Frau Mandelkern lud zum Tee - Katharina Mälzer - E-Book

Frau Mandelkern lud zum Tee E-Book

Katharina Mälzer

4,8

Beschreibung

Das Leben ist schön. Das Leben ist vielfältig. Es stellt mitunter hohe Anforderungen an jeden einzelnen. Manche kommen damit zurecht, andere zerbrechen daran. Die Kochkünste der Freundin oder das Zeitmanagement eines Schmuckverkäufers. Die junge Mutter im täglichen Stress oder der Theaterintendant, dem das Finanzloch zu schaffen macht. Der Polizist in seiner Auseinandersetzung mit den Ursachen der Raserei oder der Disput zweier Psychologen über eine Träumerin. Schön ist das Leben und bunt! Und hier zu lesen in elf Erzählungen.

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Katharina Mälzer wurde 1960 in Hohenstein Ernstthal geboren. Seit dem Chemiestudium lebt sie in der Domstadt Merseburg. Sie arbeitet in der chemischen bzw. pharmazeutischen Industrie.

2010 schrieb sie den Erzählband Achteinhalb Jahrzehnte.

2012 belegte sie bei dem Schreibwettbewerb Wie kam der Gabelstein auf den Domplatz? den dritten Platz.

Für meine Eltern,

ohne die ich nicht wäre,

was ich bin.

Inhalt

Sonne, Mond und Sehnsucht

Steinreich

Schokoladenpudding

Sanddorn

Das ungleiche Paar

Tatortgemeinde

Wie ein Vögelchen

Die Rechnung

Der Besuch

Hannas letzte Nachricht

Frau Mandelkern lud zum Tee

Sonne, Mond und Sehnsucht

Lau war die Sommernacht und der Mond warf lange Schatten auf die erste Gestalt, die in bedächtigem Schritt, nicht zu schnell, nicht zu langsam, aber zielgerichtet von der musikerfüllten zur stillen, nur meeresumrauschten Seite der Insel ging. Es gab nur diesen einen Weg, wenn man nicht durch den feuchten, sich nachts ausruhenden Sand am Strand entlang gehen wollte.

Eine zweite einsame Gestalt bewegte sich in gleicher Richtung, graziler, vielleicht weiblich, im Vergleich zur ersten mit einem flotteren Schritt.

Seltsam mutete nun die dritte Gestalt an, die fast schon wie in einer mathematischen Reihe – in gleichem zeitlichen als auch örtlichen Abstand folgte. Nur rannte diese von Zeit zu Zeit.

Die Sonne scheint, brütend streckt sie ihre Strahlen über alles: das Meer, welches sanft und beinahe bewegungslos den glühenden Strand berührt und die Menschen, die auf Liegen und Matten, häufig ein aufgeklapptes Buch wie ein schützendes Dach über Bäuche gestülpt, vor sich hin dösen. Kinder, die still im seichten Wasser sitzen, stieren, die Plasteeimerchen in der einen, in der anderen Hand die Schippe, in das klare Wasser, aus dem sie die gefährlichen Medusen zu fischen hoffen.

Francesco, kubaliebender Italiener, hatte mit den ersten Sonnenstrahlen seinen Verkaufsstand aufgebaut. Er pfiff munter eine Melodie, die sich einem ins Hirn grub, hatte man sie erst einmal gehört. Kuba schien das Thema seines Standes zu sein, die Musikkassetten, das große Buch über die Geschichte des kubanischen Geldes, mit vielen Fotos, auf denen – stolz präsentierte er sie auserwählten Standbesuchern – sein Vater mit bedeutenden kubanischen Politikern zu sehen war.

Wenn Francescos offenes Hemd durch den Wind aufgeweht wurde, erblickte man Che Guevara, die in seine Brust tätowierte Illusion.

Stefan war das erste Mal auf der kleinen italienischen Insel. Er gehörte allerdings rasch zu den Auserwählten, die einen Blick ins heilige Buch Francescos werfen durften.

Eigentlich hatte er nur direkt vom Inselbäcker Ciabatta fürs Frühstück für sich und seine Freunde geholt, die den kühlen Morgen noch zum Schlafen nutzten, ehe die Körper wieder in der Sonne brutzelten. Und nun zögerte er vor dem Stand, um Ausschau nach einer geeigneten Kopfbedeckung zu halten. Er schaute lange, faßte nichts an, guckte nur von unten, von der Seite, bis sich Francesco zu ihm gesellte.

Das sich schwer entwickelnde Gespräch aus englischen, spanischen und italienischen Wortfetzen begann mit einer Seelenverwandtschaft aus Alter und Einsamkeit. Es endete mit einer Einladung zum kubanischen Abend mit einer Band von der benachbarten Hauptinsel.

Stefan bekam einen beigefarbenen Stoffhut verpaßt. Er traute sich nicht an die gehäkelte Kappe, wie Francesco sie über seinem weißen langen Haar trug. Ja, hätte er so schönes langes Haar wie Francesco, dann vielleicht, aber so schütter, wie es bei ihm war, da schützten ihn die lockeren Luftmaschen der Kappe kaum vor der Sonne. Es sei kein Problem, meinte Francesco, wenn er erst heute abend oder morgen bezahle. Der Hut kostete fast nichts, aber Stefan hatte das Geld für die Ciabatta exakt ab - gezählt mitgenommen.

Stefan brauchte eine gewisse Überredungskunst, um Clara und Nick, die schon viele Sommer auf der Insel verbracht hatten und daher auch die abgehalfterten Alleinunterhalter kannten, die an Urlaubsorten für wenig Geld mit viel Alkohol im Blut „Blutsverwandten“ aufspielten, für den Geheimtip Francescos zu begeistern. Eine Live-Band von der Nachbarinsel, die kubanische Musik spielen würde! Stefan kannte die beiden erst wenige Jahre, war aber mittlerweile mit ihnen gut vertraut, man hatte Gedanken und Meinungen ausgetauscht, in der Sturm-undDrang-Zeit gleich gedacht und gelebt und geliebt, obwohl sie in unterschiedlichen politischen Systemen groß geworden waren. Die Schwarzweißfotos der Jugendzeit wären beliebig austauschbar gewesen. Sie hatten ihn gesehen, wie er damals mit langem Haar und knabenhafter Figur im alten Mercedes seines Vaters mit Dachzelt campte. Seither guckte ihn manchmal Clara so eindringlich an, als ob sie ihn wiedererkennen wolle. So fragend, ob denn alles vorbei sei, das Gefühl, die Sehnsucht, die in einem hochsteigt. Die Wünsche, die man vage hatte, daß etwas passiere, ohne sagen zu können, was denn passieren soll. Daß irgendwann das Leben beginnt, das Erwachsenwerden, als sei ´s eine Metamorphose. Und nun war man erwachsen und vermißte den erwarteten Zauber. Stefan dachte an Vanessa, auf den Fotos von damals so rank und schlank – über der Bikinihose war der erste Ansatz zu sehen, wenn man genau hinschaute und suchte, der die Massen von heute ankündigte: Vanessa, die sich fast verdreifacht hatte.

I Fraglioni, die Kneipe direkt am Hafen, war am Abend kaum wiederzuerkennen. Weiße Tischdecken, dezente Beleuchtung, man sah noch hin und her eilende Kellner. Die Band war noch nicht zu sehen, aber die Instrumente lagen schon bereit.

Stefan, Nick und Clara zogen schon die Stühle nach hinten, als sie bemerkten, daß der Dreiertisch ein Besetzt-Schild trug. Sie nahmen den nächsten Tisch weiter hinten, aber noch mit Blick zur Band, da begann die Musik. Die Lautsprecherbox hing direkt über ihren Ohren. Kurz verstummten ihre Gespräche, um dann lauter zu werden, man schrie die unverstandenen Worte mehrfach und durchdringender in die einzelnen Ohren, brüllte antwortend oder nachfragend zurück.

Sie packten ihre Cuba Libre und zogen nochmals um. Sofort kam die adrette Kellnerin, kassierte schnell ab, wer weiß, wohin die drei heute noch ziehen werden mit ihren Getränken.

Die Band bestand aus drei Musikern, uralt, von der Sonne verwöhnt mit ihrer gebräunten Haut, lange Haare, einer mit dunkler Wollmütze, kappenartig tief über den Kopf gestülpt. Ein anderer trug eine große Brille, mit einem Metallstab zog er über die Saiten seiner Gitarre, die er sitzend auf seinen Oberschenkeln liegen hatte. Es wurde gewechselt auf Mandoline und ganz exotische Saiteninstrumente. Ein klappriger Musiker, vertieft in seinen Sound, stand mit Inbrunst an den Tambales und rasselte den Zuhörern seinen Rhythmus ins Blut.

Ah, Buena Vista Social Club, der Chan Chan, der, einmal gehört, sich tief ins Hirn grub!

Die Kneipe füllte sich. Aufgemotzte Italiener, die sich ihres Auftritts bewußt waren. Junge, hübsche Mädchen, zart und noch zarter gekleidet, die aufrecht durch die Tischreihen zogen, einen Arm seltsam nach hinten verbogen. Am verbogenen Arm wurden kleine Kinder hinterhergezogen. Wahrscheinlich war das Kindermädchen ausgefallen, oder waren es gar die Kindermädchen selbst? Niemand wollte die Band verpassen.

Ein blonder, junger Mann, aus den Requisiten von Bay Watch entstiegen, schien nach einer passenden Schönheit zu suchen. So viele Menschen beherbergte die Insel gar nicht, die hier zu Höchstform aufliefen.

Die Musik dröhnte, die drei hielten ihre Köpfe zusammengesteckt, zwei können jetzt immer den dritten sprechen hören. Der nächste Cuba Libre wurde gebracht, die Kellnerin schwebte wie eine Elfe, sie lief barfuß!

Francesco tauchte auf, er spendierte einen Piccolo – für drei? Beim Öffnen flog Konfetti. Francesco, der alte Genießer, war umringt von jungen Mädchen. Er genoß sichtlich deren Frische, schien sie förmlich in sich aufzusaugen, als schöpfe er daraus seine Kraft für die kommende Zeit.

Auch Stefan betrachtete die Mädchen Francescos, beugte sich zu Clara, suchte ihren Rat bei seiner Wahl: ja, die dort fände er schön, um schnell zurückzurudern, als würde ihm Clara seinen Wunsch sofort erfüllen können. Nein, die Brüste seien doch zu groß. Und als er Clara ein Kompliment für ihre schönen Brüste machte, die er ja am Strand bei hellster Sonne gesehen hatte, erschrocken ob seiner Keckheit innehaltend, merkte er, daß Clara ihm offen und lächelnd, vor allem aufmunternd nach mehr in die Augen blickte. Und er sprach weiter, über Clara! Clara fragte ihn, ob ihm Vanessa damals gefallen hätte. Er sagte, ja, damals!

Nick guckte irritiert, ließ sich kurz von Clara aufklären, um vorzuschlagen, sie sollten beide gehen, um Stefan seine Chance zu lassen. Clara lachte, ob er ernsthaft an so was glaube und ließ Nick ziehen.

Die von Stefan Favorisierte setzte sich an den Nebentisch – allein – auch sie wartete. Wartete auf jemanden, der sie ansprechen würde.

Clara fühlte sich im Weg. Sie wünschte ihm Glück. Und wenn er kein Italienisch verstehe, Lächeln und Küssen seien international verständlich.

Sie ging.

Er versuchte zu lächeln, bestellte noch einen Cuba Libre, nahm ein, zwei Schluck und verließ das Lokal.

Lau war die Sommernacht und der Mond warf lange Schatten.

Steinreich

Es ist der kleine Laden in einem Badeort im Meißner Wald, inmitten des hübschen Zentrums. Da, wo jeder auf den Kurgast wartet, alles schön vorbereitet ist für dessen Kommen. Ob Gemüsehändler, Boutiquen. Cafés, die Stühle und Tische stehen einsam und leer, auf den Stuhllehnen hängen die Decken. Es ist trüb und kalt.

Vor dem Laden hängen am Ständer die seidenen Fäden, an denen wiederum die Kreuze, kleine Kugeln oder Tropfen aus Amethyst, Rosenquarz, Hämatit. Vor Wochen, als Paula Klein jemanden suchte, um nach dem Weg zu fragen, stand er neben den Ständern, und sie fragte ihn, und er lief mit ihr ein winziges Stück bis um die Ecke, zeigte mit ausgestrecktem Arm den Weg, bis hinunter zu dem kleinen Häuschen, rechts herum und schon sei man am Ziel.

Nun betritt sie diesen kleinen Laden, weiß, daß der alte interessante Mann da ist. Sie geht, ihren Kopf einziehend, durch die niedrige Tür, steht im Laden, der alte Mann mit dem weißen Haar und der Schiebermütze sitzt an seinem Verkaufstisch. Paula lächelt ihn an, sie suche nach Farben, zeigt auf die über dem Tisch hängenden Schmuckstücke: alles Handarbeit – spricht er, und obwohl der Preis sichtbar ist, nennt er ihn. Die Kreuze, milchiggrün, türkisblau, schwarz, interessieren sie nicht. Sie suche etwas Rotes, rubin- oder korallenrot. Korallen? Diesen Verkauf wolle er nicht fördern. MK-Perlen wären wohl manchmal rot, je nachdem, welche Materialien miteinander verklebt würden. Er liest die Frage in ihrem Gesicht – MK-Perle? Muschelkern, pulverisiert. Aber er könne mit zartrosa helfen. Sie erblickt die Rosenquarzkugel. Sie faßt sie an, Leder? Nein, Seidenstrickband; geschmeidiger sei es mit Seide. Sie lächelt, er beschreibt die Kugel, die sie sieht: Rosenquarz, eingefaßt in Silber, in Delphinform. Sie überlegt nicht, hatte schon entschieden, schon vor Betreten des Raumes, daß sie etwas kauft. Ob er auch Lederbänder habe, in natürlichem