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Die Geschichte von Alessia und Maxim geht weiter: Die aufregende Fortsetzung von »The Mister«
Maxim Trevelyan, Earl of Trevethick wider Willen, ist der Frau, die er liebt, bis in die entlegensten Winkel Albaniens gefolgt. Er hat um sie gekämpft, er hat ihr Herz erobert, und jetzt wird er sie heiraten. Aber kann ein ehemaliger Playboy wie Maxim jemals ein guter Ehemann sein - oder werden sein zweifelhafter Ruf und die schockierenden Geheimnisse seiner aristokratischen Familie sein neues Glück zerstören? Alessia Demachi hat Entführern und Menschenhändlern getrotzt und das Herz des Mannes gewonnen, den sie liebt. Aber kann sie auch eine erfolgreiche Ehe führen? Wird Alessia trotz Maxims fragwürdigerVergangenheit, seiner abweisenden Familie und den süffisanten Blicken und dem Getuschel der Londoner Society jemals als Countess akzeptiert - oder wird sie immer Maxims ehemalige Putzfrau bleiben? Von den majestätischen Bergen Albaniens über die ländliche Idylle Englands bis zum schillernden Glamour des modernen London. Ein bewegender Roman über Liebe, Sehnsucht, Akzeptanz und Erlösung.
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Seitenzahl: 706
Maxim Trevelyan, Earl of Trevethick wider Willen, ist der Frau, die er liebt, bis in die entlegensten Winkel Albaniens gefolgt. Er hat um sie gekämpft, er hat ihr Herz erobert, und jetzt wird er sie heiraten. Aber kann ein ehemaliger Playboy wie Maxim jemals ein guter Ehemann sein – oder werden sein zweifelhafter Ruf und die schockierenden Geheimnisse seiner aristokratischen Familie sein neues Glück zerstören? Alessia Demachi hat Entführern und Menschenhändlern getrotzt und das Herz des Mannes gewonnen, den sie liebt. Aber kann sie auch eine erfolgreiche Ehe führen? Wird Alessia trotz Maxims fragwürdiger Vergangenheit, seiner abweisenden Familie und den süffisanten Blicken und dem Getuschel der Londoner Society jemals als Countess akzeptiert – oder wird sie immer Maxims ehemalige Putzfrau bleiben?
Von den majestätischen Bergen Albaniens über die ländliche Idylle Englands bis zum schillernden Glamour des modernen London. Ein bewegender Roman über Liebe, Sehnsucht, Akzeptanz und Erlösung.
Nachdem sie fünfundzwanzig Jahre für das Fernsehen gearbeitet hatte, beschloss E L James, Geschichten zu schreiben, in die sich die Leserinnen und Leser verlieben sollten. Das Ergebnis war die mittlerweile weltberühmte »Fifty Shades of Grey«-Trilogie, die sich global mehr als 150 Millionen Mal verkaufte und in 52 Sprachen übersetzt wurde. Der erste Band, »Fifty Shades of Grey. Geheimes Verlangen«, stand 147 Wochen ununterbrochen auf der Spiegel-Bestsellerliste. Und die Verfilmungen der drei Bände haben alle Rekorde gebrochen. E L James lebt in Westlondon mit ihrem Ehemann, dem Schriftsteller und Drehbuchautor Niall Leonard, und ihren beiden Söhnen.
Nähere Informationen zur Autorin und ihren Romanen finden Sie unter www.eljamesauthor.com
E L James
Roman
Deutsch von Andrea Brandl, Sonja Hauser, Karin Dufner, Christine Heinzius und Jeannette Bauroth
Die Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel »The Missus« bei Bloom Books, an imprint of Sourcebooks, Naperville, Illinois.
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Deutsche Erstausgabe Juni 2023
Copyright © der Originalausgabe 2023 by Erika James Ltd
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2023
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Gestaltung Cover und Coverinnenseiten: UNO Werbeagentur München
Cover design: E L James and Brittany Vibbert / Sourcebooks Cover images © E L James
Redaktion: Kerstin von Dobschütz und Regina Carstensen
BH · Herstellung: ik
Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN: 978-3-641-31296-1V001
www.goldmann-verlag.de
Für D. in Liebe
Eindringlich hallen meine Schritte von dem glänzenden Fußboden wider, und ich muss die Augen gegen das grelle Neonlicht zusammenkneifen.
»Hier entlang.« Die Ärztin aus der Notaufnahme schiebt mich in den kühlen, sterilen Raum, der sich als Pathologie entpuppt.
Auf dem Tisch liegt die Leiche meines Bruders, reglos unter einem weißen Laken.
Der Schock erschüttert meinen Körper, legt sich schwer auf meine Brust, presst den Atem aus meiner Lunge. Nichts hätte mich auf diesen Anblick vorbereiten können.
Kit, mein älterer Bruder.
Mein Prüfstein.
Kit, der zwölfte Earl of Trevethick.
Tot.
»Ja. Das ist er.« Die Worte fühlen sich wie Watte in meinem Mund an.
»Danke, Lord Trevethick«, murmelt die Ärztin.
Scheiße. Das ist jetzt mein Titel.
Ich blicke auf Kit.
Aber er ist es nicht. Stattdessen liege ich auf dem Seziertisch – mit schwersten Verletzungen, zahllosen Prellungen … kalt … tot.
Ich? Aber wie ist das möglich?
Ich sehe zu, wie Kit sich über mich beugt und mir einen Kuss auf die Stirn gibt. »Leb wohl, Scheißkerl«, krächzt er mit vor ungeweinten Tränen rauer Stimme. »Du schaffst das schon. Dafür wurdest du geboren.« Er verzieht das Gesicht zu diesem schiefen, herzlichen Lächeln, das den seltenen Momenten vorbehalten ist, wenn er hackedicht ist.
Kit! Nein! Das muss ein Irrtum sein!
Warte!
»Du schaffst das, Ersatzmann«, sagt er. »Du bist die Dreizehn. Glückszahl.« Sein Lächeln verfliegt, und er verschwindet. Und dann bin plötzlich ich wieder derjenige, der neben dem Seziertisch steht, und beuge mich über seine schlafende Gestalt. Doch die schweren Verletzungen täuschen, denn er schläft nicht … sondern er ist tot.
Nein! Kit! Nein! Doch meine Kehle ist so eng vor Trauer und Schmerz, dass die Worte nicht über meine Lippen kommen.
Nein! Nein!
Mit hämmerndem Herzen wache ich auf.
Wo bin ich?
Ich brauche eine Millisekunde, um mich zu orientieren, während sich meine Augen an das Halbdunkel gewöhnen. Alessia liegt dicht bei mir, den Kopf auf meiner Brust, eine Hand auf meinem Bauch. Nach einem tiefen Atemzug spüre ich, wie meine Panik allmählich zurückweicht wie eine sanfte Welle am Ufer eines Binnenmeers.
Ich bin in Kukës in Nordalbanien, im Haus ihrer Eltern. Jenseits des Sees zeigt sich das erste Licht der Dämmerung.
Alessia ist hier. Bei mir. In Sicherheit. Sie schläft tief und fest. Vorsichtig lege ich den Arm enger um sie, küsse ihr Haar und atme ihren Duft ein. Die Mischung aus Lavendel, Rose und meinem süßen Mädchen beruhigt und erregt mich zugleich.
Mein Körper erwacht, heiße, schwere Begierde strömt hinab in meine südlichen Regionen.
Ich will sie. Noch einmal.
Dieses Verlangen ist noch neu, aber schon jetzt zu einem Teil von mir geworden und immer besonders ausgeprägt, wenn ich in ihrer Nähe bin. Sie ist so hinreißend und bezaubernd, dass ich wie ein Süchtiger nach ihr lechze. Trotzdem widerstehe ich dem Bedürfnis, sie zu wecken, denn diese Frau hat die neun Kreise der Hölle durchgemacht.
Schon wieder.
Verdammt.
Ich zwinge mich, meinen Körper unter Kontrolle zu bringen, und schließe die Augen, als Wut und Reue in mir aufsteigen. Ich habe zugelassen, dass sie mir entrissen wurde, dass dieses gewalttätige Arschloch, ihr sogenannter »Verlobter«, sie mir gestohlen hat. Was sie erdulden musste, will ich lieber nicht wissen, doch ihre Blutergüsse und Schnittwunden lassen Schlimmes ahnen.
So etwas wird nie wieder passieren, das lasse ich nicht zu.
Gott sei Dank, dass sie jetzt in Sicherheit ist.
Lass sie schlafen.
Sanft spiele ich mit ihrem Haar, staune wie gewohnt, wie weich es ist, als ich eine Strähne zärtlich über meinen Mund gleiten lasse.
Meine Liebe. Mein wunderschönes, mutiges Mädchen.
So viel hat sie in der kurzen Zeit erlebt. Menschenhandel, Obdachlosigkeit. Dann, endlich, eine bezahlte Stelle … und der Tag, als wir uns begegnet sind. Und uns ineinander verliebt haben.
Meine bildschöne Putzfrau.
Und künftige Braut.
Ich schließe wieder die Augen, schmiege mich enger an sie, spüre ihre Wärme und nicke ein.
Etwas reißt mich abrupt aus dem Schlaf.
Was war das?
Es muss einige Zeit vergangen sein, denn es ist deutlich heller im Zimmer.
»Alessia!«
Ihre Mutter ruft sie.
Mist! Wir haben verschlafen!
»Alessia! Wach auf. Deine Mutter ruft dich.« Ich küsse ihre Stirn. Mit einem leisen Stöhnen löst sie sich aus meinen Armen und setzt sich auf. »Alessia! Schnell! Dein Vater erschießt uns alle beide, wenn er uns hier findet.«
Unwillkürlich schiebt sich das Bild von gestern Abend vor mein geistiges Auge: ihr Vater mit seiner Schrotflinte vor uns.
Sie werden meine Tochter heiraten.
Wieder ruft ihre Mutter. Alessia schlägt die Augen auf und sieht mich blinzelnd an, mit zerzaustem Haar, schlaftrunken und unglaublich erregend. Auf ihrem Gesicht erscheint ein strahlendes Lächeln, das mich einen Moment lang den bedrohlichen Anblick ihres Vaters mit dem Finger am Abzug vergessen lässt.
»Guten Morgen, Schönheit.« Ich streichle ihre Wange, sorgsam darauf bedacht, die Schramme nicht zu berühren. Sie schließt die Augen und schmiegt sich in die Berührung. »Deine Mutter ruft.«
Sofort reißt sie die Augen auf, und das Lächeln weicht einem erschrockenen Ausdruck. Bis auf das kleine goldene Kreuz um ihren Hals ist sie nackt. »O Zot! O Zot!«
»Genau. O Zot!«
»Mein Nachthemd!«
Ein leises, aber dringliches Klopfen an der Tür ertönt. »Alessia!«, zischt Mrs. Demachi.
»Verdammt! Versteck dich! Ich mache das schon.« Mein Herz hämmert wie verrückt.
Alessia springt aus dem Bett und bietet mir einen Blick auf ihren nackten Prachtkörper, während ich in meine Jeans schlüpfe. Am liebsten würde ich in Gelächter ausbrechen. Es ist, als wären wie Akteure eines billigen Schmierenstücks. Völlig verrückt. Wir sind beide erwachsen und wollen heiraten. Ich sehe zu Alessia hinüber, die sich in ihr züchtiges Nachthemd kämpft, gehe zur Tür und öffne sie mit gespielter Verschlafenheit einen Spalt breit. Wie erwartet steht ihre Mutter davor. »Guten Morgen, Mrs. Demachi.«
»Guten Morgen, Lord Maxim. Alessia?«
»Ist sie schon wieder verschwunden?« Ich setze eine besorgte Miene auf.
»In ihrem Bett ist sie nicht.«
Hinter mir höre ich Alessia über den kalten Fliesenboden tappen, dann schlingt sie die Arme um meine Taille und späht an mir vorbei. »Ich bin hier, Mama«, flüstert sie auf Englisch – meinetwegen nehme ich an.
Verdammter Mist!
Wir sind aufgeflogen, und nun stehe ich vor meiner künftigen Schwiegermutter als Lügner da. Mein entschuldigendes Achselzucken quittiert Shpresa mit einem gänzlich humorfreien Stirnrunzeln.
Scheiße.
»Alessia!«, zischt sie erneut und blickt nervös über ihre Schulter. »Po të gjeti yt atë këtu.«
»E di. E di.« Als Reaktion auf meine finstere Miene lächelt Alessia mir zerknirscht zu und küsst mich zart auf die Lippen, dann schlüpft sie in ihrem hochgeschlossenen Nachthemd zur Tür hinaus und folgt ihrer Mutter mit einem verführerischen Blick über die Schulter die Treppe hinauf. Natürlich verzeihe ich ihr sofort, dass sie mich vor ihrer Mutter als Lügner entlarvt hat, und lausche dem scharfen Getuschel der beiden auf Albanisch. Alessias Vater höre ich nirgendwo.
Ich glaube, wir sind noch mal davongekommen.
Tja, er hat Ja gesagt, sie sei jetzt mein Problem. Verärgert schüttle ich den Kopf und schließe die Tür. Alessia ist kein Problem, verdammt noch mal! Sie ist eine Frau, die weiß, was sie will. Wie kann er so etwas denken? Es bringt mich auf die Palme. Kulturell betrachtet liegen Welten zwischen mir und ihrem Vater, und bei allem Respekt, den ich ihm entgegenbringen will, sollte ihm dringend jemand klarmachen, dass wir im einundzwanzigsten Jahrhundert leben. Es liegt auf der Hand, weshalb Alessia ihn satthat. Schon in Cornwall hat sie sein aufbrausendes Naturell erwähnt. Ihn vermisse sie überhaupt nicht, sondern nur ihre Mutter, meinte sie.
Je schneller wir von hier verschwinden, desto besser.
Wie lange dauert es, bis wir heiraten können?
Vielleicht sollten wir das Ganze einfach sausen lassen.
Und durchbrennen?
Wir könnten im Plaza Hotel in Tirana unterschlüpfen, bis sie ihren neuen Pass bekommt, und gemeinsam die Stadt erkunden. Wie lange dauert die Ausstellung so eines Passes überhaupt? Lange genug, dass ihr Vater uns mit seiner Flinte verfolgen kann? Keine Ahnung, außerdem bezweifle ich, dass Alessia von der Idee so begeistert wäre.
Doch diese ständige Heimlichtuerei ist absolut lächerlich. Als wären wir ins Mittelalter zurückversetzt, und ich bin nicht sicher, wie lange ich noch mitspielen will.
Ich sehe auf die Uhr. Es ist immer noch früh, deshalb ziehe ich meine Jeans wieder aus und gehe zurück ins Bett. Dann liege ich da, starre an die Decke und lasse die Ereignisse der letzten Tage Revue passieren, während mir Fetzen meines Traums von heute Morgen in den Sinn kommen.
Was zum Teufel hatte das denn zu bedeuten?
Kit?
Der damit einverstanden ist, dass ich den Familientitel erbe.
Darum ging es?
Würde er meinen übereilten Antrag und diese Heirat unter dem Vorwand einer Schwangerschaft gutheißen?
Wohl kaum. Vielleicht ist das die Bedeutung des Traums. Wenn ich es mir recht überlege, wird vermutlich niemand aus meiner Familie begeistert sein. Ich schließe die Augen und male mir die Reaktion meiner Mutter auf diese Neuigkeit aus. Vielleicht freut sie sich ja, mich unter der Haube zu sehen … endlich.
Bestimmt nicht. Sie wird schäumen vor Wut. Garantiert.
Vielleicht steht der Traum ja dafür, dass Kit seine Solidarität anbietet.
Könnte sein.
Ja.
Bestimmt ist das die Bedeutung des Traums.
Ihre Mutter ist stocksauer, und Alessia weiß nicht, was sie tun soll, um sie zu besänftigen.
»Was hast du dir dabei gedacht?«, schimpft Shpresa.
Alessia hebt nur eine Braue.
»Alessia!« Ihre Mutter interpretiert die Geste völlig richtig. »Dass dieser Mann dir deine Jungfräulichkeit genommen hat, heißt noch lange nicht, dass du nicht bis nach der Hochzeit warten musst.«
Mama!
»Wenn dein Vater dich erwischt!« Shpresa seufzt. »Ich glaube, er ist weggegangen. Vielleicht, um nach dir zu suchen. Wenn er wüsste, was du hier treibst, bekäme er bestimmt einen Herzinfarkt.« Sie schnalzt mit der Zunge, doch ihre Züge sind eine Spur weicher geworden, als sie ins Wohnzimmer treten. »Du bist ja bereits schwanger, deshalb …« Resigniert zuckt sie mit den Achseln.
Alessia spürt, wie sie rot wird. Soll sie ihrer Mutter die Lüge beichten?
»Er ist ja gut in Form, dein attraktiver Adliger.« Shpresa mustert ihre Tochter mit einem neckenden Lächeln.
»Mama!«
»Er hat eine Tätowierung.«
»Ja. Es ist das Wappen seiner Familie.«
»Verstehe.« Missbilligend schürzt Shpresa die Lippen.
Jetzt zuckt Alessia mit den Achseln. Ihr gefällt sein Tattoo.
Ihre Mutter lächelt. »Und behandelt er dich auch gut … im Bett?«
»Mama!« Alessias Stimme erhöht sich um mehrere Oktaven.
»Aber so was ist doch wichtig. Ich will, dass du glücklich bist, und du musst ihn glücklich machen. Außerdem kommt bald das Kind, und dann … nun ja …« Ihre Mutter schnaubt. Die Enttäuschung dringt ihr aus sämtlichen Poren, während Alessia sie mit ausdrucksloser Miene ansieht.
Was soll sie jetzt machen? Ihren Eltern sagen, dass sie sie belogen hat?
Und so erging es ihrer Mutter nach Alessias Geburt?
Darüber will sie lieber gar nicht erst nachdenken. Außerdem ist es noch viel zu früh am Tag für so ein Gespräch.
»Ich glaube, er ist glücklich«, sagt sie schließlich.
»Gut. Wir können auch gern ausführlicher darüber sprechen.«
»Ich will aber nicht ausführlicher darüber sprechen«, erwidert Alessia entsetzt.
»Hast du denn gar keine Fragen?«
Allein bei dem Gedanken wird Alessia blass. »Nein!«
»Nun ja, dafür ist es wohl auch ein bisschen zu spät. Aber solltest du doch noch Fragen haben, sind dein Vater und ich …«
»Mama, hör auf!« Alessia presst sich die Hände auf die Ohren. »Ich will das alles gar nicht wissen.«
Ihre Mutter lacht gutmütig. »Wie schön, dass du wieder da bist, mein Herz. Du hast mir so gefehlt.« Ihr Lachen verklingt, und ihre Miene wird ernst. »Ich habe die halbe Nacht wach gelegen, weil ich daran denken musste, was Lord Maxim gesagt hat. Ich konnte vor Sorge gar nicht schlafen.«
»Was denn, Mama?«
Shpresa holt tief Luft, als müsse sie sich innerlich für das Grauenvolle wappnen, das sie gleich aussprechen wird. »Er hat etwas von Sexhandel gesagt.«
Alessia keucht. »Ach, Mama, ich muss dir so viel erzählen, aber jetzt gehe ich erst einmal duschen.«
Ihre Mutter schließt Alessia in die Arme. »Mein süßes Kind«, sagt sie ihr leise ins Ohr. »Ich bin so froh, dass du zu Hause bist. Und in Sicherheit.«
»Ich auch, Mama. Und kein Anatoli mehr.«
Shpresa nickt. »Und dein Verlobter … Neigt er auch zur Gewalttätigkeit?«
»Nein. Nein. Das tut er nicht. Ganz im Gegenteil.«
Ihre Mutter lächelt. »Wann immer du von ihm sprichst, strahlst du mit der Sonne um die Wette.« Sie nimmt Alessias Hand und betrachtet bewundernd den Verlobungsring an ihrem Finger. »Er hat Geld und Geschmack.«
Nickend blickt Alessia auf den funkelnden Brillantring.
Der nun ihr gehört.
Sie kann es immer noch kaum fassen.
»Geh duschen. Ich mache das Frühstück.«
Alessia steht unter dem warmen Duschstrahl im Familienbadezimmer. Es kommt zwar nicht mit demselben Druck aus der Leitung wie in Cornwall, trotzdem genießt sie die Wärme, während sie sich abschrubbt. Zum ersten Mal gestattet sie sich, die Ereignisse der vergangenen Tage Revue passieren zu lassen.
Anatoli. Ihre Entführung. Die lange Reise hierher. Seine Brutalität.
Ein Schauder überläuft sie. Jetzt ist er nicht länger Teil ihres Lebens. Wofür sie dankbar ist.
Und sie wurde mit offenen Armen zu Hause aufgenommen. Selbst ihr Vater hat zugegeben, dass er sie vermisst hat.
Alessia schließt die Augen und massiert energisch das Shampoo in ihr Haar, während sie mit ihrem schlechten Gewissen kämpft. Dass sie ihre Eltern belogen hat, fühlt sich wie ein schmerzhafter Dorn in ihrem Fleisch an.
Natürlich ist sie nicht schwanger, aber soll sie ihnen die Wahrheit gestehen?
Was würde ihr Vater dazu sagen? Was würde er tun?
Sie hebt das Gesicht und lässt das warme Wasser über sich hinwegspülen.
Und dann ist da noch Maxim.
Sie muss lächeln. Nur ihretwegen hat er einen ganzen Kontinent durchquert, mit einem Ring im Gepäck, um sie um ihre Hand zu bitten. Das hätte sie weder in ihren kühnsten Träumen erwartet noch gehofft. Nun muss sie herausfinden, was Maxim davon hält, eine albanische Hochzeit aufgezwungen zu bekommen.
Gestern Abend hatte er jedenfalls keine Einwände.
Trotzdem wünschte sie, ihr Vater wäre weniger beharrlich.
Sie wäre sehr viel lieber wieder in London und fürchtet, dass es Maxim genauso geht. Wie lange hält er es noch in Kukës aus, bevor ihm langweilig wird? Er ist an ein gänzlich anderes Leben gewöhnt, und hier gibt es nur wenig Ablenkung. Vielleicht sollten sie aus Kukës verschwinden und in England heiraten.
Käme das für Maxim infrage? Alessia spült ihr Haar mit klarem Wasser aus und hält inne.
Nein. Mama!
Sie kann ihre Mutter nicht zurücklassen, wo sie ihrem Vater ausgeliefert ist, sondern müsste sie mitnehmen. Ginge das? Hätte Maxim etwas dagegen? Schließlich spricht Shpresa fließend Englisch. Ihre Mutter, Alessias geliebte Großmutter Virginia, war Britin gewesen. Folglich müssten sie eigentlich Familie in England haben. Alessia hat keine Ahnung. Ihre Nana hat nie über ihre Herkunft gesprochen, weil ihre Familie damals gegen die Heirat mit einem Albaner gewesen war.
Wird es dasselbe mit Maxims Familie sein?
Werden sie auch mich ablehnen?
Der Gedanke lässt sie erschaudern. Maxim, der seine mittellose ausländische Putzfrau heiratet. Natürlich werden sie dagegen sein. Alessias Stimmung verdüstert sich.
Was kann ich tun?
Vielleicht sollten sie ja erst heiraten, nachdem sie seine Familie kennengelernt und herausgefunden hat, ob sie sie akzeptieren oder eben nicht, denn tief im Herzen wünscht sie sich ihren Segen.
Aber zuerst muss sie ihren Vater und dessen Erwartungen in den Griff bekommen. Er ist ein sturer, stolzer Mann mit einem schwer zu zügelnden Temperament und hat klipp und klar gesagt, dass er sie bis zum Ende der Woche verheiratet sehen will.
Geht das überhaupt?
Sie wäscht sich das Gesicht. Es gibt eine Menge zu tun. Und eine Menge, worüber sie nachdenken muss.
Ihre Mutter blickt auf und mustert sie, als Alessia die Küche betritt. »Du siehst anders aus«, bemerkt sie und stellt den Teig, den sie geknetet hat, zur Seite, damit er gehen kann.
»Liegt es an den Kleidern?« Alessia dreht sich um die eigene Achse. Sie trägt einen Rock, ein Oberteil und eine Strickjacke, alles Sachen, die Maxim ihr in Padstow gekauft hat.
»Ja, kann sein. Du wirkst abgeklärter.« Ihre Mutter tritt an die Spüle und wäscht sich die Teigreste von den Händen.
»Das bin ich auch«, antwortet Alessia leise. Sie wurde quer durch Europa verschleppt, war obdachlos, hat in einer der belebtesten Städte der Welt gelebt und sich verliebt … ehe ihr all das entrissen wurde, als ihr Verlobter sie entführte und um ein Haar vergewaltigte. Alessia erschaudert.
Denk nicht an ihn.
»Kaffee?«, fragt ihre Mutter.
»Ja, aber ohne Zucker.« Sie setzt sich an den Tisch.
Shpresa sieht sie erstaunt an. »Schmeckt er so überhaupt?«
»Man gewöhnt sich daran.«
Shpresa stellt eine Tasse vor Alessia hin und setzt sich mit ihrer eigenen Tasse gegenüber von ihr an den Tisch. »Erzähl. Was ist passiert, nachdem ich dich an der Straße nach Shkodër in den Kleinbus gesetzt habe?«
»Ach, Mama.« Alessias Lippen beben, als das enorme Ausmaß dessen, was ihr seit ihrer Abreise aus Albanien widerfahren ist, wie eine Woge in ihr aufsteigt. Stockend und zwischen Tränen schildert sie ihrer Mutter die ganze Geschichte.
Als ich erneut aufwache, fühle ich mich erfrischt und ausgeruht. Die Sonne steht höher am Himmel. Es ist halb zehn. Ziemlich spät. Eilig ziehe ich Jeans, T-Shirt und einen Pulli an. Demnächst muss ich ins Hotel und meine Sachen holen, aber vorher muss ich Genaueres über unsere erzwungene Hochzeit in Erfahrung bringen.
Im Esszimmer sitzen Alessia und ihre Mutter leise weinend am Tisch.
Was um alles in der Welt ist hier los?
»Was ist denn passiert?«, frage ich besorgt. Beide zucken vor Schreck zusammen.
Eilig wischt Alessia sich die Tränen ab, springt auf und stürzt sich in meine Arme.
»Hey, was ist passiert?«
»Gar nichts. Ich bin nur froh, dass du hier bist.« Sie schlingt die Arme um mich.
Shpresa erhebt sich ebenfalls und tupft sich die Augen trocken. »Guten Morgen, Lord Maxim.«
»Guten Morgen. Äh … Maxim reicht völlig aus.«
Sie lächelt verkniffen. »Kaffee?«
»Gern.«
»Kein Zucker, Mama«, sagt Alessia.
Ich hebe ihr Kinn an und blicke in ihre dunklen, traurigen Augen, die viel zu viel gesehen haben. Mein Herz zieht sich zusammen.
Meine Liebste.
»Warum bist du so aufgelöst?«
»Ich habe Mama erzählt, was passiert ist, nachdem ich aus Kukës fortgegangen bin.«
Mein Beschützerinstinkt tritt zutage. Ich ziehe sie enger an mich. »Verstehe.« Ich küsse ihr Haar und halte sie in den Armen, voller Dankbarkeit, dass all diese Qualen nun hinter ihr liegen. »Aber jetzt bin ich hier und werde dich nicht mehr aus den Augen lassen.«
Nie wieder.
Die Heftigkeit meiner Gefühle erstaunt mich. Ich will sie tatsächlich keine Sekunde aus den Augen lassen, weil sie schon mehr als genug durchgemacht hat. »Das ist mein voller Ernst«, füge ich hinzu. Mit den Fingerspitzen streicht sie über mein stoppeliges Kinn. Die Berührung hallt in mir wider … überall. »Ich muss mich rasieren.«
Sie grinst. »Dabei würde ich gern zusehen.«
»Tatsächlich?« Ich hebe vielsagend eine Braue.
Die Niedergeschlagenheit in ihren Augen ist einem belustigten Glitzern gewichen, auf das meine Lenden unmittelbar reagieren.
Das Geklapper der kleinen blechernen Kaffeekanne zerstört die Magie des Augenblicks jäh. Ich drücke Alessia einen Kuss auf die Nasenspitze und ziehe sie ein weiteres Mal an mich, während ich mich mit einem dümmlichen Grinsen umdrehe und die komplexe Prozedur der Kaffeezubereitung verfolge, bei der ihre Mutter mit einem langen Kaffeelöffel konzentriert in der Kanne rührt.
Mrs. Demachi lächelt mir flüchtig zu. »Setzen Sie sich doch«, sagt sie. Mit einem Seitenblick auf die Flinte an der Wand lasse ich meine Verlobte los und nehme Platz.
Alessia holt eine Tasse mit Untertasse aus dem Schrank. Sie trägt den dunklen Jeansrock, den wir in Padstow gekauft haben und der sich perfekt um ihren wohlgeformten Hintern schmiegt.
Sie ist atemberaubend.
Ich rutsche auf meinem Stuhl nach hinten, während Alessia mir Kaffee aus der kleinen Kanne einschenkt. »Hier«, sagt sie und schiebt mir die Tasse hin, wobei ich das entzückte Funkeln in ihren dunklen Augen bemerke. Sie weiß genau, dass ich sie anstarre, und genießt es. Grinsend hebe ich die Tasse an meine Lippen und puste auf das heiße Getränk, wobei ich sie über den Rand hinweg ansehe. Ihre Lippen teilen sich, und sie holt scharf Luft. Mein Grinsen wird breiter.
Tja, was du kannst, kann ich auch.
Das Räuspern ihrer Mutter katapultiert uns in die Realität der Küche zurück. Alessia lacht und sagt etwas auf Albanisch zu Mrs. Demachi, die in stummer Missbilligung nickt.
Vorsichtig nippe ich an meinem Kaffee, der siedend heiß, aromatisch und bitter schmeckt, aber herrlich wärmt. Alessias Mutter zündet den Ofen an und rollt mit routinierten Bewegungen einen Teig aus, den sie zuerst in Streifen, dann in Quadrate schneidet. Ihre Geschwindigkeit ist beeindruckend. Kein Wunder, dass Alessia so gut kochen kann. Alessia tritt zu ihr, und fasziniert sehe ich zu, wie die beiden Frauen mit den Händen kleine, runde Teigbällchen formen. Ihre entspannte Routine lässt mich an Jessie und Danny in Tresyllian Hall in Cornwall denken. Alessias Mutter legt die Teigkugeln dicht nebeneinander auf ein Backblech, und Alessia streicht mit einem Plastikpinsel Milch darauf. Ihre Versiertheit und ihr eingespieltes Miteinander haben etwas Tröstliches.
Verdammt, wo sind eigentlich meine Manieren?
»Kann ich irgendwie helfen?«, fragt Maxim.
Alessia schüttelt den Kopf, wohingegen ihre Mutter nickt. »Nein, Mama. Nicken bedeutet Ja.«
Shpresa lacht. »Wir sind nicht daran gewöhnt, dass Männer in der Küche helfen.« Ihre Augen blitzen humorvoll, während sie das Backblech in den Ofen schiebt.
Alessia deckt den Tisch. »Ich habe dir doch gesagt, dass in diesem Land nur die Frauen kochen«, sagt sie zu Maxim.
Das Frühstück ist ein Festmahl. Ich bin bereits bei der vierten Scheibe des herrlich frisch gebackenen Brots mit hausgemachter Beerenmarmelade und der zweiten Tasse Kaffee, als die Haustür zugeschlagen wird. Augenblicke später steht Mr. Demachi in einem dunklen Anzug und mit schwer zu deutender Miene im Türrahmen. Sofort springt Shpresa auf und gibt Wasser in die blecherne Kaffeekanne.
Vielleicht braucht sie eine größere.
Alessia steht ebenfalls auf, nimmt einen Teller und ein Messer aus dem Schrank und stellt beides ans Tischende. Demachi setzt sich, und es liegt auf der Hand, dass das hier normal ist. Der Mann wurde sein ganzes Leben lang bedient.
Äh … genauso wie ich. Aber nicht von meiner Mutter – oder von meiner Schwester.
»Mirëmëngjes«, knurrt er und sieht mich mit seinem gewohnt undurchdringlichen Gesichtsausdruck an.
»Mein Vater wünscht dir einen guten Morgen«, übersetzt Alessia amüsiert.
Wieso findet sie das witzig?
»Guten Morgen.« Ich nicke meinem künftigen Schwiegervater zu.
Er sagt etwas. Alessia und ihre Mutter lauschen gebannt seiner tiefen Stimme, während er ihnen etwas erklärt. Ich wünschte, ich könnte es verstehen.
Schließlich wendet Alessia sich mir zu. Ihre Augen sind weit aufgerissen, als könne sie selbst nicht recht glauben, was sie mir gleich sagen wird. »Mein Vater hat unsere Eheschließung arrangiert.«
So schnell?
Ich sehe sie ungläubig an. »Wie das?«
»Du brauchst nur deinen Pass.«
Wir sehen einander an, und ich glaube, wir denken beide dasselbe.
Das klingt viel zu einfach.
Ich suche seinen Blick, und er reckt mit einer arrogant-provozierenden Geste das Kinn, als warte er nur darauf, dass ich Einwände erhebe.
»Er hat mit dem Beamten vom … Heiratsamt gesprochen. Tut mir leid, aber ich kenne den richtigen Ausdruck auf Englisch nicht«, erklärt Alessia. »Sie haben heute Morgen Kaffee getrunken und alles besprochen.«
An einem Sonntag? So einfach ist das hier?
»Okay. Wann?« Ich bemühe mich um einen ruhigen Tonfall, weil ich den alten Bock nicht reizen will. Er hat eine kurze Lunte – beinahe so schlimm wie mein Freund Tom.
»Am Samstag.«
Leiser Zweifel regt sich in mir. »Okay«, sage ich noch einmal. Mein kurzes Zögern hat mich offensichtlich verraten, denn Mrs. Demachi blickt besorgt von mir zu ihrem Mann, dann zu ihrer Tochter.
Alessia sagt etwas zu ihrem Vater, der sie anschnauzt, was uns alle vor Schreck zusammenzucken lässt. Sie wird blass und lässt den Kopf hängen, wirft mir jedoch einen verstohlenen Blick zu, als ich meinen Stuhl zurückschiebe.
So sollte er nicht mit ihr reden.
»Der Beamte und er sind gute Freunde«, sagt Alessia hastig. »Alte Freunde. Ich glaube, ich kenne ihn ebenfalls. Mein Vater sagt, es ist alles in die Wege geleitet.« Offensichtlich ist sie an seine Ausbrüche gewöhnt, trotzdem wirkt auch sie leicht verunsichert.
So wie ich. Dieses Arrangement ist für meinen Geschmack viel zu mühelos … als käme es mehr als gelegen.
Trotz meiner Verwirrung reiße ich mich zusammen, um den Mann nicht unnötig zu reizen. »Und was muss ich tun?«
»Wir müssen uns morgen mit dem Beamten in der Bashkia treffen … also, im Rathaus … Dort müssen wir ein paar Fragen beantworten und Papiere ausfüllen.« Sie zuckt mit den Achseln. Ihre besorgte Miene spiegelt exakt das wider, was ich empfinde.
Na gut, dann reden wir eben mit dem Standesbeamten.
Heftige Gewissensbisse überkommen mich, als ich unter dem kümmerlichen Duschstrahl stehe und mir die Haare wasche. Eine kurze Recherche im Internet auf meinem Handy hat ergeben, dass eine Eheschließung für einen Ausländer innerhalb Albaniens sehr viel komplizierter ist, als Alessias Vater zu glauben scheint. Formulare müssen ausgefüllt, übersetzt und notariell beglaubigt werden – und das hat nur eine oberflächliche Suche ergeben, die Details könnten noch viel umfassender sein.
Was hat ihr Vater da eingefädelt?
Wie hat er es geschafft, die üblichen amtlichen Vorgehensweisen zu umgehen?
Ist diese Eheschließung in diesem Fall überhaupt legal?
Falls nicht, stellt sich die Frage, wie diese nicht rechtsgültige Heirat einen stolzen, ungeduldigen alten Mann wie ihn besänftigen soll. Natürlich wird er mein Schwiegervater, aber was er verlangt, ist schlicht zu viel. All das Geschwafel über Ehre von gestern Abend ist doch sinnlos, wenn er so mit seiner Tochter umspringt.
Ich stecke in der Klemme. Ohne Alessia kann ich Albanien nicht verlassen, und mir ist klar, dass der alte Mistkerl mir nicht erlauben wird, sie mitzunehmen. Um in Großbritannien einreisen zu dürfen, braucht sie einen Pass und ein Visum, und ich habe keine Ahnung, wo oder wie ich beides beschaffen soll. Wahrscheinlich in Tirana. Ich weiß es nicht.
Andererseits hat er gesagt, sie sei jetzt mein Problem.
Vielleicht sollte ich ihn ja beim Wort nehmen.
Ich drehe die Dusche ab. Meine Lage irritiert und ärgert mich – wie die Pfütze, die ich auf dem Badezimmerfußboden hinterlassen habe. Die albanischen Rohrleitungen scheinen nicht sonderlich viel zu taugen. Ich ziehe ein Handtuch vom Haken, um mich abzutrocknen, schlüpfe in meine Sachen und öffne die Tür.
Alessia steht davor und schwenkt ein raffiniert aussehendes Reinigungsgerät für die Dusche. Erfreut und überrascht lache ich auf und sehe sie wieder vor mir, wie sie in ihrem potthässlichen Nylonkittel in meiner Wohnung herumwerkelte, wobei ich sie immer wieder beobachtete … und mich in sie verliebte.
Grinsend legt sie sich den Zeigefinger auf die Lippen.
»Weiß er, dass du hier bist?«, flüstere ich.
Sie schüttelt den Kopf, schiebt mich ins Badezimmer, lässt den Wischmopp fallen und verriegelt die Tür.
»Alessia«, warne ich, doch sie legt beide Hände um mein Gesicht und zieht mich zu sich herunter. Ihr Kuss ist voll zärtlicher Süße und zugleich verlangend – erstaunlich verlangend. Sie presst sich gegen mich, schiebt mir gierig ihre Zunge zwischen die Lippen, während ich die Augen schließe, die Arme um sie schlinge und mich ihrem hingebungsvollen Kuss ergebe, der augenblicklich fordernder wird. Sie vergräbt die Finger in meinem noch nassen Haar, packt es und zieht meinen Kopf leicht nach hinten, was meinen ungeduldigen Schwanz hellwach werden lässt.
Verflucht, gleich treiben wir es hier.
In einem albanischen Badezimmer mit leckenden Rohrleitungen.
Kurz löse ich mich von ihr, um Atem zu schöpfen, und blicke in Alessias Augen, die dunkel und voller Verheißung glitzern, doch ich erkenne auch einen Anflug von Verunsicherung darin.
»Was?«, frage ich.
Sie schüttelt den Kopf.
»Nein.« Ich lege die Hände um ihr Gesicht und sehe ihr in die Augen. »Sosehr ich dich will, werden wir nicht in diesem Badezimmer vögeln. Deine Eltern sind im Haus, und ich habe kein Kondom bei mir. Und jetzt sag mir, was los ist. Liegt es an der Hochzeit?«
»Ja.«
Erleichtert atme ich auf und lasse sie los. »Ja. Was dein Vater da eingefädelt hat … keine Ahnung, ob es rechtmäßig ist.«
»Ich weiß. Meine Eltern wollen heute Nachmittag die … Arrangements mit uns besprechen. Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Wahrscheinlich hängt es damit zusammen, dass mein Vater glaubt, ich sei schwanger. Deshalb hat er mit den Strippen gespielt.«
Das Bild des bösen Marionettenspielers mit Alessia und mir als seinen Puppen kommt mir in den Sinn. Ich muss lachen. »Es heißt ›die Strippen ziehen‹.«
Mit einem verschämten Lächeln wiederholt sie die Redewendung.
»Es macht dir immer noch nichts aus, wenn ich dein Englisch korrigiere?«
»Nein.«
Gut. Also, Plan A.
»Lass uns verschwinden. Du musst nicht hierbleiben. Du bist eine erwachsene Frau und deinem Vater nicht verpflichtet, auch wenn er das anders sieht. Wir können nach Tirana fahren, dir einen Pass und ein Visum besorgen, und dann fliegen wir nach Großbritannien und heiraten dort. Deine Eltern können gern zur Hochzeit kommen.«
Alessias Augen weiten sich, und unterschiedliche Gefühlsregungen zeichnen sich auf ihrer Miene ab. Am Ende scheint die Hoffnung die Oberhand zu gewinnen, was mich ahnen lässt, dass auch sie diese Möglichkeit bereits in Erwägung gezogen hat.
Doch dann verdüstern sich ihre Züge. Ich ziehe sie wieder an mich. »Wir kriegen das schon hin«, sage ich und hauche ihr einen Kuss aufs Haar.
Sie hebt den Kopf und scheint zu überlegen, ob sie mich etwas fragen soll.
»Was?«
»Nein, nein, schon okay.«
»Was?«, beharre ich.
Sie schluckt. »Meine Mutter.«
»Was ist mit ihr?«
»Ich kann sie nicht hierlassen, bei ihm.«
»Willst du, dass sie mit uns kommt?«
»Ja.«
Mist. »Okay. Wenn es das ist, was du willst.«
Alessia sieht mich verblüfft an. »Du bist einverstanden?«
»Ja.«
Sie strahlt wie ein Weihnachtsbaum, oder als hätte jemand ein gewaltiges Gewicht von ihren Schultern genommen, und schlingt mir die Arme um den Hals. »Danke. Danke. Danke«, sagt sie zwischen Küssen und lacht und weint gleichzeitig.
Oh, Baby.
»Nicht weinen. Ich würde alles für dich tun. Das müsstest du doch wissen. Ich liebe dich.« Mit den Daumen wische ich ihr die Tränen ab und streichle ihr Gesicht. »Wie gesagt, wir finden eine Lösung. Wir überlegen uns etwas.«
Sie sieht mich voller Bewunderung an, als hätte ich die Antwort auf alle Fragen des Universums. Eine angenehme Wärme durchströmt mich. Ihr Vertrauen und ihr Glaube an mich sind erstaunlich, doch es fühlt sich verdammt gut an.
Und ich weiß, dass ich alles für sie tun würde.
Es ist dunkel draußen, als ich zum Bett taumle und versuche, mir meinen Pulli über den Kopf zu streifen, der jedoch erbitterten Widerstand leistet und schließlich den Kampf gewinnt. »Scheiße!« Ich falle aufs Bett und starre an die Decke, die vor meinen Augen verschwimmt.
O Gott, warum habe ich bloß so viel getrunken?
Den ganzen Nachmittag musste ich um meine Beherrschung ringen, während wir über der Planung der Hochzeit mit Alessias Eltern beisammensaßen, und der Raki am Ende war ein echter Fehler. Der Raum dreht sich um mich, deshalb schließe ich die Augen und bete darum, einschlafen zu können.
Irgendwann erwache ich aus einem traumlosen Schlaf. Es ist alles still. Und hell.
Nein. Es blendet.
Zuerst kneife ich die Augen zusammen, öffne sie dann vorsichtig wieder, als der Schmerz sich mit laserartiger Präzision durch mein Gehirn fräst, nur um sie sofort wieder zu schließen.
O Gott, ich fühle mich grauenhaft.
Ich ziehe mir die Decke über den Kopf und versuche, mich zu erinnern, wo und wer ich bin und was gestern Abend passiert ist.
Raki.
Ein Glas nach dem anderen.
Alessias Vater hat mich regelrecht abgefüllt mit diesem Teufelszeug. Stöhnend bewege ich Finger und Zehen und stelle erfreut fest, dass sie noch funktionieren. Ich taste neben mich, doch das Bett ist leer.
Keine Alessia.
Langsam öffne ich die Augen, schlage die Bettdecke zurück und ignoriere den scharfen Schmerz in meinen Frontallappen, während ich den Blick durch den Raum schweifen lasse. Ich bin zwar allein, doch auf dem Nachttisch liegt das kleine Drachennachtlicht. Alessia muss es aus London mitgebracht haben. Der Gedanke ist rührend.
War sie gestern Abend auch hier?
Vage erinnere ich mich daran, dass sie zu mir gekommen ist, mich vielleicht auch ausgezogen hat. Bis auf meine Unterwäsche bin ich nackt, also muss es so gewesen sein.
Verdammt. Ich bin komplett aus den Latschen gekippt und habe keinerlei Erinnerung daran, dass sie hier war.
Wieso habe ich mich von ihm dermaßen abfüllen lassen?
War das die Rache, weil ich Sex mit seiner Tochter hatte?
Und was genau ist passiert?
Erinnerungsfetzen lösen sich aus dem Nebel meines schmerzenden Schädels. Alessia und ich hatten uns mit ihren Eltern an einen Tisch gesetzt, um die Hochzeit zu besprechen. Ich schließe die Augen und versuche, mir Einzelheiten ins Gedächtnis zu rufen.
Soweit ich verstanden habe, werden wir uns von der albanischen Tradition lösen, indem wir nur einen einzigen Tag feiern statt wie üblich mehrere. Erstens weil ich Brite bin und hier weder Familie noch ein Zuhause habe, zweitens weil alles sehr schnell geht, da Alessia »in anderen Umständen ist«. Demachi hat mich mit einem vernichtenden Blick gestraft, während Alessia mit hochroten Wangen seine Worte für mich übersetzt hat.
Ich seufze. Vielleicht sollten wir unsere Lüge ja beichten. Möglicherweise rudert er dann zurück.
Und erlaubt mir, sie nach Großbritannien zurückzubringen und dort zu heiraten.
Die Zeremonie und anschließende Feier finden am Samstag statt und beginnen um die Mittagszeit, nicht erst am Abend. Auch das ist ein Bruch mit der Tradition, aber da ich bei der Familie meiner Braut lebe, sei es besser so. Zumindest haben sie das behauptet. Außerdem muss der Standesbeamte an dem Abend noch ein weiteres Paar trauen.
Die Feier wird hier im Haus der Demachis abgehalten werden, und Mr. Demachi wollte wissen, ob meine Familie käme. Das konnte ich sofort klarstellen – meine Mutter halte sich derzeit in New York auf und würde es nicht rechtzeitig schaffen, und meine Schwester bekäme als Ärztin so kurzfristig nicht frei –, allerdings habe ich versichert, dass wir nach unserer Rückkehr in London feiern werden. Meine Ausrede schien den alten Bock zu besänftigen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass meine Familie diese Hochzeit gutheißen wird, und will ihnen keine Gelegenheit geben, sich dagegen zu sträuben oder die Legitimität dieser Verbindung infrage zu stellen. Ich hoffe jedoch, dass mein Sparringspartner Joe Diallo kommen wird, sodass ich ihn und Tom Alexander an meiner Seite hätte, meine beiden ältesten Freunde.
Das zählt doch bestimmt auch.
Ich habe meinem künftigen Schwiegervater angeboten, die Kosten für die Feier zu übernehmen, was er jedoch sichtlich gekränkt abgelehnt hat.
Junge, Junge, der Typ hat seinen Stolz.
Jedenfalls wollte er nichts davon hören. Ich habe den Verdacht, dass er ein etwas melodramatischer Mensch ist. Also habe ich einen Kompromiss vorgeschlagen, und wir haben uns darauf geeinigt, dass ich den Alkohol bei der Feier bezahlen werde. Ärgerlich ist nur, dass er pleite wäre, sollten Alessia und ich beschließen, es doch nicht durchzuziehen.
Aber das ist sein Problem, verdammt.
Außerdem ging es bei dem Gespräch auch noch um die Ringe, aber was war das bloß?
Ringe! Ich muss die Ringe besorgen.
Hier?
Mir dreht sich alles, als ich mich aufsetze. Sobald ich wieder klar sehen kann, stehe ich auf, ziehe meine Jeans an und mache mich auf die Suche nach meiner zukünftigen Frau. Ich erinnere mich, dass Alessia und ich heute einiges vorhaben. Wir müssen aufs Polizeirevier, um ihren neuen Pass zu beantragen, und dann in die Stadt, wo wir mit dem Standesbeamten verabredet sind und herausfinden wollen, ob das, was Demachi geplant hat, tatsächlich rechtmäßig ist.
Genau. Das ist der Plan.
Ich ziehe mein Handy heraus und sehe, dass Caroline mir gestern Abend zwei Nachrichten geschickt hat.
Wo steckst du? Hast du sie gefunden?
Ruf mich an. Ich mache mir Sorgen um dich.
Erstaunlicherweise gehorchen mir meine beiden Daumen, sodass ich ihr eine kurze Antwort schicken kann, wohl wissend, dass sie einen Suchtrupp losschickt, wenn sie nichts von mir hört.
Alles bestens. Hab sie gefunden. Melde mich später.
Sie flippt aus, wenn sie von meiner Hochzeit erfährt, das sagt mir mein Bauchgefühl. Vielleicht sollte ich es ihr erst erzählen, wenn ich sie sehe.
Feigling.
Ich massiere meine Schläfen, hinter denen immer noch der Schmerz hämmert. Wenn ich Caroline einweihe, muss ich es auch Maryanne und meiner Mutter erzählen, und dieses Gespräch will ich nun wirklich nicht führen, schon gar nicht mit einem Riesenkater. Dafür bin ich noch nicht bereit. Vorher muss ich erst in Erfahrung bringen, wo Alessia und ich rechtlich gesehen stehen; vielleicht weihe ich dann die werte Frau Mutter ein, möglicherweise warte ich aber auch bis zum Tag vor der Trauung.
Ich ziehe ein T-Shirt über und stecke mein Handy ein. All das kann warten. Jetzt brauche ich erst einmal eine Kopfschmerztablette und eine Tasse Kaffee, am besten in dieser Reihenfolge.
Alessia und ihre Mutter sitzen am Esstisch und trinken Kaffee.
»Mama, hast du eigentlich meinen Personalausweis?«
»Natürlich, Herzchen. Ich hüte ihn wie einen Schatz, seit du weggegangen bist.«
Alessias Kehle wird eng, und sie drückt die Hand ihrer Mutter. »Ich habe oft an dich gedacht, während ich weg war«, sagt sie mit vor Rührung belegter Stimme. »Ich hatte weder Fotos noch mein Handy. Die Männer … Sie haben mir alles weggenommen. Auch meinen Pass. Ich bin froh, dass ich den Ausweis bei dir gelassen habe. Ich muss einen neuen Pass beantragen.«
»Ich hole ihn dir gleich. Gut, dass der Kratzer auf deiner Wange fast verheilt ist. Genauso wie die blauen Flecke. Sie sind schon viel blasser geworden.« Mit schmalen Lippen mustert sie ihre Tochter. »Am liebsten würde ich Anatoli Thaçi eine schallende Ohrfeige verpassen.«
Alessia lächelt. »Das würde ich gern sehen.« Sie lässt Shpresas Hand los und sieht sie besorgt an. Das ist die perfekte Gelegenheit. Seit sie und Maxim gestern darüber gesprochen haben, hat sie versucht, das Gespräch auf diesen Punkt zu lenken. »Ich muss dich etwas fragen.«
»Ja, Kind?«
Alessia schluckt, als die Worte, die sie sich so sorgsam zurechtgelegt hat, auf ihrer Zunge ersterben.
»Was ist denn, Alessia?«
»Komm mit uns«, platzt sie stattdessen heraus.
»Was?«
»Komm mit mir und Maxim nach England. Du musst nicht bei ihm bleiben.«
Shpresas dunkle Augen weiten sich. »Jak verlassen?«, stößt sie hervor.
»Ja«, antwortet Alessia, der die Bestürzung ihrer Mutter nicht entgangen ist.
Shpresa rutscht auf ihrem Stuhl zurück und sieht Alessia erschrocken an. »Aber er ist mein Mann, Kind. Ich werde ihn nicht verlassen.«
Damit hat Alessia nicht gerechnet. »Trotzdem behandelt er dich nicht gut«, protestiert sie. »Er ist gewalttätig. Wie Anatoli. Du kannst nicht hierbleiben.«
»Er ist nicht wie Anatoli, Alessia. Ich liebe deinen Vater.«
»Was?«
»Mein Platz ist bei ihm«, erklärt Shpresa mit eiserner Entschlossenheit.
»Aber du hast doch selbst gesagt, Liebe sei etwas für Narren.«
Shpresas Züge werden weich, und sie lächelt wehmütig. »Ich bin eine Närrin, mein Herz. Wir haben unsere Höhen und Tiefen, das weiß ich. So wie alle Paare …«
»Ich habe die blauen Flecke gesehen, Mama. Bitte, komm mit uns.«
»Mein Platz ist bei ihm. Das ist mein Zuhause. Ich habe mein Leben hier. Was soll ich in einem Land, das ich nicht kenne? Außerdem ist er netter, seit du fortgegangen bist. Ich glaube, er ist zerknirscht, weil er denkt, er hätte dich aus dem Haus getrieben. Du ahnst nicht, wie erleichtert er war, als wir von dir gehört haben.«
Alessia ist schockiert. So hat sie weder ihren Vater noch die Beziehung ihrer Eltern jemals wahrgenommen.
»Versteh doch, mein Herz«, fährt ihre Mutter fort und ergreift Alessias Hand. »Das ist das Leben, das ich kenne. Dein Vater liebt mich. Baba liebt auch dich. Er zeigt es vielleicht nicht so, wie wir es aus amerikanischen Fernsehsendungen kennen, und ich sehe auch, dass es mit deinem Verlobten ganz anders ist, aber wir leben nun einmal so. Das hier ist mein Zuhause, und er ist mein Ehemann.« Sie zuckt mit den Achseln und drückt Alessias Hand, als versuche sie, dadurch den Wahrheitsgehalt ihrer Worte zu untermauern, während Alessia immer noch damit ringt, dass sie stets geglaubt hat, ihre Mutter sei nicht glücklich an der Seite ihres Vaters.
Hat sie sich geirrt?
Hat sie die Ehe ihrer Eltern falsch interpretiert?
Ich stehe unbemerkt im Türrahmen und sehe zu, wie Shpresa und Alessia am Esstisch sitzen, wo Mr. Demachi mich gestern Abend mit dem Raki abgefüllt hat. Shpresa spricht mit leiser, eindringlicher Stimme, und es scheint ein sehr intensives Gespräch zwischen den beiden zu sein, doch mein Kopf braucht dringend etwas, um die bohrenden Schmerzen zu lindern, deshalb schlurfe ich in den Raum und lasse mich auf einen Stuhl fallen.
Sofort lässt Shpresa Alessias Hand los. »Wir können später weiterreden. Aber mein Entschluss steht fest, mein süßes Kind. Ich werde meinen Ehemann nicht verlassen. Ich liebe ihn. Auf meine Art. Und er liebt und braucht mich.« Sie lächelt ihrer Tochter milde zu. »Dein Lord hat gestern Abend zu viel getrunken. Geh und hol ihm ein paar Tabletten. Ich mache ihm Kaffee.«
Verwirrt und erstaunt über diese Reaktion sieht Alessia ihre Mutter an. »Ja, Mama, das tun wir«, sagt sie und wendet sich Maxim zu, der beide Hände um seinen Brummschädel gelegt hat. »Ich fürchte, mein Verlobter ist Raki nicht gewohnt.«
»Raki habe ich verstanden«, krächzt Maxim stöhnend und sieht sie aus trüben Augen an.
Alessia lächelt. »Ich hole dir ein paar Tabletten.«
Ich lehne mich näher zu ihr. »Danke, dass du mich gestern Abend zu Bett gebracht hast«, sage ich leise, während ihre Mutter mit der Kaffeekanne hantiert.
»Es war eine interessante Erfahrung.« Sie hält inne und vergewissert sich, dass Shpresa sich außer Hörweite befindet. »Es hat Spaß gemacht, dich auszuziehen.«
Ich hole scharf Luft, während sie aufsteht, um die Schachtel mit den Medikamenten aus der Vorratskammer zu holen. Als sie zurückkommt, spielt ein verstohlenes, scheues Lächeln um ihre Lippen, und sie wirft mir einen provokanten Blick zu.
Mein Herz hüpft in meiner Brust.
Mein Mädchen hat mich ausgezogen, und ich war so betrunken, dass ich das Bewusstsein verloren hatte.
Eine verpasste Gelegenheit, verdammt.
Noch viel wichtiger ist allerdings, dass sie wegen meines Zustands nicht schlecht über mich denkt und sich um mich kümmert. Das ist eine gänzlich neue und aufschlussreiche Erfahrung, und ich liebe sie dafür, dass sie sie mir schenkt. Ich erinnere mich nicht, dass jemand in meinem Erwachsenenleben so etwas für mich getan hat – außer ihr, als sie mich nach dieser verrückten Fahrt nach Cornwall ins Bett gesteckt hat. Sie ist fürsorglich, liebevoll und … unglaublich scharf, vor allem in engen Jeans.
Ich bin ein Glückspilz.
Vorsichtig versuche ich zu lächeln, doch mein Schädel dröhnt immer noch, was mich daran erinnert, dass ihr Vater dafür verantwortlich ist. Schließlich habe ich dieses grässliche Zeug aus reiner Höflichkeit getrunken. Alessia stellt ein Glas Wasser vor mir auf den Tisch und legt zwei Tabletten daneben. »Mein Vater hat dir das angetan, ich weiß. Der Raki wird hier gebrannt, in Kukës.«
»Verstehe.« Es war also seine Rache an mir! »Danke.«
»Gern geschehen.« Sie lächelt kokett, und ich überlege, ob sie auf die Tabletten oder die Tatsache anspielt, dass sie mich von meinen Kleidern befreit hat. Grinsend schlucke ich die Tabletten und frage mich, ob Tom und Thanas wohl in einem ähnlich üblen Zustand sind.
Nach unserer eingehenden Diskussion, in deren Verlauf die Einzelheiten über die anstehenden Hochzeitsformalitäten geklärt werden konnten, kochten Mrs. Demachi und Alessia ein üppiges Abendessen, zu dem sie auch meinen Freund Tom, unseren Dolmetscher Thanas und dessen Freundin Drita einluden. Während der Zubereitung brachte Alessia mir ein paar albanische Wörter – beispielsweise danke und bitte – bei.
Sie lachte.
Oft sogar.
Wegen meiner Aussprache.
Doch sie lachen zu hören ist immer eine Freude.
Alessias Mutter war ganz in ihrem Element und sichtlich glücklich, so viele Gäste im Haus zu haben, auch wenn sie nicht viel sagte. Das überließ sie ihrem Ehemann, der uns mit Geschichten über die turbulenten Neunzigerjahre unterhielt, als Albanien sich vom Kommunismus abwandte und zu einer demokratischen Republik wurde. Es war faszinierend: Seine Familie steckte in den Fängen eines grauenvollen Pyramidensystems und verlor praktisch ihr gesamtes Vermögen. So kamen sie in diesen dunklen Zeiten nach Kukës. Während er sprach, goss er einen Raki nach dem anderen ein, die ich allesamt trank, ebenso wie Tom und Thanas, soweit ich mitbekommen habe. Später werden wir sie im Rathaus treffen … sofern sie das Raki-Fiasko überlebt haben. Ich sehe auf die Uhr. Mir bleibt noch eine Stunde, um wieder auf die Beine zu kommen.
Das Rathaus ist ein nichtssagendes modernes Gebäude nur einen Steinwurf vom Hotel Amerika entfernt, wo Tom und Thanas untergebracht sind. Hand in Hand stehen Alessia und ich in der Eingangshalle und warten auf die beiden, und trotz des immer noch dumpfen Pochens hinter meinen Schläfen kann ich mir ein Lächeln nicht verkneifen. Seit unserem Abstecher zum Polizeirevier strahlt Alessia so sehr, dass sie das trübselige Rathausfoyer zu erhellen scheint. Ihr neuer Pass liegt am Freitag zur Abholung bereit – ich habe für die Ausstellung bezahlt –, und wenn man sie sieht, könnte man glauben, ich hätte die Sterne einzeln für sie vom Himmel gepflückt, doch dass sie bald ihren Pass in Händen hält, eröffnet uns neue Möglichkeiten.
»Allein zu sehen, wie du dich freust, macht meinen Kater erträglicher«, bemerke ich und versuche vergeblich, mein Lächeln zu unterdrücken. Sie ist eine wahre Freude.
»Das liegt wohl eher an den Tabletten.«
»Nein, nur an dir.«
Lachend blickt sie mich zwischen ihren dichten Wimpern hindurch an. Ich nehme ihre Hand und führe sie an meine Lippen.
O Gott, ich wünschte, ich könnte sie aus diesem öden Kaff wegbringen.
Bald, Mann. Bald.
Tom und Thanas erscheinen. Thanas sieht genauso aus, wie ich mich fühle – derangiert und verkatert.
»Du siehst echt lausig aus, Trevethick. Was machen wir hier?«, fragt Tom putzmunter und bester Dinge. Raki scheint ihm nichts anhaben zu können.
»Tut mir leid, dass wir zu spät kommen«, murmelt Thanas. »Ich habe Drita zum Bus nach Tirana gebracht. Sie muss wieder an die Uni.«
»Wir suchen den Herrn auf, der die Trauung vornimmt«, antworte ich.
»Der Standesbeamte. Ich frage mal nach, wohin wir müssen.« Thanas tritt an den Schalter, vor dem sich eine Schlange gebildet hat. Alessia gesellt sich zu ihm.
»Okay«, zischt Tom verschwörerisch. »Ich habe noch gar nicht zum Baby gratuliert.«
Zum Baby?
In meinem benebelten Zustand dauert es einen Moment, ehe ich verstehe. Ich lache, doch das Hämmern meines Schädels lässt mich abrupt verstummen. »Alessia ist nicht schwanger. Sie hat es nur behauptet, damit ihr Vater sie nicht zwingen kann, diesen Drecksack zu heiraten … Antonelli oder wie er heißt.«
»Ah.« Tom scheint erleichtert zu sein. »Das ist bestimmt besser so. Ist noch viel zu früh für Kinder.« Er lehnt sich herüber. »Aber dir ist schon klar, dass du sie nicht heiraten musst, alter Knabe«, zischt er, den Blick auf Thanas und Alessia gerichtet.
Verdammt noch mal.
»Tom«, knurre ich warnend. »Das haben wir doch besprochen. Zum letzten Mal. Ich liebe Alessia und will, dass sie meine Frau wird. Verstanden?«
»Ehrlich gesagt nicht, nein. Sie ist ein wunderschönes Mädchen, das stimmt, trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, dass ihr so viel gemeinsam habt. Aber das Herz spricht nun mal eine klare Sprache und so.«
Ich bin nicht in Stimmung für eine Auseinandersetzung, deshalb atme ich tief durch, als er in einer versöhnlichen Geste die Hand hebt, und frage: »Soll ich also den alten Sack bei Laune halten und sie hier heiraten? Oder warten, bis wir wieder in England sind? Solange sie ihren Pass und ihr Visum noch nicht hat, sitze ich praktisch hier fest, denn ohne sie gehe ich nicht.« Ich sehe zum Schalter, wo Thanas inzwischen mit der Angestellten spricht.
»Wenn es das ist, was du willst, solltest du es durchziehen«, meint Tom. »Es ist eine standesamtliche Trauung im Rathaus. Damit ist der alte Knilch zufrieden, und du kannst mit seiner Tochter abhauen und eine anständige Hochzeit in London, Cornwall oder Oxfordshire oder wo auch sonst feiern.« Er runzelt die Stirn. »Sofern das geht.«
»Was meinst du damit?«
»Keine Ahnung, ob man ein und dieselbe Frau mehrmals heiraten kann, Kumpel. Bestimmt gibt es Vorschriften. Wie läuft es hier denn ab?«
»Ich muss bloß meinen Pass vorlegen, und das war’s dann, allerdings sagt die Website der Regierung etwas anderes.«
Wieder verfinstert sich Toms Miene. »Du denkst, hier stimmt etwas nicht?«
Ich nicke. »Aber mit Thanas’ Hilfe werden wir es herausfinden. Bleibst du so lange? Und … du weißt schon … hilfst mir?«
»Klar, Trevethick. Dieses Drama lasse ich mir doch nicht entgehen.«
»Drama?« Meine Kopfhaut prickelt. Ahnt er, dass wir überlegen durchzubrennen?
»Du bist praktisch an den Arsch der Welt gereist, um die Dame deines Herzens zu retten. Also wenn das kein Drama ist, weiß ich auch nicht.«
Ich lache. Das ist wohl wahr. »Und … na ja … Willst du mein Trauzeuge sein?«
Einen Moment lang verschlägt es Tom die Sprache, doch dann fängt er sich. »Es wäre mir eine Ehre, Maxim«, antwortet er schroff und klopft mir auf den Rücken. In diesem Moment durchqueren Thanas und Alessia die Eingangshalle.
»Hier entlang«, sagt Thanas. Wir folgen ihm die Treppe hinauf in den ersten Stock.
F. Tabaku steht auf dem Messingschild auf seinem Schreibtisch – er ist der Standesbeamte, der die Trauung vornehmen wird. Er ist im selben Alter wie Demachi, trägt ebenfalls einen dunklen Anzug und blickt ähnlich finster drein wie Alessias Vater. Als wir eintreten, erhebt er sich und begrüßt Alessia herzlich, dann nickt er mir knapp zu und bedeutet uns allen, an dem kleinen Tisch Platz zu nehmen.
Thanas übersetzt: Tabaku braucht die Kopie von Alessias Geburtsurkunde, ihren Ausweis und meinen Pass. Ich ziehe ihn heraus und schlage ihn auf der richtigen Seite auf, wobei mir auffällt, dass ich einen neuen beantragen muss, weil der aktuelle noch auf den Namen The Hon Maximilian John Frederick Xavier Trevelyan ausgestellt ist.
Alessias Papiere überfliegt Tabaku nur kurz, wohingegen er meinen einer sehr viel eingehenderen Prüfung unterzieht. Er runzelt die Stirn und sagt etwas zu Thanas. Alessia meldet sich zu Wort. »Vëllai i Maksimkit ishte Konti. Ai vdiq në fillim të janarit. Maksimi trashëgoi titullin, po nuk ka pasur ende mundësi të ndryshojë pasaportën.«
Tabaku, der mit Alessias Antwort zufrieden zu sein scheint, erhebt sich und tritt zu einem kleinen Kopierer. »Was hast du ihm gesagt?«, frage ich Alessia.
»Ich habe ihm erklärt, dass du deinen Titel erst vor Kurzem … äh … geerbt hast.«
Tabaku dreht sich zu uns um. Thanas übersetzt. »Nach der Eheschließung steht es den Ehegatten zu, einen ihrer Nachnamen als gemeinschaftlichen Namen zu tragen, oder aber jeder behält den seinen. Es ist Ihre Entscheidung.«
»Wie willst du es handhaben?«, frage ich Alessia.
»Ich würde gern deinen Namen annehmen.«
Ich lächle erfreut. »Schön. Also soll Alessias Name Alessia Trevelyan lauten, der offizielle Titel wird Alessia, The Right Honorable the Countess of Trevethick sein.«
Wieder übersetzt Thanas Tabakus Erwiderung. »Bitte schreiben Sie das nieder.«
Ich notiere alles auf einem Block, den ich Tabaku zuschiebe.
Tabaku sagt etwas, das Thanas ebenfalls übersetzt. »Ich werde für Alessia den Namen Alessia Demachi-Trevelyan eintragen. Von einem Trevethick steht nichts in Ihrem Pass.«
»Auch gut«, brumme ich und wende mich an Thanas. »Fragen Sie ihn nach dem Ehehindernisformular, das ich eigentlich vorlegen muss.«
Alessia sieht mich besorgt an, während Thanas die Frage an Tabaku richtet.
Die Augen des Standesbeamten weiten sich, und er stößt eine barsche Antwort hervor, die Thanas für mich übersetzt. »Er sagt, dass er wegen der Dringlichkeit der Eheschließung darauf verzichtet, wozu er unter besonderen Umständen befugt ist. Alessias Vater ist ein enger Freund, daher ist er bereit, eine Ausnahme zu machen.«
Ohne den Blick von mir zu wenden, fährt Tabaku fort, und allmählich dämmert mir, dass er Demachi und folglich auch uns einen Riesengefallen tut.
»Er sagt, die Eheschließung sei rechtskräftig. Mehr sei nicht notwendig. Sie bekommen auch eine Heiratsurkunde ausgehändigt«, erklärt Thanas.
»Und wenn wir alles korrekt erledigen wollen?«, frage ich.
Tabaku setzt sich wieder, gibt uns unsere Dokumente zurück und antwortet auf Thanas’ Frage. »Das würde zwischen zwei und drei Monaten dauern«, sagt Thanas.
»Okay. Verstehe. Danke.« Obwohl er uns einen Gefallen tut, ist mir nicht ganz wohl bei der Sache. Für mich fühlt es sich nach einem Schwindel an, und diese Vorstellung gefällt mir gar nicht.
Der Standesbeamte sagt etwas zu Alessia und Thanas. Alessia nickt und antwortet auf Albanisch, während ich Thanas hoffnungsvoll ansehe. »Er fragt nach Ihrem Beruf, Ihrem Wohnort und danach, wo Sie nach der Eheschließung leben wollen«, sagt der Dolmetscher.
Beruf!
Ich nenne meine Adresse in Chelsea und gebe an, dass wir dort auch wohnen werden. Alessia schenkt mir ein zurückhaltendes Lächeln.
»Und der Beruf?«, fragt Thanas, als mir die Antwort wieder in den Sinn kommt, die mein Vater auf diese Frage stets gegeben hat.
»Bauer und Fotograf«, antworte ich rasch, obwohl es nicht ganz der Wahrheit entspricht. Inzwischen bin ich Großgrundbesitzer und Verpächter – der CEO von Trevethick Estate.
»Und DJ«, wirft Tom überflüssigerweise ein. »Sie wissen schon, er bringt die Plattenteller zum Glühen«, fügt er hinzu, während ich ihm einen finsteren Blick zuwerfe, und imitiert die Handbewegung. »Und natürlich ein Mitglied des Hochadels. Sie wissen schon: Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt, und so.«
»Danke, Tom.« Ich ignoriere Alessias unterdrücktes Kichern, während Tabaku sich weiter Notizen macht. Schließlich legt er seinen Stift auf den Block, lehnt sich zurück und sagt etwas zu Alessia und mir.
»Er hat alles, was er für die Ausstellung der Dokumente braucht«, meint Alessia.
Ich drücke ihre Hand. »Das war’s also?«
»Ja.«
»Gut. Dann fahren wir ins Hotel zurück und überlegen, wie es weitergehen soll.«
Sie nickt. Ich stehe auf und nicke Tabaku knapp zu. »Danke.«
Wieder übersetzt Thanas seine Antwort. »Wir sehen uns am Samstagnachmittag. Und Sie müssen zwei Zeugen für die Zeremonie bestimmen.«
Zeugen? Wohl eher Komplizen.
Alessia ist nicht sicher, wie sie Maxims Stimmungslage einschätzen soll oder was er vorhat. Auf dem kurzen Fußweg zurück ins Hotel war er still und nachdenklich. Ist er wütend? Will er immer noch durchbrennen? Inzwischen sitzen sie in der Bar des Hotel Amerika – für sie ist es das erste Mal, dass sie so etwas in ihrer Heimat tut –, und sie rätselt, was ihm durch den Kopf gehen mag.
Tom und Thanas sind in ihre Zimmer gegangen. Unvermittelt greift Maxim nach ihrer Hand. »Es gefällt mir nicht, dass wir all das so überstürzen, nur um das Ego deines Vaters zu befriedigen.«
»Ich weiß, und es tut mir leid.« Verunsichert senkt sie den Blick. Sie wird das Gefühl nicht los, dass ihre missliche Lage allein ihre Schuld ist. Hätte sie doch nur nicht über die Schwangerschaft gelogen, andererseits hätte ihr Vater sie dann gezwungen, Anatoli ihr Jawort zu geben.
»Hey, es ist doch nicht deine Schuld«, sagt er und drückt ihre Hand. Sie sieht auf und erkennt zu ihrer Erleichterung nichts als Besorgnis in seinen Augen. »Ich will mich nicht mit deinem Vater streiten, wünschte aber, er hätte uns nicht in diese Lage gebracht. Ich weiß, dass er glaubt, er tue das Richtige«, sagt er.
Alessia nickt, erstaunt, wie ernst er all das nimmt. Er will, dass seine Eheschließung rechtmäßig ist. Ein besorgter Ausdruck liegt in seinen leuchtend grünen Augen, und sein Kiefer ist angespannt. Es ist schrecklich für sie, ihn so aufgewühlt zu sehen. »Was sollen wir deiner Meinung nach tun?«, fragt sie.
Maxim schüttelt den Kopf, dann lächelt er – so strahlend, dass es Alessia den Atem verschlägt.
Er ist der attraktivste Mann, den ich je gesehen habe.
»Tja, wir sitzen hier fest, bis du deinen Pass und dein Visum hast, und ohne dich gehe ich hier nicht weg. Wenn du also keine Einwände hast, sollten wir es tun.«
Alessia lässt die Worte auf sich wirken. Er hat sich in die Hochzeit gefügt. Ist es das, was sie will?
»Fühlst du dich, als würdest du in der Falle sitzen?«, flüstert sie.
»Nein. Ja. Aber nicht so, wie du denkst. Ich bin hergekommen, um dich zu fragen, ob du mich heiraten willst. Du hast Ja gesagt, und im Grunde erfüllt mir dein Vater diesen Wunsch.«
Alessia nickt. »Das stimmt wohl. Außerdem hilft es meiner Mutter, wenn wir bleiben und die Hochzeit hier feiern.«
»So?«
»Sie will nicht mit uns nach England kommen, sondern bei ihm bleiben, auch wenn ich nicht verstehe, warum. Aber wenn wir abreisen, wird er wütend werden und es vielleicht …« Sie beendet den Satz nicht, aus Scham, was ihr Vater ihrer Mutter antun könnte.
Maxim sieht sie entschlossen an. »Das ist ein weiteres überzeugendes Argument, hier zu feiern, sowohl ihr als auch uns zuliebe.«
Alessia atmet auf. »Das sehe ich genauso.«
Er lächelt. »Dann fühle ich mich gleich besser.«
»Ja. Ich mich auch. Ich glaube, es ist die richtige Entscheidung für sie.«
»Und auch die richtige für dich?«, fragt er.
»Ja«, antwortet sie mit Nachdruck. »Weil meine Familie dadurch nicht Gefahr läuft, das Gesicht innerhalb der Gemeinde zu verlieren.«
Maxim scheint ebenfalls erleichtert zu sein. »Gut. Okay. Die Entscheidung steht.«
Alessia ist so viel leichter ums Herz, nun, da das Gewicht der Erwartungen ihres Vaters nicht länger auf ihren Schultern lastet. Wie einfach es für sie und ihren Verlobten war, zu einer Einigung zu gelangen.
Wird es später in unserer Ehe genauso sein?
Sie hofft es sehr.
»Und jetzt habe ich eine Menge zu tun«, sagt sie.
»Ja, ich hole meine restlichen Sachen aus Toms Zimmer, dann können wir zurück zu deinen Eltern. Ich habe etwas für dich.«
»So?«
»Ja.« Er grinst.
Mehrere Fahrzeuge stehen in der Einfahrt vor dem Haus von Alessias Eltern.
»O Zot«, sagt sie und wendet sich mir zu. »Meine Familie. Die Frauen. Sie sind alle gekommen.«