Fuchs trägt Rasierwasser - Herta Andresen - E-Book

Fuchs trägt Rasierwasser E-Book

Herta Andresen

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Beschreibung

Die Welt verändert sich rasant und wir gucken staunend vom Rand aus zu. Die vergangene Kindheitswelt war überhaupt keine "heile Welt", die vergangenen Strukturen wahrlich keine "Gute alte Zeit", die es zurückzuholen gilt, nein, bestimmt nicht! Es waren jedoch viel mehr sehr wichtige, manchmal traurige, aber vor allem schöne Erlebnisse und Erfahrungen, die es gilt zu achten und zu erinnern, also Wert zu schätzen.

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Seitenzahl: 190

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Herta Andresen

Fuchs trägt Rasierwasserund andere tierische und menschliche Geschichten aus Angeln

Herta Andresen, geb. Matthiesen, in Loitmarkfeld (Schwansen) geboren und in Faulückfeld (Angeln) aufgewachsen, lebt heute mit ihrem Mann Johannes in Schnarup-Thumby, einem Dorf in Angeln. Sie war viele Jahre im ambulanten Pflegedienst tätig und ist inzwischen in Rente.

Seit einigen Jahren sind ihre Gedichte in verschiedenen Anthologien beim Literaturpodium veröffentlicht worden. Einige Geschichten waren in den monatlich erscheinenden 5W-Heften, der Dorfzeitung für Schnarup-Thumby und Struxdorf, zu lesen.

Sie liebt die Natur, besonders die Betätigung im eigenen Garten, Yoga, das Malen, das Strümpfe-Stricken, das Lesen und das Schreiben von Gedichten und Geschichten.

Kontakt:

Tel. 04623 240 • mobil: 0174 9810430 • [email protected]

Herta Andresen

Fuchs trägt Rasierwasser

und andere tierische und menschliche Geschichten aus Angeln

Mit Illustrationen von

Nathalie Gerboth

Impressum

© 2022 Herta Andresen

Umschlaggestaltung: Herta Andresen mit tredition Cover-Designer Cover-Illustration: Jennifer R. auf Pixabay

Illustrationen im Buch: Nathalie Gerboth

Fotos im Buch: Privatsammlung Herta Andresen

Lektorat, Korrektorat und Layout: Ulrich Barkholz

Version: 2

Druck und Distribution im Auftrag der Autorin:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland

ISBN

Paperback ISBN

978-3-347-67827-9

Hardcover ISBN

978-3-347-67837-8

e-Book ISBN

978-3-347-67840-8

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung »Impressumservice«, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

Inhalt

Cover

Halbe Titelseite

Titelblatt

Urheberrechte

Vorwort

Detlef Flüh Versuch einer Buchbeschreibung

Kreienschiet

Das Poesiealbum

Schweineleben – früher und heute

Das Elternhaus

Orkan »Christian«

Fuchsjagd

Fuchs trägt Rasierwasser

Erinnerungen an Osterfeste

Fleegenschapp und Petersill

Ein kostbares Gut

Neonwise – Wir haben ihn gesehen!

Vor- und Nachteile

Eierpannkook

Jedes Jahr wieder

»All de Bläder!«

Weihnachtstage

Eine weihnachtliche Ost-West-Geschichte

Gedanken über die Knicks in Angeln

Alte Weiber Dürfen klettern

Abenteuerspiele

Meine Grundschulzeit in Angeln 1955 bis 1960 Die Kindergilden

Was weiß ein kleines Mädchen vom Krieg?

Erinnerungen

Den een sien Uhl…

Zeitung und Post – früher und heute

Der Schnaruper Wald

Stromausfall

Aufräumen

Bücher

Eine Ofengeschichte

Apfelzeit

Eine Hundertstelsekunde

To goot

Das Weihnachtsgefühl

Die alte Puppe

Silvesterstiefel

Altjahrsabend

Grünkohl

Die kleine Spinne

Kaffee und Kuchen

Klaus und Elisabeth

Das Hühnchen

Festvorbereitungen in Angeln

Een Ohrworm

Nachwort

Danksagung

Fuchs trägt Rasierwasser

Cover

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Urheberrechte

Vorwort

Danksagung

Fuchs trägt Rasierwasser

Cover

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Vorwort

Schon immer habe ich gern geschrieben, über Erlebnisse mit Menschen und Tieren und darüber meine Gedanken zu Papier gebracht. Mir fiel irgendwann auf, dass ich mich dabei sehr oft in der Vergangenheit bewegte, auch mit Wehmut manche Erinnerung beschrieb. Ich überlegte: Wenn unsere Kinder und Enkelkinder sowie Urenkel meine Geschichten lesen, dann können sie es sich vielleicht besser vorstellen, wie manches früher mal war. Es hat sich so viel verändert. Nicht alles war besser, aber auch nicht alles war schlechter. Nur eben anders. Meine Geschichten erzählen ein wenig von früher, aber auch sehr viel von heute.

Auch unsere plattdeutsche Sprache kommt zu ihrem Recht. Für die korrekte Schreibung des Plattdeutschen übernehme ich aber keine Garantie! Viel Vergnügen beim Lesen!

Herta Andresen

Detlef Flüh Versuch einer Buchbeschreibung

Mein Name ist Detlef Flüh. Ich bin Jahrgang 1955, mittlerweile im Ruhestand. Ich habe als Diakon im Ev.-Luth. Kirchenkreis Schleswig-Flensburg (früher Angeln) in der Erwachsenenarbeit mitgewirkt. Herta Andresen und ich stammen aus dem gleichen Dorf (Faulück), genauer dem Ortsteil Faulückfeld in der Landschaft Angeln.

Unsere Kindheit und Jugend erlebten wir beide in unseren Elternhäusern, auf kleinen, landwirtschaftlich bewirtschafteten Katenstellen, die durch wunderschöne Wälder und grüne Felder voneinander getrennt lagen. Wir beide sind aufgewachsen mit den gleichen (meist) herrlichen Gerüchen aus Kuhstall, Heu unterm Dach und Rübenschnitzeln im Winter. Diese haben sich als »Sehnsuchts-Aromen und Kindheitswelt-Geschmäcker« in unsere GENE eingebrannt. Herta ist zwar in Schwansen geboren, doch ist sie lebenslang eine echte Angeliterin gewesen. (Ich benutze das Wort »Angeliter« und nicht »Angelner«, auch wenn sich manch schlaue Leute darüber streiten mögen). Für auswärtige Leserinnen und Leser: Der Meeresarm »Schlei« ist die südöstliche »Trennungslinie« zwischen der Landschaft Angeln und Schwansen und trennt nicht nur Landschaften, sondern auch Menschen, Kulturen und Naturen.

Herta ist ein wenig älter als ich. Als Kinder hatten wir wenig miteinander zu tun; sie war eher eine Freundin meiner älteren Schwester. Doch uns verbinden die Erlebnisse und Bräuche unsere Kindheit und Grundschulzeit: wie Kindergilden in »Deslers Gasthof« in Karschau, der Weihnachtsmann (Max Schmidt) zur Adventsfeier in der Gaststätte »Boddelhoch« und natürlich der Konfirmationsunterricht im Rabenkirchener Pastorat mit dem damals schon alten, aber (für uns) sehr fortschrittlichen Pastor Müller. Ich könnte fortfahren mit der Aufzählung von Erinnerungen und Erlebnissen. Wichtig ist mir, dass Herta diese für mich (und vielleicht auch für die Leserinnen und Leser) wieder lebendig gemacht hat und aus den alten Erinnerungskisten hervor ans Tageslicht, in mein Bewusstsein geholt hat.

Die Gaststätten gibt es nicht mehr, Kaufmannsläden schon lange vorher nicht mehr. Die Schulen sind ganz in den großen Zentralorten, noch nicht einmal Kirchengemeinden gibt es noch vor Ort. In Kuhställe und Schweineställe kommt man heute ohne Sicherheitsanzug nicht mehr herein, und Trecker fahren dürfen Kinder auf den »Monster-Trucks« schon überhaupt nicht mehr. Wo es einmal viele große typische Angeliter »Drei-Seiten-Bauernhöfe« in den Dörfern gab, praktizieren heute ein oder zwei »Agrar-Industrien« mit weithin sichtbaren Biogasanlagen. Die Gehöfte und Scheunen zerfallen oft oder werden zu Wohnungen umgebaut. Die Menschen wohnen nur noch in den Dörfern, arbeiten jedoch in den Zentren. Ein aktives Dorfleben mit Kommunikation und Nachbarschaften ist daher schwer herzustellen, nicht nur in Corona-Zeiten.

Die Welt verändert sich rasant, und wir gucken staunend vom Rand aus zu. Die vergangene Kindheitswelt war überhaupt keine »heile Welt«, die vergangenen Strukturen wahrlich keine »Gute alte Zeit«, die es zurückzuholen gilt, nein, bestimmt nicht! Es waren jedoch viel mehr sehr wichtige, manchmal traurige, aber vor allem schöne Erlebnisse und Erfahrungen, die es gilt zu achten und zu erinnern, also Wert zu schätzen.

Ich bin Herta sehr dankbar, dass sie mit ihren Geschichten und Texten diese Wertschätzung ermöglicht und so diese Erfahrungen erhalten bleiben. Hertas Erzählungen spielen in ihrer Heimat Angeln. Geschichten aus ihrer Kindheit, jedoch auch Geschichten aus der aktuellen Zeit. Sie spannt so einen Bogen von gestern zu heute und von Angeln zur weiteren Welt. Es gehört eben alles zusammen, alles ist miteinander verflochten. Wir leben auf dieser einen Welt gemeinsam und haben keine zweite Welt im Handschuhfach. Ich habe Herta erst vor wenigen Jahren »wiederentdeckt«. Mittlerweile zählen die gemeinsamen Spaziergänge, zusammen mit ihrem Mann, zu meinen seelischen Highlights. Wir haben uns angefreundet und merken, dass wir uns neben der gemeinsamen Vergangenheit gegenseitig unterstützen und uns aktuell tragen können.

Herta hat eine großartige Bibliothek und ist eine leidenschaftliche Leserin. Ich danke herzlich für die vielen, ausgesprochen besonderen Buchtipps, die ich nun selber mit Leidenschaft lese. Herta liebt ihren Garten, malt Bilder und hat schon seit einigen Jahren Texte aufgeschrieben. Endlich hat sie die Zeit und Energie gefunden, diese zusammen in Heft- und Buchform zu verfassen und anderen Mensch zum Lesen zu geben. Sie hat etwas zu sagen, sie regt zum Nachdenken an, sei es in die eigene Kindheit zu gucken, oder das Erlebte mit der Gegenwart zu verknüpfen. Ich habe mich sehr geehrt gefüllt, als sie mich bat, eine »Buchbeschreibung« abzugeben. Dazu ist nun dieser Text entstanden. Ich hoffe, den Leser oder die Leserin motivieren zu können, sich mehr mit Hertas Texten auseinanderzusetzen. Alles Liebe!

Detlef Flüh

Kreienschiet

He (oder se) licht op Krankenhus!

Ich hab mich gefragt, wieso es in unserem Plattdeutsch so heißt, denn wörtlich übersetzt bedeutet es doch, dass da jemand oben auf dem Krankenhaus liegt. Komische Vorstellung: oben auf dem Dach des Krankenhauses ein Kranker (in seinem Bett oder auch nicht). Da oben hat ja nur ein Rettungshubschrauber etwas zu suchen, ein Dachdecker oder sonstige Handwerker und im schlimmsten Fall ein Lebensmüder, der da bestimmt sonst nichts zu suchen hat, es sei denn, sein Ziel wäre in diesem Fall der freie Fall. »Op Krankenhus« ist ein plattdeutscher Ausdruck hier in Angeln. Ich habe ihn sehr oft gehört, auch schon als Kind und mir dann merkwürdige Szenen vorgestellt. Habe auch nachgefragt und zur Antwort bekommen, es sei plattdeutsch, und da sagt man es eben so!

De hett een anne Pann!

Irgendwie unlogisch. Wörtlich übersetzt hat da jemand etwas an seiner Pfanne, wenn es wohl auch heißen soll, dass mit der Pfanne nicht die Bratpfanne gemeint ist. Ein plattdeutsch vollkommen Unkundiger überlegt, was derjenige an der Pfanne – an der auf dem Herd wohlgemerkt – sitzen hat. Ein einigermaßen Plattdeutsch-Kundiger – so wie ich – fragt sich wohl, was es mit der Pfanne auf sich hat. Aber so genau weiß man es auch nicht. Mein Mann sagt, jemand der »een anne Pann« hat, sei ein wunderlicher Mensch, was auch immer das dann bedeutet. Wunnerlich ist auch so ein Wort mit mehreren Bedeutungen.

De woort sick immer wech!

… sagte ich selber, die ja auch ein bisschen Platt kann, als ich verzweifelt versuchte, eine Gardinenrolle der ganz alten Sorte auf die Schiene zu zwingen, die Gardine über meine Schulter hängend, oben auf der Trittleiter stehend, und mein Arm wurde allmählich lahm. Immer wieder kurz vorm Ziel rutschte das Ding an die Seite, und es musste nochmals versucht werden. Da hatte ich ja auf Platt gedacht! Trotzdem dachte ich darüber nach, über diesen Ausspruch: Wenn jemand im Wege steht, ein anderer will oder muss da unbedingt sofort vorbei, dann gibt’s ein »Woor di wech!« zu hören. Kann auch sein, dass er jemanden vor Gefahr schützen will, eine Art »Pass auf!« auf Platt: »Woor di wech, door kümmt een Flaach!« Bei einigem Nachdenken fiel mir dieser Spruch auch wieder ein, nachdem meine Freundin mich daran erinnert hatte. Einer, der »sick wechwoort«, tritt beiseite, geht aus dem Weg. Oder will ein Zusammentreffen vermeiden. Wie die Gardinenrolle. Immerhin brachte sie mich dazu, über diesen Spruch zu schreiben!

All sunn Kreienschiet!

Bedeutet es, dass es nur das ist, was eine Krähe fallen lässt? (Möwenschiss bedeutet wohl etwas anderes als Kreienschiet?) Zu nichts nütze, unproduktiv, oder sogar wunnerlich? Oft gehört, oft auch abschätzig gemeint: Der oder die macht dies oder das – wozu überhaupt? Bringt doch nichts ein. Nutzlos. Wunderlich, absonderlich für den, der es so äußert, denke ich. Kann man so etwas denn auch googeln? Tatsächlich! Nachdem ich den Begriff eingegeben habe: Es gibt ein Buch mit dem Titel »Dummtüch un Kreienschiet«. Nun bin ich auch nicht klüger, aber als Dummtüch kann man Kreienschiet wohl nicht bezeichnen. Oder doch? Blödsinn kann Kreienschiet demnach nicht sein. Ich denke, es ist einfach für andere ein unverständliches Tun, wie oben schon genannt. Vielleicht sagt man ja über mich: »Wat se all mookt! All sunn Kreienschiet! Nu schrifft se ook noch!«

Das Poesiealbum

Im Januar 1960, zu meinem elften Geburtstag, bekam ich von einer Freundin aus der Nachbarschaft ein Poesiealbum geschenkt. Das war etwas Besonderes. Meist erhielt man Buntstifte, hübsche Stoff-Taschentücher, Briefpapier oder etwas zum Naschen. Ich habe auch einmal eine Sammeltasse bekommen; so etwas gehörte schon zur sogenannten Aussteuer.

In den fünfziger Jahren waren Poesiealben sehr in Mode. Einige Mädchen in meiner Klasse – sogar auch einige Jungen – hatten schon so ein Exemplar, und ich hatte bei einigen einen Spruch hineingeschrieben.

Nun besaß ich also selber eins. Ich freute mich sehr. Es war dunkelgrün mit einem geriffelten Muster, und mit goldener Schreibschrift stand »Poesie« darauf. Das Wort Poesie deutete ich als etwas besonders Schönes, also würden bestimmt lauter schöne Sprüche hineingeschrieben werden! Ich steckte es in meinen Ranzen und nahm es mit zur Schule. Unsere Schule war eine kleine Dorfschule, wie es sie zu der damaligen Zeit auf den Dörfern noch überall gab. Der eine Klassenraum war fürs erste bis vierte Schuljahr und der andere für die Großen. Ich sollte diese Schule bald verlassen und aufs Gymnasium kommen. Vorher galt es noch viele Andenken zu sammeln in Form von Erinnerungssprüchen in meinem Album. Oben rechts in die Ecke schrieb ich ganz dünn mit Bleistift die Namen derjenigen hin, die die Ehre haben sollten. Zuerst überreichte ich das Album unserem Lehrer, dann der Lehrerin. Die Großen, die bald die Schule verlassen würden, waren die nächsten, und dann kamen die Jüngeren dran. Fast alle ab viertem Schuljahr haben sich in meinem Album verewigt. Sehr gespannt sah ich jedes Mal nach, welcher Spruch mir zugedacht wurde. Oft verstand ich den Sinn noch nicht richtig. Immerhin war ich erst elf Jahre alt, und am wichtigsten waren für mich die schönen Schmuckbildchen, die manchmal sogar mit Glimmer verziert waren. Aber dann – ich las:

Wir sind nicht auf der Welt,

um sie zu genießen und glücklich zu sein,

sondern um unsere Schuldigkeit zu tun!

Was sollte das denn? So was Blödes! Sollte ich etwa nicht glücklich sein dürfen? Das hatte doch bestimmt Maria nicht selbst ausgesucht! Ihre Mutter hatte es ihr sicher zum Abschreiben vorgelegt! Und wieso Schuldigkeit? Ich hatte niemandem etwas getan, hatte gar keine Schuld, und auch keine Schulden! Wozu sind wir denn auf der Welt? Welche Schuldigkeit sollen wir denn tun? Dieser Spruch beschäftigte mich sehr lange.

Er gefiel mir gar nicht. Ich sprach aber mit niemandem darüber. Es gibt noch einen Schuldspruch darin:

Vom Unglück erst zieh ab die Schuld,

was übrig bleibt trag in Geduld.

Was ich gar nicht verstanden habe, war Folgendes:

Prozessiert um eine Kuh,

ihr legt ein Pferd noch dazu!

Etwas, das ich schön fand, hatte die Lehrerin Frau Möller hineingeschrieben:

Die Liebe gibt Freude, die Tugend gibt Ruh,

drum wähle sie beide, und glücklich bist du.

Ja, da gab es etwas zum Freuen. Das hörte sich schon besser an!

Einige Tanten und auch die Großeltern ließ ich hineinschreiben. Von meiner Mutter habe ich leider keine Eintragung.

Mein Vater lebte damals schon nicht mehr. Die Jahrzehnte vergingen, das Poesiealbum landete zunächst in der Versenkung, ganz selten nahm ich es zur Hand. Mit der Zeit aber wurde es für mich ein wertvolles Erinnerungsstück. Ich verwahrte es sorgfältig.

Vor einigen Jahren hatte ich dann wieder Verbindung mit Maria, die mir diesen ungeliebten Spruch zugedacht hatte. Ich sprach sie darauf an, erzählte ihr meinen Ärger von damals. Sie wusste natürlich gar nicht, was sie in mein Album geschrieben hatte. Ganz logisch! Ich weiß ja auch nicht, was ich meinen Mitschülern damals hineingeschrieben habe. Ich glaube, das haben meistens die Mütter und Väter für ihre Kinder herausgesucht. Manche Seiten sehen nicht sehr ordentlich aus, auf anderen Seiten sieht man mit einem Lineal gezogene Linien. Einige schrieben auch mal kreuz und quer so über die Seite, als hätten sie dazu keine Lust gehabt. Wenn ich heute mein Album durchsehe und die Sprüche lese, höre ich dabei die Stimmen derjenigen, die es geschrieben haben. Ich kann mir die Kinderstimmen ins Gedächtnis rufen, so wie sie damals geredet haben. Ich sehe alle noch immer genau vor mir. Einige der damaligen Schreiberinnen und Schreiber leben nicht mehr. Es sind Eintragungen von 1960 bis 1965 enthalten.

Als ich Maria nach all den Jahren wiedertraf, da stellte ich fest: Sie hat nun die Stimme ihrer Mutter. Ihre Kinderstimme werde ich trotzdem nicht vergessen.

Ob es auch anderen mit mir so geht? Das Poesiealbum ist ein Stück Nostalgie. Ich freue mich, dass ich es immer noch habe. Und ich frage mich, wer von all den Mitschülern und Mitschülerinnen wohl noch sein Album hat. Ich würde zu gerne wissen, was ich damals hineingeschrieben habe!

Nachtrag: Die für mich reservierte Seite in Marias Poesiealbum war leider leer geblieben. Oben rechts in der Ecke steht mein Name, mit Bleistift hingekritzelt. Maria meinte, ich könne ja immer noch etwas für sie schreiben. Aber es sind inzwischen über sechzig Jahre vergangen. Was schreibe ich denn da für sie? Gute Frage!

Schweineleben – früher und heute

Ich habe mir Gedanken gemacht über das Leben der sogenannten Hausschweine. Ich möchte aufschreiben, warum ich Vegetarierin bin.

Ein Schwein ist ein Allesfresser, was von uns Menschen ja auch behauptet wird. Es ist sogar erwiesen, dass Schweinefleisch unserem menschlichen Fleisch sehr ähnlich ist. Davon profitiert die Medizin und somit auch wir Menschen. Schweine stinken. Das empfindet der Mensch so; wir Menschen mögen den Geruch nicht. Für uns stinken sie also.

Es gibt den Spruch: »Schwein gehabt!« Dieser Ausspruch ist sicher darauf zurückzuführen, dass jemand gut gegessen hatte. Arme Leute aßen früher selten Fleisch. Also hatte dieser Jemand das Glück gehabt, einen Schweinebraten essen zu können.

Schweine werden abgebildet als Glückssymbole, so wie ein Kleeblatt oder ein Schornsteinfeger. Und ein Sparschwein kennt wohl fast jeder, wenn auch nicht immer in Form eines Schweins, aber das Wort »Sparschwein« ist ein fester Begriff in unserer Umgangssprache.

Schweine sind kluge Tiere. Man sagt ihnen nach, genauso viel Intelligenz zu haben wie ein Hund. Ein Ferkel ist ein süßes, rosiges, weiches Tierchen, welches noch sehr schwach nach Schwein riecht. Die Haut fühlt sich fast seidig an. Die Menschen mögen kleine Ferkel, sagen: »Oh, wie niedlich!« Denn alles, was klein ist, ist niedlich. Aber die Menschen schlachten sie und verzehren sie. So ist es üblich; so war es immer schon. Für diesen Zweck werden sie gezüchtet.

Früher habe ich auch Schweinefleisch gegessen sowie Fleisch von anderen Tieren. Ich kannte es nicht anders. Gedanken gemacht habe ich mir als Kind darüber nie. Es war auch eine wichtige Einnahmequelle. Meine Eltern bewirtschafteten eine kleine Kate. Im Schweinestall war Platz für etwa zwölf bis vierzehn Schweine. Und hier beginnt die Geschichte, die ich den Schweinen widmen möchte:

Ich bin auf dem Land aufgewachsen; etwas abseits der Kreisstraße hinter dem Wald stand das Elternhaus. Wir hatten sieben Kühe, eine große Hühnerschar und mehrere Schweine. Im Stall waren drei abgeteilte »Schweinebuchten«. In der ersten hatte unsere Sau ihren festen Platz. Dort bekam sie auch ihre Ferkel, meist acht bis zehn Stück. Wenn sie der Muttersau weggenommen wurden, also groß genug waren, um gemästet zu werden, wurden sie auf die anderen Buchten verteilt. Es war Stroh darin; jeden Tag wurde ausgemistet, und es kam frisches Stroh hinein. Das gefiel den Ferkeln. Sie tobten dann im Stroh herum, jagten sich und hatten ihren Spaß. Sie hatten genug Platz. Wenn sie größer wurden, war der Platz etwas geringer, aber immer noch war genug Raum, um herumlaufen zu können. Es war immer spannend, wenn die Sau ihre Ferkel bekam. Meine Eltern saßen dann bei ihr, nahmen die Kleinen in Empfang und trockneten sie mit Stroh ab. Die Sau war friedlich und begrüßte ihre Kinder, die dann an ihren Zitzen lagen und saugten – ein schöner friedlicher Anblick. Manchmal war eines etwas kleiner als die anderen oder zu schwach und musste von meiner Mutter mit der Flasche aufgepäppelt werden, weil es sonst von den größeren Geschwistern weggeschubst werden würde. Ab und zu geschah es auch, dass ein Ferkel starb oder gleich tot zur Welt kam. Es konnte auch passieren, dass die Sau beim Hinlegen auf einem ihrer Ferkel landete. Das war nicht gut; es bedeutete den Tod für das arme Ding! Es kam nicht zu oft vor, aber das Risiko, auf diese Art ein Ferkel zu verlieren, gab es eben. Die Sau hatte aber genug Platz in ihrem Stall, war nicht in einem Gitter eingepfercht. wie es heutzutage in den »Schweinefabriken« zu sehen ist.

Die armen Sauen sind jetzt nur noch Ferkelproduzenten, haben gar keine Würde mehr. Unsere Sau durfte noch im Stroh liegen und hatte eine ganze Schweinebucht für sich allein! Nach einiger Zeit wurden die männlichen Ferkel kastriert, was mein Vater und mein Großvater erledigten. Keine schöne Tätigkeit. Und schmerzhaft für die Ferkel!

Wenn ich in den Schweinestall schaute, dann lagen alle Schweine friedlich im Stroh und dösten vor sich hin. Es war uns Kindern nicht erlaubt, jederzeit in den Stall zu gehen, weil dann die Schweine jedes Mal aufschreckten, und das sollten sie nicht. Aber wenn die Fütterung nahte und jemand die Tür zum Stall öffnete, dann ging das Geschrei los. Die Schweine sprangen sogar an den Trogwänden hoch und ihre Pfoten hingen über die Kante. So in Reih und Glied über die Trogwand schauend und mit dazugehörendem Schweinegeschrei erwarteten sie ihr Futter. Sie bekamen aus einer großen Tonne, die »Dranktunn« genannt wurde, Flüssigkeit in ihren Trog gegossen, und natürlich Schrot dazu. Wir hatten eine eigene kleine Schrotmühle. Es war meist das von uns selbst geerntete Korn, das dort gemahlen wurde. Manchmal gab es auch gedämpfte Kartoffeln für sie, außerdem noch Speisereste, Falläpfel und die Kartoffelschalen und Abfälle vom Gemüse-Putzen. Eine abwechslungsreiche Kost! In die Dranktunn gehörten Magermilch und die Molke von der Meierei; sie wurde jeden Tag in unsere Milchkannen gefüllt, nachdem die Kuhmilch dort angeliefert worden war. Sie roch säuerlich und nicht appetitlich. Aber die Schweine liebten sie.