Franziskus von Assisi. Der sanfte Rebell - Dieter Berg - E-Book

Franziskus von Assisi. Der sanfte Rebell E-Book

Dieter Berg

0,0
8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Franziskus von Assisi (1181–1226) – der fröhliche "Gaukler Gottes"? der sich von Luxus und Lastern abwandte, den Vögeln predigte und als "Poverello" am Monte Subasio in Armut ein gottgefälliges Dasein führte. So kennt und liebt man diesen sehr populären Heiligen. In seiner neuen Biographie gelingt es Dieter Berg, das teils stark romantisierte Franziskus-Bild historisch zu relativieren, ohne es zu entzaubern. Er lässt den Heiligen intensiv anhand seiner Schriften sprechen, umreißt seine Ideen von einer gewaltlosen Erneuerung der Amtskirche in der Nachfolge Christi und bewertet u. a. das Verhältnis zu Klara von Assisi sowie die Rolle Papst Gregors IX. neu.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 397

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Dieter Berg

Franziskus von Assisi

Der sanfte Rebell

Reclam

2017 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Coverabbildung: Francisco Zurbarán, Der heilige Franziskus in Ekstase, um 1660. © akg-images

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2017

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961303-1

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-011146-8

www.reclam.de

Inhalt

Vorwort1 Franziskus – eine biographische Skizze2 Kirche und religiöse Reformbestrebungen in Italien (ca. 1150–1200)3 Politische Kooperation und Konflikte in Italien (ca. 1200)4 Politische Strukturen und Rivalitäten in Grafschaft und Stadt Assisi (ca. 1150–1200)5 Franziskus – Existenz und Charisma5.1 Existentielle Sinnsuche5.2 Evolution der franziskanischen Lebensform5.3 Vollendung des Werkes5.4 Exkurs: Franziskanische Lebensnormen6 Weiterentwicklung des Ordo Minorum6.1 Kanonisierung und Translation6.2 Kurie und franziskanische Lebensform6.3 Eschatologie und vita minorum6.4 Spiritualen-Kämpfe7 Franziskanisches Schrifttum7.1 Schriften von Franziskus7.2 Viten für Franziskus7.3 Franziskanische Geschichtsschreibung (bis ca. 1300)8 Nachleben: Franziskus-Bild in Film und TV9 ResümeeAnhangZitatnachweise und LiteraturhinweiseAbkürzungenQuellen und LiteraturZeittafelAbbildungsnachweisZum Autor

Vorwort

Spätestens seit der Entscheidung des Argentiniers Jorge Mario Bergoglio, nach seiner Wahl zum Papst im Jahr 2013 als erster Nachfolger Petri und als Jesuit den Namen »Franciscus« zu wählen, erfuhren Leben und Wirken des Heiligen aus dem 13. Jahrhundert wieder größere Beachtung in der zeitgenössischen Öffentlichkeit. Zu Recht wurde die Namenswahl als programmatisch verstanden, da der neue Nachfolger Petri offenbar wesentliche Elemente der Lebensform des »Kleinen Armen« (Poverello) als entscheidende Anliegen seines Pontifikates betrachtete. Schon die ersten Äußerungen von Papst Franciscus machten deutlich, dass er angesichts der drängenden Probleme in der heutigen Welt wichtige Zielsetzungen des Heiligen – wie die Botschaft des Friedens, der Toleranz und der Sorge für die Umwelt – auch als normativ für sein eigenes Wirken ansah.

Die ungebrochene Attraktivität der Anliegen des Poverello hat auch den Verfasser des vorliegenden Buches veranlasst, sich vier Jahrzehnte lang als Hochschullehrer und ca. zwanzig Jahre lang als Direktor des »Institutes für franziskanische Geschichte (Münster)« immer wieder in zahllosen Lehrveranstaltungen und Vorträgen mit der Person des Heiligen und seinem Wirken zu beschäftigen. Bis zum heutigen Tage besteht für ihn eine große Faszination, welche Franziskus ausübt – nicht nur als ständig fröhlicher »Gaukler Gottes«, der von der Herrlichkeit der Schöpfung überwältigt war und zu deren Bewahrung aufrief. Ebenso wichtig ist seine anhaltende innere Zerrissenheit, die aus der lebenslangen Sorge vor den Gefährdungen einer sündhaften Existenz resultierte – verbunden mit einer tiefen Angst, den Willen Gottes (vor allem bezüglich seiner Lebensweise) falsch zu verstehen. Anrührend sind seine Güte und Bescheidenheit, mit welcher er seinen Mitmenschen begegnete und sie zum Frieden mahnte; beeindruckend erscheint seine Beharrlichkeit, mit welcher er sanft, aber konsequent für eine friedliche, jedoch radikale Neugestaltung der zeitgenössischen Kirche und Gesellschaft auf allen Ebenen eintrat – ungeachtet aller Widerstände. Hierbei zeigte er gegenüber den gesellschaftlich Ausgestoßenen und »Zu-kurz-Gekommenen« besondere Solidarität und Empathie. Schließlich entwickelte er auch gegenüber Andersgläubigen spezifische Formen der friedlichen Kommunikation, die als wegweisend erscheinen.

Insofern war der Verfasser gerne bereit, das Angebot anzunehmen, eine neue, »zeitgemäße« Darstellung des Lebens und Wirkens von Franziskus zu verfassen, zumal kurz zuvor erstmalig sowohl die Schriften des »Kleinen Armen« in der Originalsprache mit deutscher Übersetzung (2013) als auch alle relevanten Quellenzeugnisse zu Franziskus und seiner Bewegung aus dem Hohen Mittelalter ebenfalls in deutscher Übertragung (2009, 22014) publiziert worden waren. Allerdings wurde in letzter Zeit eine große Zahl an erbaulich-hagiographischen Darstellungen vor allem im deutschsprachigen Raum zum Leben des Poverello veröffentlicht, die primär einer vorbehaltlosen Verherrlichung von Franziskus sowie der Verbreitung eines oftmals unkritischen, »romantisierenden« Heiligenbildes dienten. Hinzu kamen Werke über die Beziehungen des Poverello zu Klara von Assisi, welche diese (in mitunter fast »kitschig« anmutenden Texten) realitätsfern sogar als mystisches »Liebespaar« feierten – Darstellungen, die völlig unhistorisch sind und in erster Linie heutige (Wunsch-)Vorstellungen von einer partnerschaftlichen Beziehung der beiden Heiligen bzw. auch der Geschlechter transponieren.

Hiergegen setzt sich der Verfasser vorliegender Darstellung nachdrücklich ab, die sich bemüht, vor allem an Traditionen der kritischen historischen Forschung seit dem 19. Jahrhundert anzuknüpfen. Doch auch diese Entscheidung ist nicht unproblematisch, da sich viele ältere biographische Werke zum Poverello jeglicher (konfessioneller) Provenienz ebenfalls als tendenziös bzw. als zeitgebunden erweisen. Auch sie dienten mittels des Transfers über ein Heiligenleben der Vermittlung zumeist aktuellen, oftmals »ideologischen« Ideengutes des jeweiligen Autors. Daher veränderte sich das hierbei entstehende Bild von Franziskus gemäß den sich wandelnden geistigen und sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen, unter welchen die Verfasser jeweils arbeiten mussten, seit ca. 1900 kontinuierlich – etwa unter Aufnahme chevaleresker Traditionen als »Troubadour« und »Christus-Ritter«, in Reaktion auf die Soziale Frage als »progressiver Gesellschaftsreformer«, im Kontext des sog. Kulturkampfes als erfolgloser »Kirchenkritiker« oder als Vorläufer von Martin Luther bzw. als wehrloses »Opfer« päpstlicher Machtpolitik (nach den Theorien von P. Sabatier).

Diese »Funktionalisierung« von Franziskus setzte sich verstärkt in Biographien seit den 1930er Jahren fort, indem der Heilige etwa unter den Faschisten als »nationaler, italienischer Heros« und später nördlich der Alpen als »Symbol der Brüderlichkeit der verschiedenen sozialen Klassen« gefeiert wurde. Während man ihn zudem als »Beförderer des sozialen Friedens« sowie des »friedvollen Zusammenlebens unterschiedlicher sozialer Gruppen« würdigte, versuchte man später, Franziskus im Zusammenhang mit der sog. »68er Bewegung« als Repräsentanten »rebellischer Söhne« in ihrem (angeblichen) »Protest gegen Autoritäten jeglicher Provenienz« zu vereinnahmen. Gleiches galt für Bestrebungen, den Poverello und seine vorgeblich »anarchische Schule« als Kronzeugen für die Möglichkeit einer »anderen Politik« mit Abkehr von »kapitalmacht- und herrschaftswüchsigen Entwicklungen« zu benennen. Diese Bemühungen wurden von Vertretern der sog. »Befreiungstheologie« forciert, die Franziskus als »Verteidiger der Armen« bzw. als »Gründer einer Kirche der Armen« bezeichneten und seine Zuwendung zu dieser sozialen Gruppe als vorbildlich für eine Reform von Kirche und Gesellschaft in der westlichen Welt betrachteten. Die ideologische Vereinnahmung wurde seit den 1980er Jahren intensiviert, indem man den Poverello einerseits als Repräsentanten eines neuen, harmonischen Verhältnisses zwischen Mensch und Natur im Rahmen der ökologischen Bewegung benannte. Andererseits nutzte man seine häufigen Mahnungen zu sozialem und politischem Frieden zur Unterstützung der weltweit erstarkenden Friedensbewegung, die im sog. Kalten Krieg eine Auflösung der verfeindeten politischen Blöcke forderte, nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Staaten modifiziert im Aufruf zu einem friedlichen Zusammenleben der verschiedenen Religionsgemeinschaften. Ein Ende der politischen und ideologischen Funktionalisierung des Poverello und seiner Bewegung in einschlägigem Schrifttum ist nicht abzusehen.

Panorama der heutigen Stadt Assisi

In Anbetracht dieser Entwicklungen und angesichts der ungeheuren Zahl an vorliegenden Studien zu Franziskus erscheint die Entscheidung, für ihn eine neue Biographie zu verfassen, vielleicht als etwas vermessen; doch glaubt der Verfasser, hierfür (in der historisch-kritischen Tradition) aufgrund eines methodischen Neuansatzes eine gewisse Rechtfertigung zu besitzen. So soll der Poverello nicht länger bloß als ein »besonderer Heiliger« verherrlicht, sondern primär als historische Figur in ihrem gesamten gesellschaftlichen und kirchlichen Umfeld sowie in ihren sozio-politischen Zwängen dargestellt werden. Hierbei wird vor allem auf die Schriften von Franziskus selbst zurückgegriffen, um ihn in dieser Weise »persönlich zu Wort« kommen und seine Vorstellungen von der vita minorum bzw. von der franziskanischen Bewegung (ohne spätere legendarische Verfälschungen) verdeutlichen zu lassen. So werden große Passagen seines Lebens und zahlreiche seiner Aktivitäten – immer im sozio-politischen Kontext – in möglichst großer Quellennähe dargestellt, d. h. mit ausführlicher, wörtlicher Zitation der einschlägigen Gründer-Schriften. Sofern notwendig, werden ergänzend besonders Zeugnisse der ältesten Gefährten sowie der frühen franziskanischen Viten bzw. Chroniken zur Historie des Poverello herangezogen. Gleiches gilt für die Beschreibung seiner Zielsetzungen sowie der »franziskanischen Lebensnormen«, die ebenfalls vorwiegend anhand von Texten des Stifters skizziert werden. Hierdurch soll eine Beeinflussung der Darstellung des Poverello durch spätere Ordensschriften, die oftmals tendenziös und von ordensinternen Auseinandersetzungen geprägt sind, so weit wie möglich vermieden werden.

Methodisch wird bei der folgenden Darstellung eine Kombination von »biographischem Längsschnitt« und »problemorientierten Querschnitten« vorgenommen. In einem einleitenden Teil (Kap. 1–4) werden – nach einem kurzen biographischen Abriss über den Armen von Assisi – zum einen die Lage der Kirche um 1200 aufgezeigt und mögliche »Vorläufer« des Franziskus behandelt; zum anderen sind die sozio-politischen Rahmenbedingungen in Italien und in Assisi zu verdeutlichen, unter denen der Poverello wirken musste. – Den Hauptteil des Werkes (Kap. 5.1–4) bilden systematische Ausführungen zu wesentlichen Aspekten des Lebens und Wirkens von Franziskus sowie seiner Zielsetzungen. Die vier Großkapitel und zahlreichen Unterkapitel ordnen sich grundsätzlich in den historischen Gesamtablauf des Lebens von Franziskus ein, sind aber primär problemorientiert und behandeln u. a. die »Existentielle Sinnsuche« des Poverello, »Franziskanische Lebensnormen«, die »Evolution der franziskanischen Lebensform« und die »Vollendung des Werkes«. An diese Teile der Studie schließt sich ein knapper Ausblick auf die Entwicklungen der Franziskanergemeinschaft nach dem Tode des Gründers bis zur Aufspaltung der Bewegung (in Konventuale und Kapuziner) an (Kap. 6). – Im Schlussteil (Kap. 7–9) wird zum einen das franziskanische Schrifttum thematisiert – neben den Texten des Gründers selbst vor allem die Franziskus-Viten sowie die wichtigsten Zeugnisse der franziskanischen Historiographie. Diese stellen ein Spezifikum des Ordens dar, da die Brüder späterer Generationen in Viten, Chroniken etc. ihre (jeweils zeitgebundene) Interpretation der vita minorum gaben und diese Zeugnisse daher von großer Wichtigkeit für die Entwicklung des Selbstverständnisses des Ordens bis ca. 1300 sind. Hinzu kommen zum anderen Ausführungen über das Nachleben des Franziskus, d. h. über sein sich wandelndes Bild in Spielfilmen und dessen Funktionalisierung für politische sowie ideologische Anliegen durch die jeweiligen Produzenten.

Entgegen den Behauptungen einer – die deutsche Geschichtswissenschaft leider unverändert dominierenden – Forschungsrichtung, wonach nicht Personen, sondern vorrangig sozio-ökonomische Prozesse und Strukturen das historische Geschehen bestimmten und Biographien daher obsolet wären, ist der Verfasser vorliegenden Bandes von der Berechtigung einer neuen Lebensbeschreibung für Franziskus überzeugt. Allein der Poverello als historische Persönlichkeit schuf – wie er meinte, aufgrund »göttlicher Offenbarung« und ungeachtet aller auf ihn einwirkenden sozio-ökonomischen und kirchenpolitischen Einflüsse – die vita minorum und realisierte diese gegen zahllose Widerstände in der franziskanischen fraternitas. Zweifellos entwickelte Franziskus in seiner vita Lebensnormen, welche über seine Zeit hinaus Gültigkeit besitzen und die auch heute vielleicht als existentielle Orientierungsmaßstäbe dienen können. Die Exemplarität seines Lebens und die epochenübergreifende Bedeutung seiner vita minorum zu verdeutlichen, ist ein Hauptanliegen des Verfassers, dessen Bild des Poverello zweifellos subjektiv ist, das dennoch vielleicht auf Interesse bei den Leserinnen und Lesern stoßen könnte.

1 Franziskus – eine biographische Skizze

Das Leben von Giovanni di Pietro di Bernardone (genannt Francesco) lässt sich in mindestens fünf Phasen gliedern: Deren erste schien – nach der Geburt als älterer Sohn des Kaufmanns Bernardone und seiner Gattin Pica 1181/82 in Assisi – anfangs in den üblichen Bahnen eines Bürgersohnes aus wohlhabender Familie zu verlaufen (bis 1205). Traditionsgemäß erhielt der Nachkomme eine elementare Schulausbildung zur Qualifizierung für die spätere Übernahme des väterlichen Tuchgeschäfts; zudem entwickelte der sensible Jüngling mit einer Vorliebe für Ritterromane einen starken Willen zum sozialen Aufstieg, d. h. in den Ritterstand. Daher bemühte sich Franziskus einerseits als Anführer der Jeunesse dorée des Ortes mit großer Lebensfreude und Freigebigkeit um soziale Anerkennung bei den Standesgenossen. Andererseits strebte er – trotz des Bürgerkrieges zwischen Bürgern (minores) und Adligen (maiores) (1199–1200) – u. a. durch Annahme aristokratischer Manieren nach dem Anschluss an die Oberschicht Assisis, wobei er sich (wenig erfolgreich) am Krieg gegen Perugia beteiligte (1202). Trotz Gefangenschaft in der Nachbarstadt (1202–03) und folgender Krankheiten verfolgte Franziskus sein Ziel »Ritterschaft« durch die Teilnahme am Heerzug Walters III. von Brienne in Apulien weiter, scheiterte jedoch erneut und kehrte beschämt nach einer Traumvision in Spoleto in die Heimat zurück (1205). Hier (wie auch später) wurde deutlich, welche Rolle der Traum für Franziskus als ein von Gott genutztes »Kommunikationsmittel« spielte.

Vintage-Karte von Assisi aus dem Jahr 1926

Zwar führte der Kaufmannssohn noch einige Monate sein bekannt exzessives Leben fort, doch dann begann eine neue (zweite) Phase seiner Existenz mit einem allmählichen »Bekehrungsprozess«. Angeödet von seiner bisherigen, oberflächlichen Lebensweise, wandte sich Franziskus überraschend Randständigen der Gesellschaft und Aussätzigen zu, die er bislang gemieden hatte, gefolgt von einem mythischen Erlebnis vor dem Kruzifix der ruinenhaften Kirche von San Damiano. Hierbei glaubte der Kaufmannssohn, den göttlichen Auftrag zur »Wiederherstellung des Hauses Gottes« erhalten zu haben, welchen er wörtlich verstand und in der Folgezeit durch die Renovierung verfallender Kirchen im Umkreis Assisis zu erfüllen suchte. Nach Konflikten mit dem Vater entschloss sich Franziskus zum radikalen Bruch, indem er sich von diesem trennte, auf das Erbe verzichtete und sich in den Schutz des Ortsbischofs begab. Nachdem Franziskus eine Zeitlang nach »Art der Eremiten« bei der Heimatstadt gelebt hatte, hörte er im Februar 1208 in Portiunkula eine Predigt über die Tagesperikope (Mt 19,21) zur Aussendung der Jünger Jesu. Diesen Text bezog er ebenfalls auf sich selbst und verstand ihn als Berufung zu einem »Leben nach der Form des Evangeliums« in absoluter Armut.

Daraufhin legte er die Eremiten-Kleidung zugunsten einer kreuzförmigen Kutte ab und begann (wie bereits vor ihm zahlreiche Angehörige der sog. Armutsbewegung), in seinem früheren Lebenskreis als armer Wanderprediger das Evangelium zu verkünden, zur Buße aufzurufen und seinen Lebensunterhalt zu erbetteln – Verhaltensweisen, die wegen ihrer impliziten Sozialkritik oftmals bei der Bevölkerung auf Ablehnung stießen. Dessen ungeachtet schlossen sich ihm bald einige Gefährten aus guten Familien an, mit denen er erste »Missionsreisen« durch die Toskana und die Mark Ancona unternahm. Ohne feste Bleibe und unter Verzicht auf eigene Unterkünfte hielten sich die Brüder – nach weiteren Predigtunternehmungen – im Rieti-Tal auf, um (wahrscheinlich im Mai 1209) nach Rom an die Kurie zu reisen. Auf der Grundlage einer sog. Ur-Regel, welche Franziskus mit Hilfe von Bibelzitaten zur Beschreibung seiner angestrebten vita zuvor geschaffen hatte, wollten er und die Brüder eine Approbation ihres propositum einschließlich einer Predigterlaubnis vom Nachfolger Petri erlangen, um autorisiert von der Amtskirche das Wort Gottes verkünden zu können. Dies gelang auch weitgehend, da – unter Vermittlung von Kurialen – Innozenz III. den Minderbrüdern seine Billigung ihrer Bußbruderschaft auf Probe erteilte; zudem ließen wahrscheinlich Kuriale sie tonsurieren und hierdurch in die kirchliche Hierarchie aufnehmen.

Die nächste (dritte) Phase im Leben des Kleinen Armen war gekennzeichnet von Bemühungen, der päpstlichen Forderung gemäß die Existenz der franziskanischen Gemeinschaft zu stabilisieren, neue Fratres zu gewinnen und den Wirkungskreis zu erweitern. Die Gründung eines eigenen, religiösen Ordens war sicherlich nicht sein Ziel; vielmehr beschränkte er sich auf ein Leben in der Nachfolge Christi in einer besitzlosen fraternitas Gleichgesinnter. So setzten die Brüder nach ihrer Rückkehr aus Rom und zeitweiligem Aufenthalt in Rivo Torto die pastorale Tätigkeit fort, wobei Portiunkula zum Mittelpunkt ihrer Bewegung wurde (seit Herbst 1209). Von hier brachen sie zu weiteren »Missionsreisen« in Assisi und in Umbrien auf, in deren Verlauf zahlreiche neue Gefährten der Gemeinschaft beitraten. Auch adlige Damen – wie Chiara [Klara] di Favarone in Assisi – waren von der Existenz der Minderbrüder beeindruckt und schlossen sich – gegen familiäre Widerstände – der Bewegung an (März 1211); dennoch beabsichtigte der Poverello nicht, einen eigenen Frauenorden zu gründen, wie dies gegen Ende seines Lebens dennoch erfolgen sollte.

Vorerst beschränkte er sich darauf, in immer neuen Versuchen seine pastorale Tätigkeit nicht nur auf ganz Italien auszudehnen, sondern auch »Missionsreisen« zu den Muslimen durchzuführen (1212–14) – Unternehmungen, die sämtlich (u. a. infolge von Krankheiten) scheiterten. So konzentrierte er sich weiter auf Predigtreisen in Italien, wobei er wahrscheinlich erneut den päpstlichen Hof aufsuchte und eventuell auf dem IV. Lateran-Konzil Dominikus von Guzmán, dem Gründer des Dominikanerordens, begegnete (1215). Gleichzeitig erhielt die Gemeinschaft wachsenden Zulauf insbesondere von sozial Hochstehenden und Gebildeten, so dass nach dem Generalkapitel 1216 die Gründung von (sechs) Ordensprovinzen sowie die Entsendung von Brüdern in Regionen nördlich der Alpen und zu den Sarazenen erfolgen konnten. Zudem förderte die Kurie die Ausbreitung der fraternitas durch Empfehlungsschreiben (u. a. 1218 bezüglich der Rechtgläubigkeit der Brüder). Schließlich gelang es dem Poverello (nach Beginn des Fünften Kreuzzuges), selbst in den Orient zur Mission zu reisen und den Sultan Melek-el-Kamil in seinem Heerlager bei Damiette aufzusuchen, ihn zum Frieden aufzurufen und das Wort Gottes zu verkünden – ein Unternehmen, das Franziskus (trotz des Martyrium-Wunsches) zwar überlebte, das jedoch ohne sichtbaren Erfolg blieb (September 1219).

Enttäuscht und verbittert, kehrte er vorzeitig nach Italien zurück, wo in der Zwischenzeit einige gebildete Fratres seine Abwesenheit genutzt hatten, um auf einem sog. »Seniorenkapitel« Strukturänderungen in der Franziskanergemeinschaft für deren weitere Akkommodation an die Lebensweise der »alten« Orden vorzunehmen. Franziskus reagierte auf diese – für ihn inakzeptablen – Veränderungen, indem er sich zum Papst nach Orvieto begab, die eigenmächtigen Maßnahmen seiner Mitbrüder annullieren und das Amt eines »Ordensprotektors« einrichten ließ, der künftig über die Entwicklung der fraternitas wachen sollte (Frühjahr/Sommer 1220). Zugleich begann eine weitere (vierte) Phase im Leben des Poverello, der sich zunehmend von der expansiven Entwicklung seiner Gemeinschaft entfremdet sah und daher auf dem Herbstkapitel 1220 von der Leitung des Ordens zurücktrat. Zwar wurden Petrus Cathani und nach dessen baldigem Tode Elias von Cortona zu Vikaren bestimmt; doch übte Franziskus bis zum Lebensende faktisch das ministerium generale aus, d. h., er griff vielfach als höchste Autorität und als Gründer des Ordens in Konfliktfällen autoritativ in das Geschehen in der Gemeinschaft ein.

Während der Poverello in den Folgejahren seine »Missionsreisen« in Italien fortsetzte, kam er gleichzeitig nicht umhin, dem ständigen Wachsen seiner Gemeinschaft durch das Schaffen einer eigenen Ordensregel Rechnung zu tragen. Nach intensiven Vorarbeiten legte er schließlich auf dem sog. »Mattenkapitel« den Entwurf einer Regel vor (Mai 1221), die jedoch wegen ihrer kirchenrechtlich unzureichenden Gestaltung auf die Ablehnung sowohl von gebildeten Brüdern als auch von Kurialen stieß (Nicht bullierte Regel). Widerstrebend entschloss sich Franziskus daher, mit Hilfe vertrauter Brüder, in Fonte Colombo eine neue Regelfassung zu erarbeiten, die später von Kardinal Hugolin unter kirchenrechtlichen Gesichtspunkten redigiert und dann von Papst Honorius III. approbiert wurde (Bullierte Regel – 29. November 1223). Dennoch sah sich der Poverello immer stärker von seinem ordo entfremdet, wobei die Spannungen zwischen den rivalisierenden ordensinternen Gruppierungen (zwischen »Regeltreuen« und »Reformern«) weiter wuchsen und den Gründer in eine Existenzkrise stürzten.

Die Kirche von Fonte Colombo

Diese wurde erst (in der fünften Lebensphase) während eines längeren Aufenthaltes auf dem Berg La Verna (zum Michaelsfasten) 1224 beendet, wo der Poverello Mitte September nach intensivem Gebet die Vision eines Seraphen sowie die Stigmatisation erhielt. Im Bewusstsein, mit seiner vita in richtiger Weise der göttlichen Offenbarung entsprochen zu haben, und in der Gewissheit der Sündenvergebung setzte Franziskus zwar noch eine Zeitlang seine Predigtreisen in Mittelitalien fort, doch zwangen ihn schwere Krankheiten (u. a. Augeninfektionen) zu einem verstärkt asketisch-kontemplativen Leben. Nachdem sich die Leiden verschlimmert hatten und ärztliche Behandlungsversuche erfolglos geblieben waren, wurde der Poverello – nach zwischenzeitlicher Pflege durch die Armen Damen von San Damiano – zuerst nach Assisi und dann nach Portiunkula transportiert, wo er schließlich am 3. Oktober 1226 starb. Wahrscheinlich entgegen seinen Intentionen wurde der Verstorbene zuerst in San Giorgio beigesetzt, während Elias von Cortona auf Veranlassung von Gregor IX. den Bau einer prachtvollen Grabeskirche in Assisi betrieb (April 1228). Nachdem Franziskus bereits am 16. Juli 1228 heiliggesprochen worden war, wurden seine Gebeine schließlich im Mai 1229 in die (wahrscheinlich partiell fertiggestellte) Basilika San Francesco überführt und beigesetzt. Während sich die Grabstätte des Heiligen bald regen Besuchs durch die Gläubigen erfreute, hielten die ordensinternen Spannungen in der Franziskanergemeinschaft zwischen »Regeltreuen« und »Reformern« beständig an und führten schließlich zur Ausbildung verschiedener Zweige der Gemeinschaft des Ersten Ordens.

2 Kirche und religiöse Reformbestrebungen in Italien (ca. 1150–1200)

Auch Franziskus von Assisi werden seit der Jugend Erscheinungsformen der sog. Armutsbewegung in Italien bekannt gewesen sein. Hierbei handelte es sich um Phänomene, die sich seit der Gregorianischen Kirchenreform (11. Jahrhundert) entwickelt hatten. Ziele dieser Reformbemühungen waren zum einen der Kampf um die »Freiheit der Kirche« (libertas ecclesiae) von der Herrschaft der weltlichen Gewalt (im Investiturstreit), zum anderen die Erneuerung des geistlichen Lebens in Klerus und Kirche. Normen hierfür waren die Forderungen des Evangeliums und das Leben Christi sowie der Apostel, deren Existenzweise man in Eigentumslosigkeit und strenger Buße in Form einer Wanderprediger- oder Eremiten-Existenz nachzuahmen suchte. So traten seit Beginn des 12. Jahrhunderts vor allem in Frankreich und Italien zahlreiche Eremiten und vagierende Prediger auf, welche zwar die Regeln der »alten« Orden ablehnten, jedoch auf Drängen der Amtskirche bereit waren, sich in die bestehende Kirchenorganisation einzufügen. Dies galt etwa für Robert von Arbrissel, der als Wanderprediger »ohne Stab und Tasche« als »Nackter dem nackten Christus« nachfolgen wollte (wie später Franziskus von Assisi). Auch Bernhard von Clairvaux und Norbert von Xanten, der anfangs ebenfalls als Wanderprediger ohne feste Niederlassungen dem »nackten Gekreuzigten« nacheiferte, suchten andere Formen geistlichen Lebens und entschlossen sich zur Gründung neuer Ordensgemeinschaften (Fontevrault, Zisterzienser, Prämonstratenser).

Neben diesen Reformbemühungen, die zur Gründung der genannten »Reformorden« führten, gab es auch Bestrebungen, oftmals von Klerikern, die aufgrund ihrer religiösen Erfahrungen nicht bereit waren, ihre existentiellen Zielsetzungen im zeitgenössischen Verband der Kirche zu realisieren. So sprach sich etwa der französische Priester Peter von Bruys (gest. um 1139) aufgrund eigener Bibellektüre gegen Eucharistie, Messe etc. aus und bestritt die »Autorität der kirchlichen Tradition«. Dies brachte ihm ebenso eine Verdammung als »Häretiker« ein wie dem Mönch Heinrich von Lausanne (gest. um 1147), der gegen den Reichtum der Kirche und den unwürdigen Lebenswandel des Klerus predigte und als »Ketzer« verurteilt wurde bzw. umkam. Als noch gefährlicher erwiesen sich die Aktivitäten des Regularkanonikers Arnold von Brescia (gest. 1155), der ebenfalls den Reichtum von Kirche und Klerus in Italien kritisierte und zu einem Leben nach dem Vorbild der Urkirche aufrief. Der Geistliche unterstützte zudem in Rom die Commune und kritisierte Papst Eugen III., der nur mit Hilfe von Kaiser Barbarossa der Unruhen Herr werden und Arnold als »Ketzer« hinrichten lassen konnte.

Die Lage verschärfte sich seit Mitte des 12. Jahrhunderts, als ähnliche Reformbestrebungen bezüglich des kirchlichen Lebens auch in anderen Bereichen der abendländischen Gesellschaft – vor allem bei den (kirchlichen) Laien – zu beobachten waren. Insbesondere Teile des Bürgertums, das als Träger moderner, von Geldwirtschaft geprägter Wirtschaftsformen fungierte, betrachteten im Rahmen eines wachsenden »Individualismus« die Erscheinungsformen der zeitgenössischen Amtskirche sowie die Lebensführung des Klerus zunehmend kritisch. Wie im sozialen Leben, so entwickelten Bürger auch in Glaubensfragen den Wunsch, sich ein eigenes Urteil (nun durch Bibellektüre) zu bilden und sich von den Vorgaben des Klerus zu »emanzipieren«. Diese Intentionen wurden gestärkt durch Erfahrungen von Kreuzzugsteilnehmern, die seit dem Ersten Kreuzzug (1096–99) persönliche, visuelle Eindrücke vom Lebens- und Wirkungsraum Christi gewonnen hatten. Diese Erlebnisse evozierten die existentielle Frage, wie sich der einzelne Christ zu den Forderungen des Evangeliums zu stellen habe und inwieweit er zur Nachfolge Christi bzw. zu einem apostolischen Leben verpflichtet wäre. Hinzu kamen Forderungen nach freiwilliger Armut, die sich aus den Phänomenen zunehmender unfreiwilliger Armut ableiteten, welche vor allem in den Städten kaum mehr durch die traditionellen (kirchlichen) Einrichtungen der Armenfürsorge zu bewältigen waren.

Aufgrund individueller Bibellektüre und aus einem wörtlichen Verständnis des Evangeliums bzw. seiner Forderungen empfand eine wachsende Zahl an Gläubigen die biblische Aufforderung zur Christus-Nachfolge als verbindlich. Zudem wandte man sich kritisch den Institutionen der Kirche und ihrer Theologie zu, die gemäß den evangelischen Postulaten auf ihre Existenzberechtigung überprüft wurden. Gleiches galt für den Klerus und das kirchliche Leben, das vor allem im parochialen Bereich der Städte als reformbedürftig erschien. Die Kritik an der Geistlichkeit radikalisierte sich mitunter, indem deren Legitimität unter Rekurs auf die Bibel geprüft und oftmals in Frage gestellt wurde. Einzelne Gruppen gingen sogar so weit, einen Priester nicht länger nach Amt und Weihen, sondern ausschließlich nach seinem meritum bzw. seiner Lebensführung zu beurteilen; sündigen Priestern sprach man hierbei die Berechtigung ab, Sakramente zu spenden. Gemeinsam war diesen Vertretern der sog. Armutsbewegung, dass sie zwar als arme Wanderprediger zumeist eine Reform der Kirche intendierten, aber nicht in die kirchenrechtlich sanktionierten Formen religiösen Lebens in der Kirche zu integrieren waren.

Eine der wirkmächtigsten, von Laien getragenen Reformbewegungen wurde von dem reichen Kaufmann Petrus Waldes aus Lyon initiiert, der nach einem Bekehrungserlebnis große Teile seines Besitzes an Arme verteilte und nach gründlichem Bibelstudium ein apostolisches Leben als Bußprediger begann. Seine Forderung nach Rückkehr zur armen Urkirche unterstützten zahlreiche Gleichgesinnte, von denen einige – nach Studium der Evangelien in der Volkssprache – auch Bußpredigten hielten. Um diesbezügliche Konflikte mit der Amtskirche zu vermeiden, begab sich Waldes mit Gefährten nach Rom, um dort (während des III. Lateran-Konzils 1179) von Papst Alexander III. eine Predigterlaubnis zu erbitten (wie dies später auch Franziskus von Assisi tat). Trotz Bedenken von Kurialen billigte der Nachfolger Petri das propositum der »Armen von Lyon« (Pauperes de Lugduno) und ihre vita apostolica ohne Besitz und feste Wohnsitze. Eine Predigterlaubnis wurde nicht generell erteilt, sondern abhängig von der Genehmigung der zuständigen Ortspriester gemacht. Nach anfänglichem erfolgreichem pastoralem Wirken in Lyon kam es jedoch bald zu Konflikten mit dem dortigen Erzbischof, der die Gemeinschaft u. a. durch Einsetzung eines praepositus stärker zu überwachen suchte. Im Bewusstsein einer besonderen »Berufung« verweigerte Waldes die Anerkennung eines neuen »Vorgesetzten« und ließ trotz Verbotes weiterhin in Predigten zu Armut und Buße aufrufen. Kirchliche Sanktionen erfolgten umgehend und führten zum Bruch mit der Amtskirche (1184). Ungeachtet anhaltender Repressionen breitete sich die waldensische Bewegung nach dem Tode des Gründers (gest. vor 1218) nicht nur in Südfrankreich, Norditalien und Spanien aus, sondern blieb auch als einzige Glaubensgemeinschaft der mittelalterlichen Armutsbewegung als eigene Kirche bis in die Gegenwart bestehen.

In ähnliche Schwierigkeiten mit der Amtskirche geriet eine weitere Laiengruppe der sog. Armutsbewegung – die Humiliaten, eine in Konventen bzw. Genossenschaften organisierte Gemeinschaft von Webern und Tuchmachern in Mailand bzw. in der Lombardei. Wie die Waldenser bemühten sie sich, in Armut und Demut das Evangelium nachzuleben und in Predigten zur Buße aufzurufen. Wegen der Bindung an ihre frühindustriellen Produktionsstätten blieben die Humiliaten in ihrem apostolischen Wirken auf ihren Lebenskreis beschränkt, wo sie intensiv die Bibel studierten und sich der Armen- und Krankenfürsorge widmeten. Da sie nicht bereit waren, sich einer Kontrolle durch kirchliche Autoritäten zu unterwerfen, kam es wegen (angeblich) unbefugter Predigt zum Konflikt. So wurden sie von Papst Lucius III. – zusammen mit anderen Mitgliedern von Laienbewegungen (wie den Waldensern) – 1184 exkommuniziert und als »Ketzer« verfolgt.

Blieben einige Humiliaten und Waldenser trotz Verfolgungen zu Gesprächen mit Vertretern der Amtskirche grundsätzlich bereit, so galt dies nicht für die einflussreichste Gruppierung, die im Kontext der sog. Armutsbewegung wirksam wurde – die Katharer. Wahrscheinlich auf dem Balkan entstanden, breitete sich diese Bewegung besonders in Südfrankreich und in Norditalien aus. Ihre Glaubenslehre war dualistisch und lehnte zentrale Elemente der christlichen Lehre sowie die Institutionen der Katholischen Kirche ab. Im Gegenzug wurde eine eigene theologische Lehre entwickelt und eine Art Gegen-Kirche (mit eigener Organisation und speziellen Funktionsträgern) konstituiert. Vor allem in Südfrankreich erhielten die Katharer wegen ihres asketischen Lebenswandels und der Weltverachtung Unterstützung durch die Bevölkerung. Bekehrungsversuche von Vertretern der Amtskirche scheiterten kläglich, zumal die Katharer eine Rückkehr in den »Schoß der Katholischen Kirche« ablehnten.

Das Papsttum und der Hohe Klerus standen den Phänomenen der sog. Armutsbewegung lange Zeit weitgehend hilflos gegenüber. So beharrte man darauf, dass sich derartige Unternehmungen den etablierten Formen des kirchlichen Lebens anzupassen hätten. Vertreter religiös anders geprägter Lebensweisen wurden entweder genötigt, sich in bestehende (monastische) Organisationen zu integrieren, oder sie wurden repressiv diszipliniert bzw. als »Ketzer« aus der Kirchengemeinschaft ausgeschlossen. Bedenklich bei diesem Vorgehen war die Tatsache, dass es bis ca. 1180 keine definitorisch verbindliche Begriffsbestimmung von »Häresie« gab, d. h. systematische kirchenrechtliche Normen fehlten, und man verfolgte jeweils nur Einzelphänomene angeblicher »Ketzerei«. Erst 1184 bemühten sich Kirchenvertreter ansatzweise um eine »Phänomenologie der Häresie«, indem Papst Lucius III. in Kooperation mit Kaiser Barbarossa sowohl die vorliegenden kirchenrechtlichen Einzelbestimmungen über »Ketzerei« zusammenfassen ließ als auch den Versuch einer »Begriffsbestimmung« von »Häresie« auf dogmatischer Grundlage unternahm: Künftig lag »Ketzerei« vor, wenn u. a. die Institutionen der Kirche in Frage gestellt, die Sakramente abgelehnt und unbefugt Predigten gehalten wurden. Die Verfolgung der »Ketzer« oblag weiterhin den Bischöfen, die hierbei von den Vertretern der weltlichen Gewalt unterstützt werden sollten.

Erst unter Innozenz III. (1198–1216) kam es zu einem grundlegenden Wandel in der Haltung der Amtskirche bezüglich des Phänomens der sog. Armutsbewegung bzw. der »Häresie«. Diesem Papst wurde das Scheitern der diesbezüglichen »Politik« seiner Vorgänger bewusst, welche die Bedeutung des »Massenphänomens« kirchenreformerischer Bestrebungen nicht erkannt hatten und diesen Erscheinungen nur durch Repression und Eliminierung angeblicher »Ketzer« aus der Kirche Herr zu werden versuchten – mit verheerenden Folgen. Der neue Nachfolger Petri beharrte nicht länger darauf, dass nur die etablierten Formen religiösen Lebens für alle Gläubigen verbindlich wären. Vielmehr zeigte sich Innozenz bemerkenswert offen gegenüber berechtigter Kritik an den zeitgenössischen Formen kirchlichen Lebens, an dem sittlichen Leben zahlreicher Kleriker und an den Defiziten im Bereich der Seelsorge.

Er war bereit, die Gemeinschaften armer Prediger in neuer Form neben den bestehenden Gruppen von Klerikern und Mönchen in die Kirche aufzunehmen – jedoch (gemäß den »Häresie«-Kriterien von 1174) nur unter der Voraussetzung, dass diese (freiwillig) Armen die Institutionen der Kirche sowie ihre Dogmen bzw. Sakramente anerkannten und autorisiert das Predigtamt ausübten. Auf dieser Grundlage und infolge differenzierter Beurteilung der (angeblichen) »Ketzerei« gelang es Innozenz, von Lucius III. verurteilte »Häretiker« – wie oberitalienische Humiliaten und Waldenser (um Durandus von Huesca) – mit der Kirche zu versöhnen. Diese Gruppierungen wurden entweder als fromme Laiengemeinschaften mit propositum approbiert oder als neue Orden konstituiert und mit Predigterlaubnis versehen. Gleichzeitig ging Innozenz gegen nicht kooperationsbereite Gruppen (wie die Katharer) mit äußerster Härte vor: So suchte er zum einen die Hilfe der weltlichen Gewalten, welche »Ketzerei« als weltliches Verbrechen (crimen laesae maiestatis) verfolgen mussten; zum anderen schuf er eine eigene kirchliche Institution (die Päpstliche Inquisition), die mit geschultem Personal (besonders der späteren Bettelorden) gegen »Häretiker« vorging. Mit dieser weitschauenden Politik hatte Innozenz neue Perspektiven zu einem innovativen Umgang mit »modernen« Formen religiöser Bewegungen eröffnet, die nunmehr in das kirchliche Leben integriert werden konnten und nicht länger »häretisiert« wurden.

3 Politische Kooperation und Konflikte in Italien (ca. 1200)

Francesco Bernardone wurde (1181/82) in ein Zeitalter tiefgreifender politischer und kirchlicher Konflikte im gesamten Abendland und im Vorderen Orient geboren, wobei vor allem die Italien- und Kirchenpolitik der staufischen Herrscher von Friedrich I. (Barbarossa) (1152–90) bis zu Friedrich II. (1212–50) maßgeblichen Einfluss auf die politischen Entwicklungen in Europa ausübte. Initiativ wirkte hierbei vor allem Barbarossa, der bald nach der Thronbesteigung beschloss, in Anbetracht der schmalen territorialen Grundlagen seiner Königsherrschaft sowie der dürftigen finanziellen Ressourcen der Krone deren politische und ökonomische Grundlagen im gesamten Imperium zu erweitern. Da im Deutschen Reich angesichts der Übermacht der Fürsten kurzfristig keine strukturelle Verbesserung der Lage des Königtums möglich schien, entschied sich Friedrich vor allem zur Realisierung seiner ökonomischen Ziele für eine offensive Italienpolitik. Obwohl die früheren römisch-deutschen Kaiser jahrzehntelang südlich der Alpen kaum präsent gewesen waren und sich das dortige aufstrebende Bürgertum infolge der Schwäche der Reichsgewalt in großem Umfang imperiale Rechte aneignen konnte, war Barbarossa entschlossen, die angestrebte Stärkung der Zentralgewalt nicht zuerst im Deutschen Reich, sondern in Italien zu realisieren. Hierbei plante er, die ökonomische Potenz der Städte zu nutzen, indem er entfremdete, finanziell nutzbare Reichsrechte (Regalien) zurückforderte und hierdurch die Einnahmen der Krone zu verbessern suchte.

Friedrich II. mit seinem Falken. Aus seinem Buch De arte venandi cum avibus

Diese Restaurationspläne waren Teil eines größeren Programms der renovatio imperii, welches das gesamte politische Handeln des Staufers in der Folgezeit bestimmte und das zu sofortigen Konflikten mit den Kommunen und später mit dem Papsttum als Territorialmacht in Mittelitalien führte. Die Gegensätze verschärften sich nach Ausbruch des Papstschismas (1159), in dessen Verlauf Friedrich auch kirchenpolitisch eine Restaurationspolitik begann. So versuchte er, das Papsttum der imperialen Macht zu unterwerfen, obwohl sich die Nachfolger Petri seit dem sog. Investiturstreit als unabhängige, universale Gewalt betrachteten, die nur Gott als Richter akzeptierte und jegliche Unterordnung unter eine irdische Gewalt ablehnte. Daher führten die Restaurationsversuche des Kaisers zu einem erneuten Kampf zwischen imperium und sacerdotium, in welchem der Staufer selbst vor der Einsetzung von Gegenpäpsten und physischen Verfolgungen seiner Feinde nicht zurückschreckte. Sein Hauptgegner, Alexander III. (1159–81), erhielt in seinem Abwehrkampf außer der Unterstützung von Klerus und Herrschern in Westeuropa besonders die Hilfe der unteritalienischen Normannen und der führenden Kommunen Italiens. Diese versuchte Barbarossa in sechs Kriegszügen in 13 Jahren (1154–86) mit aller Gewalt zu unterwerfen, wogegen sie sich in Städtebünden organisierten. Auch kooperierten sie mit den Päpsten als Territorialherren trotz deren Restaurationspolitik, durch welche die Nachfolger Petri ihrerseits verlorene bzw. entfremdete Rechte und Besitzungen (seit der Karolingerzeit) zurückgewinnen wollten.

Obwohl der Staufer jahrzehntelang – unter Vernachlässigung von Reichsangelegenheiten – seine gesamte politische und militärische Kraft auf Italien konzentrierte, gelang es ihm nicht, einen entscheidenden Sieg zu erringen oder auch nur die Rivalitäten zwischen Nachbarstädten sowie die Interessengegensätze zwischen Kommunen und Papsttum zur Stärkung der eigenen Position zu nutzen. Zudem geriet er zeitweise in eine außenpolitische Isolation, obwohl zumindest theoretische Bündnisperspektiven bezüglich der westeuropäischen Könige bestanden. So war Heinrich II. von England durch Auseinandersetzungen mit den Söhnen belastet, während sich Ludwig VII. in Frankreich den gewaltsamen Expansionsversuchen des Angevinen ausgesetzt sah. Trotz ihrer Konflikte lehnten beide Monarchen spätestens nach dem Becket-Mord (1170) die Kirchenpolitik des Staufers ab, die sie als gefährlich für die eigene Kirchenherrschaft betrachteten, und unterstützten daher Alexander III. Somit musste sich der Kaiser schließlich seinen Gegnern geschlagen geben und im Frieden von Venedig (1177) bzw. Konstanz (1183) das Scheitern seiner Politik eingestehen. Hierbei wurde er gezwungen, das Papsttum als autonome, universale Gewalt (neben dem Kaisertum) und als selbständige Territorialmacht in Italien zu akzeptieren. Ferner hatte Barbarossa das italienische Bürgertum als eigenständige politische Kraft anzuerkennen, die legitim in den Kommunen Selbstverwaltungsbefugnisse und eine eigene Rechtsorganisation besaß. Schließlich sah er sich veranlasst, seine Versuche einer Unterwerfung des Normannenreiches zugunsten eines Heiratsbündnisses (mit Wilhelm II. von Sizilien bezüglich einer Ehe zwischen dessen Tante Konstanze und Heinrich VI.) aufzugeben (1184). Erst nach dem Ausgleich mit dem Papsttum fand Friedrich als Kaiser wieder Akzeptanz im Abendland, so dass er – im Dienste der christianitas – als Leiter des Dritten Kreuzzugs (1189–92) zu agieren vermochte. Sein Tod am 10. Juni 1190 auf der Reise ins Heilige Land konnte dann von Gefolgsleuten (aber auch von nationalistischen deutschen Historikern des 19./20. Jahrhunderts) als »Schlußapotheose staufischer Kaiservorstellungen« interpretiert werden.

Nach dem Tode des Kaisers verzichtete sein Sohn und Nachfolger, Heinrich VI. (1190–97), zwar auf eine Fortsetzung der Repressionspolitik gegenüber den Kommunen und dem Papsttum, dennoch geriet auch er – nach der Heirat mit der normannischen Thronerbin Konstanze (1186) – bei der Durchsetzung von deren Thronansprüchen in Gegensatz zu Papst Coelestin III. (1191–98). Dieser favorisierte als Oberlehnsherr des sizilischen Reiches den Usurpator Tankred von Lecce (1189/90) und unterstützte zugleich die niederrheinisch-welfische Opposition gegen den Staufer im Deutschen Reich. Nachdem ein Versuch Heinrichs, das sizilische regnum gewaltsam einzunehmen, gescheitert war, konnte er erst nach der zufälligen Gefangennahme König Richards I. von England auf der Rückkehr vom Kreuzzug diesen zu hoher Lösegeldzahlung sowie zur Lehensnahme des englischen regnum vom Kaiser zwingen. Englische Gelder ermöglichten Heinrich danach, die reichsinterne Opposition bzw. die Welfen zu befrieden, das sizilische Reich zu erobern (1194) und die von den Päpsten gefürchtete Vereinigung des sizilischen regnum mit dem imperium zu schaffen (unio regni ad imperium). Während die Nachfolger Petri in der Folgezeit mit allen Mitteln versuchten, die geopolitische Umklammerung ihrer Territorien durch die Staufer zu beenden, konzentrierte sich Heinrich auf die Neuordnung der Verwaltung in Reichsitalien sowie auf die Schaffung einer erblichen Königsherrschaft seines Hauses (Erbreichsplan). Hinzu kamen expansive Herrschaftsansprüche gegenüber Byzanz sowie anderen Mittelmeer-Reichen (etwa Zypern), die vielleicht im Zusammenhang mit den Kreuzzugsplänen des Kaisers sowie mit Endkaiser-Prophetien standen. Zudem wurde er als Bündnispartner von Philipp II. von Frankreich zumindest indirekt von dessen Kämpfen mit Richard I. um die Restituierung angevinischer Kontinentalbesitzungen tangiert. Alle Pläne des Staufers scheiterten jedoch, da er sich mit wachsendem Widerstand im Deutschen Reich sowie mit Revolten in Sizilien (1197) konfrontiert sah. Selbst die Thronfolge seines Sohnes Friedrich (II.) (geb. 26. Dezember 1194), der 1196 zum römisch-deutschen König (rex Romanorum) gewählt worden war, hatte Heinrich im Deutschen Reich nicht durchsetzen können, als er überraschend am 28. September 1197 in Messina an Malaria starb.

Auf welch labiler Grundlage die staufische Herrschaft beruhte, verdeutlichten nach dem Tode Heinrichs die Revolten in Italien gegen die deutsche Herrschaft, verbunden mit der Unterstellung Friedrichs II. unter die Vormundschaft des Papstes. Auch im Deutschen Reich regte sich Widerstand gegen die weitere Herrschaft eines Staufers, so dass man die Thronansprüche Friedrichs überging. Da jedoch die deutschen Fürsten zerstritten waren, kam es 1198 zu einer Doppelwahl, in deren Zuge sowohl der Welfe Otto IV. als auch der Staufer Philipp von Schwaben zum König proklamiert wurden. Schon bald erhielt der Thronstreit außenpolitische Implikationen, da zum einen auswärtige Mächte (wie der englische König) Einflussnahme versuchten, zum anderen der neue Papst Innozenz III. die Gelegenheit nutzte, den päpstlichen Supremat gegenüber dem imperium zum Ausdruck zu bringen. Er reklamierte für sich (u. a. aufgrund der Translationslehre) das Recht, bei der Wahl des deutschen Königs und künftigen Kaisers die jeweiligen Bewerber hinsichtlich ihrer Dignität zu prüfen und die Wahl zu approbieren. Hinzu kamen Forderungen nach Anerkennung der päpstlichen territorialen Rekuperationen in Italien, die alle Kandidaten zu billigen hatten. Otto wie Philipp nahmen den Anspruch des Papstes, die Wahl zu entscheiden, widerwillig hin; dieser favorisierte 1200/01 schließlich den Welfen, der die größten Konzessionen gemacht hatte.

In der Folgezeit wandelte sich der bürgerkriegsähnliche Thronstreit im Reich zu einem »supranationalen Konflikt«, da die deutschen Kontrahenten Hilfe von ausländischen Monarchen erhielten – die Welfen von Johann Ohneland (England) und die Staufer von Philipp II. (Frankreich). Entgegen den Hoffnungen seiner Verbündeten sowie des Papstes verschlechterte sich jedoch die Lage Ottos kontinuierlich; erst der Mord an Philipp von Schwaben am 21. Juni 1208 stärkte die Position des Welfen, der von Innozenz schließlich zum Kaiser gekrönt wurde (4. Oktober 1209). Doch Otto, der auf seinem Italien-Zug in Kontakt zu Franziskanern kam, rückte rasch von den Zusagen gegenüber dem Papst ab und setzte die offensive Restaurationspolitik der Staufer in Italien fort. Hierbei bemühte er sich um Wiederherstellung der kaiserlichen Herrschaft in Mittelitalien und beabsichtigte, das sizilische Reich zu erobern. Ein neuerlicher Parteiwechsel des Nachfolgers Petri war die Folge, der nunmehr mit französischer Hilfe den jungen Friedrich (II.) zum Gegenkönig erheben ließ (1211).

Da die Anhängerschaft Ottos schwand, konnte sich der Staufer auf abenteuerlicher Reise nach Frankfurt a. M. begeben, wo er nochmals zum König gewählt und anschließend in Mainz gekrönt wurde. Nachdem sich Friedrich das Wohlwollen von Innozenz durch Bestätigung der welfischen (territorialen) Konzessionen an das Papsttum gesichert hatte, kam es schließlich – nach innenpolitischen Kämpfen mit der welfischen Opposition – durch die Schlacht bei Bouvines am 27. Juli 1214 zu einer militärischen Beendigung des Thronstreites. Hier sorgten vor allem die westeuropäischen Monarchen als Verbündete der deutschen Kombattanten für einen Sieg der staufisch-kapetingischen Koalition über Otto IV. und seine englischen Unterstützer. Somit sicherten besonders Innozenz und Philipp dem Staufer seine königliche Herrschaft – wobei sich das Bündnis mit dem Papst als wenig belastbar erwies, da Friedrich wegen seiner offensiven Kirchenpolitik und uneingelöster Versprechungen gegenüber der Kurie schon bald in Konflikt mit dem Nachfolger Petri geriet. Diese Auseinandersetzungen sollten in der Folgezeit auch den Franziskanerorden tangieren, jedoch schließlich zum Untergang des staufischen Herrscherhauses führen.

4 Politische Strukturen und Rivalitäten in Grafschaft und Stadt Assisi (ca. 1150–1200)

Assisi wurde im 12. Jahrhundert als Teil des Herzogtums Spoleto vielfach in die Wirren zwischen imperium und sacerdotium hineingezogen. Seit dem sog. Investiturstreit wurde der Dukat von den Kaisern bzw. eingesetzten Herzögen beherrscht. Auch die Staufer beanspruchten das Herzogtum, welches Friedrich I. an den größten Territorialherrn Mittelitaliens, Welf VI., als Lehen gab (1152). Da der Staufer seit Roncaglia (1158) seine Restaurationspolitik intensivierte und zahlreiche Städte durch Einzelverträge stärker an sich zu binden suchte, entzog er Welf wichtige Territorien im Herzogtum und unterstellte dieses zudem direkter kaiserlicher Herrschaft; vielleicht entstand hierbei eine eigene Grafschaft Assisi (1160). Trotz der Kämpfe während der drei folgenden Italienzüge Barbarossas (1158–68) prosperierte Assisi, wobei Welf nach dem Tode seines gleichnamigen Sohnes (1167) jegliches Interesse an seinen Herzogtümern Spoleto und Tuszien verlor und diese bald an Friedrich I. verkaufte. Der Staufer übertrug Christian I. (von Buch), Erzbischof von Mainz, als kaiserlichem Legaten die Herrschaft über die fraglichen Territorien, der zudem als Militärführer in Italien (Tusculum 1167) und als diplomatischer Vermittler im Deutschen Reich tätig war. Der Fehlschlag des 4. Italienzuges (1168) sowie Unruhen im Deutschen Reich schwächten die Position Barbarossas weiter, so dass vor allem in Mittelitalien Revolten von Städten gegen die deutsche Herrschaft ausbrachen. Erneut fiel Erzbischof Christian die Rolle zu, mit militärischen Mitteln den Machtanspruch seines kaiserlichen Herrn durchzusetzen, so dass zahllose Konflikte (u. a. in Umbrien) mit einzelnen Städten folgten. Angeblich eroberte er hierbei auch die Stadt und Umgebung Assisis (1172/73), wobei die Festung (Rocca Maggiore) ausgebaut und mit einer Garnison belegt wurde.

Umbrien heute

Eine Zäsur erfolgte mit dem 5. Italienzug (1174–78), in dessen Verlauf die Herzogswürde für Spoleto auf Konrad von Urslingen, einen Vertrauten des Staufers, übertragen wurde. Dem schwäbischen Adligen gelang es, seine Herrschaft zu sichern, obwohl Barbarossa nach militärischen Niederlagen Frieden schließen musste – zuerst 1177 in Venedig mit Papst Alexander, 1183 in Konstanz mit der Lega Lombarda. Während sich Friedrich in der Folgezeit um Herrschaftsstabilisierung in Deutschland und um Ausgleich mit dem Papsttum bemühte (Verona 1184), hielten die militärischen Spannungen in Mittelitalien an. Obwohl der Kaiser auf seinem 6. Italienzug (1184–86) wieder um Kooperation bemüht war (z. B. mit Spoleto), blieb Papst Urban III. als Territorialherr bestrebt, wichtige Städte (wie Florenz, Siena) dem Staufer zu entfremden. Erst Heinrich (VI.), der vom Vater mit der Wahrnehmung seiner Herrschaft in Italien (als Caesar) betraut worden war, ging offensiver gegen den Papst vor, griff 1186 den Kirchenstaat an und begann danach mit Eroberungen im päpstlichen Einflussbereich (u. a. Lucca, Siena). Hierauf folgten Heerzüge u. a. gegen Perugia und Viterbo, die von den Kaiserlichen eingenommen und mit Strafsteuern belegt wurden.

Unverändert blieben die Herrschaftsrechte der Päpste in Umbrien bzw. im Herzogtum Spoleto umstritten, so dass sich der Kaiser zu langwierigen Verhandlungen besonders mit Clemens III. veranlasst sah (1187–90). Nach dem Tode Barbarossas 1190 verschoben sich die Handlungsschwerpunkte für seinen Nachfolger Heinrich VI., da dieser sich auf Herrschaftsstabilisierung im Deutschen Reich und Durchsetzung der Thronansprüche seiner Gattin auf Sizilien konzentrieren musste. Dem Herzog von Spoleto kam hierbei wachsende Bedeutung zu, da er das Vertrauen des Kaisers genoss und u. a. mit der Erziehung des Thronerben Friedrich (II.) beauftragt wurde. Zudem ernannte der Staufer Konrad 1195 zum Reichsvikar für Sizilien, wodurch dessen Engagement für sein Herzogtum zwangsläufig gemindert wurde und sich papstfreundliche Kräfte entfalten konnten.

Der plötzliche Tod Heinrichs VI. im Jahr 1197und seine ungeklärte Nachfolge hatten auch Auswirkungen auf Assisi bzw. Umbrien, wo kaiserliche und päpstliche Herrschaftsansprüche weiter konkurrierten und Unruhen ausbrachen. Papst Innozenz III. versuchte, die politischen Wirren in Italien zu seinen Gunsten zu nutzen und die päpstliche Rekuperationspolitik in Mittelitalien fortzusetzen. Zahlreiche deutsche Reichsrepräsentanten – wie Konrad von Urslingen – sahen ihre Machtgrundlagen gefährdet; daher entschloss sich der Herzog, nach Rom zu reisen, um sich dem Papst zu unterwerfen und ihm eigenmächtig die Territorien Assisis zu übereignen. Innozenz überging ihn jedoch, machte eigene Machtansprüche in zahlreichen Städten Mittelitaliens geltend und strebte direkte Herrschaft im Dukat Spoleto an; zudem verfügte er, die Burg von Assisi in Besitz zu nehmen. Diese Ansprüche stießen in der Bürgerschaft auf Ablehnung, die das entstandene Machtvakuum nutzte, um die deutsche Fremdherrschaft zu beenden und 1198 die kaiserliche Burg zu zerstören.

Nach der Ablehnung der kaiserlichen wie päpstlichen Herrschaft durch die Bürger von Assisi folgte eine innerstädtische Revolte, die sich gegen die bestehenden feudalen Gesellschaftsstrukturen richtete. Bislang hatten die Adligen (maiores) aufgrund von Geburt und Stand die politischen Institutionen dominiert und über die anderen, »niederen« Gesellschaftsgruppen (minores) geherrscht. Bei diesen »Minderen« kam den Kaufleuten, die Handel und Wirtschaft der Stadt beherrschten, eine Führungsrolle zu. Spätestens im Zusammenhang mit der Durchsetzung der Geldwirtschaft in Italien hatten sich auch in Assisi die Kräfteverhältnisse in der Gesellschaft verschoben, in der nicht länger nur der Geburtsstand, sondern nunmehr auch Besitz und Vermögen entscheidend für die soziale Stellung einer Person wurden. Vor allem die reichen Kaufleute (eine Art »mittelalterlicher Bourgeoisie«) forderten, gemäß ihrer führenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stellung, auch eine angemessene Mitwirkung im politischen Geschehen. Da die maiores nicht bereit waren, freiwillig ihre Machtpositionen aufzugeben, kam es zum Bürgerkrieg, in dessen Verlauf viele Adlige aus Assisi vertrieben wurden und der popolo – auch gegen den Bischof – eine Commune etablierte.

Die zumeist nach Perugia geflohenen maiores betrieben erfolgreich ihre Rückkehr, die von der Nachbarstadt kriegerisch unterstützt und nach einem Sieg über das Heer Assisis im Jahr 1202 auch realisiert wurde. Obwohl die zurückgekehrten Adligen zeitweise Besitzrestitutionen und eine Restauration der alten Herrschaftsstrukturen durchsetzen konnten, blieb die politische Lage in Assisi labil, zumal sich auch hier der deutsche Thronstreit (u. a. durch Verfügungen Philipps von Schwaben und Ottos IV.) auswirkte. Möglicherweise war – nach der Eroberung des Contado von Perugia durch den Welfen – sogar der endgültige Friedensschluss zwischen den Fraktionen in Assisi (1210) auf sein Betreiben zurückzuführen. In der Carta pacis vom 9. November wurde nicht nur das Selbstverwaltungsrecht der Bürgerschaft (Commune) festgeschrieben, sondern es wurden auch wesentliche Elemente einer feudalen Gesellschaftsordnung zugunsten der minores beseitigt. Dennoch konnten die Bürger nicht verhindern, dass die Stadt (wie der Dukat Spoleto) später unter päpstliche Herrschaft geriet bzw. Teil des Kirchenstaates wurde. All diese Vorgänge sollten sich als prägend für den Kaufmannssohn Francesco Bernardone und seine zeitweiligen sozialen Aufstiegsphantasien erweisen.

5 Franziskus – Existenz und Charisma

5.1 Existentielle Sinnsuche

Jeunesse dorée

Der »Mann Gottes« (Gef 15) wurde Ende 1181 oder Anfang 1182 als älterer Sohn der Eheleute Bernardone in Assisi geboren. Sein Vater Pietro aus »minderem Stand« hatte es durch Tuchhandel und vielleicht auch Manufaktur zu beachtlichem Wohlstand und Ansehen gebracht. Seine Gattin Johanna (gen. »Pica« – »Elster«) stammte vielleicht aus Lucca bzw. Assisi und schenkte Pietro mehrere Kinder, von denen nur Angelo namentlich bekannt ist. Der ältere Bruder erhielt bei der Taufe in der Kathedrale in Assisi den Namen »Giovanni« (Johannes), doch zog es der zum Zeitpunkt der Geburt abwesende Vater nach der Rückkehr aufgrund seiner Affinität zu Frankreich vor, den Sprössling »Francesco« (Franzose) zu nennen (Gef 2). Die wenigen Nachrichten über das Verhältnis der Eltern zu den Kindern, insbesondere zu ihrem Ältesten, sind widersprüchlich: So behauptete etwa der zölibatäre Ordenschronist Celano summarisch, sie hätten Franziskus »nach den eitlen Grundsätzen der Welt hoffärtig erzogen«, worauf dieser »ihr erbärmliches Leben und Gebaren lange Zeit nachahmte« (1 C 1). Spätere Chronisten betonten hingegen, dass die Eltern den Sohn »aufs Zärtlichste liebten«, ihn verwöhnten und »in seinem Treiben gewähren« ließen, um ihn nicht zu stören (Gef 2). Sogar Celano änderte später sein Bild von den Eltern, besonders der Mutter, die nunmehr als »Freundin aller Ehrbarkeit« und als »Abbild der Tugendgröße« (ähnlich der hl. Elisabeth) erschien und von der göttlichen Berufung ihres Sohnes überzeugt war (2 C 3).

Denkmal für die Eltern von Franziskus in Assisi. Pica hält eine zerbrochene Kette, Pietro den abgelegten Rock.

Unbestreitbar ist, dass Franziskus in behüteten Verhältnissen aufwuchs, ihn die Eltern schätzten und nach den Normen ihres Standes aufzogen. So schickte ihn der Vater auf die Pfarrschule von San Giorgio (1190/91), wo der Sohn eine Elementarausbildung erhielt (mit Kenntnissen des Latein), um später wahrscheinlich das väterliche Geschäft zu übernehmen (1 C 23). Dennoch betrachtete sich Franziskus zeitlebens als illitteratus, d. h. im Sinne der Ausbildung eines Geistlichen als »Ungebildeter«. Hinzu kamen – sicherlich vermittelt durch den Vater – Grundkenntnisse im Provenzalischen, vertieft durch die Lektüre französischer Ritterromane sowie epischer Texte (wie Artus- und Rolands-Sage) (Gef 10