Fiete fährt nach Föhr - Rainer Hendeß - E-Book

Fiete fährt nach Föhr E-Book

Rainer Hendeß

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Beschreibung

Fiete ist ein fröhlicher Junge, sieben Jahre alt, und träumt von einem großen Abenteuer. Dieses Jahr macht er mit der Familie seiner großen Freundin Marlene ein paar Tage Ferien auf der Nordseeinsel Föhr. Fiete freut sich ganz besonders darüber, dass es wieder auf den Reiterhof geht, auf dem Marlene vor einigen Jahren die abenteuerliche Geschichte mit dem verschwundenen Lamm erlebt hat. Marlenes Opa hat ein Buch darüber geschrieben, das Fiete sich oft vorlesen lässt und nahezu auswendig kennt. Er ist fest davon überzeugt, dass ihn auf diesem Hof jetzt ein ähnliches Abenteuer erwartet und hat sich gut darauf vorbereitet. Tatsächlich treffen sie mit dem Kater Kalle und dem Hofhund Harras alte Bekannte wieder, die bei Marlenes Abenteuer eine wesentliche Rolle gespielt haben. Und dann taucht da noch Emil mit einem geheimnisvollen Auftrag auf, der ebenfalls in die alte Geschichte zurückreicht. Natürlich sind Fiete und Marlene mit Begeisterung dabei, diesen Auftrag zu erfüllen und befinden sich samt ihrer tierischen Gefährten, zu denen auch Chewbacca, der große Labradoodle und Fietes bester Freund, sowie die kleine Maus Lilly gehören, unversehens wieder mitten in einem neuen Abenteuer. Im Laufe ihrer Mission haben sie eine Reihe von Hindernissen, auch im buchstäblichen Sinne, zu überwinden, doch dank Marlenes sportlicher Fähigkeiten und Fietes Findigkeit bringen die Freunde den Auftrag zu einem erfolgreichen Ende.

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Seitenzahl: 202

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Für die freundlichen Insulaner, die wenig reden, uns aber all die Jahre immer herzlich willkommen geheißen haben.

Und für meine Familie, mit der jeder Urlaub auf der Insel ein Erlebnis und eine große Freude ist.

Dieses Buch erzählt eine erfundene Geschichte.

Einige der darin vorkommenden Personen und Orte existieren wirklich, die Handlungen und Gespräche sind jedoch rein fiktiv und entstammen der Phantasie des Autors. Jegliche Ähnlichkeit mit realen Personen oder Orten ist rein zufällig.

Inhalt

Teil 1: Fiete fährt nach Föhr

Kapitel 1: Fiete

Kapitel 2: Vorbereitungen

Kapitel 3: Aufbruch

Kapitel 4: Der Hof

Kapitel 5: Urlaubssplitter

Beim Fahrradverleih

Im Schlickblick

Der Krog

Abendstimmung

Teil 2: Fietes Abenteuer

Kapitel 1: Überraschung am Morgen

Kapitel 2: Der fremde Junge

Kapitel 3: Emil erzählt

Kapitel 4: Unterwegs

Kapitel 5: Die Wand

Kapitel 6: Die Waldhütte

Kapitel 7: Der Schatz

Kapitel 8: Heimwärts

Nachspiel

Teil 1: Fiete fährt nach Föhr

Kapitel 1: Fiete

Fiete ist ein fröhlicher Hamburger Jung mit ziemlich roten Haaren. Gerade haben die Sommerferien angefangen, und Fiete findet das nach seinem ersten Schuljahr auch höchste Zeit. Die ersten vier Wochen der Ferien darf er bei den Großeltern seiner Freundin Marlene verbringen, weil seine Eltern mit denen von Marlene eine große Reise nach Amerika machen, für die er noch zu klein ist. Fiete hat damit kein Problem. Er kennt die beiden schon lange und nennt sie ganz selbstverständlich Oma und Opa. Besonders freut er sich darüber, dass zusammen mit ihm auch Marlene und Chewie dort untergebracht sind. Marlene ist ein paar Jahre älter als Fiete und sein großes Vorbild. Chewie ist der Enkelhund von Oma und Opa. Auch er muss in den Ferien untergebracht werden, weil Frauchen und Herrchen mit von der Partie in Amerika sind. Sein richtiger Name ist Chewbacca, wie der Wookiee aus „Krieg der Sterne“. Er ist ein großer, rotbrauner Labradoodle, mit dem Fiete sofort innige Freundschaft geschlossen hat und der ihm den ganzen Tag über kaum von der Seite weicht. Wenn die beiden wilden Kerle auf dem Rasen herumtollen, ist manchmal kaum zu erkennen, wo der Labradoodle aufhört und Fiete anfängt. Die Haarpracht von Junge und Hund ist täuschend ähnlich, so zwischen lockig und struppig und meistens zerzaust.

Im Garten von Oma und Opa spielt Fiete am liebsten Robinson Crusoe oder Seeräuber. Aus dem Buch von dem Schiffbrüchigen, der sich auf eine einsame Insel rettet, haben ihm Mama und Papa vorgelesen. Zwischen den Büschen und Bäumen im Garten fühlt sich Fiete wie Robinson im Dschungel seiner Insel. Im Moment aber ist Fiete ein Seeräuberkapitän, weil er neulich abends mit Marlene eine Seeräuber-DVD gesehen hat. Im Garten hat Fiete ein eigenes Seeräuberschiff, das er sich mit Opas Hilfe aus alten Brettern gebaut hat. Der Ausguck ist oben in der Blutbuche. Da kommt Fiete leicht hoch, weil die Äste dicht beieinander stehen. Klettern kann Piet wie eine Eins, aber Oma hat immer Angst, deshalb darf er nur hoch, wenn ein Erwachsener aufpasst. Fiete findet das doof und hat es auch schon heimlich alleine probiert. Leider hat Oma das gemerkt, und ordentlich geschimpft.

Heute springt Fiete im Garten herum und freut sich wie ein Schneekönig. Das ist natürlich Quatsch, denn es ist Hochsommer, von Schnee weit und breit nichts zu sehen. Gerade hat Oma ihm erzählt, dass sie in der nächsten Woche auf einen Bauernhof auf der Insel Föhr fahren werden. Und nicht auf irgendeinen Hof, sondern auf genau den, auf dem Marlene vor einigen Jahren so ein tolles Abenteuer erlebt hatte. Oma hatte im Abendblatt eine Anzeige gelesen, dass dieser Hof jetzt ganz neu auch Reiterferien anbietet und es zu Ferienbeginn sogar Sonderpreise gibt. Da Föhr immer ganz oben auf der Familien-Hitliste steht und Oma als erprobte Schnäppchenjägerin so einem Sonderangebot nicht widerstehen konnte, hatte sie kurz entschlossen zum Hörer gegriffen. Mit viel Überredungskunst und einem zarten Hinweis auf den schon einmal dort verbrachten Urlaub war es ihr tatsächlich gelungen, kurzfristig noch Zimmer zu bekommen.

„Kommt Marlene auch mit?“, hatte Fiete gefragt. „Und Chewie?“ Er fühlt sich am wohlsten, wenn alle seine Lieben um ihn herum sind. Chewie geht es genauso.

„Natürlich kommen die beiden mit“, hatte Oma gesagt. „Sollen wir sie etwa alleine hier lassen? Und du weißt doch, wie sehr Marlene Pferde und das Reiten liebt. Das wird ein ganz toller Urlaub auch für sie.“

Marlene ist diese Woche noch mit ihrer Freundin Eve in einem Sportcamp, sie kommt aber Donnerstagabend zurück und fährt dann am Sonnabend mit nach Föhr.

„Und Heinzi?“, hatte Fiete nachgefragt. Heinzi ist der Bruder von Oma. Fiete mag Heinzi, weil er lustige Geschichten erzählt und früher mal ein Fußballspieler war, der die besten Fallrückzieher machen konnte. Opa lacht dann immer, wenn die Rede darauf kommt. Er erzählt dann die Geschichte, wie Heinzi Fallrückzieher im Garten geübt hat und dabei mit einer Hand in dem Hundehaufen gelandet ist, den der Dackel seiner Eltern auf dem Rasen hinterlassen hat. Fiete und die anderen lachen sich darüber kaputt. Heinzi findet das immer noch nicht wirklich lustig. Leider kann er heute nicht mehr mit Fiete kicken und ihm Fallrückzieher beibringen, weil er am Fuß verletzt ist und ein neues Gelenk aus Edelstahl hat. Fiete findet das interessant, aber leider kann man das von außen nicht sehen.

„Frag ihn doch“, hatte Oma geantwortet, die es auch gern hätte, dass ihr Bruder mitkäme, „vielleicht hört er auf dich.“

Fiete hatte Heinzi gefragt und ihm gesagt, dass er gerne mit ihm nach Föhr fahren würde.

„Wir könnten prima am Strand spielen und im Wasser“, hatte er Heinzi erklärt. Vielleicht geht da sogar wieder ein Fallrückzieher.“

Heinzi hatte sich gefreut und ihm ein bisschen das Haar verwuschelt. Aber dann hatte er doch den Kopf geschüttelt und gesagt, dass er lieber zuhause bliebe, mit seinem Fuß sei das noch nicht wieder ganz in Ordnung. „Und einer muss ja hier bleiben und auf das Haus von Oma und Opa aufpassen“, hatte er ergänzt.

Fiete versteht das. Er findet es schade, sieht aber ein, dass jemand aufpassen muss, wenn sie alle weg sind. Er stellt sich vor, wie Heinzi abends mit der Taschenlampe leise um das Haus schleicht, alle Türen und Fenster kontrolliert und auf fremde Fußspuren achtet, und vielleicht hat er dann ja auch seine Flinte dabei, von der er Fiete erzählt hat. Schließlich ist ja auch Chewie weg, der hier jetzt für die Sicherheit sorgt. Fiete ist fest davon überzeugt, dass der Labradoodle ein prima Wachhund ist, auch wenn das nicht alle so sehen. Fiete nimmt sich fest vor, Heinzi für seinen Einsatz eine besondere Belohnung aus dem Urlaub mitzubringen.

Marlene hatte sich, genau wie Fiete, riesig über die geplante Reise nach Föhr gefreut. Sie war vor ein paar Jahren mit Oma und Opa schon einmal auf diesem Bauernhof gewesen und hatte zusammen mit einem Kater, einem Ferkel und einigen weiteren Tieren ein unglaubliches Abenteuer um ein verschwundenes Lämmchen durchgestanden. Opa hat darüber eine Geschichte geschrieben, die Fiete vom häufigen Vorlesen fast auswendig kennt. Er träumt davon, so ein Abenteuer auch einmal zu erleben. Zwar ist ihm nicht ganz klar, wieso die Tiere dort sprechen konnten, aber in anderen Geschichten ist es ja auch so. Opa hat ihm erzählt, dass es in ganz besonderen Fällen vorkommen kann, dass Tiere sich auch mit Menschen verständigen. Fiete hat schon oft versucht, seinen vierbeinigen Freund Chewie zum Sprechen zu bewegen, aber mehr als ein gelegentliches Bellen und merkwürdige Geräusche, die irgendwo zwischen Grunzen, Gähnen und Jaulen liegen, sind dabei nicht herausgekommen.

Aber der Labradoodle ist klug und versteht jedes Wort. Er holt den Ball, wenn man ihn dazu auffordert, und wenn Oma ihn nach dem „Dödel“ schickt, bringt er seinen Kauknochen. Chewie reagiert auf das Wort „Eichhorn“ und sucht dann hektisch den ganzen Garten ab.

Jetzt flitzt Fiete Schneekönig im Zick-Zack über den Rasen und legt dabei zwischendurch den einen oder anderen Handstand oder Purzelbaum ein, Übungen die ihm Marlene beigebracht hat. Wie immer jagt Chewie in großen Sätzen im Garten hinter dem Jungen her, und als Fiete sich von einem verunglückten Purzelbaum hochrappelt, stupst er ihn mit seiner großen, dicken Nase vor die Brust, so dass der Junge gleich wieder rücklings ins Gras fällt. Dort schleckt er ihm mit triefender Zunge liebevoll das Gesicht ab und springt um ihn herum, um ihn zu weiterem Toben zu animieren. Fiete stürzt sich auf ihn, wirft ihm beide Arme um den Hals und brüllt ihm ins Ohr: „Hurra, hurra, wir fahren bald nach Föhr.“ Und statt „Bauernhof“ entschlüpft ihm mit „Abenteuerhof“ eine eigene Wortschöpfung, die genau das ausdrückt, was er von diesem Urlaub erwartet. Zwar gibt ihm der Hund auch diesmal außer einer weiteren Pflegedusche seines Gesichts keine richtige Antwort, aber Fiete ist sicher, dass der Doodle ihn verstanden hat. Er weiß genau, dass er mit dem großen Hund den richtigen Gefährten dabei haben wird und hofft, dass sich die sprachliche Verständigung in dem bevorstehenden Abenteuer noch etwas verbessern wird. Vielleicht liegt es ja an genau diesem Ort. Schließlich ist es dort ja schon einmal vorgekommen.

Vor lauter Vorfreude schlägt Fiete noch einen letzten Purzelbaum und bleibt dann lang ausgestreckt im warmen Gras liegen. Er schließt die Augen und sieht in Gedanken schon einmal den Abenteuerhof vor sich. Chewie lässt sich neben ihm nieder, leckt ihm noch einmal quer übers Gesicht, legt seinen dicken Kopf dann mit einem tiefen Seufzer auf den Bauch des Jungen, und beide träumen sich einem wunderbaren Urlaub entgegen.

Kapitel 2: Vorbereitungen

Obwohl Fiete es gar nicht abwarten kann, vergehen die Tage bis zur Abfahrt doch ziemlich schnell. Einen großen Teil dieser Zeit verbringt Fiete damit, alle die Dinge zusammenzusuchen, von denen er glaubt, nein, sicher ist, dass sie für das Bestehen der zu erwartenden Abenteuer unentbehrlich sind. Das ist gar nicht so einfach, wie er sich das vorstellt, denn trotz ständiger Ermahnungen seiner Eltern und auch seiner Oma sind Aufräumen und Ordnung halten nicht seine großen Stärken. So findet er den Seeräubersäbel, den Opa ihm gebastelt hat, erst nach längerem Suchen zwischen alten Gartengeräten hinten im Gartenhäuschen. Er weiß genau, dass er den Säbel ganz bestimmt nicht dort hingelegt hat. Sicher hat Oma ihn auf dem Rasen gefunden und mit ihren Arbeitsgeräten in den Laubkorb gesteckt. Auf dem Rasen hätte er ihn doch viel schneller gefunden. Fiete schüttelt ob so unsinniger Ordnungsliebe den Kopf. Er muss das mal gelegentlich mit Oma besprechen. Seinen Flitzebogen, ein Souvenir von den letzten Karl-May-Festspielen in Segeberg, entdeckt er rein zufällig in Opas Werkzeugkeller hinter einem Stapel leerer Kartons, als er eine Schachtel für seine Star-Wars-Figuren sucht, die er zum Spielen am Strand mitnehmen will. Er kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie der da hingekommen ist. Auch fehlen zum Bogen leider die Pfeile. Fiete erinnert sich, dass er einige Pfeile bei Zielübungen wohl in die Nachbarsgärten geschossen hat, wo sie wahrscheinlich der Aufräumwut der Nachbarinnen zum Opfer gefallen sind. Er ist sich aber sicher, dass es irgendwo noch weitere Pfeile geben muss. Erst vor ein paar Wochen hat er doch von Marlene einen Köcher mit Pfeilen bekommen, den diese vor einigen Jahren ebenfalls in Segeberg abgestaubt hat. Bei Köcher erinnert er sich, dass er diesen bestimmt wie immer irgendwo ordentlich aufgehängt hat. Wahrscheinlich am Garderobenständer im Flur, und da hängen inzwischen tausend Jacken, Mützen und Schals drüber, die Marlene, Oma und Opa ohne jede Rücksicht da raufgepfeffert haben. Kein Wunder, dass er in diesem Haus nichts findet.

Also macht Fiete sich auf die Socken und durchsucht die Garderobe nach dem vermissten Köcher mit den Pfeilen. Im Flur findet er nichts. Doch ihm fällt ein, dass es ja auch im Keller noch einen Garderobenständer gibt, den Oma immer mit all den Sachen behängt, die sie oben nicht habeb möchte. Unverzüglich macht er sich auch dort an die Arbeit. Das geschieht, indem er alles was da an den Haken hängt, erst einmal auf den Boden schmeißt. Doch von einem Köcher ist auch danach nichts zu sehen. Fiete steht etwas ratlos und enttäuscht da und kaut nachdenklich an der Unterlippe, während er überlegt, was er denn nun machen soll. Seine Rettung heißt Opa, der gerade Getränkenachschub aus dem Keller holen will. Fiete informiert ihn über die Katastrophe mit den Pfeilen, und Opa verspricht, umgehend noch einige Pfeile anzufertigen, für die er sich gleich aus Omas Blumenbeeten einige passende Bambusstöcke ausleiht. Federn dafür würden sich am Strand genügend finden, sagt er. Zu Fietes großer Freude kündigt Opa dann auch noch an, einen Köcher mitzuliefern (für den der Ärmel einer alten Lederjacke von Oma herhalten muss).

So zufrieden gestellt, macht Fiete sich daran, sein Waffenarsenal für die Abenteuer-Expedition auf der Insel zu vervollständigen. Dazu gehört sein größter Schatz, ein echter Finnendolch in einer Lederscheide, den er auf der Straße vor dem Haus gefunden hat. Dieser Dolch sieht in der Scheide ungeheuer echt und gefährlich aus, hat jedoch den gravierenden Nachteil (Oma würde eher von Vorteil sprechen), dass er praktisch nur noch aus einem Griff mit knapp drei Zentimetern Klinge besteht. Den Dolch hält er in seiner Autokiste versteckt, wo er unter der Menge verschiedenster Matchbox- und anderer Autos nicht zu sehen ist.

Zu seiner Ausrüstung gehören schließlich noch das Seeräuberkopftuch (aus Beständen von Mama), ein kleines Fernglas (Geschenk von Opa), ein Nähetui von Oma, mit diversen Nähnadeln und Zwirnsfäden in verschiedenen Farben, das er auf dem Flurschrank gefunden und für alle Fälle mal eingesteckt hat, ein großes Knäuel Bindfaden von Opas Werkbank, sowie eine größere Brotdose, in der er die Süßigkeiten sammelt, die er regelmäßig abstaubt, wenn Oma und Opa Besuch haben.

Als Fiete alles zusammen hat, packt er seinen Rucksack und stellt ihn neben das Kopfende seines Bettes, damit er ihn beim Aufbruch morgen früh auch ja nicht vergisst. Oben aus dem Rucksack ragen der rote Griff des Seeräubersäbels, den Opa mit silbernen Knöpfen verziert hat, und der entspannte Flitzebogen. Fiete hofft nur, dass Opa die Pfeile nicht vergisst. Eigentlich kann er sich auf Opa ja verlassen, aber vorsichtshalber fragt er doch noch einmal nach. Als Opa zurückmeldet „Pfeile und Köcher sind fertig und eingepackt“, ist Fiete zufrieden. In diesem Urlaub kann nichts mehr schiefgehen, das Abenteuer kann beginnen.

Als er abends müde und zufrieden im Bett liegt, muss Opa ihm wie immer noch eine Geschichte vorlesen.

„Aus dem Irmchen-Buch“, bestimmt Fiete, „das Kapitel mit der Brücke und das mit der Waldhütte.“

„Nur eins heute Abend“, lehnt Opa ab. Es ist schon spät, und du musst morgen früh aufstehen.“

„Na gut, dann das mit der Waldhütte“, gibt Fiete nach. Er kuschelt sich in seine Decke, nimmt seinen Schlafteddy in den Arm und guckt erwartungsvoll hoch.

„Also dann“, sagt Opa und liest vor, wie Marlene und ihre vierbeinigen Freunde den herrenlosen Hund Harras treffen, mit ihm Schutz vor einem Unwetter in einer Hütte suchen, in der Harras früher mit seinem Herrn Roberto gelebt hat, dort eine Feldmausfamilie kennenlernen und schließlich Omas Dackel Julchen dazu stößt, der sie sicher wieder nach Hause bringt. Oma kommt hinzu, gibt ihm einen Gutenachtkuss, lächelt und streicht ihm über das strubbelige Haar. „Ich bin ganz sicher, dass das ein besonders toller Urlaub wird, mein Kleiner“, sagt sie, aber da ist Fiete schon eingeschlafen.

Wovon er wohl träumt?

Kapitel 3: Aufbruch

Die Fähre von Dagebüll auf die Insel geht um 10.40 Uhr. Opa erinnert sich mit Schaudern an den letztjährigen Urlaub, als er vergessen hatte, rechtzeitig eine Fähre zu reservieren und sie dann um vier uhr nachts aus den Federn mussten, um mit der ersten Fähre rüberzukommen. Für heute heißt das, sie müssen spätestens um halb acht Uhr losfahren, hat Oma bestimmt, denn sie plant immer ein bisschen vorsichtiger als Opa, der lieber länger schläft und dann auf den letzten Drücker ankommt.

Um halb acht losfahren heißt, dass um halb sechs der Wecker klingelt. Bei Opa. Oma ist sowieso schon wach und werkelt in der Küche herum. Fiete darf länger schlafen. Als Oma ihn um halb sieben weckt, ist er jedoch sofort hellwach und springt aus dem Bett.

„Wann fahren wir los?“ fragt er, während er sich hastig anzieht und nach seinem Rucksack greift.

„Immer langsam, junger Mann“, hält ihn Oma zurück. „Erst einmal marsch ins Badezimmer“.

Fiete wirft sich dort eine Handvoll Wasser ins Gesicht, zieht die Zahnbürste mit einem winzigen Klecks Zahnpasta zweimal quer über die Zähne und will sich wieder den Rucksack schnappen, den er vorsorglich in der Badezimmertür deponiert hat.

„Nichts da, Freundchen!“ Oma erwischt ihn beim Schlafittchen und zerrt ihn zurück vors Waschbecken. „Duschen brauchst Du heute nicht, aber ein bisschen mehr Morgentoilette muss sein.“ Sie nimmt einen Waschlappen, macht ihn ordentlich nass und fährt ihm damit über Gesicht und Hals.

Fiete prustet, zappelt und schreit: „Das ist heiß, Du verbrennst mich!“.

Oma lacht: „Keine Bange, so heiß ist das Wasser nicht.“

„Wohl!“, schreit Fiete wieder und will sich aus Omas Griff befreien.

Diese aber kennt kein Erbarmen. Sie lässt nicht los rubbelt ihn kurz mit dem Handtuch ab und drückt ihm dann noch einmal die Zahnbürste in die Hand. Diesmal mit einer ordentlichen Portion Zahnpasta darauf. „Nun sieh mal zu, dass du zu Potte kommst, oder soll ich das machen?“

Fiete gibt nach. Das wäre ja noch schöner, sich wie ein Kleinkind von der Oma die Zähne putzen zu lassen. Er steckt sich die Bürste in den Mund und bearbeitet die Zähne so, wie es ihm die Zahnärztin beigebracht hat.

„Prima“, lobt Oma, „geht doch“, und gibt Fiete einen zärtlichen Klaps auf den Hinterkopf.

„Aua!“, schreit Fiete, wendet sich zur Tür und grapscht nach dem Rucksack.

„Nicht so schnell“, hält ihn Oma zurück. „Was hast du da eigentlich Wichtiges drin?“ Schon hat sie sich den Rucksack geschnappt und öffnet ihn. „Das sieht ja nach Kriegspfad aus“, stellt sie fest. „Was hast du denn auf Föhr vor?“

„Brauch ich alles für den Abenteuerurlaub“, antwortet Fiete. „Du weißt doch, was da auf dem Hof immer los ist.“ Oma weiß das im Moment nicht so recht und guckt Fiete ratlos an. „Denk doch an das Buch von Opa“, hilft Fiete ihr etwas genervt auf die Sprünge.

„Ach ja, das verschwundene Lamm“, erinnert sich Oma jetzt. „Und du glaubst, da wird wieder etwas passieren, wozu du das ganze Zeug hier brauchst?“

„Man kann nie wissen“, antwortet Fiete, „besser man ist auf alles vorbereitet“, und rollt mit den Augen, so wie er das bei Marlene gesehen hat, wenn Erwachsene einfach nichts begreifen. Er reißt Oma den Rucksack aus den Händen und macht sich auf den Weg nach unten. Gut, dass sie nicht tiefer im Rucksack gekramt hat. Den Finnendolch hätte sie möglicherweise nicht durchgehen lassen und das Nähetui sicher auch gerne wiedergehabt.

Im Esszimmer sitzen Opa und Marlene schon am Frühstückstisch. Opa hat schon eine Gassirunde mit Chewie hinter sich und alles Gepäck im Auto verstaut. „Das war nicht ganz so einfach“, sagt er zu Oma. „Zwei Kinder auf der Rückbank und dieser Riesenhund im Kofferraum, da muss alles richtig gepackt und verstaut werden.“

„Na ja, gepackt hab ich ja“, gibt Oma zur Antwort. „Einer muss ja den Überblick behalten und dafür sorgen, dass die richtigen Sachen mitkommen. An der See muss man auf jedes Wetter vorbereitet sein.“

„ Zwei T-Shirts und Jeans reichen“, mischt sich Marlene ein. „Mehr brauche ich nicht, höchstens noch einen Pullover.“

„Das sagt die junge Dame, die sich gern zweimal am Tag umzieht“, lacht Oma. „Aber keine Bange, ich hab alles für euch dabei.“

Fiete sieht sich auf dem Tisch um, die Packerei interessiert ihn nicht. „Prima, dass Du Brötchen mitgebracht hast“, freut er sich und schiebt Opa eins davon über den Tisch. „Bitte mit der Erdbeermarmelade von Oma“, verlangt er, „und eins mit Salami und eins mit Leberwurst für unterwegs.“

Opa nickt und macht sich an die Arbeit. Dabei zwinkert er Fiete zu und fragt: „Seit wann isst du denn Leberwurst“?

Fiete grinst und deutet mit dem Kopf zu Chewie hinüber, der in einiger Entfernung vom Esstisch Platz gemacht hat, aber aussieht, als wäre er gern beim Frühstück dabei und könne nur mit Mühe liegen bleiben.

„Der kriegt sein Leberwurstbrötchen gleich nach dem Frühstück, sagt Opa. „Wir geben ihm jetzt ein halbes, die andere Hälfte packen wir für unterwegs ein, ok?“

Fiete ist einverstanden. Er steckt das Salamibrötchen in die leere Brötchentüte und stopft die in seinen Rucksack.

Opa schaut ihm zu und lacht. „Du willst wohl auf den Kriegspfad gehen mit Säbel und Flitzebogen. Na ja, man weiß ja nie, was an Abenteuern in so einem Urlaub auf einen zukommt“. Fiete nickt ihm dankbar zu. Er ist froh, dass Opa ihn versteht. Unter Männern ist doch alles viel einfacher. Vielleicht wäre es auch besser gewesen, wenn Oma heute früh mit dem Doodle die Runde gemacht hätte.

Die Fahrt an die Nordseeküste verläuft ohne Zwischenfälle. Fiete hat es sich neben Marlene auf der Rückbank bequem gemacht. Marlene ist mit ihrem Handy beschäftigt, Fiete hat seine Ohrstecker drin und ist ganz vertieft in die Geschichte von „Jim Knopf und der Wilden Dreizehn“. Diesmal sind die Seeräuber seine Feinde. So ist das nun einmal mit den Geschichten.

Dagebüll erreichen sie, wie von Opa vorausgesagt, sehr rechtzeitig um zehn Minuten vor zehn. Ihn stört das aber wenig, denn als Oma vorschlägt, im Fährhafenimbiss schnell noch eine Kleinigkeit zu sich zu nehmen, ist er gleich dabei. Fiete auch. Sofort hängt er an Omas Rockzipfel und bestellt Pommes, Eis und eine Apfelschorle. Um möglichen Bauchschmerzen vorzubeugen, gelingt es Oma, die Apfelschorle auf die Überfahrt zu verschieben. Die anderen nehmen Fischbrötchen. Die sind nicht schlecht, aber alle sind sich einig, dass sie keinen Vergleich mit denen im Wyker Hafen aushalten.

Dann geht es an Bord. Fiete ist außer Rand und Band und läuft kreuz und quer übers Schiff, von vorn nach achtern und von Backbord nach Steuerbord, um ja keine Aussicht auf Sandbänke, Robben, andere Schiffe und die sich nähernden Umrisse der Insel zu verpassen. Oma hat alle Hände voll zu tun, den kleinen Wirbelwind davon abzuhalten, auf die Reling zu klettern, eine Leiter am Steuerhaus hochzusteigen und einen Rettungsring probeweise ins Wasser zu werfen. Aus sicherheitstechnischen Gründen wird auch der Vorschlag von Marlene abgelehnt, sich die Zeit mit Versteckspielen zu vertreiben (was auch einigermaßen sinnlos ist, da Chewie den Kindern nicht von der Seite weicht und jedes Verstecken aussichtslos macht). Zum Ausgleich gibt es für die Kinder noch ein Eis, woraufhin Fiete großzügig auf die in Aussicht gestellte Apfelschorle verzichtet.

In Wyk angekommen, stellt Opa den Yeti erst einmal auf dem Hafenparkplatz ab, und die kleine Reisegesellschaft macht sich für einen weiteren Fischbrötchentest direkt auf zum Hafen-Imbiss. Diesmal gibt es Krabbenbrötchen. Auch wenn der Preis hierfür inzwischen in astronomische Höhen geschossen ist, einmal im Urlaub müssen Krabben sein, sagt Oma. Und wenn jetzt nicht, wann dann. Die Beurteilung fällt erwartungsgemäß für den Wyker Imbiss aus. Die Brötchen warm und knackig, die Krabben frisch und saftig. Fiete lehnt Fischbrötchen ab („Boaah, sind die eklig“), und wegen der Krabben verzichtet jetzt auch Marlene. Beide möchten noch ein Eis. Diesmal stoßen sie sowohl bei Oma als auch bei Opa, dem oft letzten Rettungsanker, auf Granit. Stattdessen gibt es eine Portion Pommes. Marlene macht noch schnell einen erstklassigen Handstand mit Überschlag in die Brücke, bevor sie Fiete nachrennt, der schon in Richtung Pommesbude unterwegs ist. Dabei schlägt sie dem Käpt’n, der auf der Bank neben dem Imbiss still vor sich hin schmökt, beinahe die Pfeife aus dem Mund. Aber der zuckt noch nicht einmal, denn er ist ja aus Holz.

Nachdem so der erste Hunger gestillt ist, holt Opa den Yeti. Sicherheitshalber muss auch Chewie mit ins Auto, denn die anderen werden mit dem Pferdewagen abgeholt. Opa macht sich auf den Weg in Richtung Bauernhof und Oma ruft dort an, um ihre Ankunft mitzuteilen.

Lange müssen sie nicht warten. Das Hufgetrappel der Pferde hören sie schon von weitem. Dann biegt auch der Pferdewagen auf den verabredeten Platz beim Hafen ein. Allerdings ist nur ein Pferd vor den Wagen gespannt. Es ist ein Planwagen, wegen des guten Wetters aber ohne Plane. Er sieht aus wie bei Karl May. Der Kutscher auch. Er hat einen strubbeligen Bart wie der komische Alte in Bad Segeberg (…wenn ich mich nicht irre, hihihi), einen Cowboyhut auf dem Kopf und echte Cowboystiefel an.