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Fifty Shades of Grey - erotischer geht es nicht.
Verunsichert durch die gefährlichen Leidenschaften und dunklen Geheimnisse ihres Liebhabers Christian Grey, bricht Ana Steele ihre Beziehung zu dem attraktiven jungen Mann ab und versucht wieder ein ruhiges Leben zu führen. Aber Anas Verlangen nach Christian ist ungebrochen, so sehr sie dies auch zu verleugnen sucht. Als Christian vorschlägt, sich wenigstens noch ein einziges Mal mit ihr zu treffen, willigt Ana daher sofort ein – und beginnt erneut eine Affäre mit ihm. Eine höchst gefährliche Affäre, in der sie immer wieder Grenzen überschreitet, in der sie aber auch mehr über die Vergangenheit von Christian erfährt – eine Vergangenheit, die ihn zu einem ebenso verletzlichen wie faszinierenden Mann gemacht hat, der seitdem mit seinen inneren Dämonen kämpft. Gleichzeitig sieht sich Ana der Eifersucht der Frauen gegenüber, die vor ihr Christians Liebhaberinnen waren. Und sie muss die wichtigste Entscheidung ihres Lebens treffen. Eine Entscheidung, bei der ihr niemand helfen kann ...
Der zweite Teil der Bestseller-Trilogie von E L James.
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Seitenzahl: 840
E L JAMES
FIFTY SHADES
OF GREY
GEFÄHRLICHE LIEBE
Band 2
Roman
Deutsch von Andrea Brandl und Sonja Hauser
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Die Originalausgabe erschien 2011 unter dem Titel »Fifty Shades Darker« bei The Writer’s Coffee Shop Publishing House, Australia.Die Autorin hat online unter dem Pseudonym Snowqueen’s Icedragon eine frühere Version dieser Geschichte mit anderen Figuren unter dem Titel »Master of the Universe« als Fortsetzungsgeschichte veröffentlicht.
Sonderveröffentlichung Februar 2017Copyright © der Originalausgabe 2011 by Fifty Shades Ltd.
Copyright © des Vorwortes zum Bildteil, der Fotos und Bildunterschriften 2017 by Fifty Shades Ltd.
Copyright © der Leseprobe aus »Fifty Shades of Grey. Gefährliche Liebe. Von Christian Grey selbst erzählt« 2017 by Fifty Shades Ltd.
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2012 und 2017
by Wilhelm GoldmannVerlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Gestaltung des Umschlags und der Umschlaginnenseiten: UNO Werbeagentur München
Film Artwork © Universal Studios 2016. All Rights Reserved.
Redaktion: Kerstin von Dobschütz
BH · Herstellung: sam
ISBN: 978-3-641-09065-4V004
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Für Z und J,Euch gehört meine bedingungslose Liebe,immer.
PROLOG
Er ist zurück. Mommy schläft oder ist wieder krank.
Ich verstecke mich unter dem Küchentisch, linse zwischen meinen Fingern hindurch zu Mommy hinüber. Sie liegt auf der Couch, eine Hand ruht auf dem klebrigen grünen Teppich. Er steht in den großen Stiefeln mit der glänzenden Schnalle vor ihr und brüllt sie an.
Dann schlägt er Mommy mit dem Gürtel. Steh auf! Steh auf! Verficktes Miststück. Verficktes Miststück. Verficktes Miststück. Verficktes Miststück. Verficktes Miststück. Verficktes Miststück.
Mommy schluchzt. Hör auf. Bitte hör auf. Mommy schreit nicht. Sie macht sich ganz klein.
Ich stecke die Finger in die Ohren und schließe die Augen. Jetzt höre ich nichts mehr.
Er dreht sich um. Ich sehe seine Stiefel, als er in die Küche stapft. Er hat den Gürtel in der Hand, sucht nach mir.
Er bückt sich und grinst. Er stinkt nach Zigaretten und Schnaps. Da bist du ja, du kleiner Scheißer.
Ein markerschütternder Schrei weckt ihn. Himmel! Er ist schweißüberströmt, sein Herz rast. Was zum Teufel? Er setzt sich mit einem Ruck im Bett auf und stützt den Kopf in die Hände. Scheiße. Sie sind wieder da. Der Schrei, das war ich. Er holt tief Luft, versucht, den Geruch von billigem Bourbon und abgestandenem Zigarettenrauch aus seiner Erinnerung zu verbannen.
EINS
Ich habe meinen ersten Tag im neuen Job, Tag drei nach der Trennung von Christian, überstanden. Die Arbeit hat mich abgelenkt. Die Zeit ist wie im Flug vergangen, mit neuen Gesichtern und Aufgaben und Jack Hyde. Jack Hyde … Er lehnt sich mit funkelnd blauen Augen an meinen Schreibtisch.
»Prima Arbeit, Ana. Ich glaube, wir werden ein tolles Team.«
Irgendwie gelingt es mir, die Lippen zu einer Art Lächeln zu verziehen.
»Wenn es Ihnen recht ist, mache ich jetzt Schluss«, sage ich.
»Natürlich. Es ist halb sechs. Bis morgen.«
»Auf Wiedersehen, Jack.«
»Auf Wiedersehen, Ana.«
Ich schnappe mir meine Handtasche und schlüpfe in die Jacke. Draußen in der frühabendlichen Luft von Seattle atme ich tief durch. Trotzdem spüre ich die Leere in meiner Brust, die mich seit Samstagmorgen schmerzlich an meinen Verlust erinnert. Ich gehe mit gesenktem Kopf zur Bushaltestelle und trauere um meine geliebte Wanda, meinen alten Käfer … und auch ein wenig um den Audi.
Schluss jetzt, ermahne ich mich. Ich kann mir einen Wagen leisten – einen hübschen neuen. Der Erlös für meinen alten ist sicher mehr als reichlich ausgefallen. Der Gedanke hinterlässt einen bitteren Geschmack in meinem Mund. Ich schiebe ihn beiseite, weil ich nicht wieder zu weinen anfangen will – nicht auf der Straße.
Die Wohnung ist leer. Kate fehlt mir. Ich stelle sie mir mit einem kühlen Cocktail am Strand auf Barbados vor, schalte den Flachbildfernseher ein, damit ich das Gefühl habe, nicht allein zu sein, höre und sehe jedoch nicht hin. Stattdessen starre ich blind die Ziegelwand an, fühle mich wie betäubt, spüre nur den Schmerz. Wie lange soll das noch so weitergehen?
Als die Türglocke erklingt, setzt mein Herz einen Schlag lang aus. Wer kann das sein? Ich drücke auf den Knopf der Gegensprechanlage.
»Päckchen für Miss Steele«, meldet sich eine gelangweilte Stimme, und Enttäuschung steigt in mir auf. Lustlos gehe ich nach unten. Vor der Tür steht ein ziemlich laut Kaugummi kauender junger Mann mit einem großen Karton. Ich bestätige den Empfang und bringe das Ding nach oben. Der Karton ist erstaunlich leicht. Darin befinden sich zwei Dutzend langstielige weiße Rosen und eine Karte.
Gratuliere zum ersten Arbeitstag. Ich hoffe, alles ist gut gelaufen. Danke für den Segelflieger. Das war sehr aufmerksam. Er hat einen Ehrenplatz auf meinem Schreibtisch.Christian
Als ich die getippte Karte anstarre, dehnt sich die Leere in meiner Brust noch weiter aus. Bestimmt hat seine Assistentin Blumen und Karte geschickt; Christian hatte sicher nicht viel damit zu tun. Ich sehe mir die Rosen genauer an – sie sind wunderschön, und ich bringe es nicht übers Herz, sie einfach in den Müll zu werfen. Pflichtschuldig gehe ich in die Küche, um eine Vase zu holen.
Ein Muster bildet sich heraus: aufwachen, arbeiten, weinen, schlafen. Oder besser gesagt, der Versuch zu schlafen. Nicht einmal in meinen Träumen bin ich vor ihm sicher. Silbergraue Augen, dieser verlorene Blick, die glänzenden Haare – das alles verfolgt mich. Und die Musik … so viel Musik. Im Moment ertrage ich überhaupt keine Musik und gehe ihr aus dem Weg, so gut ich kann. Sogar von Werbe-Jingles bekomme ich eine Gänsehaut.
Ich habe mit niemandem gesprochen, nicht einmal mit meiner Mutter oder mit Ray. Im Augenblick fehlt mir der Nerv dafür. Ich bin wie eine Insel oder wie ein vom Krieg verwüstetes, unfruchtbares Land mit dunklem Horizont. In der Arbeit schaffe ich es irgendwie, mit den Kollegen zu reden, aber das war’s dann auch schon. Bei einem Telefonat mit Mom würde ich ganz zusammenbrechen – und dazu habe ich keine Kraft mehr.
Das Essen fällt mir schwer. Mittwochnachmittag habe ich einen Becher Joghurt hinuntergewürgt, meine erste Mahlzeit seit Freitag. Ich ernähre mich von Latte macchiato und Cola light. Das Koffein hält mich am Laufen, macht mich aber unruhig.
Jack hängt bei mir herum und nervt mich mit persönlichen Fragen. Was will er? Ich antworte ihm höflich, halte ihn mir jedoch vom Leib.
Als ich, froh über die Ablenkung, einen Stapel Briefe an ihn durcharbeite, höre ich eine Mail hereinkommen. Ich sehe hastig nach, von wem sie ist.
Oje. Von Christian. Nein, nicht hier … nicht im Büro.
Von: Christian Grey
Betreff: Morgen
Datum: 8. Juni 2011, 14:05 Uhr
An: Anastasia Steele
Liebe Anastasia,
verzeih die Störung bei der Arbeit. Ich hoffe, alles läuft gut. Hast du meine Blumen bekommen?
Gerade merke ich, dass morgen die Ausstellungseröffnung von deinem Freund ist. Bestimmt hast du noch keine Zeit gefunden, einen neuen Wagen zu kaufen, und es ist eine lange Fahrt. Ich würde mich sehr freuen, dich hinzubringen – falls du das möchtest.
Sag Bescheid.
CHRISTIAN GREY
CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.
Meine Augen werden feucht. Ich springe von meinem Schreibtischstuhl auf und flüchte in die Toilette. Josés Vernissage! Die hatte ich völlig vergessen. Christian hat Recht. Wie soll ich da hinkommen?
Ich presse die Hand gegen die Stirn. Warum hat José nicht angerufen? Oder besser gesagt – warum hat überhaupt niemand angerufen? In meinem geistesabwesenden Zustand habe ich gar nicht gemerkt, dass mein Handy stumm geblieben ist.
Gott, bin ich dämlich! Meine Gespräche werden wahrscheinlich nach wie vor auf den BlackBerry umgeleitet. Was bedeutet, dass Christian meine Anrufe bekommt. Es sei denn, er hat den BlackBerry weggeworfen. Aber woher hat er meine E-Mail-Adresse im Büro?
Er kennt meine Schuhgröße, eine E-Mail-Adresse dürfte nun wirklich kein Problem für ihn sein.
Kann ich es ertragen, ihn wiederzusehen? Will ich das überhaupt? Ich schließe die Augen und lege den Kopf in den Nacken. Natürlich will ich ihn wiedersehen.
Vielleicht sollte ich ihm sagen, dass ich es mir anders überlegt habe … Nein, nein, nein. Ich kann nicht mit jemandem zusammen sein, der darauf steht, mir Schmerz zuzufügen, mit jemandem, der nicht fähig ist, mich zu lieben.
Quälende Erinnerungen steigen hoch – das Segelfliegen, das Händchenhalten, die Küsse, die Badewanne, seine Zärtlichkeit, sein Humor und sein dunkler, sexy Blick. Fünf Tage ohne ihn, fünf Tage der Qual, die sich anfühlen wie eine Ewigkeit.
Ich schlinge die Arme um den Körper. Er fehlt mir. Er fehlt mir wirklich … Und ich liebe ihn. So einfach ist das.
Ich wünschte, ich hätte nicht Schluss gemacht, wünschte, er könnte anders sein, wünschte, dass wir zusammen wären. Wie lange wird dieses grässliche Gefühl anhalten? Es ist die reinste Hölle.
Anastasia Steele, du bist in der Arbeit! Ich muss mich zusammenreißen. Außerdem will ich zu Josés Ausstellungseröffnung, und die Masochistin in mir möchte Christian wiedersehen. Ich hole tief Luft und kehre an meinen Schreibtisch zurück.
Von: Anastasia Steele
Betreff: Morgen
Datum: 8. Juni 2011, 14:25 Uhr
An: Christian Grey
Hi Christian,
danke für die Blumen; sie sind wunderschön.
Ja, ich würde mich freuen, wenn du mich hinbringen könntest.
Danke.
ANASTASIA STEELE
Assistentin des Cheflektors, SIP
Meine Telefonate werden tatsächlich auf meinen BlackBerry umgeleitet. Da Jack in einer Besprechung ist, kann ich es wagen, kurz José anzurufen.
»Hi, José. Ich bin’s, Ana.«
»Hallo Fremde.«
Er klingt so freundlich und erfreut, dass ich fast in Tränen ausbreche. »Ich kann nicht lange reden. Wann beginnt deine Vernissage morgen?«
»Du kommst also?«, fragt er aufgeregt.
»Ja, natürlich.« Als ich mir sein breites Grinsen vorstelle, gelingt mir zum ersten Mal seit fünf Tagen ein echtes Lächeln.
»Um halb acht.«
»Gut, dann also bis morgen. Bye, José.«
»Bye, Ana.«
Von: Christian Grey
Betreff: Morgen
Datum: 8. Juni 2011, 14:27 Uhr
An: Anastasia Steele
Liebe Anastasia,
um wie viel Uhr soll ich dich abholen?
CHRISTIAN GREY
CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.
Von: Anastasia Steele
Betreff: Morgen
Datum: 8. Juni 2011, 14:32 Uhr
An: Christian Grey
Josés Vernissage beginnt um halb acht. Welche Zeit würdest du vorschlagen?
ANASTASIA STEELE
Assistentin des Cheflektors, SIP
Von: Christian Grey
Betreff: Morgen
Datum: 8. Juni 2011, 14:34 Uhr
An: Anastasia Steele
Liebe Anastasia,
Portland ist ein ganzes Stück weit weg. Ich hole dich um 17:45 Uhr ab.
Ich freue mich darauf, dich wiederzusehen.
CHRISTIAN GREY
CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.
Von: Anastasia Steele
Betreff: Morgen
Datum: 8. Juni 2011, 14:38 Uhr
An: Christian Grey
Bis dann.
ANASTASIA STEELE
Assistentin des Cheflektors, SIP
Ich werde Christian wiedersehen! Zum ersten Mal seit fünf Tagen bessert sich meine Stimmung ein wenig. Wie es ihm wohl in der Zwischenzeit ergangen ist? Habe ich ihm gefehlt? Wahrscheinlich nicht so sehr wie er mir. Hat er eine neue Sklavin gefunden? Die Vorstellung tut so weh, dass ich sie sofort verdränge.
Am Abend wälze ich mich im Bett hin und her, aber immerhin weine ich mich nicht mehr in den Schlaf.
Ich erinnere mich an Christians gequälte Miene, als ich ihn verlassen habe. Er wollte mich nicht gehen lassen. Warum nicht? Wieso sollte ich in einer so verfahrenen Situation bleiben? Wir sind beide unseren eigenen Problemen ausgewichen – meiner Angst vor Bestrafung, seiner Angst vor … was? Liebe?
Traurig schlinge ich die Arme ums Kissen. Er meint, er verdiene es nicht, geliebt zu werden. Warum? Hat das mit seiner Kindheit zu tun? Mit seiner leiblichen Mutter, der Crackhure? Der Gedanke quält mich bis in die frühen Morgenstunden, als ich schließlich in unruhigen, erschöpften Schlaf falle.
Der Tag zieht sich endlos hin, und Jack ist über alle Maßen anhänglich. Vermutlich liegt das an Kates pflaumenfarbenem Kleid und den schwarzen High Heels, die ich aus ihrem Schrank gemopst habe. Ich beschließe, von meinem ersten Gehalt Klamotten kaufen zu gehen. Das Kleid sitzt deutlich lockerer als das letzte Mal, was ich zu ignorieren versuche.
Endlich ist es halb sechs. Nervös schnappe ich mir Jacke und Handtasche. Verdammt, gleich sehe ich ihn wieder!
»Haben Sie etwas vor?«, erkundigt sich Jack.
»Ja. Nein. Nicht wirklich.«
Er hebt interessiert eine Augenbraue. »Mit dem Freund?«
Ich werde rot. »Nein, mit einem Freund. Einem Ex.«
»Hätten Sie Lust, morgen nach der Arbeit auf einen Drink zu gehen? Sie hatten eine super erste Woche, Ana. Das muss gefeiert werden.« Über sein Gesicht huscht ein Ausdruck, der mich verunsichert.
Die Hände in den Taschen, schlendert er durch die Doppeltür. Ich runzle die Stirn. Drinks mit dem Chef, ist das eine gute Idee?
Ich schüttle den Kopf. Zuerst muss ich den Abend mit Christian Grey überstehen. Nur wie? Ich haste in die Toilette, um mich im Spiegel zu betrachten. Wie üblich bin ich blass, außerdem habe ich dunkle Augenringe. Ich sehe scheiße aus.
Verdammt, wenn ich nur geschickter mit Make-up umgehen könnte! Ich trage Mascara und Eyeliner auf und kneife mir, in der Hoffnung, ein wenig Farbe zu bekommen, in die Wangen. Nachdem ich meine Haare über die Schulter drapiert habe, hole ich tief Luft.
Mit einem nervösen Lächeln durchquere ich die Eingangshalle und winke Claire am Empfang zu. Eigentlich könnten wir Freundinnen werden, schießt es mir durch den Kopf.
Jack unterhält sich gerade mit Elizabeth, als ich mich der Tür nähere. Er eilt herüber, um sie für mich aufzuhalten.
»Nach Ihnen, Ana.«
»Danke.« Ich lächle verlegen.
Draußen wartet Taylor am Wagen und öffnet sofort die hintere Tür für mich, als er mich entdeckt. Verstohlen sehe ich Jack an, der mir nach draußen gefolgt ist und mit weit aufgerissenen Augen den Audi SUV anstarrt.
Ich steige hinten ein, zu Christian, der einen grauen Anzug ohne Krawatte trägt, das weiße Hemd oben offen. Seine grauen Augen glühen.
»Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen?«, herrscht er mich an, als Taylor die Tür hinter mir schließt.
Scheiße. »Hallo, Christian. Mich freut’s auch, dich wiederzusehen.«
»Ich habe jetzt keine Lust auf deine spitze Zunge. Antworte mir.«
Mist. »Äh, ich hab mittags einen Joghurt gegessen – und eine Banane.«
»Und die letzte richtige Mahlzeit?«, fragt er mit eisiger Stimme.
Taylor lässt den Motor an und fädelt den Wagen in den Verkehr ein.
Ich sehe, dass Jack mir nachwinkt. Wie er mich durch die getönten Scheiben erkennen kann, ist mir ein Rätsel. Ich winke zurück.
»Wer ist das?«, knurrt Christian.
»Mein Chef.«
Christian presst die Lippen zusammen. »Und? Deine letzte Mahlzeit?«
»Christian, das geht dich wirklich nichts an«, sage ich und komme mir dabei ausgesprochen mutig vor.
»Alles, was mit dir zu tun hat, geht mich etwas an. Antworte mir.«
Nein, das tut es nicht. Ich stöhne frustriert auf und verdrehe die Augen, während die von Christian sich verengen. Zum ersten Mal seit Langem ist mir zum Lachen zumute. Nur mit Mühe unterdrücke ich ein Kichern. Christians Miene wird weicher, während ich versuche, ernst zu bleiben. Der Hauch eines Lächelns spielt um seine wunderschönen Lippen.
»Und?«, hakt er nach.
»Pasta alle Vongole, vergangenen Freitag«, antworte ich kleinlaut.
»Aha. Du siehst aus, als hättest du mindestens fünf Pfund abgenommen. Du musst etwas essen, Anastasia.«
Ich starre auf meine ineinander verschränkten Finger in meinem Schoß. Warum nur fühle ich mich in seiner Gegenwart immer wie ein unartiges Kind?
»Wie geht es dir?«, fragt er mit sanfter Stimme.
Eigentlich Scheiße … Ich schlucke. »Gut wäre gelogen.«
»Ja, geht mir auch so.« Er ergreift meine Hand. »Du fehlst mir.«
O nein. Haut an Haut.
»Christian, ich …«
»Ana, bitte. Wir müssen reden.«
Gleich fange ich zu heulen an. Nein. »Christian, ich … bitte … ich habe viel geweint«, flüstere ich, bemüht, meine Gefühle unter Kontrolle zu halten.
Bevor ich michs versehe, hat er mich auf seinen Schoß gezogen und vergräbt seine Nase in meinen Haaren. »Du hast mir so gefehlt, Anastasia.«
Ich möchte mich aus seiner Umarmung lösen, auf Distanz gehen, doch seine Arme sind fest um mich geschlungen. Er drückt mich an seine Brust, und ich schmelze dahin.
Ich lege meinen Kopf an seine Schulter; er küsst mein Haar immer wieder. Es fühlt sich so vertraut an. Er riecht so wunderbar nach Christian. Einen kurzen Augenblick lang glaube ich fast, dass alles gut werden wird. Ein Trost für meine gequälte Seele.
Wenige Minuten später hält Taylor an.
»Komm.« Christian schiebt mich von seinem Schoß herunter. »Wir sind da.«
Was?
»Hubschrauberlandeplatz – oben auf dem Gebäude.«
Natürlich. Charlie Tango. Taylor öffnet die Tür, und ich steige aus. Er schenkt mir ein freundliches, onkelhaftes Lächeln, das mir ein sicheres Gefühl gibt, und ich erwidere es.
»Ich sollte Ihnen Ihr Taschentuch zurückgeben.«
»Behalten Sie’s, Miss Steele. Mit meinen besten Wünschen.«
Ich werde rot, als Christian um den Wagen herumtritt und meine Hand nimmt.
»Um neun?«, fragt Christian Taylor.
»Ja, Sir.«
Christian nickt und führt mich durch die Doppeltür in die beeindruckende Eingangshalle. Wieder spüre ich diese vertraute Anziehung – ich komme mir vor wie Ikarus, der der Sonne zu nahe kommt. Obwohl ich mir schon einmal die Finger verbrannt habe, bin ich trotzdem wieder bei ihm.
Als die Aufzugtüren sich öffnen, lässt er meine Hand los und schiebt mich hinein.
Sobald sie wieder geschlossen sind, sieht er mich mit seinen lebhaften Augen an, und erneut liegt dieses Knistern in der Luft.
»Oh«, hauche ich.
»Ich spüre es auch«, gesteht er.
Dunkle Begierde sammelt sich in meinem Unterleib. Er lässt seinen Daumen über meine Fingerknöchel gleiten, und meine Muskeln ziehen sich aufs Köstlichste zusammen.
Gott, wie macht er das nur?
»Bitte kau nicht auf deiner Lippe, Anastasia«, flüstert er.
Ich höre sofort damit auf, aber ich will ihn. Hier, jetzt, im Lift. Wie könnte ich ihn nicht wollen?
»Du weißt, was dann passiert.«
Ich habe also nach wie vor Macht über ihn. Meine innere Göttin erwacht aus ihrem fünftägigen Schmollschlaf.
Aber der Bann bricht, als die Türen aufgleiten. Hier oben auf dem Dach weht ein so starker Wind, dass ich trotz meiner schwarzen Jacke friere. Christian legt den Arm um mich und zieht mich zu sich heran. Wir hasten zu Charlie Tango.
Ein hochgewachsener blonder Mann mit kantigem Kinn und dunklem Anzug springt heraus und rennt geduckt unter den sich drehenden Rotorblättern zu uns. Er reicht Christian die Hand und ruft ihm über den Lärm hinweg zu: »Startklar, Sir.«
»Alle Checks erledigt?«
»Ja, Sir.«
»Sie holen ihn gegen halb neun ab?«
»Ja, Sir.«
»Taylor wartet unten auf Sie.«
»Danke, Mr. Grey. Ich wünsche einen sicheren Flug nach Portland. Ma’am.« Er nickt mir zu.
Christian führt mich zur Hubschraubertür.
Im Helikopter schnürt er mich mit vielsagendem Blick in meinen Sicherheitsgurt und zurrt ihn fest.
»Das Geschirr gefällt mir wirklich sehr gut an dir. Lass die Finger von den Instrumenten.«
Ich werde tiefrot. Sein Zeigefinger gleitet meine Wange entlang, bevor er mir den Kopfhörer reicht. Ich würde dich auch gern anfassen, aber ich darf ja nicht. Er hat die Gurte so festgezogen, dass ich mich kaum bewegen kann.
Er nimmt Platz und schnallt sich ebenfalls an, bevor er die Vorflugkontrollen durchführt, den Kopfhörer aufsetzt und einen Schalter umlegt. Nun drehen sich die Rotorblätter noch lauter und schneller.
Christian wendet sich mir zu. »Bereit, Baby?«, hallt seine Stimme im Kopfhörer wider.
»Ja.«
Er grinst jungenhaft. Wow – das habe ich lange nicht mehr gesehen.
»Charlie Tango Golf-Golf Echo Hotel an Sea-Tac Tower, startklar nach Portland via PDX. Bitte bestätigen.«
Von der Luftverkehrskontrolle kommen Instruktionen.
»Charlie Tango an Tower, verstanden.« Christian legt zwei Hebel um, ergreift den Steuerknüppel, und der Helikopter erhebt sich in den Abendhimmel über Seattle.
»Letztes Mal sind wir in die Morgendämmerung geflogen, Anastasia, jetzt fliegen wir in die Abenddämmerung«, höre ich seine Stimme über Kopfhörer.
Was soll das? Wie schafft er es nur immer wieder, die romantischsten Dinge zu sagen?
Er lächelt mir zu, und auch ich kann mir ein schüchternes Lächeln nicht verkneifen.
»Und die Abendsonne. Diesmal gibt’s mehr zu sehen«, verkündet er.
Bei unserem Flug nach Seattle war es dunkel, jetzt ist der Ausblick spektakulär. Wir steigen zwischen den Wolkenkratzern immer höher hinauf.
»Das Escala ist dort.« Er deutet auf das Gebäude. »Da drüben siehst du Boeing und da hinten die Space Needle.«
Ich recke den Hals. »Da war ich noch nie.«
»Wir gehen mal zum Essen hin.«
»Christian, wir haben uns getrennt.«
»Ich weiß. Trotzdem kann ich dich zum Essen einladen.«
Ich schüttle den Kopf und wechsle schnell das Thema. »Es ist sehr, sehr schön hier oben, danke.«
»Beeindruckend, nicht?«
»Ich finde dich beeindruckend.«
»Schmeicheleien von Ihnen, Miss Steele? Ich bin ein Mann mit vielen Fähigkeiten.«
»Das weiß ich, Mr. Grey.«
Er grinst spöttisch, und zum ersten Mal seit fünf Tagen entspanne ich mich. Vielleicht wird es ja doch nicht so schlimm.
»Wie läuft’s im neuen Job?«
»Gut, danke.«
»Und dein Chef?«
»Ach, der ist ganz okay.« Wie soll ich Christian erklären, dass Jack mich nervös macht?
Christian sieht mich stirnrunzelnd an. »Was ist los?«
»Abgesehen von den bekannten Problemen? Nichts.«
»Die bekannten Probleme?«
»Christian, manchmal bist du wirklich verdammt schwer von Begriff.«
»Schwer von Begriff? Ich? Vergreifen Sie sich da nicht ein wenig im Ton, Miss Steele?«
»Meinen Sie?«
»Deine spitze Zunge hat mir gefehlt.«
Am liebsten würde ich rufen: Du hast mir auch gefehlt – alles an dir, nicht nur deine Zunge! Doch ich blicke schweigend durch die gewölbten Fenster hinaus. Rechts von uns dämmert es, die Sonne hängt wie ein großer orangefarbener Feuerball tief am Horizont – und erneut fühle ich mich wie Ikarus, der ihr zu nahe kommt.
Am Himmel vermischen sich Opal-, Rosa- und Aquamarintöne. Es ist ein klarer, kühler Abend, und die Lichter von Portland heißen uns blinkend willkommen, als Christian mit dem Helikopter auf dem braunen Ziegelgebäude in Portland aufsetzt, das wir vor weniger als drei Wochen verlassen haben.
Obwohl das keine lange Zeit ist, habe ich das Gefühl, Christian schon ewig zu kennen. Er fährt Charlie Tango herunter, legt mehrere Schalter um, und die Rotorblätter kommen zum Stillstand. Am Ende höre ich über Kopfhörer nur noch meinen eigenen Atem. Irgendwie erinnert mich das an unser Liebesspiel zu der Musik von Thomas Tallis, aber daran will ich nun wirklich nicht denken.
Christian löst seinen Gurt und beugt sich zu mir herüber, um mich aus meinem zu befreien.
»Hatten Sie einen guten Flug, Miss Steele?«, fragt er mit sanfter Stimme und glühenden Augen.
»Ja, danke, Mr. Grey«, antworte ich höflich.
»Dann lass uns runtergehen, die Fotos von dem Jungen anschauen.« Er reicht mir die Hand. Ich ergreife sie und klettere aus Charlie Tango.
Der grauhaarige Mann mit Bart, den ich vom letzten Mal kenne, empfängt uns mit einem breiten Lächeln.
»Joe.« Christian begrüßt ihn ebenfalls lächelnd und lässt meine Hand los, um die von Joe herzlich zu schütteln.
»Halten Sie den Helikopter für Stephan bereit. Er kommt zwischen acht und neun.«
»Wird gemacht, Mr. Grey. Ma’am«, fügt der Mann mit einem Nicken in meine Richtung hinzu. »Ihr Wagen wartet unten, Sir. Ach, und der Lift ist kaputt. Sie müssen leider die Treppe nehmen.«
»Danke, Joe.«
Christian ergreift erneut meine Hand. »Zum Glück sind’s nur drei Stockwerke«, bemerkt er mit einem missbilligenden Blick auf meine Schuhe.
»Gefallen dir die Schuhe nicht?«
»Doch, sogar sehr, Anastasia.«
Ich habe den Eindruck, dass er noch etwas hinzufügen möchte, aber er verkneift es sich.
»Komm, aber langsam. Ich möchte nicht riskieren, dass du hinfällst und dir den Hals brichst.«
Schweigend lassen wir uns von einem Chauffeur zu der Galerie bringen. Meine Angst kehrt mit voller Wucht zurück, als mir klar wird, dass unsere Zeit während des Fluges nur eine Verschnaufpause war. Die lockere Stimmung von vorhin ist dahin. Christian wirkt … nachdenklich. Es gibt so viel, was ich ihm sagen möchte, aber dieser Trip hier ist zu kurz dafür. Christian starrt gedankenverloren aus dem Fenster.
»José ist wirklich nur ein Freund«, murmle ich.
Christian sieht mich mit undurchdringlichem Blick an. Sein Mund … Ich erinnere mich, wie er mich damit überall liebkost hat, und mir wird ganz heiß.
»Diese wunderschönen Augen wirken viel zu groß in deinem Gesicht, Anastasia. Bitte versprich mir, dass du mehr isst.«
»Ja, Christian, das werde ich«, antworte ich ganz automatisch.
»Es ist mein Ernst.«
»Tatsächlich?«, frage ich verächtlich. Immerhin hat er mich in den letzten Tagen durch die Hölle gehetzt, oder nicht? Nein, das war ich selbst. Nein, er. Verwirrt schüttle ich den Kopf.
»Ich will mich nicht mit dir streiten, Anastasia. Ich möchte dich zurück, und zwar gesund und munter«, erklärt er mit sanfter Stimme.
»Aber es ist alles beim Alten.« Du bist immer noch der Christian mit den tausend Facetten.
»Lass uns auf dem Rückweg darüber reden. Wir sind da.«
Der Wagen hält vor der Galerie, und Christian steigt aus, um mir die Tür zu öffnen.
»Warum tust du das?«, frage ich ein wenig zu laut.
»Was?«
»Warum sagst du so etwas und verstummst dann?«
»Anastasia, wir sind da. Wo du hinwolltest. Lass uns hineingehen und hinterher weiterreden. Ich habe keine Lust, das hier auf der Straße zu diskutieren.«
Verdammt, er hat ja Recht. »Okay«, murmle ich schmollend.
Er nimmt meine Hand und führt mich in das Gebäude, ein umgestaltetes Lagerhaus – Ziegelwände, dunkle Holzfußböden, weiße Decken und weiß gestrichene Rohre. Es ist luftig und modern. Ziemlich viele Leute schlendern mit Weingläsern herum und bewundern Josés Arbeiten. Einen Moment vergesse ich meine Sorgen, als mir bewusst wird, dass José seinen Traum verwirklicht hat. Du hast es geschafft, José!
»Herzlich willkommen bei der Vernissage von José Rodriguez«, begrüßt uns eine junge, in Schwarz gekleidete Frau mit raspelkurzen braunen Haaren, leuchtend rotem Lippenstift und großen Kreolen. Sie sieht kurz mich an, dann, deutlich länger als nötig, Christian, bevor sie sich errötend wieder mir zuwendet.
Ich runzle die Stirn. Er gehört mir – oder besser gesagt, gehörte mir. Ich gebe mir große Mühe, ihr keinen finsteren Blick zuzuwerfen.
Sie blinzelt. »Ach, Sie sind das, Ana. Wir sind schon gespannt auf Ihre Meinung.« Lächelnd reicht sie mir eine Broschüre und führt mich an einen Tisch mit Snacks.
Woher weiß sie meinen Namen?
»Kennst du sie?«, fragt Christian mich.
Ich schüttle den Kopf und bin genauso verwirrt wie er.
Er zuckt mit den Achseln. »Was möchtest du trinken?«
»Ein Glas Weißwein, bitte.«
Er macht sich auf den Weg zur Bar.
»Ana!« José eilt auf mich zu.
Wow! Er trägt einen Anzug, sieht blendend aus, strahlt mich an. José umarmt mich fest. Mein Freund, mein einziger Freund in Kates Abwesenheit. Tränen treten mir in die Augen.
»Ana, schön, dass du es geschafft hast herzukommen«, flüstert er mir ins Ohr, stutzt, tritt einen Schritt zurück und starrt mich an.
»Was ist?«
»Alles in Ordnung? Du siehst irgendwie anders aus. Dios mío, hast du abgenommen?«
Ich schlucke meine Tränen hinunter. »José, es ist alles okay. Ich freu mich ja so für dich.« Scheiße – jetzt fängt er auch noch damit an. »Gratuliere zur Vernissage.« Meine Stimme zittert, als ich die Sorge in seinem vertrauten Gesicht sehe. Verdammt, reiß dich zusammen, Steele!
»Wie bist du hergekommen?«, erkundigt er sich.
»Christian hat mich hergebracht.«
»Ach.« José lässt die Schultern hängen. »Wo ist er?« Seine Miene verfinstert sich.
»Er holt gerade etwas zu trinken.« Ich nicke in Christians Richtung, der sich mit jemandem in der Schlange unterhält. Unsere Blicke treffen sich, und mir verschlägt es den Atem.
Himmel! Dieser wunderschöne Mann will mich zurück!, denke ich verzückt.
»Ana!« José holt mich ins Hier und Jetzt zurück. »Es freut mich so sehr, dass du da bist. Aber hör zu, ich muss dich warnen …«
Miss Kurzhaar und Roter Lippenstift fällt ihm ins Wort. »José, die Journalistin von Portland Printz möchte mit dir sprechen. Komm.« Mir schenkt sie ein höfliches Lächeln.
»Ist das nicht cool? Ich meine, der Ruhm.« Er grinst, und ich kann nicht anders, als zurückzugrinsen – er ist so glücklich. »Bis später, Ana.« Er küsst mich auf die Wange, ehe er zu einer jungen Frau und einem schlaksigen Fotografen geht.
Manche der Fotos von José sind stark vergrößert auf Leinwand aufgezogen, sowohl in Schwarz-Weiß als auch in Farbe. Vielen der Landschaftsaufnahmen haftet etwas Ätherisches an. Eine zeigt den See bei Vancouver. Es ist früher Abend, im Wasser spiegeln sich rosafarbene Wolken. Ich lasse mich von der Ruhe und dem Frieden, die das Bild ausstrahlt, verzaubern.
Christian gesellt sich zu mir und reicht mir ein Glas Weißwein.
»Entspricht er deinen Erwartungen?«
Er sieht mich fragend an.
»Der Wein.«
»Nein. Aber das ist bei solchen Anlässen nur selten der Fall. Der Junge hat Talent, findest du nicht?« Christian bewundert das Foto vom See.
»Glaubst du, ich hätte ihn sonst gebeten, Porträts von dir zu machen?«, frage ich mit Stolz.
Sein Blick wandert von dem Bild zu mir.
»Mr. Grey?« Der Fotograf des Portland Printz kommt auf Christian zu. »Darf ich Sie ablichten, Sir?«
»Gern«, antwortet Christian, ganz CEO.
Als ich mich entfernen will, zieht er mich an sich. Der Fotograf sieht uns beide mit unverhohlenem Erstaunen an. »Danke, Mr. Grey.« Er macht einige Aufnahmen. »Miss …?«, fragt er.
»Steele.«
»Danke, Miss Steele.« Er eilt davon.
»Ich habe im Internet nach Bildern von dir in Begleitung gesucht und keine gefunden. Deshalb hat Kate wohl gedacht, du wärst schwul.«
Christian grinst. »Das erklärt deine dreiste Frage. Nein, ich bin nie in Begleitung, Anastasia, nur mit dir. Aber das weißt du ja.«
»Dann hast du deine …« Ich vergewissere mich, dass niemand uns zuhören kann. »… Subs niemals ausgeführt?«
»Manchmal war ich mit ihnen unterwegs, jedoch nie offiziell. Beim Shoppen.«
Er war also nur im Spielzimmer und in seiner Wohnung mit ihnen zusammen. Ich weiß nicht recht, was ich davon halten soll.
»Nur mit dir, Anastasia«, wiederholt er.
Ich werde knallrot. Auf seine Art macht er sich also doch etwas aus mir.
»Dein Freund scheint eher auf Landschaften als auf Porträts spezialisiert zu sein. Lass uns seine Bilder anschauen.« Er streckt mir die Hand hin, und ich ergreife sie.
Ein Paar nickt mir freundlich zu, als würde es mich kennen. Bestimmt liegt das daran, dass Christian bei mir ist. Obwohl, ein junger Mann gafft mich unverhohlen an. Komisch.
Als wir um eine Ecke biegen, wird mir klar, warum uns die Leute so merkwürdig ansehen. An der Wand am anderen Ende des Raums hängen sieben riesige Porträts – von mir.
Ich werde leichenblass. Ich: schmollend, lachend, mit finsterem und ernstem Gesicht, amüsiert. Alle Aufnahmen ganz aus der Nähe, in Schwarz-Weiß.
O Gott! Ich erinnere mich, dass José ein paar Mal mit der Kamera herumgealbert hat, als er mich besucht hat oder wir gemeinsam unterwegs waren. Ich dachte, er macht nur ein paar Schnappschüsse. Nicht so intime Porträts.
Ich sehe Christian an, der die Bilder entsetzt anstarrt.
»Ich scheine nicht der Einzige zu sein«, presst er hervor. »Entschuldige mich einen Augenblick.« Er marschiert in Richtung Empfang.
Was hat er jetzt wieder für ein Problem? Ich beobachte, wie er sich angeregt mit Miss Kurzhaar und Roter Lippenstift unterhält, seine Brieftasche zückt und ihr seine Kreditkarte reicht.
Scheiße. Er muss eines der Fotos erworben haben.
»Hey, Sie sind also die Muse. Die Bilder sind super«, reißt mich ein junger Mann mit hellblondem Haar aus meinen Gedanken. Im selben Moment spüre ich eine Hand an meinem Ellbogen. Christian ist wieder da.
»Glückspilz«, sagt der Blondschopf mit einem süffisanten Grinsen.
»Er hat Recht«, raunt Christian mir zu und zieht mich auf die Seite.
»Hast du eins der Fotos gekauft?«
»Eins?« Er schnaubt verächtlich.
»Mehr als eins?«
Er verdreht die Augen. »Alle, Anastasia. Ich will nicht, dass irgendein Fremder dich bei sich zuhause nach Herzenslust angaffen kann.«
»Das darfst also nur du?«, spotte ich.
Meine spitze Zunge bringt ihn aus dem Gleichgewicht, doch er wirkt auch belustigt. »Offen gestanden, ja.«
»Perversling«, forme ich mit den Lippen und beiße mir auf die Unterlippe, um mir ein Lächeln zu verkneifen.
Ihm fällt die Kinnlade herunter. »Dem habe ich nichts entgegenzusetzen, Anastasia.«
»Ich würde mich gern weiter mit dir über das Thema unterhalten, aber leider habe ich eine Verschwiegenheitsvereinbarung unterschrieben.«
Er seufzt. »Was ich jetzt am liebsten mit deiner spitzen Zunge anstellen würde«, flüstert er.
»Was fällt dir ein?« Ich versuche, schockiert zu klingen, und es gelingt mir tatsächlich. Kennt er denn keine Grenzen?
Er grinst spöttisch und wird dann nachdenklich. »Auf den Fotos siehst du so entspannt aus, Anastasia. Ich kenne das eher selten von dir.«
Wie bitte? Unerwarteter Themenwechsel von unbeschwert zu ernst.
Ich werde rot und betrachte meine Finger. Als er meinen Kopf nach hinten drückt, hole ich tief Luft.
»Ich möchte, dass du bei mir auch so entspannt bist«, sagt er.
Innerlich zucke ich vor Freude zusammen. Aber wie kann das sein? Unsere Probleme sind nach wie vor nicht gelöst.
»Wenn du das möchtest, solltest du aufhören, mir Angst zu machen«, herrsche ich ihn an.
»Und du solltest lernen, mir zu sagen, wie du dich fühlst«, faucht er mit funkelnden Augen zurück.
»Christian, du wolltest mich als Sub. Und genau da liegt das Problem. Ich durfte dich nicht ansehen und nicht mit dir sprechen, es sei denn, ich hatte deine Erlaubnis. Was erwartest du?«, zische ich.
Er blinzelt nur.
»Es ist verdammt verwirrend, mit dir zusammen zu sein. Einerseits möchtest du nicht, dass ich dir widerspreche, andererseits magst du meine spitze Zunge. Du erwartest Gehorsam, nur nicht dann, wenn du ihn nicht willst, damit du mich bestrafen kannst. Ich weiß nie, woran ich mit dir bin.«
Seine Augen verengen sich. »Wie üblich gut argumentiert, Miss Steele.« Seine Stimme ist eisig. »Lass uns etwas essen gehen.«
»Wir sind erst eine halbe Stunde hier.«
»Du hast die Fotos gesehen und mit dem Jungen gesprochen.«
»Der Junge heißt José.«
»Du hast mit José gesprochen – mit dem Mann, der neulich, als du betrunken warst, versucht hat, dir gegen deinen Willen die Zunge in den Mund zu schieben«, knurrt er.
»Aber er hat mich nie geschlagen«, fauche ich zurück.
Christian kocht vor Wut. »Das ist ein Schlag unter die Gürtellinie, Anastasia.«
Christian fährt sich mit kaum verhohlenem Ärger durch die Haare. Ich erwidere seinen zornigen Blick.
»Wir gehen jetzt etwas essen. Du wirst vor meinen Augen immer weniger. Verabschiede dich von dem Jungen.«
»Bitte, können wir nicht noch ein bisschen bleiben?«
»Nein. Geh jetzt und verabschiede dich von ihm.«
Verdammter Kontrollfreak. Aber Wut ist gut. Besser als Tränen.
Ich suche den Raum mit Blicken nach José ab. Er unterhält sich mit einer Gruppe junger Frauen. Ich gehe auf ihn zu, weg von Christian. Muss ich, bloß weil er mich hergebracht hat, tun, was er sagt? Für wen hält er sich eigentlich?
Die jungen Frauen hängen an Josés Lippen. Eine von ihnen scheint mich von den Porträts zu erkennen.
»José.«
»Ana. Entschuldigt mich, meine Lieben.« José legt grinsend den Arm um mich.
Irgendwie amüsiert mich das – José, der die Damenwelt beeindruckt.
»Du wirkst wütend«, stellt er fest.
»Ich muss gehen.«
»Du bist doch gerade erst gekommen.«
»Ich weiß, aber Christian muss zurück. Die Fotos sind toll, José. Du hast wirklich was auf dem Kasten.«
Er strahlt. »War cool, dich wiederzusehen.«
José drückt mich und wirbelt mich herum, so dass ich Christian am anderen Ende der Galerie sehen kann. Er macht ein finsteres Gesicht. Um ihn zu provozieren, lege ich die Arme um Josés Hals. Christians Blick verdüstert sich noch mehr, und er kommt auf uns zugestapft.
»Danke für die Warnung wegen der Porträts«, flüstere ich.
»Sorry, Ana. Ich hätte dir Bescheid sagen sollen. Gefallen sie dir?«
»Ich weiß nicht so recht«, antworte ich wahrheitsgemäß.
»Sie sind alle verkauft, also scheint jemand sie zu mögen. Ist das nicht cool? Du bist jetzt eine richtige Berühmtheit.« Er drückt mich noch fester an sich, gerade als Christian sich zu uns gesellt.
José lässt mich los. »Melde dich, Ana. Ach, Mr. Grey, guten Abend.«
»Mr. Rodriguez, sehr beeindruckend.« Christian klingt eisig. »Tut mir leid, dass wir nicht länger bleiben können, aber wir müssen zurück nach Seattle. Anastasia?« Er betont das »Wir« und ergreift meine Hand.
»Bye, José. Nochmal Gratulation.« Ich drücke ihm hastig einen Kuss auf die Wange, und ehe ich michs versehe, zerrt Christian mich aus dem Gebäude. Er kocht vor Wut, doch mir geht es genauso.
Draußen zieht er mich nach einem kurzen Blick in beide Richtungen links in eine Gasse, wo er mich gegen eine Wand drückt, mein Gesicht mit den Händen packt und mich zwingt, in seine vor Zorn funkelnden Augen zu schauen.
Er küsst mich leidenschaftlich. Unsere Zähne stoßen gegeneinander, dann spüre ich seine Zunge in meinem Mund.
Sofort ziehen sich alle meine Muskeln in meinem Unterleib zusammen. Ungestüm erwidere ich seinen Kuss. Er stöhnt auf, ein sexy Geräusch tief aus seiner Kehle, das in mir nachhallt, und seine Finger gleiten zu meinem Oberschenkel, um sich durch das pflaumenfarbene Kleid in mein Fleisch zu vergraben.
Ich lege alle Angst und allen Schmerz der letzten Tage in unseren Kuss. In diesem Moment voller Leidenschaft fällt der Groschen: Er empfindet das Gleiche wie ich.
Christian löst sich keuchend von mir, als wäre er einen Marathon gelaufen. Seine Augen leuchten vor Begierde. Ich schnappe nach Luft.
»Du. Gehörst. Mir«, knurrt er und betont dabei jedes einzelne Wort.
Ich lehne mich ebenfalls keuchend an die Wand und bemühe mich verzweifelt, meinen Körper unter Kontrolle zu bringen und mein inneres Gleichgewicht wiederzuerlangen.
»Tut mir leid«, flüstere ich, sobald ich zu Atem gekommen bin.
»Das sollte es auch. Mir war klar, was du gemacht hast. Willst du den Fotografen, Anastasia? Immerhin empfindet er etwas für dich.«
Knallrot schüttle ich den Kopf. »Nein. Er ist nur ein Freund.«
»Ich habe immer versucht, extremen Emotionen aus dem Weg zu gehen. Aber du … Du weckst Gefühle in mir, die mir völlig fremd sind. Es ist sehr …«, er sucht nach dem richtigen Wort, »… verwirrend. Ich habe gern alles im Griff, Ana, doch bei dir löst sich alles in Luft auf.« Er fährt sich mit den Fingern durch die Haare. »Komm, lass uns reden. Und du musst etwas essen.«
ZWEI
Er führt mich in ein kleines, familiäres Restaurant.
»Was Besseres gibt’s hier in der Gegend nicht«, brummt Christian. »Und wir haben nicht viel Zeit.«
Mir gefällt das Lokal. Holzstühle, Stofftischdecken und die Wände genauso ochsenblutfarben wie in Christians Spielzimmer, dazu überall kleine Spiegel mit Goldrahmen, weiße Kerzen und Vasen mit weißen Rosen. Ella Fitzgerald singt schmachtend über die Liebe. Mein Gott, wie romantisch.
Der Kellner bringt uns zu einem Tisch in einer Nische.
»Wir sind in Eile«, erklärt Christian ihm, als wir uns setzen. »Deshalb nehmen wir beide Sirloin-Steak medium, Sauce béarnaise, wenn Sie welche haben, Pommes und grünes Gemüse, was immer der Küchenchef da hat. Und bringen Sie mir die Weinkarte.«
»Gern, Sir.« Der Kellner huscht, verblüfft über Christians kühle Effizienz, in Richtung Küche, während Christian seinen BlackBerry auf den Tisch legt.
Herrgott, kann ich mir das Essen denn nicht selbst aussuchen?
»Und wenn ich kein Steak mag?«
Er seufzt. »Bitte fang nicht wieder damit an, Anastasia.«
»Ich bin kein kleines Kind mehr, Christian.«
»Dann hör auf, dich wie eines zu benehmen.«
Es ist, als hätte er mir ins Gesicht geschlagen. So also wird die Unterhaltung laufen: hitzig und angespannt, zwar in romantischer Atmosphäre, aber definitiv ohne Herzchen und Blümchen.
»Ich bin ein Kind, weil ich kein Steak mag?«, frage ich trotzig.
»Nein, weil du versucht hast, mich eifersüchtig zu machen. Das ist kindisch. Hast du denn keine Achtung vor den Gefühlen deines Freundes?« Christian empfängt den Kellner, der die Weinkarte bringt, mit einem finsteren Blick.
Ich werde rot. Das hatte ich nicht bedacht. Armer José – ich will ihm ganz bestimmt keine Hoffnungen machen. Christian hat Recht, das war gedankenlos von mir. Scheiße, wie peinlich!
»Möchtest du den Wein aussuchen?«, fragt er, die Arroganz in Person. Er weiß, dass ich keine Ahnung von Wein habe.
»Such du ihn aus«, antworte ich mürrisch.
»Zwei Gläser Barossa Valley Shiraz, bitte.«
»Äh, den gibt es nur in der Flasche, Sir.«
»Dann eben eine Flasche«, herrscht Christian ihn an.
»Sir.« Dezent zieht der Kellner sich zurück.
Ich runzle die Stirn. Was ist los mit Christian? Ist er meinetwegen so schlecht gelaunt? Meine innere Göttin hebt verschlafen den Kopf und streckt sich lächelnd. Sie hat ziemlich lange geschlafen.
»Du bist ganz schön schlecht drauf.«
»Warum wohl?«, fragt Christian.
»Für ein aufrichtiges Gespräch über die Zukunft sollte man den richtigen Ton treffen, findest du nicht?« Ich schenke ihm ein zuckersüßes Lächeln.
Seine Lippen verziehen sich zu einer schmalen Linie, doch dann heben sich seine Mundwinkel fast widerwillig, und ich weiß, dass er ein Schmunzeln unterdrückt.
»Sorry«, sagt er.
»Entschuldigung angenommen. Und ich darf dir mitteilen, dass ich seit unserem letzten gemeinsamen Essen keine Vegetarierin geworden bin.«
»Da das das letzte Mal war, dass du überhaupt etwas gegessen hast, ist das ja wohl noch nicht endgültig raus.« Er fährt sich mit der Hand durch die Haare und wird wieder ernst. »Ana, nach dem Vorfall im Spielzimmer hast du mich verlassen. Ich bin nervös. Du weißt, dass ich dich zurückhaben möchte, aber bis jetzt ist mir nicht klar, wie du dazu stehst.« Sein Blick ist erwartungsvoll, seine Aufrichtigkeit entwaffnend.
Was um Himmels willen soll ich darauf antworten?
»Du hast mir gefehlt … echt gefehlt, Christian. Die letzten Tage waren … die Hölle.« Ich schlucke.
Die vergangene Woche war grässlich, der Schmerz unbeschreiblich. Etwas Vergleichbares habe ich noch nie erlebt. Doch ich mache mir nichts vor.
»Es hat sich nichts geändert. Ich kann nicht so sein, wie du mich möchtest«, presse ich hervor.
»Du bist, wie ich dich möchte«, widerspricht er mir.
»Nein, Christian, das bin ich nicht.«
»Was letztes Mal passiert ist, hat dich aus der Fassung gebracht. Ich habe mich dumm verhalten und du … auch. Warum hast du nicht das Safeword benutzt, Anastasia?«, fragt er vorwurfsvoll.
Wie bitte? Aha – Richtungswechsel.
»Antworte mir.«
»Keine Ahnung. Ich habe versucht, so zu sein, wie du mich willst, hab versucht, den Schmerz zu bewältigen, und nicht mehr dran gedacht. Ich hab’s einfach … vergessen«, flüstere ich verlegen und zucke mit den Achseln.
Verdammt, vielleicht hätten wir den ganzen Mist vermeiden können!
»Du hast es vergessen!«, ruft er entsetzt aus und packt die Tischkanten mit den Händen.
Scheiße! Er ist schon wieder wütend. Meine innere Göttin sieht mich voller Zorn an. Das hast du dir selbst zuzuschreiben!
»Wie soll ich dir da je vertrauen?«, fragt er mit leiserer Stimme.
Der Kellner bringt den Wein, während wir einander anstarren, blaue Augen gegen graue. Der Kellner zieht den Korken mit unnötig viel Tamtam aus der Flasche und schenkt Christian etwas Wein ein.
»In Ordnung«, sagt er nur, als er ihn probiert.
Mit spitzen Fingern füllt der Kellner unsere Gläser und stellt die Flasche auf den Tisch, bevor er sich hastig entfernt. Christian hat mir die ganze Zeit über in die Augen geschaut. Ich wende den Blick ab, um einen großen Schluck Wein zu nehmen, den ich kaum schmecke.
»Tut mir leid.« Plötzlich komme ich mir ziemlich dumm vor. Ich habe ihn verlassen, weil ich dachte, wir würden nicht zusammenpassen, und nun behauptet er, ich hätte ihn aufhalten können?
»Was tut dir leid?«, fragt er beunruhigt.
»Dass ich das Safeword nicht verwendet habe.«
Erleichtert schließt er die Augen. »Den ganzen Kummer hätten wir uns ersparen können.«
»Man merkt dir den Kummer nicht an.« Du siehst so gut aus wie immer.
»Der äußere Schein kann trügen«, erwidert er mit leiser Stimme. »Mir geht es alles andere als gut. Es kommt mir vor, als wäre die Sonne unter- und fünf Tage lang nicht mehr aufgegangen, Ana. Als wäre ich in ewiger Dunkelheit gefangen.«
Sein Geständnis raubt mir den Atem. Ihm geht’s genau wie mir.
»Du hast gesagt, du würdest mich nie verlassen, aber sobald es beginnt, schwierig zu werden, bist du weg.«
»Wann habe ich das gesagt?«
»Im Schlaf. Das war das Tröstendste, was ich seit Langem gehört habe, Ana.«
Mir zieht es das Herz zusammen.
»Du hast gesagt, du liebst mich«, flüstert er. »Gilt das jetzt nicht mehr?« Die Angst in seiner Stimme ist nicht zu überhören.
»Doch, Christian.«
Er sieht so verletzlich aus und stößt deutlich hörbar die Luft aus. »Gut.«
Auch bei diesem Geständnis bleibt mir die Luft weg, denn als ich ihm das erste Mal gesagt habe, dass ich ihn liebe, war er entsetzt.
Der Kellner stellt die Teller vor uns ab.
Oje. Essen.
»Iss«, befiehlt Christian mir prompt.
Ich weiß, dass ich Hunger habe, aber im Moment kriege ich keinen Bissen herunter. Dem einzigen Mann gegenüberzusitzen, den ich je geliebt habe, und mit ihm unsere unsichere Zukunft zu besprechen, fördert meinen Appetit nicht gerade. Skeptisch beäuge ich meinen Teller.
»Ana, wenn du nicht isst, lege ich dich hier in diesem Restaurant übers Knie, und das hat dann nichts mit Lustbefriedigung zu tun. Iss!«
Herrgott, krieg dich wieder ein, Grey. Mein Unterbewusstsein sieht mich über seine Lesebrille hinweg an. Es stimmt Christian aus vollem Herzen zu.
»Okay, ich werde etwas essen. Aber bitte lass deine juckende Hand in der Hosentasche.«
Er sieht mich weiterhin mit finsterem Blick an. Ich nehme zögernd Messer und Gabel und schneide ein Stück von meinem Steak ab. Hm, köstlich! Ich habe echt Hunger. Als ich zu kauen beginne, entspannt er sich sichtlich.
Wir essen schweigend, während Ella Fitzgerald von einer anderen Sängerin abgelöst wird.
»Weißt du, wer da singt?«, frage ich, um das Thema zu wechseln – mal wieder.
»Nein, aber sie ist gut.«
»Mir gefällt das Lied auch.«
Endlich schenkt er mir sein typisches Christian-Lächeln.
»Was ist?«, frage ich.
»Iss auf.«
Ich habe meinen Teller halb geleert.
»Mehr schaffe ich nicht. Habe ich Ihrer Meinung nach genug gegessen, Sir?«
Er starrt mich ohne zu antworten an und sieht dann auf seine Uhr.
»Ich bin wirklich satt.« Ich nehme noch einen Schluck von dem köstlichen Wein.
»Wir müssen bald los. Taylor wartet, und du musst morgen Früh in die Arbeit.«
»Du auch.«
»Ich komme mit viel weniger Schlaf aus als du, Anastasia. Aber immerhin hast du etwas gegessen.«
»Fliegen wir denn nicht mit Charlie Tango zurück?«
»Nein, mir war nach einem Drink. Taylor holt uns ab. So habe ich dich im Wagen ein paar Stunden für mich. Was können wir schon tun außer reden?«
Aha, das hat er also vor.
Christian bittet den Kellner um die Rechnung, nimmt seinen BlackBerry in die Hand und wählt eine Nummer.
»Wir sind im Le Picotin in der Southwest Third Avenue«, sagt er nur und beendet das Gespräch sofort wieder.
»Du bist sehr schroff zu Taylor und den meisten Leuten.«
»Ich komme nur gern schnell zum Punkt, Anastasia.«
»Heute Abend bist du noch nicht zum Punkt gekommen. Nichts hat sich geändert, Christian.«
»Ich habe einen Vorschlag für dich.«
»Unsere Geschichte hat mit einem Vorschlag angefangen.«
»Ein anderer Vorschlag.«
Als der Kellner an den Tisch kommt, reicht Christian ihm seine Kreditkarte, ohne die Rechnung zu überprüfen. Er sieht mich erwartungsvoll an, während der Kellner die Karte durch die Maschine zieht. Da summt Christians Handy, und er wirft einen Blick darauf.
Ein Vorschlag? Wie sieht der aus?
»Komm. Taylor wartet draußen.«
Wir stehen auf, und er nimmt meine Hand. »Ich will dich nicht verlieren, Anastasia.« Als er zärtlich meine Fingerknöchel küsst, hallt die Berührung seiner Lippen in meinem ganzen Körper wider.
Christian öffnet mir die Wagentür, und ich sinke in den tiefen Ledersitz. Christian tritt auf die Fahrerseite, Taylor steigt aus, und sie sprechen kurz miteinander. Worüber? Wenig später steigen auch sie ein. Christian setzt sich mit ausdrucksloser Miene neben mich.
Ich gestatte mir einen kurzen Blick auf sein Profil: gerade Nase, sinnliche Lippen, eine Haarsträhne in der Stirn. Dieser göttliche Mann ist mit Sicherheit nicht für mich bestimmt.
Plötzlich erfüllt leise Orchestermusik den hinteren Teil des Wagens. Taylor fädelt sich in den schwachen Verkehr ein, in Richtung I-5 und Seattle.
»Wie gesagt, Anastasia, ich habe einen Vorschlag.«
Ich sehe nervös zu Taylor.
»Taylor kann dich nicht hören«, versichert Christian mir.
»Wie das?«
»Taylor«, ruft er. Keine Reaktion. Er ruft noch einmal, wieder keine Reaktion. Christian beugt sich vor und tippt ihm auf die Schulter. Taylor zieht einen Stöpsel aus dem Ohr, den ich nicht bemerkt hatte.
»Ja, Sir?«
»Danke, Taylor. Alles in Ordnung, Sie können weiter Musik hören.«
»Sir.«
»Bist du jetzt zufrieden? Er hört Puccini über iPod. Vergiss, dass er da ist.«
»Hast du ihn gebeten, seinen iPod einzustöpseln?«
»Ja.«
Oh. »Okay, wie sieht dein Vorschlag aus?«
Plötzlich wirkt Christian entschlossen und geschäftsmäßig. Himmel. Die Verhandlungen beginnen.
»Als Erstes eine Frage: Willst du eine feste Beziehung mit Blümchensex, ohne perverse Nummern?«
Mir fällt die Kinnlade herunter. »Ohne perverse Nummern?«, krächze ich.
»Ja, ohne perverse Nummern.«
»Und das aus deinem Munde …«
»Ja. Wie lautet deine Antwort?«
Ich werde rot. Meine innere Göttin kniet flehend vor mir.
»Deine perversen Nummern gefallen mir«, flüstere ich.
»Hab ich mir schon gedacht. Und was gefällt dir nicht?«
Dass ich dich nicht anfassen darf. Dass es dir Spaß macht, mir wehzutun, mich zu schlagen …
»Dass mir ständig körperliche Strafe droht.«
»Wie meinst du das?«
»Die Stöcke und Peitschen und all die anderen Sachen in deinem Spielzimmer jagen mir eine Heidenangst ein. Ich möchte nicht, dass du die bei mir benutzt.«
»Okay, also keine Peitschen, Stöcke … oder Gürtel.«
»Definierst du gerade die Hard Limits neu?«, frage ich verwirrt.
»Nicht grundsätzlich. Ich versuche nur, eine klarere Vorstellung davon zu bekommen, was du magst und was nicht.«
»Ich habe ein Problem damit, dass du mir gern Schmerz zufügst, weil ich eine willkürlich von dir gesetzte Grenze überschritten habe.«
»Sie ist nicht willkürlich. Die Regeln sind schriftlich fixiert.«
»Ich will keine Regeln.«
»Überhaupt keine?«
»Keine Regeln.« Ich schüttle den Kopf, obwohl mir das Herz bis zum Hals klopft.
»Aber es macht dir nichts aus, wenn ich dich versohle?«
»Womit?«
»Hiermit.« Er hebt die Hand.
Unruhig rutsche ich auf meinem Sitz herum. »Nein, eigentlich nicht. Und diese Silberkugeln …« Zum Glück ist es dunkel, denn bei der Erinnerung an jene Nacht werde ich tiefrot. Ja, das würde ich wieder tun.
Er grinst selbstgefällig. »Stimmt, das hat Spaß gemacht.«
»Mehr als das«, murmle ich.
»Du kannst also ein gewisses Maß an Schmerz ertragen?«
Ich zucke mit den Achseln. »Ja, vermutlich.« Worauf will er hinaus? Mein Angst-Level ist auf der Richterskala einige Striche hochgeklettert.
Er streicht sich gedankenverloren übers Kinn. »Anastasia, ich möchte noch einmal von vorn anfangen. Mit Blümchensex, und dann könnten wir vielleicht, wenn du mir mehr vertraust und ich meinerseits darauf vertrauen kann, dass du mir deine Bedürfnisse mitteilst, auch einige der Dinge tun, die ich gern mache.«
Ich sehe ihn verblüfft an. In der Dunkelheit kann ich sein Gesicht nicht richtig erkennen, trotzdem scheint das endlich der Durchbruch zu sein. Er möchte ans Licht, aber kann ich das von ihm verlangen? Mag ich die Dunkelheit nicht auch? Ein wenig Dunkelheit, hin und wieder. Abermals melden sich die Erinnerungen an die Thomas-Tallis-Nacht.
»Und was ist mit den Strafen?«
»Keine Strafen.« Er schüttelt den Kopf.
»Und die Regeln?«
»Keine Regeln.«
»Überhaupt keine? Aber die brauchst du doch.«
»Dich brauche ich mehr, Anastasia. Die letzten Tage waren die Hölle. Mein Instinkt sagt mir, dass ich dich loslassen soll, dass ich dich nicht verdiene. Diese Fotos, die der Junge von dir gemacht hat … Ich kann nachvollziehen, wie er dich wahrnimmt. Auf den Bildern wirkst du so unbeschwert und schön. Du bist auch jetzt schön, doch ich sehe deinen Schmerz. Das Wissen, dass ich es bin, der ihn verursacht, macht mir zu schaffen. Aber ich bin egoistisch. Ich begehre dich, seit du in mein Büro gestolpert bist. Du bist wunderschön, aufrichtig, liebenswert, stark, geistreich, betörend unschuldig … Gott, die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Ich bewundere und will dich, und die Vorstellung, dass irgendjemand sonst dich besitzen könnte, versetzt meiner dunklen Seele einen Stich.«
Mein Mund wird auf einmal staubtrocken. Verdammt, wenn das mal keine Liebeserklärung ist! Alle Dämme brechen, und die Worte sprudeln nur so aus mir heraus.
»Christian, warum glaubst du, eine dunkle Seele zu haben? Das sehe ich nicht so. Du bist traurig, ja, aber ein guter Mensch, großzügig und liebenswert, und du hast mich noch nie angelogen. Ich habe mir bisher keine Mühe gegeben. Das letzten Samstag war ein Schock für mich. Mir ist klar geworden, dass du gar nicht richtig streng mit mir warst, dass ich nicht so sein kann, wie du mich möchtest. Als ich weg war, ist mir aufgegangen, dass der körperliche Schmerz bei Weitem nicht so schlimm war wie der Schmerz, sich von dir zu trennen. Ich würde dir ja gern Vergnügen bereiten, aber es fällt mir schwer.«
»Du bereitest mir immerzu Vergnügen«, flüstert er. »Wie oft muss ich dir das noch sagen?«
»Mann, ich weiß nie, was du denkst. Manchmal bist du so verschlossen … wie eine Auster. Dann machst du mir Angst. Deshalb halte ich den Mund. Deine plötzlichen Stimmungsumschwünge verunsichern mich. Und ich darf dich nicht berühren, obwohl ich dir so gern zeigen würde, wie sehr ich dich liebe.«
Als er in der Dunkelheit blinzelt, kann ich nicht länger widerstehen. Ich löse den Sicherheitsgurt, klettere auf seinen Schoß und umfasse sein Gesicht mit meinen Händen.
»Ich liebe dich, Christian Grey. Du bist bereit, für mich auf so vieles zu verzichten. Ich verdiene dich nicht, und es tut mir leid, dass ich nicht alle deine Bedürfnisse befriedigen kann. Vielleicht im Lauf der Zeit … Ich weiß es nicht … Ja, ich nehme deinen Vorschlag an. Wo soll ich unterschreiben?«
Er legt einen Arm um mich und drückt mich an sich. »O Ana«, haucht er, während er seine Nase in meinen Haaren vergräbt.
Wir sitzen ineinander verschlungen da und lauschen der Musik – einem leisen Klavierstück, das die Gefühle im Wagen widerspiegelt, die süße Stille nach dem Sturm. Ich kuschle mich in seine Arme und lege meinen Kopf in seine Halskuhle, während er zärtlich meinen Rücken streichelt.
»Berührungen sind ein Hard Limit für mich, Anastasia«, flüstert er.
»Ich weiß. Wenn ich nur wüsste, warum.«
Nach einer Weile sagt er seufzend: »Ich hatte eine grässliche Kindheit. Einer der Zuhälter der Crackhure …« Sein Körper verkrampft sich bei dem Gedanken.
Mir zieht sich das Herz zusammen, als ich mich an die Brandnarben auf seiner Haut erinnere. O Christian. Ich schlinge die Arme fester um seinen Hals.
»Hat sie dich misshandelt? Deine Mutter?«
»Nicht, dass ich wüsste. Sie hat mich vernachlässigt und mich nicht vor ihrem Zuhälter beschützt. Am Ende war ich es, der sich um sie gekümmert hat. Nach ihrem Selbstmord hat es vier Tage gedauert, bis jemand uns gefunden hat … Das weiß ich noch.«
Ich schnappe entsetzt nach Luft. »Abgefuckt«, flüstere ich.
»Ja, in tausend Facetten«, murmelt er.
Ich küsse seinen Hals, während ich mir einen kleinen, verdreckten, grauäugigen Jungen vorstelle, einsam und verloren neben der Leiche seiner Mutter. O Christian.
Er legt die Arme fester um mich und haucht mir einen Kuss auf die Haare, während Taylor durch die Nacht braust.
Als ich aufwache, sind wir in Seattle.
»Hey«, sagt Christian leise.
»Sorry.« Ich richte mich blinzelnd auf und strecke mich. Ich sitze nach wie vor in seinen Armen, auf seinem Schoß.
»Ich könnte dir bis in alle Ewigkeit beim Schlafen zusehen, Ana.«
»Hab ich irgendetwas gesagt?«
»Nein. Wir sind fast bei dir.«
Ach. »Wir fahren nicht zu dir?«
»Nein.«
Ich sehe ihn an. »Warum nicht?«
»Weil du morgen arbeiten musst.«
»Oh.« Ich mache einen Schmollmund.
»Warum, hattest du was anderes vor?«
Ich werde rot. »Na ja, vielleicht.«
Er schmunzelt. »Anastasia, ich werde dich erst wieder anfassen, wenn du mich darum bittest.«
»Was?«
»Damit du anfängst, wirklich mit mir zu reden. Wenn wir das nächste Mal miteinander schlafen, wirst du mir ganz genau erklären müssen, was du möchtest.«
»Oh.«
Er schiebt mich von seinem Schoß herunter, als Taylor den Wagen vor meinem Haus parkt. Christian steigt aus und hält mir die Autotür auf.
»Ich habe etwas für dich.« Er geht zum hinteren Teil des Wagens, öffnet den Kofferraum und holt ein in Geschenkpapier gewickeltes Päckchen heraus. Was zum Teufel ist das?
»Mach’s erst drinnen auf.«
»Du kommst nicht mit rein?«
»Nein, Anastasia.«
»Wann sehen wir uns wieder?«
»Morgen.«
»Morgen möchte mein Chef mit mir auf einen Drink gehen.«
Christians Miene verdüstert sich. »Ach, tatsächlich?« In seiner Stimme schwingt etwas Bedrohliches mit.
»Zur Feier meiner ersten Arbeitswoche«, erkläre ich hastig.
»Wo?«
»Keine Ahnung.«
»Ich könnte dich dort abholen.«
»Okay. Ich schreibe dir eine Mail oder eine SMS.«
»Gut.«
Er begleitet mich zur Haustür und wartet, bis ich die Schlüssel aus der Handtasche gekramt habe. Als ich die Tür aufschließe, umfasst er mein Kinn mit der Hand und schiebt meinen Kopf zurück. Mit geschlossenen Augen bedeckt er mein Gesicht vom Augen- bis zum Mundwinkel mit kleinen Küssen.
Stöhnend schmelze ich dahin.
»Bis morgen«, raunt er.
»Gute Nacht, Christian«, flüstere ich.
Er lächelt. »Rein mit dir«, befiehlt er mir, und ich betrete den Eingangsbereich mit dem geheimnisvollen Päckchen in der Hand.
»Ciao, ciao, Baby«, ruft er mir nach und geht, lässig elegant wie immer, zum Wagen zurück.
Dann öffne ich das Paket und finde darin mein MacBook Pro, den BlackBerry und eine weitere rechteckige Box. Was ist das? Neugierig wickle ich sie aus dem Silberpapier. Ein schmales schwarzes Lederetui.
Mit einem iPad. Heilige Scheiße … ein iPad. Darauf eine weiße Karte mit Christians Handschrift:
Anastasia – für dich.Ich weiß, was du aus meinem Mund hören möchtest.Die Musik sagt es für mich.Christian
Himmel. Ein Christian-Grey-Tape auf einem ultramodernen iPad. Ich schüttle missbilligend den Kopf über den Preis, aber eigentlich liebe ich das Ding jetzt schon. Da Jack im Büro auch so eines hat, weiß ich, wie man es bedient.
Ich schalte es ein. Auf dem Monitor erscheint das Foto eines kleinen Modellflugzeugs – die Blanik L23, die ich ihm geschenkt habe, auf einem Glasständer, wahrscheinlich auf Christians Schreibtisch in seinem Büro. Ich starre sie mit großen Augen an.
Er hat das Modell tatsächlich zusammengebaut! Jetzt erinnere ich mich, dass er es auf der Karte bei den Blumen erwähnt hat.
Beim Weiterklicken schnappe ich erneut nach Luft. Das Foto im Hintergrund zeigt Christian und mich bei meiner Abschlussfeier im Festzelt, das Bild aus der Seattle Times. Christian sieht darauf so attraktiv aus, und ich grinse von Ohr zu Ohr. – Ja, er gehört mir!
Eine Wischbewegung meiner Finger lässt Icons auf dem Bildschirm erscheinen. Eine Kindle-App, iBooks, Words – was immer das sein mag.
Die British Library? Als ich das Icon antippe, erscheint das Menü: HISTORISCHE SAMMLUNG. Ich scrolle herunter und wähle ROMANE DES 18. UND 19. JAHRHUNDERTS. Ein weiteres Menü. Ich tippe auf einen Titel: Der Amerikaner von Henry James. Ein neues Fenster geht auf, und mein Blick fällt auf den gescannten Text des Buchs. Wow! Eine frühe Ausgabe von 1879, auf meinem iPad! Er hat mir die British Library auf Knopfdruck gekauft.
Ich gehe sofort wieder raus, weil ich weiß, dass ich Ewigkeiten in dieser App schmökern könnte. Dabei stolpere ich über eine App mit dem Namen »Gutes Essen«, die mich schmunzeln lässt, über eine Nachrichten-App und eine Wetter-App. Auf seiner Karte steht doch etwas von Musik! Ich kehre zur Grundeinstellung zurück, aktiviere die Playlist und scrolle durch die Songs. Thomas Tallis – den vergesse ich so schnell nicht wieder. Das Floggen und Ficken hat sich mir eingeprägt.
Witchcraft. Mein Lächeln wird breiter. Die Bach-Marcello-Bearbeitung – die ist mir im Moment zu traurig. Hm. Jeff Buckley – von dem habe ich schon gehört. Snow Patrol – meine Lieblingsband – und ein Song mit dem hübschen Titel Principles of Lust von Enigma. Typisch Christian. Dazu Possession … War auch klar. Und etliche andere, die ich nicht kenne.
Mein Blick fällt auf den Titel Try von Nelly Furtado. Ich drücke auf den Abspielknopf, und ihre seidige Stimme umfängt mich. Ich lege mich aufs Bett.
Heißt das, dass Christian es tatsächlich versuchen will? Mit dieser neuen Form der Beziehung? Ich tauche in den Text ein, starre die Decke an, bemühe mich, seine Kehrtwendung zu begreifen. Er hat also Gefühle für mich. Dieses iPad, diese Songs, diese Apps – er macht sich etwas aus mir. In mir regt sich Hoffnung.
Als der Song zu Ende ist, sind meine Augen feucht. Ich scrolle hastig weiter zu The Scientist von Coldplay – eine von Kates Lieblingsbands. Ich kenne die Melodie, habe aber noch nie auf den Text geachtet. Mit geschlossenen Augen lasse ich die Worte auf mich wirken.
Mir rollen die Tränen herunter, ich weine hemmungslos. Wenn das keine Entschuldigung ist, was dann? O Christian.
Oder ist es eher eine Einladung? Wird er meine Fragen beantworten? Interpretiere ich zu viel in die Sache hinein? Wahrscheinlich.