Fineas - Nadine Erdmann - E-Book

Fineas E-Book

Nadine Erdmann

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Beschreibung

Zwei der Lichtsteine, mit deren Hilfe Interria aufrechterhalten werden kann, befinden sich bereits sicher in Cayas Kapelle, doch mit der Reise zu den Drachen steht Noah, Liv, Ari und Kaelan eine der größten Herausforderungen bevor. Der Stein des Feuers befindet sich in den Roten Bergen und damit in direkter Nachbarschaft zu Dakenhall, wo Konstantin bereits Vorkehrungen getroffen hat, damit die Cays das Tal der Drachen nicht erreichen. Können Noah, Liv, Ari und Kaelan es mit List und Tücke trotzdem schaffen, Fineas unbeschadet ins Kloster zu bringen? Und welches Geheimnis hüten Ben und Mia vor ihnen?

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Impressum

 

Unveränderte Neuauflage der in der Greenlight Press erschienenen Originalausgabe

 

Kuneli Verlag, Forstweg 8, 63165 Mühlheim am Main

Copyright © 2024 Kuneli Verlag UG (haftungsbeschränkt)

Alle Rechte vorbehalten.

 

1. Auflage (Oktober 2024)

Coverdesign: Kuneli Verlag

Unter der Verwendung von Bildmaterial von Shutterstock.com

ISBN Epub: 978-3-948194-59-8

www.kuneli-verlag.de

Die Autorin

 

Nadine Erdmann liebt Bücher und Geschichten, seit sie denken kann. Selbst welche zu schreiben, war aber lange Zeit nur eine fixe Idee und so sollte zunächst ein »anständiger« Beruf her. Sie studierte Lehramt, verbrachte einen Teil ihres Studiums in London und unterrichtete als German Language Teacher in Dublin. Zurück in Deutschland wurde sie Studienrätin für Deutsch und Englisch und arbeitete an einem Gymnasium und einer Gesamtschule in NRW.

 

Der »anständige« Beruf war ihr damit sicher, ihr Herz hing aber mehr und mehr daran, Geschichten zu schreiben. Nach der Krebserkrankung ihrer Schwester entschied sie sich, den Schritt in die Schriftstellerei zu wagen, weil man nicht immer alles auf später verschieben kann. Seitdem veröffentlichte sie drei Reihen (die »CyberWorld«, die »Lichtstein-Saga« und die »Totenbändiger« in ganz unterschiedlichen Genres, die zusammen mit den »Haunted Hunters« im Kuneli Verlag ab 2024 ein neues Zuhause gefunden haben.

 

Mehr über die Autorin und ihre Werke:

 

www.nadineerdmann.de

www.facebook.com/Nadine.Erdmann.Autorin

www.instagram.com/nadineerdmann

 

Ihre Werke im Kuneli Verlag

 

CyberWorld (2024 als E-Book)

Mind Ripper

House of Nightmares

Evil Intentions

The Secrets of Yonderwood

Burning London

Anonymous

Bunker 7

Lichtstein-Saga (2024 als E-Book, 2025 als Taschenbuch)

Aquilas

Andolas

Fineas

Enyas

Die Totenbändiger (2024 als E-Book, 2025 als Taschenbuch)

Sammelband 1 - Unheilige Zeiten

Sammelband 2 - Äquinoktium

Sammelband 3 - Geminus

Sammelband 4 - Samhain

Sammelband 5 - Zwillingskräfte

Sammelband 6 - Wintersonnenwende

Haunted Hunters (ab 2024 als E-Book und Taschenbuch)

Neue Wirklichkeit

Daemons

(noch ohne Titel)

Die Lichtstein-Saga

 

Band 3

Fineas

Nadine Erdmann

 

 

Kuneli Verlag

TEIL 1

Alte Feindschaften

Kapitel 1

Dicke Tropfen prasselten gegen die Buntglasfenster des Versammlungssaals im Kloster zu Burgedal. Schon den ganzen Tag über waren graue Wolkenfelder von den Bergen ins Tal herabgezogen und jetzt, am frühen Abend, hatte wie bestellt der Regen eingesetzt. Liv seufzte beim Gedanken daran, gleich da raus zu müssen.

Doch der Regen war gut.

Er war ein wichtiger Teil ihres Plans.

Sie blickte sich um. Der Versammlungssaal des Klosters war riesig und erinnerte ein bisschen an ein Kirchenschiff. Drei der Wände waren mit hohen Buntglasfenstern durchzogen und ließen trotz des grauen Wetters genügend Licht herein, dass keine Öllampen gebraucht wurden. An der vierten Wand befand sich der größte offene Kamin, den Liv je gesehen hatte. In der Feuerstelle konnten sicher locker vier stämmige Männer bequem nebeneinanderstehen. Jetzt, im Sommer, war der Kamin leer und sauber gefegt, aber sie schätzte, dass er im Winter dringend gebraucht wurde, um den großen Saal beheizen zu können. Im Moment war es hier allerdings eher zu warm. Die letzten drei Tage waren ziemlich heiß gewesen. Die dicken Klostermauern hielten zwar die größte Sommerhitze draußen, dafür heizten gerade aber die gut hundert Leute, die sich hier im Saal eingefunden hatten, den Raum ordentlich auf. Liv erblickte Zoe, die mit Una und Armand als eine der Letzten den Saal betrat, und winkte ihr zu. Zoe grinste und winkte zurück.

Ignatius gab Armand ein Zeichen, der nickte und schloss die breite Doppelflügeltür, die hinaus in die Eingangshalle des Klosters führte.

»Ruhe, bitte!« Der alte Klostervorsteher klopfte mit einem kleinen Holzhammer auf die Tischplatte vor sich, um sich Gehör zu verschaffen. Sofort verstummten die Gespräche und alle wandten sich ihm zu. »Hiermit eröffne ich die heutige Versammlung der Garde des Lichts.«

In der Mitte des Saals stand ein mächtiger runder Tisch, an dem zwanzig der Anwesenden Platz gefunden hatten. Der Rest der Garde hatte sich hinter den Stühlen verteilt oder lehnte an den Wänden. Von Ignatius wusste Liv, dass es einen Rat innerhalb der Garde gab, dessen Vorsitz momentan Ragnar und Amina innehatten, und der sich aus verschiedenen Kommandeuren zusammensetzte. Diese Kommandeure organisierten die einzelnen Bereiche, um die die Garde sich kümmerte: Patrouillenrouten und Aufklärungstouren der Ritter in und um Burgedal, die Rekrutierung von Novizen, Beschaffung von Ausrüstung, Einteilung von Trainingseinheiten sowie die Entwicklung strategischer Schlachtpläne, die Konstantins Vorhaben, ein Portal zur Schattenwelt zu erschaffen, vereiteln sollten.

Sowohl das Ambiente als auch das Prozedere ließen Liv an die Sage von König Artus und die Ritter der Tafelrunde denken. Sie mochte Burgedal und hatte die kleine Stadt, ihre Bürger und das Kloster längst in ihr Herz geschlossen. Trotzdem hatten die wenigen Wochen, die sie jetzt hier lebte, bei Weitem noch nicht ausgereicht, um sich hier wirklich verwurzelt zu fühlen. Dafür kam sie sich einfach noch viel zu oft wie in den Kulissen eines mittelalterlich angehauchten Fantasyfilms vor. Es war schräg – allerdings hatte sie festgestellt, dass sie schräg ziemlich mochte. Vielleicht war das auch der Grund, warum sie sich hier irgendwie doch schon zu Hause fühlte, obwohl vieles noch neu und ungewohnt war.

Ignatius ließ seinen Blick über die Anwesenden wandern. »Zuerst einmal möchte ich euch – auch wenn ihr es schon wisst – noch einmal offiziell verkünden, dass unsere Cays in den Weißen Bergen auf zweierlei Weise erfolgreich waren. Zum einen haben sie den Stein des Windes von den Sylphen erhalten und er liegt nun sicher in Cayas Kapelle. Damit befindet sich jetzt bereits der zweite Lichtstein hier bei uns im Kloster.«

Ein anerkennendes Murmeln ging durch den Raum. Die Ritter, die am Tisch saßen, klopften auf die Tischplatte, andere klatschten, und alle Blicke wanderten zu Kaelan, Ari, Liv und Noah, die bei Ignatius standen.

»Außerdem konnten unsere Cays die Sylphen als Verbündete im Kampf gegen Konstantin gewinnen. Sie an unserer Seite zu wissen, sind äußerst gute Nachrichten, und was sie bereits herausgefunden haben, hilft uns enorm bei der Planung unseres weiteren Vorgehens.«

Auch diese Nachricht bekundeten die Ritter der Garde mit Beifall.

Ari ächzte innerlich und hätte sich am liebsten in Luft aufgelöst. Wie immer, wenn viele Menschen um ihn herum waren, spürte er ein beklemmendes Gefühl in seiner Brust. Wenn ihn dann auch noch alle anstarrten, fühlte er sich doppelt unwohl, und hätte eine Menge dafür gegeben, einfach verschwinden zu können. Doch er war kein Kind mehr und unterdrückte den Drang. Es gelang ihm sogar ein kleines Lächeln. Immerhin waren all die Blicke ja nicht böse gemeint. Im Gegenteil. In ihnen lag Anerkennung und Wohlwollen. Weder er noch Kaelan, Liv oder Noah gehörten offiziell der Garde des Lichts an, aber sie waren die vier Cays, die Auserwählten des Engels des Lichts. Sie mussten sich auf die Reisen zu den vier Lichtsteinen begeben, mit denen Caya, das Engelslicht, in der Kapelle des Klosters neu bestärkt werden musste. Nur so konnten die Grenzen zum Reich der Finsternis aufrechterhalten werden. Diese Reisen waren alles andere als ungefährlich. Nicht nur wegen der Gefahren, die auf den Wegen lauerten, sondern auch, weil Konstantin verhindern wollte, dass die Lichtsteine ins Kloster kamen. Für ihren Einsatz als Cays zollten die Ritter der Garde ihnen hier gerade Respekt. Das war etwas, das es wertzuschätzen galt. Genauso wie die Tatsache, dass alle der hier anwesenden Ritter ihr Leben dafür geben würden, ihn, Kaelan, Liv und Noah zu beschützen, damit sie ihre Aufgabe erledigen konnten. Egal, wie unwohl er sich in Menschmassen also fühlte, er hatte ihnen Respekt zu zollen, weil all die Frauen und Männer hier nichts anderes verdient hatten. Trotzdem war Ari froh, als jetzt Amina neben Ignatius aufstand und damit die Aufmerksamkeit auf sich lenkte.

»Leider dürfen wir uns auf unseren bisherigen Erfolgen aber nicht ausruhen.« Die Ratsvorsitzende war um die Fünfzig und ihrem Aussehen nach hätte Ari sie in der Alten Welt für eine Inderin oder Pakistani gehalten. Sie war eine brillante Bogenschützin und leitete das entsprechende Training der Ritter in der Garde. Jetzt griff sie nach einigen Briefen, die vor ihr auf dem Tisch lagen. »Unsere Quellen in Dakenhall sowie die Spione der Sylphen haben uns wertvolle Informationen übermittelt und unsere Befürchtungen leider bestätigt. Konstantins Arbeiten an seinem neuen Portal zum Reich der Finsternis schreiten weiter voran – und zwar deutlich schneller, als wir ohnehin schon befürchtet haben. Uns bleiben nur noch wenige Wochen bis zu seiner Fertigstellung.«

Viele der Ritter tauschten ernste Blicke.

»Ihr versteht, was das bedeutet«, fuhr Amina fort. »Der Wettlauf gegen die Zeit wird noch enger. Zwar hält das Engelslicht die Grenzen zum Schattenreich derzeit noch aufrecht, aber ich fürchte, es ist bereits zu schwach, um ein mutwillig geöffnetes Portal zur Dämonenwelt wieder zu verschließen. Das beweisen die Schattenmare, die Konstantin bereits aus der Finsternis hierher nach Interria holen konnte. Sollte er es also schaffen, das Portal fertigzustellen und zu öffnen, bevor wir Caya erneuert haben, wären die Folgen katastrophal. Die Dämonen würden hier einfallen und vermutlich hätten wir ihnen nicht viel entgegenzusetzen.«

Viele der Anwesenden verzogen grimmig die Gesichter, als sie den Ernst der Lage nochmals so drastisch vor Augen geführt bekamen.

»Kann man denn ungefähr einschätzen, wie viel Zeit wir noch haben?«, fragte ein stämmiger blonder Ritter.

Amina atmete tief durch. »Laut der Beobachtungen unserer zuverlässigsten Quelle bleiben uns noch fünf, wenn wir Glück haben vielleicht sechs Wochen.«

Schlagartig wurde es totenstill im Saal und Liv sah, wie sich Schock und Entsetzen auf den Gesichtern der Ritter widerspiegelten, als sie die Mittelung verdauten. Liv fühlte mit ihnen. Ihr war es ganz ähnlich ergangen, als Ignatius ihnen am Abend zuvor beim Essen die Nachrichten aus Dakenhall überbracht hatte. Nach dem ersten Schock brach allerdings rasch wieder Gemurmel im Saal aus, als die Ritter begannen, die besorgniserregenden Neuigkeiten miteinander zu diskutieren.

»Okay«, meldete sich eine Stimme laut aus dem allgemeinen Gemurmel, als eine junge Frau mit wilden roten Locken das Wort ergriff. Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt und blickte entschlossen in die Runde. »Gehen wir mal vom schlimmsten Fall, den fünf Wochen aus. Der Weg von hier durch den Großen Wald zum Tal der Drachen und wieder zurück beträgt zehn bis elf Tage. Der Weg zu den Zwergen acht, vielleicht neun. Selbst wenn sich die Reisen jeweils um ein bis zwei Tage verzögern, wird es zwar etwas knapp, aber es ist durchaus zu schaffen.«

»Ranja hat recht«, meinte ein junger Mann, der neben der Rothaarigen stand. »Selbst wenn Konstantin wieder einige seiner Truppen losschicken sollte, um die Cays aufzuhalten, was soll’s? Wir können sie begleiten und beschützen. Wir sorgen schon dafür, dass sie schnell und sicher zu den Drachen und den Zwergen kommen und wir die zwei noch fehlenden Lichtsteine rechtzeitig hierher ins Kloster holen.«

Viele der Ritter bekundeten durch Klatschen ihre Zustimmung.

Ignatius griff wieder nach dem Holzhammer und verschaffte sich Gehör. »Im Prinzip habt ihr beide recht, Erik«, sagte er mit einem Blick auf Ranja und den jungen Ritter. »Aber leider wird es nicht ganz so einfach werden. Die Sylphen berichten, dass Konstantin anscheinend plant, uns den Weg zu den Roten Bergen mit einem gewaltigen Aufmarsch an Männern abzuschneiden. Es gibt Sichtungen von etlichen Reitertrupps, die sich aus Dakenhall in Richtung des Großen Waldes aufgemacht haben. Wenn Konstantin dort Truppen zusammenzieht, wird der Weg in die Roten Berge eine echte Herausforderung.«

»Aber das ist nichts, was wir nicht erwartet hätten«, gab ein anderer Ritter aus der Menge zurück. »Konstantin hat uns den Stein des Windes überlassen, weil wir hier im Norden die Oberhand haben. Aber dass er den Stein des Feuers im Süden mit aller Macht verteidigen wird, war doch offensichtlich. Immerhin liegen die Roten Berge praktisch vor seiner Haustür.«

Viele Ritter nickten zustimmend.

Auch Ignatius nickte und deutete auf den Mann, der neben ihm am Tisch saß. »Das stimmt und das haben wir bei unseren Planungen auch berücksichtigt. Dazu kann Ragnar euch aber mehr sagen. Er war in den letzten Tagen mit seinem Sohn und seiner Tochter auf Erkundungsritt im Großen Wald.«

Ragnar, der zweite Ratsvorsitzende, erhob sich, damit alle ihn besser sehen konnten. Er war einer der Ältesten hier im Saal und Liv schätzte ihn kaum jünger als Ignatius. Trotzdem strahlte er jede Menge Tatendrang und Vitalität aus und sein wettergegerbtes Gesicht verriet, dass er noch oft auf Patrouille ging.

»Wie Ignatius schon sagte, sind meine Kinder und ich durch den Wald geritten, um die Beobachtungen der Sylphen zu bestätigen und unser weiteres Vorgehen strategisch planen zu können. Wir haben die Gegend ausgekundschaftet, mit einigen Waldarbeitern und Jägern gesprochen und uns mit ein paar Schurken von Bartemis’ Bande herumgeschlagen. Was wir dabei herausgefunden haben, zeige ich euch jetzt hier.«

Während Ragnar eine riesige Karte vor sich ausrollte, rückten die Ritter der Garde enger um den Tisch zusammen, damit alle einen Blick darauf werfen konnten. Ben und Quin, die neben Ragnar am Tisch saßen, winkten Kaelan, Ari, Liv und Noah heran und traten selbst ein Stück zurück.

Kaelan schob Ari vor sich auf Quins Platz. Seit sie vor drei Tagen aus den Weißen Bergen zurückgekommen waren, trug Ari seinen linken Arm in einer Schlinge und Mia und Kaelan hatten dafür gesorgt, dass er sich so viel es ging ausruhte, um Kräfte zu regenerieren und die Wunden heilen zu lassen, die die Harpyien ihm bei ihrem Angriff auf der Brücke über der Weißen Schlucht in die Schulter gerissen hatten. Die Wunden heilten zwar gut, da Mia es mit diversen Tinkturen und Salben geschafft hatte, einer Entzündung entgegenzuwirken, trotzdem würde es noch eine Weile dauern, bis Ari nichts mehr davon spürte.

Liv betrachtete die Karte und brauchte einen Moment, um sich darauf zu orientieren. Ignatius hatte ihr in den letzten Tagen bereits ähnliche Karten von der Gegend ihrer nächsten Reise gezeigt, aber keine war so groß und detailliert gewesen wie Ragnars, die vermutlich extra für den riesigen Tisch im Versammlungssaal angefertigt worden war.

Die Karte zeigte das weitläufige Waldgebiet, das im Zentrum Interrias lag und sich mit schmaleren Ausläufern nach Osten in die Sumpfgebiete und nach Westen in die Berge ausdehnte. Zur Orientierung suchte Liv den Hauptweg, der von Norden nach Südwesten führte und von dem aus immer wieder Wege nach Osten, Westen und Süden abzweigten. Einige Gebiete des Waldes trugen eigene Namen und waren beschriftet mit Silberhain, Eichenholm oder Buchengrin. Kleine Häuser markierten Siedlungen von Holzfällern oder Jägern, im Nordosten gab es eine große Lichtung, über der in geschwungenen Buchstaben Waldsee stand, und im Südosten ging der Wald in ein Gebirge über. Rote Berge stand dort in schnörkeliger Schrift. Ein breiter Fluss teilte den Wald in der Mitte und Ignatius hatte Liv erklärt, dass dieser die Grenze zwischen zwei Jagdgebieten markierte. Das nördliche gehörte zu Burgedal, das südliche zu Dakenhall. Dort, wo der Hauptweg den Fluss kreuzte, waren auf beiden Seiten des Ufers kleine Dreiecke eingezeichnet.

Ragnar zog einen Zeigestock hervor und fuhr damit von Norden nach Süden den Hauptweg entlang. An einer Abzweigung verließ er mit dem Stock den breiten Hauptweg und folgte einem schmalen gewundenen Pfad in die Berge. »Das hier ist der direkte Weg zu den Roten Bergen, in denen das Tal der Drachen liegt.« Dann kehrte er zurück zum Hauptweg und folgte ihm Richtung Südwesten. »Hier lang geht es nach Dakenhall.« Er deutete wieder auf die Abzweigung. »Und ungefähr hier liegt der Eingang zur Schlucht. Sie ist der einzige Zugang zum Pfad, der ins Drachenland führt. Laut der Beobachtungen der Sylphen lässt Konstantin Septimus dort seine Truppen positionieren, um uns so den Weg abzuschneiden.«

»Besteht denn keine Möglichkeit, sich abseits der Wege durch den Wald zu schlagen und anders in die Roten Berge zu gelangen als durch diese Schlucht?«, fragte eine dunkelhäutige Frau, deren Namen Liv nicht kannte.

Ragnar schüttelte den Kopf und zeigte auf ein großflächiges Gebiet, das sich von Osten nach Süden zog und in das nichts weiter eingetragen war als ein gestrichelter kreisähnlicher Bereich. Elfenfeste stand darüber. »Dieser Teil des Waldes ist praktisch undurchdringlich. Mit den Pferden absolut unpassierbar und selbst zu Fuß bräuchte man eine Machete, um sich den Weg freizuschlagen. Die Zeit haben wir nicht.«

»Diese verdammten Elfen!«, brummte ein älterer Ritter mit einer langen Narbe auf der rechten Wange. »Igeln sich in ihrer Feste ein und lassen den ganzen Wald zuwuchern! Sobald wir Caya erneuert haben und Konstantin erledigt ist, sollten wir uns die endlich mal vornehmen.«

Etliche Ritter murmelten Zustimmung, doch Ignatius hob sofort beschwichtigend die Hände. »Ich gebe zu, dass das abweisende Verhalten der Elfen unsere Aufgabe nicht erleichtert, Gaius, aber –«

»Abweisende Verhalten?«, fiel Gaius ihm ins Wort und lachte auf. »Die verdammten Grünlinge führen sich auf wie trotzige Dreijährige! Hocken in ihrem Dschungel und schmollen seit hunderten von Jahren vor sich hin, weil sie sich von Cayaniel benachteiligt fühlen. Dass ich nicht lache! Cayaniel hat sie zu den Hütern des Waldes bestimmt, aber das kriegen sie offensichtlich nicht hin. Der Osten bis runter zu den Roten Bergen ist schon so verwildert, dass keiner der ursprünglich angelegten Wege mehr existiert und man sich kaum mehr durchschlagen kann. In der Mitte am Fluss macht sich Bartemis mit seinem Pack breiter und breiter. Immer häufiger überfällt er Reisende und bestiehlt unsere Holzfäller und Jäger! Ich dachte, es wäre die Aufgabe der Elfen, für Ordnung im Wald zu sorgen und genau solche Taten zu verhindern! Außerdem gab Cayaniel ihnen den Auftrag, die vier Lichtsteinvölker sowie uns Menschen zu unterstützen und dabei zu helfen, dass das Engelslicht immer rechtzeitig erneuert werden kann. Stattdessen schalten sie aber nur auf stur, verschanzen sich in ihrer Feste und lassen den Wald komplett verkommen! Wenn sie ihre Aufgabe nur halbwegs gewissenhaft erledigen würden, hätten sich Bartemis und seine Bande niemals im Wald breitmachen können, und wir müssten uns jetzt keine Strategie überlegen, wie wir an Konstantins Truppen vorbeikommen!«

Erneut gab viel Gemurmel zu verstehen, dass etliche Ritter das genauso sahen.

»Vielleicht sollten ein paar von uns mal bei ihnen vorbeischauen«, schlug Ranja vor. »Dann könnten wir den Elfen deutlichmachen, wie ernst die Lage für Interria und das Engelslicht im Moment ist. Wahrscheinlich wissen sie in ihrer Abgeschiedenheit noch gar nicht, wie es um unsere Welt bestellt ist, aber wenn sie erfahren, dass auch ihre Existenz bedroht ist, sind sie vielleicht bereit, ihren Beitrag zu leisten.«

Das Gemurmel, das auf diesen Vorschlag hin im Saal einsetzte, zeigte, dass die Garde über diesen Vorschlag geteilter Meinung war. Einige schienen Ranja zuzustimmen, andere schüttelten nur zweifelnd die Köpfe oder lachten gar, weil sie die Idee absurd fanden.

Ranja ließ sich davon jedoch nicht beirren und hob bloß die Schultern. »Ich denke, es wäre einen Versuch wert.«

»Ich denke, es wäre Zeitverschwendung!«, hielt Gaius dagegen. »Wir sollten lieber jeden verfügbaren Ritter zusammentrommeln und in den Süden zum Fuß der Roten Berge reiten. Wenn wir Glück haben, hat Konstantin noch nicht allzu viele Männer dort zusammengezogen. Wir kämpfen uns den Weg frei und die Cays holen Fineas. Dafür brauchen wir die Elfen nicht.«

Die Ritter der Garde begannen erneut untereinander zu diskutieren. Einen Moment lang ließ Ignatius sie gewähren, dann verschaffte er sich mit seinem Holzhammer wieder Gehör.

»Ich denke, wir sollten beide Möglichkeiten ausschöpfen. Ranja hat recht, die Elfen könnten wertvolle Verbündete gegen Konstantin und seine Männer sein und wären vielleicht wirklich bereit, zu helfen, wenn sie wüssten, wie ernst es um unsere Heimat steht.«

Gaius schnaufte wenig überzeugt.

Ignatius nickte ihm zu. »Trotzdem stimme ich auch dir zu, Gaius. Wir können uns nicht auf die Hilfe der Elfen verlassen, also müssen wir uns dafür wappnen, allein gegen Konstantin vorzugehen.«

Gaius nickte zufrieden. »Gibt es schon einen Plan?«

»Im Prinzip sieht er so aus, wie du bereits vorgeschlagen hast«, ergriff nun Quin zum ersten Mal das Wort. »Wir trommeln so viele Ritter zusammen wie hier entbehrlich sind, ohne die Sicherheit der Stadt zu gefährden. Ebenso alle Freiwilligen, die bereit sind, uns zu folgen. Dann reiten wir durch den Großen Wald zum Fuß der Roten Berge und kämpfen uns den Weg frei. Dabei werden wir uns zum einen mit Bartemis und seiner Bande auseinandersetzen müssen, zum anderen natürlich mit Septimus und seinen Schwarzen Reitern.«

»Parallel senden wir eine Delegation zur Elfenfeste in der Hoffnung, dass wir die Elfen zur Kooperation überreden können«, erklärte Ignatius weiter. »Wenn wir Glück haben, stößt das Waldvolk dann am Eingang zur Schlucht in die Roten Berge zu uns. Wenn sie weiter stur bleiben und ihre Hilfe verweigern, sind wir auf uns allein gestellt.«

Gaius brummte zustimmend. »Ob mit oder ohne Elfen, wir werden mit Bartemis’ Raufbolden und den Schwarzen Reitern schon fertig werden. Und je mehr von denen wir jetzt schon erledigen, desto weniger Männer hat Konstantin zur Verteidigung seiner Burg, wenn wir uns die vornehmen.«

»Vorsicht. Unterschätzt unsere Feinde nicht«, warnte Ignatius. Er sah erst Gaius an, ließ seinen Blick dann aber über alle Anwesenden wandern. »Die Reiter aus Dakenhall sind starke Kämpfer. Septimus bildet seine Truppen knallhart aus und wir wissen, wie clever und gewissenlos Konstantin ist. Wir müssen damit rechnen, dass er uns mit Schattenmaren auflauern wird, und ihr wisst, was das bedeutet.«

Kaelan legte seine Hand auf Aris gesunde Schulter, weil er spüren konnte, wie eine riesige Welle aus Wut und Trauer in seinem Freund hochstieg. Auf dem Rückweg ihrer ersten Reise hatte Septimus ihnen mit Schattenmaren aufgelauert und einer davon hatte Raik getötet.

Neben ihnen nahm Liv Noahs Hand. Er hatte ebenfalls keine guten Erinnerungen an das Zusammentreffen mit Septimus. Auch Noah war von einem Schattenmar erwischt worden, hatte die Berührung aber überlebt. Das wusste außer ihrer Klosterfamilie und einiger enger Verbündeter in der Garde allerdings niemand, denn eigentlich galt die Berührung eines Schattenmars als Todesurteil. Warum Noah dennoch überlebt hatte, konnten sich alle Eingeweihten nur dadurch erklären, dass er als Cay das Licht des Engels in sich trug, das ihn vor der todbringenden Finsternis des Schattenmars bewahrt hatte. Zudem hatte Liv ihm mit der besonderen Gabe ihres Lichts geholfen und Ben und Mia hatten ihn ins Kloster zurückgebracht, wo das Engelslicht in Cayas Kapelle die Finsternis aus ihm vertrieben hatte.

Zumindest hoffte Noah das.

Der schreckliche Albtraum, der ihn nach der Attacke nächtelang heimgesucht hatte, ließ etwas anderes befürchten. Darin hatte sich das Engelsmal, das er in seiner Hand trug, von einem Zeichen des Lichts in ein Zeichen der Finsternis verwandelt. Davon wusste bisher niemand – außer Liv. Ihr hatte er sich anvertraut und seitdem ließ der Albtraum ihn in Ruhe. Ihre Worte hatten mit dem Chaos in seinem Kopf und seiner Seele aufgeräumt und ihn wieder ruhiger gemacht. Vor allem, seit sie zusammen waren. Vielleicht lag es an den Schmetterlingen in seinem Bauch, die jedes Mal völlig durchzudrehen schienen, wenn sie ihn anlächelte oder unvermittelt berührte, aber alles schien auf einmal weniger bedrohlich, weniger belastend und viel, viel leichter.

»Wer soll denn zu den Elfen gehen?«

Ranjas Frage riss Noah aus seinen Gedanken und er zwang sich, wieder der Diskussion zu folgen.

»Ich melde mich gern freiwillig, um dem eingeschnappten Waldvölkchen etwas Feuer unterm Hintern zu machen und sie an ihre Pflichten zu erinnern.« Mit einem vielsagenden Grinsen stemmte Ranja erneut ihre Hände in die Hüften.

Ragnar schmunzelte. »Das glaube ich dir sofort, aber auf deine ausgezeichnete Kampfkunst werden wir nicht verzichten können. Wenn Konstantin und Septimus mit Schattenmaren auf uns warten, brauchen wir jeden Mann und jede Frau mit Fähigkeiten wie deinen bei den Roten Bergen.«

Ranja zuckte mit den Schultern. »Ist mir auch recht. Aber wenn keiner der Garde zu den Elfen geht, wer dann? Wollen wir jemanden aus Burgedal schicken?«

Ignatius schüttelte erneut den Kopf. »Nein, wir zeigen den Elfen, wie ernst unser Wunsch ist, dass sie an unserer Seite kämpfen. Deshalb werden unsere Cays die Elfen um Hilfe bitten.«

Die Ritter der Garde starrten die Auserwählten überrascht an. Für die vier war die Ankündigung allerdings nichts Neues. Noch als sie auf der Rückreise aus den Weißen Bergen gewesen waren, hatte Ignatius mit Quin, Amina und Ragnar bereits diesen Plan entwickelt, nachdem Ragnar mit seinem Lagebericht aus dem Großen Wald zurückgekehrt war. Als Ignatius Kaelan, Ari, Noah und Liv diese Idee dann unterbreitet hatte, waren alle vier sofort einverstanden gewesen, ihr Glück bei den Elfen zu versuchen.

»Wir sollen die Cays schicken?«, kam es jetzt ungläubig von einer drahtigen Frau, die Ignatius gegenüber am Tisch saß. »Aber ich denke, sie sollen möglichst schnell zu den Drachen in die Roten Berge reisen. Warum sollen dann ausgerechnet sie wertvolle Zeit bei den Elfen vergeuden? Sollten sie nicht besser mit uns reiten und sich an den Schwarzen Reitern vorbeistehlen, sobald wir sie angreifen? Während eines Kampfes für ein Ablenkungsmanöver zu sorgen, damit die vier unauffällig weiterreiten können, sollte ja sicher schaffbar sein.«

»Nein.« Ben schüttelte den Kopf. »Das ist genau das, was Konstantin erwarten wird. Er wird davon ausgehen, dass wir die vier begleiten, um sie zu beschützen. Genau darauf wird er sich vorbereiten, also sollten wir einen anderen Plan verfolgen.«

»Aber werden Konstantin und Septimus nicht misstrauisch werden, wenn es zum Kampf kommt und sie die vier nicht bei uns sehen?«, gab eine grauhaarige Frau, die neben Una, Armand und Zoe stand, zu bedenken.

Ignatius nickte. »Natürlich. Genau deshalb werden wir mit vier Doppelgängern reiten, die sich für unsere Cays ausgeben.«

Ein Raunen ging durch die Reihen der Ritter und viele nickten anerkennend.

»Aber Septimus und ein paar seiner Männer haben die vier gesehen«, warf Erik skeptisch ein. »Wird er da den Schwindel nicht bemerken?«

»Ich hoffe, wir schaffen es, die Maskerade so lange aufrechtzuerhalten, dass wir den echten Cays genug Zeit geben, damit sie entweder die Elfen für uns gewinnen oder sich einen Weg durch die Wildnis in die Roten Berge schlagen können«, antwortete Ben. »Im Idealfall gelingt ihnen sogar beides.«

»Es kommt auf einen guten Zeitplan an«, fügte Quin hinzu.

»Und wie genau sieht der aus?«, wollte Gaius wissen.

»Nathan hat aus den Novizen und jungen Rittern der Garde fünf ausgewählt, die ihrem Aussehen nach als Doppelgänger infrage kommen«, erklärte Ignatius. Er blickte zu einem dunkelhäutigen Mann, der bestätigend nickte. »Fünf deshalb, weil Zoe, Kaelans Schwester, die vier begleiten wird. Sie war bereits bei den ersten beiden Reisen an der Seite der Cays und wird sie auch diesmal wieder tatkräftig unterstützen, da Ari in den Weißen Bergen verletzt wurde und noch nicht wieder hundertprozentig genesen ist.«

»Das absolut Wichtigste ist die Geheimhaltung«, betonte Ben nachdrücklich. »Wenn wir mit unserem Täuschungsmanöver durchkommen wollen, darf nichts davon nach außen sickern.«

»Wir wissen, dass wir jedem hier im Saal vertrauen können«, sagte Ignatius. Seit ihr Stallbursche Karl sich als Verräter entpuppt hatte, musste jeder Ritter der Garde vor einer Versammlung in Cayas Kapelle treten. Der Engel des Lichts hatte das Gebäude mit einem speziellen Schutzzauber belegt, der es unmöglich machte, die Kapelle zu betreten, wenn man nicht mit Herz und Seele für das Licht kämpfte. »Aber wir müssen leider damit rechnen, dass Konstantin Spitzel in Burgedal eingeschleust hat, die uns sehr genau beobachten. Daher müssen wir sehr vorsichtig sein.«

»Die fünf Doppelgänger haben sich heute Nachmittag bereits bei verschiedenen, absolut vertrauenswürdigen Geschäftsleuten in Burgedal eingefunden«, fuhr Ben fort. »Sobald unsere Versammlung beendet ist, werden sich die echten Cays samt Zoe zu ihren entsprechenden Doppelgängern begeben. Für eventuelle Beobachter wird es so aussehen, als würden sie Botengänge erledigen. Unsere Kinder tauschen die Rollen und die Doppelgänger kehren zu uns ins Kloster zurück.«

»In den nächsten drei Tagen werden sich die vier Ersatz-Cays im Kloster immer mal wieder kurz zeigen, während wir uns auf den Ritt durch den Großen Wald sowie den Kampf bei den Roten Bergen vorbereiten«, erklärte Quin weiter.

»Die vier echten Cays werden morgen in aller Frühe getarnt als Kräutersammler, Feldarbeiter und Fischer Burgedal verlassen und damit hoffentlich keine weitere Beachtung finden«, übernahm Ignatius wieder. »Sie begeben sich nach Südosten zu Helfern, auf deren Hof sie Unterschlupf für die Nacht finden werden. Ihr Gepäck sowie Proviant und ihre Schwerter haben wir bereits gestern von Sean und Eddie zur Farm bringen lassen.«

Liv schaute zu den beiden älteren Männern, die mit am Tisch saßen. Eddie und Sean waren ehemalige Ritter der Garde, die den Posten des abtrünnigen Stallknechts Karl übernommen hatten und gleichzeitig für die innere Verteidigung des Klosters sorgten, falls diese einmal nötig sein sollte. Beide wohnten eigentlich in einem kleinen Haus am westlichen Stadttor Burgedals, waren aber vorübergehend ins Kloster gezogen und Liv hatte sie bereits an ihrem ersten gemeinsamen Abend ins Herz geschlossen. Nicht zuletzt, weil sie jede Menge über Burgedal, Interria und die Garde zu erzählen hatten und sie das Ganze mit vielen witzigen Anekdoten zu würzen wussten.

»Die drei Tage Vorsprung, die wir den fünf geben«, hörte Liv Quin sagen und wandte sich wieder dem Gespräch zu, »sind nicht viel, da sie sich den Großteil des Wegs zu Fuß durchschlagen müssen und mit Sicherheit einige Zeit brauchen werden, um die Elfen zu überzeugen. Aber mehr Zeit ist leider nicht möglich, dafür schreitet Konstantins Bau an seinem Portal zu schnell voran.«

Ragnar sah in die Runde der Ritter. »Macht euch also bereit, in drei Tagen aufzubrechen. Wenn wir zügig reiten, erreichen wir die Roten Berge in fünf. Selbst wenn Bartemis und seine Bande uns Schwierigkeiten bereiten wollen, ist das eine gute Schätzung.« Er wandte sich Kaelan, Noah, Liv und Ari zu. »Versucht die Elfen zur Kooperation zu bewegen, aber behaltet die Zeit im Auge. Morgen in acht Tagen greifen wir die Schwarzen Reiter an. Bis dahin solltet ihr einen Weg ins Tal der Drachen gefunden haben. Wenn ihr also merkt, dass ihr die Elfen nicht als Verbündete gewinnen könnt, versucht sie zumindest dazu zu überreden, euch durch die Wildnis zu helfen, damit ihr schnellstmöglich zu den Roten Bergen gelangt. Holt den Stein des Feuers und versucht, die Drachen davon zu überzeugen, uns im Kampf gegen Konstantin beizustehen. Sie an unserer Seite zu haben, wäre von unschätzbarem Wert.«

»Du denkst tatsächlich, wir können die Drachen als unsere Verbündete gewinnen?«, meinte Gaius zweifelnd. »Versteht mich nicht falsch, ich fände das großartig, aber wir wissen alle, dass ihnen der Pakt, der ihnen in den ersten Tagen Interrias auferlegt wurde, gewalttätige Handlungen strikt verbietet. Ich glaube nicht, dass sie in den Kampf eingreifen und damit ihre Verbannung aus Interria riskieren werden.«

Ignatius nickte. »Damit hast du vermutlich leider recht. Aber dieser Pakt ist über zweitausend Jahre alt und die Drachen haben sich in all der Zeit längst als vertrauenswürdig erwiesen. Ich merke schon seit Jahren immer wieder an, dass ich ihn längst für überholt halte und neu verhandeln möchte. Mit Blick auf die momentane Situation habe ich deshalb die anderen Völker diesbezüglich noch einmal kontaktiert. Sobald ich ihre Antworten erhalten habe, hoffe ich, dass wir eine Lösung finden werden.«

Wieder ging Gemurmel durch den Saal.

Ignatius wandte sich an die Cays. »Versucht einfach, die Drachen zu einem Treffen mit uns zu überreden.«

Kaelan nickte. »Natürlich.« Dann sah er in die Runde der versammelten Garde. »Wir geben unser Bestes, um euch Unterstützung zu schicken.«

Gaius nickte ebenfalls. »Das wissen wir. Und nichts anderes als sein Bestes wird auch jeder Einzelne von uns geben. Gemeinsam werden wir Konstantin stoppen und unsere Welt verteidigen.« Er stieß seine Faust in die Luft. »Aye!«

Alle Ritter der Garde folgten seinem Ruf und stießen ebenfalls ihre Fäuste in die Luft. »Aye!«

Kapitel 2

Sie trafen sich zum Abschiednehmen in der Klosterküche, wo Marta, Helen und Mia mit Sunny bei einem Tee saßen und auf sie gewartet hatten. Vin sprang freudig auf und begrüßte Ari so überschwänglich, als wäre der nicht bloß bei der Versammlung der Garde, sondern tagelang verschollen gewesen.

Ari kniete sich zu ihm und streichelte seinen Wolf. »Schon gut, Kleiner. Komm wieder runter, du musst gleich ganz brav sein.«

Auf dem Küchentisch und den Bänken lagen ihre Lederjacken und Zoe wühlte ihre aus dem Stapel.

»Okay, dann wollen wir mal.« Sie zog ihre Jacke über und hielt ihrem Bruder seine hin, als plötzlich die Küchentür mit Wucht aufgestoßen wurde und Sean im Türrahmen erschien.

Alle fuhren herum.

»Was ist passiert?«, fragte Ben alarmiert.

»Ihr werdet nicht glauben, wen die Stadtwachen gerade am Haupttor aufgegabelt haben!«

»Wen?«

»Karl, euren alten Stallburschen. Hat eine weiße Fahne geschwenkt und bittet um ein Gespräch mit Ignatius.«

Die Wut war so plötzlich da, dass Noah als Erster hinter Ben und Quin her stürmte, als sie die Küchenstufen hochsprangen und in die Eingangshalle des Klosters eilten. Die anderen folgten ihnen. Durch die offen stehende Doppeltür sahen sie Eddie, Armand und Una, die Karl am Klostertor von den Stadtwachen in Empfang genommen hatten und ihn eskortierten.

»Tut uns leid, dass wir euch mit ihm belästigen müssen«, knurrte Una, als sie Karl unsanft in die Eingangshalle stieß. »Aber der Mistkerl weigert sich, mit uns zu reden.«

Der ehemalige Stallbursche sah mitgenommen aus. Seine Haare waren verfilzt und der Regen hatte sie ihm wirr in sein hageres Gesicht geklebt. Liv hatte ihn kaum gekannt, doch er war magerer, als sie ihn in Erinnerung hatte, und seine Kleider hingen verdreckt und zerschlissen an ihm herab. In den Händen hielt er einen Stock, an dessen Ende er einen Stofffetzen geknotet hatte, der mit viel gutem Willen als weiß durchging. Offensichtlich hatte er gehofft, mit diesem Friedenssymbol ins Kloster gelassen zu werden, denn nach seiner Verbannung durfte er Burgedal eigentlich nicht mehr betreten.

Karl blickte in die Runde und Unsicherheit flackerte in seinen Augen, als er Feindseligkeit und kaum verhohlene Wut zu spüren bekam, die ihm von der versammelten Klostergemeinschaft entgegenschlug.

Noahs Zorn kochte immer heißer in ihm hoch.

Dieser Dreckskerl hatte sie an Konstantin verraten!

Seinetwegen war Raik tot und Ari hatte einen der wichtigsten Menschen in seinem Leben verloren!

Noah presste seine Kiefer so fest aufeinander, dass es wehtat.

Karl war schuld daran, dass der Schattenmar ihn berührt hatte. Wegen ihm wäre er fast gestorben und hatte keine Ahnung, ob die verdammte Finsternis irgendwas in ihm zurückgelassen hatte. Bebend vor Zorn wollte Noah sich an Ben vorbeidrängen, doch eine Hand fasste seine und hielt ihn zurück.

Liv.

Er fühlte, wie sie ihre Gabe wirken ließ und seine Wut beschwichtigte, obwohl er sich nicht sicher war, ob er das gerade wirklich wollte. Dieser Dreckskerl hatte Schläge verdient! Eigentlich sogar noch viel mehr als das! Ignatius und der Rat der Garde hatten ihn in die Verbannung geschickt, aber das war doch eine absolut lächerliche Strafe angesichts der Folgen, die sein Verrat mit sich gebracht hatte. Den Kerker hätte er dafür verdient! Totale Isolierung bei Wasser und Brot und nie wieder Sonnenlicht!

Wieder merkte er, wie Liv mit ihrer Superkraft gegen seine Wut anging. Sie hatte jetzt beide Hände um seine Engelshand gelegt. Sanft strich sie mit den Daumen über seinen Handrücken und lehnte sich gegen seinen Arm.

»Er ist es nicht wert«, flüsterte sie leise und drückte seine Hand.

»Es würde sich aber verdammt gut anfühlen«, knurrte er genauso leise zurück. »Und ich weiß nicht, ob es mir gefällt, dass du meine Wut einfach so mit deiner Superkraft ausschaltest. Darüber sollten wir dringend mal reden.«

Livs Augenbrauen wanderten nach oben und sie hob ihrer beider Hände. »Ich hab meine Superkraft gar nicht eingesetzt.«

Ungläubig starrte er auf ihre verschränkten Finger. Kein goldenes Engelslicht war dazwischen zu sehen und doch fühlte es sich genauso an. Verständnislos suchte er Livs Blick, aber die hob nur die Schultern.

»Sieht so aus, als hätte ich anscheinend noch eine weitere, ganz exklusive Superkraft nur für dich – was ich gerade ehrlich gesagt ziemlich cool finde.« Sie drückte seine Hand noch einmal und in ihren Augen lag dieses freche Funkeln, das die Schmetterlinge in seinem Bauch immer völlig in den Wahnsinn trieb.

Die kalte Stimme von Ignatius, der jetzt zu ihnen in die Eingangshalle trat, sorgte allerdings dafür, dass Noah sich wieder auf Karl konzentrierte. »Du willst mich sprechen? Ich hoffe, aus einem guten Grund.«

Mit sichtlichem Unbehagen ließ der ehemalige Stallknecht seinen Blick von einem zum anderen gleiten. »Ich wollte eigentlich mit dir allein sprechen.«

Ignatius schüttelte den Kopf. »Entweder du sprichst jetzt und hier vor allen mit mir oder Una und Armand werden dich hinausbegleiten und dafür sorgen, dass du Burgedal auf der Stelle wieder verlässt. Also, was darf es sein?«

Karl verzog das Gesicht und wischte sich schniefend mit seinem Ärmel den Regen vom Gesicht. »Also gut. Bartemis schickt mich.« Triumph trat in seinen Blick und er schien zu erwarten, dass diese Verkündung eine gewisse Überraschung bei allen Anwesenden auslösen würde, aber auf diese Reaktion wartete er vergebens.

Ignatius nickte bloß und faltete ruhig die Hände in den weiten Ärmeln seiner Klosterkutte. Nachdem er Karl nach seinem Verrat in die Verbannung geschickt hatte, war damit zu rechnen gewesen, dass er sich entweder den Wegelagerern im Großen Wald anschließen oder versuchen würde, in Dakenhall Fuß zu fassen. Da man in Dakenhall Fremden momentan allerdings genauso misstrauisch gegenüberstand wie in Burgedal, war es nicht weiter verwunderlich, dass Karl in Bartemis’ Bande gelandet war.

Als der Stallknecht merkte, dass Ignatius zu seiner Verkündung offensichtlich nichts zu sagen hatte, fuhr er sich sichtlich enttäuscht mit der Zunge über die Lippen und sprach weiter. »Bartemis schickt mich mit einem Angebot zu euch.«

Auch zu dieser Offenbarung sagte keiner ein Wort und langsam wurde Karl wütend. »Was?«, knurrte er patzig in die Runde. »Interessiert es euch nicht, was er anzubieten hat?«

Ignatius atmete tief durch und hob gelassen die Schultern. »Ich kann es mir denken.«

»Ach ja?«

»Ja.« Ignatius sah sein Gegenüber weiter ruhig an. »Bartemis hat dich geschickt, um uns anzubieten, dass ihr für uns gegen Konstantin kämpft.«

Verblüfft blickte Karl den Klostervorsteher an.

»Natürlich wären eure Dienste nicht umsonst«, fuhr Ignatius fort. »Wir würden sie uns mit einer ordentlichen Stange Gold erkaufen müssen, habe ich recht?«

Karl nickte zögernd.

»Söldner!« Una spuckte das Wort angewidert aus, als hätte es einen ekelhaften Geschmack in ihrem Mund verursacht.

Karl würdigte sie keines Blickes. »Von irgendwas müssen wir ja leben!«

»Wie wäre es mit ehrlicher Arbeit?«, grollte Ben. »Ach nein, warte! Die hattest du ja hier bei uns. Und du wurdest dafür sogar äußerst gut bezahlt. Trotzdem war deine Gier größer als deine Loyalität, als Konstantin dich als Spitzel haben wollte. Und offensichtlich hast du nichts daraus gelernt, wenn du dich Bartemis angeschlossen hast. Der verkauft sich und seine Leute auch an den Meistbietenden! Wir wissen, dass Konstantin ihm ein Angebot gemacht hat, und es spricht Bände über euch, dass Bartemis ausgerechnet dich hierherschickt, um ein Gegenangebot einzuholen.«

Karl schluckte.

»Wie sieht Konstantins Angebot aus?«, wollte Quin wissen. »Was bietet er euch?«

Karl kniff die Lippen zusammen und war sichtlich nicht glücklich darüber, dass dieses Gespräch nicht so lief, wie er gehofft hatte. »Konstantin weiß, dass ihr durch den Großen Wald müsst, um zum Tal der Drachen zu gelangen. Wir sollen ihn und seine Schwarzen Reiter am Fuß der Roten Berge unterstützen. Dafür zahlt er Bartemis ein hübsches Sümmchen Gold und er will ihm eine Burg in den Wald bauen lassen, damit wir nicht mehr nur in unseren Zelten hausen müssen.«

Quin lachte auf. »Das glaubt ihr nicht wirklich, oder?«

»Wir sind nicht dumm!«, gab Karl wütend zurück. »Das Gold bekommen wir natürlich vor dem Kampf.«

»Sicher. Und nach dem Kampf werden die Schwarzen Reiter euch erledigen und es euch wieder abnehmen.«

Karl ballte die Fäuste, verzichtete aber auf eine Antwort und wandte sich stattdessen wieder Ignatius zu. »Bartemis schickt mich, um euch wissen zu lassen, dass er bereit wäre, die Seiten zu wechseln und stattdessen für euch zu kämpfen.«

Ben schnaubte. »Klar, weil er sich denken kann, dass wir Zahlungsvereinbarungen zuverlässiger – und weniger tödlich für euch – einhalten als Konstantin.«

Auch ihn ignorierte Karl und konzentrierte sich weiter nur auf Ignatius. »Ihm gefällt die Idee einer eigenen Burg, deshalb fordert er die von euch auch. Und zusätzlich tausend Goldstücke.«

Ben, Quin und Una lachten auf, während Mia, Armand, Marta und Helen nur die Köpfe über so viel Dreistigkeit schütteln konnten.

Ignatius dagegen sah Karl noch immer ruhig an. »Ich nehme an, das ist die doppelte Summe dessen, was Konstantin Bartemis für seine Dienste angeboten hat?«

Karl nickte. »Aber wenn ihr auf das Angebot eingeht, kämpfen wir nur für euch«, versicherte er. »Und wir sind gute Kämpfer!«

Ignatius seufzte. »Das mag sein, aber ihr besitzt weder Moral noch ein Gewissen, und wir können nicht Seite an Seite mit euch kämpfen, wenn wir befürchten müssen, dass ihr uns in den Rücken fallt, sobald euch jemand ein besseres Angebot macht. Wir kämpfen nur an der Seite von Partnern, denen wir vertrauen können und die absolut loyal sind. Richte das Bartemis aus.«

Karl schüttelte den Kopf. »Ihr werdet es bereuen.« Es schien, als würde er ehrlich bedauern, dass Ignatius das Angebot ausschlug. »Konstantin zieht viele Männer im Wald zusammen. Er ist sehr stark. Wir können euch helfen. Ihr solltet Bartemis’ Angebot wirklich annehmen.«

Ignatius schüttelte den Kopf. »Nein. Wir kämpfen nicht an der Seite von Söldnern.«

Karl seufzte, akzeptierte aber seine Niederlage. »Dann ist alles gesagt.«

Der Klostervorsteher sah ihn noch einen Moment lang an und nickte dann. Bedauernd erwiderte der ehemalige Stallbursche die Geste und leistete keinerlei Widerstand, als Una und Armand ihn an den Oberarmen fassten, um ihn hinauszubringen.

»Wir sorgen dafür, dass er Burgedal wieder verlässt«, versprach Armand und führte Karl zum Eingangsportal.

In der Tür wandte der ehemalige Stallknecht sich noch einmal um und blickte von Ignatius zu den vier Cays. »Ich wünsche euch viel Glück. Möge der Engel mit euch sein.«

Kapitel 3

Ben ließ die schwere Küchentür ins Schloss krachen und stiefelte als Letzter die Stufen zur Küche hinab. »Hat Bartemis allen Ernstes geglaubt, dass wir auf sein unverschämtes Angebot eingehen?«, schimpfte er. »Und dann auch noch ausgerechnet Karl zu schicken! Eine absolute Frechheit!«

Angewidert schüttelte er den Kopf und sah kurz zu Ari. Kaelan hatte einen Arm um ihn gelegt und sprach leise mit ihm. Ben seufzte innerlich und seine Wut auf Bartemis und Karl wurde nur noch größer.

»Ich hatte allerdings das Gefühl, dass Karl es ehrlich bedauert, dass wir das Angebot nicht annehmen«, warf Helen ein.

»Denkst du etwa, wir hätten die Dienste dieser Söldner in Anspruch nehmen sollen?!«, schoss Ben sofort empört zurück.

Seufzend fuhr Helen sich über die Augen. »Das hab ich doch gar nicht gesagt, Ben. Ich fand nur, dass Karl es bedauert hat. Ich hatte den Eindruck, er würde lieber für uns als für Konstantin kämpfen.«

»Das hätte er sich überlegen sollen, bevor er uns verraten hat!«

»Ja, natürlich. Aber vielleicht tut ihm seine Tat mittlerweile zutiefst leid und er hat auf eine Chance gehofft, uns das zu beweisen.«

Ben schnaubte nur. »Selbst wenn, so wie die Dinge gerade liegen, können wir es uns nicht leisten, Verrätern großzügig zweite Chancen zu geben.«

»Nein, definitiv nicht«, stimmte Quin ihm zu. »Es könnte für uns aber von Vorteil sein, wenn in Konstantins Armee Leute kämpfen, die ihm nur halbherzig folgen.«

Ignatius hob die Hände und beendete damit die Diskussion. »Es ist müßig, sich darüber Gedanken zu machen. Halten wir uns lieber an die Fakten. Wir sind von Anfang an davon ausgegangen, dass die Wegelagerer gegen uns sein werden, und daran hat sich nichts geändert. Also sollten wir an unserem Plan festhalten.« Er wandte sich an Kaelan, Ari, Noah, Liv und Zoe. »Das bedeutet, dass wir uns jetzt von euch verabschieden müssen.« Er sah die fünf der Reihe nach an. »Ihr wisst, was ihr zu tun habt und wir wissen, dass ihr euer Bestes geben werdet.« Er schüttelte ihnen die Hände und bedachte sie mit einem zuversichtlichen Lächeln. »Der Engel wird mit euch sein.«

Damit war der Moment des Abschieds gekommen.

Mia trat zu Ari, musterte ihn kurz und zog ihn dann fest in ihre Arme. »Karl ist keinen weiteren deiner Gedanken wert, okay? Was er getan hat, kann man nicht mehr ändern. Also konzentrier dich auf die Gegenwart und deine Zukunft. Ihr habt eure Aufgabe als Cays bald geschafft und dann gehören eure Leben euch.«

Ari nickte stumm und erwiderte die Umarmung. Mia war einer der wichtigsten Menschen in seinem Leben und der Gedanke, dass sie in acht Tagen als Freiwillige mit in den Kampf zog, vertrieb die widerliche Begegnung mit Karl sehr schnell aus seinem Kopf. Ari wusste, wie gut Mia als Kämpferin war. Das änderte aber nichts daran, dass er eine Scheißangst hatte, sie zu verlieren. Raik war schließlich auch einer der besten Kämpfer aus ihren Reihen gewesen.

»Pass auf dich auf«, murmelte Ari und drückte sie fest an sich, obwohl seine verletzte Schulter ihm das übel nahm. Aber das war ihm gerade vollkommen egal. Falls das hier ihre letzte Umarmung war … falls Mia – er schluckte hart und wollte den Gedanken nicht zu Ende denken.

»Natürlich«, antwortete sie leise und hielt ihn für einen extralangen Moment in ihren Armen. Dann küsste sie liebevoll seine Stirn und sah ihm in die Augen. »Und für dich gilt das Gleiche: Pass auf dich auf. Und schone deine Schulter so gut es geht. Du gehst nur mit auf diese Reise, weil du für das Ritual gebraucht wirst. Alles andere überlässt du den anderen, klar? Wenn die Zeit nicht so drängen würde, würde ich dir noch für wenigstens eine Woche Ruhe verordnen und dich von Marta aufpäppeln lassen. Also halte dich zurück und überlass Heldentaten den anderen. Du hast auf der letzten Reise mehr als genug geleistet. Auf dieser steht nur das Ritual für dich an, okay?«

Ari schnitt ihr eine Grimasse. »Sicher.«

Mia dolchte ihren Blick noch einen Moment länger in seinen, dann sah sie zu Kaelan.

Der nickte. »Keine Sorge. Ich passe definitiv auf ihn auf.«

Mia zog ihn ebenfalls in ihre Arme. »Auf dich auch, verstanden?«

»Klar.«

»Gut.« Sie schob ihn von sich und klopfte ihm kurz auf die Schultern. Dann wandte sie sich Noah zu.

Der schluckte. Abschied nehmen war nicht sein Ding und von Mia fiel es doppelt schwer. Obwohl er sie noch nicht lange kannte, hatte sie ihm in der kurzen Zeit mehr Sicherheit, Fürsorge, Bedingungslosigkeit und Liebe geschenkt als es je ein anderer Erwachsener in seinem Leben getan hatte. Außer Ben. Er war genau wie sie und auch wenn Noah sich nur langsam an das Gefühl gewöhnte, leibliche Eltern zu haben, war ihm längst klar, wie ungeheuer wichtig ihm die beiden geworden waren.

Aber er war einfach nicht besonders gut darin, das in Worte zu fassen. Selbst bei Liv hatte er kaum die richtigen gefunden und bei Mia war es sogar noch schwieriger.

»Das, was Ari gesagt hat«, murmelte er deshalb leicht verlegen. »Pass auf dich auf, ja? Und auch auf Ben.« Es war schließlich offensichtlich, von wem seiner Eltern er seine Hitzköpfigkeit geerbt hatte.

Mia lächelte gerührt, zog ihn an sich und gab ihm einen Kuss auf die Schläfe. »Auf jeden Fall.« Dann zog sie auch Liv mit in ihre Umarmung und hielt beide eine ganz Weile lang fest. »Seid füreinander da und haltet euch gegenseitig den Rücken frei«, sagte sie, als sie die zwei wieder losließ. »So werden Ben und ich es auch machen.«

Überall in der Küche wurde jetzt umarmt und gedrückt, zur Vorsicht ermahnt und viel Glück gewünscht.

Auch Ben zog Noah kurz aber fest an sich und strubbelte ihm väterlich durchs Haar. »In spätestens zwei Wochen sehen wir uns hier wieder«, sagte er in einem Tonfall, der keine Zweifel zuließ, und wandte sich dann an Liv. »Bis dahin hab ich vollstes Vertrauen in dich, dass du dafür sorgen wirst, dass dieser Hitzkopf nicht Kopf und Kragen riskiert.« Er schloss auch sie kurz in seine Arme und fügte dann leiser hinzu: »Es ist ein gutes Gefühl, dich an seiner Seite zu wissen.«

Gerührt erwiderte Liv die Umarmung.

»Und wehe ich muss mir wieder Berichte über Harpyienangriffe und Lawinen anhören, wenn ihr zurückkommt!«, drohte Marta, als die fünf sich auch von ihr verabschiedet hatten. »Denkt an mein armes Herz!«

»Na ja«, meinte Zoe, während sie ihre Lederjacke zuknöpfte und die Kapuze überzog. »Ich schätze, das mit der Lawine wird in den Roten Bergen schwer. Da es dort affenheiß ist, könnte es, wenn überhaupt, nur eine Gerölllawine sein und die hatten wir dank ein paar tollpatschiger Gnome eigentlich schon in den Weißen Bergen.« Sie grinste. »Damit können wir die also von unserer To-Do-Liste streichen.«

Gespielt empört stemmte Marta eine Hand in die Hüfte und deutet mit der anderen zur Tür. »Raus!«

Kapitel 4

Der Regen fiel in dichten Schleiern herab, als die fünf ausgestattet mit Handkarren, Körben und Rucksäcken die steile Straße vom Kloster hinunter in die Stadt liefen. Da sie häufiger gemeinsam oder paarweise kleinere Besorgungen in Burgedal erledigten, würden sich mögliche Beobachter nicht wundern, dass sie auch heute – trotz Regen – loszogen, um ein paar Einkäufe zu erledigen. Um die Tarnung perfekt zu machen, hatte Ari bei ihren vorherigen Streifzügen durch die Stadt sogar Vin im Kloster gelassen. Eigentlich hatten sie so austesten wollen, ob er den kleinen Wolf während der Reise zu den Drachen im Kloster lassen konnte, aber das hatte sich schnell als unmöglich herausgestellt. Blieb Ari zu lange fort, heulte Vin das ganze Kloster zusammen, was ein heimliches Verschwinden der Cays unmöglich machte. Daher hatte Ari Vin beigebracht, sich in einem Rucksack tragen zu lassen, um ihn ungesehen aus dem Kloster zu schleusen.

Die fünf sprachen nicht viel, während sie den Weg zur Stadt hinabliefen. Der Abschied von ihren Eltern, Marta und Ignatius lastete allen auf der Seele. Gleichzeitig waren alle angespannt, weil der Austausch mit ihren Doppelgängern bevorstand und reibungslos funktionieren musste. Wenn etwas schiefging, war ihr Täuschungsmanöver und die ausgeklügelte Planung der letzten Tage dahin.

Liv blickte sich geschützt durch ihre Kapuze verstohlen um. Es war ein seltsames Gefühl, davon ausgehen zu müssen, dass man sie beobachtete. Wie ein ständiges ungutes Kribbeln im Nacken. Wo mochten sich Konstantins Beobachter versteckt halten? Liv wagte nicht, sich zu offensichtlich umzusehen. Bloß kein Misstrauen erwecken.

In ihrer Gasse begegnete ihnen kaum jemand. Die tiefhängenden grauen Wolken sorgten dafür, dass es früher als sonst zu dämmern begann, und der Regen trieb die Burgedaler in ihre Häuser. Wie abgesprochen hatten die Sylphen für das Täuschungsmanöver das richtige Wetter besorgt. Die Windgestalten an ihrer Seite zu haben, war definitiv praktisch.

Die fünf erreichten den Marktplatz, auf dem sonst kurz vor der Abendzeit immer reges Treiben herrschte, weil die Händler die letzten Waren des Tages günstiger anboten und viele Einwohner sich das nicht entgehen ließen. Heute waren viele Stände jedoch schon früher geschlossen worden und deutlich weniger Leute als sonst versuchten, noch schnell ein paar Schnäppchen zu machen. Die fünf hielten sich auf dem äußeren Ringweg, der einmal um den Marktplatz herumführte, und stoppten an einer der Gassen, die in den Ostteil der Stadt und zu Mattes’ Schmiede führte.

»Hier trennen sich unsere Wege«, sagte Kaelan leise an Zoe und Liv gewandt. »Viel Glück und seid vorsichtig. Wir sehen uns morgen auf dem Eichenhof.«

Liv nickte und merkte, wie ihre Nervosität noch mal deutlich anstieg.

»Kriegen wir hin«, meinte Zoe dagegen leichthin. »Ich wette, Liv und ich sind sogar eher dort als ihr.« Sie grinste frech.

»Herausforderung angenommen.« Kaelan grinste zurück.

Noah suchte Livs Blick. »Passt gut auf euch auf.« Gern hätte er ihre Hand genommen oder – noch besser – sie zum Abschied geküsst, aber das wäre zu auffällig gewesen. Offiziell trennten sich ihre Wege ja nur kurz, weil jeder in einen anderen Laden ging.

»Das Gleiche gilt für euch.« Liv schenkte ihm ein kleines Lächeln – und jetzt wollte er sie definitiv küssen. Trotzdem hielt er sich heldenhaft zurück.

Ari sah sich unauffällig um. »Wir sollten weitergehen, bevor sich irgendwer wundert.«

Kaelan nickte. »Mistwetter«, sagte er dann lauter als zuvor. »Ich wette, Ari, Noah und ich sind vor euch zurück am Kloster!«

»Wette angenommen!«, gab Zoe sofort zurück. »Los komm, Liv, mit dem Karren haben sie gegen uns keine Chance!« Damit packte sie Liv am Arm und die beiden rannten los.

»Dafür verquatschen wir uns bei unseren Einkäufen nicht mit jedem zweiten, der uns begegnet!«, rief Noah ihnen hinterher.

Liv und Zoe ignorierten ihn geflissentlich und eilten weiter die Ringstraße entlang bis zu der Gasse, die sie zu Bettys Nähstube führte. Ein helles Glöckchenklimpern ertönte, als die beiden durch die Tür traten. Im Laden war es warm und gemütlich. Wegen der frühen Schlechtwetterdämmerung brannten Öllampen und in einem kleinen Ofen prasselte ein Feuer, das eine Teekanne und zwei Tassen warmhielt.

»Hallo Betty, hallo Otto«, grüßte Zoe.

»Hallo ihr zwei.« Betty war um die siebzig, klein und schmal, mit grauen Haaren, die sie zu einem Knoten gebunden am Hinterkopf trug. Sie lächelte ihnen entgegen, genauso wie ihr Mann, der an einem der Regale verschiedene Rollen mit Nähgarn sortierte.

»Ein fürchterliches Wetter haben wir da draußen, nicht wahr?«, meinte er. »Gestern noch so heiß und heute ist es so kalt wie im Herbst. Kommt herein und wärmt euch kurz auf.«

»Vielen Dank.« Zoe streifte ihre Kapuze vom Kopf. Liv tat es ihr gleich.

»Oh, das ist doch selbstverständlich«, winkte Betty ab. »Kommt mit nach hinten ins Lager, da ist es schön warm und da habe ich auch die Stoffe fürs Kloster.« Eifrig schlurfte sie zu einer Tür, die in den hinteren Bereich der Nähstube führte. »Otto wird in der Zwischenzeit den Laden hüten.«

Der alte Mann hob die Hand zum Zeichen, dass er verstanden hatte. »Ja, geht nur, ich halte hier die Stellung.«

Liv und Zoe folgten Betty. Das Lager war dämmrig und eng und eigentlich bloß ein schlauchartiger Gang, der vom Ladenlokal zu einer weiteren Tür führte. Regale mit dicken Stoffballen, sortiert nach Farben und Arten der Stoffe, ragten rechts und links bis hoch zur Decke. Betty durchquerte den Gang zielstrebig und öffnete die Tür an dessen Ende.

»Kommt rein. Stina wartet schon.«

Hinter der Tür lag die Wohnstube des Ehepaars. Die eine Hälfte diente als Küche mit Holzofen, Spüle, einer Anrichte, Regalen, auf denen sich Geschirr ordentlich stapelte, und einem Esstisch mit vier Stühlen. In der anderen Hälfte lag die Wohnecke mit einem kleinen Sofa, einer Vitrine voller Bücher und einem Kamin, vor dem ein Schaukelstuhl und ein alter Ohrensessel standen. Im Sessel saß ein Mädchen und hatte gelesen, doch als Liv und Zoe die Stube betraten, sprang es sofort auf.

»Da seid ihr ja. Hallo«, grüßte sie die beiden.

»Hey Stina.« Zoe trat zu ihr und die beiden umarmten sich kurz. Wie Zoe war Stina eine Novizin in der Garde und die beiden kannten sich vom gemeinsamen Unterricht in Gesetzeskunde und vom Training in Bogenschießen, Schwertkampf und Selbstverteidigung. Zoe hatte Stina als Livs Doppelgängerin vorgeschlagen, als Ignatius ihnen zum ersten Mal von ihrem geplanten Täuschungsmanöver erzählt hatte.

»Hallo«, grüßte auch Liv und fand es ziemlich schräg, ihrer Doppelgängerin gegenüberzustehen. Stina war etwas größer als sie und im Gegensatz zu Liv musste sie bereits achtzehn sein, denn erst mit der Volljährigkeit durfte man der Garde beitreten. Wie Liv war Stina eher klein für ihr Alter, ihre langen Haare waren genauso straßenköterblond und sie hatte sie wie ausgemacht mit ein paar Lederbändern im Nacken zurückgebunden. Ihre Gesichter waren beide schmal und sie hatten Stupsnasen, ansonsten ähnelten sie sich allerdings nur grob und ihre Augenfarben stimmten gar nicht: Livs waren braun, Stinas blau. Aber diese Unterschiede würden sicher niemandem auffallen, der sie bloß aus weiterer Entfernung sah.

Stina grinste. »Freut mich, dich kennenzulernen.« Sie zog auch Liv in eine kurze Umarmung, schob sie dann von sich und musterte sie von oben bis unten. »Also ich denke, die Täuschung müsste funktionieren.«

Liv grinste zurück. »Ja, das denke ich auch. Vielen Dank, dass du dich bereit erklärt hast, uns zu helfen.«

Aber Stina winkte bloß ab. »Hallo? Das ist doch selbstverständlich. Ich will ganz sicher nicht, dass sich in unserer Heimat irgendwelche Kreaturen der Finsternis breitmachen. Also müssen wir Konstantin aufhalten, und wenn ich dabei helfen kann, indem ich mich als deine Doppelgängerin ausgeben, bin ich auf jeden Fall sofort dabei.«

Liv lächelte. »Trotzdem danke.«

»Wir sollten uns beeilen«, drängte Zoe. »Wenn wir zu viel Zeit vertrödeln, wird womöglich noch jemand misstrauisch, wenn man uns gefolgt ist. Also los.«

Liv zog ihre nasse Lederjacke aus, dann auch Hose und Stiefel, die ähnlich durchnässt waren, und tauschte sie gegen Stinas trockene Kleidungsstücke, während Stina in Livs nasse Klamotten schlüpfte. Betty war derweilen mit den Worten »Ich hole euch die Stoffe fürs Kloster« zurück ins Lager verschwunden.

»Zeit für den Abschied.« Zoe drückte Liv kurz an sich. »Ich finde dich, sobald wir morgen weit genug von Burgedal entfernt sind.«

Für den ersten Wegabschnitt war Liv am nächsten Tag auf sich gestellt und musste sich zum ersten Mal allein außerhalb der Stadtmauern zurechtfinden. »Wäre cool. Aber keine Sorge, wenn nicht, ist es auch okay«, versicherte sie. Ignatius und Ben hatten ihr den Weg auf der Karte gezeigt und er war leicht einzuprägen gewesen. »Dann sehen wir uns auf dem Eichenhof.«

»Definitiv.«

»Danke noch mal – auch wenn du es nicht hören willst«, sagte Liv, als sie sich auch von Stina verabschiedete.

Die schnitt ihr eine Grimasse und sie umarmten sich kurz. Dann zog Stina sich die nasse Kapuze über den Kopf und verschwand im Lager.

»Wir sehen uns!« Zoe winkte Liv noch einmal zu und folgte Stina.

Im Lagerraum drückte Betty ihr ein dickes Bündel aus verschiedenen Stoffbahnen in den Arm, das sie in ein wasserabweisendes Tuch eingeschlagen hatte. »Das ist die Ware fürs Kloster.«

»Danke dir.«

Die drei gingen zurück in den Verkaufsraum, der abgesehen von Otto, der noch immer Garnrollen sortierte, leer war. Er sah von seiner Arbeit auf und lächelte ihnen verschwörerisch zu. »Grüßt mir Ignatius. Und passt gut auf euch auf.«

Betty ging zur Tür und hielt sie den beiden Mädchen auf. »Grüße an alle und seht zu, dass ihr bei dem Regen schnell ins Kloster zurückkommt.«

Zoe zog ihre Kapuze über. »Machen wir. Und danke für alles!«

Betty zwinkerte vielsagend. »Ich hoffe, die Stoffe gefallen Helen und Marta.«

»Mit Sicherheit.« Zoe grinste. Dann stieß sie Stina an. »Los komm, auf zum Krämer!«

Mit gesenkten Köpfen liefen die beiden in den Regen hinaus.

Betty blickte ihnen nach. »Viel Glück für eure Reisen!«, rief sie ihnen hinterher. »Möge der Engel euch beschützen!«

Kapitel 5

Noah lag auf seinem Deckenlager in Mattes’ Wohnstube und blickte durchs Fenster hinauf in den Nachthimmel. Es hatte aufgehört zu regnen und durch die Lücken in der Wolkendecke funkelten Sterne. Es war schon spät. Sicher weit nach Mitternacht, aber der Schlaf wollte einfach nicht kommen. Zu viele Dinge gingen ihm im Kopf herum.

Sie hatte begonnen. Die Reise zu Fineas, seinem Lichtstein.

Zumindest beinahe, noch waren sie ja nicht unbemerkt aus Burgedal herausgekommen. Aber der Austausch mit ihren Doppelgängern war ohne Probleme vonstattengegangen. Noah hatte vorgegeben, mit Ari und Kaelan bei Mattes in der Schmiede einige Eisenstangen abzuholen, die als Gewächshilfen in den Klostergärten eingesetzt werden sollten. Während Mattes die Ware auf ihren Handkarren geladen hatte, waren sie in seine Wohnung über der Schmiede verschwunden, wo ein Novize und zwei junge Ritter aus der Garde auf sie gewartet hatten. Sie hatten die Rollen getauscht und die drei waren zurück ins Kloster gelaufen. Da es von dort keine Meldung gegeben hatte, musste die erste – und wichtigste – Stufe ihres Täuschungsmanövers funktioniert haben.

Kaelan, Ari und Noah hatten mit Mattes abendgegessen und sich dann mit Decken und Kissen ein Nachtlager hergerichtet, wobei Noah und Kaelan Ari das Sofa überließen. Seine Schulter heilte zwar gut, trotzdem würde besonders für ihn die Reise zu den Drachen anstrengend werden.

Die Reise zu den Drachen.

Ein Lächeln huschte über Noahs Gesicht, als er das Gefühl von Aufregung und Vorfreude spürte, das ihn jedes Mal packte, wenn er an sein Lichtsteinvolk dachte. Er war wahnsinnig gespannt auf die Drachen. Himmel, wer wäre das nicht?

Doch es ging nicht allein darum, dass Drachen einfach verdammt coole Wesen waren. Er fühlte sich schon jetzt verbunden mit ihnen, obwohl er sie noch gar nicht kannte. Sie waren so was wie die Außenseiter in Interria. Nicht unbedingt Verstoßene, aber man ging ihnen aus dem Weg und begegnete ihnen mit Misstrauen – und das Gefühl kannte er nur zu gut. In jeder Schule, in der er neu hatte anfangen müssen, wenn mal wieder ein Wechsel von Heim oder Pflegefamilie stattgefunden hatte, war auch er misstrauisch beäugt worden und oft ein Außenseiter geblieben, weil Heimkind wie ein Stigma gewesen war, und nicht immer hatte er sich die Mühe gemacht, die Leute trotzdem für sich zu gewinnen. Irgendwann war ihm einfach die Lust vergangen, ständig um Anerkennung kämpfen zu müssen, und es war ihm egal geworden, ob die Leute ihn mochten. Hauptsache, sie ließen ihn in Ruhe, denn wenn nicht, hatte er oft die Beherrschung verloren und sein Temperament war mit ihm durchgegangen. Mehr als einmal hatte das unschöne Konsequenzen wie Schulverweise oder den Wechsel von einer Familie zurück ins Heim mit sich gebracht.

---ENDE DER LESEPROBE---