Freche Mädchen – freche Bücher!: Headline mit Herz - Martina Sahler - E-Book

Freche Mädchen – freche Bücher!: Headline mit Herz E-Book

Sahler, Martina

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Beschreibung

Das gibt es doch nicht! Die Schülerzeitung des Nachbargymnasiums hat zu einem Contest aufgerufen: Wer ist das schönste Mädchen auf dem Schulhof! Absolut machomäßig, findet Merle. Es wäre doch gelacht, wenn sie die Konkurrenz um den arroganten Chefredakteur Leon nicht mit einem Top-Thema übertrumpfen könnten. Denn so leicht lässt Merle sich nicht unterkriegen - vor allem nicht von so einem eingebildeten Schönling ...

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Autorenvita

© franzhamm.de

Rasende Reporterin für eine Tageszeitung, Studium der Germanistik und Anglistik, ein Volontariat beim Verlag und mehrere Jahre als angestellte Lektorin – Martina Sahlers Leben drehte sich immer schon ums Schreiben und um Bücher. Heute arbeitet sie als freie Lektorin, Ghostwriterin und Autorin von Jugendbüchern. »Mein Traum«, wie sie sagt, »weil das junge Mädchen in mir noch sehr lebendig ist und ich mich manchmal in einen Rausch hineinschreibe, der mich selbst überrascht.«

Auf die Frage, wie sie zu ihren Stoffen kommt, antwortet Martina Sahler lachend: »Ich komme nicht zu Stoffen – sie kommen zu mir. Ich höre sehr genau hin, wenn Leute Geschichten von sich erzählen – und spinne sie auf meine Art fort.«

Fürs Schreiben selbst braucht die Autorin absolute Ruhe: »Kein Rufen im Haus, kein Rasenmäher vor dem Fenster, keine Musik aus den Boxen. Nur das Getacker der Tastatur ist zu hören, wenn ich arbeite.«

So wirft die Muse ihr einen Kuss zu, an dem dann monatelang gearbeitet, gefeilt und geschliffen wird, bis Martina Sahler mit dem Ergebnis zufrieden ist.

Sie trifft genau das Lebensgefühl ihrer Leserinnen, wie ihr ein Fan bestätigte: »Ein Mädchen wollte nicht glauben, dass ich schon über 40 bin, weil ich mich nach ihrer Meinung so unglaublich gut in Jugendliche hineinversetzen könne.«

Martina Sahler freut sich über Besuche auf ihrer Website unter www.martinasahler.de.

Buchinfo

Das gibt es doch nicht! Die Schülerzeitung des Nachbargymnasiums hat zu einem Contest aufgerufen: Wer ist das schönste Mädchen auf dem Schulhof! Absolut machomäßig, findet Merle. Es wäre doch gelacht, wenn sie das Konkurrenzblatt des arroganten Chefredakteurs Leon nicht mit einem Topthema übertrumpfen könnten. Denn so leicht lässt Merle sich nicht unterkriegen – vor allem nicht von so einem eingebildeten Schönling …

Eine Merle-Geschichte

Freche Mädchen – freche Bücher

www.frechemaedchen.de

Katastrophenmeldung

»Wahrscheinlich ist das unsere letzte Redaktionskonferenz. Wir können chillen, Leute.« Marvin lehnt sich wie the Bigboss mit verschränkten Armen im Chefsessel zurück, den er zu Beginn des Treffens mit einem Hechtsprung besetzt hat. Die Füße in den abgefahrenen Sportschuhen pflanzt er auf den Konferenztisch.

Das Redaktionsteam unserer Schülerzeitung Insight trifft sich an diesem Montagmorgen im August zum ersten Mal nach den Sommerferien, um die nächste Ausgabe zu bequatschen.

Warum Marvin, der Klugscheißer, sich mal wieder übertrieben gut informiert gibt, weiß ich nicht, aber er tut das ständig. Er ist mit seinen knapp zwölf Jahren der Jüngste im Team, will später mal Sportreporter werden und behauptet, wir hätten ihn nur aufgenommen, damit wir sagen können, die Redaktion setze sich jahrgangsübergreifend zusammen und die Jüngeren hätten genauso viel zu melden wie die Älteren.

Konkret falsch liegt er damit nicht.

Ich könnte gut auf die Labertasche mit den blonden, mit Gel gehärteten Klobürstenhaaren und der gepunkteten Knollennase verzichten. Vor allem, wenn er glaubt, einen Bildungsauftrag zu haben, und uns die Welt erklärt.

Am liebsten würde ich seinen Einwand übergehen und gleich auf den Inhalt der nächsten Ausgabe zu sprechen kommen, aber die anderen starren ihn an.

So hat er sich das erhofft.

Ein sattes Grinsen liegt auf Marvins Hamsterbäckchen.

Das gefällt ihm, im Mittelpunkt zu stehen.

»Wie meinst du das jetzt?«, erkundigt sich Ilona auf ihre etwas behäbige Art. Sie ist lieb und geduldig wie eine Elefantendame und sieht zu ihrem Leidwesen auch so aus. Für ihre dreizehn Jahre ist sie mit einem Meter fünfundachtzig riesengroß und ziemlich schwergewichtig. Manche nennen sie nicht nur hinter ihrem Rücken, sondern offen »Blümchen«, als Anspielung auf den Dickhäuter Benjamin und weil sie mit Nachnamen zudem Blumenberg heißt.

Ich als Chefredakteurin der Insight sehe Ilona als erstklassige Fotografin. Sie hat das perfekte Händchen für Digitalfotografie und schießt nicht nur die originellsten Schnappschüsse, sondern bearbeitet sie auf ihrem PC-Programm auch wie ein Profi. Besser geht’s nicht.

»Ich kann dir sagen, wie er das meint.« Ich drehe mich auf dem Hocker zu Ilona und streiche mir die schwarzbraune Mähne über die Schultern, weil die Locken an meinen Wangen kitzeln. »Marvin findet, es sei Zeit, dass wir uns mal wieder nur um ihn kümmern, auch wenn er den größten Bullshit verzapft. Aber, Leute, hey, wir haben nur diese Freistunde, gleich müssen wir alle wieder in den Unterricht. Ich fände es prickelnd, wenn wir bis dahin zumindest den Inhalt der ersten Ausgabe besprochen und entschieden hätten, wer welchen Artikel schreibt, und …« Der Kugelschreiber, an dem ich mit dem Daumen klicke und drehe, zerfällt in seine Bestandteile. Hülle, Mine und alles drum herum fallen zu meinen Füßen. Ich muss blöderweise auf die Knie gehen, um die Einzelteile zusammenzuklauben.

Die Blicke der anderen brennen mir auf dem Mittelscheitel.

Wie peinlich. Aber nicht ungewöhnlich. Ich bin Weltmeisterin in Sachen Schusseligkeit. Idiotischerweise ist es am gruseligsten, wenn mir wirklich etwas wichtig ist.

»Sehe ich genauso«, stimmt mir Technik-Mann Lasse derweil zu und schiebt die schwarz umrandete Brille, die ihm auf die Nasenspitze gerutscht ist, mit dem Zeigefinger wieder zurück. Er ist mit seinen siebzehn Jahren der Älteste von uns und besucht die Oberstufe.

Nur Celine, die eine Klasse über mir ist und in die 9a geht, schweigt. Die Arme vor der Brust verschränkt, die Augen zu Schlitzen verengt und mit eingefrorener Miene schaut sie zwischen uns hin und her. Sie spricht nur wenig, aber ihrem Reptilienblick entgeht nichts.

»Wir können einpacken«, haut Marvin ungebremst den nächsten Spruch heraus. Ich stöhne genervt, als ich mich wieder auf meinen Stuhl fallen lasse und die gesammelten Kugelschreiberbestandteile vor mich auf den Tisch lege. Technikbastler Lasse beginnt gleich mit der Reparatur. Er kann das blind. Lasse behauptet, seine technische Begabung sei ausgleichende Gerechtigkeit bei jemandem wie ihm, der so sportlich ist wie ein Mettbrötchen.

»Deine Tage als Reporterqueen sind gezählt, Merle«, fährt Marvin fort.

Celines Giggeln klingt wie klirrendes Eis.

Ich finde das so lustig wie Honig auf der Tastatur. »Kannst du mal aufhören, in Rätseln zu quasseln, Marvin? Was ist los? Lass mal Text raus. Macht nichts, wenn’s schnell geht.«

»Wo lebt ihr alle? Habt ihr noch nicht gecheckt, dass wir Konkurrenz bekommen haben? Und zwar von der übelsten Sorte.« Marvins Gesicht leuchtet wie eine Mondlampe im Kinderzimmer, während er unsere Verwirrung genießt.

Wir anderen wechseln Blicke.

Bisher bringen wir die einzige Zeitschrift an der »Gesamtschule am Park« – kurz: GaP – heraus.

Wer braucht eine zweite?

Wir befassen uns mit allem, was an unserer Schule abgeht, berichten brav über den Ausflug der Fünftklässler genauso wie über die Teilnahme an »Jugend forscht« oder den Kulturabend der Oberstufe. Außerdem decken wir – viel spannender! – Missstände auf, wann immer wir auf welche stoßen. Das volle journalistische Programm eben.

»Wer soll das sein?«, erkundigt sich Lasse, während er mir mit einer Verbeugung den reparierten Kuli auf der Handfläche serviert. »Madame?«

Marvin schwingt seine Füße mit einem Plumps auf den Boden. Unfassbar, wie er über sich selbst hinauswächst, während wir an seinen Lippen hängen. Insgeheim rechne ich damit, dass er gleich in wieherndes Gelächter ausbricht und nach Sechstklässler-Art »Verarscht, verarscht!« ruft.

Fehlanzeige.

»War ja klar, dass die irgendwann nachziehen würden«, beginnt Marvin. »Am Gymnasium nebenan wird noch in diesem Monat die neue Schülerzeitschrift in Druck gehen.« Marvin presst zufrieden die Lippen aufeinander und wartet auf Kommentare.

Ilona hebt beide Arme. »Na und?«

Sie nimmt mir das Wort aus dem Mund.

Was juckt es mich, was die Typen am Gymnasium treiben? Die in den Sommerferien renovierte Jugendstilvilla gehört zwar ebenfalls zu dem ansonsten aus Betonplatten bestehenden Schulgebäudekomplex am Park, aber die haben dort einen eigenen Direktor, ein eigenes Lehrerkollegium und selbstverständlich eigene Schulklassen. Wir haben mit den Gymis praktisch nichts am Gang, außer dass bei Schulsportwettkämpfen kriegsähnliche Zustände herrschen. Der Pausenhof ist auf Initiative der Elternpflegschaft des Gymnasiums durch eine Mauer abgetrennt, als würden sich die Schlauschlümpfe üble Krankheiten von den Gesamtschülern holen. Von mir aus können die da täglich eine Zeitung rausgeben. Thema durch.

Marvin haut sich mit der flachen Hand ein paarmal vor die Stirn, dass es klatscht. Offensichtlich angefressen, dass wir nicht im Dreieck hüpfen aufgrund seiner skandalösen Nachricht. »Ihr checkt das nicht, oder? Die geben die Zeitschrift nicht nur fürs Gymnasium raus, sondern auch für uns! Die wird hier überall ausliegen!«

Ups. Ich richte mich auf. »Woher weißt du das?«

»Ich weiß das, weil ich meine Ohren überall habe, wie es sich für einen guten Reporter gehört. Und ich weiß noch viel mehr. Nämlich, womit die ihre erste Ausgabe aufmachen. Ein Knaller, sag ich euch!«

Jetzt hat er uns.

Aus dem Augenwinkel erkenne ich, dass Lasse der Mund aufklappt. Er sieht in etwa so klug aus wie ein Kasten Limo, obwohl er erwiesenermaßen ein Technik-Genie ist, was er mit dem ruinierten Kugelschreiber gerade mal wieder bewiesen hat. Ich fürchte, ich sehe auch aus, als wären mein IQ und meine Schuhgröße identisch.

Marvin lehnt sich zurück, um aus seiner vorderen Jeanstasche einen zusammengeknüllten Zettel herauszupopeln.

Ist die Sache so kompliziert, dass er es sich notieren musste?

Er entfaltet das DIN-A5-Blatt, streicht es auf seinem Oberschenkel glatt und reicht es mir.

Wer ist das schönste Mädchen in den Schulen am Park?
Dein Name:
Deine Klasse:
Das Mädchen deiner Wahl:
Das Wahlergebnis wird in der ersten Ausgabe der No Limits, der Powerzeitschrift der Schulen am Park, bekannt gegeben!
Danke fürs Mitmachen!

Normalerweise fällt es mir nicht schwer, Texte zu erfassen. Einmal überfliegen und gut ist. Aber diesen Flyer lese ich fünf Mal, bis langsam durchsickert, was das bedeutet.

Marvin hat recht: Es wird ein Konkurrenzblatt geben, und es wird nicht nur am Gymnasium, sondern auch bei uns ausliegen. Dieser Contest soll die Zeitschrift pushen. Billiger geht’s nicht!

Ich reiche den Zettel an Ilona weiter, obwohl alle bereits über meine Schulter mitgelesen haben.

»Krass«, entfährt es Lasse. Er hat die Stirn gerunzelt und tippt sich mit einem Bleistift gegen die Unterlippe.

»Wahnsinn«, flüstert Celine.

»Sind die endbescheuert?« Ilona spricht mir mal wieder aus der Seele.

Marvin hat erneut die Füße hochgelegt und weidet sich an unserem Erstaunen. »Also mir sind diese Flyer gleich aufgefallen, als ich heute Morgen in die Schule kam. Sie liegen neben der Hausmeisterloge am Getränkeautomaten aus.«

»Die haben die sogar schon bei uns verteilt?«, rufe ich. »Wie frech ist das denn!?«

Marvin zeigt mir die Handflächen. »Das ist ihr gutes Recht. Es gibt kein Gesetz, das es verbietet, eine Zeitschrift für beide Schulen herauszugeben. Nur dass wir jetzt verdammt alt aussehen mit unseren Pipithemen. Was sollte der Hauptbericht der nächsten Ausgabe werden? Die neue Jazzdance-AG? Gähn.« Er hält sich demonstrativ die Hand vor den Mund und klopft auf den Flyer, der inzwischen wieder bei ihm angelangt ist. »Das ist mal ein spektakulärer Aufmacher. Um diese Ausgabe zu bekommen, werden Leute töten!«

»Lol«, sagt Lasse. Ilona und ich glucksen. Irgendwie befreiend nach dem Beef der letzten Minuten.

Logisch, unangenehme Sache, dass es eine zweite Zeitschrift geben soll. Aber so wie Marvin steigern wir uns in eine Hysterie bestimmt nicht hinein.

»Jetzt halt mal den Ball flach.« Lasse verpasst Marvin eine freundschaftliche Kopfnuss. »Gut, dass du das für uns herausgefunden hast. Wir werden diese Info auf jeden Fall für die nächste Ausgabe der Insight berücksichtigen. Aber Krieg wird es nicht geben.«

»Tickt ihr noch sauber?«, ruft Marvin und reibt sich die Stelle am Hinterkopf. »Die machen uns platt!«

»Ich stimme Marvin zu.« Celine, die nie laut werden muss, um sich Gehör zu verschaffen. Weil sie so selten spricht, wenden sich ihr alle zu, sobald sie den Mund öffnet.

Celines Stimme ist ein gehauchtes Flüstern, das perfekt zu ihrer zerbrechlichen Elfengestalt passt. Mit ihren dünnen hellblonden Haaren, die sie im Fransenschnitt trägt, sieht sie aus wie ein Zauberwesen, das in einer Blüte wohnt. »Wir sollten uns das nicht gefallen lassen!«

Lasse breitet die Arme aus, großes Panorama. »Hallo? Das macht meine Festplatte gerade nicht mit. Wo ist das Problem? Dann gibt es eben zwei Zeitschriften und jeder kann sich aussuchen, welche er lieber liest.«

»Das Problem wird sein, dass alle nur noch die No Limits lesen werden, weil deren Leitartikel für Gesprächsstoff sorgt«, meldet sich Marvin wieder zu Wort. »Unsere Themen sind alle für’n Arsch.«

»Stopp!«, rufe ich dazwischen und zeige Marvin die erhobene Hand wie ein Verkehrspolizist. »Das ist schlicht falsch. Logisch ist es ärgerlich, dass die die Gesamtschule miteinbeziehen, aber, ich meine – was für eine hohle Macho-Show! Wer will wissen, wer das schönste Mädchen ist?«

»Tja.« Marvin schiebt die Unterlippe vor. »Also, ich finde das spannend.«

»Nicht nur er.« Wieder Celine. »So was kommt an bei den Leuten.«

»Das ist unterste Schublade!«, rufe ich. »Ich wette, die haben in ihrer Redaktion nur Typen sitzen, die sich beömmeln, während sich alle Girlies in Pose werfen, um sich fotografieren zu lassen und gewählt zu werden.«

»Wir könnten eine Gegenaktion starten«, meldet sich Ilona und grinst unsicher in die Runde. »Wir könnten einen Wettbewerb mit den süßesten Typen veranstalten und …«

Sofort brandet in unserem Redaktionsraum eine hitzige Diskussion auf. Ilona schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Das hat sie nicht gewollt.

Die Vormittagssonne wirft ihr Licht in den chaotisch vollgestopften Raum, in dem es außer einem PC, einem Drucker und einem Kopierer den ausrangierten Konferenztisch gibt, um den herum neben dem Chefsessel ein paar Stühle stehen. An den Wänden reichen Regale bis zur Decke, die gefüllt sind mit Fachbüchern über Journalismus und den verschiedenen Ausgaben unserer Schülerzeitung. Ich habe die Redaktionsleitung im Frühjahr übernommen, um der Insight einen neuen Anstrich zu geben: mehr Gewicht und mehr Gehalt.

Und weil das Schreiben mein Leben ist.

Lasse und Celine, die älter sind als ich, kamen ein paar Wochen später ins Team. Dass ich die Chefredakteurin bin, war nie ein Thema. Jedenfalls nicht offiziell. Ich fühle mich grundsätzlich akzeptiert.

Im Redaktionsteam haben sich nun zwei Parteien gebildet.

Lasse und ich beharren darauf, dass wir diesen geistigen Durchfall ignorieren sollten.

Celine und Marvin halten stur dagegen, dass die Gymnasiasten uns ausbooten.

»Wir brauchen Publicity! Wir brauchen Artikel, über die alle quatschen!«, ruft Marvin.

»Außerdem könnte man mit einer Reißer-Geschichte neue Leser gewinnen, die dann auch die tiefgründigeren Berichte und Reportagen in der Insight lesen«, fügt Celine hinzu. »Also, ich finde Ilonas Vorschlag gut, dass wir eine Gegenkampagne aufziehen.«

Ilona kaut auf ihrer Unterlippe. »Ist vielleicht doch nicht die beste Idee«, erwidert sie. »Ich finde jetzt auch, dass das zu billig ist.«

»Wir ruinieren uns den Ruf, wenn wir uns auf dieses Niveau begeben«, gibt Lasse zu bedenken.

Das sehe ich genauso. Von meinem Verständnis von gutem Journalismus ist das Lichtjahre entfernt.

Für mich bedeutet Journalismus, dass ich Probleme aufdecke, die die Leute ernsthaft beschäftigen, die sie zum Nachdenken bringen, die die Gesellschaft ein Stück weit in ihrem Denken verändern.

Ich will die Wahrheit ans Licht bringen. Immer. Deswegen beabsichtige ich auch, mir irgendwann, wenn ich achtzehn bin oder vielleicht auch schon vorher, ein Tattoo auf das rechte Handgelenk stechen zu lassen mit dem chinesischen Zeichen für »Wahrheit«. Wie soll sich das mit einem lächerlichen Contest vereinbaren lassen?

»Tja, Leute«, alle wenden sich mir zu, »stimmen wir ab, wie wir darauf reagieren sollen.«

Wieder einer meiner impulsiven Einfälle, die ich ungefiltert rauslasse. Im gleichen Moment bereue ich es. Ilona ist das Zünglein an der Waage. Von ihr kam der Vorschlag. Wenn sie sich auf Marvins und Celines Seite schlägt, haben wir ein Problem an der Backe. Nämlich einen Sweetest-Boy-Contest. Würg.

Doch Ilona hat es sich anders überlegt. Unsere Argumente waren überzeugender. Ich kann meinen Seufzer nicht unterdrücken: drei zu zwei gegen einen Boy-Contest.

Das erleichtert mich einerseits. Andererseits löst es das Problem nicht.

Fragen über Fragen.

Ob die Schwachmaten vom Gymi mit ihrer Aktion Erfolg haben werden?

Wird die Insight untergehen?

Werden die Leute mit fieberhafter Sensationsgier die neue Zeitschrift lesen und aus der Insight Papierhüte basteln?

Was ist das für ein beknackter Name: No Limits?

Und wer zum Teufel steckt eigentlich dahinter?

Da hilft keine Schokolade!

 

In der vierten Stunde fällt Englisch aus. Nach Hause zu gehen lohnt sich nicht. Zu Fuß sind das rund zwanzig Minuten am Rhein entlang.

Also verbringen meine drei Freundinnen Jenny, Amelie, Lotta und ich die Zeit bis zu den letzten beiden Stunden Geschichte und Mathe im »Keller«, wie der Aufenthaltsraum der Gesamtschule allgemein genannt wird, weil man drei Stufen hinabsteigen muss, um den verwinkelten Raum, in dem Sofas und Sessel kreuz und quer herumstehen, zu erreichen.

Das sind meine beiden Heimatplaneten im Weltall »Gesamtschule am Park«: einerseits das Redaktionsteam der Insight mit Techniker Lasse und Fotografin Ilona, Sportreporter Marvin und Zicke Celine, andererseits unser Freundinnen-Glückskleeblatt aus der 8c mit Lotta, Jenny, Amelie.

Die anderen, die in meiner Klasse und in den AGs um mich herumschwirren, kümmern mich nicht. Was soziale Kontakte angeht, bin ich mit diesen Leutchen im Alltag am Limit.

Nach der Redaktionssitzung am frühen Morgen hatte ich befürchtet, dass sich in der Schule längst herumgesprochen hat, welch großartiger Contest da auf uns zurollt.

Doch falsch gedacht. Die meisten Schüler sind an den Stapeln der Flyer am Getränkeautomat vorbeigegangen, ohne sie zu bemerken.

Aber kein Grund zur Entwarnung. Die Nachricht wird sich in den nächsten Stunden und Tagen wie ein Buschfeuer verbreiten. Insofern haben die Leute vom Konkurrenzblatt gar nicht unklug gedacht. Nach dieser Aktion wird jeder die neue Zeitschrift kennen.

Aber ob sie sie auch schätzen werden?

Das ist die Frage, die mich unruhig werden lässt, als säße ich auf einem Ameisenhaufen.

Meine geheime Hoffnung ist, dass sehr viele Leute ihren Verstand einschalten und die Aktion so peinlich finden werden, wie sie tatsächlich ist.

Außerdem – wer ist unterbelichtet genug und nimmt freiwillig an so einem Wettbewerb teil, um sich vor allen anderen zum Kasper zu machen?

Also, meine Freundinnen wären die längste Zeit meine Freundinnen gewesen, wenn sie auf die Idee kämen, meinen Namen und mein Bild an die Redaktion zu schicken.

Jenny, Amelie und Lotta wissen noch von nichts, als wir uns zwei Sofas gegenübergestellt haben und uns draufplumpsen lassen.

Jenny und Amelie lümmeln sich auf der einen Couch, Lotta und ich auf der anderen. Der Duft nach Waffeln und löslichem Kaffee hängt in der Luft. Das Laber-Rhabarber der anderen, die ebenfalls Freistunde haben, bildet eine vertraute Geräuschkulisse.

Eigentlich hängen wir vier aneinander wie festgetackert, seit wir auf der Fahrt in der siebten Klasse ein Zimmer miteinander teilen mussten. Aber wenn ich mich für eine der drei entscheiden müsste, wäre das immer Lotta. Wir beide sind ein Dreamteam, genau wie Amelie und Jenny.

Was uns alle vier miteinander verbindet, ist, dass wir uns über dieselben Gags wegschmeißen können. Es hat schon Freistunden gegeben, in denen wir kein Wort mehr gewechselt haben vor lauter Giggeln. Das sind die schönsten Stunden.

Was uns trennt, sind unsere Vorstellungen von gelungener Freizeitgestaltung. Keine der drei interessiert sich fürs Schreiben. Im Gegenteil. Jenny hasst Aufsätze und Amelie hat quasi noch nie in ihrem Leben ein Buch freiwillig durchgeblättert.

Lotta lässt sich zumindest immer auf den neuesten Stand in Bezug auf die Insight bringen.

Was uns außerdem unterscheidet, sind unsere Ansichten darüber, welchen Stellenwert Jungs in unserem Leben haben.

Bei Lotta und mir rangieren sie auf den unteren Rängen zwischen Zahnfleischbluten und Virenalarm.

Bei Jenny und Amelie besetzen die Themen Jungs und Liebe die Topplätze auf der nach unten und oben offenen Skala: »Was ist wirklich wichtig im Leben?« Sie könnten von morgens bis abends über nichts anderes quatschen, als darüber, wer gerade mit wem geht und wer mit wem auf der letzten Party geknutscht hat. Sie hatten auch beide schon Freunde, aber die haben sie jeweils nach spätestens zwei Wochen »abgeschossen«.

Lotta und mich kümmert das alles so viel wie ein Sack Reis.

»Lottaaaaa?« Jenny macht kugelrunde Augen, während sie Lotta bittend anschaut und ihren Namen in die Länge zieht. Sie streckt die Hand aus und legt den Kopf schief.

Lotta versteht. Sie bückt sich zu ihrem Rucksack und zieht das Matheheft hervor, das sie Jenny auf die offene Hand klatscht. Für Geschichte sollten wir uns nur einen Quellentext durchlesen, aber in Mathe gab es übelst viele Aufgaben.

Jenny strahlt, wie nie ein Mensch zuvor gestrahlt hat. »Du bist ein Schatz!«

Jenny ist ohne Diskussion die Attraktivste von uns. Ihre glänzenden blonden Haare sind gerade und millimetergenau auf Schulterhöhe geschnitten. Sie trägt sie mit Seitenscheitel. Manchmal frage ich mich, wie sie es ohne Spangen oder Haarbänder schafft, dass die Haare von morgens bis mittags wie festzementiert liegen. Sie umrahmen ihr gebräuntes Gesicht mit den grauen Augen und dem hübsch geschwungenen Mund. Jenny macht in jeder Lebenslage eine fantastische Figur. Im Unterricht gibt es Lehrer, die sie eindeutig bevorzugen, weil sie jetzt schon aussieht wie eine Studentin, und am Rand des Sportplatzes ist sie die Chefin der Cheerleading-Gruppe »Pink Angels«, mit denen sie auch schon Wettbewerbe gewonnen hat. Nur beim Cheerleading hat sie die Haare zu einem Zopf wie ein Rasierpinsel zusammengefasst. Ich habe noch nie erlebt, dass sich daraus selbst bei gewagten Stunts ein Härchen gelöst hätte.

Jenny hat eine beneidenswerte Disziplin. Jedenfalls außerhalb der Schule. Und sie hat eine scharfe Zunge, die jeder zu spüren bekommt, der sich mit ihr anlegt. Auf ihre gemeinen Lästereien, die gern auch unter die Gürtellinie gehen, könnte ich allerdings verzichten. Genau wie auf ihre Marotte, Menschen mitunter auszunutzen. Wie jetzt Lotta, die ihr ohne Widerstand die Mathe-Hausaufgaben zum Abschreiben überreicht.

Jenny öffnet das Heft und schlägt die Seite auf, auf der die säuberlichen Zahlenreihen unter dem heutigen Datum stehen, und beginnt, die Rechnungen in ihren Collegeblock zu übertragen.

Amelie quetscht sich dicht neben sie, schiebt den Hut aus der Stirn und öffnet einen Filzstift, indem sie die Kappe mit den Zähnen abnimmt und im Mund behält. Amelie hat einen Hüte-Tick und ich frage mich echt, wo sie die abgefahrenen Teile immer auftreibt. Fast jede Woche führt sie uns ein neues Modell vor. Diesmal ist es ein silberfarbener Dandy-Hut mit Krempe und Knick, der locker auf ihren wuscheligen rotbraunen Haaren sitzt. Sie sehen aus wie Herbstlaub, durch das ein Sturm gefahren ist.

Hüte sind das Einzige, was Amelie nicht eigenhändig macht. Ihr komplettes Outfit besteht aus selbst entworfenen und geschneiderten Teilen. Sie hat dabei ein Faible für wilde Mustermixe und knallige Farben. Kein Ding für sie, dass sie deswegen an unserer Schule auffällt wie ein Zebra auf dem Ponyhof. Ihr eigenartiger Geschmack könnte auch mit ihrer Vorliebe für Rollenspiele zusammenhängen. Amelie spielt nicht nur am PC in mittelalterlichen Welten, sondern geht auch an manchen Wochenenden mit Schwert und Zaubertrank in den bergischen Wäldern rings um Köln auf ihre nicht weniger bekloppten Gegner los.

Aber ich will nicht lästern. Jedem so, wie es ihm gefällt. Am Ende finde ich persönlich vor allem entscheidend, dass man überhaupt eine Sache hat, die man mit Leidenschaft betreibt, und nicht wie ein Schluck Wasser herumhängt.

Und Leidenschaften haben wir alle vier: Lotta will nichts als gute Noten, Jenny verbringt ihre komplette Freizeit mit den Cheerleadern, Amelie geht in ihren Rollenspielen auf und mein Herz hängt am Schreiben. Passt!

»Wie würden wir nur ohne dich überleben, Lotta«, murmelt Amelie undeutlich mit der Kappe zwischen den Zähnen, während ihre Nasenspitze fast die karierten Seiten berührt.

»Tja, vielleicht selbst mal kapieren, wie es funktioniert?«, gibt Lotta zurück, aber sie lächelt dabei voll lieb. Lotta sagt nie wirklich gemeine Dinge, schon gar nicht zu Jenny und Amelie. »Nächste Woche schreiben wir die Arbeit und ihr wisst, dass es unmöglich ist, zu schummeln, wenn der Loddar Aufsicht hat.«