Der Schatz des alten Piraten - Rainer Hendeß - E-Book

Der Schatz des alten Piraten E-Book

Rainer Hendeß

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Beschreibung

Nach langer Beratung hat die Großfamilie beschlossen, einen ganz neuen 14tägigen Sommerurlaub zu machen. In dem Angebot, Cornwall at its best, ist alles enthalten, was einen gelungenen Urlaub ausmacht: Shopping, Sightseeing, Fußball in London, Rundreise in Cornwall mit Stone Henge und Tintagel sowie anschließendem Strandurlaub in einem Ferienhaus nahe St. Agnes. Zwischen Klippen, Hochebene, Strand und einem düsteren Wald wird die Urlaubsstimmung von Jonna, Jelle und Marlene weiter angeheizt durch Spukgeschichten aus dem Dorf, die als Schmugglerklause berüchtigte Jamaica Inn und die abendlich vorgelesene Schatzinsel von Robert Louis Stevenson. Jelle träumt von Schätzen und Piraten, und Jonna begegnet einer Frau, die sich als Nachfahrin der Fee Morgana ausgibt und von einem hinter den Klippen vergrabenen Piratenschatz erzählt. Während die Erwachsenen nichtsahnend weiter dem Strandleben frönen, machen sich Jonna, Jelle und Marlene mit dem Familienhund Chewie daran, den Hinweisen der merkwürdigen Frau nachzugehen. Als Chewie im Wald das Hexenhaus aufspürt und sie dort einen waschechten Piraten und eine alte Schatzkarte vorfinden, beginnt eine aufregende Schatzsuche mit einigen Hindernissen, an der sich dann auch die gesamte Familie beteiligt.

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 249

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Für meine Familie Ohne sie hätte ich dieses Buch nie schreiben können.

Vorbemerkung des Autors

Dieses Buch erzählt eine erfundene Geschichte und bedient sich in Teilen auch übernatürlicher Vorgänge, aus denen sich das phantastische Abenteuer entwickelt. Einige der darin vorkommenden Personen und Orte existieren wirklich, die Handlungen und Gespräche sind jedoch rein fiktiv und entstammen der Phantasie des Autors. Jegliche Ähnlichkeit mit realen Personen oder Orten ist rein zufällig.

Die in verschiedenen Kapiteln des Buches kurz zusammenfassende Nacherzählung des Romans „Die Schatzinsel“ von Robert Louis Stevenson basiert auf der Veröffentlichung in Wikipedia.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

1 264 Jahre später St. Agnes, Nordcornwall

Urlaub einmal anders

Hexen, Schmuggler und Piraten

Träume 1

Die Jamaica Inn

Tagesausklang

2 Das Haus im Wald

Unterwegs

Das Monster

Das Haus

Die Geschichte des Piratenkapitäns

Die Schatzkarte

Der Pakt

3 Die Schatzkarte

Nach Hause

Die Schatzkarte

Träume 2

Marlene

4 Die Schatzsuche

Im Badezimmer

Aufbruch

Der Leuchtturm und die Felsnase

Zum Drachenbaum

Die Drachenhöhle

Der Schatz

Der Ring

Die Rettung

5 Der Coroner

Kriegsrat

Der Coroner

Besucher

Epilog

Truro

Kanalfähre Dover – Hoek van Holland

Prolog

Die See tobt. Über den Bristol Kanal fegt ein gewaltiger Gewittersturm und treibt turmhohe Wellenberge gegen die Küste. Brecher auf Brecher schlägt donnernd gegen die Klippen, und die Gischt spritzt schäumend hoch über die Felskante bis hinauf zum Leuchtturm. Inmitten der losgelassenen Urgewalten kämpft sich eine Galeone auf eine schmalen Bucht zu, die etwas Schutz vor dem Unwetter verspricht. Ein Piratenschiff, wie die schwarze Totenkopfflagge verrät. Verzweifelt versucht das Schiff Kurs zu halten, doch die zerfetzten Segel lassen es immer wieder zum Spielball des tosenden Orkans werden. Dann, plötzlich, bäumt sich über der Galeone eine gigantische Sturzflut auf und begräbt das Schiff unter sich.

Das Schicksal der Galeone und ihrer Mannschaft scheint besiegelt. Diesem Aufruhr der Elemente kann niemand entkommen.

Oder doch?

Aus dem Strudel des untergehenden Schiffes lösen sich einzelne Teile, die vom Sturm in Richtung der Klippen gedrückt werden. Auf einem der hohen Wellenberge tanzt ein Teilstück des hinteren Decks, auf dem sich zwei Gestalten an einer Kiste festklammern, die offensichtlich auf den Planken festgeschraubt ist. Hoch und runter geht die wilde Fahrt, immer wieder schlagen Wellen über dem behelfsmäßigen Floß zusammen. Sturm und Wasser zerren an der Holzkonstruktion, einzelne Planken lösen sich, und die rettende Fläche nimmt bedrohlich ab. Fast sieht es so aus als würde die schwere Kiste das Floß endgültig unter Wasser ziehen, doch wie durch ein Wunder trägt eine letzte Monsterwelle ihre unfreiwillige Fracht vorbei an den scharfen Klippen und lädt sie auf einem schmalen Sandstreifen am Rande der kleinen Bucht ab. Die beiden Gestalten, es sind eine rothaarige Frau und ein Mann mit dem Totenkopf-Dreispitz eines Piratenkapitäns, erheben sich taumelnd von den Planken und zerren die Reste mit der Kiste hinter einen großen Felsbrocken, der sie vor den schlimmsten Angriffen von Sturm und Brechern schützt.

1 264 Jahre später St. Agnes, Nordcornwall

Urlaub einmal anders

Nach langer und intensiver Beratung hat die Großfamilie einstimmig beschlossen, in diesem Jahr gemeinsam einen ganz neuen 14tägigen Sommerurlaub zu machen, bei dem die durchaus unterschiedlichen Wünsche und Ansprüche aller Mitglieder auf nahezu wundersame Weise unter einen Hut gebracht werden können. Den Anstoß hatte das „Top Angebot“ eines renommierten Reiseunternehmens gegeben.

„Wirklich ein Schnäppchen“, war das Urteil von Oma ausgefallen, die auf diesem Gebiet eine ausgewiesene Expertin ist. „Aber England?“

„Ein Angebot, das man einfach nicht ausschlagen kann“, hatte Nico sie schließlich doch überzeugt.

Tatsächlich ist in dem Angebot „Cornwall at its Best“ alles enthalten, was einen gelungenen Urlaub ausmacht: Shopping, Sightseeing und Fußball in London, Rundreise im Mietwagen in Cornwall mit Stone Henge, Tintagel und Camelot und anschließend Strandurlaub mit verschiedenen Sportmöglichkeiten an der Nordküste.

Opa hatte im Geiste sorgfältig die Vorteile des Englischen Frühstücks und der zu erwartenden Besuche in traditionellen Pubs gegen die Nachteile der Englischen Küche ganz allgemein abgewogen und sich dann für das Frühstück, Ale, und Single Malt entschieden.

Für Lexi hatte ein kurzer Blick auf die Liste der 10 besten Golfplätze in Cornwall (es gibt insgesamt 35 in der Grafschaft) gereicht, um sofort mit an Bord zu sein, und Anja war mit dem angebotenen Sportprogramm – Bike- und Kajaktouren, Stand-up-Paddle Boarding und ausgedehnten Wanderrouten – mehr als zufrieden.

Zur großen Freude aller hatte sich kurzfristig auch Marlene entschieden, auf eine erneute Partyreise nach Spanien zu verzichten und an dem Familienurlaub in neuer Umgebung teilzunehmen.

Vor der Buchung aber war noch ein gut 35 Kilo schweres, braun befelltes Problem zu beheben gewesen.

„Ohne Chewie fahren wir nicht“, hatten Jelle, Jonna und Marlene einstimmig mit großem Nachdruck erklärt. „Bei einem Strandurlaub muss der Doodle einfach dabei sein.“

Kein Widerspruch seitens der anderen Familienmitglieder, aber sollte der Doodle wirklich die Reise nach London in einer Kiste im Bauch eines Airbus 320 antreten? Natürlich nicht! Die Lösung war rasch gefunden: Ein neunsitziger Kleinbus, und die Familie macht sich ab Hamburg mit dem Leihwagen (der für die Rundreise in Cornwall ohnehin gemietet werden musste) auf dem Landweg bzw. mit der Fähre über den Kanal auf den Weg nach England.

Nach einem ersten Aufenthalt in London – Nico hatte rechtzeitig vier Karten für das Lokalderby Arsenal gegen Chelsea organisiert, Oma und Anja machen derweil mit Marlene und Jonna einen Shoppingabstecher zu Harrods, und Imke führt Chewie im Hydepark aus – ist die einwöchige Rundreise ein uneingeschränkter Erfolg. Sie haben Stonehenge gesehen, sind durch die Gefilde von Rosamunde Pilcher (fast noch schöner als im Fernsehen) bis Lands´End gefahren (ohne einzukaufen), und Opa hat endlich die Gelegenheit gehabt, in Tintagel auf den Trümmern von Camelot zu stehen. Ein unvergesslicher Augenblick, auch wenn sein Versuch, das sagenumwobene Schwert Excalibur aus dem Stein zu ziehen, trotz Unterstützung durch Jelle („Opa, ich helf dir“), nicht von Erfolg gekrönt gewesen ist.

Und nun residieren sie für eine weitere Woche in einem prächtigen Ferienhaus in der Nähe von St. Agnes. Direkt vor dem Haus liegt ein feiner Sandstrand, dahinter eine eingezäunte Rasenfläche mit Spielplatz, weiter draußen Klippen, ein Wald und eine ausgedehnte, von Gestrüpp überwucherte Hochebene.

Hexen, Schmuggler und Piraten

Ich verstehe gar nicht, dass dieses Haus so günstig angeboten wird“, überlegt Imke, als sie sich auf ihren Liegen in der Nachmittagssonne von dem anstrengenden Toben im Atlantik erholen. „Das Haus und die Lage sind doch spitze.“

„Vielleicht wegen der Spukgeschichte“, grinst Nico. „Die Dame bei der Hausvermietung hat doch erzählt, dass die französische Familie, die vor uns da war, vorzeitig abgereist ist, weil aus dem Wald hinter dem Haus so komische Geräusche kamen. Gruselig fanden die das.“

„Ja“, ergänzt Lexi, „und dann hat sie noch erwähnt, dass hier im Dorf regelmäßig eine alte Frau erscheint, die irgendwo dort hinten im Wald wohnen soll.“

„Ist wohl ´ne Hexe, hat sie gesagt“, bestätigt Nico.

„Davon habt ihr uns aber gar nichts erzählt.“ Oma sieht Lexi und Nico vorwurfsvoll an. „Vielleicht hätten wir lieber ein anderes Haus nehmen sollen. Auf Hexen und anderen Spuk habe ich eigentlich wenig Lust.“

Imke nickt. „Ich auch nicht, aber bestimmt ist das Quatsch.“

Unterstützung kommt von unerwarteter Seite. „Hexen gibt´s nicht“, stellt Jelle mit Nachdruck fest.

„Woher willst du das wissen?“ Jonna ist noch voll im Bibi-und-Tina-Rausch, wo ständig nach allen Regeln der Kunst gehext wird. Insgeheim wünscht sie sich, so etwas auch zu können und wäre nicht abgeneigt, einen kleinen Hexenspruch auch mal bei ihrem großen Bruder auszuprobieren, wenn der sich so großspurig aufführt wie gerade jetzt.

„Hat Lasse gesagt.“

„Ach ja, Lasse, der weiß ja immer alles besser“, kontert Jonna. „Und woher hat der seine Weisheit?“

„Von seinem Vater natürlich, der kennt sich aus.“

„Klar, und auch bei Hexen. Woher will er das denn wissen?“ Jonna gibt sich nicht so schnell geschlagen.

„Schluss jetzt!“ Imke kennt ihre Pappenheimer und schreitet ein, bevor die Auseinandersetzung möglicherweise ins Körperliche abgleitet. „Dieses Hex-Hex-Brimborium gibt es nur in Märchen, und böse Hexen wie bei Hänsel und Gretel auch.

Jelle wirft seiner Schwester einen triumphierenden Blick zu, die diesen mit trotzig vorgeschobener Unterlippe quittiert.

Damit ist dieses Thema aber noch nicht erledigt, denn jetzt schaltet sich Opa ein.

„Sicher gibt es keine Hexen wie bei den Blocksbergs oder in Kinder- und Märchenbüchern. Es gibt aber viele Dinge, die sich nicht so einfach mit dem vorhandenen allgemeinen Wissensstand erklären lassen. Dann bezeichnet man es einfach als Hexerei, und das kann dann schon dazu führen, dass man diese Leute ausgrenzt oder ihnen noch Schlimmeres zufügt.“ Opa macht eine kleine Pause und setzt hinzu: „Gerade in Gegenden wie dieser sind immer noch die alten, sagenumwobenen Geschichten in den Köpfen der Leute hier gegenwärtig. König Artus, die Tafelrunde, der Zauberer Merlin und die Fee Morgana sind überall präsent. Da passiert es leicht, dass unerklärliche Laute im Wald als Spuk oder ein harmloses altes Kräuterweiblein als Hexe bezeichnet werden.

„Vielleicht sind ja aus den alten Zeiten noch ein paar Hexen übriggeblieben“, schlägt Jonna vor, die ihren Glauben an Hexerei nicht so schnell aufgeben will. Angst hat sie nicht. Außer vor dem Scheusal bei Hänsel und Gretel vielleicht, das glücklicherweise ja aber im Backofen entsorgt worden war, kennt sie eigentlich nur gute Hexen wie die beim Bären Brutus, beim Dingdongdilli oder eben die Blocksbergs. „Wir können ja mal die alte Frau im Wald besuchen.“

„Oh ja“, kommt ihr Jelle zu Hilfe, der sofort ein neues Abenteuer wittert und voll auf die Linie seiner Schwester einschwenkt. „Möglicherweise wohnt dort im Wald ja auch der Räuber Hotzenplotz.“

„Eher nicht“, lacht sein Vater, „wenn überhaupt sein englischer Cousin. Aber wo wir gerade bei den Alten Zeiten sind: In unserem Reiseführer habe ich gelesen, dass diese Küste auch als Schmugglerküste bezeichnet wird. Die im Vergleich zum Süden gefährlichere Nordküste hier war weitgehend unbewacht, was den Schmugglern die Gelegenheit bot, die tückischen Strömungen und schroffen Klippen für ihr lichtscheues Gewerbe auszunutzen. In dem Ort Launceston, nicht weit von hier, gibt es die Jamaica Inn, Cornwalls berühmte Schmugglerklause, in der eine Menge Zeug aus den Schmugglertagen ausgestellt wird.“

„Was ist Schmuggeln?“, fragt Jonna.

Jelle hat zwar eine ungefähre Vorstellung, ist aber froh, dass seine Schwester die Frage gestellt hat.

„Schmuggeln bedeutet, dass man Dinge heimlich und unerlaubt über eine Grenze bringt. Es geht um Waren wie Juwelen, Kaffee oder Gewürze, aber auch um Waffen, die an der staatlichen Kontrolle vorbei über eine Landesgrenze geschafft wurden. Häufig fand der Schmuggel von See aus über einsame und unzugängliche Küstenstreifen statt.“

Lexi sieht sich in der Runde um und fragt: „Was haltet ihr davon, wenn wir morgen einen Ausflug zur Jamaica Inn machen und uns ansehen, was die dort alles an geschmuggelten Schätzen ausstellen.“ Er erntet allgemeine begeisterte Zustimmung und nickt zufrieden. Natürlich hat er auch die Menü- und Barkarte des Restaurants im Sinn, die er sich vorher schon einmal mit Opa zusammen auf dem Handy angesehen hat. Opa zwinkert ihm verständnisinnig zu.

Auch Jelle findet das schon mal ganz gut, ist aber noch nicht wirklich zufrieden. Eine Frage beschäftigt ihn noch.

„Und was ist mit Piraten?“, fragt er. In seiner Vorstellung tauchen Bilder von verborgenen Schätzen und geheimnisvollen Schatzkarten auf.

„Gut, dass du das fragst“, antwortet Opa mit einem verschmitzten Lächeln. „Zu dieser Jamaica Inn gibt es ein Buch, das auch von Alfred Hitchcock verfilmt wurde. Der deutsche Titel ist Kliff Piraten. Es geht um eine Bande von Strandräubern unter Führung des Wirts der Jamaica Inn, die Schiffe mit falschen Leuchtfeuern auf die Klippen locken und dort ausrauben.“

„Ich meinte Piratenschiffe und vergrabene Schätze“, Jelle hat ganz konkrete Vorstellungen.

„Da habe ich auch etwas vorbereitet.“ Opa greift nach dem Rucksack, den er neben seiner Liege abgelegt hat, holt ein Buch heraus und hält es in die Höhe. „Hier, die Schatzinsel. Das Buch handelt von der Suche nach einem Piratenschatz, und der Ausgangspunkt für dieses Abenteuer ist die Stadt Bristol. Diese Stadt liegt am Ende dieser Bucht hier, noch nicht einmal 100 Kilometer weit weg. Wir befinden uns also mitten im Piratengebiet, wenn ich das einmal so sagen darf.“

Das ist genau das, was Jelle hören will. Er springt auf und greift nach dem Buch. „Darf ich das lesen Opa?“, fragt er.

„Natürlich mein Junge“, schmunzelt Opa, aber wenn die anderen einverstanden sind, habe ich einen anderen Vorschlag. Ich lese euch das erste Kapitel nach dem Abendessen vor, dann haben alle etwas davon. Was meinst du?“

Jelle sieht sich um und erntet ein allgemeines Nicken. „Prima, freut er sich, das ist ja wie Geschichten erzählen.“

„Dann machen wir es so. Du kannst dir das Buch bis dahin ja schon einmal angucken. Es sind auch Bilder drin.“

„Danke, Opa“, Jelle klemmt sich das Buch unter den Arm und verzieht sich mit Jonna im Schlepptau zum Gartentisch, wo sie hingebungsvoll beginnen zu blättern.

„Apropos Abendessen“, meldet sich jetzt Oma zu Wort, „ich denke, einer von den Herren sollte sich jetzt langsam um den Grill kümmern. Ich geh jetzt in die Küche und bereite die Beilagen vor.“ Nach einem Blick auf ihre beiden Sprösslinge, die harmonisch wie selten über dem Piratenbuch zusammenhocken, folgt Imke ihr.

„Mach ich.“ Lexi erhebt sich und grinst in die Runde. „Nico und Vaddern können sich ja ein bisschen was abgucken und das morgen übernehmen.“

„Klar, Großer Meister.“ Nico schnappt sich ein Sixpack Bitter und trollt sich mit Opa hinter Lexi her in die Gartenecke zum Grill.

Marlene zückt ihr Handy und googelt gleich mal die Schmugglerklause. Sie bleibt hängen an dem Bericht über die Schriftstellerin Daphne du Maurier, die sich dort zu ihrem berühmten Buch Jamaica Inn inspirieren ließ, eine spannende Mischung aus Abenteuer-, Kriminal- und Liebesroman. Marlenes kriminalistische Antenne fängt sofort Signale auf, und sie beschließt, sich in dem dort nachgebauten Schreibzimmer der Dame genau umzusehen.

Nach dem ausgedehnten Abendessen – der „Große Meister“ hat sich voll ins Zeug gelegt und erntet einhelliges Lob für die gut sortierte Grillplatte – findet sich die Familie einträchtig zur Lesestunde im gemütlichen Wintergarten zusammen.

Gebannt lauschen alle der Geschichte vom Jungen Jim Hawkins, der für einen alten Schiffer, der sich für längere Zeit oben in der Dachstube des Gasthofs seines Vaters einquartiert hat, Ausschau nach einem einbeinigen Seemann hält, den dieser aus seiner Vergangenheit vor allen anderen fürchtet. Verdächtige Gestalten aus seiner Vergangenheit wie der „Schwarze Hund“ und der blinde Bettler Pew besuchen den Alten. Nach einem Streit mit dem Blinden bricht der Schiffer tot zusammen. Da der Seemann noch die Rechnung für die Dachstube schuldig ist, untersuchen Jim und seine Mutter die Kiste. Doch noch in derselben Nacht überfällt Pew mit seinen Spießgesellen das Gasthaus, um an eben diese Kiste zu kommen, in der sie die Schatzkarte des berüchtigten Piratenkapitäns Flint vermuten. Jim kann sich mit seiner Mutter im letzten Moment retten, nicht ohne ein verschnürtes Bündel in Ölpapier mitzunehmen. Darin befindet sich tatsächlich die Karte einer Insel mit Hinweis auf einen versteckten Schatz.

Jim Hawkins zeigt die Karte seinem väterlichen Freund, dem Arzt Doktor Livesey, und dem Gutsherrn und Friedensrichter John Trelawney, die daraufhin beschließen, eine Expedition zu jener Insel zu unternehmen. Jim soll als Schiffsjunge ebenfalls mitreisen.

„Eine Schatzkarte, ein vergrabener Schatz!“ Jelle ist begeistert. „Bestimmt gibt es hier noch jede Menge davon. Wir müssen morgen gleich los und danach suchen.“ Seine Stimme überschlägt sich vor Erregung.

„Leise, Jelli“, versucht Imke ihren Sohn zu beruhigen und fasst ihn am Arm, aber der reißt sich los und führt weiter seinen wilden Tanz auf.

„Gut, dass wir keine Nachbarn hier in der Bucht haben“, merkt Oma an, „die würden ja alle aus den Betten fallen.“

„Ja, und damit wäre die Schatzsuche dann auch schon zum Scheitern verurteilt“, ergänzt Opa. „Das Wichtigste bei so einem Abenteuer ist die Geheimhaltung. Leider ist das in diesem Fall nicht gelungen. Einer der Freunde von Jim konnte den Mund nicht halten, und das hat den Einbeinigen auf den Plan gerufen, Long John Silver, einen der schlimmsten Piraten, die es zu der Zeit gab.“

Opa klappt das Buch zu und verkündet: „Schluss für heute, morgen müssen wir früh aufstehen. Die Schmugglerklause wartet. Mit der Schatzinsel geht´s morgen Abend weiter.“

Die Proteste von Jelle und Jonna werden von Nico mit dem Hinweis auf das am nächsten Tag in der Schmugglerklause zu erwartende tolle Erlebnis beschwichtigt. Es gibt noch eine Runde L.A.M.A., dann geht´s ab in die Falle.

Träume 1

Im Kinderzimmer wird bettübergreifend noch eine Weile getuschelt. Jonnna greift noch einmal das Thema Hexen auf und versucht hartnäckig, Jelle davon zu überzeugen, dass sich im angrenzenden Wald möglicherweise doch eine Hexe verbergen könnte.

„Hat Opa ja auch gesagt. Es wäre doch spannend, dem angeblichen Spuk dort mal auf den Grund zu gehen.“

Jelle, einem neuen Abenteuer nie abgeneigt, stimmt schließlich zu, ist mit seinen Gedanken aber eher bei der Suche nach einem Piratenschatz.

Marlene verfolgt das Wortgefecht der Geschwister mit leichter Belustigung. „Vielleicht ist der Schatz ja im Wald vergraben, und die Hexe bewacht ihn jetzt. Könnte doch sein, oder?“

Jelle springt darauf sofort an und beginnt umgehend mit seiner Schwester einen Plan zu entwickeln, wie sie der Hexe und dem Schatz am besten auf den Pelz rücken können. Jonna grinst mit erhobenem Daumen zufrieden zu Marlene hinüber.

Während die beiden sich in ihre Pläne vertiefen, ruft Marlene noch einmal das Buch von Daphne du Maurier bei Google auf und vertieft sich in eine ausführliche Beschreibung der Vorgänge um die Schmugglerklause. Als sie nach einer Weile aufsieht, sind Cousin und Cousine eingeschlafen. Sie gähnt, legt das Handy beiseite und den Kopf in die Kissen. Sekunden später schläft auch sie.

Alle drei haben sie lebhafte Träume.

Jelle

Sie gehen in Bristol am Hafen spazieren. Jelle und Jonna laufen vor und entdecken an einem abgelegenen Kai ein altes Segelschiff. Bestimmt ein Piratenschiff, denkt der Junge, und sie gehen hin, um es sich näher anzusehen. Hinten am Heck steht in großen hölzernen Buchstaben der Schiffsname: Hispaniola.

„Das ist das Schiff, von dem Opa vorgelesen hat“, ruft Jonna. „Wir können ja mal raufgehen; da liegt ja noch das Brett.“

„Das heißt Laufgang“, berichtigt Jelle sie, der sich in solchen Dingen auskennt. „Lass uns mal nachsehen, ob jemand an Bord ist.“

In diesem Moment taucht hinter einem der Aufbauten ein Junge auf und winkt ihnen zu. „Kommt rüber“, ruft er, „wir legen gleich ab. Wir müssen uns beeilen, um vor den Piraten bei der Schatzinsel zu sein.“

Jelle zögert und wirft einen Blick zurück, um zu sehen, wo der Rest der Familie bleibt. Doch von denen ist nichts zu sehen. „Wir sollten auf die anderen warten“, gibt er zu bedenken.

Doch zu sehen ist nur Marlene, die gemächlich an der Kaimauer entlang näher kommt.

„Wer weiß, wann die anderen kommen“, antwortet Jonna, „die trödeln doch irgendwo rum. Willst du nun mit auf Schatzsuche oder nicht.“ Energisch schubst sie ihren Bruder auf den Laufgang.

Auch Marlene beeilt sich nun, den beiden zu folgen.

An Bord tritt der Junge auf sie zu und stellt sich vor. „Ich bin Jim Hawkins. Schön, dass ihr da seid. Wir haben schon auf euch gewartet. Die Leute von der Jamaica Inn haben euch angekündigt. Aber ich fürchte, auch die Piraten haben von unserer Reise Wind bekommen, deshalb ist jetzt Eile angesagt.“ Er legt die Hände trichterförmig an den Mund und gibt das Kommando „Leinen los“.

Von überall her tauchen plötzlich Matrosen auf, lösen die Taue, mit denen das Schiff am Kai festgemacht ist, setzen die Segel und die Hispaniola nimmt Fahrt auf.

Jelle wirft seine Bedenken über Bord, lässt sich auf ein zusammengerolltes Seil fallen und gibt sich ganz dem Zauber der beginnenden Schatzsuche hin. Ein Blick auf seine Schwester zeigt ihm, dass auch Jonna mit vor Abenteuerlust blitzenden Augen voll dabei ist.

Die Fahrt vergeht wie im Fluge. Mit voll aufgeblähten Segeln durchpflügt die Hispaniola die Wogen, und bald taucht eine bewaldete Küste mit einem breiten Sandstreifen vor ihnen auf. Jim Hawkins zieht ein Stück Papier unter seinem Hemd hervor und breitet es vor seinen beiden neuen Freunden aus. Auf dem Papier ist eine bewaldete Insel eingezeichnet, in deren Mitte sich ein kegelförmiger Felsen erhebt. Neben dem Felsen steht so etwas wie eine Hütte.

Wie auf der Schatzkarte des Alten, schießt es Jelle durch den Kopf. „Die Schatzinsel?“, fragt er.

Jim grinst ihn an und nickt. „Der Schatz ist unter der Hütte vergraben.“ Jelle sieht mit einem Fernrohr zur Insel hinüber. „Da ist auch der Felsen, der Umriss stimmt. „Segel einholen“, befiehlt Jim, „Anker auswerfen und Beiboot klarmachen.“

Kurz darauf sitzen Jelle, Jonna und Marlene mit Jim in einem kleinen Boot, das von vier kräftigen Matrosen zur Insel hinüber gerudert wird. Als der Kiel des Bootes im Sand knirscht, springt Jelle als Erster heraus und stapft auf den Waldrand zu. Das Fieber der Schatzsuche hat ihn fest im Griff. Doch ein Aufschrei lässt ihn herumfahren. Es ist Marlene, die sich zum Wasser umgedreht hat und aufgeregt aufs Meer hinaus zeigt.

„Ein Schiff“, schreit sie, „es kommt näher!“

Tatsächlich ist am Horizont ein weiteres Segelschiff aufgetaucht, ohne Zweifel in ihre Richtung unterwegs.

„Verflixt und zugenäht“, flucht Jim. „Das ist bestimmt der einbeinige John Silver mit seiner Piratenbande. Wie hat der bloß hierher gefunden? Wir müssen zusehen, dass wir den Schatz in Sicherheit bringen.“

Mit den Matrosen im Schlepptau, die statt der Ruder jetzt große Schaufeln und Spitzhacken in den Händen halten, laufen sie auf den Wald zu. Während sie rennen, zaubert Jim ein Handy aus der Hosentasche und ruft den Steuermann der Hispaniola an.

„Piraten im Anmarsch“, ruft er. „Holt den Anker ein und macht euch startbereit. Wenn die Piraten nahe genug sind, um unser Boot am Strand zu sehen, setzt die Segel und tut so, als wenn ihr flieht. Wartet auf der anderen Seite der Insel auf uns.“

Jelle sieht den Jungen verdattert an. „Und wie sollen wir hier jetzt wegkommen?“

„Hier, guck mal.“ Jim hält Jelle die Schatzkarte unter die Nase. Dort zieht sich auf der Rückseite der Insel eine Bucht tief ins Land hinein. „Siehst du, hier ist in die Bucht ein großes Segelschiff gemalt.“

„Ja, und das Wasser dort ist so tief, dass das große Schiff bis dicht ans Ufer fahren kann.“ Jelle hat es kapiert.

„Genau, du Schnellmerker.“ Jim klopft seinem neuen Freund auf die Schulter. „Nun aber zack, zack, sonst kriegen uns die Banditen doch noch.“

Seine Worte werden von einem lauten Knall untermalt. Von dem Piratenschiff steigt eine Rauchwolke auf, und neben der Hispaniola klatscht eine Kanonenkugel ins Wasser.

„Ha,ha“, lacht Jim. „Jetzt wird die Flucht unseres Schiffes noch glaubwürdiger. Ab durch die Mitte.“

Die sechs Schatzsucher verschwinden im Wald, und die Hispaniola nimmt Fahrt auf.

Der Marsch durch den Wald ist mühsam. Immer wieder versperrt ihnen dichtes Unterholz den Weg. Mehrfach stolpert Jelle über eine Wurzel, und Jonna zieht sich eine blutige Schramme über dem linken Auge zu. Einmal müssen sie einen reißenden Bach durchqueren, in dem es Jelle ein Bein wegreißt. Er will sich an Marlene festhalten, mit dem Erfolg, dass gleich beide pitschenass im Wasser liegen. Jim scheint das alles nichts auszumachen. Es hat den Anschein als schwebe er über alle Hindernisse hinweg.

„Sind wir denn überhaupt auf dem richtigen Weg?“, keucht Jelle, nachdem er wieder einmal gestolpert ist und sich eine blutige Platzwunde auf dem rechten Knie zugezogen hat. Irgendwie hat er sich die Schatzsuche weniger anstrengend vorgestellt.

Die beiden Mädchen sagen gar nichts. Mit zusammengebissenen Zähnen kämpfen sie sich verbissen durch den Dschungel, immer direkt hinter Jim, um so wenigstens zurückschlagenden Zweigen und Dornenranken aus dem Wege zu gehen. Jonna sucht fortwährend Gras und Unterholz auf verdächtige Bewegungen ab. Sie hofft nur, dass es in diesem Wald keine Schlangen oder andere bösartigen Tiere gibt.

„Keine Angst“, beruhigt Jim sie. „Die gefährlichsten Tiere hier sind Eidechsen.“ Offensichtlich kann er auch Gedanken lesen.

„Und woher weißt du, dass wir hier richtig sind?“ fragt Jelle nach einer Weile und hält sich die Seite, denn nun geht es auch noch bergauf.

„Vom Strand aus stand die Sonne genau hinter dem Felsen. Wir sind so marschiert, dass wir sie immer leicht schräg vor uns hatten. Aber ihr habt ja immer nur auf eure Füße geguckt.“ Jim lacht, er hat alles im Griff. „Aber keine Bange, ihr seht ja, es geht schon bergauf. Gleich muss der Felsen vor uns auftauchen.“

Und wirklich, der Wald lichtet sich, und direkt vor ihnen erhebt sich eine massive steinerne Wand. Jelle lässt sich schwer atmend ins Gras fallen. Und wo ist jetzt der Schatz, denkt er noch, als irgendetwas Großes über sie hinwegfliegt und krachend auf die Felswand trifft, die mit Getöse in sich zusammenfällt.

„Mist“, stöhnt er noch und rollt sich weg, als ihn eine Hand packt und eine Stimme ertönt, die er zu kennen glaubt: „Aber Jelli, was ist das denn für eine Art aufzustehen?“

Jelle schlägt die Augen auf und findet sich auf dem Fußboden vor seinem Bett wieder. „Papa“, flüstert er. „Beinahe hätten wir den Schatz gefunden, aber dann hat der Einbeinige mit einer Kanone auf uns geschossen.“

„Da hast du ja einen tollen Traum gehabt“, lacht Nico und stellt Jelle auf die Beine. „Den kannst du uns beim Frühstück in aller Ruhe erzählen. Aber jetzt erst einmal ab ins Badezimmer.“

Jonna

Jonna sitzt entspannt auf einer Bank am Wanderweg hoch über dem Strand. Hinter ihr ist Chewie voller Begeisterung dabei, einen Knüppel ein- und wieder auszubuddeln. Sie lässt ihre Blicke versonnen über das Meer schweifen. Es weht nur ein leichter Wind, dennoch weisen die Wogen des Atlantiks Schaumkronen auf und schlagen gischtsprühend mit klatschendem Geräusch unter ihr gegen die Klippen. Sie stellt sich vor, wie vor vielen Jahren hier die Schmuggler ihren Weg durch die Brandung gesucht haben. Weit draußen pflügt ein Schiff durch die Wellen, und für einen kurzen Augenblick glaubt sie sogar ein Piratenschiff zu erkennen. Sie schüttelt den Kopf und lacht. Wo soll das denn jetzt herkommen? Dann läuft ihr plötzlich ein leises Frösteln den Rücken herunter, und in der Luft liegt ein Hauch von Blumenduft.

„Wir sagen Weiße Pferde zu den Schaumkronen“, ertönt plötzlich eine leise Stimme neben ihr. „Heute sind sie ruhig, sie können aber auch sehr wild und gefährlich sein.“

Jonna hat gar nicht bemerkt, dass sich da jemand neben sie gesetzt hat. Auch Chewie lässt sich in seiner Buddelei nicht stören. Seltsam, sie ist überhaupt nicht erschrocken und dreht sich langsam der Stimme zu. Neben ihr sitzt eine junge, hübsche Frau in einem bunt geblümten Kleid, mit feuerroten Haaren und einer großen rosa Blüte darin. Die Frau beugt sich zu ihr und lächelt sie freundlich an.

„Das Schiff dort hinten ist unseres“, sagt sie. „Es ist vor vielen Jahren hier an den Klippen zerschellt. Alle sind ertrunken, nur Jack und ich konnten uns retten.“

Jonna stutzt. Was redet die Frau da? „Wer sind Sie?“, fragt sie und mustert die neben ihr Sitzende neugierig. Sie ist verwirrt, Angst hat sie aber nicht. Trotz ihrer Verunsicherung bleibt sie höflich und siezt die Frau. „Wo sind Sie denn so plötzlich hergekommen? Ich habe überhaupt nichts bemerkt.“ Und mit einem Seitenblick auf den immer noch eifrig tiefe Löcher buddelnden Doodle: „Und Chewie auch nicht.“

„Kein Wunder“, kichert die Frau, „Ich bin ja auch eine Hexe.“

„Echt jetzt?“, nun wundert Jonna sich doch ein bisschen. Angst hat sie aber immer noch nicht. „Sie sehen aber gar nicht so aus, und einen Besen sehe ich hier auch nicht. Wie sind Sie denn hergekommen?“

„Deine Vorstellung von Hexen hast du wohl aus Märchenbüchern. Richtige Hexen brauchen so etwas nicht.“ Die Frau kichert wieder. „Aber immerhin scheinst du zu glauben, dass es so etwas wie Hexen gibt.“

„Na ja“, gibt Jonna zu, „wo Sie jetzt neben mir sitzen.“ Dabei fällt ihr auf, dass die Frau irgendwie seltsam aussieht, nicht so richtig wirklich, mehr so durchscheinend. „Eigenartig sehen Sie aus“, stellt sie fest. „Liegt das daran, dass Sie eine Hexe sind?“

„Streng genommen bin ich keine Hexe, sondern eine Fee. Die Leute bringen das aber ständig durcheinander. Und dass ich noch ein bisschen durchsichtig bin, liegt daran, dass ich mich hierher gezaubert habe. Es dauert immer ein bisschen bis ich voll da bin. Das ist auch der Grund, warum der Hund mich noch nicht bemerkt hat. Pass auf, gleich kommt er schwanzwedelnd angelaufen. Ich kenne ihn übrigens. Ich habe ihn schon mit deinem Vater im Wald gesehen.“

„Eine Fee sind Sie also“, stellt Jonna fest. „Ich hoffe, eine gute. Das muss ich dringend meinem Bruder erzählen, der glaubt nicht an so etwas.“

„Wird er schon noch“, lächelt die Fee, denn wir haben einiges mit euch vor. Aber du kannst mich ruhig duzen, ich heiße Samantha, aber sag ruhig Sam zu mir.“

„Ok, Sam. Dann seid ihr also zu zweit, du und der Mann, mit dem du dich von dem Schiff dort hinten gerettet hast?“ Jonna sieht noch einmal zum Horizont hinüber, doch das Piratenschiff ist verschwunden. „Ist er auch ein Zauberer?“

„Nein, Jack war ein Freibeuter. Er war im Auftrag des englischen Königs auf Kaperfahrt. Er sollte feindliche Schiffe überfallen und die Beute mit dem König teilen.“

„Also ein Pirat“, folgert Jonna.

„Nein, ein Pirat ist ein Seeräuber, der jedes Schiff überfällt, das ihm genug Beute verspricht. Jack stand unter dem Schutz des Königs und überfiel nur feindliche Schiffe.“ Die Fee, die zu Jonnas Erleichterung ihren Umwandlungsprozess jetzt abgeschlossen hat und nun wie eine ganz normale junge Frau aussieht, vielleicht etwas hübscher, seufzt. „Jedenfalls zuerst.“

„Und dann nicht mehr?“, fragt Jonna nach.

„Nein, es gab Streit, nachdem Jack eine spanische Galeone auf dem Weg nach Southampton aufgebracht hatte. An Bord befand sich eine Delegation des spanischen Königs, die Friedensverhandlungen in London führen sollte. Die stand leider unter dem Schutz König Georgs, der mich beauftragt hatte, die Spanier zu begleiten. Allerdings hatten wir auch reichlich Gold an Bord, eine Entschädigungszahlung für den englischen König. Jack raubte das Gold, und da wir beide uns auf den ersten Blick ineinander verliebt hatten, nahm er mich kurzerhand mit auf sein Schiff. Wir brachten die Beute hier an Land und vergruben sie dort oben auf der Hochebene.“