnen, und hatte das auch nie gewollt. Ihr Daddy hatte das Haus vor mehr als vierzig Jahren für seine Braut gebaut, und obwohl es über die Jahrzehnte immer wieder renoviert und modernisiert worden war, waren die unauslöschlichen Narben geblieben, die sie und ihre Brüder in den Wänden und auf dem Parkett hinterlassen hatten. Diese kleinen Mängel unterstrichen jedoch lediglich den Charakter des Hauses wie Lachfältchen das Gesicht einer Frau.

Für Clark und Key war es nie mehr als eine Bleibe gewesen. Janellen jedoch betrachtete es als wichtigen Teil der Familie, ebenso wichtig für ihr Leben wie ihre Eltern selbst. Mit der Aufmerksamkeit einer Liebhaberin fürs Detail hatte sie das Haus viele Male erforscht, so dass sie vom Keller bis zum Boden jeden Winkel kannte. Es war ihr genauso vertraut wie ihr eigener Körper. Vielleicht sogar mehr. Sie verschwendete nie viele Gedanken auf ihren Körper oder über ihr Dasein, verharrte niemals, um über ihr Leben nachzudenken oder zu überlegen, ob sie glücklich war. Sie akzeptierte die Dinge, wie sie waren.

Nach dem Duschen machte sie sich für die Arbeit zurecht. Sie entschied sich für einen Khakirock und eine schlichte Baumwollbluse. Ihre Strümpfe waren hautfarben und die Schuhe eher bequem als modisch. Das dunkle Haar fasste sie zu einem praktischen Pferdeschwanz zusammen. Ihr einziger Schmuck war eine einfache Armbanduhr. Sie legte kaum Make-up auf – nur ein wenig Mascara auf die Wimpern, ein Hauch Rouge auf die Wangen, ein Tupfer rosa Lipgloss, und schon war sie bereit, den Tag zu begrüßen.

Die Sonne ging gerade auf, als sie die dunkle Treppe hinunterstieg, durch den Korridor ging und die Küche betrat, wo sie die Deckenbeleuchtung einschaltete, die alle Ecken und Winkel mit dem blauweißen Licht eines Operationssaals ausleuchtete. Janellen hasste das kalte, aufdringliche Licht, das die sonst so gemütliche Küche ungastlich machte.

Aber Jody mochte es so.

Wie gewohnt, fast mechanisch, brühte sie Kaffee auf. Seit die letzte Haushälterin gegangen war, vollführte sie dieses morgendliche Ritual wie eine religiöse Handlung. Mit fünfzehn hatte Janellen erklärt, sie bräuchte keinen Babysitter mehr, könne sich selbst fertigmachen für die Schule und ihrer Mutter das Frühstück zubereiten.

Maydale, ihre derzeitige Hilfe im Haushalt, arbeitete nur fünf Stunden am Tag. Sie war zuständig für die grobe Hausarbeit, die Wäsche und das Vorbereiten des Essens. Um alles Übrige kümmerte sich Janellen selbst, neben ihren Aufgaben bei der Tackett Oil & Gas Company.

Sie schaute im Kühlschrank nach, ob ein Krug mit frischem Orangensaft bereitstand, und füllte ein Kännchen mit Büchsenmilch. Jody durfte ihren Kaffee gar nicht mit Sahne trinken, wegen des Fettgehaltes, doch sie bestand darauf. Und Jody bekam immer ihren Willen.

Während die Kaffeemaschine geräuschvoll gurgelte, ließ Janellen eine Gießkanne mit destilliertem Wasser volllaufen und ging damit zur geschützten rückwärtigen Veranda, um den Farn und die Begonien zu wässern.

In diesem Augenblick bemerkte sie den Pick-up. Sie erkannte den Wagen nicht, aber er stand auf diesem ganz besonderen Platz nahe der Hintertür, dort, wo sonst Key immer …

Ihre Miene hellte sich auf, und fast hätte sie den Inhalt der Gießkanne verschüttet, als sie diese wieder auf die Anrichte stellte. Sie lief aus der Küche, über den Flur, umfasste im Laufen den Pfeiler, schwang sich wie die Kinder daran herum und hastete die Stufen hinauf. Oben lief sie zur letzten Tür rechts, klopfte kurz und stürmte ins Zimmer.

»Key!«

»Was ist?«

Er fuhr sich mit der Hand durchs zerzauste Haar, hob den Kopf vom Kissen und blinzelte sie an. Dann stöhnte er, hielt sich die Seite und ließ sich wieder zurücksinken. »Meine Güte! Hast du mich erschreckt! Tu das bloß nie wieder. Ein Beduine hat das mal bei mir gemacht, und ich hätte ihn um ein Haar erstochen, bevor ich erkannte, dass er auf unserer Seite war.«

Sie schenkte seiner Mahnung keinerlei Beachtung, sondern warf sich auf das Bett und an seine breite Brust. »Key! Du bist zu Hause! Wann bist du angekommen? Warum hast du uns nicht geweckt? Ach, du bist wieder da! Danke, danke, danke, dass du gekommen bist!« Sie schlang ihm die Arme fest um den Hals und drückte ihm Küsse auf Stirn und Wangen.

»Schon gut, ist ja gut, ich hab’s kapiert – du freust dich, dass ich da bin«, grummelte er, ihre Küsse abwehrend. Doch als er schließlich in eine sitzende Position hochkam, lächelte er. »Na, kleine Schwester?!« Er musterte sie aus blutunterlaufenen Augen. »Lass mal sehen. Noch keine grauen Haare. Deine Zähne hast du auch fast alle noch und höchstens vier, fünf Pfund zugelegt. Alles in allem muss man sich nicht für dich schämen.«

»Ich habe kein Gramm zugenommen, das möchte ich doch mal klarstellen. Und ich sehe wie immer aus, völlig unscheinbar.« Ohne Koketterie fügte sie hinzu: »Du und Clark, ihr beiden habt das gute Aussehen der Familie geerbt, schon vergessen? Ich bin die fade Jane. Oder Janellen, in diesem Fall.«

»Wieso musst du mir gleich den Tag vermiesen?«, fragte er. »Wieso sagst du so etwas?«

»Weil es stimmt.« Sie zuckte leicht mit den Achseln, als hätte es wenig oder gar keine Bedeutung für sie. »Komm, lass uns nicht über mich quatschen. Du musst mir alles erzählen – wo kommst du her, und wann bist du heimgekommen?«

»Deine Nachricht hat mich über die Londoner Nummer erreicht, die ich dir gegeben hatte«, sagte er mit einem breiten Gähnen. »War gerade in Saudi-Arabien. Bin drei, vier Tage unterwegs gewesen. Schwer zu sagen, wenn man so viele Zeitzonen durchquert. Gestern bin ich in Houston angekommen und habe den Firmenflieger abgeliefert. Irgendwann nachts war ich dann in Eden Pass.«

»Warum hast du uns nicht geweckt? Wem gehört der Truck da draußen? Wie lange kannst du bleiben?«

Er strich sich das Haar zurück und stöhnte dabei, als würde jedes einzelne Follikel schmerzen. »Eine Frage nach der anderen, wenn ich bitten darf. Ich habe euch nicht geweckt, weil es schon spät war und es keinen Grund gab. Den Pick-up hat mir ein Kumpel in Houston ausgeliehen, der in ein paar Tagen eine Maschine nach Longview fliegen muss. Er holt ihn dann ab und fährt damit zurück. Und … was war die letzte Frage?«

»Wie lange kannst du bleiben?« Sie faltete die Hände unter dem Kinn und sah dabei aus wie ein kleines Mädchen beim Gutenachtgebet. »Sag bitte nicht ›ein paar Tage‹ oder ›eine Woche‹. Sag, dass du ganz lange bleibst.«

Er nahm ihre gefalteten Hände in seine. »Der Vertrag, den ich mit dem Ausrüster in Saudi-Arabien hatte, war sowieso fast ausgelaufen. Momentan steht nichts Besonderes auf dem Plan. Ich habe meinen Abreisetermin offengelassen. Mal sehen, was kommt. Zufrieden?«

»Zufrieden. Danke, Key.« Tränen schimmerten in ihren hellblauen Augen. Was dieses Familienerbe betraf, war sie nicht übergangen worden. »Ich belaste dich nur ungern mit unseren Problemen hier, aber …«

»Es ist keine Belastung.«

»Nun, ich hatte aber das Gefühl. Jedenfalls hätte ich dich nicht gebeten herzukommen, wenn ich nicht denken würde, dass deine Anwesenheit die Situation … verbessert.«

»Was ist hier los, Janellen?«

»Es ist Mama, Key. Sie ist krank.«

»Wieder der Blutdruck?«

»Nicht nur, schlimmer.« Janellen rang die Hände. »Ihr Gedächtnis lässt nach, sie hat echte Lücken. Nicht für lange. Zuerst ist es mir gar nicht aufgefallen. Dann hat Maydale erwähnt, dass Mama öfter Dinge verliert oder verlegt und ihr dann vorwirft, sie hätte sie gestohlen. Und sie fängt plötzlich mitten im Gespräch mit Sachen an, über die wir gerade gesprochen haben.«

»Sie wird alt, Janellen. Wahrscheinlich sind das nichts weiter als erste Anzeichen von Senilität.«

»Vielleicht. Aber das glaube ich nicht. Ich fürchte, es ist mehr als nur das Alter. Es gibt Tage, da sehe ich ihr an, wie schlecht es ihr geht, obwohl sie alles tut, um es zu kaschieren.«

»Was sagt der Arzt?«

»Sie weigert sich, zu einem zu gehen«, schnaubte Janellen frustriert. »Dr. Patton hat ihr ein Mittel gegen den hohen Blutdruck verschrieben, aber das ist schon über ein Jahr her. Sie hat den Apotheker gezwungen, das Rezept immer wieder zu erneuern, sagt, mehr bräuchte sie nicht. Sie hört nicht auf mich, wenn ich ihr sage, dass sie zum Arzt muss.«

Er lächelte trocken. »Klingt ganz nach unserer Jody. Sie weiß es mal wieder besser als alle anderen.«

»Bitte, Key, sei nicht so streng mit ihr. Hilf ihr. Hilf mir.«

Er knuffte sie sanft am Kinn und sagte: »Du hast dich schon viel zu lange ganz allein um alles kümmern müssen. Wird Zeit, dass ich dir was abnehme.« Seine Lippen wurden schmal. »Wenn ich kann.«

»Du kannst. Dieses Mal wird es anders sein zwischen dir und Mama.«

Er murrte skeptisch, schlug das Laken zurück und schwang die Füße über die Bettkante. »Gib mir doch bitte mal die Jeans.«

Janellen wollte sich gerade umdrehen, um die Jeans, die zusammengeknüllt auf dem Sessel lag, zu nehmen, als sie den Verband um seine Hüfte bemerkte. »Was hast du gemacht?!«, rief sie. »O Gott, und der Knöchel!«

Er untersuchte gelassen den geschwollenen Fuß. »Meine Ankunft fiel ein bisschen grob aus, schätze ich.«

»Wobei hast du dich verletzt? Ist es ernst?«

»Nein. Die Jeans, bitte.«

Er saß noch immer auf der Bettkante und streckte seinen Arm aus. Janellen sah die sture Pose seines stoppeligen Kinns und reichte ihm die Hose. Dann kniete sie sich hin, um ihm zu helfen, die Füße durch die Hosenbeine zu bekommen.

»Dein Knöchel ist auf die doppelte Größe angeschwollen«, murmelte sie besorgt. »Kannst du überhaupt drauf stehen?«

»Mein Arzt hat gesagt, das sollte ich lieber nicht tun«, erwiderte er trocken. »Hilf mir mal.«

Sie stützte ihn, als er, das ganze Gewicht auf den linken Fuß verlagernd, aufstand, um die Hose über die Oberschenkel und Hüfte zu ziehen. Während er den Hosenschlitz zuknöpfte, schenkte er ihr ein freches Grinsen, das jeglichen Versuch der Aufrechterhaltung von Tugendhaftigkeit schon im Keim erstickt hätte.

Janellen wagte gar nicht daran zu denken, wie viele Frauen dem Charme ihrer Brüder – besonders Keys – erlegen sein mochten. Sie hatte immer davon geträumt, eine ganze Horde von Neffen und Nichten verwöhnen zu dürfen, doch der Traum war nie in Erfüllung gegangen. Key mochte Frauen, und zwar sehr viele von ihnen. Sie sah kein Indiz dafür, dass er an Heirat dachte.

»Du stellst dich ziemlich geschickt an, einem Mann in seine Hose zu helfen«, bemerkte er neckend. »Wohl geübt in letzter Zeit, hmm? Hoffe ich zumindest«, fügte er noch an.

»Schhh!«

»Sag doch mal?«

»Nein!« Sie spürte, wie sie errötete. Key hatte es schon immer geschafft, sie verlegen zu machen.

»Wieso nicht?«

»Weil ich nicht daran interessiert bin, deshalb«, antwortete sie hochmütig. »Na ja, und bisher ist auch noch keiner bei meinem berauschenden Anblick in Ohnmacht gefallen.«

»An deinem Anblick ist absolut nichts auszusetzen.«

»Aber er ist auch nicht gerade umwerfend.«

»Aber nur, weil du dir in deinen sturen Schädel gesetzt hast, dass du die fade Jane bist, und dich entsprechend zurechtmachst. Du bist so …«, verächtlich deutete er auf ihre sittsame Bluse, »… schrecklich zugeknöpft.«

»Zugeknöpft?«

»Ja. Was dir fehlt, ist Lockerheit. Mach ein paar Knöpfe mehr auf. Werde locker, Schwesterchen.«

Sie tat, als sei sie entrüstet. »Ich als alte Jungfer verbitte mir derart geschmacklose Sprüche.«

»Alte Jungfer! Wer zum Teufel …? Jetzt hör mir mal zu, Janellen.« Er tippte ihr mit dem Zeigefinger auf die Nasenspitze. »Du bist nicht alt!«

»Ich bin aber auch kein junger Hüpfer mehr.«

»Du bist zwei Jahre jünger als ich. Das macht vierunddreißig.«

»Noch nicht ganz.«

»Eben, dreiunddreißig sogar erst. Also noch lange keine alte Schachtel. Gott, heutzutage kriegen die meisten Bräute doch erst mit vierzig ihre Kinder.«

»Diejenigen, auf die das tatsächlich zutrifft, würden es sicher nicht schätzen, ›Bräute‹ genannt zu werden.«

»Du hast mich schon ganz gut verstanden. Du hast ja noch nicht mal deine sexuelle Höchstform erreicht.«

»Key, bitte.«

»Und der einzige Grund, warum du dich als ›Jungfer‹ bezeichnen dürftest, wäre der, wenn du es …«

»Ich habe es noch nicht getan.«

»Umso schlimmer … Weil du so zugeknöpft bist und vor jedem Typen davonrennst, der dir ans Höschen will.«

Janellen, entsetzt über seine Unverfrorenheit, starrte ihn sprachlos an. Bei der Arbeit war sie acht Stunden am Tag, fünf Tage die Woche von Männern umgeben, manchmal sogar an den Wochenenden. Und natürlich war deren Ausdrucksweise derb und unverblümt, doch sobald Miss Janellen in Hörweite war, rissen sie sich zusammen. Wenn ihre Angestellten mit ihr sprachen, legten sie die Worte auf die Goldwaage.

Und Jody würde sowieso jeden auf der Stelle erschießen, der in ihrer oder in der Gegenwart ihrer Tochter vulgäre Ausdrücke benutzte. Paradoxerweise bediente sich Jody allerdings selbst eines ausgiebigen Wortschatzes an Obszönitäten und Blasphemien – eine Ironie, die ihr selber jedoch nicht auffiel.

Die Tatsache, dass sie offensichtlich eine derartige Empfindlichkeit gegen ungehöriges und allzu lässiges Benehmen entwickelt hatte, missfiel Janellen allerdings selbst. Tatsächlich empfand sie diese Charaktereigenschaft eher als Belastung. Es ließ sie fühlen, dass sie anders war, und bewies, dass sie für Männer in keiner Weise, nicht einmal auf freundschaftlicher Basis, attraktiv war. Sie konnte nicht mal ein Kumpel sein, obwohl sie mit zwei älteren Brüdern hatte aufwachsen müssen.

Sie war von Keys Ausdrucksweise weniger geschockt als vielmehr verblüfft. In gewisser Weise betrachtete sie es als Kompliment, was Key natürlich nicht ahnen konnte.

»Ach, verdammt«, murmelte er reumütig, während er ihr über die Wange strich. »Es tut mir leid. Ich wollte das nicht sagen. Es ist mir nur so rausgerutscht, weil du so streng mit dir selbst bist. Tau mal auf, gönn dir was. Himmel noch mal. Nimm dir ein Jahr frei, und fahr nach Europa. Mach einen drauf! Sei frecher! Riskier was Skandalöses! Erweitere deinen Horizont. Das Leben ist zu kurz, um so ernst genommen zu werden. Du verpasst ja das Beste.«

Sie lächelte, nahm seine Hand und küsste den Handrücken. »Entschuldigung angenommen. Ich weiß, dass du mich nicht beleidigen oder meine Gefühle verletzen wolltest. Aber du hast unrecht, Key. Ich verpasse gar nichts. Mein Leben ist hier, und ich bin zufrieden damit. Ich bin so beschäftigt, dass ich gar nicht die Zeit für Interessen romantischer oder sonstiger Natur finde. Unbestritten, mein Leben ist lange nicht so aufregend wie deines, aber ich will es auch nicht anders haben. Du bist der Globetrotter. Ich bin das Heimchen und absolut ungeeignet für skandalöse oder drastische Dinge.« Sie legte ihm die Hand auf den Unterarm. »Ich will mich nicht mit dir streiten, wo du den ersten Tag hier bist seit Clarks …« Sie brachte es nicht über sich, den Satz zu beenden, und nahm die Hand von seinem Arm. »Lass uns jetzt nach unten gehen. Der Kaffee müsste fertig sein.«

»Prima. Ich könnte ein oder zwei Tässchen gebrauchen, ehe ich der alten Dame gegenübertrete. Um welche Uhrzeit steht sie für gewöhnlich auf?«

»Die alte Dame ist bereits aufgestanden.«

In der Tür stand ihre Mutter. Jody Tackett.

Bowie Cato kam zu sich, als ihn eine Stiefelspitze unsanft in die Rippen trat. »He du, aufwachen.«

Bowie schlug die Augen auf und rollte sich auf den Rücken. Er brauchte mehrere Sekunden, bis ihm wieder einfiel, dass er im Lager der Palme schlief, der lautesten, wildesten, verrufensten Kneipe inmitten einer ganzen Reihe von lauten, wilden, verrufenen Kneipen zu beiden Seiten des zweispurigen Highways am äußeren Stadtrand von Eden Pass.

Als erst kürzlich eingestellter Hausmeister begann seine Schicht meist erst nach zwei Uhr morgens, wenn die Kneipe dichtmachte, jedenfalls an den ruhigen Tagen. Zusätzlich zu den lumpigen Kröten, die er hier verdiente, hatte ihm der Besitzer erlaubt, seinen Schlafsack im Lagerraum auszurollen.

»Was ist los?«, fragte er benommen. Er konnte noch nicht länger als zwei, drei Stunden geschlafen haben.

»Hoch mit dir.« Wieder die Stiefelspitze, diesmal eher als Aufforderung. Sein erster Impuls war, den nervenden Stiefel zu packen, umzudrehen und den Störenfried auf die Bretter zu schicken.

Aber wegen eines solchen Impulses hatte Bowie die letzten drei Jahre im Staatsgefängnis absitzen müssen, und er war nicht gerade scharf drauf, für weitere drei dort zu landen.

Wortlos setzte er sich auf und schüttelte den brummenden Schädel. Dann blinzelte er in das Sonnenlicht, das durchs Fenster hereinfiel, und sah die Silhouetten zweier Männer über sich ragen.

»Tut mir leid, Bowie«, meinte Hap Hollister, der Eigentümer der Kneipe. »Ich habe Gus schon gesagt, dass du die ganze Nacht hier warst seit gestern Abend sieben Uhr. Aber er meinte, er müsste dich trotzdem sprechen, weil du ein Exknacki bist. Er und der Sheriff haben sich wegen letzter Nacht umgehört, und bisher bist du der einzige Verdächtige in der Stadt.«

»Das bezweifle ich«, murmelte Bowie in sich hinein und kam dabei langsam auf die Beine. »Schon gut, Hap.« Er schenkte seinem neuen Arbeitgeber ein grimmiges Lächeln und wandte sich dann dem kahlköpfigen, aufgedunsenen, massigen Hilfssheriff zu. »Worum geht’s?«

»Worum es geht?« Der Hilfssheriff klang gereizt. »Mrs. Darcy Winston ist letzte Nacht beinahe in ihrem eigenen Bett vergewaltigt und ermordet worden! Darum geht’s.« Dann gab er ihnen die Einzelheiten des versuchten Einbruchs bekannt.

»Es tut mir wirklich leid, das zu hören.« Bowies Blick wanderte zwischen dem uniformierten Hilfssheriff und Hap hin und her, doch sie starrten nur wortlos zurück. Er zuckte kurz und fragend mit den Schultern. »Wer ist überhaupt diese Mrs. Darcy Winston?«

»Als ob du das nicht sehr genau wüsstest«, schnaubte der Hilfssheriff.

»Ich weiß es wirklich nicht.«

»Du hast dich gestern Abend mir ihr, äh, unterhalten, Bowie«, sagte Hap verlegen. »Sie war während deiner Schicht hier. Rote Haare, große Möpse, hatte so ’ne enganliegende Kniehose an. Jede Menge Klunker.«

»Oh.« Er erinnerte sich zwar nicht mehr an die Klunker, aber sehr wohl an diese Titten, und er vermutete, dass es Mrs. Darcy genau darauf auch angelegt hatte. Wie Zitronenbrause hatte sie die Margaritas gekippt und hatte jeden männlichen Gast angemacht, einschließlich ihm, einem einfachen Kerl, der hier angestellt war, um aufzuräumen und sauberzumachen.

»Ich hab mit ihr geredet«, sagte er in Richtung des Hilfssheriffs. »Aber wir haben uns nicht mal bekannt gemacht.«

»Sie hat jeden hier angequatscht, Gus«, unterbrach Hap.

»Aber er ist der Einzige mit ’nem Strafregister. Der Einzige auf Bewährung.«

Bowie verlagerte das Gewicht, um seine angespannten Muskeln ein wenig zu lockern. Verflucht, er konnte förmlich riechen, wie da in vollem Galopp mächtiger Ärger auf ihn zukam. Er hoffte zwar, dem noch aus dem Weg gehen zu können, aber die Umstände sprachen dagegen.

Mit diesem Zweihundertpfundkerl von Sheriff war nicht zu spaßen. Bowie hatte es in seinem Leben schon mit zu vielen von seiner Sorte zu tun gehabt, um das nicht gleich zu erkennen. Ihm waren große Massige und kleine Drahtige über den Weg gelaufen. Die Größe oder Stärke eines Mannes hatte damit nichts zu tun. Das, was sie alle gemeinsam hatten, war dieser bestimmte Ausdruck in den Augen, der besagte, dass ihr Motto lautete: Schlechtes wird mit Schlechtem vergolten.

Zum ersten Mal begegnet war ihm das bei seinem Stiefvater, diesem versoffenen Hurensohn, den seine verwitwete Mutter aus lauter Verzweiflung geheiratet hatte und der sich daran hochzog, wenn er ihn – Bowie – verprügelte. Später erkannte er es im Sportlehrer wieder, dem nichts mehr Spaß bereitete, als unsportliche Kinder bloßzustellen.

Mit seiner Auflehnung gegen den Stiefvater und der Verteidigung der bemitleidenswerten Kinder gegen den Sportlehrer hatte der ganze Ärger angefangen, der Bowie schon als Jugendlicher hinter Gittern gebracht hatte. Da er nur langsam lernte, brachte er es bis ins Staatsgefängnis.

Doch das hier ging ihn nichts an. Er kannte Darcy Winston nicht mal, und es scherte ihn nicht im Mindesten, dass jemand versucht hatte, sie sich zu schnappen. Also sagte er sich, dass es das Beste wäre, einen kühlen Kopf zu bewahren. »Ich war die ganze Nacht hier in der Palme, wie Hap Ihnen schon gesagt hat.«

Der Hilfssheriff musterte ihn. »Zieh die Klamotten aus.«

»Bitte?«

»Bist du taub? Runter mit den Klamotten.«

»Gus«, fiel Hap ein. »Muss das wirklich sein? Dieser Junge hier …«

»Halt dich da raus, Hap«, raunzte der Deputy. »Lass mich meine Arbeit machen, ja? Mrs. Winston hat den Einbrecher angeschossen. Wir wissen, dass sie getroffen hat, weil auf ihrem Balkon und am Pool Blut war. Der Kerl hat ’ne richtige Spur hinterlassen, als er sich durchs Gebüsch davongemacht hat.« Er zog das Pistolenhalfter hoch, das unter seinem überlappenden Bierbauch eingeklemmt war. »Wollen doch mal sehen, ob du irgendwo ’ne Schussverletzung hast. Also, raus aus den Klamotten, Knastvogel.«

Bowies Geduld war am Ende. »Fick dich doch selbst.«

Der Hilfssheriff lief krebsrot an. Seine Schweinsaugen verschwanden fast in den Falten seiner feisten Wangen.

Das sollte er ihm büßen …

Mit einem animalischen Grunzen langte der Deputy nach Bowie. Doch der wich ihm aus. Der Sheriff holte aus, und Bowie duckte sich abermals. Hap Hollister drängte sich zwischen sie. »Hey, ihr zwei! Ich will hier keinen Ärger! Und ihr bestimmt auch nicht.«

»Ich werde diesem kleinen Schwanzlutscher jeden einzelnen Knochen im Leib brechen!«

»Nein, wirst du nicht, Gus.« Gus wehrte sich dagegen, dass Hollister ihm die Arme festhielt, aber Hollister, der sich oft genug gegen betrunkene Gäste zur Wehr setzen musste, war nicht gerade ein Schwächling. Mit dem Hilfssheriff wurde er fertig. »Sheriff Baxter würde dir den Arsch aufreißen, wenn du dich an einem Verdächtigen vergreifst.«

»Ich bin kein Verdächtiger!«, schnaubte Bowie.

Gus noch immer festhaltend, warf Hap Hollister Bowie einen Blick über die fleischige Schulter des Deputys zu. »Reiß dein Maul bloß nicht so weit auf, Kleiner. Das ist dämlich. Und jetzt entschuldige dich.«

»Den Teufel werd ich tun!«

»Mach schon!«, dröhnte Hap. »Zwing mich nicht zu bereuen, dass ich mich für dich eingesetzt habe!«

Während der Hilfssheriff vor Wut schäumte, fochten Bowie und Hap ein Blickduell aus. Bowie überlegte fieberhaft. Wenn er seinen Job verlor, würde ihm der Bewährungshelfer auf den Fersen sein. Es war ein lausiger Job, der zu nichts führte, aber es war eben eine Erwerbstätigkeit, die seinen Willen zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft bewies.

Er würde auf keinen Fall nach Huntsville zurückgehen. Selbst wenn er dafür diesem fetten Schwanzgesicht mit dem Schildchen auf der Brust den Arsch küssen müsste.

»Ich entschuldige mich.« Sicherheitshalber knöpfte er das Hemd auf und zeigte dem Sheriff die blanke Brust. »Keine Schussverletzung. Ich war die ganze Nacht hier.«

»Und dafür gibt es mindestens ein Dutzend Zeugen, Gus«, sagte Hap. »Irgendjemand anderes ist letzte Nacht in Mrs. Darcy Winstons Haus eingebrochen. Bowie kann es nicht gewesen sein.«

Doch Gus wollte so leicht nicht zurückstecken, obwohl es offensichtlich war, dass er den falschen Mann hatte. »Schon komisch, dieser Knastvogel kommt in die Stadt, und schon kriegen wir die erste Meldung über ein ernsthaftes Vergehen seit Jahren auf den Tisch.«

»Zufall«, meinte Hap.

»So wird’s wohl sein«, murmelte der Deputy, wobei er nicht aufhörte, Bowie misstrauisch zu beäugen.

Hap versuchte, ihn mit dem neuesten Klatsch abzulenken. »Übrigens, rate mal, wer gestern Nacht eingeflogen ist – Key Tackett.«

»Ist nicht wahr?!«

Haps Ablenkungsmanöver hatte funktioniert. Der Deputy gab seine angestrengte Haltung auf, entspannte sich, stützte den Ellenbogen auf ein Regal und vergaß für einen Moment Bowie und den Grund seiner Anwesenheit in der Spelunke. Bowie wollte einfach nur wieder in seinen Schlafsack krabbeln und noch ein paar Stunden ausruhen. Er gähnte.

Der Hilfssheriff fragte: »Und, wie sieht der alte Key aus? Hat er endlich ein paar Pfund zugelegt?« Lachend schlug er sich selbstgefällig auf den feisten Bauch.

»Quatsch. Hat sich kein Stück verändert seit seinem letzten Jahr auf der Highschool, als er die Schulmannschaft bis in die Endausscheidung katapultiert hat. Groß, schlank und dunkel wie der Teufel selbst. Und mit diesen blauen Augen spießt er immer noch jeden auf. Auch noch derselbe kleine Klugscheißer wie früher. Das erste Mal, dass er wieder hier ist, seit sie seinen Bruder beerdigt haben.«

Bowie horchte auf. Er erinnerte sich an den Mann, von dem die Rede war. Tackett war die Sorte Mann, die einen bleibenden Eindruck hinterlässt – bei Männern wie bei Frauen. Die Männer wollten so sein wie er. Und dieser Key hatte kaum auf dem Barhocker Platz genommen, als Mrs. Wie-war-gleich-ihr-Name mit dem roten Haar und den großen Titten sich an ihn ranschmiss. Über eine halbe Stunde hatten sich die beiden mehr als angeregt unterhalten. Und Tackett war nur wenige Minuten nach ihrem aufreizenden Abgang verschwunden.

Interessanter Zufall? Bowie schnaubte innerlich. Er glaubte nicht an Zufälle. Aber sie könnten ihm die Zunge abschneiden und sie einem Kojoten vorwerfen, kein Sterbenswort würde er dem Hilfssheriff davon sagen.

»Tja, Clarks Tod. War ein harter Schlag für die alte Jody«, sagte Gus.

»Ja.«

»Seitdem ist sie nicht mehr dieselbe.«

»Und zu allem Überfluss muss diese Ärztin jetzt auch noch in die Stadt ziehen und das Ganze wieder aufrühren.«