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Seitenzahl: 335
Romantisches Seitenstückzu denBegebenheiten des Herrn von Jalonsky,vonJulius von Voß.
Erster Band.
Mit Kupfern und Vignetten.
Berlin, 1809.Bei Johann Wilhelm Schmidt.
Nichts ist geheimnißvoller, wie eine Seefahrt, bei der man das Reiseziel nicht kennt.
Da sammelten sich im Frühjahr 1798, Fahrzeuge, Piloten, Truppen, Gelehrte, in Toulon. Jeder hatte nur den Befehl empfangen, sich einzufinden, einen der allgemeinsten die es giebt. Aber vergebens zerbrach man auf Caffeehäusern, oder Lustwandlungen am Seegestade den Kopf, wohin Steuer und Seegel lenken würden. Nur dem großen Haupte war das Geheimniß bekannt. Das Ohr der Neugier hing an jedem Munde, doch die Lippen, von denen Befriedigung ertönen konnte, schwiegen.
Der Matros wünschte, es mögte nach Jamaika gehn, weil es dort den besten Rum giebt.
Dem Krieger wäre die Fahrt nach den Brittischen Küsten, die willkommenste gewesen, um seine Uniform aus dem besten Tuche der Welt gefertigt, und ihre Taschen mit Guineen gefüllt zu sehn.
Nach Peru wäre lieber der Geometer gesegelt, dort einen Meridian zu messen.
Der Mineralog sehnte sich nach Ländern voller Ur- Gang- Flötz- und vulkanischen Gebürge, um erdige, salzige, metallische und gemengte Fossilien zu sammeln, und noch neue zu entdecken.
Dem Botaniker konnte der Zug nicht weit genug gehn, denn er wollte die Mooshirse in Afrika, die Schaukelpflanze auf den Südseeinseln, den Kannenträger in Zeilon, den Asant in Persien, die Mimose in Amerika, und den Bonanapas-Giftbaum in Java suchen.
So dachte der Zoolog, denn der Macacco in Angola, wie der Ai in Guiana, der fliegende Hund in Polinesien, und Vampyr in Chili, der Springhase in der Barbarei, und die Genethkatze in Syrien, die Hyäne, der Taguar, der Löwe, Känguruh, Purna, Schakal, Zobel, Zebra, Bison, Cingalo, dann die Schwimm- Sumpf- Strausartigen- Hühnerartigen- Sperlingartigen- Rabenartigen- Spechtartigen- Geier- und Aarartigen Vögelgeschlechter, die denkwürdigen Amphibien, die Insektenheere mit und ohne Fittig, die seltsamen Conchilien, die Würmlein, Mikroscopthiere, Petrefakten, mußten sie ihm nicht von gleichem Interesse seyn? Gab es nicht viele noch unerforschte Gegenden, wo sich vielleicht, fast gewiß ein noch nie gefundenes Geschlecht ausmitteln ließ. Auch schwamm er gleich willig auf dem Oceane umher, da die Ichtyologie dort ihre reichen Entdeckungsgefilde fand.
Die Alterthumskenner sehnten sich nach Inscriptionen und Gemmen, die Architekten nach Tempelruinen, die Geographen wollten um den Erdball, die Sternkundigen weit an den Südpol, die Chemiker überall hin, um überall die Dinge mit Elementarkräften in einfache Stoffe zu zerlegen.
Wer die Begebenheiten des Herrn von Jalonski las, und guten Gedächtnisses ist, muß sich erinnern, daß Ring und Flore durch die Wirbelstrudel des Geschicks, auch nach Toulon geworfen wurden, und die Unternehmung zu theilen dachten. Sie vertrauten sich muthig dem Lebensgestirn, mogte es sie führen.
Ring machte die Bemerkung: es sei höchst befremdend, daß ein Feldherr gegen Hundert Gelehrte in seinem Gefolge zählte. Deutsche Helden hätten gegen Niemand eine größere Abneigung.
Man schiffte sich ein, lichtete die Anker, und mied den Hafen. Die blaue Küste schwand, das helle Meer küßte überall den ätherischen Saum.
Gen Südost wendet sich der Cours, die Nauten erblicken die kleinen Hierischen Eilande, bald darauf des Gebieters bergigte Heimath, dann gings an die Königsinsel vorüber, deren Herrscher den Stolz der beleidigten Republik schwer empfand.
Nach einigen Tagen nahte man den fruchtreichen Gestaden, wo des tiefen Alterthums Legende die Polyphem hausen ließ. Aus ihrer Mitte stieg der drohende Vulkan zur Höhe.
Werden wir hier landen, finden wir der Orangen die Fülle. Nein, es geht vorbei.
Sollen vielleicht die Raubstaaten Afrikas der Neufranken Besuch empfangen? Nein, dem heiterem Morgenlande zu, steuert der Pilot. Gilt vielleicht dem Großherrn in Stambul der Besuch?
Doch man stationirt vor Malta. Eine Convoy von sechzig Segeln aus Civitavecchia vereint sich mit der Flotte. Der Felsen, den Priestern von altem Adel gehörig, wird angegriffen.
Hilf Himmel, wie erschraken die Ritter da droben, als die Kanonade begann. Der warf die Pücelle, welche er eben las, in einen Winkel, jener stieß seine Mätresse unsanft von sich. Alles lief durcheinander. Man hörte Flüche in allen Zungen.
Sie hatten Recht. Eine Kanonade, lustig anzuhören im Theater oder bei Musterungen, gellt unerträglich ins Ohr, wenn die scharfgeladenen Schlünde uns zugekehrt sind.
Capitulation! ruft alles, in Bombenfesten Klüften versteckt. Die Fahne des heiligen Johann galt nicht mehr, die weiße Fahne.
O ihr Rhodiser, die ihr einst euch so tapfer wehrtet, was sagt ihr im Himmel droben, zu den Stiefenkeln? Doch tröstet euch! Der Zorn tapfrer Ahnen im Todtenreich über die untapfre Nachkommenschaft ist nicht selten.
Nach zwei Tagen waren die Unterschriften vollzogen, die Franzosen liefen in den Hafen, und organisirten das Land. Wie weinten die Kinder der Ritter!
Flore und Ring stiegen, wie der Schiffer spricht, auch an den Wall, und besahen allerhand Merkwürdigkeiten. Rings Phantasie schwebte wonnig in die Tiefen der Vorzeit zurück, als er die kirchlichen, griechischen, ja phönicischen Alterthümer erblickte, die man hier vorzeigt; Flore hätte aber lieber einen neuen Anzug aus dem Palais-Royal gesehn, und war oft der Frage nahe, welche ein naiver Knabe, den sein Hofmeister unter herrlichen Versprechungen nach Rom geleitet hatte, im Museum des Vatikans that: Est ce que je m’amuse?
Die unkriegerischen Ritter hatten, wie man weiß, ewigen Krieg beschworen, und mußten also dem Pflichteide nach, ein wenig gegen die Türken kreuzen. Da hatte man denn hie und da über Kauffahrer einen stolzen Sieg getragen, und Gefangne gemacht, die sich zur Sklaverei auf Maltha bequemen mußten. Man fand deren einige Hundert vor, und nahm sie an Bord, um ihnen die Freiheit da zu geben, wo sie ihnen nützlich seyn konnte. Nicht wenig befremdete die armen Teufel eine wohl nie erwartete Großmuth.
Unter ihnen befand sich ein junger Muselmann Namens Coraim, von freundlichem gutmüthigem Ansehn, und aufgewecktem Sinn. Er hatte in La Valette etwas italienisch und französisch reden gelernt, und unterhielt die Gesellschaft des Schiffes, auf welches er gebracht worden war, das nämliche, wo sich Ring und Flore befanden, mit mancherlei Erzählungen. Man erfuhr auch bald, daß er ein Mährchenerzähler war, deren es im ganzen Morgenlande giebt, und welche die Stelle der Bücher vertreten. In Deutschland hat bekanntlich vor einigen Jahren ein großes Genie das Wort Kindlichkeit ausgesprochen, und wie gewöhnlich, wird ein so ausgesprochenes Wort von Tausend kleinen Genies nachgesprochen. Wohlan, man könnte wohl behaupten, daß die muselmännische Kindlichkeit in dem Behagen an Mährchen, keine geringe Nahrung finde, und von da bis zu dem Vorschlag einen solchen Gebrauch auch unter uns einzuführen, ist nur ein kurzer Schritt. Auch leuchtet ein, daß eine Mährchenerzählung bequem in derselben Stunde in Hundert Ohren zu tragen ist, wogegen das Buch, wenn es nicht in vielen Abdrücken gekauft wird, eine langsame Wanderung machen muß.
Der Wind blies nicht erwünscht, die Flotte wurde ziemlich im Meere aufgehalten. Desto mehr gab es der Langeweile, und jeder suchte einen Zeitvertreib. Denn der Blick ins Meer hinaus empfindet bald Einförmigkeit.
Flore lag dann meistens den Coraim um eine Erzählung an, und fand ihn immer willfährig, es mogte Tag oder Nacht seyn. Er glich darin nicht dem Verfasser der Tausend und Einen Nacht, bei dem die anmuthige Scheherazade immer angeredet wird: Wenn sie nicht schlafen, so erzählen sie uns doch eine von ihren allerliebsten Historien. Da aber einige junge Pariser noch spät an seinem Hause vorübergingen und riefen: Herr Galland, wenn sie nicht schlafen, so erzählen sie uns doch eine von ihren allerliebsten Historien, war der Mann sehr aufgebracht.
Nachdem der Sklave einen ziemlichen Vorrath unglaublicher Berichte erschöpft, und seiner Hörer Einbildung mit Geistern, Riesen, Zauberern, Derwischen überfüllt hatte, theilte er auch die wahre Geschichte einer schönen Europäerin mit, die sich vor einiger Zeit in Cairo zugetragen hatte.
Ein Spanier segelte von Barzellona nach Egypten, weil er zu Cairo als Consul seiner Nation wohnen sollte. Man hatte nicht Frieden mit Algier, ein Corsar griff das spanische Schiff an, und ward Sieger. Die gefangene Mannschaft wurde nach seiner Heimath geführt, und auf dem Sklavenmarkte feil geboten.
Der Spanier wäre gefaßt gewesen, da er überzeugt seyn durfte, bald von seiner reichen Familie losgekauft zu werden, aber er führte seine neunjährige Tochter mit sich, und hatte schon auf dem Raubschiffe gefleht, sie nicht von ihm zu trennen. Dies war aber umsonst gewesen, wie das Winseln der ihn umklammernden Isabelle; der Corsar hatte Weiber und Männer theilend, sie im Hafen auf zwei verschiedene Chaluppen gesetzt, die nicht weit von einander dem Strande zuruderten.
Isabelle, so kühn wie zärtlich, hatte sich aber in einem Augenblicke, wo beide Fahrzeuge fast mit den Borden zusammenstießen, aufgerafft und einen Sprung gewagt, um zu ihrem Vater zu gelangen. Indem aber waren die Boote wieder nach zwei Seiten gewichen, und die Unglückliche in die Wogen gesunken. Das Bestreben, sie zu retten, blieb unbelohnt, um so mehr, als die Dunkelheit des hereinbrechenden Abends, und die Strömung der See hinderlich waren. Der trostlose Vater hörte nichts mehr von der geliebten Isabelle.
Nach einem halben Jahre langte die Ranzionsumme an, und frei, doch traurig und gebeugt begab sich der Spanier an den Ort seiner Bestimmung. —
Sechs Jahre darauf langte eine Caravane von Fezzan zu Cairo an. Unter vielen mitgebrachten verkäuflichen Gegenständen, sah man auch den Sklavenmarkt durch diese Caravane gefüllt. Man fand dort Eunuchen und glänzende Negerinnen, mit perlweissen Zähnen. Doch vor allen fesselte ein funfzehnjähriges europäisches Mädchen, die Aufmerksamkeit der Käufer. Wuchs, Auge, Haar, alles bezauberte an ihr, wie sich von selbst versteht, und gegen die Sitte, war sie bekleidet, weil sie dem Sklavenhändler erklärt hatte, daß sie sich den ersten gelegenen Tod geben würde, wenn er sie, gleich den andern Mädchen, ohne Hülle ausstellte.
Die Beis waren grade in Krieg verwickelt, und dachten nicht an den Harem, die reichen Muselmänner versteckten ihr Geld, deshalb konnten sich Europäer auf dem Bazar einfinden.
Unter andern befand sich eben ein Italiener zu Cairo, der egyptische Seltenheiten einkaufte, Namens Signor Perotti. Alte Münzen von den Ptolemäern, kleine Götzenbilder aus der Pharaonenzeit, Steine mit Hieroglyphen, hatte er schon in Menge zusammengebracht. Schon öfter hatte er vordem eine solche Handelsreise gethan, war denn mit seinen Waaren nach Neapel, Rom und Venedig gegangen, wo er sie meistens an reiche reisende Britten, mit unerhörtem Vortheil abgesetzt hatte.
Signor Perotti erschien auch auf dem Bazar, das lüsterne Auge an den Reizen der enthüllten Mädchen zu weiden. Da er aber Isabellen sah, deren Verhüllung grade die lieblichsten Ahnungen erweckte, ward ihm der glühende Wunsch nach Besitz rege, und er fragte zitternd um den Preis. Es wurden Tausend Piaster gefordert. Viel für einen Geitzhals, doch überwand die Leidenschaft, und da der Verkäufer nichts ablassen wollte, so zahlte Signor Perotti.
Isabelle rang weinend die Hände, da sie ihren Käufer betrachtete. Sie redete ihn an, er verstand sie aber nicht. Wohl hatte sie erst gewünscht, ein Europäer mogte sie erstehn, dem sie sich entdecken, und ihn bewegen mögte, an ihre Familie zu schreiben, allein das ganze Wesen dieses Pantalons deutete ihr nichts Gutes.
Eben aber, da der Handel abgeschlossen wurde, trat auch ein junger Franzose hinzu, wurde plötzlich von des holden Mädchens Schönheit bewegt, und fragte den Welschen mit Ungestüm, ob er sie mit hohem Vortheil ihm überlassen wollte? Nein, versetzte Jener, und so ich zehntausend Piaster gewönne. Das Mädchen blickte vielsagend nach dem Franzosen, und er begriff, daß sie sich lieber in seinen Händen befinden würde. Eine Entdeckung, die das Feuer seiner Liebe natürlich noch um so mehr anfachte.
Er schlich dem Italiener nach, seine Wohnung zu erkunden, holte dann eine bedeutende Summe, und begab sich wieder zu ihm. Dieser schlug aber alles fest ab, und der Franzose ward, da er wieder erschien, nicht ins Haus gelassen.
Trostlos berathete dieser mit seinem Diener, was hier anzufangen sei.
Das Haus hatte nach morgenländischer Sitte keine Wohnzimmer vorne heraus, es bestand also nicht einmal die Hoffnung, die Schöne im Vorübergehn zu erblicken, weit weniger ihr ein Billet zuzuwenden. Ins Haus zu gelangen, das war ein Problem, welches er vollends nicht zu lösen wußte. Wie die Eifersucht ihn unter solchen Umständen quälte, fühlt auch jedermann.
Indessen hatte man sich genau um das Treiben des Signor Perotti erkundigt, und Michelet, des Franzosen verschlagener Diener, entwarf einen Plan, seinen Herrn zu dem Mädchen zu bringen, es koste was es wolle.
Er begab sich nach des Italieners Wohnung, und pochte an. Der Herr erschien vor der Thür, nachdem er das Haus vorsichtig wieder geschlossen hatte, und fragte nach des Fremden Begehren. Dieser vertraute ihm geheimnißvoll, er habe sich in eine der Pyramiden von Gizah gewagt, und sei mittelst der mühvollen Hinwegwälzung eines großen Steines tiefer eingedrungen als wohl noch jemand zuvor. Hier habe er eine kostbare ganz unversehrte Mumie gefunden, und sie bei Nacht, und unter vielen Gefahren nach Cairo geschafft. Wenn Signor Perotti Lust habe, könne er sie kaufen.
Dieser war gleich dazu geneigt, und fragte: wo er die Seltenheit sehen könne? Bei mir nicht, antwortete Michelet, da würde es Verdacht erwecken, und ich würde um die Entwendung bestraft. Da aber in eurer Wohnung kein Eingeborner lebt, so können wir dort alles ordnen, und ich bin bereit, diesen Abend die Mumie in ihrem Sarge zu euch zu bringen. Zwei vertraute Landsleute sind mir behülflich.
Der Italiener, in Hoffnung großer Vortheile, war es zufrieden, und erklärte, daß er ihn am Abend erwarten werde.
Nun ward ein Mumiensarg, deren es in Cairo viele giebt, angeschafft, und wie der Leser wohl schon erwarten mag, der junge Franzose hineingepackt. Liebe, und Intriguengeist ermannten ihn, das Abentheuer zu bestehn, und die Qual der beengten Lage zu dulden. Viele Luftlöcher sicherten ihn gegen Erstickung.
Es war Abend, Michelet und einige Bekannten trugen die Last an den Ort ihrer Bestimmung. Signor Perotti, ließ nur den Ersteren mit ein, und trug sammt ihm den schweren Sarg in eine Kammer mit Gitterfenstern. Eben sollte er nun geöffnet, und die Mumie geprüft werden, als es draußen mit großem Getöse an die Hausthür pochte. Der Italiener ging mit Michelet aus der Kammer, verschloß sie, und fragte: wer sich am Hause befände? Diener vom Bei des Quartiers, lautete die Antwort. Man mußte öffnen. Zwei Mamelucken standen da, und forderten, daß der Frank unverzüglich zu ihrem Herrn käme. Gegen solchen Befehl gilt im Morgenlande keine Einwendung, Signor Perotti beschied also den Mumienverkäufer nach einigen Stunden wieder, schärfte seinem Bedienten Wachsamkeit ein, versah die Hausthür noch mit einem überflüssigen Vorhängeschloß, und folgte den Mammelucken.
Der junge Franzos öffnete nun sein ängstliches Behälter, und stieg leise hinaus. Dunkel war die Kammer, das Fenster wohl verwahrt. Aber Liebesritter versehn sich auf solche Fälle. Eine Quantität Scheidewasser und eine scharfe Feile setzten ihn in Stand, durchs Fenster sich Raum zu verschaffen.
Freilich konnte das nicht ohne Geräusch vollzogen werden. Doch jener Bediente des Signor Perotti, der einen Sarg hatte ins Haus tragen sehn, und nun das Bewegen und Klirren vernahm, ward furchtsam, und wagte nicht nach dem Fenster zu eilen. Er wollte aus dem Hause, hinter seinen Herrn laufen, und diesem berichten, was vorging, doch die Thür war zu.
In dieser Angst schloß er das Zimmer Isabellens auf, (gegen ihn, da er alt war, argwohnte der Italiener nicht) und begehrte von ihr, sie sollte mit ihm in den Hof kommen, damit er jemand bei sich hätte, und Muth behielt.
Natürlich fragte Isabelle: was es gäbe? Entweder ward die Mumie lebendig, oder in dem Sarge steckt ein Dieb, erwiederte Antonio.
Es war, als ob Isabellen etwas ahnte, und sie ging um so williger nach, als ihr die Freiheit willkommen war, ihr Zimmer verlassen zu können, denn bisher war sie immer eng eingesperrt gewesen.
Man kam in den Hof, und hörte die Feile. Isabelle nahte dem Fenster, weil Antonio noch nicht dazu sich bewegen ließ. Der Franzose inwendig, indem er wahrnahm, daß von Außen jemand heranschlich, sah sich verrathen, und versuchte, was eine Geldsumme bewirken mögte. Er sagte leis: Hundert Piaster sind zu gewinnen, so ihr mich zu der Sklavin lasset.
Isabelle erkannte augenblicklich die Stimme des liebenswürdigen jungen Mannes wieder, der so theilnehmend herangetreten war, als sie neulich verhandelt worden. Besonnen flüsterte sie dem bebenden Diener zu: Hier ist ein Räuber, eile auf mein Zimmer, da wirst du einen Dolch finden, bringe ihn schnell hieher.
Antonio stolperte davon, kaum war er aber auf des Mädchens Zimmer angelangt, als dieses hinter ihm verriegelt wurde, denn Isabelle war nachgeeilt.
Jetzt kam sie wieder vor jenem Gitter an, und fragte: was das heimliche Beginnen deute? Der Franzos hörte die Mädchenstimme froh überrascht, und vernahm auch bald, daß die, welche sein leidenschaftlicher Ungestüm suchte, ihm nahe sei. Er malte ihr mit den glühendsten Farben, seine Liebe, und bat sie, mit ihm davon zu eilen. Eben hatte er auch einige Eisenstäbe weggebracht, und konnte sich in den Hof hinausschwingen.
In starrer Verwunderung weilte das Mädchen; ihr Abscheu vor dem Italiener siegte aber gleich über die Bedenklichkeiten, und sie fragte schon, wie eine Flucht möglich sei? Zugleich berichtete sie, daß der einzig im Hause vorhandne Diener in ihrem Zimmer verriegelt wäre.
Die Beiden hatten nun immer Spielraum gewonnen; die Treppe nach dem Dache ward gesucht, das Schloß daran mit Gewalt zerstört, und der Franzos stieg mit Isabellen hinauf. Es war platt, wie in ganz Cairo der Gebrauch besteht. Nun gab er ein Zeichen, das unten von der Gasse beantwortet wurde. Eine Strickleiter ward mit einer Stange dargereicht, der Franzos befestigte sie, und ließ mit Hülfe Michelets, Isabellen und sich hinab.
Zuvor hatte er aber noch Tausend Piaster auf den Mumiensarg gelegt, und daneben geschrieben: Französische Intrigue.
Signor Perotti war unterdessen den Mammelucken gefolgt, die ihn aber unter allerlei Vorwand auf der Gasse aufhielten. Bald gab es dies bald jenes zu sehn, und es verging um so viel mehr Zeit, da in Cairo die Straßen mit Thoren versehen sind, die erst geöffnet werden müssen. Endlich aber gingen sie nach dem großen Canal hinab, und gaben dem Signor Perotti auf, nur ihrer am Ufer droben zu harren, da sie einen ihrer Kameraden, der unten die Wache bei den Barken des Beis hätte, zu sprechen hätten. Allein sie kamen nicht zurück, und nur nach einer ungeduldig ausgeharrten Stunde, wagte der zaghafte Italiener hinabzusteigen, wo er denn keine Barke und keinen Mammelucken mehr gewahrte.
Zitternd schlich er nach des Beis ihm wohlbekannter Wohnung, allein die Dienerschaft wußte von keinem solchen Befehl, und er lief was er konnte nach Hause, denn ihm leuchtete nun wohl ein, er hätte es mit vermummten Betrügern zu thun gehabt.
Zuerst ward er die noch herabhängende Strickleiter inne. Grausenhaftes Zeichen! Im Hof rief er den Antonio vergebens, und fand ihn endlich statt Isabellen auf ihrem Zimmer. Heulend verkündigte er das Auferstehn der Mumie, und empfing Mißhandlungen seiner unvorsichtigen Furcht wegen. Endlich schlug Signor Perotti neben dem Sarge die Hände über den Kopf. Sein Schmerz war ernstlich, und die Tausend Piaster trösteten ihn nicht. Er hatte durch seinen Handel nach der Levante während zwanzig Jahren etwas namhaftes erworben, und wollte sich nun auch einmal gütlich thun.
Der junge Franzos, Coutances war sein Name, war unterdessen mit der reizenden Beute in seiner Wohnung angekommen, und Michelet bereitete ein Mahl. Der Mann besaß eben keine Reichthümer, sondern fing meistens mit aufgenommenem Capital eine Kaufmannschaft an. Die Tausend Piaster, im Rausch der Liebe hingezahlt, konnte er eigentlich nur schwer missen. Isabelle warf sich, wie sie sich allein befanden, zu seinen Füßen hin, und bat um Schonung. Zugleich sagte sie ihm: ich gehöre einem reichen Geschlechte in Spanien, und wurde von Corsaren geraubt. Suchen sie Erkundigungen einzuziehn, ob mein Vater vielleicht losgekauft, und nach Cairo gekommen ist. Wo nicht, so lassen sie uns nach Spanien reisen, und empfangen dort meine Hand mit einem ansehnlichen Vermögen. Das sei der Lohn ihrer Großmuth. Die Versicherung, daß mein Herz schon im ersten Augenblicke für sie sprach, das Vertrauen, womit ich ihnen folgte, gnüge bis dahin ihrer Liebe.
Coutances hörte ihr mit Befremdung zu, empfand Ehrfurcht für Isabellen, und schwur ihr Begehren zu heiligen. Er fragte noch: warum in Algier keine Anstalten zu ihrer Befreiung getroffen worden, und erfuhr: nachdem sie durch Fischer aus dem Meere gerettet wäre, hätten sie diese nach einem Landhause gebracht, und einer alten Dame verkauft, die große Anhänglichkeit für sie gefaßt habe, und sich durchaus nicht hätte von ihr trennen wollen. Bei einem innerlichen Kriege sei sie aber aufs Neue geraubt, und endlich in die Gewalt des Sklavenhändlers gekommen, der sie nach Cairo gebracht.
Der Geliebte ging am folgenden Morgen zu einem Bekannten, und fragte nach den Lebensumständen des spanischen Consuls. Zu seinem größtem Vergnügen hörte er, daß der Mann sich beinahe sechs Jahr in Egypten befände, und auf der Reise den Unfall erlebt habe, Algierischer Sklave geworden zu seyn. Kein Zweifel weiter. Auf der Stelle eilt er zu ihm, und theilt schon im Geiste das Entzücken Isabellens.
Vor der Hausthür steht ein Mann, den Coutances fragt: ob der Consul daheim wäre? Nein, ist die Antwort, er bringt einige Zeit in seinem Garten zu, da er an der Augenkrankheit leidet, und hier so viel Staub ist. Wißt ihr den Garten Freund? Könnt ihr mich auf der Stelle dahin führen? — Warum nicht.
Jetzt kömmt ein Diener mit zwei gesattelten Eseln die Gasse her. Sie gehören dem Consul, sagt jener Mann, besteigen wir sie, der Herr würde es übel nehmen, wenn man einem Fremden den weiten Weg zu Fuße machen ließe. Coutances läßt sich das gefallen, nimmt das eine Thier, der Andere das zweite, und so trabt man fort.
Ein kleiner artiger Garten nimmt den Franzosen auf, der nun in den Pavillon geführt wird. Die Fenster sind grün verhangen, ein Augenkranker sitzt, das Gesicht umschirmt, auf dem Sopha. Sind sie der spanische Consul, mein Herr? — Zu Dienst. — Besaßen sie eine Tochter? — O Gott, warum mahnen sie mich daran? Sie ertrank im Hafen von Algier. Sie lebt, glücklicher Vater, sie ist in Cairo!
Der rasche Ungestüm der freudigen Ankündigung bringt ihn einer Ohnmacht nahe. Coutances unterstützt ihn, muß nun erzählen, wieder erzählen, soll hin zu ihr — noch bleiben — dann wieder eilen, da der Spanier den glücklichen Moment nicht erwarten kann.
Der Franzose wird eingeladen, auch seine Wohnung in dem Garten aufzuschlagen, was ihm allerdings nicht unwillkommen ist. Der Alte drängt. Eine Sänfte soll sogleich Isabellen holen, Coutances seine Habseligkeiten ohne Zaudern mitbringen. Man giebt ihm deshalb noch einige Packesel mit, und er eilt von dannen.
Wer ist froher wie Isabelle bei so freudiger Botschaft! Sie fliegt zur Sänfte, kaum kann der Geliebte die Träger zurückhalten, die sie so heftig antreibt. Er und Michelet laden alle Sachen, so schnell es thunlich ist, auf, und folgen der Sänfte.
Man kömmt wieder in dem Garten an, Coutances führt Isabellen in den Saal, die entzückt vor dem Alten niederfällt. Indem ruft der Mann draußen, die Eseltreiber hätten einige Stücke von dem Gepäcke verloren. Coutances, der Isabellen beim Vater weiß, springt zurück, denn an dem Umstand ist ihm gelegen. Die Eseltreiber sind mit den Thieren zurückgeeilt, auch der Mann. Coutances und Michelet folgen zu Fuße, denn ihre Reitesel sind bei Seite geführt.
An einer Ecke hatte man jene im Getümmel aus dem Gesichte verloren. Höchst verdrießlicher Umstand. Man eilt aus einer Gasse in die andere. Umsonst! Man erreicht zuletzt die alte Wohnung. Da stehen die Eseltreiber mit dem Gepäcke. Es fehlt nichts wie jener Mann. Die Kerle erklären, er habe ihnen angedeutet zurückzukehren. Sonderbar! Seid ihr denn nicht im Dienste des Consuls? Nein, wir wurden gedungen.
Coutances übergiebt sie seinem Diener, und eilt wieder nach jenem Garten. Darüber aber sind bei der weiten Entfernung, und manchem hinderlichen Aufhalt, einige Stunden vergangen. Der Pavillon ist leer. Er fragt nach dem spanischen Consul. Den kennt der Wirth dieses öffentlichen Gartens nicht. Einige Unbekannte haben ihn nur auf heute gemiethet.
Er eilt zur Wohnung des Consuls in der Stadt. Der Mann, durch den er neulich in der Thür Bescheid erhielt, findet sich nicht mehr vor; dagegen erfährt er im Hause von der Dienerschaft, der Consul sei weder krank, noch in einem Garten gewesen.
Schnell fliegt der Franzos wieder zu Signor Perotti. Der ist heute ausgezogen, man weiß nicht wohin? Ein Mütterchen, die jenen von oben bis unten besieht, spricht: ja es trifft zu, und führt ihn in die Kammer wo der Mumiensarg noch steht. Er ist versiegelt, und hat auf dem Deckel eine Aufschrift an Coutances. Eröffnet findet sich darin ein Beutel mit Tausend Piastern, und auf einem Papiere die Worte: Italienische Intrigue.
Wer malt den Zorn des Betrogenen! Er konnte sich alles deuten, da Isabelle ihm gesagt hatte, sie habe dem Perotti ihre Geschichte vertrauen wollen, weil er aber das Spanische nicht verstanden, so habe sie alles zu Papier gebracht, und jener sich es wollen übersetzen lassen.
Coutances lief nun abermals zum Consul, und erbat sich abermals eine Unterredung. Nachdem es sich erwiesen hatte, daß Isabelle vollkommen wahr geredet, und Entzücken über den wahren Vater kam, berichtete er nun weiter, wie er so planmäßig durch den Italiener gefoppt sei.
Alle Mühe, die eben sowohl der Spanier wie Coutances anwandten, Signor Perotti und Isabellen zu entdecken, blieb mehrere Tage unbelohnt. Dann aber empfing der Vater durch einen Unbekannten ein Schreiben ohne Anzeige des Aufenthaltes. In demselben zeigte Perotti an, wie er durch seltsamen Zufall, Isabellen aus der Sklaverei gekauft habe. Er setzte hinzu: Die Landessitte gäbe ihm ein unbestrittenes Recht auf das Mädchen, und dies würde er auch üben, und sie auf seinen weiteren Reisen mitnehmen, ohne daß der Vater sie zu Gesicht bekäme, es sei denn, dieser wolle ihn zu seinem Eidam machen. Wäre dies etwa sein Entschluß, so mögte er ihn mittelst eines Anschlags an eine gewisse Mauer in italienischer oder französischer Sprache kund thun.
Hierdurch fand sich der alte Mann ziemlich gepreßt. Wie konnte er einem Unbekannten, von dem dazu des Franzosen Schilderung sehr unvortheilhaft war, so rasch sein einzig Kind zusagen. Gleichwohl besaß dieser dieses Kind in seiner Gewalt, und ein andres Mittel, ihn zur Auslieferung zu bewegen, entdeckte sich so leicht nicht. Doch wurde zuvor ein Anschlag versucht, in welchem der Spanier erklärte: Wenn Isabelle es zufrieden sei, würde er auch seine Einwilligung nicht zurückhalten; wäre das aber nicht, so hoffte man von dem Zartgefühl des Italieners, er werde von selbst keinen Zwang begehren, und ein reicher Lohn andrer Art wäre immer für ihn bereit. Es wurden dringende Bitten angefügt, des Vaters zärtliche Wünsche schnell zu befriedigen.
Signor Perotti wollte das aber nicht eingehn. Er verlangte in einem anderweitigen Briefe, die runde nette Erklärung. Sonst, hieß es weiter, reisete er ab, und nimmer würde der Spanier sein Kind an die Brust drücken.
Was blieb letzterm nun übrig, wie eine bestimmte Zusage? Er bat zugleich Coutances, zur Erhaltung des Friedens, sein Haus zu meiden, denn letzterer hatte in der Erzählung wohl entdeckt, wie er sich schmeichele, von Isabellen geliebt zu seyn.
Dieser schwur aber, das Mädchen um jeden Preis dem Italiener zu entwinden, denn er konnte den Gedanken nicht tragen, auf sie Verzicht zu thun. Ein Kaufmann seiner Landsmannschaft versprach ihm Gelddarlehne, um weitschichtige Anstalten zu treffen, und Michelet bot, ein anderer Scapin, allen Erfindungsgeist der List auf. Das Haus des Spaniers wurde vorerst durch tiefvermummte Beobachter von allen Seiten umlagert.
Nicht lange so kam Signor Perotti, wiewohl noch alleine, an. Er ließ sich nun noch von dem Spanier eine förmliche Handschrift aushändigen, und nach dieser neuen und festen Sicherheit versprach er das Mädchen zu bringen. Es war aber schon gegen Abend; in der Dunkelheit sollte nichts geschehn, am andern Morgen erst, setzte er hinzu, dürfte der Consul die Tochter erwarten. Eine Marter für seine väterliche Sehnsucht.
Am andern Morgen kam Signor Perotti die Gasse daher. In einer wohlverschlossenen Sänfte wurde Isabelle getragen, und um ja keinem Unfall blosgestellt zu seyn, hatte er sich von dem Bei seines Distriktes sechs Soldaten zur Wache erbeten, und diese gut bezahlt. Er traute dem Franzosen nicht, und fürchtete, dieser mögte ihm seine Beute allenfalls mit Gewalt entreissen.
Ein etwas schmaler Canal lief queer durch diese Gasse. Eben als die Sänfte auf der hölzernen Brücke angelangt war, entstand vor derselben ein dickes Gedränge von Franken und Egyptern, die über einen Kameelhandel in Zank gerathen waren. Das streitige Thier stand so, daß in der schmalen Gasse fast kein Raum mehr blieb, vorüber zu kommen, um so mehr, als so viele Menschen hinderlich waren, es in eine andere Richtung zu bringen. Dem Italiener war das aufs Aeußerste verdrießlich; er ließ die Sänfte niedersetzen, stand an einer Seite derselben, Antonio an der anderen, die Soldaten mußten einen dichten Kreis um ihn ziehn, und ins Volk rufen, damit bald Raum gemacht wurde. Bald schwand eine Viertelstunde hin. Dann aber konnte man vorwärts dringen.
Der Consul stand voller Erwartung an seiner Thür. Endlich kam die Sänfte, wurde durchs Haus in den Hof getragen, und Signor Perotti eilte aufzuschließen. Mit offnen Armen stand der Vater da, wollte nun die Langentbehrte glühend umfassen, doch die Thür öffnete sich, und zeigte eine leere Sänfte. Auf dem Sitze lagen Tausend Piaster, und ein Zettelchen, mit den Worten: Französische Intrigue.
Signor Perotti tobte wie unsinnig, der Alte sank bleich zurück. Ersterer versicherte Isabellen in den Tragsessel gehoben, mit eigner Hand die Thüren verschlossen zu haben, das wurde von Antonio, den Soldaten, und Trägern bezeugt, wie auch, daß unterwegs an keine Oeffnung derselben zu gedenken gewesen wäre.
Man lief zurück, tobte, lärmte, setzte Prämien aus, nichtig. Endlich gerieth der Consul in Zorn wider den Italiener, und verbat seine ferneren Besuche.
Nach einiger Zeit schrieb Coutances, daß er sich im Stande fühle, ihm Vaterglück zu bereiten, doch würde er denselben Punkt feststellen, der vorhin dem Italiener bewilligt sei.
Froh war der Vater, daß sein Kind sich in des Franzosen Händen befand, er schlug gern ein.
Es muß nun erzählt werden, welche Mittel Coutances angewandt hatte.
Die Späher waren dem Italiener nachgeschlichen, und hatten so seine Wohnung entdeckt. Dieser ließ sich auf keine Weise beikommen, denn hohe Mauern waren zu übersteigen, die in ein Gehöft führten, unter dessen vielen Häuschen, denn bei Nacht das rechte sich nicht erkennen ließ. Dagegen berathete man, daß ohne Zweifel am Morgen eine Sänfte für Isabellen würde gemiethet werden, und besah den Weg, der zu nehmen war. Weil nun viele Sänften an einem nahen Eckplatze standen, so begab sich Michelet mit einigen Handwerkern in Holz, während der Nacht dorthin, und an der einen wurde der Fußboden losgemacht, unten aber mit einem Schieber versehn. Zugleich wurde ein Mechanismus angebracht, nach welchem von unten ein kleiner Zettel in die Sänfte zu bringen war, des Inhalts: Isabelle mögte nichts befürchten, wenn die Sänfte still stände, und der Boden sich nach unten öffnete, sondern sich muthig der Liebe vertrauen. Ihr Vater hätte sie dem Perotti als Gattin zugesagt, besser, sie erblickte jenen um einige Tage später, wie unter einer so schnöden Bedingung.
Nun hatte man sich zu der Brücke begeben, und mit so wenigem Geräusch als möglich, eine Fallthür gezimmert, die von Außen mit Staub beworfen, aber sehr genau bezeichnet ward. Als nun die Sänfte auf der Brücke anlangte, war das hindernde Getümmel durch bestochene Leute aus dem Pöbel erregt, bereit; und der verkleidete Michelet, mit einigen Landsleuten ruhte nicht, bis die Sänfte auf den rechten Punkt gedrängt war. Da wurde es nun das Werk einiger Minuten, Isabellen durch die Fallthür in die unter der Brücke harrende Gondel, in welcher sich Coutances mit zwei Freunden befand, zu schaffen. Allerdings hatte man auch alle übrigen Sänften weggemiethet, daß nur die rechte noch für Signor Perotti übrig blieb. —
Dieser schnob nun Wuth und Rache. Nimmer schwur er, soll der Franzose das Mädchen besitzen, und sollt ich mein halbes Vermögen aufwenden. Auch er that das seinige, den Aufenthalt desselben zu erspähn, wie dieser wieder keine Maasregeln versäumte, um das Mädchen zu sichern. Er schlief keine Nacht, sondern wachte mit Michelet auf das Sorgsamste. Da ihm des Consuls Antwort, Isabellens Besitz verhießen hatte, traf er Anstalten, sie ungefährdet in das väterliche Haus zu bringen. Man baute eigens eine geräumigere Sänfte, in welche er sich neben Isabellen setzen konnte. Michelet umgab sie mit mehr als zwölf Wächtern, und so trat man den Weg durch entlegene Gassen an.
So kam denn Isabelle zwar zu ihrem hocherfreuten Vater, und die Liebenden glaubten, in dem gutverwahrten Hause, und bei der zahlreichen Dienerschaft des Spaniers, nichts befürchten zu dürfen, demungeachtet war aber Isabelle am andern Tage wieder aus dem mit starken Gittern gesicherten Zimmer verschwunden, ohne daß jene oder die Thüren im mindesten zerstört gewesen wären. —
Land, Land, rief es hier, und die kleine Gesellschaft, die der Erzählung Coraims mit großer Theilnahme gehorcht hatte, sprang eiligst zum Verdeck hinauf. Seitdem man die Spitze der Insel Candia vor einigen Tagen erblickt hatte, und der Cours immer wieder nach Südost ging, war die Vermuthung allgemein geworden, Egypten sei das Reiseziel des französischen Heeres. Um desto reger hatte auch die Einbildungskraft gearbeitet, während der Türke erzählte.
Nun vergaß man ihn und Isabellen. Der Anblick jener weißen Küste, zog unwiderstehlich an. Von allen Seiten her schimmerten die Seegel, und die Fahrzeuge sammelten sich vor dem Thurm der Araber, unweit Alexandrien. Da man die Engländer vermuthete, nahmen die Kriegsschiffe eine Vertheidigungsstellung, während dessen bald vier bis fünftausend Mann gelandet wurden, die nach der Pompejussäule vormarschirten.
Der Feldherr, treu der Maxime des Tacitus: „Bei einer Entschließung, die erst vollführt Lob verdient, findet keine Bedenklichkeit statt!“ marschirte sogleich nach Alexandrien, nahm es mit Sturm ein, und verjagte die Mammelucken und Araber. Dadurch gewann man hinterwärts Sicherheit, und alle Truppen, und was zum Heere gehörte, konnten nun ans Land treten.
Wie war Ring bezaubert, wie er den alten urklassischen Boden unter seinen Füßen fühlte. Er erklärte Floren das Alterthum dieser Erdgegend, und bereitete sie vor, des Merkwürdigen unendlich viel zu sehen, ob sie gleich mit etwas offnen Munde dastand, und sich höher erfreute, den Meerstürmen, und den Gefahren einer immer erwarteten Seeschlacht glücklich entgangen zu seyn.
Da sind also unsre Reisenden in dem lieblichen Lande, dessen Bild schon tausend Erinnrungen weckt. Der hellsten von allen dachte Ring unter einen Dattelbaum hingestreckt nach. Es ist die Reise jener Cleopatra, die Shakespear wohl mit Unrecht eine Zigeunerin nannte, da sie von dem griechischen Königsstamme, nach Alexanders Tode gepflanzt, war. Gleichwohl beschrieb der so lebendig malende Britte, die Fahrt dem Cydnus bezaubernd:
Cydnus Wogen trugen sie, die Gondel
Brannt’ ein Feuerthron auf Lazurfluthen,
Und die Purpurwimpel Sidons hauchten
Sabas edlen Zauberduft, daß Eurus
Nur mit ihnen, nicht um Flora buhlte.
Silberruder schlugen nach dem Takte,
Süßer Flöten, die verwandten Wellen,
Deren Perlschaum ihnen tanzend folgte.
Aber sie, die Charitin Canopens,
Unter ihres Baldachins Gewölbe,
Die Anmuthge höhnte Pinsel, Lyra,
Und zur Bettlerin wird die Beschreibung;
Ein Gemäld’, ein Bildniß, dem getroffnen
Blicke, das Protogenes Cythere,
Wo Natur der Dichtung Kraft erlegen,
Selbst verdunkelte. Mit Wangengrübchen
Lächelten den Amorn gleich, zur Seite
Schöne Knaben, die mit bunten Fächern
Kühlung ihrem Rosenantlitz wehten,
Und doch nur die Glut erhöhten, Feuer
Schürten, das ihr Hauch vernichten sollte.
Gleich den Nymphen und den Töchtern Nereus
Harreten der Göttin Wink verschämte
Zarte Mägdlein, wurden reizender
Wenn sie sich vor ihr gewärtig beugten.
Eine liebliche Syrene steurte,
Leicht erblähten seidne Seegelthaue,
Vom Berühren Blumumwundner Hände,
Der geschäftgen holden Schifferinnen.
Unsichtbarer Himmelswohlgeruch,
Strömte weit auf die beblümten Ufer —
Auf sie goß die weite Stadt ihr Volk,
Die Bewunderung sank froh zu Füssen,
Und die Luft verwundete ihr Jubel,
Die, wenn sie nicht ewig Leere haßte,
Weggezogen wär aus ödem Raume,
Freudig vor Cleopatra zu staunen. —
Ha, nun tritt die Zauberin ans Land,
Und der stolze Held der sieben Hügel
Schmachtet ewig in der Feindin Kette. —
Er wurde bald unterbrochen, von dem lustigen Gewimmel rund umher. Alles drängte sich zu der nahen Pompejussäule, einer maaß, einer erklärte ihre Geschichte, ein andrer wollte hinauf, von dort weit umher die Gegend zu erspähen. Das ging aber nicht leicht, da die Steinmasse achtundachtzig Fuß hoch, und mit keiner Treppe versehn war.
Demungeachtet erzählte ein Matros, der schon ehedem Egypten besucht hatte, tranken Engländer oben eine Bowle Punsch. Zugleich theilte er mit, wie sie das, ohne ein Gerüst zu fertigen, vollbracht hätten. Man machte nämlich einen Drachen aus Papier, wie ihn die Kinder steigen lassen. An einem langen dünnen Strang wurde er hoch in die Luft gefördert, und der Wind so genommen, daß der Lenker die Säule zwischen sich und den Drachen brachte, ihn nun niedersinken ließ, worauf der Strang an dem Capital hing. Nun wurde ein dicker Schiffstau an den Strang geknüpft, hinübergezogen, worauf ein Seemann sich an das Ende band, und sich auf die Säule bringen ließ. Dieser traf nun Anstalten, eine förmliche Winde zu befestigen, und die das Seltsame liebenden Britten übten ihren Willen.
Nun ging es nach dieser großen Stadt mit platten Dächern und runden Moscheen. Nicht wenig waren die Bürger ob des unerwarteten Einspruches der Europäer bestürzt. Sonst hatten sie sie wohl auch in ihrer Mitte gesehn, doch in geringer Zahl, demüthig entweder auf den Handel, oder Notizen zu Reisebeschreibungen ausgehend, in morgenländische Kleider gesteckt, und den Namen Christenhund, ohne eben die Justiz zu überlaufen, hinnehmend. Nun brachten sie aber Waffen, und da ist der Europäer allen Nationen überlegen. Und das macht allein die Cultur, die zu einer glücklichen Schwäche führt, in welcher es nothwendig wird, sich so lange nach Kraft in der Kunst umzusehn, bis man sie findet.
Die Soldaten lagen in Alexandrien auf den Straßen umher, ein sehr beschwerlicher Zustand, wo man eine Hitze von 26 Graden duldet. Der Stab und die mitgenommenen Gelehrten wurden blos in die Häuser mehrerer Europäer gelegt.
Ring traf jenes Loos, und er wünschte daher sehnlich, daß man bald tiefer ins Land dringen mögte.
Eines Tages wanderte er mit Floren eine Gasse hinauf, um den großen Obelisk zu sehen. Plötzlich rief sie ein sehr wohlgekleideter junger Muselmann. Verwundert sehen sie auf, und entdecken in der schönen Kleidung den Sklaven Coraim aus Malta, der ihnen erzählte: wie er an der Küste freigelassen worden, und seinen Vater, der bei seiner Abreise ein Wasserträger gewesen, als einen Richter der höheren Klasse angetroffen hätte. Ein nicht seltener Gebrauch im Morgenlande, plötzlich aus dem Staube zu erheben, den man wenigstens bisweilen auch in der Christenheit nachahmen sollte. Es käme so der nüchterne Sinn in die hohen Regionen, der dort oft ganz ausstirbt.
Coraim blieb aber nicht bei den nackten Freudenbezeugungen stehen, sondern nöthigte sie in das elterliche Haus. Die Truppen wurden bei keinen Türken einquartirt, daher auch das Innere ihrer Haushaltung nicht gefährdet war.
Coraims Vater, indem er hörte, der Frank und die Frankin hätten seinem Sohne auf dem Schiffe Gutes erwiesen, zeigte sich sehr bereit zur Erwiederung, und ließ dabei vielen orientalischen Luxus schimmern von welchem beide nicht wenig eingenommen waren, und in manchem Stücke, den europäischen ihm nachsetzten.
Man trennte nach der Landessitte Ring und Floren. Letztre wurde in den Harem zu den Weibern des Ali (so hieß Coraims Vater) geführt.
Ring wurde zuförderst durch ein Bad gelabt, das ihm an und für sich nach vielen Beschwerden würde höchst willkommen gewesen seyn, wie vielmehr bei einem Raffinement, das London und Paris nicht kennen.
Das Badgebäude bestand aus drei hintereinandergelegenen großen Zimmern. Das erste, Burani genannt, war prachtvoll und mit Marmor gepflastert. An der Mauer lief eine Erhöhung hin, mit kostbaren Teppichen bedeckt. In der Mitte stand ein Brunnen. Die Diener luden den Gast ein, hier die Kleider abzuwerfen.
Aus diesem Zimmer oder Saale gelangte er in ein zweites, das Wustami hieß. Hier fanden sich viele Becken von Stein, rund und länglich, etwa zwei Schuh im Durchmesser, in welchen sich zwei Röhren mit messingnen Hähnen zu warmen und kaltem Wasser öffneten. Am Fuße derselben standen metallene Becher, um das Wasser auf die Badenden zu gießen. Schöne Blumen dufteten aus artig gearbeiteten Vasen.