Fräulein Kniffkes geheime Heldenschule 1: Stinkesocken auf 12 Uhr - Lena Havek - E-Book

Fräulein Kniffkes geheime Heldenschule 1: Stinkesocken auf 12 Uhr E-Book

Lena Havek

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Beschreibung

In jedem Kind steckt ein Held!

Nach der Trennung seiner Eltern hat es Arthur nicht leicht: neue Stadt, neue Schule, halbes Taschengeld, keine Freunde. Zu allem Übel steckt ihn seine Mutter auch noch in eine Blockflötengruppe. Doch die Musiklehrerin Fräulein Kniffke ist in Wahrheit eine durchtrainierte Wissenschaftlerin mit High-Tech-Anzug, die ihre Schüler in der alten Villa am Stadtrand zu Helden ausbildet, um im Bedarfsfall die Welt zu retten. Zusammen mit der eigensinnigen Maxi und dem stotternden Tim, bewaffnet mit sehr speziellen Blockflöten, erhält Arthur seinen ersten Auftrag: einer durchgedrehten Sockensuchmaschine das Handwerk legen.

Für alle Kinder, die selbst gerne mutiger wären, sich aber nicht trauen. Diese Geschichte macht stark!

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Das Buch

In jedem steckt ein Held! Nach der Trennung seiner Eltern hat es Arthur nicht leicht: neue Stadt, neue Schule, halbes Taschengeld, keine Freunde. Zu allem Übel steckt ihn seine Mutter in eine Musikschule. Doch die alte Villa am Stadtrand ist nur Tarnung: In Wahrheit ist die Blockflötenlehrerin Fräulein Kniffke eine durchtrainierte Wissenschaftlerin mit High-Tech-Anzug, die ihre Schüler zu Helden ausbildet, um bei Bedarf die Welt zu retten. Gemeinsam mit Maxi und Tim erhält Arthur auch prompt seinen ersten Auftrag: Ausgestattet mit sehr speziellen Blockflöten müssen sie einer durchgedrehten Sockensuchmaschine, die ihr Unwesen in der Kanalisation treibt, das Handwerk legen …

Die Autorin

© Carola Wiese

Lena Havek hat Literaturwissenschaften studiert und fand Kinder immer total blöd. Irgendwann hat sich das schlagartig geändert – jetzt hat sie ganze vier Stück davon. Drei Söhne und eine Tochter. Und weil sie mit denen tagsüber die wildesten Geschichten erlebt, schreibt sie die nachts einfach auf. Nur gaaanz leicht verändert. Ehrenwort!

Lena Havek auf Instagram:https://www.instagram.com/lena.havek

Der Verlag

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Viel Spaß beim Lesen!

Eine Superheldengeschichte mit allem.Und Blockflöten.

Es war einmal ein Jahr, in dem ich für jedes meiner (damals erst drei) Kinder eine Geschichte schreiben wollte.

Der älteste Sohn wünschte sich etwas mit Wikingern und Abenteuern, also schrieb ich Papa – Plötzlich Wikinger. Die kleine Tochter wünschte sich eine Story mit Einhörnern. Auch das war kein Problem.

Nur der mittlere Sohn bereitete mir etwas Kopfzerbrechen. Er wollte nämlich eine Geschichte mit allem. Ich fragte nach, was er mit »allem« meinte, und er zählte auf: Ritter, Gespenster, Pistolen, Drachen, Hexen, Astronauten, Monster, Räuber, Vampire, Weltraumraketen, Laserkanonen, fliegende Autos, natürlich auch Ritterburgen, U-Boote – und Pupse. Zu richtig guten, witzigen Geschichten gehören unbedingt auch Pupse, fand er.

Selbst für eine abgebrühte Autorin wie mich war das nicht so einfach. Es dauerte ein paar Wochen, bis die Rädchen ganz tief in meinem Gehirn richtig angelaufen waren.

Aber dann! Über Nacht (und ich lüge nicht, wenn ich sage, dass es eine stürmische Vollmondnacht war) spuckte mein Gehirn endlich eine Geschichte mit allem aus. Und Blockflöten dazu!

Hier ist sie. Für dich, Arthur. Und für alle anderen, die gerne Geschichten mit allem mögen.

Ätzend. Total voll mega ätzend bis mindestens zum Erdkern. So ätzend, dass gar nichts mehr übrig bleibt. So ätzend fand ich Fräulein Kniffke, als ich sie zum ersten Mal sah. Mindestens. Ich meine, ich wollte zum Karate. Ich wollte lernen, wie man kämpft! Und nicht, wie man eine Blockflöte richtig hält. Wenn man neu in der Stadt ist und keine Freunde hat, ist eine bescheuerte Blockflöte wirklich das Allerletzte, was man braucht.

Fräulein Kniffke aber war von den geheimen Mächten des Schicksals dazu auserkoren worden, meine Blockflötenlehrerin zu sein. Sie trug ein knöchellanges Blümchenkleid, unter dem eine braune Strumpfhose und schwarze Sandalen hervorschauten, dazu eine gelbe Strickjacke und eine runde Brille mit dickem Rand, hinter der ihre Augen winzig klein aussahen. Eine richtige Eulenbrille. Ihre Haare waren grau und oben straff zu einem dicken Knoten zusammengesteckt. Es sah aus, als hätte sie einen dreckigen Schneeball auf dem Kopf.

NIEEEEMALS wäre ich freiwillig zu ihr in den Unterricht gegangen. Sogar die oberlangweiligsten Lehrerinnen aller Zeiten sahen cooler aus.

Doch gestern hatte zwischen unserer normalen Post ein bunter Werbeprospekt gelegen: »Du willst Spaß mit Musik und netten Leuten? Kniffkes Flötengruppe sucht DICH! Diesen Samstag Gratis-Doppelstunde zum Kennenlernen!«

Nach all den Briefen mit Strom, Telefon, Schule, Vermieter, Versicherungs- und Steuerkram war das tatsächlich die erste freundliche Nachricht in unserem Briefkasten. Leider hatte ich es nicht geschafft, diesen blöden Werbeprospekt rechtzeitig verschwinden zu lassen.

Und da war ich jetzt also. Spaß mit Musik und netten Leuten. Ja genau. Nach Spaß sah dieses Fräulein Kniffke wirklich nicht aus. Sie war nicht besonders groß und auch nicht besonders klein. Sie war auch nicht besonders dick, aber dünn war sie nun auch wieder nicht. Eigentlich hatte sie eine richtige Oma-Figur. Das Einzige, was an ihr nicht omamäßig aussah, waren ihre Hände und Finger. Die waren nämlich dünn und knochig und ein bisschen hexenmäßig. Die Fingernägel trug sie lang und spitz und weiß lackiert. War bei Flötenlehrerinnen wohl gerade modern. Oder die brauchten das, um irgendwelche Luftlöcher auf den Flöten besser zu treffen.

»Halli-Hallo-Hallöchen!«, sagte sie und schüttelte erst meiner Mutter und dann mir mit ihren Hexenfingern die Hand. »Wenn das mal nicht mein neuer Flötenschüler ist. Herzlich willkommen bei uns!« Sie hatte eine Sehr-alte-Oma-Stimme, tief und knarzig. Vielleicht hatte sie als junge Frau zu viel geraucht. Dabei hatte sie ein Dauerlächeln aufgesetzt: »Ich bin Karola Kniffke und du bist Arthur, nicht wahr?«

»Bin ich«, sagte ich, weil ich ja irgendwas sagen musste. In meine Stimme legte ich so viel Desinteresse wie möglich, um dieser Kniffke keine falschen Hoffnungen zu machen.

Ich sagte nicht, dass ich lieber zu Karate wollte, aber wir nicht genug Geld dafür hatten. Ich sagte auch nicht, dass meine Mutter ein schlechtes Gewissen wegen der Trennung von Papa hatte und deshalb hoffte, ich könnte beim Flöten vielleicht neue Freunde finden. Das alles sagte ich nicht. Aber ich war kurz davor.

Ihr fragt euch jetzt bestimmt, wie ich überhaupt in so eine blöde Lage geraten bin? Nun ja, eigentlich hat alles mit unserem Umzug hierher begonnen. Papa und Mama wollten nicht mehr zusammen in einer Wohnung leben. War ziemlich unangenehm, bis sie diese Entscheidung endlich getroffen haben. In dieser Zeit hat Mama einen neuen Job in der Nachbarstadt angeboten bekommen – und zack, Gelegenheit genutzt. Nun wohnen wir in einem Mehrfamilienhaus am Ende der Ahornallee, dritter Stock. Wir haben sozusagen alle ein neues Leben angefangen. Aber ich hätte mein altes ganz gerne behalten.

Ich war erst eine Woche an der neuen Schule, und trotzdem war alles beknackt. Am Freitag hatte mir mein Mitschüler Enzo in der Pause erklärt, dass Streber in seiner Klasse nicht willkommen seien. Ich verstand nur die Hälfte, weil um uns herum eine Horde kreischender Fünftklässler Fangen spielte, aber vermutlich meinte er mit Streber mich. Enzos großer, breiter Kumpel Brian stand jedenfalls daneben und nickte bei jedem Wort drohend. Brian war der Schlechteste in unserer Klasse, so viel hatte ich schon mitbekommen. Aber seit wann war ich bitte schön ein Streber? An meiner alten Schule hätten sich die Lehrer vor Lachen in die Hosen gemacht. Wir konnten die Frage nicht abschließend klären, weil die Pause zu Ende ging.

Und dann hatte ich auf dem Heimweg auch noch ein Mädchen übersehen und war ihr mit meinem Fahrrad voll hinten reingefahren. Konnte ich doch nichts dafür, dass sie so schwarzgrau gekleidet war! Dunkle Haare, dunkle Klamotten, dunkle Schultasche, alles in Straßenbelagfarbe. Nur ihre Kniestrümpfe waren knallbunt geringelt. Weil das so überhaupt nicht zu ihrem grauen Rock und ihrem grauen Pullover passte, hatte ich die Kniestrümpfe für Straßenmalkreide gehalten.

Glücklicherweise war ich gerade erst in die Pedale gestiegen und noch nicht besonders schnell. Trotzdem hatte ich genug Schwung, um sie einfach umzunieten. Sie stolperte und streckte die Arme aus und dann – war es extrem seltsam: Anstatt hinzufallen und sich auf dem rauen Teerbelag die Knie und Handflächen aufzuschlagen, rollte sie sich in einem Purzelbaum ab und kam anschließend wieder wie selbstverständlich zum Stehen. Sie drehte sich in einer unglaublich schnellen Bewegung zu mir um, streckte die Fäuste in meine Richtung und machte: »Ha!«

Ganz offensichtlich hatte sie sich überhaupt nicht wehgetan. Da war ich ehrlich gesagt ärmer dran. Ich war zwar nicht umgefallen, hatte aber die Fahrradstange zwischen die Beine bekommen. So fest, dass mir die Tränen kamen. Vielleicht hatte ich deshalb nicht so genau gesehen, was sie da eigentlich für einen Stunt hinlegte.

»Aua!«, schrie das Mädchen mit den bunten Ringelstrümpfen jetzt trotzdem. »Kannst du nicht aufpassen, du Vollhorst?!«

Streber. Vollhorst. Tolle erste Schulwoche.

Ich murmelte eine Entschuldigung und radelte nach Hause, wo ich schon im Treppenhaus von meiner Mutter empfangen wurde. Normalerweise kein gutes Zeichen. Vor allem, wenn sie dabei den Kopf schief legt, mit der rechten Hausschuhspitze auf den Boden trommelt und die Arme so hinter dem Rücken verschränkt hält, als würde sie etwas Fieses verstecken.

»Hi, Mum«, sagte ich wie in den Hollywood-Filmen.

»Hi, Bubi«, sagte Mama übertrieben hoch. Nicht wie in einem Hollywood-Film. Eher wie bei den Teletubbies.

Ich wusste genau: Gleich kommt irgendein Knaller, und zwar kein schöner. Aber zunächst runzelte Mama die Stirn und holte wieder ihre normale Stimme heraus: »Oh, du hast ganz dicke Augen. Hast du geweint?«

»Nur am Fahrrad angehauen. Alles okay«, sagte ich. Stimmte ja auch zur Hälfte.

Mama nickte zufrieden und kam zur Sache. Sie zog die verschränkten Arme hinter dem Rücken hervor und hob anklagend eine einzelne Socke in die Höhe.

»Schau mal genau hin, Arthur. Was ist das?«

Frag nicht so doof, wollte ich sagen. Aber natürlich sagte ich das nicht, sondern antwortete brav und vollkommen wahrheitsgemäß: »Das ist meine Lieblings-Raketensocke.«

»Und wo ist bitte die andere? In der Waschmaschine war bloß diese hier!«

Ich fühlte mich unschuldig, also zuckte ich mit den Schultern. »Vielleicht hat die Waschmaschine sie gefressen.« Das gab es wirklich! Das hatte ich mal irgendwo gelesen.

»Jetzt werd mal nicht frech. Es reicht mir schon, dass du deine Socken immer irgendwo ausziehst und einfach in die Ecke pfefferst!«

»Ich pfeffer meine Socken nicht in die Ecken, Mama!«

»Ach? Und wer hat die einzelne Raketensocke dann geklaut, bitte schön? Der Heilige Geist? Der Osterhase? Die Außerirdischen?«

»Keine Ahnung! Ich war’s jedenfalls nicht. Ich LIEBE diese Raketensocken!«

Mama seufzte. »Es ist doch wirklich zum Verrücktwerden. Entweder du ziehst die Dinger tagelang an, bis man dich auf drei Kilometer gegen den Wind riecht, oder du verlierst sie. Ganz der Papa, muss ich jetzt mal sagen. Macht ihr das eigentlich mit Absicht?«

Jetzt war es an mir, die Arme zu verschränken. »Das ist eine völlig haltlose Unterstellung und entbehrt jeglicher Rechtsgrundlage, Frau Weckmann. Ohne meinen Anwalt werde ich mich zu diesem unbegründeten Vorwurf nicht weiter äußern. Haben Sie überhaupt die Spur eines Beweises?«

Amtsgericht-Sprache hatte sich bei Auseinandersetzungen mit Mama schon öfter bewährt. Zum Glück auch dieses Mal. Sie verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln und umarmte mich. So richtig mit fest an den Busen drücken und über die Haare streicheln. Was sollten die Nachbarn denken! Noch während der Umarmung begann ich, meinen Schulrucksack abzunehmen. Damit es so aussah, als würde sie mir dabei helfen.

Endlich ließ Mama mich wieder los.

»Ach Arthur, ich hab mir die Situation ja auch nicht ausgesucht. Ich weiß schon, dass es für dich nicht leicht ist. Aber tu mir einen Gefallen und wirf deine Socken das nächste Mal doch einfach beide zusammen in die Wäsche, okay?«

Weil ich an diesem Freitagnachmittag wirklich keine weitere Meinungsverschiedenheit mehr gebrauchen konnte, knickte ich ein. Ich versprach, nie wieder einzelne Socken irgendwo in die Ecken zu pfeffern, zu verlieren oder gar zu verstecken.

Beim Abendessen blätterte Mama unsere Post durch und blieb prompt hängen.

»Oh! Schau doch mal«, fing sie an.

»Ja-aah?« Ich versuchte, dieses »Ja-aah?« genauso zu betonen wie sie. Genau wie Mama, wenn ich sie während einer total spannenden Stelle ihrer Lieblings-Fernsehserie abends um halb zehn fragte, ob sie zufällig Ersatzpatronen für meinen Füller auf Lager hätte. Oder wenigstens ein paar Chips.

»Ja-aah …?« Ich fand, es gelang mir ziemlich gut. Täuschend echt. Aber leider merkte Mama das gar nicht.

»Schatzi, da gibt es eine Musikschule direkt bei uns ums Eck!«

»Aah ja«, sagte ich vorsichtig.

»Das ist doch großartig!«, jubelte sie. »Musik ist Herzensbildung, da lernst du was Neues kennen UND die Probestunden sind auch noch kostenlos!«

»Ach, weißt du, Mama … ich bin schon ziemlich geschafft«, sagte ich vorsichtig. »Der Umzug, die neue Schule und alles. Eigentlich wollte ich das erste Wochenende erst mal zu Hause bleiben und mich erholen. Ich meine, wozu soll ich etwas Neues lernen, wenn ich noch nicht mal im Dunkeln den Weg von meinem Zimmer zum Klo finde?«

Aber das verstand Mama natürlich nicht. Auch wenn sie sonst ziemlich viel versteht für eine Mutter. Aber die Sache mit den Socken hatte ihr wohl vorhin den Verständnis-Rest gegeben.

Sie wählte sofort die angegebene Nummer, erwischte einen Anrufbeantworter und meldete mich dort zu dieser Gratis-Doppelstunde an.

Die Musikschule lag gar nicht weit von unserer Wohnung entfernt am Stadtrand. Zu Fuß hatten wir keine fünf Minuten gebraucht. Es war eine uralte Villa in einem verwilderten Park. Von der Straße aus war das Gebäude kaum zu sehen, da es von Büschen umringt war. K. & K. Kniffke stand in altmodischer Schrift auf einem Blechschild neben der Klingel. Darunter, ein bisschen größer und fast unleserlich, das Wort Musik-schule. Die blaue Farbe auf dem Schild war abgeplatzt.

Das rostige Gartentor quietschte wie eine kranke Katze, der jemand auf den Schwanz trat, und das ganze Grundstück wirkte, als ob es noch nie einen Rasenmäher gesehen hätte. Oder eine Heckenschere. Es war zwar eine Garage vorhanden, aber vor dem rostigen Tor hing Efeu in dicken Strängen herab, die Wurzeln so dick wie mein Handgelenk. Hier fuhr unter Garantie niemand mehr Auto. Bäume und Sträucher wucherten so über den Weg, dass man abwechselnd den Kopf einziehen und die Füße heben musste wie ein Storch.

In der alten Villa selbst war wohl auch nicht viel los. Im Dachgeschoss hingen rote Vorhänge und ein Topf mit Schnittlauch stand auf dem Fensterbrett. Dort wohnte also jemand, wahrscheinlich K. & K. Kniffke. Im ersten Stock gab es keine Vorhänge und auch keine Töpfe. Von außen wirkte der erste Stock leer. Doch als wir uns der Villa näherten, wurde dort oben ein Fenster geöffnet, und eine Männerstimme rief: »Und jetzt noch mal, aber bitte in Adagio! Lass das Moll raus, Peter!«

Meine Mutter erschrak sich so sehr, dass sie über eine Wurzel stolperte und ihre Handtasche fallen ließ. Sekunden später fing ein Chor an, ein Lied zu singen. Es ging um die Donau. Klang ziemlich schief und schräg, wenn man mich fragte. Aber ich verstand zum Glück nichts von Musik. Und es fragte mich auch keiner.

An der Eingangstür platzte die Farbe genauso ab wie auf dem Klingelschild, aber sie war unverschlossen und stand einen Spalt offen. Im Treppenhaus hing eine Pinnwand mit zwei Zetteln, einem großen und einem kleinen. Neugierig blieb ich stehen. Auf dem großen Zettel war das Sommerkonzert der Geigenengel angekündigt. In der Aula meiner neuen Schule. Die Frage, was denn Geigenengel überhaupt wären, wurde durch ein schlecht kopiertes Schwarz-Weiß-Foto beantwortet: Bei Geigenengeln handelte es sich offenbar um knapp zwanzig Mädchen in zu klein gewordenen weißen Kommunionkleidern und einem Jungen in einem … Nachthemd seiner Oma. Armer Kerl.

Quer darunter hatte jemand einen knallorangen Streifen geklebt. Beginn pünktlich achtzehn Uhr! Und ich hatte immer gedacht, bei Künstlern ginge es locker zu.

Auf dem kleinen Zettel daneben stand, dass der Lehrerchor ab sofort dienstags statt donnerstags probte. Ich schüttelte mich. Lehrerchöre waren mindestens genauso schlimm wie Geigenengel. Hoffentlich sang da keiner von meinen eigenen Lehrern mit.

»Komm schon, Arthur!«, flötete meine Mutter. »Wir sind gleich da-haa!«

Im Erdgeschoss gab es neben der großen Garderobe noch eine kleine Küche, aus der es ziemlich stark nach Kaffee roch, und daneben die dunkelrote Tür zu Fräulein Kniffkes Flötenzimmer. Dahinter würde ich jetzt eine komplette Gratis-Doppelstunde absitzen. Wenn es blöd auf blöd kam und meine Mama das alles supergut fand, dann stand mir das Schlimmste erst noch bevor: Zweimal die Woche hier Flötenunterricht genießen dürfen beziehungsweise müssen. Und warum sollte meine Mama das alles hier nicht supergut finden? Die Erfahrung der letzten Monate hatte mir eindeutig gezeigt, dass es in meinem Leben im Zweifelsfall immer noch schlimmer kommt als gedacht.

Mama legte mir den Arm um die Schultern und klopfte an. Sofort wurde die Tür von innen aufgerissen. Eine Wolke aus Parfüm und dem Geruch von altem Holz nahm uns gefangen.

Die Wände des Flötenzimmers waren grässlich matschgrün gestrichen. Eigentlich handelte es sich eher um einen Flötensaal als ein Flötenzimmer. Man hätte Fußball darin spielen können. In der einen Ecke stand eine halb vertrocknete Palme, in der anderen ein staubiges Klavier. An der Wand dazwischen hing eine riesige, verbeulte Notentafel. Durch die dicken Fensterscheiben drang fast kein Licht herein, weil das Gelände draußen anstieg und in den Fensterschächten allerlei Gestrüpp wuchs.

Das war alles. Das war Fräulein Kniffkes Musikschule.

Na super.