Freiheit - Daniela Krien - E-Book

Freiheit E-Book

Daniela Krien

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Beschreibung

In ›Freiheit‹ geht es nicht nur um eine Schwangerschaft, die nicht sein soll, und eine folgenreiche Auseinandersetzung zwischen Mutter und Tochter. Es geht um Leben, die plötzlich kopfstehen, um Beziehungen, die zerbrechen, und Menschen, die diese neu zusammensetzen. Empathisch und intensiv erzählt Daniela Krien aus dem Leben zweier Familien und zeigt dabei die Fragilität zwischenmenschlichen Zusammenlebens auf.

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Seitenzahl: 32

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Daniela Krien

Freiheit

Diogenes

Freiheit

Paul schaltet das Küchenradio aus.

Eva hebt den Magneten an, der die Liste der Vornamen am Kühlschrank festhält, und zieht ihn ab. Goya: Die bekleidete Maya. Die halbe Kühlschranktür ist beklebt mit Meisterwerken aus dem Prado, dem MoMa oder den Vatikanischen Museen. Aber die Namensliste hängt immer unter Goyas Maya.

Mit der linken Hand fängt Eva das Papier und liest noch einmal:

Josephine, Helena, Antonia, Solveig, Johanna, Marie, Merle, Judith, Martha, Nelly, Friederike, Maya. Um Maya und Antonia sind rote Kreise gezeichnet. Pauls ist rund, ihrer oval. Sie faltet das Papier zusammen und steckt es in ihre Handtasche.

 

Eva schaut in den Hinterhof hinaus: Raureif bedeckt die kahlen Zweige der Buche vor dem Fenster. Raureif liegt auch auf den Wiesen im Park, auf dem letzten Laub der Büsche am Straßenrand und auf den Hügelreihen des Feldes, an dem sie auf dem Weg zur Klinik vorbeifahren.

Von Weitem sehen die Pflugspuren wie ein Webmuster aus: braun – weiß, braun – weiß, braun – weiß. Ein Schwarm Zugvögel formiert sich am Himmel. Woher die Vögel wissen, wohin sie müssen, das hatte sich Eva als Kind oft gefragt. »Gott hat es in ihnen festgeschrieben«, sagte der Vater. »Sie müssen es nicht lernen. Sie wissen es von Anfang an.«

»Und wenn sie woandershin wollen?«

»Das wollen sie nicht. Sie können es nicht wollen.«

Hätte sie Gott nicht längst aus ihrem Leben gestrichen, spätestens heute würde sie es tun. Heute ist ein guter Tag, um Gott zu zeigen, wer die Entscheidungen in ihrem Leben trifft.

Das Autoradio läuft und drängt die Stimme in ihrem Kopf zurück. Sie gehört ihrem Vater. Ganz egal, wo sie sich befindet, er spricht zu ihr.

Paul legt seine Hand auf ihr Bein.

»Geht’s?«, fragt er mit einem kurzen Blick auf ihren gewölbten Bauch.

Seine Hand streichelt unbeholfen ihr Bein. Vorsichtig schiebt Eva sie beiseite.

Später, wenn alles überstanden sein wird, muss sie ihn anrufen, ihren Vater, und endlich erzählen.

Eva fühlt einen ziehenden Schmerz und beugt sich nach vorn.

Was sagt Gott zu alldem? Sagt er was? Die Eltern behaupteten es jedenfalls. Als Eva noch ein Kind war, kannte sie keine Zweifel an den Worten ihrer Eltern: Gott habe dieses gegeben und jenes genommen, Folgendes sei sein Rat und etwas anderes sein Wille und Beschluss. Gut, dass wenigstens einer wusste, was richtig war und was falsch.

Außer ihr gab es nur zwei weitere Katholiken in ihrer Schulklasse, aber das waren Jungs, Zwillinge, die sie nicht weiter interessierten. Eva nämlich wollte zu einer Gruppe Mädchen gehören, einer Clique, die meistens geschlossen auf‌trat und ihr mit einer Mischung aus Spott und Mitleid begegnete. Doch die Gunst dieser Mädchen zu erlangen erschien ihr wie das höchste Glück. Das zu erreichen verlangte Opfer.

In den folgenden Jahren erwies sich Evas Paradigmenwechsel als vorteilhaft. Die Eltern gaben schweren Herzens nach. Statt der Kommunion erhielt sie die Jugendweihe; um in die Abiturstufe zu kommen, hätte sie auch das letzte bisschen Engagement für den Glauben drangegeben, doch das war nicht nötig, weil es die DDR da schon nicht mehr gab. Als sie den Eltern allerdings begreif‌lich zu machen versuchte, dass nicht Gott es war, der sie das Eichsfeld verlassen und in Weimar an der Hochschule für Musik einen Studienplatz bekommen ließ, sondern ihr Ehrgeiz und ihre Begabung, gaben diese ihr zur Antwort: »Und woher hast du diese Eigenschaften, wenn nicht von Gott?«

Es war mühsam, vor allem mit dem Vater. Die Frage, auf die er keine Antwort hatte, musste erst noch gefunden werden. Aber Eva war nun erwachsen und fühlte sich frei. Frei sein hieß, die Antworten des Vaters in eine Schublade zu sperren und den Schlüssel wegzuwerfen.