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Angie, kaltschnäuzig und herzlos, manipuliert sie Männer wie Frauen, um sie für ihre Pläne einzusetzen. Auch wenn die erste Bombe im Paradise Cinema nicht explodiert, hält sie die Southeast London Police Squad um Detective Sergeant Brand mit weiteren Bombenankündigungen und Erpressungen in Atem. Als sinnlichste, verrückteste Serienmörderin überhaupt terrorisiert sie die Straßen Londons. Ist unberechenbar, wild, wütend. Ganz wie Detective Sergeant Brand, der für seine knochenbrecherischen Methoden berüchtigt ist und sich wenig um politische Korrektheit schert. So entwickelt sich ein Drama voller schwarzem Humor. Bruen spinnt eine schnelle, scharf geschliffene Geschichte voller respektloser Schurken auf beiden Seiten des Gesetzes.
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Seitenzahl: 170
Ken Bruen
Aus dem Englischen von Karen Witthuhn
Polar Verlag
Copyright © 2003 Ken Bruen Translated from the English: Vixen First published in the United Kingdom by: The Do-Not Press
Der Verlag bedankt sich für die finanzielle Förderung der Übersetzung durch den Ireland Literature Exchange (Übersetzungsfond), Dublin, [email protected]
Deutsche Erstausgabe, 1. Auflage 2016 Aus dem Englischen von Karen Witthuhn © 2016 Polar Verlag GmbH Hamburg Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) oder unter Verwendung elektronischer Systeme ohne schriftliche Genehmigung des Verlags verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Der Abdruck des Nachworts erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Alf Mayer. Lektorat: Eva Weigl Umschlaggestaltung: Detlef Kellermann, Robert Neth Autorenfoto: Ken Bruen Satz/Layout: Martina Stolzmann Gesetzt aus Adobe Garamond PostScript, InDesignISBN 978-3-945133-32-3
www.polar-verlag.de
Für Pat Mullan und Kit McCaffrey Thriller- und Krimiautoren erster Güte
Sergant Doyle hatte die Füße auf einen Hocker gelegt. Im Revier war es ruhig, Ärger nicht zu erwarten. Im Fernsehen lief Fußball, da trieb der Pöbel sich nicht auf der Straße rum. Er hatte aus der Kantine ein Plunderstück gemopst und freute sich schon den ganzen Tag darauf.
Er schlug The Sun auf und wollte gerade zubeißen, als das Telefon klingelte. Nach einem schnellen Bissen nahm er den Hörer ab.
Eine männliche Stimme sagte: »Darf ich vorschlagen, dass Sie diesen Anruf aufnehmen?«
»Alle Anrufe werden routinemäßig aufgenommen.«
Ein Teigklumpen hatte sich in seinem kaputten Backenzahn festgesetzt, er versuchte, ihn mit dem Finger rauszupulen.
Der Mann sagte: »Sie sind mit den Gedanken woanders, wie ich merke.«
Doyle seufzte und sagte: »Ich bin ganz Ohr, glauben Sie mir.«
»Das ist auch gut so. In drei Minuten explodiert eine Bombe. Das ist keine Warnung, eher ein Weckruf. Kennen Sie das Paradise Cinema?«
»Nahe Waterloo Avenue? Liegt da die Bombe?«
In Doyles Ohr gab es einen lauten Knall, instinktiv hielt er den Hörer weg. Als der Lärm erstarb, fragte er: »War sie das?«
Er hörte leises Kichern, dann: »Ups, das Timing ging leicht daneben, daran arbeiten wir noch. Und Sie kümmern sich darum, Dreihunderttausend zusammenzukriegen, damit wir nicht noch eine Bombe legen müssen. Ist ja keine große Summe, oder? Legen Sie los, wir bemühen uns derweil, erst mal nichts mehr in die Luft zu jagen. Morgen rufen wir wieder an und erkundigen uns, wie Sie vorankommen. Ach, falls es Sie interessiert, im Paradise lief irgendein Schrottfilm mit Tom Cruise, wir haben der Öffentlichkeit also einen Gefallen getan. Bis dann.«
Klick.
Doyle behielt den Hörer am Ohr, drückte die Verbindung weg und begann, die betreffenden Abteilungen zu verständigen. Der Teigklumpen hatte seinen Zahn bereits zum Summen gebracht, er sagte laut: »Oh fuck.«
Das Paradise Cinema war eine relativ neue Bereicherung des Kulturangebots im Stadtteil. Es wurde hauptsächlich von Besuchern aus der Nachbarschaft frequentiert und war meistens gut besucht. Die Bombe war in einer der Toiletten explodiert und hatte niemanden verletzt. Panik und Furcht waren jedoch schnell verbreitet; die Menge, aus Angst, es könnte noch eine Bombe hochgehen, hatte sich drängelnd und schubsend auf die Straße hinausgeschoben. Das Sprengstoffteam war angerückt und hatte die Straße abgeriegelt. Superintendent Brown war vor Ort und wies die Beamten an, die Menge zurückzuhalten.
Er brüllte Chief Inspector Roberts an, jeden verfügbaren Mann loszuschicken und alle zu befragen, die eventuell etwas gesehen haben oder wissen könnten. Er fragte: »Wo sind Porter Nash und Ihr Busenfreund Brant? Wo ist der, wenn man ihn sucht?«
Roberts hatte keine Ahnung und sagte: »Keine Ahnung.«
»Sie sind vielleicht ein Scheißpolizist. Da sind hoffentlich keine Terroristen am Werk.«
»Ich glaube nicht, Sir. Der Anrufer hat Geld gefordert. Ich glaube, es geht um einfache Erpressung.«
Brown, kurz vorm Herzkasper, schrie: » Einfach? Seit wann zum Teufel ist Erpressung einfach?«
Roberts wollte zurückschnauzen Sie blöder Arsch wissen genau, was ich meine, beließ es aber bei: »Ich glaub nicht, dass es was Internationales ist.«
»Das lässt uns ja alle wieder ruhig schlafen – der Chefdetektiv hat gesprochen.«
Ein Sprengstoffexperte kam aus dem Kino und rettete Roberts davor, antworten zu müssen.
Brown fragte ihn: »Womit haben wir’s zu tun?«
Der Bombentyp sagte: »Unterste Schublade, würde ich sagen.«
Brown atmete tief durch, flehte innerlich den Großmeister der Freimaurer um Geduld an, sagte: »Könnten Sie das so ausdrücken, dass ich Sie verstehe?«
Der Bombentyp wechselte einen Blick mit Roberts, in seinen Augen war zu lesen: Wenn dieses Arschloch dein Boss ist, hast du mein Beileid, Kumpel.
Laut sagte er: »Einfacher geht’s nicht, zwei Dynamitstangen und ein billiger Zeitzünder. Kann jeder Idiot zusammenschustern.«
Brown starrte auf Roberts’ Schuhe. Feste braune Oxfords, auf Hochglanz poliert. Zwei Fragen kamen ihm in den Sinn, Wie kann er sich die leisten? und Wer hat Zeit, seine Schuhe so zu putzen?
Er schleppte seinen Blick wieder zum Bombentyp zurück und fragte: »Irgendeine Idee, wer der Idiot sein könnte?«
»Stechen Sie eine Nadel ins Telefonbuch.«
»Das ist ja eine wirklich große Hilfe.«
Der Bombentyp lächelte und trollte sich. Brown wandte sich an Roberts, fragte: »Wo haben Sie die Schuhe her?«
»Was?«
»Sind Sie taub?«
»Oh, äh … ähm, aus dem Schlussverkauf bei Bally.«
»Bally!« Dann: »Wie zum Teufel können Sie sich die leisten?«
»Das Haus ist verkauft.«
»Das soll eine Antwort sein?«
»Eine andere hab ich nicht.«
Brown warf einen letzten Blick auf die Schuhe, dann: »Ich erwarte morgen früh einen Bericht auf meinem Tisch, und halten Sie Brant von der Sache fern.«
Düster murmelnd ging er von dannen. Roberts war versucht, ihm Vergelt’s Gott nachzurufen, aber das hätte den Bogen überspannt.
PC Falls war wieder einmal durch die Sergeant-Prüfung gerasselt. Sie nahm die Nachricht nicht gut auf, sagte: »Rassistische Arschlöcher.«
Porter Nash, vor Kurzem zum Detective Inspector befördert, kam an und versuchte es mit: »Nächstes Mal klappt’s bestimmt, oder?«
Falls war der feuchte Traum des Reviers, hatte sich aber im Lauf des letzten Jahres einen Furcht einflößenden Ruf verschafft. Trotz ihres hübschen Gesichts und der guten Figur mieden die Jungs sie. Es ging das Gerücht um, sie hätte möglicherweise einen Polizistenmörder umgebracht.
Nicht einfach umgebracht.
Nein, der Typ war buchstäblich in Stücke gerissen worden. Die Spurensicherung hatte im ganzen Zimmer verteilt Körperteile gefunden. Die Nase klebte an einem Flachbildschirm. Zumindest ein Stück Nasenscheidewand. In der Kloschüssel schwamm etwas, das man schließlich als linkes Auge identifizierte. Auf dem breiten Bett lagen Zähne verstreut. Als Einzelheiten der Schlachtung durchsickerten, hielten alle sofort einen Cop für den Täter.
Denkbar waren:
Brant … natürlich. Er stand bei jedem Vergehen oben auf der Liste: Er war gesetzt. Kaum jemand hätte dagegen gewettet.
Danach, als klarer Außenseiter, folgte Porter Nash, weil er in seiner Zeit in Kensington persönliche Rache an einem Pädophilen genommen hatte.
Falls wurde zunächst nicht ernsthaft in Betracht gezogen, aber im Laufe der Zeit schoben Spekulationen und Gerüchte sie ganz nach oben.
Hochgeschossen auf die Eins.
Sergeant Brant war schon lange das tiefschwarze Schaf Südost-Londons. Verbrecher und Cops waren in Furcht vor ihm vereint. Er genoss und pflegte seinen Ruf als »Tier«. Der Unfalltod des Clapham-Vergewaltigers wurde ihm zugeschrieben. Diese Art gesetzloser Gerechtigkeit fand quer durch die Ränge allgemeine Bewunderung. Superintendent Brown hatte über die Jahre mehrfach, aber erfolglos versucht, ihn loszuwerden. Er träumte immer noch davon, Brant in Verruf zu bringen.
Falls sah Porter an, stützte die Hände in die Hüften und versuchte, Gift und Galle runterzuschlucken, was ihr aber nicht gelang. Sie spie: »Nächstes Mal? Du arroganter Wichser, hast du eine Ahnung, wie oft ich diese Scheißprüfung schon gemacht hab?«
Porter sah sich nervös um; die anderen Cops feixten und hofften auf mehr. Er streckte die Hand aus, tätschelte ihre Schulter, sagte: »Ich hol dir einen Tee.«
Sie stürmte davon, und Porter sah ihr ratlos nach. Der diensthabende Sergeant, ein widerlicher Mistkerl, hob den Daumen. Porter seufzte, trabte los und sah Falls gerade noch im Cricketers Pub verschwinden. Als er dort ankam, saß sie bereits an einem Ecktisch.
Er ging zu ihr, fragte: »Was möchtest du?«
»Schon erledigt. Hab für dich mitbestellt.«
Porter sah zum Barmann hinüber. Bildete er sich das ein oder zwinkerte der Typ ihm zu? Herrgott noch mal.
Porter setzte sich, und Falls fragte: »Rauchst du noch oder hast du seit deiner Beförderung auch den kleinen Freuden abgeschworen?«
Er griff in die Tasche seiner Jacke – ein schickes Lederteil von Gap – und legte eine grüne Packung auf den Tisch.
Falls schnaubte, dann: »Mentholkippen! Wie schwul ist das denn?« Sie zog eine heraus, roch daran, schaffte es, der Geste einen Hauch von Sinnlichkeit zu verleihen, schnippte dann mit den Fingern, sagte: »Feuer.«
Er wollte ihr eine kleben, unterdrückte den Impuls und gab ihr Feuer. Sie tat, was Frauen zum allgemeinen Ärger oft tun, zog zwei Mal und drückte die Kippe aus. Vielmehr, stupste sie zwei Mal in den Aschenbecher und ließ sie weiterschwelen. Er streckte die Hand aus, wollte sie ausdrücken und verbrannte sich die Finger. Sah ein Lächeln über ihre Lippen huschen. Der Barmann kam angewackelt, das Tablett hoch in der erhobenen Hand, darauf ein Berg von Chips und Nüssen.
Falls fragte: »Was soll das Futter? Das hab ich nicht bestellt.«
Ein Glucksen vom Barmann, ein Kopfnicken Richtung Porter, dann: »Erfahrung, Süße. Wenn man so lange dabei ist wie ich, weiß man, wer seine Salt ’n’ Vinegar haben will. So spar ich mir einen Gang.«
Falls griff zu den Gläsern, gab Porter eins, sagte: »Er muss Geld kriegen.«
Es war doppelt so teuer, wie Porter erwartet hatte, von seinem Zwanziger blieb nicht viel übrig. Der Barmann stand schon wieder hinter der Theke, da rief Falls: »Schachtel B&H.«
Erntete den Blick.
Porter roch an seinem Drink, fragte: »Wodka? Bei den Preisen müssten das Doppelte sein.«
Sie nickte und nahm einen großen Schluck.
Porter kriegte ihn pur nicht runter und rief in Richtung Bar: »Flasche Tonic … Slimline.«
Als der Barmann höhnisch kicherte, ging Porter auf, dass er wie Arthur Daley klang, was nicht gut war. Der Barmann brachte das Tonic und die Kippen und funkelte Porter an. Als er wieder weg war, fragte Porter: »Was war das denn?«
Falls riss die Erdnüsse auf, sagte: »Er ist homophob.«
»Wie, soll das heißen, er weiß, dass ich schwul bin?«
Falls betrachtete ihn und sagte mit wenig Zuneigung und einem Granitsplitter im Blick: »Das wissen alle.«
Er ließ es durchgehen. Früher einmal waren er und Falls beste Kumpels gewesen. Fast von Anfang an hatten sie sich verstanden, waren zusammen tanzen und trinken gegangen. Dann war sie in einen Haufen Scheiße geraten. Ein Skinhead, mit dem sie befreundet war, wurde ermordet, und ihr Leben war ins Trudeln geraten. Porters Beförderung hatte den Bruch besiegelt. Ihre Trinkgeschwindigkeit machte ihm Sorgen. Der Alkohol stand ihrem Bemühen, Sergeant zu werden, mit Sicherheit im Weg.
Er fragte: »Wie läuft’s mit dir und Nelson?«
Ein Detective aus Vauxhall, der Falls den Job gerettet und eine Beziehung mit ihr angefangen hatte. Porter war ihm nur ein paarmal begegnet und hatte ihn streitlustig und, schlimmer, langweilig gefunden. Grundlegende Voraussetzungen für die Metropolitan Police.
Sie bestellte die nächste Runde und erwiderte dann: »Nelson? Nelson ist Geschichte.«
»Tut mir leid.«
Sie legte größtmögliche Überraschung in ihren Gesichtsausdruck, hauchte: »Oh, du hast ihn gekannt?«
»Nicht wirklich.«
Sie verzog den Mund und knurrte: »Was zum Teufel tut dir dann leid? Vielleicht bin ich froh, ihn los zu sein.«
Porter stand auf, zuckte mit den Achseln.
»Ich geh dann mal.«
Ein junger Cop kam rein, sah sie, kam an und sagte: »Sir, Sie werden gesucht, es geht um das Bombenattentat.«
Porter sah Falls an, fragte: »Kommst du mit?«
»Ich schieß mich hier ab. Geh und mach Vorgesetztenzeug.«
Some find themselves through joy, some through suffering and some through toil. Johnny had till now tried nothing but whiskey. A process that left him feeling like somebody new every day.
Nelson Algren, The Man With The Golden Arm
Angie James war ernsthaft gestört. Das hatte sie früh kapiert, und fast genauso schnell hatte sie kapiert, wie es sich verbergen ließ. Erst etwas später hatte sie begriffen, dass andere Menschen richtig von falsch unterscheiden konnten. Ihr Radar nahm nur auf, ob sie sich gut oder betrogen fühlte. Dazwischen gab es wenig. Sie rettete sich durch Nachahmung, verfeinerte ihre Überlebenstaktik, indem sie die Gefühlsregungen von anderen nachmachte.
Das hatte seinen Preis.
Der Versuch, ihre Familie abzufackeln, hatte ihr als Teenager zwei Jahre in der Klapse eingebracht. Die besten zwei Jahre ihres Lebens, denn dort hatte sie gelernt, durch Sex Macht auszuüben.
Eine atemberaubende Fähigkeit.
Ihr Gesicht war auf unauffällige Weise hübsch. Make-up verschaffte Aufmerksamkeit. An langen Nachmittagen mit Modemagazinen lernte sie, ihren Körper so zu formen, dass er verführerisch wurde. Den Rest machten Klamotten. Als sie zur Entlassung anstand, hatte sie genug gelernt, um die Gutachter mit den gewünschten Antworten zu füttern.
Inzwischen war sie achtundzwanzig und hatte bisher nur einen schweren Fehler gemacht. Eines Abends im Pub hatte sie einem Typen das Gesicht mit einem Rasiermesser aufgeschlitzt – von der linken Augenbraue bis runter zum Kinn. Sie war nicht wütend gewesen, bloß neugierig, wie er reagieren würde. Danach war sie für ein Jahr in Holloway eingebuchtet gewesen, wo sie eine Kampflesbe verstümmelte.
Ihre Zellengenossin war eine Mittfünfzigerin namens Beth, die zehn bis fünfzehn Jahre für eine Reihe von Postüberfällen absaß. Eines Tages griff Angie aus reiner Langeweile in einen Knaststreit ein und bewahrte Beth vor einer fetten Tracht Prügel. Beth war dankbar, gab ihr Bücher, Kosmetika, Zigaretten. An einem stickig heißen Julinachmittag sagte sie: »Angie, du solltest echt vorsorgen, weißt du?«
Angie, in ein Cosmopolitan-Rätsel vertieft, antwortete nicht.
»Ernsthaft, Babe, besorg dir Kohle, flieg nach Florida, heirate da irgendeinen stinkreichen Scheißkerl, fick ihn bis zum Herzinfarkt.«
»Woher bekomm ich die Kohle?«
Beth hatte ein paar Gläser Knastfusel gekippt und war ziemlich breit. Angie sollte den Traum leben, zu dem es bei ihr nie gereicht hatte. Sie sagte: »Dreh ein todsicheres Ding, viel Geld bei wenig Risiko, dann hast du ausgesorgt.«
Angie war inzwischen bei einem Ratgeberartikel zur Verbesserung von Oralsex angekommen, fragte: »Was für eins?«
Beth nahm noch einen Schluck Fusel, versuchte, sich zu konzentrieren, sagte: »Erpressung.«
»Ach, und das geht wie?«
Beth musste sich hinlegen, der Fusel hatte ihr eins über den Schädel gegeben. Sie verlor völlig den Faden, wusste nicht mal mehr richtig, wer Angie eigentlich war. Aber Angies Interesse war geweckt, sie wollte wissen: »Erzähl schon, wie läuft das?«
Allmählich und unter Mühen legte Beth den Masterplan dar: Jag ein Gebäude in die Luft, dann verlang Geld dafür, dass du nicht noch mehr in die Luft jagst.
Angie höhnte: »Das soll die Lösung sein? Das ist totaler Scheiß.«
Beth war umgekippt.
Sechs Monate nach Angies Entlassung erblindete Beth an selbstgebrautem Knastfusel. Selbst wenn Angie geschrieben hätte – was sie versprochen hatte, aber nicht tat –, Beth hätte die Briefe nicht lesen können.
Angie war inzwischen mit zwei Brüdern zusammen, Ray und Jimmy Cross. Ray hatte Hirn, Jimmy Muskeln. Sie waren Kleinkriminelle und verrückt nach ihr. Dass sie es mit beiden trieb, machte keinem was aus. Angie fand an den Brüdern vor allem die Bude in der Clapham Road attraktiv, in der sie zur Miete wohnten. Sie war vollgestopft mit heißen DVDs, Laptops, gefälschten Designerklamotten. Gerade aßen sie Curry, kippten Special Brew und guckten mit halbem Auge Dumm und Dümmer.
Jimmy sagte: »Ich bin heute an Dynamit rangekommen.«
Ray warf ihm eine Bierdose an den Kopf, sagte: »Du Idiot, wie sollen wir das Zeug verticken?«
Angie spitzte die Ohren, fragte: »Wo hast du das her?«
Jimmy, entzückt über ihre Aufmerksamkeit, sprudelte hervor: »Wir haben in dem alten Haus in der Meadow Road einen Joint geraucht, ich hab eine Plane weggezogen, und da stand eine ganze Kiste von dem Zeug.«
Ray machte eine neue Dose auf, brüllte: »Sieh zu, dass du’s los wirst, hörst du!«
Angie war auf den Beinen.
»Nein, nicht, ich hab eine Idee.«
Brant machte: »Aaah …«
Die Nutte war fertig, wischte sich den Mund ab und stand auf.
Brant streckte sich, sagte: »Im Kühlschrank steht Bier, hol uns mal zwei.«
Sie funkelte ihn an, hätte gerne gebrüllt: Hol’s selber, du blödes Schwein! Aber sie kannte ihn länger, als sie sich erinnern wollte, spülte den Mund aus, spuckte, sagte: »Weg mit dem Dreck.«
Über dem Ausguss hing ein kleiner Spiegel, sie überprüfte ihr Gesicht. Das Spiegelbild verkündete die harte Wahrheit: ein müde Nutte mit zu vielen Gebrauchsspuren, zwanzig Jahre hatten Falten gefurcht, und zwar tiefe.
Brant von nebenan: »Was ist los, braust du selber? Schwing deinen Arsch hier rein.«
Sie holte die Dosen und ging zu ihm. Er hatte eine Unterhose angezogen, eine echte Erleichterung, und pochte auf den Kaffeetisch, sagte: »Stell hier ab, Babe.«
Allem Anschein nach ratlos glotzte sie den Tisch an. Er fragte: »Bist du taub? Stell sie ab.«
»Hast du keine Untersetzer?«
Er beugte sich vor, nahm ihr eine Dose ab, zog den Nippel, schluckte die Hälfte des Biers runter, rülpste, sagte: »Wenn du deins nicht willst, gib her.«
Sie öffnete die Dose, nahm einen damenhaften Schluck. Das amüsierte ihn, er fragte: »Hast du das im Mädcheninternat gelernt?«
Sie sah ihn an, sagte: »Ja, auf der Mile End Road. Der Knigge steht da hoch im Kurs.«
Er trank das Bier aus, zerquetschte die Dose und schmiss sie über ihre Schulter, fragte: »Hast du was zu rauchen?«
Sie unterdrückte ein Seufzen, holte ihre Handtasche, warf ihm eine Schachtel zu.
Er fing sie und fluchte: »Silk Cut? Was’n das für’n Scheiß?«
»Wegen meinen Bronchien.«
Er riss den Filter ab, sagte: »Was stehst du rum? Gib mir Feuer.«
Das Telefon klingelte. Brant nahm ab, sagte: »Yo?«
»Brant, ich bin’s, Roberts, hier geht was ab.«
Brant zwinkerte der Nutte zu, antwortete: »Mir ist auch gerade was abgegangen.«
»Ohne Zweifel. Können Sie herkommen?«
»Bin auf dem Weg.«
Er stand auf, streckte sich, und die Nutte fragte: »Wie lange kennen wir uns?«
»Whoa … wer kann da schon mitzählen?«
»Hab ich dich je um was gebeten? Nie, nicht mal um ein bisschen Geld.«
Er täuschte Erschrecken vor, sagte: »Heißt das, es war gar nicht Liebe?«
»Es gibt da einen Typen, Millowitz heißt er, Europäer, der verprügelt die Frauen am Oval, droht damit, ihnen was anzutun, wenn sie nicht jede Woche Geld abdrücken. Einem Mädchen hat er die Nase gebrochen, in unserem Geschäft ist das stark erwerbsmindernd.«
Brant wählte eine braune Cordhose, ein schneeweißes Hemd, zog eine geklaute Polizeiverbandskrawatte aus dem Schrank und knüpfte sie mit einem Windsorknoten. Er setzte sich, zog schwere Arbeitsstiefel an und suchte dann einen kurzen schwarzen Regenmantel aus. Der Schrank stand offen, sie sah tonnenweise nagelneue Klamotten, an denen Preisschilder hingen. Alles Designerlabels, die ihr Geld, viel Geld ins Ohr flüsterten.
Brant lächelte, sagte: »Sind vom Laster gefallen, verstehst du?« Sie antwortete nicht, er wirbelte um die eigene Achse, fragte: »Was sagst du? Wenn du mich so auf der Straße siehst, wirst du doch feucht, oder?« Sie dachte, sie würde die Beine in die Hand nehmen – alles an ihm schrie nach Bulle. Sie lächelte schwach, Brant bückte sich, berührte seine Zehen, sagte: »Hör mal.« Er klopfte mit den Fingern gegen die Schuhspitze, ein dumpfes Klonk ertönte. Er richtete sich auf, sagte: »Stahlkappen. Um welche Uhrzeit tritt das Arschloch üblicherweise in Erscheinung?«
Um den Tisch herum saßen Porter Nash, PC McDonald, Brant, mehrere Zivilpolizisten und, an der Stirnseite, Chief Inspector Roberts.
Einer der Detectives fragte: »Was will der PC hier?« Roberts sah Brant an, der lässig lächelte, sagte: »Ihr wollt bestimmt Tee, Kaffee …«
Der Typ wurde unsicher, sah sich nach Hilfe um, bekam keine und sagte daher: »Ja, klar … sicher.«
Brant nickte McDonald zu, sagte: »Er ist der Teejunge.« Allgemeines Gekicher, und McDonald funkelte wütend Brant an, der zwinkerte.
Roberts hustete, dann: »Okay, Ruhe jetzt. Wir haben einen Bombenleger, laut Sprengstoffteam ein Amateur. Was nicht bedeutet, dass niemand in die Luft fliegen wird. Amateure sind gefährlicher als Profis, weil sie keine Ahnung haben, was sie tun. Ich will, dass ihr an jede Tür klopft, jeden aus dem Computer zieht, der jemals mit Dynamit oder Explosionen zu tun hatte, Baustellen abklappert und fragt, ob Sprengstoff gestohlen wurde. Raus auf die Straße, bringt mir was Handfestes. Fragen?«
Porter hob die Hand, fragte: »Welche Absprache gibt es wegen der Geldforderung?«
»Gar keine. Der Super sagt, wir zahlen nicht.«
Porter zog die Augenbrauen hoch, sagte: »Dann können wir mit dem nächsten Anschlag rechnen.«
»Nicht, wenn wir sie vorher kriegen, klar? Also, auf geht’s. Sergeant Brant, einen Moment, bitte.«
Während die anderen gingen, sagte Brant zu McDonald: »Tee, zwei Stück Zucker … oh, und ein Plunderstück … braver Junge.«
Als alle weg waren, schloss Roberts die Tür, sagte: »Der Super will Sie bei der Sache nicht dabeihaben.«