Frozen - Tod im Eis - Jens Schumacher - E-Book

Frozen - Tod im Eis E-Book

Jens Schumacher

5,0

Beschreibung

Während einer Forschungsexpedition in die Antarktis verschwindet der Anthropologe Donald Wilkins, auf mysteriöse Weise. Kurzentschlossen macht sich sein Sohn Henry gemeinsam mit einem Rettungsteam auf die Suche. Schon bald stoßen sie auf Hinweise, dass Dr. Wilkins im ewigen Eis eine phänomenale Entdeckung gemacht hat: Inmitten eines auf keiner Karte verzeichneten Gebirgsmassivs liegt eine gigantische Ruinenstadt, die Millionen Jahre alt sein muss – älter als jede menschliche Zivilisation! Doch vorzeitliche Bauwerke sind nicht das Einzige, das unter dem Eis begraben liegt und auf seine Befreiung wartet …

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Meinem Vater gewidmet,der diese Geschichte gerne gelesen hätte.

Vom Autor durchgesehenen und bearbeitete Fassung.

1. Auflage

Veröffentlicht durch denMANTIKORE-VERLAG NICOLAI BONCZYKFrankfurt am Main 2021www.mantikore-verlag.de

Copyright © der deutschsprachigen AusgabeMANTIKORE-VERLAG NICOLAI BONCZYKText © Jens Schumacher 2012www.jensschumacher.eu

Satz: Karl-Heinz Zapf

Cover- und Umschlaggestaltung: Rossitza Atanassova, Matthias Lück

VP: 326-185-01-03-1021

eISBN: 978-3-96188-151-2

Jens Schumacher

FROZEN

TOD IM EIS

Roman

Das ist nicht tot, was ewig liegt,bis dass die Zeit den Tod besiegt.

Howard Phillips Lovecraft

Inhalt

PROLOG

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

EPILOG

PROLOG

NEUGUINEA, 19. JANUAR 2013

Dumpf hallten die Trommeln durch den nächtlichen Dschungel. Die Schläge hätten der Herzschlag einer gigantischen urzeitlichen Kreatur sein können, doch dafür war ihr Rhythmus zu schnell, zu hektisch. Selbst die Affen in den Baumkronen, die durch den ungewohnten Lärm aus ihrem Schlummer hochschraken und verwirrte Kreischlaute ausstießen, schienen zu spüren, dass diese Geräusche im tropischen Regenwald nicht an der Tagesordnung waren.

Sie kündeten von etwas Außergewöhnlichem.

Die Trommelschläge kamen von einer runden Lichtung in der Nähe eines Bachlaufs. Sie war so groß, dass es den umstehenden Urwaldriesen trotz ihrer weit ausladenden Äste nicht gelungen war, ein geschlossenes Blätterdach darüber zu bilden. Myriaden von Sternen blitzten vom schwarzen Himmel herab auf das, was sich tief unter ihnen im Schutze des Dschungels abspielte.

Das flackernde Licht von Fackeln, in einem weiten Kreis in die Erde gerammt, erhellte rund drei Dutzend kleinwüchsige, fast nackte Männer. Ihre dunkle Haut war beinahe vollständig mit einer dicken Schicht pflanzlicher Farbe bedeckt, lediglich Tönung und Muster unterschieden sich. Die meisten hatten ihre Gesichter gelb, die Oberkörper leuchtend rot bemalt, bei anderen war die rechte Körperhälfte braun, die linke weiß gefärbt. Jeder trug einen prächtigen Kopfschmuck aus langen, senkrecht in die Höhe ragenden Federn. Die meisten hatten ihr Haar darüber hinaus mit grünem Moos bedeckt, was den Eindruck erweckte, auf ihren breiten Schädeln wüchse Gras.

Vor zehn der Eingeborenen standen bauchige Trommeln auf dem Boden. Konzentriert und absolut synchron schlugen sie mit den Händen auf die braunen Tierfelle ein.

Alle Anwesenden hielten respektvollen Abstand zu einem steinernen Gebilde, das sich in der Mitte der Lichtung erhob. Es erinnerte an eine Stufenpyramide, war allerdings viel flacher, eine Art aus Fels gehauene Bühne. Stufen führten auf allen Seiten zu einem Quadrat von rund drei Metern Kantenlänge hinauf. In dessen Zentrum befand sich ein hüfthoher steinerner Würfel, dessen Seiten, genau wie die senkrechten Flächen der Stufen ringsum, mit primitiven Reliefs verziert waren. Trotz der dicken Schicht aus Moos und Flechten, die sie überwuchert hatten, waren die eingemeißelten Szenen noch deutlich zu erkennen.

Die Motive waren in höchstem Maße fremdartig, die Art der Darstellung ähnelte keinem bekannten Kulturkreis der Erde. Fast alle Abbildungen zeigten Menschen, Hunderte von ihnen, winzig klein wie Ameisen. Sie schienen eine Gruppe gigantisch großer Geschöpfe zu verehren, möglicherweise Drachen oder Dinosaurier, wenngleich einige dafür eindeutig zu viele Arme, Augen und sogar Köpfe besaßen. Die Menschlein knieten, lagen zu Füßen der Kreaturen auf dem Boden oder warfen sich scheinbar willenlos in deren riesenhafte aufgerissene Schlünde.

Das Knirschen brechender Äste mischte sich jetzt in den auf- und abschwellenden Rhythmus der Trommeln. Zwischen den Farnbüschen, die die Lichtung wie eine grüne Mauer umgaben, entstand Bewegung. Kreischend erhoben sich zwei rote Paradiesvögel aus ihrem Versteck im Blattwerk und taumelten schlaftrunken über die Köpfe der Versammelten davon.

Sekunden später traten fünf Männer aus dem Dickicht. Vier von ihnen hatten tiefschwarz bemalte, mit hellen Knochenmustern verzierte Körper, was sie auf den ersten Blick wie Skelette aussehen ließ. Sie trugen lange Speere, und die wachsamen Blicke, die sie in alle Richtungen warfen, machten unmissverständlich klar, dass sie die Leibgarde für das fünfte Mitglied der kleinen Gruppe darstellten.

Dieser Mann wirkte in der nächtlichen Szenerie wie ein Gespenst, ein Wesen aus einer anderen Welt. Sein Körper, nackt bis auf einen winzigen Lendenschurz, erstrahlte in leuchtendem Weiß. Über seinen Kopf war eine übergroße Maske gestülpt, an deren Seiten lange, spitz zulaufende Zungen baumelten. Sie erinnerten an die Tentakel eines Seesterns und wippten bei jedem Schritt unkontrolliert auf und ab. Mit ausgestreckten Armen trug er einen Gegenstand vor sich her, der vollständig in grüne Palmblätter eingewickelt war.

Kaum hatten die Neuankömmlinge die Lichtung betreten, beschleunigte sich der Rhythmus der Trommeln. Der hektische, stolpernde Takt erinnerte an den panischen Herzschlag eines verletzten Buschhirschs, bevor er von den Klauen eines Jaguars in Stücke gerissen wird. Die Umstehenden stimmten einen dumpfen Sprechgesang an, eine Abfolge kehliger Laute, deren Bedeutung außer ihnen niemand auf der Welt mehr verstand. Synchron wiegten sie ihre Körper vor und zurück.

Der Schamane schritt über den feuchten Waldboden auf das Podest zu. Während sich seine Bewacher im Kreis darum postierten, stieg er die Stufen hinauf und legte seine Last auf dem steinernen Würfel ab. Dann begann er, den Gegenstand aus seiner Umhüllung zu wickeln.

Als das letzte Palmblatt fiel, sank der Schamane ehrfürchtig auf die Knie. Wie auf ein geheimes Kommando verstummten Gesang und Trommeln. Stille erfüllte die stickig-schwüle Luft. Lediglich ein kollektives scharfes Einatmen war zu vernehmen, als sich die Augen der Anwesenden auf das richteten, was der Schamane gebracht hatte.

Das Idol bestand aus schwarzem, glänzend poliertem Stein. Es war ungefähr so groß wie ein menschlicher Kopf und stellte ein Wesen dar, das mit angezogenen Beinen auf einem quadratischen Sockel hockte. Die Flanken des Steinblocks waren mit einer Vielzahl verschnörkelter Symbole überzogen. Bei manchen schien es sich um Schriftzeichen zu handeln, andere hatten Ähnlichkeit mit geografischen Markierungen oder astronomischen Symbolen.

Auf dem Rücken des Geschöpfs lagen gefaltete, fledermausartige Schwingen. Anstelle eines Kopfes saß ein überdimensionaler Seestern auf seinem Hals, in dessen Zentrum ein fremdartiges, sonderbar flaches Gesicht eingearbeitet war. Von der restlichen Physiognomie war kaum etwas zu erkennen, denn die Auswüchse an den Seiten des Sternschädels hingen weit über Schultern, Brust und Rücken herab und verbargen große Teile des Körpers.

Die Eingeborenen reagierten euphorisch auf den Anblick des Götzenbilds. Ein vielstimmiger Schrei stieg aus den Kehlen der Männer auf, die Trommler begannen von Neuem, auf ihre Instrumente einzuhämmern, wilder und kräftiger als zuvor.

Der Schamane erhob sich und begann, den steinernen Altar mit wiegenden Schritten zu umrunden. Dabei gab er halb gesungene, halb gemurmelte Wortfolgen von sich, die von den Umstehenden aufgegriffen und im Chor wiederholt wurden. Er streckte die Hände zum Nachthimmel empor, kreisend, lockend, so als wollte er die Sterne selbst einladen, zu ihm und seinen Gefolgsleuten herabzusteigen.

Während die Anrufungen des Schamanen immer gellender, seine Gesten intensiver wurden, beschleunigte sich der Rhythmus der Trommeln. Nicht weit entfernt stieß ein Jaguar, der sich durch den Tumult auf seiner nächtlichen Pirsch gestört fühlte, ein irritiertes Knurren aus. Niemand achtete darauf.

Die Kultanhänger hatten ihre Positionen um die steinerne Bühne verlassen und umkreisten sie jetzt in einem taumelnden Tanz. Auch die Leibwächter des maskierten Priesters beteiligten sich am Ritual. Die Speere senkrecht in die Höhe gereckt, hüpften sie singend und knurrend an der Seite ihrer Kameraden einher.

Das Geschrei des Schamanen erreichte einen schrillen Höhepunkt. Die Trommler entlockten ihren Instrumenten ein letztes, infernalisches Stakkato, dann brachen sie abrupt ab. Der Maskierte fiel vor dem Götzenbild auf den Stein und reckte flehend die Arme gen Himmel. Sein Körper wurde von Zuckungen geschüttelt, tierhafte Laute drangen unter seiner klobigen Maske hervor.

In diesem Moment brüllte eine Stimme irgendwo zwischen den Büschen: »ZUGRIFF!«

Einen Wimpernschlag später flammten rings um die Lichtung grelle Scheinwerfer auf. Geblendet rissen die Tänzer die Hände vor die Augen, verwirrte Rufe wurden laut.

Da peitschte ein Schuss über die Lichtung. Auf der weiß bemalten Brust des Priesters explodierte eine leuchtend rote Blume, und mit einem erstickten Schrei sackte er in sich zusammen.

Bevor die Kultanhänger reagieren konnten, sprangen fünfzehn Männer in grün-braun gescheckten Militäruniformen aus dem Buschwerk hervor. Ohne zu zögern, rissen sie schwarz glänzende MPs in den Anschlag, dann wurde die Lichtung erhellt vom zuckenden Mündungsfeuer der automatischen Waffen. Schreie gellten, Körper stürzten, irgendwo wurden Befehle in englischer Sprache gebrüllt.

Binnen Sekunden war von der rund vierzigköpfigen Gruppe der Kultanhänger nur noch eine knappe Handvoll auf den Beinen, unter ihnen einer der Speerträger. Einen Ausdruck maßloser Verwirrung auf dem Gesicht, starrte er zu dem toten Schamanen auf dem Steinpodest hinauf. Dann umklammerte er mit beiden Händen seinen Speer und stürzte sich mit gefletschten Zähnen auf den am nächsten stehenden Schützen.

Der Soldat, ein junger Mann mit blondem Bürstenschnitt, hatte soeben eine Salve in die entgegengesetzte Richtung abgefeuert. Sein Blick war auf die Opfer fixiert, die er niedergestreckt hatte.

Er sah den Angreifer nicht kommen.

Schon war der Eingeborene heran. Die scharf geschliffene Spitze seiner Waffe zuckte vor, nur eine Armeslänge trennte sie noch von der Kehle des Soldaten …

In diesem Augenblick trat ein kräftiger Mann mit grauem Schnauzbart heran, der die ganze Zeit breitbeinig im Zentrum des Chaos gestanden hatte. Er trug ein schwarzes Militärbarett und war dem Anschein nach der Leiter der Operation. Ohne Eile hob er einen schweren 45er-Revolver und feuerte in rascher Folge drei Schüsse ab.

Der erste traf den Eingeborenen ins Bein. Er strauchelte, ohne dass jedoch sein Angriff ins Stocken kam. Das zweite Projektil traf ihn frontal in die Brust und riss ihn regelrecht von den Füßen. Die Wucht des Einschlags war so stark, dass er sich einmal um die eigene Achse drehte. Noch in der Luft traf ihn die dritte Kugel seitlich in den Hals.

Er war tot, bevor er auf dem matschigen Boden aufschlug.

»Martens!«, brüllte der Schnauzbärtige. »Wie oft muss ich Ihnen sagen, dass Sie nach allen Richtungen absichern sollen? Der Buschmann hätte um ein Haar Schaschlik aus Ihnen gemacht!«

Der Blonde wirbelte herum und erschrak sichtlich, als er den Körper des Speerträgers nur wenige Schritte neben sich erblickte. Er stammelte eine Entschuldigung, doch seine Worte gingen im heiseren Bellen weiterer Geschosssalven unter.

Wenige Augenblicke später war alles vorbei. Als der letzte Kultanhänger zu Boden ging, hob der Mann mit dem Barett einen Arm. Das Gewehrfeuer verstummte und wurde vom panischen Kreischen der Affen und Vögel in den umliegenden Baumkronen abgelöst.

Der Anführer drehte sich um und rief: »Sektor gesäubert. Das Baby kann adoptiert werden.«

Das Buschwerk am Rand der Lichtung geriet erneut in Bewegung, und Sekunden darauf bahnte sich ein sonderbares Gefährt einen Weg durch die Farnwedel. Es erinnerte an einen Rollstuhl, war allerdings deutlich solider konstruiert und ganz aus mattschwarzem Stahl gefertigt. Statt Rädern drehten sich stählerne Laufketten darunter, komplizierte mechanische Vorrichtungen sowie ein Kontrollpult mit Dutzenden leuchtender Knöpfe und Regler waren so angebracht, dass sie bequem vom Fahrer bedient werden konnten.

Im ergonomisch geformten Sitz des Apparats hockte ein kleiner, schmächtiger Mann von etwa sechzig Jahren. Wie die Waffenträger war auch er in einen Kampfanzug mit grün-braunem Tarnmuster gekleidet. Sein kurzes weißes Haar war hoch über der Stirn zu einer exakt waagerechten Linie geschnitten, um den Mund, dessen Lippen sich beim prüfenden Blick über die Lichtung zufrieden kräuselten, stand ein ordentlich gestutzter, schneeweißer Bart.

Neben ihm trat ein zweiter Mann aus dem Dickicht. Er war asiatischer Abstammung, nicht übermäßig groß, aber von drahtigem Körperbau. Im Gegensatz zu den übrigen Männern trug er einen hellen, elegant geschnittenen Seidenanzug. Der Stoff sah aus wie frisch gebügelt und war makellos sauber. Es schien unvorstellbar, dass sein Träger sich darin einen Weg durch das tropische Unterholz gebahnt haben sollte. Auf seiner kurzen Nase saß, wie um die nächtliche Stunde zu verhöhnen, eine dunkle Sonnenbrille.

»Gute Arbeit, Sergeant Fulton«, sagte der Mann im All-Terrain-Rollstuhl und brachte sein Gefährt neben dem Militär mit dem Barett zum Stehen. Er sprach leise und kontrolliert, die Stimme eines Mannes, der gewohnt ist, dass man seinen Befehlen Folge leistet. »Die Operation ist plangemäß abgelaufen. Ich bin zufrieden.« Ohne sich umzudrehen, machte er eine Geste in Richtung seines Begleiters. »Mr Isidro?«

Der Asiat trat an den beiden vorbei und ging zu dem steinernen Podest hinüber. Ohne sichtbare Gemütsregung stieg er über die leblosen Körper mehrerer Kultanhänger hinweg, bis er vor dem würfelförmigen Altar stand. Mit einer geschmeidigen Bewegung brachte er eine gepolsterte Neoprentasche unter seiner Anzugjacke zum Vorschein und stülpte sie vorsichtig über das fremdartige Götzenbild.

Sergeant Fulton nickte stolz. »Die Jungs haben ihr Bestes gegeben.« Er kratzte sich eine schweißglänzende, von Bartstoppeln übersäte Wange, dann wandte er sich mit fragender Miene an den Weißhaarigen. »Aber wieso mussten wir mit dem Zugriff so lange warten? Wir hätten die Wilden doch gleich zu Beginn ihrer verfluchten Trommelei hochnehmen können. Oder noch früher, als sie sich von ihrem dreckigen Dorf auf den Weg hierher gemacht haben.«

Der Mann im Rollstuhl bedachte ihn mit einem nachsichtigen Blick. »Wir haben bis zuletzt gewartet, weil das Objekt noch nicht vor Ort war.« Er wies auf Mr Isidro, der mit der gewissenhaft verschlossenen Tasche die Stufen des Podests hinabstieg. »Der uralte Ritus sieht vor, dass der Schamane das Götzenbild erst kurz vor dem Höhepunkt der Zeremonie aus einem geheimen Versteck holt und zur Kultstätte bringt. Dieses Versteck kann Meilen von der Siedlung seines Stammes entfernt liegen. Auf eigene Faust hätten wir es niemals gefunden.«

Mit einer Mischung aus Mitleid und Verachtung deutete er auf den Leichnam des Mannes mit der Seesternmaske. »Und die Wilden hätten sich eher zu Tode foltern lassen, als uns zu verraten, wo es sich befindet.«

Fulton stieß ein Schnauben aus und fischte eine halb gerauchte Zigarre aus seiner Brusttasche. Während er sie anzündete, glotzte er die Tasche in Mr Isidros Arm neugierig an. »Ziemlich viel Aufwand für eine alte Steinfigur.« Er stieß eine Rauchwolke aus, die mehrere Sekunden unbeweglich in der stickigen Luft stehen blieb. »Ich wüsste zu gern …«

In der Ferne ertönte das Startgeräusch eines großen Helikopters. Der Weißhaarige bewegte ein weiteres Mal kaum merklich die Hand, worauf Mr Isidro zum Rand der Lichtung marschierte und Anstalten machte, zwischen den Farnbüschen zu verschwinden. Als er die Zweige beiseitebog, schnellte vor ihm unvermittelt der schlanke grüne Kopf eines Baumpythons herab. Mehrere Herzschläge lang starrten Reptil und Asiat einander in die Augen. Die gespaltene Zunge des Pythons schnellte aus seinem geschuppten Maul – einmal, zweimal …

Und dann, keinen Wimpernschlag später, baumelte nur noch der kopflose Leib der toten Schlange aus dem Geäst.

Ohne den zuckenden Kadaver eines weiteren Blickes zu würdigen, setzte sich Mr Isidro wieder in Bewegung. Mit einer routinierten Bewegung schob er das kleine, beidseitig geschliffene Messer in sein Jackett zurück, das er im Bruchteil einer Sekunde gezückt hatte, und verschwand im Buschwerk, wobei er eine alte japanische Weise vor sich hinpfiff.

»Sie wüssten zu gern – was?« Mit der Andeutung eines Lächelns wandte sich der Weißhaarige an Sergeant Fulton.

Der Sergeant schluckte. »Ich, also … Die ganze Operation hat ein kleines Vermögen gekostet.« Er paffte nervös an seiner Zigarre. »Dieses mickrige Artefakt … Ist es das tatsächlich wert?«

Der Rollstuhlfahrer betrachtete versonnen einen goldenen Siegelring am Mittelfinger seiner rechten Hand. Ein zackiges S war ins Zentrum des Ovals eingraviert. »Wenn Sie damit meinen, ob mir irgendein Museum auf der Welt auch nur ein Zehntel dessen dafür zahlen würde, was ich für die Bergung dieses Götzenbildes investiert habe, so lautet die Antwort: nein.«

»Aber wozu …«

Die Augen des Mannes mit dem weißen Haar verengten sich. Er fixierte sein Gegenüber kalt. »Glauben Sie mir, Sergeant: Sie wollen nicht wissen, wozu ich dieses Artefakt benötige. Sie würden mir ohnehin nicht glauben, wenn ich es Ihnen verriete.«

Damit wendete er seinen Rollstuhl, steuerte ihn über den unebenen Boden der Lichtung und verschwand im Grün des Dschungels.

1

8.000 METER ÜBER DEM SÜDLICHEN POLARKREIS,04. APRIL 2013

Der Geräuschpegel im Innern des Flugzeugs war enorm. Das Dröhnen der vier Propellermotoren drang so gut wie ungedämpft in den Innenraum, wo es von den unverkleideten Stahlwänden noch verstärkt wurde. Henry war in seinem Leben schon mit den verschiedensten Flugzeugtypen geflogen, von einmotorigen Cessnas bis hin zu der komfortablen Boeing 747, die ihn tags zuvor von Toronto nach Neuseeland gebracht hatte. So laut wie in dieser Maschine war es noch nie gewesen.

Aber er war schließlich auch noch nie zuvor in die Antarktis geflogen.

Henry spürte, wie sich ein vorfreudiges Kribbeln in seinem Magen breitmachte, als ihm das Ziel seiner Reise wieder bewusst wurde: er, Henry Wilkins, in der Antarktis – der kältesten, abgelegensten, der lebensfeindlichsten Region der Erde. Die ganze Sache war total verrückt. Doch das machte sie nur umso aufregender.

Grinsend ließ sich Henry gegen das rote Kunststoffnetz sinken, das die Rückenlehne der unbequemen Sitzbank bildete.

Die Hercules LC-130 war eigentlich ein reines Transportflugzeug, was man vor allem daran merkte, dass es keine ordentliche Bestuhlung gab. Zwei mit dünnen Kissenauflagen gepolsterte Metallbänke an den Längsseiten stellten die einzigen Sitzgelegenheiten dar, die sich die Passagiere zu allem Überfluss auch noch mit ihrem Gepäck teilen mussten. Und das war, dem Ziel der Reise angemessen, nicht wenig.

»Atzöhnaut, as?«

Henry drehte den Kopf. Ihm gegenüber, eingekeilt zwischen Taschen, Rucksäcken und Kisten, hockte die schmächtige Gestalt von Professor Albrecht, dem Henry seine Anwesenheit an Bord zu verdanken hatte.

»Wie bitte? Was haben Sie gesagt?«, brüllte Henry zurück.

»Ich sagte: Ganz schön laut, was?«, wiederholte der Professor, wobei er übertrieben die Lippen bewegte, damit Henry ihn besser verstehen konnte. »Du solltest auch welche von denen hier anlegen!« Er deutete auf die leuchtend roten Stopfen, die rechts und links aus seinen Ohren hervorstanden. Es waren Gehörschutzeinsätze, die einer der Piloten vor dem Start ausgeteilt hatte. Dummerweise hatte er vergessen dazuzusagen, dass man das gummiartige Material vor dem Einsetzen zusammendrücken musste. Professor Albrecht hatte darauf verzichtet – mit dem Resultat, dass er die Stöpsel kaum zu einem Drittel in seine Gehörgänge hineinbekommen hatte. Henry winkte dankend ab und drehte den Kopf, damit der Professor sein Grinsen nicht bemerkte.

Wenn man nicht wusste, dass Professor Hilmar Albrecht ein Wissenschaftler von internationalem Rang war, konnte man den kleinen Mann leicht für einen vertrottelten Bücherwurm halten. Der kugelrunde Kopf mit dem kurz geschorenen Haar saß tief zwischen schmalen Schultern, die dicken Gläser seiner runden Drahtgestellbrille vergrößerten seine Augen auf die Größe von Zweidollarmünzen. Hinzu kam, dass er durch seine gebückte Statur mit dem vorstehenden Bauch grundsätzlich schlecht angezogen wirkte, ganz gleich, was er trug. Auch jetzt, eingehüllt in mehrere Schichten dick gepolsterter Expeditionskleidung, sah er aus, als wären alle Kleidungsstücke entweder drei Nummern zu groß, falsch zugeknöpft oder als trüge er sie schlicht und ergreifend verkehrt herum.

Henry wusste, dass viele Studenten den Professor für einen komischen Kauz hielten – ein Ruf, zu dem zweifellos auch seine Vorliebe für hoffnungslos veraltete Redensarten beigetragen hatte. Diejenigen, die sich etwas eingehender mit ihrem Studienfach auseinandersetzten, stellten allerdings bald fest, dass der deutschstämmige Wissenschaftler zu einer kleinen, weltweit anerkannten Gruppe von Experten auf dem Gebiet der Archäologie zählte. Auf seinen Forschungsreisen hatte er etliche aufsehenerregende Funde gemacht, seine Lehrbücher galten unter Archäologiestudenten als Standardwerke.

»Sapperlot!«, rief Professor Albrecht plötzlich aus. »Was freue ich mich auf Donalds Gesicht, wenn er sieht, wen wir ihm mitbringen! Dein Vater wird Augen machen, das verspreche ich dir.« Er zwinkerte Henry zu und widmete sich wieder dem Buch, das aufgeschlagen auf seinem Schoß lag.

Sapperlot – so sprach heute kein Mensch mehr. Henry grinste erneut. Er kannte Hilmar Albrecht schon, seit er ein kleiner Junge war. Der Professor war ein langjähriger Freund seines Vaters, die beiden hatten gut und gern ein Dutzend Expeditionen zusammen bestritten. Mehr als einmal war es vorgekommen, dass einer von ihnen dem anderen um die halbe Welt nachreiste, wenn es um eine spektakuläre Entdeckung ging.

So wie jetzt.

Henrys Vater, Dr. Donald Wilkins, war Anthropologe. Er zog, bewaffnet mit Geologenhammer und Lupe, rund um den Globus, auf der Suche nach Hinterlassenschaften vergangener Kulturen. Wenn er ausnahmsweise einmal nicht unterwegs war, hielt er an der Universität von Toronto Vorlesungen oder arbeitete an einer Monografie zum Thema »Vergessene Kulte und Riten«, seinem Spezialgebiet.

In den vergangenen zwanzig Jahren hatte Donald Wilkins sämtliche Erdteile bereist – alle bis auf die Antarktis. Der südlichste aller Kontinente war seit Menschengedenken unbesiedelt, weshalb er nie ein lohnendes Ziel für anthropologische Forschungen dargestellt hatte.

Umso größer war die Aufregung gewesen, als Henrys Vater vor etwa sieben Wochen im Internet auf den Bericht einer Gruppe norwegischer Glaziologen gestoßen war. Die Forscher waren bei der Entnahme von Eisproben in der Antarktis überraschend auf Grundgestein gestoßen. Bei der folgenden Untersuchung hatten sie darin uralte Markierungen entdeckt, bei denen es sich möglicherweise um Schriftzeichen handelte – ein gefundenes Fressen für jeden Erforscher vergangener Kulturen. Dr. Wilkins hatte sich in Rekordzeit von allen Verpflichtungen an der Uni freigemacht, ein zwölfköpfiges Team aus Wissenschaftlern und Technikern zusammengetrommelt und war mit der nächsten verfügbaren Maschine gen Süden geflogen.

Henry wurde unsanft aus seinen Gedanken gerissen, als das Flugzeug abrupt in die Tiefe sackte. Die Motoren heulten widerwillig auf, und nur mühsam gewann die LC-130 wieder an Höhe. Noch einmal bockte die schwere Maschine wie ein Esel, der seinen Reiter abzuwerfen versucht, dann stabilisierte sich der Flug.

Als er sicher war, dass keine Turbulenzen mehr folgen würden, ließ Henry das rote Kunststoffnetz los, an dem er sich aus Reflex festgeklammert hatte. Er bückte sich und hob das Buch vom Boden auf, das dem Professor bei dem ruppigen Flugmanöver heruntergefallen war.

»Ach du grüne Neune! Danke, Henry.«

Hilmar Albrecht wirkte auffallend blass um die Nase. Henry lächelte dem kleinen Archäologen aufmunternd zu, bevor seine Gedanken wieder zu seinem Vater zurückwanderten.

In den ersten Tagen nach seiner Abreise hatte Donald Wilkins noch E-Mails in die Heimat gesendet. Trotz des stichwortartigen Stils sprühten die kurzen Botschaften nur so vor Begeisterung – die fanatische Neugier des Forschers, der etwas bislang Unbekanntes zu entdecken hofft.

Die letzte Mail lag mittlerweile über drei Wochen zurück. Henry machte sich wegen der Funkstille keine Sorgen. Er kannte seinen Vater: Wenn Donald Wilkins etwas Aufsehenerregendes in der Mache hatte, vergaß er mit schöner Regelmäßigkeit die Welt um sich herum. Er meldete sich erst zurück, wenn er, bepackt mit zentnerweise Proben, Fotos und Aufzeichnungen, wieder am Flughafen von Toronto stand.

Henry kam mit dieser Marotte seines Vaters zurecht. Seine Mutter dagegen, Amber Wilkins, hatte die Ungewissheiten, die der Beruf ihres Mannes mit sich brachte, stets gehasst. Ein ums andere Mal hatte sie ihn gebeten, seine Forschungsaktivitäten zu reduzieren und mehr Zeit zu Hause zu verbringen. Schließlich hatte Henrys Vater eingewilligt. Er sagte eine Exkursion nach Mexiko ab und brach stattdessen mit seiner Frau zu einem Segelurlaub auf dem Lake Ontario auf.

Der Rest war traurige Geschichte.

Ein paar Monate nach ihrem tödlichen Unfall war Henry nach Collingwood gezogen, in ein Internat zwei Autostunden von Toronto entfernt. Es war seine eigene Entscheidung gewesen. Er wollte nicht länger in seinem Elternhaus bleiben, wo ihn alles an seine Mutter erinnerte. Darüber hinaus war ihm klar, dass sein Vater als Alleinerziehender das Reisen würde aufgeben müssen. Dafür wollte er nicht verantwortlich sein.

Nach anfänglichen Eingewöhnungsschwierigkeiten gefiel es ihm in Collingwood immer besser. Neben der Schule spielte er Basketball, war Mitglied im Fechtverein, ging viermal in der Woche schwimmen und leitete einen Informatikkurs für jüngere Schüler. Darüber hinaus fuhr er seit dem letzten Sommer jedes zweite Wochenende die Küste des Lake Huron hinauf und nahm Paragliding-Unterricht. Bei einem derart vollen Programm kam es nicht selten vor, dass ihm das Ausbleiben von Mails seines Vaters erst auffiel, wenn dieser lachend am Telefon verkündete, er sei längst wieder zurück.

Donald Wilkins konnte auf sich selbst aufpassen. Drei Wochen ohne Nachricht von ihm waren kein Grund, sich Sorgen zu machen.

Unvermittelt heulten die Motoren des Flugzeugs von Neuem auf. Die LC-130 wurde nach rechts geschleudert, als wäre sie von einer riesigen Faust getroffen worden. Professor Albrecht klammerte sich stöhnend am Gepäcknetz der gegenüberliegenden Sitzbank fest.

In diesem Moment rief eine weibliche Stimme irgendwo rechts von Henry: »Diese Turbulenzen dürften erst der Anfang sein. Ziemlich hirnverbrannte Idee, mitten in den antarktischen Winter hineinzufliegen. Findest du nicht auch, Henry?«

Ein Haufen zum Bersten gefüllter Rucksäcke und Taschen geriet in Bewegung, und dahinter kam der Kopf von Dr. Eileen Cavanaugh zum Vorschein. Die dunkelhaarige Wissenschaftlerin grinste. »Aber wenn deinen Vater die Neugier packt, ist er unbelehrbar. Dann ist ihm völlig egal, ob am Ziel seiner Reise gerade das schlechteste Wetter der Welt herrscht.« Sie lachte hell. Professor Albrecht, der sich noch immer mit panischem Gesichtsausdruck an seinem Sitz festhielt, starrte sie verständnislos an.

Dr. Cavanaugh unterrichtete Geschichte an der Universität von Toronto. Ein ziemlich lahmes Fach, wie Henry fand. Für eine Historikerin sah sie allerdings ungewöhnlich gut aus: knapp dreißig, langes dunkles Haar, durchtrainierte Figur. Wenn sie Expeditionskleidung trug und ihre Mähne wie jetzt zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, erinnerte sie frappierend an Lara Croft aus dem Computerspiel Tomb Raider.

»Antarktischer Winter?« Henry runzelte die Stirn. Auf ihrem Flug von Toronto nach Neuseeland hatte ihm Professor Albrecht ein Sachbuch über die Antarktis in die Hand gedrückt, damit er sich auf ihr Reiseziel einstimmen konnte. Leider war der Band komplett unbebildert und so trocken geschrieben, dass man wahrscheinlich über fünfzig, am besten aber Professor sein musste, um ihn einigermaßen unterhaltsam zu finden. Außerdem hatte das Bordkino der 747 ohne Unterbrechung brandaktuelle Actionfilme gezeigt, und so war Henry nur wenige Seiten über die Einleitung des Buches hinausgekommen. Nun wusste er zwar, dass die Antarktis so groß war wie Australien und Europa zusammen, dass sie mehr Sonnenschein abbekam als Kalifornien, kälter als ein Eisfach sein konnte und unbelebter war als die Sahara, aber er hatte keine Ahnung, wieso man nicht im April zum Südpol fliegen sollte.

Eileen Cavanaugh bemerkte seinen fragenden Blick. Sie umrundete den Gepäckberg und ließ sich neben ihm auf der Bank nieder. »So brauchen wir uns nicht die Seele aus dem Leib zu brüllen«, verkündete sie. Dann deutete sie auf eines der winzigen runden Bullaugenfenster in der gegenüberliegenden Bordwand. Dahinter war wirbelndes Weiß zu erkennen, wattige Wolkenschichten, die von enormen Auf- und Abwinden durchgequirlt wurden wie Milchshake in einem Mixer.

»Wenn auf der Nordhalbkugel Frühjahr herrscht, so wie jetzt, geht es auf der Südhalbkugel mit Riesenschritten auf den Winter zu«, erklärte sie.

Henry erinnerte sich an etwas, das er vor Jahren einmal in der Schule gelernt hatte. »Die Jahreszeiten sind vertauscht … weil die Erde schief im Weltraum hängt, nicht wahr?«

»Die Erdachse steht um dreiundzwanzigeinhalb Grad schräg, um genau zu sein.« Die Wissenschaftlerin nickte zustimmend. »Aufgrund dieser Neigung erreichen die Sonnenstrahlen während bestimmter Perioden einen der beiden Pole nicht. Das Resultat ist die sogenannte Polarnacht: fast vier Monate Dunkelheit, im einen Halbjahr auf der Nordseite, im anderen auf der Südhalbkugel.«

»Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht, Dr. Cavanaugh. Im Gegensatz zu mir.« Henry zuckte zerknirscht mit den Schultern.

»Sag Eileen zu mir. Und meine bescheidenen Kenntnisse habe ich alle hieraus.« Sie zog ein dünnes Büchlein aus einer Tasche ihrer Expeditionsmontur. Es war eine knallbunt illustrierte Info-Broschüre über die Antarktis. »Kannst du dir gerne ausleihen. Wenn ich dir einen guten Rat geben darf: Trau nie einer Lektüreempfehlung von Hilmar Albrecht.«

»Ich werd’s mir merken«, erwiderte Henry grinsend. »Was diesen Polarwinter angeht … Soll das etwa heißen, wir werden dort unten die ganze Zeit im Dunkeln hocken?« Er verzog das Gesicht. »So hatte ich mir meinen Überraschungsbesuch bei Dad eigentlich nicht vorgestellt.«

Eileen schüttelte den Kopf. »Ganz so schlimm wird es nicht werden. Die südliche Polarnacht beginnt erst Anfang Mai, in manchen Gebieten noch später. Aber schon jetzt dauern die Nächte weit über zwölf Stunden, und das Wetter verschlechtert sich zunehmend.« Sie warf einen mitleidigen Blick zu Professor Albrecht hinüber. Er hockte verkrampft auf seiner Bank, Schweißperlen standen auf seiner Stirn.

»Unser Pilot hat mir vor dem Start anvertraut, dass wir um diese Jahreszeit südlich des Polarkreises mit erheblichen Behinderungen rechnen müssen«, fuhr sie so leise fort, dass Henry sie gerade noch verstehen konnte. »Der antarktische Winter ist eine Zeit der Stürme. Windgeschwindigkeiten von bis zu 150 Stundenkilometern sind keine Seltenheit. Aus diesem Grund fliegt so spät im Jahr normalerweise niemand mehr hinunter. Die letzten Versorgungsflüge für die paar Forschungsstationen, die während des Winters bemannt bleiben, gehen im Februar, spätestens März ab.«

Wie zur Bestätigung ihrer Worte fuhr eine neue Folge heftiger Stöße durch den Rumpf der LC-130. Die Maschine wurde hin und her geschüttelt wie ein Spielzeug. Henry dankte dem Schicksal dafür, dass sein Magen durch das Paragliding-Training ziemlich abgehärtet war.

Professor Albrecht schien diesbezüglich weniger gut gerüstet zu sein. Sein Gesicht hob sich mittlerweile kaum noch von den grau gestrichenen Stahlwänden des Flugzeugs ab. Hektisch begann er, sein Handgepäck zu durchwühlen, offenbar auf der Suche nach einer Spucktüte.

»Phänomenal«, meldete sich in diesem Moment das vierte Mitglied ihrer Gruppe zu Wort. Henry drehte den Kopf und spähte zum Ende der anderen Sitzbank hinunter.

Dr. Duncan Lamont war Facharzt für virale Infektionen und Tropenkrankheiten. Professor Albrecht hatte seinen Universitätskollegen dafür gewonnen, im Rahmen ihrer kleinen Expedition die Funktion des medizinischen Beraters zu übernehmen.

Optisch hatte Lamont nicht viel mit den Ärzten gemein, die Henry bisher kennengelernt hatte. Er war Mitte vierzig, allerdings nur knapp einen Kopf größer als Henry. Mit seiner gedrungenen Statur, dem akkurat gestutzten Oberlippenbart und den strahlend weißen, extrem ebenmäßigen Zähnen wirkte er wie eine Nebenfigur in einem Indiana Jones-Film. Eine positive Nebenfigur wohlgemerkt, kein Scherge der Nazis oder anderer Bösewichter.

Was ihn Henry weiterhin sympathisch machte, war die Tatsache, dass er im Gegensatz zu vielen Erwachsenen keinerlei Berührungsängste zu haben schien, was moderne Technik anging. Unmittelbar nach dem Abflug hatte er es sich mit einigen Decken auf der Bank bequem gemacht und sich in die Bedienung eines Tablet-PCs vertieft, den er nun fasziniert in der Luft schwenkte.

»Wirklich phänomenal«, wiederholte er. »Laut dieser Navigationssoftware haben wir soeben den PSR überflogen.«

»Wie meinen?« Die Stimme des Professors klang gut eine Oktave höher als zu Beginn des Flugs. »Was soll das sein – PSR?«

»Der Point of Safe Return.« Lamont richtete sich auf, rutschte ein Stück auf den Professor zu und zog diesem mit spitzen Fingern einen seiner Ohrenstöpsel heraus. »Auch ›Punkt der sicheren Rückkehr‹. So nennt man auf langen Flügen ohne Möglichkeit eines Zwischenstopps jene Stelle, an der mehr als die Hälfte des Treibstoffs verbraucht ist. Von da an ist der Pilot nicht mehr in der Lage, zum Ausgangsflughafen zurückzukehren. Er kann nur noch stur auf sein Ziel zuhalten – und hoffen, dass er heil ankommt.«

Lamont grinste und ließ seine unnatürlich weißen Zähne aufblitzen, ein Andenken an eine Forschungsreise in den indischen Busch, wie Henry einst von seinem Vater erfahren hatte. Lamont hatte sich dort vor Jahren mit einem unbekannten, extrem aggressiven Virus infiziert, der binnen kürzester Zeit sein komplettes Zahnfleisch zerstörte. Als der Mediziner nach Kanada zurückkehrte, hatte er kaum noch Zähne im Mund. Nur dank der Handwerkskunst moderner Dentaltechniker konnte er ein halbes Jahr später wieder strahlend lächeln.

Mit zitternden Fingern entwand Professor Albrecht dem Arzt seinen Ohrstöpsel und stopfte ihn zurück an seinen Platz. Dabei machte er ein Gesicht, als hätte ihm gerade jemand einen verfaulten Fisch unter die Nase gehalten. Offenbar war er nicht in Stimmung, etwas über den Point of Safe Return zu hören.

»Sie sahen schon frischer aus, Hilmar«, stellte Dr. Lamont fest, noch immer lächelnd. »Fühlen Sie sich nicht gut?«

Professor Albrecht schüttelte kläglich den Kopf.

»Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Ich habe etwas gegen Reisekrankheit in meinem Handgepäck.« Der Arzt begann, in einer Tasche zu wühlen.

Als Henry den Professor so beobachtete, wurde ihm bewusst, wie eng dessen Freundschaft mit seinem Vater sein musste, wenn Albrecht bereit war, derartige Strapazen auf sich zu nehmen.

Oder wie groß seine Neugier auf das war, was Donald Wilkins im Eis entdeckt hatte.

Instinktiv zog Henry sein Netbook aus der Reisetasche, die angegurtet neben ihm stand, und klappte es auf. Er hatte sich die Videobotschaft, die sein Vater drei Wochen zuvor an Hilmar Albrecht geschickt hatte, kurz nach dem Start noch einmal angesehen. Ein Druck auf Play erweckte das Wiedergabefenster des Medienplayers erneut zum Leben.

Donald Wilkins saß im Computerraum des McMurdo-Camps, der größten US-amerikanischen Forschungsstation in der Antarktis. Sein seitengescheiteltes braunes Haar wirkte ein wenig fettig, die von jahrelanger Ausgrabungsarbeit unter freiem Himmel wettergegerbte Haut etwas blasser als sonst. In seinen hellwachen grünen Augen loderte jedoch das altbekannte Feuer der Begeisterung, welches die Aussicht auf eine wissenschaftliche Entdeckung stets in ihm entfachte.

»Hilmar! Du glaubst nicht, wie lange wir gebraucht haben, um sämtliche Stellen abzuklappern, an denen die Norweger Proben entnommen haben«, beschwerte sich Dr. Wilkins nach einer kurzen Begrüßung. »Die Burschen waren im Auftrag eines internationalen Unternehmens unterwegs, das anhand von Eisproben die klimatischen Veränderungen in der Antarktis während der letzten 100.000 Jahre erforscht. Nachdem ich die Firma eine Weile gelöchert hatte, stellte man mir ein digitales Log mit den GPS-Daten ihrer Route zur Verfügung. Doch selbst damit waren die Löcher im Eis noch verflucht schwer zu lokalisieren. Lagerplätze und Bohrequipment waren längst abgebaut. Und finde du mal ein kopfgroßes Loch in einer weißen Wüste! Davon abgesehen würdest du nicht glauben, an wie vielen Stellen diese Jungs insgesamt Proben genommen haben.«

Donald Wilkins stieß einen Seufzer aus.

»Blöderweise hat keiner von ihnen daran gedacht zu vermerken, bei welcher ihrer Bohrungen sie unter der Eisdecke auf Grundgestein gestoßen sind – Grundgestein mit ›unerklärlichen, möglicherweise durch tektonische Aktivitäten verursachten Oberflächenmustern‹, wie sie es ausdrückten. Typisch Glaziologen: kein Interesse an Dingen, die nicht aus gefrorenem Wasser bestehen.«

Er lachte kurz und schüttelte den Kopf.

»Egal. Wir haben den Ort jetzt jedenfalls ausgemacht. Nach allem, was ich bisher mit unserer ferngesteuerten Kamera dort unten erkennen konnte … Hilmar, ich sage dir: Ich bin hier auf etwas ganz Großes gestoßen! Allem Anschein nach sind die Zeichen künstlichen Ursprungs und verflucht alt. Das könnte sämtliche Theorien über Entdeckung und Besiedlung der Antarktis über den Haufen werfen!«

Trotz der gedämpften Beleuchtung des Computerraums war nicht zu übersehen, dass Donald Wilkins’ Gesicht vor Aufregung eine rötliche Färbung angenommen hatte.

»Das Problem ist, dass das Gestein an der betreffenden Stelle fast hundert Meter unter dem Eis liegt. Um die Inschriften vernünftig untersuchen zu können, bräuchte ich ein Side-Scan-Sonar und einen Sub-Bottom-Profiler. Eine Multi-Sensor-Cam wäre hilfreich, außerdem …«

Er brach ab und deutete auf einen Bereich unterhalb der Webcam, die ihn aufnahm.

»Ich habe eine Liste aller erforderlichen Apparate zusammengestellt und an diese Mail angehängt. Hier unten ist natürlich nichts zu bekommen, die meisten Forschungsstationen sind längst für den Winter dichtgemacht. Meinst du, du könntest die Sachen für mich auftreiben und schnellstmöglich herunterschicken? Das meiste müssten unsere Geologenfreunde von der Uni im Bestand haben. Falls es Probleme mit Zoll oder Logistik geben sollte, lass dir von Dekan Borner helfen. Er kennt sich mit kniffligen Verschickungsaktionen aus.«

Dr. Wilkins pausierte, lehnte sich zurück und atmete mehrmals tief durch.

»Ich danke dir von Herzen. Und bitte bestell Henry Grüße von mir! Falls ich’s schaffe, werde ich mich noch einmal bei ihm melden, bevor wir wieder hinaus aufs Eis fahren.«

Er dachte kurz nach, dann hieb er mit der flachen Hand auf die Schreibtischplatte, dass die Webcam erzitterte.

»Verdammt, Hilmar! Ich wünschte, Henry und du, ihr könntet hier bei mir sein. Diese Sache verspricht, die größte Entdeckung meiner bisherigen Karriere zu werden.«

Er grinste und hob die Hand zum Abschied an eine nicht vorhandene Hutkrempe.

»Wilkins over und out.«

Das Bild erstarrte, die Aufnahme war zu Ende. Henry betrachtete noch einige Sekunden lang das übernächtigt wirkende Gesicht seines Vaters mit den leuchtend grünen Augen, dann klappte er das Netbook zu und verstaute es wieder in seiner Tasche.

Angesteckt von der Euphorie seines alten Freundes hatte sich Professor Albrecht sofort nach Erhalt der Botschaft darangemacht, die gewünschten Gerätschaften zu organisieren. Als er die empfindlichen Apparate allerdings in die Antarktis verschicken wollte, musste er feststellen, dass deren Transport extrem aufwendig und teuer sein würde – so teuer, dass man für annähernd dasselbe Geld eine kleine Expedition ausstatten und das Material persönlich hinunterbringen konnte. Und nachdem sein fachlicher Ehrgeiz durch die Andeutungen seines Freundes natürlich längst geweckt war, zögerte der Professor nicht lange.

Die erforderlichen Mittel waren rasch aus Fördertöpfen der Universität losgeeist. In Eileen Cavanaugh und Dr. Lamont fand Albrecht zwei gute Bekannte von Donald Wilkins, die beide über Expeditionserfahrung verfügten und sich sofort bereit erklärten, ihn zu begleiten.

Ein paar Tage vor dem geplanten Abflug hatte Professor Albrecht das Video an Henry weitergeleitet, da er davon ausging, dass dieser sich über ein Lebenszeichen seines Vaters freuen würde. Als er aus dessen Antwortmail erfuhr, dass in Collingwood soeben die Osterferien begonnen hatten, kam ihm eine Idee. Er bot Henry an, ihn und die anderen bei ihrer Materiallieferung zum Südpol zu begleiten und Donald Wilkins – der sich Henry und den Professor ja selbst an seine Seite gewünscht hatte – gehörig zu überraschen.

Henry hatte bis zu diesem Zeitpunkt eigentlich nicht vorgehabt, das Internat in den Ferien zu verlassen. Wenn sein Vater auf Reisen war, stand ihr Haus in Markham, einem Vorort von Toronto, leer, und die Aussicht, fast drei Wochen lang allein dort herumzuhocken, war nicht sonderlich verlockend. Aus diesem Grund hatte Henry seinem Informatiklehrer Mr Plisker angeboten, ihm über Ostern bei der Einrichtung des neuen Computernetzwerks der Schule zu helfen.

Das spontane Angebot des Professors brachte seine Pläne gehörig durcheinander. Als er sich jedoch die Videobotschaft seines Vaters ansah, spürte er, wie seine Abenteuerlust die Oberhand gewann. Wenig später stand Henrys Entschluss fest: Er würde mitkommen.

2

8.000 METER ÜBER DEM SÜDLICHEN POLARKREIS,04. APRIL 2013

Während ihm die Ereignisse der letzten Tage durch den Kopf gingen, wurde Henry plötzlich bewusst, dass Eileen ihn aufmerksam beobachtete. Mit fragendem Blick wandte er sich zu ihr um.

»Ihr seht euch sehr ähnlich, Donald und du«, stellte sie fest. »Dieselben grünen Augen, dasselbe blonde Haar …«

»Meins ist wohl momentan etwas länger als Dads.« Henry wies grinsend auf die Haarsträhnen, die über den Kragen seiner dicken Jacke bis fast auf seine Schultern herabhingen.

»Donald hat mir erzählt, dass du ihn früher auf einige seiner Reisen begleitet hast?«, erkundigte sich Eileen.

»Als ich jünger war, hat er mich hin und wieder mitgenommen. Ich glaube, beim ersten Mal war ich sieben. Eine Expedition nach Indonesien. Es gibt ein Foto, auf dem ich mit Dads Laptop im Dreck sitze und Solitaire spiele, während er und seine Mitarbeiter ein paar Schritte weiter die zwanzigtausend Jahre alte Siedlung eines kurz zuvor entdeckten Urmenschenstammes ausbuddeln.« Henry lächelte bei dem Gedanken. »Später war ich mit ihm in Griechenland, Südafrika und Ägypten. Und in Südamerika, wo Dad am Oberlauf des Amazonas nach Überbleibseln irgendeines alten Götterglaubens suchte. Für sein Buch.«

»›Vergessene Kulte und Riten‹. Ich weiß Bescheid.«

Das Flugzeug kippte in ein Luftloch und schwang sich unter sirenenartigem Geheul wieder empor. Henry und Eileen ignorierten es.

»Wahrscheinlich hätte er mich noch öfter mitgenommen, aber Mom war dagegen. Ein Wunder, dass er das überhaupt hin und wieder durchboxen konnte.« Henry starrte gedankenverloren durch eines der Bullaugen, hinter dem es nach wie vor wirbelte wie im Sichtfenster einer Waschmaschine. »Aber das ist schon viele Jahre her. Seit ich in Collingwood bin, war ich nicht mehr mit Dad unterwegs.«

Eileen nickte. »Aber du bringst etwas Vorbildung mit, was Expeditionen in unerschlossene Gegenden angeht. Das ist gut.« Sie griff über den Gepäckhaufen in ihrem Rücken und angelte sich eine braune Packpapiertüte, aus der sie einen dunklen Schokoladenmuffin zutage förderte. »Die Ausrüstung, die sie uns beim IAC verpasst haben, hat dich also nicht vor größere Rätsel gestellt?«

Henry zögerte. Wenn er ehrlich sein sollte, waren die braunen Papiertüten mit Reiseproviant für den rund achtstündigen Flug die einzigen Ausrüstungsgegenstände gewesen, mit denen er auf Anhieb zurechtgekommen war. Ansonsten hatte ihn das, was sie im International Antarctic Centre am Flughafen von Christchurch erwartet hatte, eher verwirrt.

Da war zunächst eine immense Masse an Kleidungsstücken für jeden der vier Expeditionsteilnehmer gewesen. Vieles davon war dick isoliert, hatte merkwürdige Beschichtungen und ließ sich teilweise sogar aufblasen. Neben Jacken und Anoraks, die mit sonderbar knisterndem Material gefüttert waren, gab es gleich mehrere Garnituren Handschuhe, Bergstiefel, Schutzbrillen sowie Unterwäsche und Socken aus dickem Fleecestoff.

Zu der Ausrüstung, die Professor Albrecht von Toronto vorbestellt hatte, gehörten weiterhin mehrere kompakt verschnürte Ballen aus gelbem Kunststoff mit der Aufschrift AlaskaTent sowie etliche Kisten, gefüllt mit Proviant und technischem Gerät. All das war zusammen mit einem halben Dutzend glänzender Aluminiumcontainer, die die wissenschaftlichen Apparate für Henrys Vater beinhalteten, in der riesigen Ladeklappe der LC-130 verstaut worden.

»Ich, äh … bin irgendwie zurechtgekommen«, sagte Henry ausweichend und nahm ein Sandwich aus der Provianttüte, die Eileen ihm auffordernd hinhielt.

Das war optimistisch formuliert. Ohne die einstündige Einweisung einer engagierten IAC-Mitarbeiterin hätte Henry jetzt ganz gewiss nicht so ordentlich verschnürt hier gesessen, in insgesamt drei Schichten Polypropylen, zwei Schichten Fleece, winddichten Hosen, kunstfasergefütterten Handschuhen und luftisolierten Gletscherstiefeln. Rückblickend war er dem Mädchen ausgesprochen dankbar, denn in dem kaum geheizten Transportflugzeug hätte er sich andernfalls längst den Tod geholt.

Auf der Brust des knallroten Parkas, den er über allem trug, klebte ein Klettstreifen mit seinem Namen. Außerdem hatte jeder Expeditionsteilnehmer vor dem Abflug eine Kette mit mehreren Metallplättchen erhalten, auf denen unverständliche Zahlenkolonnen sowie sein vollständiger Name eingestanzt waren. Als er sich die Kette um den Hals gehängt hatte, war Henry sich wie eine Figur aus einem Actionfilm vorgekommen. Erst später war ihm aufgefallen, dass solche Marken unter anderem der Identifizierung von Toten dienten.

»Der Aufwand ist enorm«, sagte Eileen kauend. »Aber die vielen Vorkehrungen sind unumgänglich. Die Antarktis gilt nicht umsonst als die am schwierigsten zu erforschende Region der Erde. Kein Wunder, bei einer Durchschnittstemperatur von minus fünfzig Grad.«

»Minuff fünfzig?«, wiederholte Henry mit vollem Mund.

»Im Landesinnern. An der Küste, wo wir landen, ist es milder. Aber die tiefste je gemessene Temperatur betrug minus neunundachtzig Grad Celsius, dokumentiert 1983 von einer russischen Forschungsstation.«

Das Flugzeug um sie herum ratterte mit einem Mal los, als würde es über einen nicht enden wollenden Bahnübergang rollen. Professor Albrecht stieß ein gedämpftes Keuchen aus und warf Henry und Eileen einen verständnislosen Blick zu. »Sapperlot! Ich verstehe beim besten Willen nicht, wie ihr unter diesen Bedingungen essen könnt.«

Eileen zuckte mit den Schultern und zerknüllte das Papier ihres Muffins. »So kalt wird es dort, wo dein Dad auf uns wartet, hoffentlich nicht. Ich wünschte allerdings, die Norweger hätten ihre Entdeckung nicht ausgerechnet kurz vor Einbruch des Winters gemacht.«

Wortlos schob sich Henry den Rest seines Sandwichs in den Mund. Zum ersten Mal seit Beginn der Reise fragte er sich, ob die Entscheidung, die drei Wissenschaftler zu begleiten, so klug gewesen war. Vielleicht hätte er lieber daheimbleiben und Mr Plisker beim Einrichten von WLANs und Mailservern helfen sollen. Dabei konnte man wenigstens nicht erfrieren.

»Keine Sorge«, fügte Eileen hinzu, als sie seine skeptische Miene bemerkte. »Professor Albrecht hat einen Spezialisten angeheuert, der uns vor Ort unterstützen wird: Boris Golitzin, ein russischer Wissenschaftler, der bereits seit über zwanzig Jahren in der Antarktis tätig ist.«

In diesem Augenblick begann sich das Flugzeug zu schütteln, als prügelte ein Riese abwechselnd auf die rechte und linke Tragfläche ein. Ein Krachen ertönte, gefolgt von einem hässlichen Rauschen. Trotz seiner Erfahrung mit Luftfahrzeugen aller Art begann Henrys Herz schneller zu schlagen. Erst als eine näselnde Stimme in ohrenbetäubender Lautstärke zu sprechen begann, begriff er, dass der Lärm aus den uralten, trichterförmigen Blechlautsprechern an der Decke kam.

»Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass der gemütliche Teil des Flugs jetzt zu Ende ist, Herrschaften«, verkündete der Pilot. »Das Wetterradar zeigt vor uns heftige Aktivitäten, möglicherweise eine Sturmfront von Hurrikanstärke. Die Küste des antarktischen Kontinents ist um diese Jahreszeit von einer Kette von Tiefdruckwirbeln umgeben, das schlechte Wetter wird also bis zur Landung nicht mehr abreißen. Ich empfehle Ihnen, sich gut festzuhalten. Ach ja, und behalten Sie Ihr Essen bei sich, sofern Sie können.«

Das raue Lachen des Piloten brach abrupt ab, als er die Durchsage beendete. Das einzig Beruhigende war, dass der Mann sich offenbar keine ernsten Sorgen machte.

Professor Albrecht tröstete das wenig. »Was soll das heißen – ›der gemütliche Teil des Fluges‹? Will er damit etwa sagen …«

Eine Reihe derber Erschütterungen beutelte die LC-130, dann ging es im Zickzack nach links, rechts, oben und unten. Der Professor gab ein kieksendes Geräusch von sich, grapschte nach einer Packpapiertüte und hielt sie sich vors Gesicht. Henry hoffte, dass sich keine Lebensmittel mehr darin befanden.

Da er dem Professor nicht helfen konnte und der Fluglärm jede weitere Unterhaltung unmöglich machte, holte Henry seinen iPod aus der Tasche und versuchte, das Getöse für die verbleibende Zeit mit Musik zu übertönen.

Etwa dreieinhalb Stunden später, Henry war trotz des Gerüttels irgendwann eingeschlafen, weckte ihn Eileen. »Wir sind fast da«, erklärte sie.

Henry rieb sich den Schlaf aus den Augen und zog sich an dem roten Kunststoffnetz hoch, bis er einen Blick durch das Bullauge werfen konnte.

Der Anblick war atemberaubend.

Sie befanden sich bereits im Landeanflug. Unter ihnen erstreckte sich eine strahlend weiße Ebene, die ein paar Kilometer weiter in eine rau gezackte Küstenlinie überging. In der Ferne war der Umriss eines gewaltigen Gebirges zu erkennen.

»Ist das da unten das Meer?«, brüllte Henry und deutete auf die weiße Fläche, die rasend schnell näher kam.

Eileen nickte. »Das Meereis hat um diese Jahreszeit schon begonnen, sich um das Festland zu schließen. Im tiefen Winter, während der Polarnacht, wird dieser Packeisgürtel rund tausend Kilometer weit in den Ozean hinausreichen.«

Beeindruckt starrte Henry in die Tiefe. »Und darauf werden wir landen?«

»Wir werden auf Eis landen, allerdings nicht auf dem offenen Meer«, erwiderte Eileen. »Zwischen Ross Island, wo die Mc-Murdo-Station liegt, und dem Festland gibt es eine spezielle Landepiste aus geglättetem, vom Schnee befreitem Eis, den sogenannten Blue Ice Runway. Unsere Maschine ist mit speziellen Kufen ausgestattet, um dort sicher landen zu können.« Als sie Professor Albrechts panischen Blick bemerkte, fügte sie beruhigend hinzu: »Keine Angst: Das Eis ist dort über zwei Meter dick, es trägt selbst schwere Transportmaschinen.«

Die Landung war durchaus komfortabel, zumindest verglichen mit dem, was sie in der Luft erlebt hatten. Es rumpelte und vibrierte etwas stärker als bei einer Landung auf Beton, das war alles.

Kurz nachdem sie zum Stehen gekommen waren, öffnete sich mit einem Höllengetöse die Ladeluke im hinteren Teil des Flugzeugs. Eisiger Wind fegte durch den Innenraum. Die vier Passagiere schnappten sich ihr Handgepäck und schickten sich an, die Maschine durch eine Tür nahe der Pilotenkanzel zu verlassen.

Als Henry auf die oberste Stufe der ausklappbaren Stahltreppe trat, hatte er das Gefühl, eine Tiefkühltruhe geöffnet zu haben. Wie tausend Nadelstiche prickelte die Kälte auf seinem Gesicht, Windböen peitschten Eiskristalle gegen die Brust seines Parkas. Er warf einen raschen Blick auf das kleine Thermometer, das am Kragen befestigt war. Minus achtzehn Grad. Nach allem, was Eileen vorhin gesagt hatte, war das für hiesige Verhältnisse durchaus moderat.

Mit zusammengekniffenen Augen ließ Henry den Blick schweifen. Rund um das Flugzeug war nichts zu erkennen außer gleichförmig weißem Eis. Der Himmel war von einem strahlenden Blau, wie man es in Kanada nur selten zu sehen bekam. In der Ferne stieg eine dicke dunkle Rauchsäule zum Himmel auf, möglicherweise ein Vulkan.

»Beindruckend, was?« Eileen trat neben ihn und blickte sich ebenfalls um. »Wir hatten Glück mit dem Wetter. Nach dem Flug hätte ich erwartet, dass uns die Antarktis mit einem ausgewachsenen Sturm begrüßt.«

Henry trat einen Schritt beiseite, als Dr. Lamont hinter ihm in der Öffnung auftauchte. »Es ist gar nicht so kalt, wie ich befürchtet hatte«, sagte er. »Minus achtzehn hat es bei uns zu Hause in strengen Wintern auch.«

»Mildes Küstenklima«, scherzte Eileen und begann, die Stufen hinabzusteigen.

»Wir dürfen die Kälte dennoch nicht unterschätzen.« Dr. Lamont zog sich seinen Schal bis über die Nase. »Der Polarwind kann schon bei verhältnismäßig milden Temperaturen zu Verbrennungen der Haut führen, ähnlich wie ein Sonnenbrand. Apropos Sonnenbrand: Die UV-Strahlung ist hier extrem intensiv. Ich habe für uns alle Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor sechzig mitgebracht.«

»Danke für den Hinweis«, sagte Henry und überprüfte den korrekten Sitz seines eigenen Schals.

»Da kommt schon unser Empfangskomitee!«, rief Professor Albrecht, der vor allen anderen ausgestiegen war und bereits am unteren Ende der Treppe stand. Sichtlich froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, deutete er auf ein Fahrzeug, das röhrend auf sie zurollte. Es war ein kastenförmiger, plumper Bus mit kurzer Motorhaube, angetrieben von zwei Ketten, die jeweils über vier dicke Gummireifen liefen. Das Gefährt war knallorange lackiert, die Aufschrift SnoCat prangte in weißen Buchstaben auf der Motorhaube.

Ein paar Meter hinter der Ladeluke des Flugzeugs hielt das Kettenfahrzeug an. Ein Mann stieg aus und kam mit ausgreifenden Schritten zu ihnen herüber.

Als Henry klar wurde, dass es sich nicht um Donald Wilkins handelte, war er für einen kurzen Moment enttäuscht. Seit der Abreise hatte er sich auf das verdutzte Gesicht seines Vaters gefreut, wenn sie sich endlich gegenüberständen. Jetzt dämmerte ihm, dass dieser sich schon lange nicht mehr in der Forschungsstation aufhielt. Er musste unmittelbar nach dem Versenden der Videobotschaft erneut zur Ausgrabungsstätte aufgebrochen sein, wo er seither mit seinem Team campierte, die geheimnisvollen Gesteinsformationen untersuchte und auf das bestellte technische Gerät wartete. Das war sicher auch der Grund dafür, dass sie seitdem nichts mehr von ihm gehört hatten.

»Dr. Golitzin, nehme ich an?« Professor Albrecht marschierte mit ausgestreckter Hand auf den Neuankömmling zu. »Nett, dass Sie uns persönlich in Empfang nehmen.«

Boris Golitzin war ein Bär von einem Mann, und die dicke Polarkleidung ließ ihn nochmals eindrucksvoller erscheinen. Er musste mindestens eins neunzig groß sein und hatte Schultern wie ein Rugbyspieler. Dennoch sah er nicht athletisch aus, seine Figur war die eines Mannes, der sein Leben lang körperlich gearbeitet und die verbrauchte Energie mit reicher, schwerer Kost – und möglicherweise etwas Alkohol – ausgeglichen hat. Sein Gesicht, in dem ein borstiger, grau durchwirkter Bart wucherte, machte trotz der flachen Nase einen sympathischen Eindruck. Irgendetwas an seiner Miene beunruhigte Henry jedoch.

Dr. Golitzin wirkte bedrückt, sein Blick verriet Besorgnis.

»Priwjät! Herzlich Willkommen«, sagte er und schüttelte dem Professor die Hand. Seine Stimme war tief und volltönend, der russische Akzent lediglich am gerollten R zu erahnen. »Es tut mir leid, dass ich Sie mit schlechten Nachrichten empfangen muss. Aber ich fürchte, es gibt ein Problem.«

»Ein Problem?«, wiederholte Eileen und trat, gefolgt von Dr. Lamont und Henry, an den Russen heran. »Was für ein Problem?«

»Ist etwas mit meinem Vater?« Henry spürte, wie sich in seiner Kehle ein eisiger Kloß bildete.

Golitzins kleine blassblaue Augen fixierten Henry. »Nach unserem aktuellen Informationsstand müssen wir davon ausgehen, dass Dr. Wilkins und sein Team im Eis verschollen sind.«

3

MCMURDO, 04. APRIL 2013

Schnee knirschte unter den Ketten des SnoCat, als sie nach McMurdo hineinfuhren. Eigentlich hatte sich Henry darauf gefreut, die größte Forschungsstation der Antarktis mit eigenen Augen zu sehen. Die nervöse Unruhe, die Dr. Golitzins Worte in ihm ausgelöst hatte, sorgte nun jedoch dafür, dass er dem Blick durch die vereiste Scheibe kaum etwas abgewinnen konnte. Hinzu kam, dass McMurdo bei Weitem nicht die futuristische Anlage voll ultramoderner Kuppelbauten und Sendemasten war, als die er sie sich vorgestellt hatte.

Zwischen dem Punkt, wo sich die Küste von Ross Island kaum merklich aus der gleichförmigen weißen Platte des Meereises erhob, und einer schroffen Hügelkette, die weiter im Innern der Insel emporragte, lagen rund hundert Gebäude verstreut. Die größeren erinnerten an Sport- oder Tennishallen, standen in ordentlichen Reihen neben- und hintereinander angeordnet. Andere waren kleiner und wild durcheinandergewürfelt, als habe jemand bei der Planung des Camps willkürlich überdimensionierte Bauklötze fallen gelassen. Es gab weiße, grüne, braune und rote, lang gestreckte, quadratische und runde. Das einzige verbindende Element war ihre Schmucklosigkeit. Die meisten bestanden aus Metall, manche waren kaum mehr als Container. Bedachte man den immensen Aufwand, unter dem diese Wohnstätten ans Ende der Welt transportiert und aufgebaut worden waren, schien dies kaum verwunderlich.

Auf einer schneebedeckten Straße, ordentlich gesäumt von stählernen Laternen, rollten sie durch den Ort. Sie passierten einige wenige Fahrzeuge, olivgrüne Ambulanzjeeps mit dicker Stollenbereifung, kettenbetriebene Schneeraupen, groß wie Baustellenbagger, und ein paar klobige SnoCats. Wegweiser verkündeten, wo es zu Bars ging, zum Friseur, zur Bowlingbahn und einer Videothek. Es herrschte ein Tempolimit von dreißig Meilen. Alles wirkte so normal, als wäre man in einem kleinen Goldgräberkaff irgendwo im Norden Amerikas. Nichts deutete darauf hin, dass man sich an einem der abgelegensten Punkte der Erde befand. Unter anderen Umständen hätte Henry wahrscheinlich einen enttäuschten Kommentar von sich gegeben.

Wie die Dinge jetzt lagen, war ihm all das herzlich egal.

Im Anschluss an die knappe Begrüßung hatte Dr. Golitzin auf eine rasche Weiterfahrt gedrängt. Während sie ihre Ausrüstung vom Flugzeug in den SnoCat umluden, versuchte Henry, mehr aus dem Russen herauszubekommen. Er erfuhr jedoch nur, dass zur Forschungsgruppe seines Vaters – von Golitzin aus unerfindlichem Grund »Spyker-Team« genannt – bereits seit Längerem kein Kontakt mehr bestehe. Weder über Funk noch Satellitentelefon könne man die Wissenschaftler aktuell erreichen.

Während der Fahrt brütete Henry dumpf vor sich hin. Er wusste aus eigener Erfahrung, dass es nicht unbedingt etwas bedeuten musste, wenn sein Vater über einen längeren Zeitraum nichts von sich hören ließ. Andererseits erschien es ihm merkwürdig, dass auch die restlichen Wissenschaftler seines Teams derart pflichtvergessen sein sollten, nicht auf Funkrufe der Basisstation zu reagieren.

Je länger er darüber nachdachte, desto klarer wurde ihm, dass die Antarktis selbst für einen weitgereisten Mann wie seinen Vater Neuland darstellte. Nie zuvor hatten seine Forschungen ihn an einen derart lebensfeindlichen Ort geführt. Der Kloß in Henrys Kehle wurde dicker, als er sich vor Augen führte, was einer Expedition, sei sie noch so umsichtig geplant, im ewigen Eis alles zustoßen konnte.

Verbissen verdrängte er den Gedanken und starrte weiter aus dem Fenster.

Nach endlosen Minuten brachte Golitzin den SnoCat vor einem lang gestreckten, dunkelgrauen Gebäude zum Stehen. Ein Schild neben der Tür wies es als Crary-Labor aus. Sie stiegen aus und folgten dem russischen Wissenschaftler durch eine Stahltür ins Innere.

Hier war es viel wärmer als draußen, nach der Kälte kam es Henry regelrecht überheizt vor. Ein rascher Blick auf sein Thermometer verriet ihm allerdings, dass lediglich gängige einundzwanzig Grad herrschten. Ein dumpfes, kaum wahrnehmbares Brummen lag in der Luft, vermutlich von irgendwelchen Generatoren.

In einem schleusenartigen Vorraum legten sie die obersten Schichten ihrer Polarkleidung ab, dann führte Golitzin sie durch einen Flur mit großen Scheiben in den Wänden. Dahinter waren modern ausgestattete Versuchsräume zu erkennen. Die meisten lagen im Dunkeln, nur in einem sah Henry zwei Männer in weißen Kitteln, die an einem wissenschaftlichen Aufbau mit Glaskolben, Röhrchen und Schläuchen arbeiteten.

Sie passierten mehrere Büros sowie einen großen Gemeinschaftsraum voller Tische und Stühle. Auch hier war so gut wie niemand zu sehen.

Am Ende eines Flurs, der mit Schaukästen voller präparierter Fische und Tiefseelebewesen dekoriert war, öffnete Golitzin schließlich eine Tür und bat die Besucher herein. Sie betraten einen nüchtern eingerichteten Konferenzraum mit einem großen rechteckigen Tisch und einem Whiteboard. Ein großes Fenster gewährte einen Ausblick auf das Gebirge, das Henry vom Landefeld aus gesehen hatte.

Golitzin forderte sie auf, Platz zu nehmen und sich aus bereitstehenden Thermoskannen mit Tee oder Kaffee zu versorgen. Er selbst setzte sich nicht.

Als alle eine dampfende Tasse vor sich hatten, baute er sich mit verschränkten Armen vor dem Whiteboard auf und kam ohne lange Vorrede zur Sache: »Wie Sie vermutlich wissen, traf das Spyker-Team vor etwas über sechs Wochen hier ein, bestehend aus Dr. Donald Wilkins sowie einem zwölfköpfigen Stab von Mitarbeitern.«

Spyker-Team? Schon wieder diese seltsame Bezeichnung. Henry wollte nachhaken, doch Professor Albrecht bedeutete ihm mit einer unauffälligen Handbewegung, zunächst zuzuhören.

»Dr. Wilkins hatte für seine Expedition zwei XL-SnoCats in Polarausstattung bestellt. An Bord dieser Fahrzeuge machten er und seine Leute sich bald nach ihrer Ankunft auf die Suche nach gewissen norwegischen Eisbohrstellen.«

Henry nickte ungeduldig. Neben ihm taten Eileen und der Professor dasselbe. Golitzin verriet ihnen nichts, was sie nicht schon wussten.

»Mithilfe eines GPS-Ortungssystems klapperte das Spyker-Team eine ganze Reihe solcher Bohrstellen im Eis ab. Die ersten lagen nicht weit von hier entfernt. Die Gruppe kehrte bereits am zweiten Tag zurück und verbrachte eine Nacht hier. Dr. Wilkins wirkte unzufrieden. Offenbar ließ das Koordinatenmaterial, auf dem ihre Suche basierte, einiges zu wünschen übrig. Am folgenden Tag brachen sie erneut auf, und diesmal blieben sie länger fort.«