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Zuckersüße YA-Romance über eine unerwartete Liebe
Margot muss immerzu an Zach denken: Den gutaussehenden amerikanischen Jungen, den sie in einer magischen Nacht in Paris kennengelernt hat. Zum Abschied waren sie sich einig: Wenn sie zusammengehören, findet das Universum schon einen Weg. Ein Jahr später ist Margot frisch gebackene New Yorkerin: bereit, sich in ihren neuen Job zu stürzen, Manhattans Restaurantszene im Sturm zu erobern und natürlich Zach zu finden! Aber in einem Jahr kann viel passieren, und die Suche gestaltet sich schwieriger als erwartet. Wie gut, dass der süße Aushilfskoch Ben sie unterstützt. Und wer weiß: Vielleicht hat das Schicksal ja doch ganz andere Pläne für sie auf Lager ...
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Seitenzahl: 395
Cover
Weitere Titel der Autorin
Titel
Impressum
Widmung
Prolog
Erstes Kapitel
Kapitel Zwei
Kapitel Drei
Kapitel Vier
Kapitel Fünf
Kapitel Sechs
Kapitel Sieben
Kapitel Acht
Kapitel Neun
Kapitel Zehn
Kapitel Elf
Kapitel Zwölf
Kapitel Dreizehn
Kapitel Vierzehn
Kapitel Fünfzehn
Kapitel Sechzehn
Kapitel Siebzehn
Kapitel Achtzehn
Kapitel Neunzehn
Kapitel Zwanzig
Kapitel Einundzwanzig
Kapitel Zweiundzwanzig
Kapitel Dreiundzwanzig
Kapitel Vierundzwanzig
Kapitel Fünfundzwanzig
Kapitel Sechsundzwanzig
Kapitel Siebenundzwanzig
Kapitel Achtundzwanzig
Kapitel Neunundzwanzig
Kapitel Dreißig
Kapitel Einunddreißig
Kapitel Zweiunddreißig
Kapitel Dreiunddreißig
Kapitel Vierunddreißig
Nachwort
Love Paris Dance
Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
»French Kissing in New York«
Für die Originalausgabe:
Copyright ® 2023 by Anne-Sophie Jouhanneau
Published by arrangement with Alloy Entertainment
Produced by Alloy Entertainment, LLC.
Für die deutschsprachige Ausgabe:
Copyright ® 2024 by Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Textredaktion: Julia Przeplaska, Beilngries
Umschlaggestaltung: © SO YEAH DESIGN, Gabi Braun
Umschlagmotiv: © Sinisha Karich / shutterstock.com; Franzi / shutterstock.com; Oaurea / shutterstock.com; eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 978-3-7517-5571-9
one-verlag.de
luebbe.de
Für Aggie, meine Lieblings-New-Yorkerin
Der Nacht war es seit jeher bestimmt, irgendwann zu enden, aber das bedeutet nicht, dass ich bereit bin loszulassen.
Ihn loszulassen.
Die langen Reihen der Straßenlaternen flackern kurz auf, ehe sie alle auf einen Schlag erlöschen. Ihr Licht vergeht, nachdem es uns so viele Stunden auf unserem Weg durch die Stadt begleitet hat. Der sanfte Schimmer der Morgenröte legt sich über Paris. Ohne uns abzusprechen, sind Zach und ich auf den Champ de Mars zuspaziert, den lang gezogenen, adretten Park, der auf den Eiffelturm zuführt, unter dem wir uns am Abend zuvor das erste Mal begegnet sind. Bis jetzt hatten wir die Bürgersteige beinah ganz für uns, aber ich entdecke ein paar verschlafen dreinschauende Fußgänger, die der frühmorgendliche Dunst umhüllt wie eine Decke. Die Zeichen sind nicht mehr zu übersehen. Paris erwacht, was bedeutet, dass sich unsere Zeit dem Ende zuneigt. Für den Moment jedenfalls.
Als hätte er meine Gedanken gelesen, zieht Zach sein Handy heraus, um nachzugucken, wie spät es ist. Ich beuge mich vor, weil ich es mit eigenen Augen sehen muss: 5.36 Uhr. Die Realität erwidert meinen Blick ungerührt.
»Weniger als eine Stunde«, sage ich, darum bemüht, nicht allzu verzweifelt zu klingen.
Wir erreichen das Ende des Parks – der bis auf die paar Leute, die mit ihrem Hund unterwegs sind, verlassen daliegt – und Zach schlingt seine Arme um mich. Ich vergrabe mich darin, atme seinen ganz persönlichen Duft mit der leichten Note von frisch geschnittenem Gras ein. Sein Kapuzenpulli ist wie ein Kissen, auf dem ich nur zu gern wegdösen würde, auch wenn der Riemen seines Rucksacks an meiner Wange scheuert.
»Du wirst mir fehlen«, flüstert er in mein Ohr. »Nächstes Jahr scheint noch so weit weg zu sein.«
Mein Herz klopft an seiner Brust. Ich weiß, was wir vereinbart haben, doch in mir bricht sich eine ungestüme Hoffnung Bahn. Was, wenn er einen weiteren Tag bliebe? Oder eine weitere Woche? Wir sind es die ganze Nacht lang immer wieder durchgegangen. Mein Sommerkurs am Le Tablier, dem angesehensten kulinarischen Institut von ganz Frankreich, ist gerade zu Ende gegangen. Schon bald werde ich mein letztes Schuljahr beginnen; in meiner Heimatstadt in der Nähe von Tours. Währenddessen wird Zach ein Jahr lang als Rucksacktourist um die Welt reisen und die Zeit seines Lebens haben. Paris war sein erster Stopp, gleich wird er in den Zug nach Berlin springen. Klar, dass ich grün vor Neid bin, aber vor allem ... ist unser Timing so abartig, dass ich am liebsten laut losschreien würde. Warum nur sind wir uns erst an seinem letzten Abend hier begegnet?
»Du wirst mir auch fehlen«, sage ich. »Wie wäre es, wenn ...« Ich hebe den Blick, um in seine Augen sehen zu können.
Er fährt mit der Hand durch meine dicht gelockten Haare bis hinunter zu meinem Kinn, hebt es an und küsst mich. Ein bittersüßer Schauer durchfährt mich. Wir sind die ganze Nacht wach geblieben, durch die Stadt gewandert, am Triumphbogen vorbei, die schmalen, schiefen Gassen von Saint-Germain entlang und sogar bis hinauf zum Montmartre. Gehalten haben wir nur, um uns zwischendurch etwas zu essen zu kaufen.
Wir haben Pommes mit Ketchup von einem Imbiss gegessen. Uns ein Stück Ziegenkäse und ein Baguette in einem Supermarkt gekauft, der durchgehend aufhat. Dann waren da die Schokoladen-Crêpes, die Zach noch nicht probiert hatte, obwohl er schon seit ein paar Tagen in Paris ist. Zwei Stunden später schmecken seine Lippen immer noch süß.
Eine Nacht wie diese habe ich noch nie erlebt – und in Paris schon gar nicht. Ich lebe zwei Stunden entfernt, in einer Kleinstadt südwestlich von hier. Aber genauso gut könnte sie auf einem anderen Planeten liegen. Dort gibt es diese Art Restaurants und Läden und Cafés nicht; die Musik, die von überallher erklingt; die Menschenmengen, in denen man sich verlieren könnte; das Gefühl, an einem ganz besonderen Ort zu sein. Den ganzen Sommer lang bin ich brav jeden Abend in den Zug nach Hause gestiegen und habe dem Wunderbaren hinterhergetrauert, das ich in Paris zurückließ.
Dies hier war der eine Abend, an dem ich geplant hatte, in Paris zu bleiben, bei meinen Freundinnen im Wohnheim, damit ich bei ihrem Sommerabschlusspicknick dabei sein könnte. Aber ich bin dort nie aufgetaucht.
»Hast du deine Meinung geändert?«, fragt Zach.
Mein Herz schlägt noch schneller, Schlafmangel verbunden mit glühendem Sehnen. »Du etwa?«
»Nein!«, sagen wir beide gleichzeitig, viel zu laut für diesen leisen, frühen Morgen.
Ich gluckse, doch der Ernst der Lage holt mich schnell wieder ein. »Nächstes Jahr um diese Zeit werde ich meinen Schulabschluss haben. Endlich. Dann lass ich die Kleinstadt und mein langweiliges Leben hinter mir.«
Paris ist wunderschön, aufregend, geradezu unglaublich. Aber es ist nicht New York. Kein Ort der Welt ist wie New York.
Es ist mein Traum, dort zu leben, seit ich die Stadt im Alter von zwei Jahren verlassen musste. Der Big Apple ist nicht bloß der Ort, an dem Träume wahr werden, sondern auch der Ort, an dem ich geboren wurde. Der Ort, wo ich hingehöre.
»Wir werden zusammen sein«, füge ich hinzu. »Ganz bestimmt.«
Es ist Schicksal. Das ist alles, was mir dazu einfällt. Manche Menschen träumen davon, an einer renommierten Uni zu studieren, ich dagegen möchte meine Küchenmesser einpacken und mich in ein Leben voller Abenteuer stürzen. Die Art von Leben, das meine Eltern geführt haben, ehe meine Mutter mich nach Frankreich verschleppt hat, um ein Landei aus mir zu machen.
Als Zach mir erzählte, er sei Amerikaner und habe nach seiner Rückkehr einen Job als Koch in einem bekannten New Yorker Restaurant in Aussicht, machte mein Herz einen Satz. Das konnte kein Zufall sein. Wir waren füreinander bestimmt.
Wir sind füreinander bestimmt.
Aber noch ist es ein Jahr, bis wir zusammen sein können. Wir laufen eine Weile schweigend nebeneinander her, und mein Blick fällt auf ein junges Pärchen, das sich auf einer im Dunkeln liegenden Parkbank küsst. Mein Herz wird noch schwerer. Genauso haben wir gestern Abend auch dagesessen. Ich hatte auf einer Bank Platz genommen, um die Aussicht zu bewundern, bevor ich mich auf den Weg zum Picknick machen würde, als Zach sich neben mich setzte. Wir kamen sofort ins Gespräch, ein Gespräch, das wir bis jetzt nicht beendet haben. Vielleicht wird das Pärchen da das ganze nächste Jahr zusammen sein, während ich nur von Zach träumen kann.
»Fernbeziehungen sind schrecklich«, sagt Zach. »Wenn wir das Jahr damit zubringen, uns zu schreiben und ..., ach, ich weiß auch nicht ...«
»Es würde nicht funktionieren.«
Davon bin ich überzeugt.
Wir sind immer wieder darauf zurückgekommen, und das Ergebnis war stets das gleiche. Ich hatte noch nie eine Fernbeziehung, aber ich habe es bei Freundinnen beobachtet, die verzweifelt versucht haben, den Kontakt zu irgendwelchen Typen zu halten, die sie während einer Skifreizeit in den Alpen oder Strandurlauben an der Côte d'Azur kennengelernt hatten. Sie schrieben sich wochenlang wild hin und her, schmiedeten all diese verrückten Pläne, um zusammen sein zu können, und dann verliefen die Dinge einfach im Sande.
»Wir würden damit nur alles ruinieren. Lass uns lieber abwarten, bis wir richtig zusammen sein können. Es gibt einen Grund dafür, dass wir uns begegnet sind. Das mit uns kann kein Zufall gewesen sein.«
Er nickt mit ernster Miene. Genau wie ich weiß er, dass uns etwas Besonderes verbindet. »Ja, aber bis dahin ...«, sagt er, und seine Stimme bricht.
»Ich werde auf dich warten«, flüstere ich.
»Margot«, erwidert er mit einem tiefen Seufzer.
Es ist, als hätten wir eine gemeinsame Wellenlänge, eine Frequenz, auf der nur wir senden und empfangen. Unsere Trennung wird keine Rolle spielen. Dafür sind wir bereits zu tief miteinander verbunden.
»Erzähl mir noch mal, was du an New York am besten findest«, sage ich, um die Stimmung zu heben.
»Alles. Die Energie, die Leute, das Gefühl, dass alles möglich ist. Das unglaubliche Essen ... auch wenn ich weiß, dass die französische Küche genauso fantastisch ist.«
»Die französische Küche ist fantastisch«, bestätige ich, obwohl ich da zwiespältige Gefühle hege. »Ich meine, sie ist in Ordnung. Sie ist nicht umsonst so berühmt, nehme ich an. Aber ich habe mein ganzes Leben lang nichts anderes gegessen. Es sind die Gerichte, die meine Mutter in ihrem Restaurant kocht – nur die traditionellsten wohlgemerkt –, und mir kommt das alles inzwischen so ... antiquiert vor. So öde?« Ich lache ihn an. »Ich bin bereit, etwas Neues zu probieren.«
Seine Antwort ist ein Kuss. »New York ist einfach unvergleichlich. Du wirst es dermaßen feiern. Ich kann es kaum erwarten, die Stadt mit dir zu teilen.«
Er sprüht förmlich vor Begeisterung, während er von seinen Lieblingsorten berichtet, von seinem Leben dort – dem Skaten im Central Park, den Indie-Konzerten in Brooklyn, den leckersten Sachen aus dem berühmten Diner, der einst als Filmset diente. Ich kann es kaum erwarten, endlich dort zu sein.
Als wir wieder unter dem Eiffelturm stehen, wo alles begann, wissen Zach und ich, dass die Zeit für den Abschied gekommen ist. Aber keiner von uns bringt es über sich, die Worte auszusprechen, zu akzeptieren, dass wir uns ein ganzes Jahr lang nicht sehen werden. Jeder Herzschlag fühlt sich an wie der Sprung eines Zeigers, der unsere letzten gemeinsamen Sekunden auf dem Ziffernblatt herunterzählt.
Er holt tief Luft. »Und du bist dir sicher, dass du mich nicht auf meiner Reise begleiten möchtest?«
Ich lache. Es wäre so wundervoll, wenn ich einfach alles stehen und liegen lassen und ihm zu den Ruinen von Athen, den Souks von Marrakesch und den Sandstränden von Kroatien folgen könnte. Aber ... die Schule. Aber ... Maman. Aber ... das Geld. Ich bin eine Träumerin, doch selbst ich verfüge über einen Hauch Realitätssinn.
Es wird einfach nicht passieren.
Ich schüttle den Kopf, und er zuckt traurig mit den Schultern. »Hey, ich musste es versuchen.«
Ich hole mein Handy hervor, was Zach mit einem Stirnrunzeln kommentiert. »Ich dachte, wir wollten keine Nummern austauschen?«
Das war, zugegebenermaßen, meine Idee. Nummern auszutauschen oder Instagram-Handles hätte zu Nachrichten geführt, dazu, dass ich Zeugin seiner unglaublichen Abenteuer geworden wäre und mir im Chemieunterricht auf meinem Platz in der letzten Reihe noch mehr leidgetan hätte. Wie jede andere Siebzehnjährige hänge ich ständig am Handy, aber mal ehrlich, Technik und Romantik vertragen sich einfach nicht. Falls Zach und ich tatsächlich zusammenkommen – und das werden wir –, muss es die größte Liebesgeschichte aller Zeiten werden. Eine, von der wir bis ans Ende unserer Tage erzählen werden. Und zwar gemeinsam.
»Tun wir ja auch nicht«, sage ich überzeugter denn je. »Wir müssen nur ein Datum festlegen. Und einen Ort.«
»Wähl du einen Tag aus«, sagt er lächelnd. »Und ich werde da sein und auf dich warten.«
Ich öffne den Kalender, der, wenig überraschend, für den nächsten Sommer noch die freie Auswahl bietet. »Lass uns den ersten August nehmen.«
Nach dem Schulabschluss werde ich noch eine Weile in Mamans Restaurant mithelfen müssen, um Geld für mein großes Abenteuer zu verdienen.
Zach tippt etwas in sein Handy. »Okay. Vierzehn Uhr?«
Ich holte tief Luft. Eine Uhrzeit, ein Jahr in der Zukunft.
»Vierzehn Uhr klingt nicht sehr romantisch. Wie wäre es mit Mitternacht?«
»Du hast recht. Mitternacht soll es sein. Jetzt noch ein Ort.«
Das ist mir zu viel Verantwortung. »Du kennst New York doch viel besser als ich«, erwidere ich. »Solltest du nicht lieber den Ort bestimmen?«
Er denkt kurz darüber nach. »Ich finde, es macht mehr Spaß, wenn du einen auswählst. Was ist die eine Sache, die du sehen möchtest, sobald du angekommen bist?«
Um ehrlich zu sein, ist es nicht bloß eine. Ich möchte einfach alles sehen: das Empire State Building, den Central Park, Chinatown, das Metropolitan Museum, die entzückenden kleinen Straßen des West Village ... »Time Square«, platze ich schließlich heraus.
Zach grinst. »Äh, okay? Aber der Times Square ist riesig und bei Tag und Nacht total überlaufen.«
Ich schließe die Augen und sehe die Neonlichter vor mir, das wilde Treiben, all die Szenen aus Filmen, die den berühmten Platz so wirken lassen, als sei jeder andere Ort im Vergleich dazu völlig unbedeutend. Als sei er der Nabel der Welt. Ich male mir aus, wie Zach mich in die Arme schließt, mich herumwirbelt und mich vor den Augen sämtlicher New Yorker küsst. Es fühlt sich richtig an. »Erster August um Mitternacht unten rechts an der Time Square Tribüne.«
Unser Plan steht. Er ist beschlossene Sache, und Zach sieht mir das wahrscheinlich an, denn er beugt sich zu mir hinunter und küsst mich. Es kribbelt von Kopf bis Fuß. Wir ziehen es wirklich durch.
Er löst sich seufzend von mir. »Was ist, wenn du beschließt, doch nicht nach New York zu kommen? Was ist, wenn du ein tolles Angebot von einem Pariser Restaurant bekommst, und dich entscheidest, dort zu bleiben?«
Ich sehe, dass ihn noch mehr Was-wäre-Wenns umtreiben, also falle ich ihm ins Wort. »Was ist, wenn du beschließt, nicht nach New York zurückzukehren? Was ist, wenn du auf deiner Reise ein anderes Mädchen kennenlernst? Was ist, wenn du dir auf dem Weg zum Time Square ein Bein brichst und nie dort ankommst?«
Wir starren uns schweigend an, der Eiffelturm ragt über uns auf.
Dann fahre ich fort: »Die Sache ist die: Ich brenne seit Ewigkeiten darauf, aus meinem Winzdorf im Nirgendwo wegzukommen. Ich brauche die Veränderung so sehr. Während der letzten Wochen ist mir klar geworden, wie sehr ich mich danach sehne, dass mein Leben endlich beginnt. Es ist also ganz und gar unvorstellbar, dass ich nächsten Sommer nicht nach New York komme. Ich werde am ersten August um Mitternacht auf dem Time Square sein, selbst wenn die Welt um mich herum in Flammen aufgehen sollte.«
Zachs Brust hebt und senkt sich, ein strahlendes Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus. »Das Gleiche gilt für mich.« Er zieht mich an sich. »Goodbye, Margot.«
Seine Lippen sind nur einen Hauch von meinen entfernt, erwarten sie. Wenn man das Leben in seiner großartigen Gänze betrachtet, ist ein Jahr nicht mehr als ein Wimpernschlag. Die Art, wie er mich ansieht, mit einem Funkeln in den Augen, gibt mir das Gefühl, alles sei möglich. »À bientôt«, erwidere ich. Und weil er mich verständnislos ansieht, füge ich hinzu: »Bis bald. Sehr bald.«
Er küsst mich, und damit ist unser Schicksal besiegelt.
Ein Jahr später
Seit ich denken kann, ist das hier mein Traum gewesen, trotzdem kann ich kaum glauben, was gerade passiert. Ich bin in New York. Wo ich ab sofort leben werde. Es ist wahr. Es ist seltsam. Es ist ... einfach unglaublich!
Das Flughafen-Terminal sieht aus wie ein Einkaufszentrum in Stadtgröße, in dem sich Läden von Luxusmarken und Coffeeshops dicht an dicht reihen. Und Menschen, so viele Menschen. Mehr Menschen, so scheint mir, als ich in meinem ganzen Leben gesehen habe. Aus meinen Kopfhörern dringt der Taylor-Swift-Song, den ich für genau diesen Moment ausgewählt habe. Die temporeiche Melodie überdeckt das Geräuschwirrwarr des Terminals. Willkommen in New York! Es hat auf dich gewartet!
Nicht so sehr, wie ich auf New York gewartet habe.
Als ich durch den Zoll bin und Ausschau nach dem Schild halte, das mir den Weg zur Gepäckausgabe weisen wird, bleibt mein Herz plötzlich stehen. Am Ende des Gepäckbandes wartet ein großer Kerl mit blonden Haaren, breiten Schultern und schlanken Beinen. Ich erkenne ihn augenblicklich als den Einen. Den Einen, an den ich ununterbrochen gedacht habe, den Einen, der mir jede Nacht im Traum begegnet, den wahren und einzigen Zach.
Wir sind schon in zwei Tagen verabredet, und nach dem langen Flug bin ich verschwitzt, meine Haut ist ausgetrocknet, und mein Atem riecht nach ekligem Mikrowellenessen. So hatte ich mir unser Wiedersehen nicht ausgemalt, aber ich habe keine Wahl. Zach ist hier. Und so ...
Ich schlängle mich zwischen den anderen Passagieren bis zu ihm durch, setze mein strahlendstes Lächeln auf und tippe ihm auf die Schulter, bevor ich es mir anders überlegen kann. Er dreht sich um. Ich starre ihn an, während mein Gehirn noch mit Begreifen beschäftigt ist. Das hier ist nicht Zach. Er sieht ihm nicht mal ähnlich. Aus der Nähe betrachtet ist er nicht einmal blond. Es war alles nur in meinem Kopf. Insgeheim verfluche ich den Jetlag.
»Äh, ja?« Der Typ klingt genervt.
Jetzt muss ich etwas sagen. »Hi! Weißt du, wann unsere Koffer kommen? Mein Dad wartet auf mich.«
Der Typ reißt die Augen auf und deutet, ohne zu antworten, auf den Bildschirm über dem Gepäckband. Denjenigen, auf den alle immer wieder gucken und auf dem zu lesen ist, dass unser Gepäck in genau vier Minuten eintreffen wird.
»Perfekt!«, sage ich extra fröhlich. Dabei würde ich am liebsten im Erdboden versinken. »Ich werde ihm sofort schreiben!«
Mit brennenden Wangen weiche ich wieder ein Stück zurück. Wie viele Minuten haben zwei Tage?
Alles ist vergessen, als ich Papas und Miguels strahlende Gesichter direkt hinter den automatischen Türen des Terminal-Ausgangs entdecke. Papa reißt die Arme mit einer Bewegung in die Luft, die wohl eine Welle darstellen soll, aber eher an die aufblasbaren Riesenpuppen erinnert, die im amerikanischen Fernsehen manchmal vor den Autohäusern von Gebrauchtwagenhändlern flattern.
Sobald ich bei ihm bin, tauschen wir la bise –ein Küsschen auf jede Wange, wie es die französische Art ist. Dann zieht er mich in eine amerikanische Umarmung. Das hat er mir in meiner Kindheit stets gepredigt: Wenn man mit zwei Kulturen aufwächst, bekommt man das Beste aus beiden Welten. Manchmal bedeutet es eine doppelt so gute Sache, wie ein Käsetoast auf einem Baguette. Oder tarte aux pommes mit Boden obendrauf, was natürlich nichts anderes als Apple Pie ist.
Papas Lebensgefährte, ich meine sein Verlobter, Miguel, umarmt und küsst mich. Er lernt schnell.
Papa hat den Großteil seines Lebens in Manhattan verbracht. Er reist mehrmals im Jahr nach Paris, wo der Hauptsitz seiner Firma ist, eines Weinvertriebs, und er verbringt fast seinen ganzen Urlaub bei uns in Frankreich. Ein paarmal war Miguel sogar dabei. Ich hatte nie die Gelegenheit, die beiden in New York zu besuchen ... bis jetzt.
Miguel reicht mir eine Pappschachtel, auf der DOUGH steht, ein New Yorker Laden, der sich auf Teigwaren, Pizza und Süßes spezialisiert hat. »Dein Vater wollte dich mit Ballons begrüßen«, sagt er mit einem Blick auf die, die um uns herum in der Luft schweben, »aber ich hatte eine bessere Idee.«
Ich habe die Schachtel kaum geöffnet, als mir auch schon das Wasser im Mund zusammenläuft. Sechs gigantische Donuts wetteifern um meine Gunst, alle mit unterschiedlicher Glasur. Und mit gigantisch meine ich, dass jeder von ihnen praktisch so groß wie mein Gesicht ist. Ich bin nicht mal sicher, wie die Dinger in meinen Mund passen sollen, aber ich bin mehr als bereit, es zu versuchen.
»Ich weiß, es sind keine Croissants«, fährt Miguel fort. Papa verdreht die Augen, als hätten sie die Donut-versus-Croissant-Debatte schon viele Male geführt. »Aber das ist ja der Sinn dabei. Bienvenue, Margot! Du bist erst dann eine waschechte Amerikanerin, wenn du ständig Essen mit dir herumschleppst.«
Ich lache. »Herausforderung angenommen.«
Mein Magen grummelt, also schnappe ich mir den Donut, der mich am meisten anlacht, und beiße hinein. Er ist mit einer knallrosa Glasur überzogen. Die Konsistenz ist unglaublich, er ist fest, aber nicht trocken; locker, knuspert aber dank der Zuckerschicht im Mund. Überrascht nehme ich einen Hauch von Hibiskus wahr. Mit einem Biss schmecke ich den Sommer, voller Genuss und Leichtigkeit. Ich bin hin und weg.
»Eine kurze Frage«, sage ich an Papa gewandt. »Würde es dir etwas ausmachen, wenn Miguel ab sofort mein Lieblings-Dad wäre?«
Als meine Pläne, nach New York zu ziehen, konkreter wurden, war klar, dass ich bei meinem Vater und seinem Freund leben würde, während ich nach einer Wohnung suchte. Aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie nach vier Jahren Beziehung verlobt sein würden, wenn ich dort ankäme. Jetzt ist Miguel mein zukünftiger Stiefvater und die Hochzeit nur noch drei Monate entfernt. Einen besseren Start in mein Leben in der großen Stadt hätte ich mir nicht wünschen können.
Papa zieht eine Grimasse. »Entschuldige mal, ma fille, darf ich dich daran erinnern, wer deine Maman überzeugt hat, dich bei uns leben zu lassen?«
»Guter Punkt«, räume ich ein. Dann beiße ich ein weiteres Mal in den Donut, während Papa den Griff meines Koffers packt.
Mit der donutfreien Hand ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche und lese noch einmal die Nachricht, die nach der Landung auf mich gewartet hat.
Bien arrivée? J'espère que tu ne vas pas te perdre dans l'aeroport. C'est vraiment grand. Bist du gut gelandet? Ich hoffe, du verläufst dich nicht. Der Flughafen ist ganz schön groß.
Bäh. Ich rege mich schon wieder auf, obwohl ich vor einer Minute tatsächlich noch das Gefühl hatte, ich könnte mich verlaufen. Selbstverständlich werde ich ihr das nicht verraten. Ich möchte ihrer langen Liste von Gründen, warum ich das hier niemals hätte tun sollen, kein weiteres Argument hinzufügen. So eine große Stadt! So rücksichtslos. Und laut! Wahrscheinlich einfach zu viel für ein Mädchen vom Land wie mich. Maman hat nicht vor mir zu verbergen versucht, dass sie meinen Umzug nach New York für eine schreckliche Idee hält.
Aber ich war fest entschlossen. Während der letzten Monate, als das Schuljahr auf sein Ende zuging, habe ich meinen Lebenslauf an unzählige Restaurants geschickt – und von keinem etwas gehört, als Papa erwähnte, er habe einen Artikel über ein neues Restaurant namens Nutrio gelesen, geführt von dem bekannten Chefkoch Franklin Boyd. Stellt euch meine Überraschung vor, als ich herausfand, dass Maman während ihrer New Yorker Zeit mit ihm zusammengearbeitet hat und sie sogar befreundet waren.
Ich habe sie gebeten, ihm eine E-Mail zu schreiben, aber sie hat sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt. Sie hatte so viele Ausreden. Wir haben seit Jahren kein Wort miteinander gewechselt. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass das der richtige Job für dich ist. Margot, vertrau mir, es wird dir nicht gefallen, in einem New Yorker Restaurant zu arbeiten. Sie betonte unablässig, wie anders das Restaurantgeschäft in der großen Stadt wäre. Es war zum Wahnsinnigwerden.
Natürlich ist es nicht wie in Frankreich. Genau deshalb bin ich ja hier. Maman kocht die immer gleiche Auswahl an typisch französischen Gerichten in einem Restaurant, in dem es noch genauso aussieht wie in meiner Kindheit. Ich weiß, dass sie liebt, was sie tut, aber ich will mehr. Ich will etwas anderes.
Erst als mein Flug gebucht war und Maman merkte, dass ich meinen Plan tatsächlich in die Tat umsetzen würde, willigte sie ein, ihren früheren Freund zu kontaktieren. Seine Antwort kam nicht nur rasch, sondern ließ mich auch Luftsprünge vor Freude machen.
Bien sûr, Nadia! Ich werde Margots Kontaktdaten an Raven weitergeben, meine Souschefin, und sie wird sich bei ihr melden, wenn etwas frei wird, was dauernd passiert. Und Margot kann sich gern melden, wenn sie erst mal in New York ist.
Ist das nicht toll? Ich habe auch danach Bewerbungen verschickt, aber in meinem Herzen wusste ich, dass dies meine neue Küche sein würde. Ich habe alles nachgelesen, was ich über das Nutrio finden konnte, und es scheint ein wundervoller Laden zu sein. Es ist ein modernes vegetarisches Restaurant im Flatiron Distrikt, hat gerade eine fantastische Besprechung in der New York Times bekommen und liegt in fußläufiger Entfernung zu Papas Appartement. In meiner Vorstellung arbeite ich bereits dort. Am Montag werde ich mich bei der Souschefin melden. Mein fabelhaftes New Yorker Leben hat fast begonnen!
Miguel folgt uns aus dem Terminal. »Und, Bella – das ist sein Spitzname für mich –, ich bin nicht sicher, ob ich schon bereit dazu bin, ein Dad zu sein.«
Ich setze mein strengstes Gesicht auf. »Okay, also keine Donuts für dich?«
Draußen ist die Luft stickig. Schwül. Drückend auf eine Weise, die mich sofort das Gewicht meiner Kleidung spüren lässt, Jeans und T-Shirt. Damit hatte ich nicht gerechnet.
Ein paar Augenblicke später quetschen wir drei uns auf die Rückbank eines gelben Taxis. Ich sitze mit der Donutschachtel auf dem Schoß in der Mitte. Den mit Hibiskus habe ich aufgegessen, aber ich möchte noch einen. Vielleicht wäre der mit dem klassischen weißen Zuckerguss geeignet, den Weg für weitere Geschmacksrichtungen freizumachen. Miguel wirft den Donuts sehnsüchtige Blicke zu, und ich drehe die Schachtel zu ihm, damit er sich einen nehmen kann. Kommt schon, wir wissen doch alle, warum er sie gekauft hat! Es ist das Gleiche, wenn ich einen Geburtstagskuchen für meinen besten Freund Julien backe. Er ist für ihn, aber genauso für mich.
In Amerika ist alles größer, heißt es. Aber ich weiß nicht, ob ich wirklich verstanden hatte, was damit gemeint ist, bis unser Taxi auf eine verstopfte Straße biegt, die mehr Spuren hat als ich zählen kann. Ich balle die Hände zu Fäusten, während der Fahrer ständig die Spur wechselt, um uns ein paar Sekunden schneller ans Ziel zu bringen.
»Wie waren die letzten Tage zu Hause?«, fragt Papa schuldbewusst. Er weiß nur zu gut, wie unglücklich Maman über meinen Umzug nach New York ist.
»Du kennst Maman ja«, sage ich und verdrehe die Augen. »Sie ist nicht der Typ, der Gefühle zeigt, aber sie hält damit auch nicht wirklich hinter dem Berg.«
Er lacht verlegen, was wiederum Schuldgefühle bei mir auslöst.
»Mach dir keine Sorgen um sie. Ich bin jetzt hier, und sie wird lernen müssen, damit klarzukommen.«
»Ich weiß, aber sie hatte so große Probleme damit ...«
»Dass ich meinen Plan durchziehe. Ja, ich weiß. Aber ich bin jetzt achtzehn. Und es ist das, was ich will. Ich hätte auch ohne deine Hilfe meinen Weg hierher gefunden.«
Meine Eltern waren nie ein Paar, aber sie lieben sich sehr. Nur eben nicht auf die romantische Art. Es begann, als Maman nach ihrem Abschluss am Kulinarischen Institut in Paris nach New York zog. Wer ist also die Heuchlerin? Es dauerte nicht lange, bis sie andere Franzosen im Big Apple kennengelernt hatte – anscheinend findet man sie in dieser Stadt an jeder Straßenecke –, Papa eingeschlossen, der hier aufgewachsen ist. Seine Eltern sind Franzosen, aber sie leben schon seit dreißig Jahren in den Staaten und haben zwei Söhne. Papa ist auf der Upper East Side aufgewachsen, hat zu Hause Französisch gesprochen und in der Schule Englisch. Er hatte eigentlich immer vorgehabt, nach Frankreich zu gehen, aber als er direkt nach dem Collegeabschluss einen Job fand, blieb er da.
Maman hatte im Gegenzug ihre Zwanziger damit verbracht, jeden nur erdenklichen Job auszuprobieren, bevor sie sich endlich dazu entschloss, ihre Leidenschaft für gutes Essen zum Beruf zu machen. Meine Eltern freundeten sich, ein paar Monate nachdem sie hierhergezogen war, an und wurden schnell unzertrennlich. Ich habe Geschichten von wilden Partys und Last-Minute-Reisen in die Hamptons oder nach Chicago gehört, wo Papas Bruder lebt.
Aus Monaten wurden Jahre. Maman hatte keine ernste Beziehung, wollte aber ein Kind. Papa hatte sich auch schon immer eines gewünscht. Schließlich einigten sie sich darauf, gemeinsam eines zu haben. Ich denke von mir nicht gern als Pipettenbaby, also habe ich nie nachgefragt, wie ein schwuler Mann und eine heterosexuelle Frau es angestellt haben, moi zu zeugen. Es war also nicht unbedingt die große Liebe, aber dafür habe ich schon von klein auf gewusst, dass ich ein absolutes Wunschkind bin. Es war meinen Eltern total egal, dass sie nicht der Standardfamilie entsprachen.
Ehe Papa erneut etwas über Maman sagen kann, wechsle ich das Thema. »An meinem letzten Abend habe ich mit Freunden gefeiert, darunter Julien und ein paar andere. Sie haben mir ein Fotoalbum mit Bildern von uns allen geschenkt, und wir haben stundenlang Karaoke gesungen. Es war so übel, dass es schon wieder gut war.«
»Jetzt bist du endlich hier«, sagt Papa mit einem erleichterten Lächeln.
»Und uns steht der Zach-Tag bevor«, ergänzt Miguel.
O ja, wir sind genau diese Art von Familie! Wir teilen nicht unbedingt alles miteinander, erzählen uns aber vieles, besonders wenn es was Pikantes ist. Zum Beispiel, wie ich eines Abends diesem Typen in Paris begegnet bin und einen Pakt mit ihm geschlossen habe, ihn ein Jahr später in New York zu treffen. Maman ist komplett ausgerastet, als sie herausgefunden hat, dass ich die ganze Nacht mit einem Fremden unterwegs gewesen bin, aber, hey, ich bin unversehrt zu ihr zurückgekehrt. Ich war noch so high von den Endorphinen, die Zach in mir zum Leben erweckt hatte, dass mir der Monat Stubenarrest, den ich dafür aufgebrummt bekam, völlig egal war.
Ich seufze übertrieben tief. »Ich bin nervös.«
Papa wirft mir einen Seitenblick zu. »Ist es nervöse Vorfreude, weil du ihn so bald sehen wirst, oder Angst, wegen dem, was vielleicht passieren oder auch nicht passieren wird?«
Ich muss nur kurz überlegen. Jene Nacht, die Zach und ich hatten, das Versprechen, das wir einander gaben, das alles war echt. Ich spürte es damals bis in die Knochen, und das vergangene Jahr hat daran nichts geändert. Ich bin bereit für die Liebe. Die Art von Liebe, die dein Leben auf den Kopf stellt. Die Ich-kann-nicht-ohne-dich-leben-Liebe. Die große romantische Liebe. Es gab in jener Nacht diesen einen Moment, als Zach mir tief in die Augen sah und sagte, bis jetzt sei er noch nie verliebt gewesen. Ich weiß immer noch, wie meine Beine bei dieser Andeutung fast unter mir nachgaben.
»Nervöse Vorfreude«, antworte ich. Ich checke die Uhrzeit auf meinem Handy. »Tatsächlich sind es jetzt nur noch anderthalb Tage.«
Miguel stößt zwischen zwei Bissen von seinem Donut ein Lachen aus. »Wagt es ja nicht, uns bei unserer Hochzeit die Show zu stehlen.«
»Das kann ich nicht versprechen«, entgegne ich mit einem frechen Grinsen.
»Sieh mal«, sagt Papa.
Wir fahren über eine Brücke, die Williamsburg Brücke, wie er erklärt, und die Stadt wird sichtbar. Ich entdecke das Empire State Building zuerst. Der bekannteste Wolkenkratzer der berühmtesten Skyline der Welt. Bald darauf fahren wir an cremefarbenen Gebäuden und solchen aus rotem Backstein vorbei. Die meisten haben eine außen angebrachte Metalltreppe, die vom Dach bis ins Erdgeschoss führt. Feuertreppen, wie Miguel erklärt. Autos, Taxis, Busse und Fahrräder umgeben uns. Und so viele Menschen! Die Bürgersteige wimmeln von ihnen. Alle gehen im gleichen Tempo, wie Lachse, die sich stromaufwärts kämpfen.
Mir schnürt sich die Kehle zu, so ergriffen bin ich.
Ich. Bin. Hier.
Endlich!
»Anfangs kann das alles ein bisschen viel für einen sein«, sagt Papa. »Toto, du bist nicht mehr in Touraine«, sagt er mit einem Augenzwinkern. Touraine ist die Region, aus der Maman stammt. Und ich auch. Er hat recht. Das hier ist sehr weit von den sanften Hügeln und dem ruhigen Leben entfernt, das ich bisher geführt habe.
»Ich liebe es«, sage ich. »Immer her mit dem Trubel, den Menschenmengen und der Aufregung. Genau deswegen bin ich hier.«
Die Stadt, die niemals schläft, wo alle Lichter heller strahlen und Träume wahr werden. Wie der, in einem der angesagtesten neuen Restaurants zu kochen. Mit Zach an meiner Seite. Für immer. Es fühlt sich bereits so an, als gehörte ich hierher in diese Stadt, die mir so viel zu bieten hat: endlose Möglichkeiten und Abenteuer. Und natürlich Liebe.
Mein Leben hat endlich begonnen.
Etwas stimmt ganz und gar nicht mit der Wohnung meines Vaters. Oder besser gesagt, mit seiner Küche. Lasst uns mit dem Kühlschrank beginnen. Es ist ein riesiges Ding aus Metall, hat die Größe eines Kleinwagens und zwei Türen. Drei, wenn man den Tiefkühler mitzählt, zu dem ein Eiswürfelmacher gehört. Wo wir gerade von den Türen sprechen, sie sind so schwer, dass ich mich mit einer Hand gegen die Wand stemmen muss, um genug Kraft aufzubringen, eine davon aufzuziehen. Die Gummidichtung gibt ein lautes Schmatzen von sich, so sehr widersetzt sie sich mir. Als es mir endlich gelungen ist, die Tür zu öffnen, muss ich entdecken, dass dieses Monster von einem Kühlschrank tragischer-, komischer- und empörenderweise ... leer ist. Also fast.
Gestern Abend hat Papa mich kurz durch das Appartement geführt. Es liegt im fünften und obersten Stock eines Hauses ohne Aufzug im West Village. Eine ganze Wand besteht aus bodentiefen Fenstern mit Blick auf die umliegenden Gebäude. Sie sind so nah, dass man den Nachbarn in die Wohnungen gucken kann. Der Wohnzimmerbereich ist gemütlich eingerichtet, mit einer Sofalandschaft aus dunkelblauem Samt und Gegenwartskunst in Weiß- und Beigetönen an den Wänden. Die Küche verfügt über eine kompakte Küchenzeile und ist zum Essbereich hin offen. Die zwei Schlafzimmer befinden sich am anderen Ende des Appartements, jedes verfügt über ein eigenes fensterloses Badezimmer.
Nach dem Flug war ich so müde, dass ich nach einer ausgiebigen Dusche nur noch das Nachthemd aus dem Koffer gekramt und mich um neun ins Bett gelegt habe. In Frankreich war es da immerhin schon drei Uhr morgens. Ich weiß nicht mal, was die beiden zu Abend gegessen haben. Vielleicht waren sie noch voll von den Donuts, so wie ich. Ich bin zwischendurch ein paarmal aufgewacht und habe mich gefragt, wo der ganze Lärm herkommt. Die Autos. Die Sirenen. Die Leute, die auf der Straße kreischten. New York ist nicht leise.
Als ich meine Augen endgültig öffnete, fiel Licht durch die dünnen Vorhänge herein. Ich stand ganz langsam auf, weil mir etwas schwindelig war. Mein Mund war völlig ausgetrocknet, und ich hatte wahnsinnigen Hunger. Also schlich ich auf Zehenspitzen in die Küche, trank zwei Gläser Wasser und suchte nach etwas Essbarem beziehungsweise nach etwas, aus dem ich etwas Essbares zaubern könnte. Mein erstes Frühstück in New York sollte etwas Besonderes sein.
Nachdem ich die Küchenschränke ausgiebig durchsucht habe, bin ich noch entmutigter. Ich gebe dem Kühlschrank eine zweite Chance. Darin stehen eine fast leere Milchtüte, eine ausgedrückte Ketchupflasche und Sojasauce. Das Einzige, was man als Nahrung bezeichnen könnte, sind die sechs Eier in ihrem Pappkarton. Aber wer isst schon Eier zum Frühstück? Schon klar. Schon klar. Amerikaner machen das. Wenn es ums Frühstück geht, habe ich nichts Amerikanisches an mir. Es muss unbedingt süß sein, etwas anderes kommt nicht infrage. Und auch ein rein süßes Frühstück bietet einem unzählige Möglichkeiten. Die naheliegendste ist natürlich eine tartine. Man halbiert ein langes Stück Baguette, streicht reichlich Butter auf beide Hälften und eine Marmelade seiner Wahl obenauf. Also kommt mir nicht mit diesem Toastbrotquatsch.
Baguettes werden frisch gegessen, direkt aus der Bäckerei und im besten Fall noch warm.
Dann gibt es da die Croissants, ein Klassiker unter den Klassikern, einer, der sich schon durch den Wiedererkennungswert seines Namens von allen viennoiseries abhebt. Weitere brotähnliche Backwaren sind pains au chocolat, pains aux raisins, brioche und selbst das pain au lait. Alle können und sollten in eine dampfende Schüssel schwarzen Kaffees oder heißer Schokolade getunkt werden. Und ja, die Flüssigkeit wird euer Kinn herunterlaufen, während ihr das durchtränkte Stück Gebäck verschlingt. Nur so weiß man, dass man es richtig gemacht hat.
Ich träume immer noch von Frühstücksvarianten, als ich höre, wie sich die Wohnungstür öffnet. Einen Moment später taucht Papa hinter der Küchenanrichte auf. Er trägt seine Sportsachen, die ergrauten Haare sind schweißnass und seine Wangen gerötet.
Er wirft einen Blick auf die Uhr hinter sich. Es ist 10.33 Uhr. »Du bist ja auf!«
»Du hast nichts zu essen.« Mein anklagender Ton ist Absicht.
»Ich hatte so eine Ahnung, dass du das sagen würdest.« Er öffnet den Reißverschluss seiner Sporttasche und zieht eine fettige weiße Papiertüte daraus hervor. »Etwas von zu Hause«, sagt er lächelnd. »Für den Fall, dass du bereits Heimweh hast.«
»Hab ich nicht«, entgegne ich. Ich reiße ihm die Tüte aus der Hand. Der Buttergeruch verrät den Inhalt, noch bevor ich einen Blick hineingeworfen habe: Croissants. Die goldene, luftige, blättrige Sorte. Die Sorte, die glücklich macht. »Das hier ist jetzt mein Zuhause. Ich möchte Bagels probieren. Und Cronuts. Und diese geeisten Kaffeespezialitäten, die in so riesigen Bechern verkauft werden, dass man wahrscheinlich den ganzen Tag auf Toilette rennt, wenn man eine davon getrunken hat.
Papa runzelt die Stirn. »Aber du liebst Croissants doch. Du behauptest immer, dass kein Frühstück sich mit dem französischen messen könne.«
Darum geht es zwar gerade nicht, aber es wäre ein Verbrechen, die Croissants verderben zu lassen. Was bleibt mir also anderes übrig? Natürlich schnappe ich mir eins und beiße hinein. Und zu meiner Überraschung schmelzen die Blätterteigschichten auf meiner Zunge genau wie zu Hause. Mann, sind die gut!
»Nicht schlecht, oder? Das sollte dich bei Kräften halten, bis Luz eintrifft.«
Ich kreische mit vollem Mund. Luz ist nicht bloß Miguels Nichte, sie ist meine Seelenschwester, eine Kombi aus Familienmitglied und enger Freundin. Es spielt überhaupt keine Rolle, dass wir uns im wahren Leben noch nie begegnet sind. Bis heute.
»Ich muss mich fertig machen!«
Ich renne zurück in mein Zimmer, meine nackten Füße rutschen auf dem glänzenden Parkett beinah aus.
Nachdem er sechs Monate mit ihm zusammen gewesen war, reiste Papa mit Miguel nach Miami. Er nannte es »etwas Sonne tanken«, aber wir wussten alle, worum es dabei eigentlich ging. Er würde die Familie kennenlernen: Miguels Eltern, seine Schwester Amelia und deren Tochter Luz, die ein Jahr älter ist als ich. Miguel, Papa, Amelia, Luz, Maman und ich facetimeten eines Tages alle. Es war ein virtuelles Treffen der Liebsten. Luz und ich tauschen uns seitdem ununterbrochen aus, sei es per Videochat oder via Instagram. Wir stehen uns so nah, wie sich zwei Menschen überhaupt stehen können – selbst wenn sie ein Ozean trennt. Als sie mir erzählte, sie würde Design an der Parsons studieren – inzwischen macht sie das schon seit einem Jahr –, war es ein weiterer Grund für mich, nach New York zu ziehen. Nicht, dass ich einen gebraucht hätte.
»Tu es ici!«, kreischt sie lachend, sobald sie die Wohnung betreten hat. Sie klingt fröhlich und überschäumend, typisch Luz eben. »Du bist tatsächlich hier!«
»Estoy aqui!«, rufe ich und springe von der Couch, um sie zu begrüßen. »Du bist hier. Wir sind beide hier!«
Ich hatte sechs Jahre Spanisch in der Schule und Luz vier Jahre Französisch. Daher peppen wir unsere Unterhaltungen ab und zu mit un poquito de español oder un peu de français auf. Wir versichern uns ständig, dass wir unsere Sprachkenntnisse noch verbessern wollen, fallen aber jedes Mal ins Englische zurück.
Ich werfe mich in ihre Arme, und wir hüpfen aneinandergeklammert und wild kreischend auf und ab. Miguel und Papa haben sich auf die andere Seite des Raumes verzogen und beobachten das Ganze lieber aus sicherer Entfernung.
Nachdem wir uns voneinander gelöst haben, mustere ich sie genauer. Sie ist größer als erwartet, dabei aber immer noch etwas kleiner als ich, und ihre Haare schimmern in echt noch stärker. Sie ist außerdem noch sonnengebräunter als bei unserem letzten Videochat. Neben ihr sehe ich aus, als hätte ich einen teint de navet, die Gesichtsfarbe einer weißen Rübe.
Den Rest des Nachmittags und Abends verbringen wir damit, uns gegenseitig auf den neusten Stand zu bringen. Miguel muss zu einem wichtigen Geschäftsessen, und Papa bietet an, zu Hause zu bleiben – schließlich ist es mein erster Abend in New York! -, aber um die Wahrheit zu sagen, bin ich hundemüde. Ich habe mich in den letzten Wochen mit der Schule, dem Arbeiten im Restaurant, dem Packen für den Umzug und dem Flug ziemlich verausgabt. Und natürlich muss ich so gut wie möglich aussehen, wenn ich morgen Zach treffe.
Luz und ich bestellen uns eine Pizza und studieren den U-Bahn-Plan ganz genau, damit ich auch sicher alle Linien kenne, die mich dorthin bringen können. Sie warnt mich, dass am Times Square die Hölle los sein wird – was haben wir uns nur dabei gedacht, uns an einem Samstag dort zu verabreden! –, und drängt darauf, ich solle sie mitkommen lassen. Aber dazu gibt es keinen Grund. Ich warte seit einem Jahr auf dieses Rendezvous.
Zach und ich sind füreinander bestimmt. Jetzt ist er so nah, dass ich ihn praktisch spüren kann.
Am nächsten Tag gehen wir vier zum Brunch ins Café Cluny, das ein paar Straßen weiter nördlich liegt. Drinnen sieht es aus, als wären wir in Frankreich, was wahrscheinlich der Grund dafür ist, dass Papa es ausgewählt hat. Er hat mich schon immer unterstützt, widersetzt sich aber nicht gern Mamans Vorstellungen. An den Wänden hängen große Spiegel, die Deckenleisten sind aufwendig mit Stuck verziert. Es gibt kleine Tische, an denen Korbstühle stehen, und die Beleuchtung sorgt für eine gemütliche Atmosphäre.
Innerhalb weniger Minuten begegnen uns drei Menschen: die Dame vom Empfang, die uns zu unserem Tisch führt, der Kellner, der die Speisekarten darauf ablegt, noch ehe wir uns gesetzt haben, und ein weiterer schwarz gekleideter Mann, der uns nach unserer Wasserpräferenz fragt. Ich weiß, dass er nur in Erfahrung bringen will, ob wir lieber stilles Wasser oder Sprudel möchten, aber es klingt extravagant.
Noch bevor ich mich entschieden habe, klingelt jedoch mein Handy. Papa hat mich mit einer amerikanischen Telefonnummer ausgestattet, aber abgesehen von Maman sind alle Menschen, die sie kennen, hier bei mir.
Mit angehaltenem Atem gehe ich ran. »Hallo?«
»Margot Lambert?«, fragt die Frau am anderen Ende. Sie betont das T am Ende meines Namens, obwohl es ein stummes T ist.
»Hier ist Raven Jones. Ich bin die Souschefin im Nutrio. Wie geht es dir?«
»Gut. Toll«, erwidere ich und versuche, ruhig zu bleiben. »Es ist das Restaurant«, hauche ich meiner Familie zu.
»Nutrio!«
»Tja, äh, toll. Ich rufe alle auf unserer Liste an, weil ich einen Notfall habe.« Sie seufzt und fügt leiser hinzu: »Schon wieder.«
»Das passt perfekt«, sage ich mit meiner professionellsten Stimme. »Ich wollte mich sowieso am Montag bei Ihnen melden. Ich würde mich wahnsinnig über die Chance freuen, für das Nutrio zu arbeiten. Ich weiß, Chef Boyd hat bestimmt sehr hohe Ansprüche, aber ich habe schon mein ganzes Leben in einer Küche gearbeitet. Ich kann es kaum erwarten, allen zu zeigen, was ich kann. Was nicht heißt, dass ich mich in den Vordergrund drängen möchte. Ich bin eine total gute Teamplayerin.«
Luz nickt mir anerkennend zu. Miguel und Papa klatschen begeistert.
»Ich freue mich, das zu hören!«, sagt Raven übertrieben fröhlich. »Also, wie sieht es bei dir heute Nachmittag aus?«
Äh, wie bitte? Ich weiß, sie hat Notfall gesagt, aber ich hätte nicht gedacht, dass es so dringend wäre. Mein Plan für heute war, mich auf mein Treffen mit Zach vorzubereiten. Mehr nicht.
»Warte kurz«, sagt Raven, ehe ich etwas erwidern kann.
Im Hintergrund höre ich Töpfe scheppern, Leute rufen und hin und her rennen, es herrscht geschäftiges Treiben. Mir geht das Herz auf. Die größte Mannschaft, die Maman je hatte, waren sechs Leute, sie und mich eingeschlossen. In diesem Moment spüre ich bis ins Mark, wie gern ich im Nutrio arbeiten würde.
Raven ist wieder dran. »Kannst du zum Vorstellungsgespräch kommen? Sagen wir um sechzehn Uhr? Und wenn es gut läuft, würdest du heute Abend deine erste Schicht übernehmen.«
Nein. Nein, nein, nein, nein. Nicht heute Abend. Das ist unmöglich.
»Es tut mir wirklich leid ...«, beginne ich. Papa runzelt die Stirn, und Luz' Miene ist ein entsetztes Fragezeichen. Aber was soll ich sonst sagen? Es ist zu viel, zu schnell. Ich brauche eine Minute. »Unglücklicherweise ...«
Luz legt mir die Hand auf den Arm, um mich zu unterbrechen. »Willst du dir dein Leben ruinieren?«, flüstert sie.
»Margot«, sagt Papa liebevoll. »Es ist dein Traumjob.«
Ich bedecke das Mikro mit der Hand. »Aber Zach ...«
»Wir finden eine Lösung«, verspricht Luz. »Wir kriegen dich pünktlich zum Times Square.«
»Luz hat recht«, sagt Miguel. »Wir sind in New York. Wenn sich dir hier eine Chance bietet, ergreifst du sie und regelst die Details später.«
Sie verstehen es nicht. »Ich bin erst seit Kurzem hier, habe einen Jetlag, und dann ist da noch diese Luftfeuchtigkeit ...«
»Oui, oui«, fällt Luz mir ins Wort. »Aber Zeit vergeht hier schneller. Die Stadt wartet auf niemanden.«
Ich atme tief durch. Papa, Miguel und Luz starren mich an, drängen mich schweigend, das Richtige zu tun. Zach und ich sind füreinander bestimmt. Es wird sich alles finden. Ich wollte ein Abenteuer, tja, und hier ist es. Plötzlich habe ich Schmetterlinge im Bauch. Ich werde den Job und den Jungen meiner Träume bekommen, und das alles an einem Tag.
Ich halte das Handy wieder an mein Ohr. »Sechzehn Uhr. Ich werde da sein.«
»Bis dann«, sagt Raven, aber es klingt, als sei sie mit ihren Gedanken schon woanders. Im nächsten Moment legt sie auf.
Luz strahlt über das ganze Gesicht. »Du rockst, ma sœur.«
Ich erwidere ihr Strahlen. »Gracias, bonita. Du bist die beste Schwester, die ich nie hatte.«
⃰
Der Schriftzug über dem Eingang ist eindrucksvoll und modern. NUTRIO steht dort in schwungvollen Großbuchstaben. Im Innern hängen übergroße funkelnde Kronleuchter von freigelegten weiß angestrichenen Rohren. Ich spähe zum Fenster hinein und entdecke ein paar Gäste, die nach einem späten Brunch noch am Tisch sitzen und plaudern. Die Teller sind schon abgeräumt, die leeren Gläser stehen noch vor ihnen. Ich entdecke außerdem einen Hauch von Aktivität im Hintergrund, ein paar Gestalten bewegen sich in den Schatten. Meine neuen Kollegen bereiten sich auf die Abendschicht vor.
Ein erwartungsvoller Schauer durchfährt mich, als ich das Restaurant durch den klein gehaltenen Eingangsbereich betrete. Am verlassenen Empfangspult bleibe ich stehen. Ich laufe langsam, so, als hätte ich ungebeten ein fremdes Haus betreten, aber mein Eindringen muss bemerkt worden sein, denn eine junge Frau in einer weißen Chefuniform kommt aus dem hinteren Bereich, ein geschäftsmäßiges Lächeln im Gesicht. Sie hat dunkelbraune Haut und mittellange Haare, die zu festen Zöpfen geflochten sind und von einem farbenfrohen Seidentuch zusammengehalten werden, das zu ihrem knallroten Lippenstift passt.
»Margot? Ich bin Raven.«
Ich nehme an, dass Raven Mitte zwanzig ist, und wenn sie es in dem Alter schon zur Souschefin gebracht hat, muss sie wirklich was draufhaben.
»Hallo«, sage ich mit brüchiger Stimme. Sie streckt die Hand aus, und ich schüttle sie, obwohl es sich seltsam anfühlt. Franzosen, besonders die jungen, schütteln sich nicht die Hände.
»Danke, dass du es so kurzfristig einrichten konntest. Du weißt ja bestimmt, wie es ist. Menschen kommen und gehen in diesem Geschäft. Ständig. Manchmal kommt es mir vor, als bestünde mein Job zur Hälfte daraus, vorherzusehen, wer mal wieder nicht zur Arbeit erscheinen wird.«
»Ein Glück für mich!«, sage ich an dem Frosch in meinem Hals vorbei. »Ich konnte es kaum erwarten, mit der Arbeit anzufangen, also bin ich total happy.«
Ich habe mir natürlich Bilder vom Nutrio