Fortuna heißt Glück - Christiane Gezeck - E-Book

Fortuna heißt Glück E-Book

Christiane Gezeck

4,7

Beschreibung

„Eine Geschichte beenden, heißt immer auch Abschied nehmen“, sagt Christiane Gezeck. „Deshalb zögere ich jedesmal, die letzten Seiten wirklich zu Papier zu bringen. Nach all der Zeit des Schreibens, in der ich meine Tiere auf einem meist beschwerlichen Weg mit oft auch für mich überraschenden Wendungen begleitet habe, fällt es mir schwer, sie gehen zu lassen – selbst wenn ich sie in ein neues Zuhause, ein glückliches Leben entlasse!“ Im zweiten Band ihrer „Geschichten für Tierfreunde“ lädt sie den Leser ein, mit ihr hinabzusteigen in einen Steinbruch auf Korfu auf der Suche nach der bildschönen Pointer-Hündin Fortuna, die Katze Luzy, eine Russisch Blau aus dem Geschlecht derer „de la Forêt d’Autour“ zu begleiten, als sie völlig unerwartet ihr Luxusleben aufgeben und sich auf eigene Pfötchen stellen muß, oder Pia kennenzulernen, eine junge deutsche Schäferhündin, die in Oberitalien das Leben im Garten des weißen Hauses auf dem Hügel genießt, bis... Ja, lesen Sie selbst! Auch diese Geschichten wurden wieder illustriert von Elke Weinberg, die auf ihre unvergleichliche Weise am Schicksal der Akteure Anteil nimmt und mit ihrem Stift bewegende Akzente setzt.

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Seitenzahl: 205

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Inhaltsverzeichnis

Titelseite

Titel

Idylle

Pia

In memoriam

Luzy

Tierschutz

Henna

Fortuna

Frau Eberts Katze

Impressum

Christiane Gezeck

Fortuna heißt Glück

Geschichten für Tierfreunde (II)

Die Tiere leiden und erfüllen mit ihrem Seufzen die Lüfte.

Die Wälder fallen der Vernichtung anheim.

Die Berge werden ihrer Metalle beraubt,

welche in ihren Adern wachsen.

Aber das menschliche Verhalten ist schnell,

jene zu loben und zu ehren,

welche durch ihr Tun der Natur wie der Menschheit

den größten Schaden zufügen.

Leonardo da Vinci

(1452 – 1519)

© 2015 Christiane Gezeck

www.christiane-gezeck.de

Vom Erlös des Buches profitiert wieder:

ALBA Tierschutz Madrid (www.alba-madrid.org)

Idylle

Warst Du schon mal da vorn an der Hecke,

an dem kleinen See dort, gleich um die Ecke?

Hast Du die Entenfamilie gesehn

und die Fische, die reglos im Wasser stehn?

Es ist schön dort, wenn kleine Wellen sich kräuseln,

wenn Sommerwinde im Schilfrohr säuseln,

wenn die Frösche quaken und nach Mücken schnappen,

wenn Störche würdevoll mit den Schnäbeln klappen ...

Die Sonne glitzert, ihre Strahlen flirren,

bunte Libellen tanzen und schwirren,

ein paar Vögel kommen und jauchzen beim Baden,

und das Wasser spielt kitzelnd um Deine Waden ...

Mach zu Deine Augen, leg Dich zurück!

Spürst Du die Wärme, die Ruhe, das Glück?

Weich ist das Gras, so weich wie ein Kissen –

was wohl so alles drin lebt, möcht‘ ich wissen ...

Wieviel, glaubst Du Träumer, gehört wohl dazu,

dass aus dieser Idylle würde im Nu

eine öde Wüste, verpestet und leer? –

Ach, weißt Du, das ist gar nicht so schwer:

Ein einziger Mensch kann das ganz schnell schaffen

mit Dünger, Bulldozern, Chemie oder Waffen.

Die Technik verleiht ihm die teuflische Macht,

dass es morgen vielleicht auch hier schon kracht ...

Ein kleiner See war’s, na und? – Was soll es ...

Aber – ist denn der Mensch nun sowas Tolles?

Pia

Als die Box aus dem Bauch des Flugzeuges geholt, auf den rumpelnden Wagen verladen und dem bereits ungeduldig wartenden Mann übergeben worden war, kam es der kleinen Hündin vor, als seien Jahrhunderte vergangen, seit sie ihre Mutter und Geschwister verlassen hatte. Seit der Mann, bei dem sie geboren worden war und die ersten Wochen ihres Lebens verbracht hatte, den Zwinger betreten, sie ergriffen und die Tür wieder hinter sich geschlossen hatte, war sie irgendwie kaum zum Luftholen, geschweige denn zum Denken gekommen. Wenn sie es sich recht überlegte, hatte sie die ganze Zeit nur geweint und gar nicht so wirklich gewusst, was eigentlich mit ihr geschah. Ja, sie war in diese Box gesteckt worden, ganz allein und ohne jedenfalls eines ihrer Geschwister, mit dem sie sich hätte trösten können, es war abwechselnd hell und dunkel, laut und leise, kalt und warm um sie herum geworden, irgendwann hatte ihr unter ohrenbetäubendem Dröhnen plötzlich der Magen unter den Rippen geklebt, dann hatte sie vor lauter Dröhnen nicht einmal mehr ihren eigenen Herzschlag gehört, dann klebte der Magen wieder unter den Rippen – und plötzlich war alles still, und sie hörte nur noch ihr eigenes Weinen. Und jetzt wurde es wieder hell um sie herum, es dröhnte nur noch irgendwo ganz leise in ihrem Kopf und drückte in ihren Ohren, sie blinzelte in ein paar Sonnenstrahlen, und als ihr gerade bewusst wurde, wie dringend sie eigentlich mal ihr Geschäft erledigen müsste, öffnete sich plötzlich die Box und eine große Hand griff nach ihr und zog sie am Nackenfell aus ihrem Gefängnis heraus. Sie stemmte sich mit allen Vieren dagegen, sträubte sich, so gut sie konnte, doch der Griff war rau und ließ keinen Widerstand zu, und schon hockte sie auf einem glatten, angenehm warmen Steinfußboden, direkt vor ein paar langen Beinen in blauen Hosen. Blinzelnd sah sie an diesen Beinen hinauf, legte den Kopf schief und hob die Ohren. Sie versuchte ein zaghaftes Schwanzwedeln, und der erhoffte Erfolg stellte sich ein: Das Gesicht am Ende dieser langen Beine, dass sich erwartungsvoll zu ihr herunter geneigt hatte, begann zu lächeln. „Benvenuto!“ sagte der Mund, und die Stimme war erstaunlich hell. „Willkommen in Bella Italia.“

Und dann war das Gesicht plötzlich ganz nah bei ihr, so dass sie jedes Haar in dem schwarzen Schnurrbart und die gelben Punkte in den braunen Augen erkennen konnte, und sie nahm den Geruch nach Kaffee und Zigaretten wahr, der ihr irgendwie vertraut war, und sie spürte die warme Hand auf ihrem Kopf und dem Rücken und unter dem Kinn, und sie wedelte fröhlich mit dem Schwanz, denn die Sonne wärmte ihr Fell, sie hatte festen Boden unter den Füßen, konnte Pipi machen und fühlte sich wohl, und die Stimme versprach ihr ein schönes Zuhause, leckeres Futter und einen großen Bruder. Gehorsam ließ sie sich ein Halsband umlegen, lief an der Leine, als sei sie damit geboren und hüpfte erwartungsvoll neben den langen Beinen her, als diese sich jetzt ihren Weg durch viele andere lange Beine hindurch und hinaus zu einem Auto bahnten.

Es war ein großes, glänzendes Auto, in dem es nach Leder, Zigaretten und Parfum roch, und sie wurde hinter die Rücksitze gesetzt, wo sie den Hals ganz lang machen und den Kopf in die Höhe recken musste, um da draußen noch etwas anderes als nur Himmel sehen zu können. Aber der Wagen setzte sich fast lautlos in Bewegung, und das tiefe, gleichmäßige Brummen des Motors klang so sanft in ihren Ohren, dass es sie in wenigen Minuten eingelullt und in den Schlaf gesungen hatte.

Sie wachte nicht einmal auf, als der Wagen hielt und die hintere Tür aufgerissen wurde. Erst, als die großen Hände ihr unter den Bauch griffen, sie in die Höhe hoben und auf den Boden setzten, zuckte sie erstaunt mit den Ohren und blinzelte in die tanzenden Sonnenstrahlen, die durch das Blätterdach über ihnen herabfielen. „Sei doch nicht so brutal, Sandro!“ rief eine Stimme. „Das arme Ding kommt doch aus dem Tiefschlaf...“, und schon hockte sich eine junge Frau auf den Kies, nahm den Kopf der kleinen Hündin vorsichtig in beide Hände und sah ihr ins Gesicht. "Hallo, kleine Maus, hast du die Reise gut überstanden?“ fragte die Stimme, und eine weiche, warme Hand strich ihr zart über den Kopf. „Bist du aber eine Hübsche! – Wie willst du sie nennen, Sandro?“ Die braunen Haare fielen der Frau von der Schulter, als sie jetzt mit schräg gelegtem Kopf zu dem Mann hochblinzelte. „Na, ‚Regina‘ natürlich, wie denn sonst? ‚Rex‘ und ‚Regina‘, ist doch logisch. Die Begründer meiner Zucht.....“ „Ach, komm“, widersprach die junge Frau heftig, „sieh dir doch dieses Gesicht an! Das hat doch nichts Majestätisches, nichts Hoheitsvolles....... Sieh doch die Tiefe dieser Augen, ihre Reinheit und Unschuld, fast so etwas wie Frömmigkeit spiegelt sich darin....... ‚Pia‘ heißt sie, sag doch selbst, sieht sie nicht aus wie ‚Pia‘?“ Der Mann stemmte die Hände in die Hüften, legte den Kopf schief und sah mit zusammengekniffenen Augen auf das winzige Wesen zu seinen Füßen. Die kleine Hündin schien verstanden zu haben, dass von ihr die Rede war, denn sie sah aufmerksam hinauf, stellte die Ohren nach vorn, legte den Kopf von links nach rechts und wieder zurück und musterte das Gesicht über sich mit nachdenklichem Ernst. „Regina!“ sagte der Mann, und die Hündin saß ganz still und sah ihn an. „Pia?“ fragte die Frau, und die Hündin wedelte fröhlich mit dem Schwanz und sprang um die beiden Menschen herum. „Siehste!“ triumphierte die Frau, „sag‘ ich doch.......“, und lachend wandte sie sich um und lief den gewundenen Pfad zum Haus hinauf.

Dort angekommen, ergriff sie die Klinke der schweren, geschnitzten Holztür und wollte gerade eintreten, als der Mann sie zurückhielt. „Warte“, sagte er. „Lass sie sich hier draußen kennenlernen.“ Er verschwand im Haus, und man hörte einen durchdringenden Pfiff. Dann war da das Geräusch von Krallen, die über Steinboden kratzen, leises, freudiges Winseln und dann aufgeregtes Schnüffeln unter der Tür hindurch. Drinnen ertönte das Kommando: „Rex, sitz! – Sitz! Sitz hab‘ ich gesagt... verdammt nochmal....“ und nach einem durchdringenden Klagelaut herrschte Stille im Haus. „Na also, es geht doch“, sagte der Mann, die Tür öffnete sich, und heraus sprang ein junger Schäferhund – nein, ein junger Gott! Er nahm sich nicht die Zeit, die Frau zu begrüßen, die ebenfalls draußen gewartet hatte, er stürzte auf die kleine Hündin zu, umsprang sie schwanzwedelnd, fiepte und bellte, stupste sie von vorn und von hinten, rannte davon und war schon wieder da – er war außer sich vor Freude. „Rex“, sagte die Frau, und auch in ihrer Stimme war die Freude zu hören, „darf ich dir Pia vorstellen? – Pia, das ist Rex.“ Und zu dem Mann umgewandt raunte sie hinter vorgehaltener Hand: „Ich werde nie verstehen, warum deutsche Schäferhunde immer ‚Rex‘ heißen müssen.....“

Rex entführte Pia in den Garten. Er war so aufgeregt über ihre Ankunft, dass er nicht aufhören konnte zu toben. In wilden Sprüngen jagte er über den riesigen Rasen, schlug einen Haken und kehrte zu ihr zurück, schlidderte um den Swimming-Pool und setzte über das RosenRondell hinweg, und trotz der Mittagshitze, die Pia als wohltuend empfand, raste Rex ohne Unterlass, sprang und hüpfte und versuchte auf jede erdenkliche Art, sie zum Mitmachen zu bewegen. Schließlich ging er japsend und mit heraushängender Zunge vor ihr in die Knie, sah fröhlich zu ihr auf und hechelte: „Bist wohl noch `n bisschen k.o. von der Reise, was? Kann ich verstehen, ging mir genau so. Warte, ich geh‘ nur eben was trinken, dann zeig‘ ich dir alles...“

Kurz darauf trotteten die beiden Seite an Seite über den Rasen, an dem gewaltigen Swimming-Pool vorbei auf den unter Glyzinien fast versteckten Pavillon zu. „Das ist mein Lieblingsplatz“, sagte Rex. „Hier hat man seine Ruhe, Schatten für das Nickerchen, und trotzdem den Überblick.“ Pia setzte sich, ließ den Blick wandern und begann zu niesen. „Hilfe, das stinkt aber!“ rief sie und sah Rex vorwurfsvoll an. Der lachte ihr ins Gesicht und deutete nach oben: „Ist doch bloß die Mimose hier! Die Menschen behaupten, sie dufte köstlich, aber ich find‘ sie auch eher eklig.... Aber keine Sorge, bald ist sie verblüht, dann stinkt sie nicht mehr.“ Und gemeinsam setzten sie ihren Weg fort.

„Gehört das alles hier dir?“ fragte Pia und spiegelte sich in dem Teich, der verträumt unter den Blättern des Fächerahorns glitzerte. „Nee“, sagte Rex, „uns!“ Sie machten einen Bogen um eine weit ausladende Araukarie, streiften an der Gruppe kleiner Pinien entlang und stießen endlich auf einen Zaun, der das Grundstück von der Straße trennte. Schwarzes Schmiedeeisen mit goldenen Spitzen machte einen sehr wehrhaften Eindruck, doch Rex sagte ganz ernsthaft: „Sowas will natürlich gut beschützt sein, ist ja klar! Aber seit ich hier nachts immer mal wieder patrouilliere, herrscht hier Ruhe. Keine Randale, kein Radau... naja, bis auf die paar Blödmänner aus dem Dorf, aber die haben wir auch bald unter Kontrolle, wir zwei!“ Und mit einem fröhlichen Hüpfer machte er kehrt und trabte auf das Haus zu. Pia folgte ihm quer über den samtweichen Rasen, zwischen den üppig wuchernden Beeten die Stufen zur Terrasse hinauf und unter das gegen das Sonnenlicht abgedunkelte Vordach. Dort standen zwei große, bequem ausgepolsterte Körbchen, zwei gut gefüllte Fressnäpfe und zwei Schalen mit frischem, kühlem Wasser für sie bereit. Während Rex sich wortlos auf das Futter stürzte, ließ Pia sich erst einmal von der jungen Frau streicheln und mit auffordernden Worten und Gesten zum Fressen einladen. Dann wies die Frau Pia ein Körbchen zu, und zögernd näherte sie sich. Doch als sie gerade eine Pfote hineinsetzen wollte, machte Rex ihr ein Zeichen: „He, bei mir ist noch viel Platz...“ raunte er, rutschte ein wenig zur Seite und deutete auf die freie Liegefläche neben sich. „Wenn du magst...?“ Und wie sie mochte! Noch nie hatte Pia einen Platz so ganz für sich gehabt, sie hätte sich ganz verlassen gefühlt, so allein in diesem riesigen Korb, und dankbar nahm sie Rex‘ Angebot an. Es gefiel ihr, sich an ihn zu kuscheln und seine warme Nähe zu spüren, ihren Kopf auf seinen atmenden Bauch zu legen und dem Gegurgel darin zu lauschen, das sie unmerklich in den Schlaf lullte.

Das Leben, das Pia hier erwartete, schien nichts als Spielen, Fressen, Toben und Schmusen zu sein. Schnell hatte sie gelernt, dass sie im Haus nicht gern gesehen war, sondern auf der Terrasse oder im Garten zu bleiben hatte. Aber das Grundstück schien unüberschaubar groß zu sein, sie konnten stundenlang am Zaun entlang, durch Gebüsch und unter Bäumen stöbern und schnüffeln, und die Nächte waren schon mild genug, als dass sie nicht fror, wenn sie sich nur dicht genug an Rex kuschelte. Schnell hatte der junge Rüde mit seinem fröhlichen Temperament alles Heimweh bei Pia ausgelöscht. Mit seiner immer guten Laune, seinen Streichen und der unerschöpflichen Energie hatte er ihr längst alle Brüder und Schwestern ersetzt, und seine Stärke, sein Selbstvertrauen und seine unverwüstliche Zuversicht hatten sie schnell dazu gebracht, sich ihm mit Haut und Haaren anzuvertrauen. Innerhalb weniger Tage liebte sie ihn bedingungslos, und ein Leben ohne ihn konnte sie sich nicht mehr vorstellen. Unter seinem Schutz, unter seiner Leitung war das Leben gut zu ihr. Die Köchin verwöhnte die beiden hinter Sandros Rücken mit manchem Leckerbissen, das Zimmermädchen schmuste mit ihnen, wann immer es ihnen begegnete, und die Tage, an denen Gina im Haus war, waren fast schon Festtage für sie, denn dann gab es Stock werfen und Ball spielen und Mäuschen suchen und Knochen verbuddeln und Kriegen und Fangen und .... ach, Gina kannte so viele Spiele, die einen jungen Hund begeisterten, und ihr Lachen und Rufen schallte durch den Garten, bis sie alle drei müde auf dem Rasen landeten und sich zufrieden und erschöpft ausruhten. Sandro sah dem allen von der Terrasse aus zu, streckte die Beine aus und rauchte seine Zigaretten, und in seinem Gesicht konnte Pia nicht lesen. Wenn er an ihr vorbeiging, klopfte er ihr schon mal den Rücken, fuhr ihr gedankenverloren über den Kopf oder zupfte an ihrem Ohr, aber wenn sein Blick bewusst auf ihr ruhte, setzte sie sich automatisch hin, legte den Kopf schief und sah zu ihm auf, um herauszufinden, was er von ihr erwartete.

Eines Nachmittags, als Pia und Rex im Halbschatten des blühenden Oleanders auf der Terrasse dösten und der flötende Gesang des Pirols schon begann, lästig zu werden, hörten sie, wie Sandro zu Gina sagte: „Morgen fang‘ ich mit seiner Ausbildung an. Er ist jetzt alt genug – acht Monate, `s wird Zeit.“ Gina sah zu Rex hinüber, und Pia meinte, den Ausdruck des Bedauerns auf ihrem Gesicht zu sehen. „Aber nimm ihn nicht gleich so hart ran“, bat Gina. „Er ist doch noch so verspielt....“ „Eben“, antwortete Sandro, „wird Zeit, dass er den Ernst des Lebens kennen lernt. Erst kommt die Ausbildung, dann die Zucht.“ Gina grinste: „Na, hoffentlich hält er sich an die Reihenfolge.“ Doch Sandro schien nicht zu Scherzen aufgelegt, und das Gespräch erstarb.

Am nächsten Morgen, als der Tag noch jung und frisch durch die Baumwipfel lugte, erscholl Sandros Pfiff von der Terrasse her, und beide Hunde rannten zum Haus. „Sitz!“ befahl Sandro Rex, ohne die beiden vorher gestreichelt zu haben. Rex und Pia setzten sich. Sandro legte Rex ein silbern glänzendes Halsband um, ruckte an der daran hängenden Leine und sagte: „Fuß!“ Mit großen Schritten marschierte er auf den Rasen zu, die Leine fest im Griff. Rex wurde herumgerissen, das Halsband bohrte sich in seinen Nacken, er wimmerte vor Schmerz und stemmte instinktiv alle Viere in den Boden. Sandro riss an der Leine, Rex japste nach Luft, die Augen traten ihm hervor und er röchelte: „Pia, hilf mir – ich ersticke...“ Voller Angst hatte Pia dem Schauspiel zugesehen, aufgeregt tippelte sie um Rex herum, gab ratlos Laut und rang selbst schon nach Atem, als sie ihm plötzlich zuflüsterte: „Geh mit, schnell, geh mit, dann tut’s nicht mehr so weh...“ und Rex machte einen Satz hinter Sandro her und schloss mit ihm auf. Der Druck um seinen Hals lockerte sich sofort, der bohrende Schmerz ließ etwas nach, und er bekam wieder Luft. Mit hängender Zunge sah Rex sich nach Pia um, die nur zwei Schritte hinter ihm folgte. „Sitz!“ befahl Sandro und riss an der Leine. Rex fuhr zusammen und sah fragend zu ihm auf, doch Pia raunte von hinten: „Schnell, setz dich hin...“ „Na siehst Du, es geht doch“, sagte Sandro, sah in die Ferne, forderte „Fuß!“ und marschierte los. Wieder fühlte Rex, wie sich das Halsband um seinen Nacken schloss, sich die Stacheln in die Haut bohrten und ihm die Luft abschnürten, und wieder stemmte er verzweifelt alle Viere in den Boden. „Geh mit!“ rief Pia, „schnell, geh mit...“, und wieder lockerte sich der Druck erst, als Rex auf Sandros Höhe war und gehorsam neben ihm her marschierte.

Der Vorgang wiederholte sich noch ein paarmal, bis schließlich beide Hunde einträchtig neben Sandro hergingen, beide angespannt bis in die Haarspitzen, um nur ja jeden Befehl schnellstmöglich auszuführen. Irgendwann beendete Sandro die Lektion, streifte Rex das Halsband über den Kopf, klopfte ihm die Schulter und entließ die beiden zum Spielen.

„Puh“, schnaufte Rex, als sie sich im Schatten der inzwischen längst verblühten Mimose niederließen. „Was ist denn in den gefahren? Das war ja wohl das Blödeste, was dem bisher eingefallen ist.... Das tut vielleicht weh, kann ich dir sagen!“ Und langsam drehte er den wundgescheuerten Hals in alle Richtungen. „‘Fuß!‘ – woher weiß ich denn wohl, was der von mir will, wenn er anfängt zu brüllen, eh? Und wieso soll ich überhaupt machen, was der sagt? Also, witzig find‘ ich das nicht...“ Und er schimpfte noch eine Weile vor sich hin, während Pia voller Verständnis und Bedauern zu ihm aufsah und ihm tröstend die Ohren leckte.

Doch sein Protest nützte Rex nichts, denn von nun an „arbeitete“ Sandro regelmäßig mit ihm, wie er das nannte. Er lernte, neben Sandro herzugehen, genau auf Höhe seines Knies, fast auf Tuchfühlung. Er lernte, sich zu setzen, sobald Sandro stehen blieb. Er lernte, was „Platz!“ bedeutete und „Auf!“, und er versuchte, die Schmerzen während des Unterrichts auf ein Minimum zu begrenzen, indem er auf Pia schielte, die ihm nicht von der Seite wich, ihn auf Schritt und Tritt begleitete und die Bedeutung all der Kommandos schon im Voraus zu ahnen schien. „Warum bildest du sie nicht aus?“ fragte Gina eines Tages, als Sandro ihr zeigte, was Rex schon alles gelernt hatte. „Ist doch bloß `ne Hündin“, sagte Sandro und runzelte verständnislos die Stirn. „Mit ihr will ich züchten, nicht arbeiten. – Du hast Ideen....“ und kopfschüttelnd schlenderte er zum Pool. Und so bekam Pia die Ausbildung sozusagen gratis, denn sie lernte viel schneller als Rex, war viel aufmerksamer als er und wusste intuitiv, was Sandro von Rex wollte: Sie führte die Kommandos aus, Rex schielte zu ihr hinüber, machte es ihr nach – und vermied den Schmerz durch das Stachelhalsband. Und Sandro war stolz auf seinen gelehrigen Hund.

Eines Tages leinte Sandro Rex an, ließ ihn ins Auto springen und fuhr mit ihm davon. Pia hatte gerade zum Sprung angesetzt, um hinter Rex einzusteigen, als die Autotür auch schon wieder ins Schloss gefallen war. Ungläubig starrte sie auf das glänzende Blech, als die Reifen jetzt knirschend zu rollen begannen, dann ergriff sie Panik: Wild jaulend rannte sie hinterher, umsprang den Wagen, als er am Tor zur Straße hielt und ließ sich auch von Sandros Drohungen und Beschimpfungen nicht abschrecken. Sie musste zu Rex! Sie rief ihn und flehte und weinte und bettelte, und Rex hüpfte, drehte und wand sich ihm Inneren und suchte nach einem Ausweg, denn Pias Klagen gingen ihm durch Mark und Bein. Schließlich begann Sandro, nach Pia zu schlagen und zu treten, doch da war der Gärtner zur Stelle, packte Pia am Nackenfell, hielt sie mit beiden Armen umschlungen und redete tröstend auf sie ein, bis sich das schwere Eisentor wieder hinter dem Wagen geschlossen hatte. Dann ließ er sie los. „Er kommt doch wieder“, tröstete Giulio sie und strich ihr sanft über den Kopf. „Is‘ doch nur für’n Stündchen oder zwei... wirst sehen, eh du dich versiehst, ist er schon wieder da, dein Rex!“ Doch Pia glaubte ihm kein Wort. Rex war fort. Auf und davon. Ohne sie. Von Sandro entführt und verschleppt, und sie war allein, verlassen und verwaist. Nicht einmal verabschiedet hatten sie sich. Ihr Herz schmerzte und war so schwer, dass sie dort vor dem Tor zusammensank, den Kopf auf den gekreuzten Vorderpfoten lastend. Mit jedem Atemzug brach ein leises Wimmern aus ihr hervor, der leere Blick ruhte unverwandt auf der Straße, wo der große Wagen verschwunden war.

Nach einer ganzen Weile hockte sich die Köchin neben Pia, streichelte sie, tröstete sie und versuchte, sie mit Leckerbissen auf die Terrasse in den Schatten zu locken. Pia sah und hörte nichts, völlig regungslos blieb sie liegen. Schließlich gab die Köchin auf, brachte ihr aber noch einen Napf mit Wasser, denn der Tag war heiß und die Sonne brannte auf den Kies der Auffahrt nieder. Nur ganz selten, wenn irgendwo in der Ferne der Motor eines Wagens zu hören war, konnte man erkennen, dass noch Leben in der kleinen Schäferhündin war, denn dann fuhren die Ohren erwartungsfroh in die Höhe, dann hob sich der Kopf und der ganze Körper stand unter Strom, doch wenn das Geräusch verklang, sank das ganze Häufchen Elend wieder in sich zusammen, und es war kaum zu erkennen, dass es überhaupt noch atmete. So lag Pia bis zum Abend.

Da endlich näherte sich das vertraute Motorengeräusch, wurde laut und immer lauter, schließlich hielt der Wagen vor dem Tor, Pia sprang auf, das Tor öffnete sich, Pia umsprang den einfahrenden Wagen, sprang in die Höhe, rief, bellte, winselte, entdeckte Rex und raste zur Garage und wieder zurück, zitternd und bebend vor Aufregung, Freude und Erschöpfung. Rex war wieder da!! Er war zurück!! Dem Himmel sei Dank, er war wieder bei ihr, alles war gut....! Sie hörte nicht, dass Sandro sie beim Aussteigen derb beschimpfte, sie sah nicht, dass er versuchte, sie zu greifen, sie hatte nur Augen und Ohren für Rex, der aus dem Wagen sprang, ohne Sandros Erlaubnis abzuwarten, der sich genauso wild gebärdete wie sie und blindlings mit ihr über den Rasen davon preschte!

„Verrücktes Volk!“ donnerte Sandro hinter ihnen her. „Benimmt sich, als wär‘ sie misshandelt worden... blöde Töle, das...“ Doch in diesem Moment kam Gina die Auffahrt heraufgefahren, und sein Gesicht hellte sich auf. „Na, wie ist es gelaufen?“ fragte Gina schon von weitem, und Sandro antwortete lächelnd: „Naja, ich bin zufrieden. Dafür, dass er erst so kurze Zeit dabei ist, ist der zweite Platz gar nicht mal so schlecht, oder?“ Er legte Gina den Arm um die Schultern, und plaudernd und gestikulierend gingen sie ins Haus.

Die Hunde hatten sich müde getobt, die wilde Freude war der stillen Eintracht gewichen, und eng aneinander gedrängt lagen sie im Schatten unter der Mimose. „Ich konnte doch nichts dafür“, sagte Rex wohl zum fünften Mal. „Plötzlich hat er mich gegriffen, der Wagen war zu – und du warst draußen! Ich kam doch nicht wieder raus, Pia, der hat mich doch nicht gelassen.... Und nun bin ich doch wieder da, nun ist doch alles gut, oder?“ Und seufzend und immer noch schwer atmend legte Pia den Kopf auf die gekreuzten Pfoten, sah von unten zu ihm auf und dachte, dass ihr Herz nicht groß genug sei, um all die Liebe zu ihm zu fassen. Kaum hörte sie, was Rex erzählte, denn sie konnte sich nicht sattsehen an der Silhouette seines leicht geneigten Kopfes, an der Stellung seiner Ohren, dem Schimmer seines Backenbartes und dem Glanz seiner Augen. „... ja, und wenn ich vorher gewusst hätte, was ‚voooorrrrraus!‘ bedeutet, hätt‘ ich glatt den ersten Platz gemacht, was sagst du dazu!“ schloss Rex seine Erzählung, und Pia wedelte hemmungslos mit dem Schwanz, sprang auf und leckte ihm die Lefzen. Dann legten sie sich still nebeneinander ins Gras, genossen den Frieden des Abends und das Bewusstsein, dass sie zueinander gehörten und nichts sie trennen konnte.

Jedes Mal allerdings, wenn Sandro jetzt mit Rex davonfuhr, um ihn wieder auf irgendeinem Turnier sein Können vorführen zu lassen, jedes Mal also, wenn Pia zu Hause bleiben und stundenlang auf ihren Rex warten musste, machte sich die Angst breit in ihr, dass er nicht zurückkommen könnte. Sie ließ das Tor nicht aus den Augen, sie wich keinen Zentimeter von der Stelle, von der aus sie den Hügel hinab dem ersehnten Wagen entgegensehen konnte, und weder die sengende Sonne noch ein heißer Sandsturm oder ein plötzlicher Platzregen konnten sie von ihrem Posten vertreiben. Sie sah und hörte nichts, lag reglos da und fieberte Rex entgegen. Erst der Klang seines Bellens aus dem offenen Wagen ließ das Leben in ihren erstarrten Körper zurückkehren.

Während Sandro weiter mit Rex arbeitete, brachen die Sommerferien an, das heißt, die Jugendlichen des Dorfes hatten viel Zeit, aber keine Beschäftigung. Sie zogen in Gruppen durch die Gegend, und wenn es ihnen allzu langweilig wurde oder ihnen die Hitze zu Kopf stieg, statteten sie Sandros Grundstück einen kleinen Besuch ab. Sie liefen johlend und gröhlend am Zaun entlang und ließen dabei einen Knüppel an den Eisenstäben entlangrattern. Sie warfen Steine über den Zaun und versuchten, das Gewächshaus oder einen der wild tobenden Hunde zu treffen. Sie brachten ihre CD-Player mit und drehten sie auf volle Lautstärke, und erst wenn Sandro sich, beide Hunde an der kurzen Leine haltend, dem großen Tor näherte, schlenderten sie grinsend und pöbelnd durch den Pinienhain davon. Oft genug kehrten dann einige zurück, schlichen sich an und versuchten, die am Zaun patrouillierenden Hunde mit langen Stöcken zu stechen, mit glimmenden Zigaretten zu treffen oder mit gezielten Steinwürfen, und ihr wildes, hämisches Triumphgeschrei über jeden Treffer reizte Rex und Pia nur noch mehr und versetzte sie in wilde Raserei. Immer wieder rannten sie dann gegen den Zaun an, immer wieder wichen sie im letzten Moment den Waffen der Jugendlichen aus, immer weiter steigerte sich ihr Bellen, Knurren und Zähnefletschen.

Ein paar Tage ging das Spielchen auf beiden Seiten des Zauns seinen Gang, dann plötzlich waren die Hunde verschwunden. Die Jungs ließen ihre Knüppel über die Stäbe rattern, sie gröhlten und pöbelten, urinierten im hohen Bogen durch die Zaunlücken, warfen immer größere Steine und fingen schließlich an, mit beiden Händen die Stangen ergreifend und wüste Beschimpfungen rufend, am Zaun zu rütteln.