Foxfighter - Angriff des Schattens (Band 1) - Akram El-Bahay - E-Book

Foxfighter - Angriff des Schattens (Band 1) E-Book

Akram El-Bahay

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Beschreibung

Finn ist ein außergewöhnlicher Fuchs. Er hat nicht nur besonderes silbrig schimmerndes Fell, sondern ist auch bei Menschen aufgewachsen. Doch dann wird er ausgewildert und muss sich plötzlich ganz allein im Wald zurechtfinden. Als Finn einen anderen Fuchs rettet, indem er ein unheimliches Schattenwesen in die Flucht schlägt, ist er selbst überrascht von seinem Mut und seinen Fähigkeiten. Während er das Geheimnis seiner neuen Gabe zu ergründen versucht, wird das Rudel, in das er zum Dank für seine Hilfe aufgenommen wurde, weiterhin von den Schattenwesen bedroht. Und so muss Finn sich einem Abenteuer stellen, größer als alles, was er bisher erlebt hat ...

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Seitenzahl: 303

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchTitelImpressumAus der Bibliothek der ungeschriebenen BücherDer erste SchrittFabelfellBei den NachtpfotenUnterrichtBlindDie StimmeEin TestEine alte GeschichteJagdSpinnenDas SiegelEine SpurVerräterEine EntscheidungDie StadtÜberraschungRobinVerzeihenFreundeEine FamilieBlindMutVerräterFremd und vertrautRückkehrÜber den Autor

Über dieses Buch

Finn ist ein außergewöhnlicher Fuchs. Er hat nicht nur besonderes silbrig schimmerndes Fell, sondern ist auch bei Menschen aufgewachsen. Doch dann wird er ausgewildert und muss sich plötzlich ganz allein im Wald zurechtfinden. Als Finn einen anderen Fuchs rettet, indem er ein unheimliches Schattenwesen in die Flucht schlägt, ist er selbst überrascht von seinem Mut und seinen Fähigkeiten. Während er das Geheimnis seiner neuen Gabe zu ergründen versucht, wird das Rudel, in das er zum Dank für seine Hilfe aufgenommen wurde, weiterhin von den Schattenwesen bedroht. Und so muss Finn sich einem Abenteuer stellen, größer als alles, was er bisher erlebt hat …

A K R A M E L - B A H A Y

FOXFIGHTER

ANGRIFF DES SCHATTENS

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

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Originalausgabe

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München

Copyright © 2024 by Akram El-Bahay

Copyright Deutsche Originalausgabe

© 2024 Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Lektorat: Kristin Overmeyer

Umschlaggestaltung: Kristin Pang unter Verwendung von Motiven von © Evgeniia/Adobe Stock; AGORA/Adobe Stock; Vilmos Varga/schutterstock.com

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7517-8482-5

luebbe.de

lesejury.de

Aus der Bibliothek der ungeschriebenen Bücher

Der erste Schritt

Der junge Fuchs blickte dem Auto hinterher, das bald immer kleiner wurde, ehe es ganz aus seinem Blickfeld verschwand. Meinten sie das ernst? Er reckte die Nase in den Wind und versuchte, die Spur seiner Menschenfamilie auszumachen. Sie war noch da, ganz schwach. Doch der Wald hinter ihm schien den Duft der Familie überdecken zu wollen. Finn, so hieß der Fuchs, saß auf dem Fußweg vor den ersten Bäumen und roch Pflanzen und Tiere. Moos und Flechten und gewaltige Bäume. Eichhörnchen und Vögel und … »Bäh«, rief er, als sich eine Spinne auf seine Nase abseilte.

»Sie meinen das wirklich ernst«, murmelte er zu sich selbst und schüttelte die Spinne herunter. Auswildern. Dieses Wort hatten sie benutzt. Schon seit Wochen hatten es die Menschen immer wieder in den Mund genommen, wenn sie über Finn sprachen. In seinen Ohren hatte es nach einem Spiel geklungen. Auch, dass sie ihn so oft hier abgesetzt hatten, damit er lernte, sich an den Wald zu gewöhnen und vergrabenes Futter zu finden, war doch nur ein Spiel gewesen.

»Nein«, entfuhr es ihm, als er begriff. Kein Spiel, sondern Ernst.

»Sehr unhöflich«, meinte die Spinne, die elegant auf dem Boden aufkam und eilig auf ihren ebenfalls acht Beinen davonlief.

»Entschuldigung«, rief Finn ihr hinterher. »Könnten Sie mir …« vielleicht sagen, wie ich nach Hause komme? Der Rest des Satzes blieb ihm im Hals stecken, als hätte er sich mit der Angst vor dem Verlassenwerden zu einem harten Kloß verbunden. Seine Familie war fort. Er begriff, was dieses kleine Wort Auswildern bedeutete. Er sollte von nun an hier leben. Er sah der Spinne hinterher. Es war ohnehin zwecklos, sie etwas zu fragen. Finn verstand zwar alles und jeden und hatte schon vor einiger Zeit begriffen, dass dies ein besonderes Talent war. Doch er beherrschte natürlich nicht die Sprachen der anderen Tiere.

Misstrauisch blickte er zwischen die Bäume. Sein Fuchsherz schlug so schnell wie sonst nur, wenn er mit seinem besten Freund Robin spielte. Hatte der Junge deshalb gerade geweint? Weil er wusste, dass Finn und er sich nicht mehr wiedersehen würden? Finn schüttelte sich die Traurigkeit vom Fell. »Du kannst das«, sagte er laut und atmete tief durch. Es tat gut, die eigene Stimme zu hören. An diesem Ort, der ihm so abweisend erschien. Finn hatte das hier geübt. So viele Male. Mit seiner Nase konnte er jede Beute aufspüren. Er war so leise, dass nicht einmal die aufmerksamste Maus ihn bemerken konnte. Seine Instinkte waren geschärft. Nichts konnte ihn überraschen. Er war für den Wald gemacht. »Ja«, sagte er. »Ich brauche keine Menschen. Ich bin ein Fuchs.«

»Himmel, was veranstaltest du für einen Krach!«, hörte er jemanden neben sich sagen.

Erschrocken sprang Finn zur Seite, als er die Schnecke neben sich sah. »Entschuldigung«, sagte er nun zum zweiten Mal an diesem Tag.

Die Schnecke steckte ihren Kopf zurück in das Haus, das sie auf dem Rücken trug.

Finn wünschte sich, dass er sie oder die Spinne nach dem Weg fragen könnte, doch dann machte er sich klar, dass er von nun an auf sich allein gestellt war und im Wald leben sollte. Der Fußweg, den die Menschen angelegt hatten, um von ihren Autos zu den Bäumen zu gelangen, endete unmittelbar vor Finn. Vorsichtig setzte er einen Fuß auf den weichen, von Blättern bedeckten Waldboden, der vor ihm lag.

Der erste Schritt.

Ein seltsames, nie gekanntes Gefühl erfüllte ihn. Er war schon oft hier gewesen. Doch diesmal war es anders. Diesmal war er ein Teil des Waldes. Angst und Traurigkeit vergingen in diesem Moment, als ein neues Gefühl in Finn emporstieg. Aufregung. Er fühlte sich so lebendig wie noch nie.

Noch ein Schritt.

Der Wald duftete stärker. Er war voller Leben. Finns Nase wurde überflutet von Gerüchen. Seine Ohren füllten sich mit dem Summen von Insekten. Den leisen, hastigen Schritten kleiner Tiere, die aus Angst vor dem Fuchs in die Sträucher unter den Bäumen flohen. »Ja, ich bin ein Fuchs«, sagte Finn entschlossen, als müsste er sich selbst von seinen Worten überzeugen. »Und der Wald gehört mir.«

Y

Der Hunger kam schneller, als Finn gedacht hatte. Er grollte in seinem Bauch wie ein Ungeheuer, während Finn durch den Wald ging. Zu Hause hätte Robin ihm jetzt sicher den Fressnapf gefüllt. Der Gedanke an seinen Freund vertrieb das Hochgefühl, das ihn eben noch so plötzlich erfüllt hatte, endgültig. Finn wollte nach Hause. Er war hungrig. Er vermisste seinen Freund. Und er wollte in den Garten, der zu der Forschungsstation am anderen Ende des Waldes gehörte. Finn wusste, dass er dort nicht geboren war. Aber so lange er zurückdenken konnte, hatte er zusammen mit den Menschen an diesem Ort gelebt. Mit einem Seufzer ließ er sich neben einem Baum nieder und blickte sich um. Über ihm brach die Sonne durch das dichte Blätterdach und malte ein Muster auf den Waldboden. Der Wind strich sanft zwischen den Stämmen der Bäume entlang, als wollte er Finn das Heimweh aus dem Herzen treiben. Er musste etwas jagen. Er hatte es geübt. Jedes Mal, wenn er von den Menschen hergebracht wurde, hatte er die Aufgaben gemeistert. Jedes Versteck gefunden, in dem sie Futter für ihn hinterlassen hatten. Doch nun gab es keine Verstecke. Er musste lebendiges Fleisch jagen. »Du kannst das«, sagte er zu sich selbst. Dann erinnerte er sich an die Worte der Schnecke. Er war zu laut. Jäger waren leise und unsichtbar. Er drückte die Schnauze so dicht über den Boden, dass er jede Spur auf den Blättern roch. Eine Weile schnüffelte er, bis er eine Maus ausmachte. Normalerweise hätte er sie ziemlich eklig gefunden. Doch er war hungrig, und ihr Duft verhieß zumindest einen etwas volleren Bauch.

Finn schloss die Augen und folgte der Spur. Nur undeutlich nahm er wahr, dass es kühler wurde. Eben noch hatte die Sonne ihn gewärmt. Und nun war da eine Kälte, die ihm über das Fell kroch.

Er zögerte.

Seine Instinkte hatten sich in der Zeit bei den Menschen sicher nicht wie bei einem normalen Fuchs entwickelt. Natürlich spürte er, wenn Gefahr drohte. Und zwar die Gefahr eines verärgerten Erwachsenen, der feststellte, dass Fuchssabber und Bissspuren an seinem Lieblingspantoffel zu finden waren. Aber hier, vor dem dunklen Teil des Waldes, regte sich ein anderes Gefühl in ihm. Finn spürte eine Gefahr, für die er keine Worte fand. Eine wilde Gefahr. Eine tiefe Angst stieg in Finn auf.

»Dort würde ich nicht reingehen.«

Finn fuhr herum und sah einen Igel vor dem Stamm eines Baumes sitzen. Der Stamm stand genau auf der Grenze zur Dunkelheit, und der Igel saß davor wie ein Wächter.

»Klar«, meinte Finn, obwohl er wusste, dass der Igel ihn nicht verstehen konnte.

»Füchse«, meinte der Igel und klang dabei ziemlich herablassend. »Meinen immer, sie seien so unerschrocken. Dabei weiß doch jeder, dass Igel die eigentlichen Herren des Waldes sind.«

Finn konnte sich nur kurz über die Selbstgefälligkeit des Igels wundern, denn ein Duft lenkte ihn ab. Er schnüffelte unwillkürlich. Da war ein Duft, der ihm ebenso fremd wie vertraut erschien. Robin? Nein, so roch sein bester Freund nicht.

Der Igel machte ein paar Schritte in Finns Richtung. Dabei blinzelte er mit seinen kleinen Knopfaugen. »Dort würde ich nicht reingehen«, wiederholte er und musterte Finn wie einen seltsamen Käfer, der unter einem Stein hervorgekommen war. »Ach, du verstehst mich ja doch nicht. Wenn du es könntest, würde ich dir sagen, dass dort nur schreckliche Dinge leben. Sollte man wissen, wenn man im Wald lebt. Typisch Fuchs. Hat keine Ahnung. Überhaupt, was für ein seltsames Fell du hast. Vermutlich ein Ausländer.«

Finn sah an sich herab. Sein Fell war grau. Er wusste, dass Füchse üblicherweise ein rotbraunes Fell hatten. Aber bestimmt gab es noch andere wie ihn. Oder? Und er kam nicht aus einem anderen Land. Da war er sicher. Wieder schnüffelte er. Der Duft wurde stärker. Unwillkürlich machte er einen Schritt auf die Dunkelheit vor sich zu.

»Fast könnte man meinen, dass du mich verstehst«, meinte der Igel und klang dabei, als seien alle Füchse und besonders Finn ziemlich dumm. »Also, ich sage es zum dritten Mal. Vielleicht warnt dich ja der Klang meiner Stimme: Der Teil des Waldes dort gehört den Schatten. Die ewige Finsternis. Nur die Verstoßenen und Vertriebenen wagen sich da hinein. Die Verzweiflung treibt sie zwischen die dunklen Stämme. Das Blätterdach ist so dicht, dass die Sonne kaum einen Weg hinabfindet. Es würde mir dort gefallen, wenn ich nicht wüsste, dass ich die ewige Finsternis nie wieder verlassen könnte, wenn ich erst einmal einen Fuß hineinsetzte. Also, dort würde ich nicht reingehen.«

Die ewige Finsternis. Das klang überhaupt nicht nach Finns Geschmack. Sein Magen knurrte, und er sah zu dem Igel, als könnte der ihm auch sagen, wo es etwas zu essen gab. Gerne einfach eine Schale mit meinem Lieblingsfutter, fügte er in Gedanken hinzu. Schnell vertrieb er das Bild der Küche im Haus der Menschen aus dem Kopf, da es den Hunger nur anfachte wie der Wind ein Feuer.

»Also, mach es gut, grauer Fuchs.« Der Igel tippelte fort von der Grenze zur Dunkelheit. »Ich muss jetzt jagen. Bleib mir dabei vom Leib. Am Ende frisst du mir noch die fettesten Regenwürmer weg.«

Das bezweifelte Finn.

»Ich würde dir raten, dich an die Regeln in diesem Wald zu halten. Besonders an die wichtigste«, meinte der Igel, der sich offenbar ziemlich gerne selbst reden hörte. »Aber die kennst du sicher nicht, denn du kommst bestimmt von weit her. Du erinnerst mich an etwas. Sehr seltsam.«

Finn hatte keine Ahnung, was der Igel meinte. Erneut schnüffelte er. Der Duft war längst so stark, dass er nichts anderes mehr wahrnahm. Und er konnte nun auch Gefühle wahrnehmen, die er mit sich trug. Er konnte es riechen, dass derjenige … Angst hatte. Finn grollte unwillkürlich. Er roch Angst. Todesangst.

Und dann sah er die Schatten aus der ewigen Finsternis auf sich zukommen. Der erste war ein Fuchs. Finns Herz schlug mit einem Mal so schnell, als würde er rennen. Der Fuchs flüchtete vor einem … Ding. Es war groß und schwarz und strömte mehr Gefahr aus, als Finn je gespürt hatte. Die beiden Gestalten rannten in einiger Entfernung an ihm vorbei. Hilflos sah Finn, dass der Fuchs versuchte, der Kreatur zu entkommen. Doch der Verfolger schnitt ihm den Weg ab und trieb ihn wieder zurück in die Dunkelheit.

Schwer atmend, als müsste er ebenfalls flüchten, stand Finn da und starrte zwischen die Stämme. In diesem Moment regte sich etwas in ihm. Etwas, das er bislang nie gespürt hatte. Ein Mut, der ihm fremd war. Er setzte vorsichtig einen Fuß hinter die Grenze zur ewigen Finsternis.

Dann atmete er tief durch.

Und im nächsten Moment rannte er los.

Y

Der Igel blickte Finn hinterher, wobei er sich nicht von der Stelle rührte. »Er hat die wichtigste Regel vergessen«, murmelte er zu sich selbst. »Stirb nicht. Schade um ihn. Er sah aus wie einer von denen, die es nicht mehr gibt. Ungewöhnlich. Sehr ungewöhnlich. Man könnte meinen, die Silberfüchse wären zurückgekehrt.«

Fabelfell

Finn rannte schneller als jemals zuvor in seinem Leben. Die Bäume in diesem Teil des Waldes schienen mit jedem Schritt, den er über den blätterweichen Boden machte, näher zusammenzurücken. Ganz so, als wollten sie ihn einkreisen, damit er nie mehr entkommen konnte. Und es wurde bald so finster, als hätte der Tag vergessen, sich hier zu zeigen.

Doch Finn lief weiter.

Vor ihm erkannte er den Schatten, der den Fuchs verfolgte. Dieser rannte geradewegs auf eine Dornenhecke zu, die ihre dunklen Triebe in seine Richtung zu bewegen schien. Finn war einmal in so ein Ding geraten, als er mit Robin gespielt hatte, und die Dornen hatte er danach noch eine Woche lang in seinem Fell gefunden. Er wollte dem Fuchs schon eine Warnung zurufen, als der im letzten Moment einen Haken schlug und geschickt unter dem äußersten Trieb hindurchschlüpfte. Sein Verfolger aber war überrascht von der unerwarteten Finte und lief direkt in die Hecke.

Finn erwartete, dass sich das Tier damit selbst in eine Falle begeben hatte. Die unzähligen Arme der Hecke schlossen sich um die Kreatur. Doch das Wesen wurde kaum langsamer und schüttelte die Ranken ab wie lästige Äste. Verblüfft sah Finn, wie es aus der Hecke sprang und die Triebe dabei abriss. Ein markerschütterndes Heulen erklang, das Finn so sehr erschreckte, dass er fast selbst in die Dornen hineinlief. Im letzten Moment wich er aus und rannte weiter hinter dem Tier her, das längst wieder dem Fuchs folgte.

Finns Lunge brannte bald, und er keuchte so laut, dass er sich nicht gewundert hätte, wenn die Kreatur ihn bemerken und statt des anderen Fuchses jagen würde. Über ihm war das Blätterdach nun so dicht, dass kaum noch ein Lichtstrahl den Weg zum Boden fand. Doch trotz der Finsternis konnte Finn den Verfolger zunehmend besser erkennen. Obwohl er ein schwarzes Fell trug, hob er sich immer deutlicher gegen die Dunkelheit ab. Es war ein Wolf. Ein gewaltiger Wolf, der einen Geruch verströmte, der Finn Frost auf das Fell zauberte. Selbst den Geruch des Fuchses überdeckte er. Längst hatte Finn die Orientierung verloren, und nun stieg Angst in ihm auf, hier nicht mehr herauszukommen. Dann aber sah er vor sich einen hellen Lichtschein. Die Sonne. Sie brach sich ihren Weg durch das Blätterdach. Der finstere Teil des Waldes musste dort enden.

Neue Zuversicht erfüllte Finn. Er merkte erst jetzt, wie verrückt es gewesen war, dem Fuchs zu folgen. Dies hier war der Wald. Und Finn konnte froh sein, wenn er es schaffte, sich in ihm zu behaupten. Wie konnte er da glauben, dass er einen Fuchs, der sein Leben lang hier überlebt hatte, dabei helfen konnte, einem riesigen Wolf zu entkommen? Doch nun gab es einen Ausweg. Und sie beide würden dem Wolf davonlaufen. Finn wusste nicht, woher die Überzeugung kam. Aber er war sicher, dass der Verfolger das Licht meiden würde.

Der Fuchs vor ihm sprang über eine Astwurzel, die sich aus dem Boden gedrückt hatte, und der Wolf tat es ihm gleich. Es war ein gewaltiger Satz. Obwohl er noch ein ganzes Stück hinter dem Fuchs war, sprang der Wolf über ihn hinweg und kam zwischen ihm und dem Weg ins Licht auf dem Boden auf. Ein so tiefes Knurren erfüllte den Wald, dass Finn unvermittelt anhielt und dabei über die eigenen Beine stolperte. Seine Schnauze grub sich in den Waldboden, und der Geruch von Moder und nasser Erde stieg ihm in die Nase.

Der Fuchs stand einen Moment unschlüssig da, dann machte er kehrt und rannte wieder los, nun tiefer ins Dunkel.

Mühsam kam Finn auf die Beine und sah auf das Licht vor ihm. Er wäre gerettet, wenn er loslief. Der Wolf. Die finsteren Bäume. Die Dornen. Allem würde er entkommen. Und den Fuchs im Stich lassen. Du kannst ihm sowieso nicht helfen, sagte er sich. Rette dich selbst. Finn wusste, dass es die klügste Entscheidung wäre. Aber etwas in ihm, das sich schon geregt hatte, als er vorhin losgerannt war, meldete sich erneut. Da war eine Zuversicht in ihm, dass er den Fuchs retten konnte. Auch wenn Finn nicht wusste, wie er das schaffen sollte.

Noch einmal sah er zum Lichtschein.

Und lief in die andere Richtung.

Er hatte zu lange gezögert. Der Fuchs und der Wolf waren nicht mehr zu sehen. Einzig Finns Nase zeigte ihm den richtigen Weg. Der Gestank des Wolfs war so deutlich in der Luft zu schmecken, dass Finn seine Augen nur brauchte, um nicht gegen einen tief hängenden Ast zu laufen. Oder sich in einer der vielen Dornenranken zu verfangen, die sich wie tastende Arme über den Waldboden zogen. Hell leuchtende Pilze tauchten zuweilen zwischen den Stämmen der Bäume auf, als wollten sie Finn anlocken. Doch er folgte nur der Spur. Die Angst, dass der Fuchs schon totgebissen sein könnte, wurde mit jedem Schritt stärker.

Und dann endlich konnte Finn ihn wieder mit den Augen ausmachen. Der Fuchs stand vor einem Felsen in die Enge getrieben. Langsam kam der Wolf auf seine Beute zu. Fressen Wölfe überhaupt Füchse?, schoss es Finn durch den Kopf. Keine Zeit, darüber nachzudenken, sagte er sich. Er musste etwas tun. Aber was? Weder der Fuchs noch der Wolf hatten ihn bemerkt. Vermutlich schützte ihn die Dunkelheit vor allen Blicken. Selbst sein graues Fell hob sich nicht von der Finsternis um ihn herum ab. Einzig der Wolf war deutlich zu erkennen, als würde er in einem schwarzen Licht von innen heraus leuchten.

Der Fuchs duckte sich mit einem Mal, als wollte er jeden Moment losspringen, und dem Maul des Wolfs entfuhr ein Knurren, das so angsteinflößend war, dass Finn all seine Willenskraft aufbieten musste, um nicht fortzulaufen. Mit laut klopfendem Herzen zwang er sich, einen Schritt auf die beiden zuzugehen. Er konnte beinahe fühlen, wie der Fuchs alle Muskeln anspannte.

Und dann sprang er tatsächlich.

Es war ein gewaltiger Sprung, und Finn war sicher, dass kein normales Tier so schnell hätte reagieren können. Doch der Wolf konnte nicht normal sein. Er stellte sich auf die Hinterläufe und schnappte nach dem Fuchs. In dem Versuch, den Zähnen der Kreatur zu entgehen, verriss er den Sprung und prallte gegen sie. Mit einem gequälten Heulen landete er auf dem Boden, und der Wolf war sofort über ihm.

Er würde den Fuchs töten. Finn war sicher, dass es so kommen musste. Er fühlte sich schwach und hilflos, und … wieder erwachte etwas in ihm. Der Mut, der in ihm aufstieg, verbrannte alle Furcht. Eine Zuversicht erfüllte ihn, die er nie zuvor in seinem Leben gefühlt hatte. Finn trat vor. Einen Schritt. Dann noch einen. Und zu seinem Erstaunen bemerkte er, dass sein Fell mit einem Mal zu schimmern begann.

Der Fuchs lag benommen da, und der Wolf hatte Finn den Rücken zugewandt. Noch immer bemerkte ihn keiner der beiden. Ein Teil von Finn wunderte sich über sich selbst. Warum lief er nicht weg? Er konnte nicht gegen den Wolf kämpfen. Und er konnte den Fuchs nicht mit sich ziehen. Und was war da mit seinem Fell los? Ein anderer Teil aber, der in diesem Moment die Kontrolle übernommen hatte, wischte alle Bedenken fort. »Hey!«, rief Finn so laut, dass seine Stimme dröhnte, als gehörte sie einem ausgewachsenen Menschen. »Lass den Fuchs in Ruhe!«

Sofort fuhr der Wolf herum.

Und Finn musste schlucken. Das Wesen war von vorne noch furchterregender. Erst jetzt erkannte er die blutroten Augen. Niemals hatte er ein Geschöpf gesehen, das solche Augen besaß. Das Maul war riesig, und der ganze Leib schien zu dampfen, als wäre er aus Eis. Das Gesicht des Wolfs zierten mehr Narben, als Finn zählen konnte.

Er fühlte die Angst vor diesem Geschöpf wie Frost auf der Haut. Doch er zwang sich zur Ruhe, und es schien, als wüsste er von selbst, was zu tun sei. »Hörst du nicht? Ich sagte, lass den Fuchs in Ruhe!« Die letzten Worte hatte er so laut gebrüllt, dass irgendwo über ihm ein paar Raben mit heiserem Gekrächze in die Luft stiegen. Ein Raunen fuhr zwischen den Stämmen entlang, und die Äste bewegten sich wie von selbst, als müssten sich die Bäume vor Schreck schütteln. Seine Stimme klang seltsam in den eigenen Ohren. Und das lag nicht nur daran, dass er so unerwartet laut gesprochen hatte. Doch Finn konnte nicht sagen, was in diesem Moment anders war.

Der Fuchs erhob sich langsam.

Und der Wolf … machte einen Schritt fort von ihm. Deutlich erkannte Finn die Überraschung auf dem schrecklichen Gesicht.

Und dieser Anblick flößte ihm so viel Mut ein, dass er sich daran fast verschluckte. »Hau ab!«, schrie er. Ein helles Licht blendete Finn, und einen Moment lang glaubte er, die Sonne habe endlich einen Weg zu ihnen herabgefunden. Doch es war sein Fell, das leuchtete.

Der Wolf jaulte auf, machte kehrt und rannte so schnell, als hätte er eine neue Beute zwischen den Bäumen ausgemacht.

Schwer atmend stand Finn einen Moment lang da und versuchte zu begreifen, was gerade geschehen war. Dann erinnerte er sich an den anderen Fuchs und ging zu ihm.

Mit einem Knurren wich der Fuchs vor ihm zurück. Nein, kein Fuchs, wie Finn nun feststellte. Es war … »Du bist ein Mädchen?«

Die Füchsin schenkte Finn ein weiteres Knurren, dann lief sie los.

Für einen Moment blieb Finn verwundert stehen. Was auch immer eben in ihm erwacht war, hatte sich nun wieder zurückgezogen. Sein Fell war wieder grau, und die Furcht kehrte zurück. Furcht vor den dunklen Bäumen. Vor dem Wolf. Vor der Einsamkeit, die Finn mit einem Mal fühlte. Er sah der Füchsin nach. Und folgte ihr.

Finn musste sich anstrengen, um sie im Auge zu behalten. Seine Nase half ihm dabei, ihre Spur nicht zu verlieren. Eine Füchsin. Noch nie hatte er mit einer Füchsin gesprochen. In seinem Leben hatte er nur ein einziges Mal einen anderen Fuchs getroffen. Das Tier war nachts am Garten der Forschungsstation vorbeigeschlichen, und Finn hatte ihn angesprochen. Er konnte sich noch gut an das verletzte Ohr des Fuchses erinnern, das aussah, als habe ihm jemand einen Teil abgebissen. Doch als Finn ihn gerufen hatte, war der Fuchs davongelaufen, und Finn hatte ihm mit tausend Fragen im Herzen nachgeblickt. Er war stets glücklich bei Robin und seinen Eltern gewesen. Aber er hatte auch immer wissen wollen, wie es war, unter Füchsen zu leben. Und nun hatte er endlich die Gelegenheit, es zu erfahren.

Vermutlich hätte er die Füchsin niemals einholen können, wenn sie nach der Flucht vor dem Wolf nicht so mitgenommen wäre. Er selbst atmete auch schwer. Als sie endlich die ewige Finsternis verließen, war sie so dicht vor ihm, dass ihr rötliches Fell in der Sonne schimmerte. Sie hatten eine Lichtung erreicht. Gras wuchs hier, und es war angenehm warm und sonnig.

»Warte!«, japste Finn.

Er stolperte über einen Stein auf dem Weg und fiel. Obwohl er sich sofort wieder auf die Beine drückte, fühlte er sich wie ein Idiot, als die Füchsin tatsächlich anhielt und ihn anknurrte.

»Hey!«, entfuhr es Finn. »Ich bin nicht der Wolf.«

»Offensichtlich«, erwiderte die Füchsin und legte den Kopf schief.

Finn versuchte, einigermaßen würdevoll dazustehen, und hoffte, dass er gerade nicht völlig blöd ausgesehen hatte.

»Du bist ein seltsamer Fuchs«, meinte die Füchsin. »Seltsames Fell.« Sie schnupperte, ohne Finn dabei nahe zu kommen. Ihr Blick verfinsterte sich sofort. »Schneckenhäute.« Sie stieß das Wort aus, als wäre es noch schlimmer als Wolf. »Du bist ein Kätzchen.«

Schneckenhäute? Vielleicht meinte sie damit Robin und seine Eltern. Von wegen Kätzchen! In diesem Moment schüttelte sich Finn die letzten Reste der Angst vom Fell. »Ich bin ein Fuchs«, sagte er so laut, dass es bestimmt jedes Tier in der Nähe hören konnte. »Und ich habe dich gerettet.« Auch wenn ich keine Ahnung habe, was da gerade geschehen ist, fügte er in Gedanken hinzu.

Die Füchsin wandte kurz den Blick von ihm ab und sah zum finsteren Teil des Waldes. »Ja«, gab sie widerwillig zu. Dann blickte sie wieder zu Finn. Sie schien mit sich zu ringen und senkte den Kopf. »Ich heiße Fabelfell«, sagte sie schließlich.

Der erste Fuchsname, den Finn hörte. Fabelfell. Was er wohl bedeutete? Für Finn klang er auf jeden Fall fast wie ein Dankeschön. »Ich heiße Finn«, sagte er.

Der Name entlockte Fabelfell ein Lachen.

»Hey«, rief Finn erneut. »Das ist …«

»… ein Name der Schneckenhäute?«, meinte die Füchsin. »Klingt seltsam. Aber vielleicht passt er zu einem seltsamen Fuchs. Wieso kannst du das?«

»Hä?« Finn streckte sich.

»Die Wolfssprache.« Nun kam Fabelfell doch näher.

»Ich weiß nicht, wovon du redest«, antwortete Finn verwirrt.

»Du hast mit dem Wolf gesprochen, schon vergessen?«, erklärte Fabelfell und sah aus, als hielte sie Finn für verrückt.

Finn schüttelte ungläubig den Kopf. Was redete die Füchsin denn da? Er erinnerte sich an den Moment, in dem er zu dem Wolf gesprochen hatte. Seine Stimme hatte anders geklungen. Und das nicht nur wegen der Lautstärke.

»Du hast sogar geleuchtet«, meinte Fabelfell und musterte ihn nun so eindringlich, als wäre er kein Fuchs, sondern ein Tier, das sie noch nie gesehen hatte.

»Das war sicher nur ein Sonnenstrahl gewesen«, meinte Finn.

»Vielleicht«, murmelte Fabelfell. Sie schien in diesem Moment ein wenig abwesend, als würde sie angestrengt über etwas nachdenken.

»Ich bin neu hier«, meinte Finn. »Also in diesem Wald. Natürlich kenne ich mich mit Wäldern aus«, schob er rasch hinterher. »Bin fast in einem aufgewachsen.« Es war eine Lüge. Der Garten hinter der Forschungsstation war definitiv kein Wald.

»Klar«, meinte Fabelfell. »Und in deinem alten Wald warst du ein großer Jäger?« Sie lächelte amüsiert und sah sich um. »Der Wolf ist fort. Aber wir sollten nicht zu lange hierbleiben. Er ist verwirrt, weil du seine Sprache gesprochen hast. Doch er wird wiederkommen. Und dann müssen wir weg sein.«

»Ich, ähm, also ich habe nicht …«, begann Finn, doch fand nicht die richtigen Worte. Wie kam Fabelfell darauf, dass er die Wolfssprache beherrschte? Das war doch völlig unmöglich.

»Du darfst mitkommen«, sagte Fabelfell. »Ich nehme dich mit zu meiner Familie. Zu den Nachtpfoten. Aber dafür erklärst du mir, weshalb du wie ein Wolf sprechen kannst.«

»Sicher«, meinte Finn, auch wenn er keine Ahnung hatte, wie er ihr etwas erklären sollte, das er selbst nicht verstand.

»Aber sprich mit keinem anderen darüber«, warnte ihn Fabelfell. »Die Füchse in meiner Familie würden es nicht verstehen. Und sie sind dir gegenüber nicht zum Dank verpflichtet.«

»Klar«, murmelte Finn. Und obwohl Fabelfells Warnung ernst klang, fühlte er Erleichterung in sich aufsteigen. Er hatte einen Wolf in die Flucht geschlagen. Er hatte eine Füchsin gerettet. Und wurde in eine Familie eingeladen. Der erste Tag im Wald hätte auch schlechter laufen können. Als sich Fabelfell umwandte, atmete Finn tief durch. »Jetzt bin ich ein Teil des Waldes«, sagte er und folgte ihr.

Bei den Nachtpfoten

Fabelfell führte Finn in einen Teil des Waldes, der im Gegensatz zu der ewigen Finsternis ausgesprochen fröhlich wirkte. Die Sonne malte Sprenkel auf den Boden, und die Luft roch hier … nach Fuchs. Es war, als käme Finn in ein Zuhause, von dem er nie etwas geahnt hatte. Die Sehnsucht nach seiner Menschenfamilie konnte all das hier zwar nicht aus seinem Herzen treiben, aber er vergaß sie wenigstens für den Moment.

Die Füchsin hatte Finn eingeschärft, dass er die Lippen aufeinanderpressen sollte, sobald sie auf die anderen Füchse trafen. Doch als der erste von ihnen so unverhofft aus dem Unterholz auf ihren Weg trat, als hätte die Luft ihn geboren, konnte Finn ein überraschtes Keuchen nicht zurückhalten.

»Du kommst nicht alleine, Fabelfell.«

»Das hast du wirklich gut bemerkt, Braunschweif«, erwiderte sie, ohne langsamer zu werden.

Braunschweifs Blick wechselte zwischen ihr und Finn hin und her. Da Fabelfell einfach weiterging, beeilte er sich, um sich vor sie zu setzen. »Du kennst die Gesetze«, sagte er streng, während der Schwanz, dessen Farbe ihm offensichtlich den Namen gab, über den Waldboden strich.

Finn fiel es schwer, nichts zu sagen. Er hätte sich dem anderen Fuchs gerne vorgestellt. Braunschweif war erst der zweite Fuchs, den Finn sprechen hörte. Und er hätte sich gerne mit ihm unterhalten.

»Natürlich kenne ich die Gesetze«, erwiderte die Füchsin kühl und ging nun ebenfalls schneller.

Finn musste sich beeilen, um nicht den Anschluss an sie und Braunschweif zu verlieren.

»Dein Vater erlaubt nicht, dass Fremde die Farneninsel betreten.« Die Strenge war aus Braunschweifs Stimme verschwunden. Nun klang er flehend.

Seufzend blieb Fabelfell stehen. »Dieser Fuchs hat mir das Leben gerettet. Dafür ist ihm die Familie zum Dank verpflichtet. Auch das ist unser Gesetz.«

Der Blick, den Braunschweif Finn zuwarf, sagte deutlich, dass er nicht sicher war, ob er das glauben konnte. »Er sieht so aus, als könnte er nicht mal sich selbst retten. Wie sollte er da einer wilden Füchsin helfen können? Überhaupt, was ist mit seinem Fell? Ist er krank oder so? Eine komische Farbe.«

Das war zu viel. Auch wenn Fabelfell sehr deutlich gewesen war, konnte er das nicht auf sich sitzen lassen. »Ich habe sie gerettet«, sagte er mit Nachdruck. Dennoch konnte er nicht verhindern, dass seine Stimme vor Empörung zitterte. »Und nein, ich bin nicht krank. Ich trage dieses Fell, seit ich …« bei den Menschen aufgewachsen bin, wollte er sagen. Doch er schluckte die Worte gerade noch rechtzeitig hinunter. Auch wenn er keine Erfahrung mit anderen Füchsen hatte, ahnte er, dass es ein Problem sein könnte, offen zu sagen, woher er kam. »… seit ich denken kann«, meinte er stattdessen. »Ihr seid doch auch nicht alle rotbraun.«

Fabelfell blickte auf Braunschweifs Schwanz. »Nein«, sagte sie spöttisch. »Manche sehen aus, als seien sie bei der Geburt in etwas … nun, ziemlich Unappetitliches geraten.«

Braunschweif kniff die Augen zusammen und sah aus, als überlegte er, sich auf Fabelfell zu stürzen. »Wir sind alle so«, behauptete er. »Nur du bist anders.«

Für einen Moment herrschte eine gespannte Stille zwischen ihnen.

»Er ist ein Fuchs, und er hat mich gerettet, Braunschweif«, sagte Fabelfell entschlossen. »Und wenn du mich daran hindern willst, ihn in unser Heim zu bringen, musst du mich aufhalten. Aber ich warne dich. Ich habe dich schon als Junges besiegt. Und das könnte ich auch jetzt.«

Zwar hatte Finn keine Erfahrung damit, die Gefühle anderer Füchse zu erfassen, doch er war sicher, dass der Blick, den Braunschweif ihm zuwarf, sagen sollte: Das muss keiner wissen. Und du erzählst hiervon niemandem etwas, klar?

»Aber du darfst uns gerne begleiten. Sag von mir aus, dass unser Gesetz verlangt, ihn herzubringen. Immerhin hat er die Tochter des großen Fuchses gerettet.«

»Was?«, entfuhr es Finn, der plötzlich wieder genauso aufgeregt war wie in dem Moment, in dem er Fabelfell vor dem Wolf gerettet hatte. Auf einen genervten Blick von Fabelfell hin presste er die Lippen fest aufeinander. Die Tochter des großen Fuchses? Er sah die Füchsin und Braunschweif einen Blick miteinander wechseln, dann senkte der Fuchs den Kopf.

»Gut«, sagte er widerstrebend. »Ich führe euch.« Er hob den Kopf wieder und versuchte, würdevoll dreinzublicken. »Weil es das Gesetz verlangt.«

»Klar«, meinte Fabelfell und ließ Braunschweif vorweggehen. Sie schlüpfte zwischen zwei Bäumen hindurch, die so eng beieinanderstanden, als wollten sie und viele weitere zusammen eine Mauer bilden.

Finn war etwas langsamer. Er blickte an sich herab, während er ihnen folgte. Sein Fell schimmerte noch immer etwas. Wie seltsam, dachte er.

»Er schon wieder«, hörte Finn jemanden neben sich sagen.

Er fuhr herum und erkannte einen Igel neben sich. »Du?«, entfuhr es ihm. »Wo kommst du denn her?« Er warf einen Blick zu Fabelfell und Braunschweif, die weiterliefen, und beugte sich zu dem Igel hinab.

»Du kannst ja sprechen«, sagte der Igel erstaunt. »Wirklich, sehr ungewöhnlich.« Dann seufzte er. »Woher soll ich schon kommen? Aus dem Wald natürlich.«

»Aber Igel sind doch langsam«, meinte Finn. »Wie kannst du da genauso schnell wie ich hier sein?«

»Werd mal nicht frech, Junge«, sagte der Igel. »Wir sind ganz schön flink, wenn es sein muss. Und wir haben unsere Geheimnisse. Du kennst die Geschichte, wie mein Ururgroßvater den Hasen besiegt hat?«

Finn war zu verdattert, um etwas zu sagen.

»Füchse«, raunte der Igel und schnüffelte. »Ihr riecht eigentlich ganz gut. Wäre da nicht diese Drüse an euren Hintern, mit der ihr …«

In diesem Moment kam Fabelfell zurück, und das Leuchten in Finns Fell verging endgültig. »Wo bleibst du denn?«, fragte sie.

»Ich habe nur …« mit dem Igel geredet, wollte Finn sagen. Doch der Igel war fort. Und überhaupt, Finn wurde bewusst, dass er … mit einem Igel gesprochen hatte. Erst der Wolf. Und dann der Igel. Was hatte er gerade gesagt? Wirklich sehr ungewöhnlich. Eher unglaublich, fand Finn.

»Ab jetzt musst du unbedingt still sein«, mahnte die Füchsin ihn. »Wir treffen meine Familie. Und sie werden vielleicht etwas misstrauisch sein.«

Misstrauisch war nicht das richtige Wort. Ablehnend traf es eher. Die Füchse kamen nach und nach aus verschiedenen kleinen Löchern, die ins Erdreich führten, kaum dass Finn und Fabelfell eine Pfote auf die Farneninsel gesetzt hatten. Noch nie hatte Finn so viele Füchse auf einmal gesehen. Fabelfells Familie musste einige Dutzend Mitglieder umfassen. Er spürte die Blicke der Familienmitglieder wie tastende Finger auf dem Fell. Roch ihre Verwirrung. Bei manchen sogar Ärger. Unwillkürlich senkte er den Kopf, um ihnen zu zeigen, dass von ihm keine Gefahr ausging.

Das Heim der Familie trug zurecht den Namen Farneninsel. Es war eine von diesen Pflanzen bewachsene Lichtung, die von zahlreichen, dicht beieinanderstehenden Bäumen umgeben war. Sie säumten diesen Ort, als wollten sie die Insel vor neugierigen Blicken schützen. Finn wäre nie auf die Idee gekommen, dass sich hier das Heim einer Fuchsfamilie befand. Verstohlen warf er den Tieren, die er zwischen den Farnen sah, einige Blicke zu. Er erkannte einen alten Fuchs, dessen Fell um die Schnauze so weiß war, als hätte die Zeit ihm die Farbe daraus gewaschen. Ein paar Jungtiere, die Finn kaum bis zum Bauch reichten, wollten neugierig auf ihn zulaufen, doch zwei Füchsinnen hielten sie zurück. Finn spürte das Misstrauen. Und die Neugierde.

»Ich bringe dich zum großen Fuchs meiner Familie«, raunte Fabelfell. »Nur er kann entscheiden, ob du bleiben darfst. Es sei denn, du willst dein Glück lieber allein im Wald versuchen. Es gibt genug Füchse da draußen, für die Familie nichts ist. Wir nennen sie Streuner.«

Finn sah zu den Bäumen, hinter denen der Wald wie ein Meer lag. Diese kleine farnbewucherte Insel erschien ihm wie einer der schönsten Orte, die er je gesehen hatte. Er wusste selbst nicht, weshalb er so empfand. Vermutlich lag es daran, dass er zum ersten Mal in seinem Leben unter seinesgleichen war. Er schüttelte den Kopf, und Fabelfell sah ihn fragend an. Offenbar konnte sie mit der Geste, die sich Finn von den Menschen abgeschaut hatte, nichts anfangen. »Nein, ich möchte lieber bleiben«, erklärte er deshalb.

»Gut.« Sie zögerte. »Wir sollten besser nicht erzählen, dass du den Wolf mit deiner Stimme verjagt hast. Ich denke, das würde uns niemand glauben.«

»Wie du meinst«, erwiderte Finn. »Aber selbst wenn mir dieser große Fuchs oder die anderen nicht vertrauen, dir würden sie doch glauben.« Er erkannte einen seltsamen Ausdruck auf ihrem Gesicht. »Oder?«

Nun war es Fabelfell, die den Kopf schüttelte. »Das hier heißt Nein, nicht wahr?« Sie klang ein wenig traurig, doch dann straffte sie sich und führte Finn vor eine gewaltige, hohle Baumwurzel in der Mitte der Insel. Die Reste des Baums lagen verwittert dahinter. Die Wurzel wurde von zwei Füchsen bewacht, die Finn um gut einen Kopf überragten. Als sich Fabelfell und er der Wurzel näherten, trabte einer von ihnen auf sie zu, wobei er Finn nicht aus den Augen ließ.

»Halt«, sagte er und stellte sich ihnen in den Weg.

Beim Anblick des Fuchses blieb Finn nicht nur stehen, sondern wich sogar einen Schritt zurück.

Fabelfell hingegen ignorierte ihn und lief einfach um ihn herum, als sei er ein Stein, der ihr im Weg lag.