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Die Journalistin Abigail nimmt einen Job als Hausmeisterin und Putzhilfe an, um in einem Mehrfamilienhaus Inspirationen für ihren ersten Roman zu finden. Sie erhält Einblicke in Partnerschaften und das Familienleben, sammelt ungewöhnliche Eindrücke und gewinnt viele unerwartete Erkenntnisse. So wird sie nicht nur zum Mitwisser, sondern fühlt sich auch in den Verlauf der Ereignisse mit einbezogen. Für sich stellt Abigail ganz schnell fest: Es ist nicht alles Gold, was glänzt, aber es lohnt sich, verschiedentlich einzugreifen.
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Seitenzahl: 214
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Die Journalistin Abigail nimmt einen Job als Hausmeisterin und Putzhilfe an, um in einem Mehrfamilienhaus Inspirationen für ihren ersten Roman zu finden. Sie erhält Einblicke in Partnerschaften und das Familienleben, sammelt ungewöhnliche Eindrücke und gewinnt viele unerwartete Erkenntnisse. So wird sie nicht nur zum Mitwisser, sondern fühlt sich auch in den Verlauf der Ereignisse mit einbezogen. Für sich stellt Abigail ganz schnell fest: Es ist nicht alles Gold, was glänzt, aber es lohnt sich, verschiedentlich einzugreifen.
Gudrun Leyendecker ist seit 1995 Buchautorin. Sie wurde 1948 in Bonn geboren.
Siehe Wikipedia.
Sie veröffentlichte bisher circa 85 Bücher, unter anderem Sachbücher, Kriminalromane, Liebesromane, und Satire. Leyendecker schreibt auch als Ghostwriterin für namhafte Regisseure. Sie ist Mitglied in schriftstellerischen Verbänden und in einem italienischen Kulturverein. Erfahrungen für ihre Tätigkeit sammelte sie auch in ihrer Jahrzehntelangen Tätigkeit als Lebensberaterin.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Als meine Freundin sagte: „Eine Hochzeit ist noch kein Happy End, sondern der Beginn aller Komplikationen“, beschloss ich sofort, mich darüber zu informieren.
Als Journalistin bin ich es gewohnt, an den unmöglichsten Orten zu recherchieren, und meine Neugier treibt mich in alle Winkel und Ecken.
„Ein ganzes Buch wäre noch viel besser als eine Serie von Artikeln“, kommentierte Linda meine Absichten und deswegen beschloss ich umgehend, mich als Hausmeisterin und Putzhilfe in einem Mehrfamilienhaus zu bewerben.
Schneller, als ich es gedacht hatte, erhielt ich eine Zusage von der Hausgemeinschaft eines großen Stadthauses, in dem fünf Mietparteien wohnen. Ganz oben unterm Dach habe ich mich nun einquartiert und bin die neue Mieterin im Haus Nummer 5, das sich auf der Poststraße breitmacht und eine freundliche und saubere Fassade zeigt.
Heute stelle ich mich der ältesten Hausbewohnerin, Frau Regine Schulte-Bäumler vor, von der ich weiß, dass sie ihre große Parterre-Wohnung ganz allein bewohnt.
Mit einem kleinen, bunten Blumenstrauß stehe ich vor der Wohnungstür und drücke auf den Klingelknopf.
Eine mittelgroße, ältere Frau mit blondgefärbtem Haar öffnet mir die Tür, begrüßt mich und bittet mich einzutreten.
„Das ist eine nette Idee, überall einen Antrittsbesuch vorzunehmen“, findet sie. „Die Bewohner dieses Hauses leben momentan alle mehr oder weniger für sich, außer für eine höfliche, aber förmliche Begrüßung, konnte ich noch niemanden zu einem weiteren Kontakt überreden.“
Sie führt mich ins Wohnzimmer, in dem sie auf dem Couchtisch mit duftendem Kaffee und frisch gebackenem Kuchen aufwartet.
Ich nehme auf einem bequemen Stuhl Platz. „Dann besteht die Hausgemeinschaft sicher noch nicht so lange“, vermute ich.
Die ältere Dame schenkt mir Kaffee ein. „Ich lebe seit vielen Jahren hier, und vor fünf Jahren zog, mir gegenüber, die Familie von Thosbach ein. Sie sind zu viert, das ist der Vater Hannes, ein Musiklehrer, die Mutter Jana, eine Logopädin, und dazu gehören die Zwillinge Nadine und Delia, sie sind gerade zwölf Jahre alt und stecken mitten in der Pubertät.“
Ich staune und spüre, dass sich meine Augenbrauen heben. „Das hört sich doch im ersten Moment alles sehr freundlich und lebhaft an. Und da hat sich bis jetzt kein näherer Kontakt ergeben?“ frage ich verwundert. „Wie kommt das? Sind es so schüchterne Kinder?“
Sie setzt sich und reicht mir die Kuchenplatte. „Er ist selbst gebacken, das ist eines meiner vielen Hobbys. Bedienen Sie sich bitte, Abigail!“ Nachdem sie sich selbst ein kleines Tortenstück auf den Teller gelegt hat, fährt sie fort. „Unter einem Musiklehrer stellt man sich in der Regel einen emphatischen und vielseitig offenen Menschen vor. Aber Hannes ist in vielen Dingen sehr einseitig, leider. Ich möchte hier zwar nicht aus dem Nähkästchen plaudern, und bin auch sonst keine Klatschtante, doch es ist besser, wenn Sie vorgewarnt sind. Bei ihm gibt es nur die ganz ernste Klassik, die er für wahrhaftig hält, den traurigsten Schumann und Beethoven, manchmal sogar den pompösen Wagner, der mich gruseln lässt. Und weil ich mich bei unserer ersten Begegnung wohl musikalisch zu breitbandig und zu kontinental gezeigt habe, bin ich wohl jetzt bei dem Musiklehrer als niveaulos verschrien, und die Kinder dürfen mich leider nicht besuchen.“
Ich sehe sie erstaunt an. „Das kann ich gar nicht glauben. Man kann doch ohne Weiteres einen verschiedenen Geschmack haben, in der Musik kann es da ganz große Unterschiede geben. Und ist das wirklich ein ausreichender Grund für ihn, die Kinder von Ihnen fernzuhalten?“
„Das behauptet jedenfalls seine Frau Jana, die sich auch bei mir dafür entschuldigt hat. Es täte ihr sehr leid, an ihr läge es nicht.“
„Aber konnte sie ihren Mann denn nicht umstimmen?“ frage ich verwundert. „Schließlich hat sie bei der Erziehung ihrer beiden Töchter auch ein Wörtchen mitzureden.“
Frau Schulte-Bäumler runzelt die Stirn. „In der Theorie schon. Aber offenbar möchte sie keinen Ärger mit ihrem Mann haben. Nach außen hin scheint die Familie sehr nett und adrett zu sein, aber wie es da wirklich zugeht, das kann ich leider nicht sagen. Ich bin übrigens die Regine, und da Sie in der nächsten Zeit hier im Haus vermutlich in verschiedener Weise etwas aufräumen werden, wird sich unserer Bekanntschaft bestimmt noch erweitern lassen. Darf ich Du zu Ihnen sagen, Abigail?“
„Gern, ich hoffe nicht, dass man mich im Haus als Störenfried empfindet, aber sollte ich irgendwo einen Missstand entdecken, kann ich nicht den Mund halten“, verrate ich ihr.
Sie schaut in meine Kaffeetasse. „Es ist noch genug da, diesen Kaffee brühe ich noch nach einem alten Rezept auf. Übrigens, ich habe gleich gemerkt, dass du keine stille Reinigungshilfe bist“, bemerkt sie augenzwinkernd. „Der Hausbesitzer hat dich mir schon angekündigt und mir mehr von dir verraten. Wir kennen uns nämlich schon seit vielen Jahren.“
„Er hat aus meinem Privatleben geplaudert? Das ist schade. Er hatte mir doch versprochen, den Bewohnern dieses Hauses nichts über mich zu erzählen.“
Regine lächelt. „Eigentlich habe ich auch gesprochen, und nicht er. Aber sein Gesichtsausdruck verriet mir jedes Mal, ob ich Recht oder Unrecht hatte.“
„Und was weißt du jetzt über mich?“
„Zuerst dachte ich, das Sozialamt habe dich geschickt, heimlich hier eingeschleust, um nachzuschauen, ob die Kinder, die hier im Haus wohnen, gut versorgt sind. Schließlich gibt es hier noch die kleine Kim im ersten Stock, die allein mit ihrem Vater lebt und die junge Frau Verena, ihm direkt gegenüber mit ihren beiden Töchtern Lisa und Marla, ebenfalls dort alleinerziehend. Da war es für mich naheliegend, dass jemand ein Auge darauf werfen könnte.“
„Und wie hast du herausgefunden, dass ich nicht vom Amt für Familie komme?“
„Donovan hat mir verraten, dass deine Interessen privater Natur sind, aber er hat so viel Werbung für dich gemacht und allen Parteien so von dir vorgeschwärmt, dass ich misstrauisch geworden bin. Tatsächlich hatte er sich die Mühe gemacht, jeden Mieter einzeln zu besuchen.“
„Ich habe mich selbst gewundert, dass mich alle Parteien auch als private Reinigungskraft gebucht haben“, gestehe ich ihr. „Nicht jeder Haushalt kann sich so etwas leisten. Und ganz oben unterm Dach, der Bewohner mir gegenüber, der müsste für seine zwei Zimmer doch bestimmt keine fremde Hilfe in Anspruch nehmen.“
Sie lächelt. „Ja, das hat Donovan sehr schlau eingefädelt. Zuerst hat er uns einen Vortrag gehalten und uns mitgeteilt, dass es ihm sehr wichtig ist, dass sein Haus sauber und ordentlich wird. Eine ständige Reinigungskraft für das Treppenhaus und die Wohnungen sei wertsteigernd für das Objekt.“
Ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen. „Im Prinzip mag das ja richtig sein, aber es hört sich schon etwas komisch an. Damit unterstellt er seinen Mietern, dass sie die Wohnungen nicht korrekt pflegen.“
Sie atmet tief. „Ah, ja, er hat sich schon etwas diplomatischer ausgedrückt. Aber weil er sich an den Kosten beteiligen will, konnte seinem Vorschlag keiner widerstehen. Die beiden Alleinerziehenden vom ersten Stock müssen nur einen lächerlichen Zuschuss abgeben. Da konnten sie gar nicht „Nein“ sagen.“
Meine Augen werden rund. „Das hat er wirklich ganz schlau eingefädelt. Er unterstützt meine Bezahlung, das finde ich großzügig.“
„Er meint, es sei ein Versuchsprojekt, und er wollte mir tatsächlich einreden, dass es ihm um eine Wertsteigerung geht. Aber ich habe ihm das natürlich nicht abgenommen. Aus irgendeinem Grund scheint ihm die ganze Sache Spaß zu machen.“
Ich sehe sie vergnügt an. „Und daraufhin hast du angenommen, dass ich hier alles aufmischen werde.“
Ihre klaren Augen mustern mich. „Ja, das traue ich dir zu.“
„Gibt es denn hier im Haus etwas aufzumischen? Ich bin keine Familientherapeutin.“
„Probleme gibt es doch überall, und wer drinsteckt, ist oft befangen. Donovan hat die ganze Angelegenheit als so dringlich dargestellt, dass ich einfach annehmen muss, du willst hier nicht nur putzen.“
„Also gut. Ich habe ziemlich viele Bücher über Partnerschaft und Kindererziehung gelesen, weil mich diese Themen sehr interessieren. Aber die Theorie ist oft sehr grau, und in der Praxis ist alles anders.“
„Dann kannst du hier reichlich Erfahrung sammeln“, stellt sie mir in Aussicht. „Vielleicht schaffst du es auch, dem finster blickenden Norbert, den ich noch nie lächeln sah, für einen Augenblick lang ein fröhliches Gesicht zu zaubern?“
„Hat er Probleme?“ frage ich interessiert. „Du meinst doch sicher meinen Etagen-Nachbarn, oder?“
„Ja, genau den. Norbert wohnt jetzt seit zwei Jahren hier, aber außer einem höflichen Gruß hat er noch nichts von sich gegeben. Er ist der einzige hier im Haus, zu dem noch nie Besuch gekommen ist, jedenfalls habe ich noch niemanden gesehen, und an meiner Tür muss jeder vorbei. Außerdem befindet sich mein Küchenfenster zum Vorgarten und zur Straße hin, und da sehe ich auch fast jeden, der kommt. Allein halte ich mich tagsüber häufig in der Küche auf.“
„Dann kochst du wohl gern?“ vermute ich.
„Kochen und Backen sind meine Leidenschaft, ich hoffe, dass ich in dir eine gute Abnehmerin finde. Ab und zu stelle ich den Mietern hier ein paar frisch gebackene Plätzchen an die Tür, und bis auf die Familie von Thosbach scheinen alle dafür Verwendung zu finden.“
„Bei mir musst du sie nicht vor die Tür stellen“, teile ich ihr mit. „Wenn du klopfst, öffne ich dir die Tür, und wir trinken einen Kaffee zusammen. Sind denn hier alle so zugeknöpft?“
„Nein, ganz und gar nicht. Die Jana von gegenüber ist eine freundliche Frau, aber sie hat viel zu tun, weil sie auch berufstätig ist. Da hat sie natürlich alle Hände voll zu tun. Sie flüstert ab und zu mit mir ein paar Worte, wenn es ihr Mann nicht sieht.“ Regine räuspert sich und fährt fort: „Der junge Mann, Jakob, dessen Tochter Kim heißt, der aus dem ersten Stock, das ist ein Fotograf: Er vergisst schon gern einmal etwas. Und dann kommt er zu mir und leiht sich etwas Zucker oder anderen Kleinkram, den er beim Einkauf vergessen hat. Dann wechseln wir auch schon einmal ein paar Worte. Er ist genauso freundlich wie die Verena Leutinger von der ersten Etage. Sie hat mich früher auch schon einmal gebeten, abends nach ihren beiden Töchtern Lisa und Marla zu schauen, wenn sie zu einem Termin dringend fortmusste. Diese beiden Single-Eltern würden mir natürlich auch die Tür öffnen, aber ich weiß, dass auch sie alle vollgestopft sind mit Terminen. So ist das eben in der heutigen Zeit.“
„Früher war das nicht so?“ frage ich sie erstaunt.
„Ganz bestimmt nicht. Da gab es die Schule nur bis zum Mittag, vielleicht mal etwas Turnen am Nachmittag oder eine Klavierstunde, oder ab und zu einmal einen Kindergeburtstag. Und am Wochenende ging man mit den Eltern spazieren. Aber heute haben die Kids jeden Tag ein volles Programm: Schule am Nachmittag, ausgelagerte Kurse ebenfalls am Nachmittag, daneben noch Judo oder Ballett, Musikstunden und Fördervereine. Manchmal kommt es mir vor, als würden sie die Kids schon für einen Achtstunden-Arbeitstag vorbereiten“, scherzt sie.
„Ähnliches habe ich auch schon überlegt“, gebe ich zu. „Eine Freundin von mir ist den ganzen Tag mit dem Auto unterwegs, um ihre Kinder zu allen Terminen zu fahren. Wer da kein Auto hat, ist ziemlich aufgeschmissen.“
Sie nickt. „Siehst du?! Und deswegen stelle ich das Gebäck einfach vor die Tür.“
„Eigentlich wollte ich alle Mitbewohner zu einer Einweihungsparty einladen“, verrate ich ihr. „Aber die verschiebe ich lieber noch etwas. Ich werde die Mieter erst einmal einzeln kennenlernen. Wann soll ich beginnen, dir im Haushalt zu helfen?“
Regine lacht. „Überhaupt nicht. Das bisschen Haushalt hier kann ich noch allein fertigbringen. In meinem Alter muss man sich ein bisschen bewegen, damit man nicht rostet. Ich freue mich einfach, wenn du ab und zu einmal Zeit hast, mit mir einen Kaffee oder einen Kakao zu trinken. Dann habe ich ein bisschen Gesellschaft und kann etwas mit dir plaudern.“
„Aber du hast doch auch deinen Beitrag zum Reinigungsetat geleistet. Ich kann kein Geld fürs Nichtstun von dir annehmen“, wende ich ein.
„Es gibt bestimmt die eine oder andere Arbeit, bei der ich mich freuen werde, dass du mir einmal kurz zur Hand gehst. Mach dir darüber erst einmal keine Gedanken! Richte dich erst einmal hier ein und entspanne ein wenig. Ich fürchte nämlich mit der Wahl dieses Hauses hast du in ein Wespennest getroffen.“
Jana öffnet mir die Tür. „Du hast Glück“, beginnt die junge Frau. „Ich habe heute meinen freien Tag, Nadine und Delia sind noch in der Schule, und Hannes, mein Mann ist sowieso fast nie zu Hause. Wenn er nicht in den Musikschulen unterrichtet, dann ist er zu den Privatstunden unterwegs.“
„Das bedeutet also, dass wir alles auf den Kopf stellen können“, fasse ich lächelnd zusammen.“
Die junge Frau schmunzelt. „Genauso habe ich das gemeint. Hannes war absolut dagegen, deine Hilfe in Anspruch zu nehmen. Normalerweise können wir uns auch niemanden leisten, der uns hier im Haushalt und beim Reinigen hilft. Aber dem großzügigen Angebot von Donovan konnten wir alle nicht widerstehen. Außerdem kündigte er uns an, dass es nur einmal zur Probe sei.“
„Dann hat sich dieser mir kaum bekannte Herr wirklich ins Zeug gelegt“, wundere ich mich. „Wahrscheinlich wollte er seiner Freundin Regine Schulte-Bäumler einen Gefallen tun. Sie ist zwar noch rüstig, aber nun doch nicht mehr so jung und freut sich über die Hilfe.“
„Die beiden sind wohl schon sehr lange befreundet, aber er ist sehr viel jünger als sie. Ich glaube nicht, dass es sich um eine Liebesgeschichte handelt.“
„Und? Für was hältst du es dann?“ frage ich nach.
„Ich habe schon viel spekuliert. Ich dachte zunächst einmal, er sei ein Verwandter von ihr, und danach habe ich sie auch einmal gefragt. Aber das hat sie verneint. Wahrscheinlich ist sie so eine Art Ratgeber für ihn. Er ist zwar ein erfolgreicher Geschäftsmann, aber hat wohl in Liebesdingen viel Pech gehabt.“
„Warum soll er nicht ihr fester Freund sein? Es gibt doch viele Partnerschaften mit großen Altersunterschieden. Unter bestimmten Umständen kann das auch gut gehen.“
„Wahrscheinlich stimmt das“, gibt sie nach. „Partnerschaften sind grundsätzlich sehr schwierig.“
Ich habe ihr leichtes Seufzen bemerkt und überlege, ob sie da ihre eigene Ehe mit einbezieht. Doch ich möchte nicht zu neugierig erscheinen und frage nicht nach. „Im Augenblick konzentriere ich mich tatsächlich mehr auf meine Arbeit, die mir hier im Haus etwas Bewegung beschert und einige, hoffentlich nette neue Bekannte verschafft.“
„In den Kinderzimmern müssen die Mädchen erst einmal gründlich aufräumen, bevor man da in allen Ecken sauber machen kann“, bedauert sie. „Bisher waren beide recht nachlässig.
Aber seit neuestem beginnt Nadine, ihre Sachen in Ordnung zu halten. Das hat bestimmt mit der Pubertät zu tun, denn sie fängt jetzt auch an, ziemlich eitel zu werden. Aber sie schminkt sich immer nur heimlich, denn Hannes ist da sehr streng und achtet darauf, dass die Mädchen ungeschminkt in die Schule gehen.“
„In vielen Schulen ist es erlaubt, sich dezent zu schminken“, fällt es mir ein. „Was hat der Vater der beiden Mädchen dagegen einzuwenden?“
Sie stöhnt. „Setz dich erst einmal, bevor du hier mit dem Staubsauger hantierst. Bei uns gäbe es eine ganze Menge Staub zu entfernen, wenn es um die Erziehung geht. Hannes ist viel zu streng mit den Kindern, und wir streiten uns deswegen ständig. Ein Diskutieren ist mit ihm leider nicht möglich.“
„Es wäre schön, wenn jeder Erwachsene gelernt hätte, sachlich zu diskutieren.
Aber das sieht oft in der Praxis anders aus. Wenn da unterschiedliche Meinungen aufeinanderprallen, gesellen sich häufig die Emotionen hinzu. Aber es ist gut, dass ihr überhaupt streitet. Sicher hast du die Möglichkeit, dich auch durchzusetzen, wenn es um vernünftige Dinge geht.“
Sie nimmt ein Glas aus dem Schrank und schenkt mir Wasser ein. „Stärke dich erst einmal, bevor du mehr hörst!“ Sie reicht mir das Getränk und fährt fort: „Leider kann ich mich viel zu wenig durchsetzen, denn Hannes ist sehr uneinsichtig und hat meist veraltete Ansichten, die in die heutige Zeit nicht hineinpassen.“
„Das hört sich ziemlich ernst an“, finde ich. „Ich nehme an, die Mitschülerinnen von Nadine und Delia legen ein bisschen Schminke auf, oder?“
„Ja, fast alle. Und die beiden Mädchen nehmen ihr Schminkzeug mit und erledigen das mit einem kleinen Spiegel unterwegs, um ihren Vater nicht unnötig aufzuregen.“
„Das ist natürlich auch keine Dauerlösung“, finde ich. „Ich habe da selbst ein bisschen Erfahrung. Als ich auf viele Verbote hören musste, habe ich alles heimlich getan. Hast du schon einmal an eine Familientherapie gedacht?“
„Ja, vor ein paar Jahren, als die Kinder noch kleiner waren, da waren wir einmal ein paar Stunden in einer therapeutischen Behandlung. Aber Hannes hat das gar nicht ernst genommen, und die ganzen guten Gespräche mit der Therapeutin sind bei ihm ganz schnell wieder in Vergessenheit geraten. Er fand dann diese ganze Behandlung überflüssig, zum Teil sogar recht albern und hat mir angedeutet, dass er nie wieder zu einer solchen Beratung bereit wäre.“
Ich seufze hörbar. „Das ist keine gute Basis für Familienprobleme. Sicher gibt es bei euch dann viele solcher Streitpunkte.“
Sie nickt. „Aber weil er mir immer vorwirft, dass ich streitsüchtig sei, lasse ich in vielen Dingen auch schon „Fünf“ gerade sein, und das ist gar nicht gut.“
Ich stimme ihr zu. „Wirklich nicht. So können sich dann tatsächlich bei ihm schlechte Gewohnheiten einschleichen und auch noch manifestieren. Und die Kinder? Wehren sie sich, wenn er zu streng ist?“
„Nur in ganz seltenen Fällen. Sie haben es leider auch am liebsten friedlich und möchten den ruhigen und bequemen Weg gehen, der aber leider sehr schmal ist.“
„… Und oft in einer Sackgasse endet. Manchmal muss man auch in einer Familienbeziehung, genauso wie in einer Ehe eine Art Inventur veranstalten, aber ohne professionelle Hilfe geht das oft nicht.“
„Da bin ich tatsächlich in einer Sackgasse“, findet Jana. „Ich rede bei Hannes meist gegen den Wind, und eine weitere Therapie lehnt er ab. Müsste ich jetzt zu drastischen Maßnahmen greifen und ihn mit den Kindern verlassen, bis er zur Einsicht kommt?“
„Damit er zur Einsicht kommt, muss man wohl schon etwas mehr tun“, vermute ich. „Ich werde einmal überlegen, ob mir etwas dazu einfällt. Auf jeden Fall werde ich eine Weile hierbleiben.“
„Für mich ist es zwar auch schlimm, aber ich fürchte, dass die Kinder durch seine despotische Art für die Zukunft in irgendeiner Weise geschädigt werden. Bei Nadine ist es etwas schlimmer. Sie liebt ihren Vater sehr und möchte ihm alles recht machen, während Delia ihm schon einmal etwas mutiger entgegentritt.“
Ich überlege. „Wahrscheinlich wäre es gut, wenn du den Kindern ein Beispiel gibst und dich wehrst, wenn es nötig ist.“
Sie wirft mir einen verzweifelten Blick zu. „Siehst du, und genau da liegt der Knackpunkt. Wenn ich mich wehre, wertet das Hannes als Streit aus und meckert fürchterlich darüber. Und sachlich bleibt es bei ihm, wie gesagt, schon gar nicht.“
„Das ist eine schwere Zwickmühle“, finde ich. „Aber vermutlich muss man doch kämpfen, wie immer im Leben. Ich lasse mir das einmal durch den Kopf gehen, aber jetzt möchte ich dir doch erst einmal ein bisschen zur Hand gehen.“
Ihre Augen werden groß. „Tu, was du nicht lassen kannst! Dann kann ich schon einmal in die Küche gehen, um zu kochen. Wir reden später noch einmal darüber.“
„Das verspreche ich dir“, antwortete ich zuversichtlich und wende mich den Utensilien zu, die mir Jana zurechtgestellt hat.
„Bei mir bitte nur ein bisschen wischen!“ wünscht sich Norbert im Dachstübchen. „Das Staubwischen übernehme ich lieber selbst, sonst finde ich nachher nichts mehr.“
„Selbstverständlich“ antworte ich fröhlich und nehme den Wassereimer in die Hand. „Falls Sie es sich einmal anders überlegen, können wir gern darüber sprechen“, biete ich ihm an.
Er mustert mich kritisch. „Sie haben keinen anderen Job?“
Meine Augenbrauen heben sich. „Ist etwas nicht in Ordnung damit?“
Norbert zögert, überlegt: „Oh, doch! Natürlich ist damit alles in Ordnung. Die ganze Aktion kommt mir nur etwas komisch vor im Haus der fliehenden Sterne.“
Ich sehe ihn verwundert an. „Fliehenden Sterne? Heißt dieses Wohnobjekt so?“
„Ich habe es so genannt. Und es ist doppeldeutig gemeint. Ich habe auf die große Gemeinschaftsterrasse direkt nach meinem Einzug einen großen Stern dorthin an das Dachspalier gehängt. Abends konnte man ihn beleuchten, er gab ein mildes Licht. Aber er blieb nur ein paar Tage dort, dann verschwand er. Kurz darauf hängte ich erneut ein solches Exemplar an dieselbe Stelle, aber es wurde ebenfalls entfernt. Ich wollte niemanden im Haus danach fragen, damit sich keiner als Dieb verdächtigt fühlt, aber seitdem mache ich mir doch so meine Gedanken.“
„Jemand aus der Nachbarschaft könnte auch mit dem Verlust etwas zu tun haben“, überlege ich. „Schließlich kann man über einen Zaun klettern und von anderen Seiten ebenfalls auf die Terrasse gelangen.“
„Dieses Ereignis ist symbolisch für das ganze Haus, wissen Sie denn nichts davon?“
„Ich kenne die Menschen hier noch nicht gut. Gestern habe ich gerade einmal Frau Schulte-Bäumler und Jana kennengelernt. Ich fand sie beide sehr sympathisch.“
„Ich arbeite für den Vermieter im Büro und habe die Selbstauskünfte dieser Bewohner bereits durchgesehen, bevor ich sie persönlich in Augenschein nehmen konnte. Sie sind alle mit großen Hoffnungen hier eingezogen und haben sich möglicherweise von einer Wohnungsveränderung versprochen, dass sich auch ihr Leben ändert. Aber da ist es wohl nicht weit her damit. Irgendwann haben sie alle die Spur ihres Glückssternes verloren.“
Erstaunt blicke ich ihn an. „So negativ sehen Sie das, wenn Menschen einen neuen Versuch wagen, etwas neu zu gestalten?! Manchmal braucht man eben auch eine äußere Veränderung, wenn man innerlich etwas neu beginnen möchte.“
„Ich halte mich von diesen Menschen fern“, gesteht er mir. „Ich möchte nicht für alles Weitere verantwortlich sein. Sie müssen sich auch ganz allein helfen.“
„Das sehe ich völlig anders“, protestiere ich. „Wenn ich irgendwo eine Chance wittere, anderen einen Tipp geben zu können, bin ich sofort dabei. Was sie dann allerdings daraus machen, ja, das ist dann ihre eigene Angelegenheit.“
„Sehen Sie, ich wusste schon, dass Sie nicht hier allein zum Putzen eingezogen sind. Mein Chef Donovan hat sehr merkwürdig um den heißen Brei herumgeredet, als er Sie ankündigte. Ich befürchtete schon, sie seien seine neue Geliebte, die er dann hier häufig besuchen würde.“
„Schön, dass Sie so offen sind!“ antworte ich tief aufatmend. „Da kann ich Sie sogleich völlig beruhigen, ich habe Donovan nur einmal ganz kurz von Weitem gesehen, als ihn mir seine Sekretärin gezeigt hat, und das war nur wenige Sekunden lang. Unsere gesamte Konversation wurde per E-Mail erledigt.“
„Das Privatleben meines Chefs geht mich überhaupt nichts an“, findet Norbert. „Aber ich hätte es nicht besonders amüsant gefunden, ihm hier jeden Tag begegnen zu müssen.“
„Ist er dann ein so schlimmer Chef?“ frage ich erstaunt.
„Nein, er ist sehr umgänglich. Bei der Arbeit kann ich mich wirklich nicht über ihn beschweren.“
„Dann ist er bestimmt verheiratet oder irgendwie liiert, und es wäre Ihnen peinlich, ihm auf dem Weg zu seinem Liebesnest zu begegnen“, vermute ich.
„Soviel ich weiß, hat er keine feste Beziehung, nur einige Bekannte. Allerdings habe ich keine Ahnung, was ihn mit Frau Schulte-Bäumler verbindet.“
Ich sehe ihn herausfordernd an. „Aber sie wohnt doch hier im Haus. Da hätten Sie doch längst Gelegenheit gehabt, mit ihr ein paar Worte zu wechseln und hinter dieses Geheimnis zu kommen.“
„So neugierig bin ich nicht“, behauptet er. „Ich halte mich aus allem heraus und grüße die Bewohner dieses Hauses lediglich angemessen freundlich. Im Übrigen habe ich eine ganz andere Meinung als Sie.“
„Inwiefern?“ bohre ich weiter.
„Ich mische mich eben nicht in alles ein. Man muss in allem nur die Ruhe bewahren und den Dingen ihren Lauf lassen. Auch Geheimnisse kommen mit der Zeit irgendwann einmal ans Tageslicht.
Einen Apfel soll man auch nicht pflücken, bevor er reif ist.“
„Das ist ein schlechter Vergleich“, finde ich. „Wenn Sie die Äpfel nämlich so lang am Baum lassen, bis sie herunterfallen, sind die Leute verhungert, die davon satt werden könnten. Mit den halb verfaulten Äpfeln am Boden kann man auch nicht mehr viel anfangen. Da greife ich lieber vorher zu.“
„Also, zunächst bin ich schon einmal zufrieden, dass Sie nicht die Geliebte meines Chefs sind,“ wechselt er das Thema. „Aber was wollen Sie wirklich hier?“
„Ich helfe den Menschen beim Saubermachen“, antworte ich ihm und entdecke hinter meinen Worten einen Doppelsinn.
„Sie wollen mir also weismachen, dass Sie so mildtätig und sozial sind und für wenig Geld fremden Menschen den Dreck wegräumen?“ fragt er und sieht mich skeptisch an.
„Das habe ich so nicht gesagt. Ich werde übrigens auch ganz normal bezahlt und arbeite nicht für einen Hungerlohn“, eröffne ich ihm. „Der große Spender, der sich am Arbeitslohn beteiligt, das ist Ihr Chef.“
Er sieht mich ungläubig an. „Was verspricht er sich denn davon? Und was machen Sie hier wirklich mit den Menschen? Sind Sie von irgendeinem Amt zur Kontrolle hierher beordert, oder geht es um eine verdeckte Spionage?“