Scharfe Munition - Ken Bruen - E-Book

Scharfe Munition E-Book

Ken Bruen

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  • Herausgeber: Polar Verlag
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2024
Beschreibung

Im Laufe der vielen Jahre, in denen Inspektor Brant seine eigene häßliche Art der Polizeiarbeit auf die Straßen im Südosten Londons brachte, hat sich der brillante, aber harte Polizist einige Feinde gemacht. Als ein verrückter Schütze, der von unbekannten Personen angeheuert wurde, in einem örtlichen Pub ein Magazin voller Kugeln in Brant hineinpumpt und ihn um sein Leben ringen lässt , fragen sich seine Kollegen im Trupp, wie sie reagieren sollen. Brants alter Partner Inspektor Roberts, der Mann, der ihn vielleicht am besten kennt, fragt sich, warum nicht schon vor Jahren jemand den hasserfüllten Detektiv erschossen hat. In Ken Bruens SCHARFE MUNITION, dem siebten Roman in Ken Bruens Londoner Krimiserie, werden sie alle herausfinden, dass die Antwort ganz einfach ist: Wenn sie Brant verfolgen, sollten sie ihn verdammt noch mal besser gleich beim ersten Mal töten – denn wenn sie es nicht tun, werden sie nicht dableiben wollen, um herauszufinden, was als nächstes passiert.

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DARK PLACES

Ken Bruen

Scharfe Munition

Aus dem Englischen von Karen Witthuhn

Herausgegeben von Jürgen Ruckh

Polar Verlag

Originaltitel: Ammunition

Copyright © 2007 by Ken Bruen

Deutsche Erstausgabe, 1. Auflage 2024

Aus dem Englischen von Karen Witthuhn

Mit einem Nachwort von Anthony J. Quinn

© 2024 Polar Verlag e. K., Stuttgart

www.polar-verlag.de

Lektorat: Tobias Schumacher-Hernández

Korrektorat: Andreas März

Umschlaggestaltung: Britta Kuhlmann

Coverfoto: © alexanderuhrin/Adobe Stock

Autorenfoto: © Ken Bruen

Satz/Layout: Martina Stolzmann

Gesetzt aus Adobe Garamond PostScript, InDesign

Druck und Bindung: Nørhaven, Agerlandsvej 3, 8800 Viborg, DK

Printed in Denmark 2024

ISBN: 978-3-910918-10-8

eISBN: 978-3-910918-11-5

Für Randall Hicks

Noch nie sind mir institutionelles Fehlverhalten, Blindheit, Arroganz und Voreingenommenheit in einem Ausmaß begegnet, wie es in der Met als normal angesehen wird.

– Sir Robert Mark, Metropolitan Police Commissioner

Inhalt

1

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HAPPY SLAPPERS

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»Rassismus, Frauenhass und Korruption« Ein Nachwort von Anthony J. Quinn

1

Brant war beim dritten Whisky, kippte ihn weg wie ein ganzer Kerl. Es ging ihm richtig dreckig, Ed McBain war tot, und nichts konnte diesen Verlust mildern. Er murmelte:

»Fuck.«

Der Barmann, stets bemüht, Brants Bedürfnisse zu erfüllen, fragte:

»Ja?«

Brant warf ihm den Granitblick zu, sagte:

»Wenn ich was will, erfährst du’s.«

Brants Ruf war legendär. Er wurde von Cops und Kriminellen in Südost-London gleichermaßen gefürchtet. Die hohen Tiere hatten nichts unversucht gelassen, um ihn abzusäbeln, aber er hatte alles überlebt.

London war in erhöhtem Alarmzustand. Seit den Terroranschlägen lag Paranoia in der Luft. Die Bevölkerung fragte sich nicht, ob die Attentäter wieder zuschlagen würden, sondern wo und wann.

McBain war Brants einziger Held gewesen, er hatte jeden seiner Romane gesammelt, besaß auch den neusten, der nun der letzte bleiben würde, und brachte es nicht über sich, ihn zu lesen. Er wollte gerade nach einem weiteren Drink brüllen, als er eine Stimme hörte:

»Sergeant?«

Er drehte sich um und erblickte Porter Nash, den frisch beförderten Porter Nash, in einem todschicken Anzug. Porter war der einzige offen schwule Cop auf dem Revier und wahrscheinlich der beste Ermittler von allen. Brant, der jeden hasste, pflegte eine ungewöhnliche Freundschaft zu ihm. Keiner der beiden wusste so genau, wieso sie miteinander klarkamen, aber scheiß drauf, egal, sie nahmen es hin. Brant sagte:

»Heißer Anzug.«

Porter setzte sich auf den Hocker neben Brant, fragte:

»Gefällt er dir?«

Brant gab dem Barmann ein Zeichen, beäugte lange den Anzug, sagte:

»Hilft, wenn man schwul ist.«

Porter lachte, oft blieb ihm nichts anderes übrig. Wer mit Brant zu tun hatte, brauchte eine Riesenportion Humor oder eine Schrotflinte. Brant bestellte zwei große Whiskys, und Porter protestierte:

»Ich wollte Wodka.«

Brant fegte es beiseite, sagte:

»Wahrscheinlich mit Lime. Trink mal was Richtiges.«

Der Barmann kannte Brant, klar, jeder kannte Brant, aber der andere Typ, der war neu und bedenklich. Er hatte Manieren, bedankte sich, als er ihm die Drinks auf den Tresen knallte, konnte also kein Cop sein. Aber er hatte so eine Aura, trotz des Tuntenanzugs, irgendwas an seiner Haltung sagte … mit mir ist nicht zu spaßen. Den würde der Barmann im Auge behalten, mal sehen, was er rausfinden konnte.

Brant stieß sein Glas gegen Porters, sagte:

»Ich glaub, der Barbengel steht auf dich.«

Porter warf einen flüchtigen Blick, sagte:

»Nicht mein Typ.«

Brant kippte einen tödlichen Schluck runter, Porter nippte, als er Brants Miene bemerkte, trank er etwas mehr, sagte:

»Könnte ich Wasser dazubekommen?«

Brant steckte sich eine Kippe an. Er war zu einer sogenannten teerarmen Marke gewechselt, sie funzte nicht. Porter, seit sechs Monaten Nichtraucher, atmete gierig den Rauch ein, fand sich mit dem puren Whisky ab, sagte:

»Also, was hältst du von dem Ami?«

Brant sah auf seine Uhr. Ohne dass er es geahnt hätte, blieben ihm rund zehn Minuten, bevor er niedergeschossen wurde.

Der Ami war L.M. Wallace, Terrorismusexperte. Alle Einheiten hatten so einen zugewiesen bekommen, in der Hoffnung, die würden wissen, wann und wo es zu einem Anschlag kommen könnte. Die Amis hatten 9/11, die Briten jetzt ihr 21/7. Brant drückte die Kippe aus, sagte:

»Bin ihm noch nicht begegnet.«

Im Tonfall schwang totale Gleichgültigkeit mit, trotzdem fragte er:

»Und du?«

Porter nickte. Er war als Mentor, Führer, Kindermädchen, was auch immer abkommandiert worden, damit der Typ sich willkommen fühlte. Er sagte:

»Er ist groß, das muss man ihm lassen.«

Brant lachte, auf die besonders dreckige Art, die nichts mit Humor zu tun hatte, und sagte:

»Mehr als ’ne Handvoll, ja?«

Porter trank aus und spürte die Wärme seinen Magen streicheln, die künstliche Leichtigkeit. Er nahm jede Entspannung, die er kriegen konnte, sagte:

»Der Typ wiegt gut neunzig Kilo, sein Gesicht sieht aus, als hätte jemand einen Flammenwerfer draufgehalten, und seine Referenzen sind beeindruckend, das muss ich zugeben.«

Nichts auf der Welt konnte Brant beeindrucken. Er sagte:

»Beeindruck mich.«

Der Schütze betrat die Bar, in der Jacke die Browning Automatik. Er hatte sie soeben durchgeladen und war sozusagen schussbereit. Er sah die beiden Bullen an der Bar. Stellte sich breitbeinig auf.

Porter sagte:

»FBI Anti-Terrorist Squad, Special Ops, Homeland Security und ein Haufen Auszeichnungen.«

Brant ließ das sacken und wollte eine kluggeschissene Antwort geben.

Der Schütze hatte die Browning im Anschlag. Er wollte gerade abdrücken, als eine Frau durch die Tür rauschte und ihn leicht aus der Balance brachte. Er murmelte:

»Fuck.«

Versuchte, das Gleichgewicht wiederzufinden, drückte ab. Feuerte mehrere Salven. Hinter der Theke explodierten Flaschen, Tresensplitter flogen durch die Gegend, und Porter stieß Brant zu Boden und warf sich schützend über ihn. Der Angreifer sah die Bullen am Boden liegen, hoffte, dass er wen abgeknallt hatte, und floh. Menschen schrien, ein Besoffener kam aus seinem Vollrausch, fragte:

»Ist schon Weihnachten?«

Porter war am Funkgerät, brüllte:

»Schießerei, Attentäter aus dem King’s Arms auf die Kennington Road gelaufen.« Er rappelte sich auf, der Geruch von Kordit hing mit Alkohol vermischt schwer in der Luft. Er schaute nach unten. Brant regte sich nicht, und Porter bückte sich, streckte den Arm aus, sah das Loch in Brants Rücken und schrie:

»Holt einen verdammten Krankenwagen.«

Brüllte ins Funkgerät:

»Polizist niedergeschossen, ich wiederhole, Polizist niedergeschossen.«

Der Besoffene stimmte summend »Jingle Bells« an.

Munition. Schießpulver, Schuss, Kugel etc. Angriffsgeschosse allgemein.

– Wörterbuchdefinition

2

Als Police Constable McDonald hörte, dass Brant niedergeschossen worden war, hätte er fast die Arme hochgerissen und gejubelt:

»Krasse Scheiße.«

Aber er befand sich in der Polizeikantine und musste sich verhalten wie alle anderen, sich schockiert geben und entrüstet aufspringen, bereit, sich den Angreifer vorzuknöpfen. Und er war tatsächlich schockiert, konnte kaum glauben, dass Brant endlich eins übergebraten bekommen hatte. Er hasste das Arschloch von ganzem Herzen. Früher mal, herrje, wie lang war das her, da war McDonald der Goldjunge gewesen, auf direktem Weg nach oben, unter den Fittichen des Super persönlich. Seine einzige Aufgabe, eigentlich ganz einfach, war es gewesen, dafür zu sorgen, dass Brant ausrutschte und geliefert war.

Kinderspiel.

Tja, ein Spiel ohne jede Regel.

Brant war so wild, so unberechenbar, dass man ihn eigentlich bloß beobachten musste, bis einem die Beweise in den Schoß fielen, und Bingo, er wäre weg vom Fenster. Aber Brant hatte Wind davon bekommen, und seitdem war McDonalds Karriere im Arsch. Er baute nur noch Scheiße, und hinter jeder neuen Katastrophe blitzte Brants höhnisches Lächeln auf. Der allerletzte Versuch, sein Heldentum unter Beweis zu stellen, war komplett in die Hose gegangen, und McDonald wurde dabei auch noch angeschossen. Die Met hatte gerade Ärger am Hals und brauchte gute Presse, deswegen stellte man McDonald als eine Art halbgarer Held dar. Er behielt seinen Job, wurde aber zum Gespött der Kollegen. Ein Aussätziger in Uniform, um den alle einen weiten Bogen machten, und der Super wartete nur noch den richtigen Moment ab, um ihn klammheimlich in die Versenkung zu befördern.

Seitdem bekam McDonald die ganze Drecksarbeit aufgehalst; was man normalerweise Rekruten überließ, landete jetzt bei ihm. Sein derzeitiger Auftrag? Vor Einkaufszentren rumstehen und mies gelaunten Passanten den Weg erklären. Er brauchte was Großes, was Epochales, um seine Karriere wieder in die richtigen Bahnen zu lenken, aber ihm fiel nichts ein. Langsam begann er sich mit seinem Schicksal abzufinden und hatte bereits ein paar Jobanzeigen für Wachmänner gelesen, die unterste Stufe auf der polizeilichen Dienstleiter in die Hölle.

WPC Andrews war das genaue Gegenteil von McDonald. Sie war noch relativ neu, hatte den Durchbruch gehabt, von dem er träumte, war Heldin wider Willen geworden, und sogar Falls, die bei niemandem weich wurde, schien sie fast zu mögen. Als Andrews von Brant erfuhr, fing sie an zu weinen, sie glaubte immer noch an den Scheißspruch, einer für alle, alle für einen. Und brachte es tatsächlich Chief Inspector Roberts gegenüber zum Ausdruck, der sie ansah, als wäre sie irre. Sie schob es auf den Schock, sie wusste ja, wie nahe er Brant stand.

Nah!

Das wäre zu viel des Guten. Sie hatten eine lange gemeinsame Vergangenheit, mehr schlecht als gut, aber immerhin bestand eine Beziehung. Brant schaffte es immer wieder, Roberts in Erstaunen zu versetzen; die Risiken, die er einging, und seine ganze Einstellung zur Welt faszinierten und entsetzten Roberts. Der Chief Inspector starrte Andrews an, ihr frisches Gesicht, die ganze »Packen wir’s an«-Haltung, und wollte ihr sagen, dass ihn nicht schockierte, dass Brant niedergeschossen worden war, sondern überraschte, dass es erst jetzt passiert war. Wer so dicht am Abgrund tanzte wie Brant, den erwischten sie irgendwann, und das waren noch die guten Jungs.

Er fragte:

»Ich bin auf dem Weg ins Krankenhaus. Wollen Sie mit?«

Sie war entzückt. So konnten sie Vertrauen und Bindung aufbauen, durch Trauer und Mitgefühl zusammengeschweißt, und er war nicht unattraktiv, außerdem würde es ihrem Ruf nutzen.

Auf dem Weg nach draußen rief Foley, der Diensthabende, Roberts’ Namen, der ihn dafür anfuhr:

»Nicht jetzt, verdammt noch mal, Brant wurde niedergeschossen.«

Foley wollte protestieren:

»Ey, reißen Sie mir nicht den Kopf ab. Glauben Sie etwa, mir tut das nicht weh, ich würde nicht bluten, ich wäre kein Mensch?«

Er hatte vor Kurzem Der Elefantenmensch gesehen und war tief bewegt gewesen. Noch mehr weinerliches Zeug kam ihm in den Sinn, aber das würde nicht gut ankommen, er hob es sich für seine Frau auf, wer weiß, vielleicht würde er mal wieder einen Mitleidsfick abbekommen. Stattdessen schlug er einen offiziellen Tonfall an, damit dem Mistkerl klar war, dass es um was Wichtiges ging, sagte:

»Sir, ich würde Sie in einem solchen Augenblick eigentlich niemals belästigen …«

Machte eine Pause.

Legte seine ganze Härte in die Worte:

»Aber der Anrufer sagt, er habe Informationen über das Attentat.«

Roberts sah aus, als wollte er ihn schlagen, und der Sergeant wich ein Stück zurück. Roberts schnauzte:

»Und kein anderer auf dem ganzen Revier kann den Anruf annehmen? Jeder Idiot in Südost-London wird sich an die Strippe hängen und behaupten, er wär’s gewesen. Sie sind doch bestimmt in der Lage, sich darum zu kümmern, schließlich sitzen Sie schon lange genug mit dem Arsch auf diesem Stuhl.«

Die Verachtung für ihn als Schreibtischtäter wurde nicht überhört, und der Sergeant ließ sich einen Moment lang Zeit, bevor er mit eisiger Stimme sagte:

»Ja, Sir, und ich hätte Sie in diesem Moment höchster Dringlichkeit nicht aufgehalten, aber der Anrufer hat namentlich nach Ihnen verlangt, und die Erfahrung der vielen Jahre auf meinem … Hinterteil … sagt mir, dass er echt ist.«

Damit war er recht zufrieden, es schien auszudrücken:

»Fick dich, Jack, und zwar kreuzweise.«

Roberts seufzte, schubste den Sergeant aus dem Weg, griff zum Hörer, fauchte:

»Roberts hier.«

Hörte:

»Ich störe Sie so ungern in diesem entsetzlichen Moment.«

Die Stimme war sonor, kultiviert, sprach in dem, was man früher als BBC-Akzent bezeichnet hätte, und klang außerdem extrem vornehm. Sie ging Roberts sofort auf die Nerven. Er schnauzte:

»Sie haben Informationen über eine Schießerei?«

Seine Ungeduld und Anspannung waren spürbar und wurden mit einem tiefen Glucksen erwidert, nicht mit Gelächter, nein, so klang jemand, der sich über diese Reaktion freute. Er äffte Roberts nach:

»Eine Schießerei? Sie scherzen, mein Lieber. Ganz sicher ist es die Schießerei, oder überschätze ich die Bedeutung unseres tüchtigen Detective Sergeant Brant?«

Roberts hielt den Hörer so fest umklammert, dass ihm die Hand wehtat. Er versuchte, sich insgesamt zu entspannen, fragte:

»Sie haben Informationen, ist das richtig?«

Wieder das Glucksen, ein echter Spaßvogel, dann:

»Tja, alter Knabe, das ist kein rein freundschaftlicher Anruf, auch wenn ein solcher sicher nett wäre, ich habe tatsächlich Informationen. Stünde eventuell ein finanzieller Anreiz zur Verfügung dafür, dass ich, wie man sagt, ›aus dem Nähkästchen plaudere‹?«

Roberts gab dem Diensthabenden ein Zeichen, den Anruf nachzuverfolgen. Der Sergeant ignorierte es, tat so, als wüsste er nicht, was Roberts ihm mit seinem wütenden Gefuchtel sagen wollte. Mal sehen, wie ihm das schmeckte, mies behandelt zu werden.

Roberts sprach in den Hörer:

»Jeder Bürger, der die Polizei unterstützt, kann sich der vollen Dankbarkeit der Met gewiss sein.«

Selbst Roberts war klar, dass das Stuss war, und der Typ sagte:

»Ts, ts, Chief Inspector, die Parteilinie, wie? Bei meinem nächsten Anruf erwarte ich eine detailliertere Antwort.«

Roberts wurde fast panisch, drängte:

»Was sind das für Informationen? Woher weiß ich, dass Sie nicht irgendein Irrer sind?«

Stille, Roberts dachte schon, der Typ wäre nicht mehr dran, dann:

»Sie werden sehen, dass es sich bei der Waffe um eine Browning Automatik handelt, das gesamte Magazin … kam zum Einsatz … und ich entschuldige mich zutiefst für den recht … wie soll ich sagen … schießwütigen Theaterdonner, aber gutes Personal ist schwer zu finden, das kennen Sie sicher auch. Sollte ein zweites Mal vonnöten sein, werde ich versuchen, mehr Finesse walten zu lassen.«

Roberts merkte, dass er schwitzte, versuchte es mit:

»›Ein zweites Mal.‹ Was zum Teufel soll das heißen?«

Rauschen im Hörer, dann sagte der Typ:

»Sollte unser geliebter Sergeant Brant nicht den Löffel abgegeben haben, müssen wir es noch einmal versuchen, Beharrlichkeit ist schließlich eine Tugend. Erst mal adieu, scheiden tut weh.«

Roberts wollte brüllen: »Adieu, scheiden tut weh«? Wer zum Teufel redete so, der nicht mindestens hundert Jahre alt war. Er keuchte:

»Aber wieso, wieso Sergeant Brant?«

Ein volles Baritonlachen, dann:

»Ihre Bemühungen, mich an der Strippe zu halten, sind bewundernswert, aber ein bisschen amateurhaft, und was das Wieso angeht, wirklich, Chief Inspector, fällt Ihnen irgendjemand ein, der unseren Pechvogel nicht erschießen will?«

Klick.

Der Mistkerl war weg.

Roberts fuhr herum und brüllte den Schreibtischtäter an:

»Haben Sie ihn verfolgt?«

Der Sergeant fragte:

»Ach, wollten Sie das?«

Roberts wäre fast über den Tisch gesprungen, zügelte sich ein wenig, sagte:

»Das wollte ich Ihnen mit meinen Gesten klarmachen, Sie verdammter Idiot.«

Der Sergeant zögerte keine Sekunde, sagte:

»Ach, ich dachte, Sie hätten um einen Tee gebeten? Soll ich Ihnen eine schöne Tasse bringen lassen, Sie wirken ein wenig angespannt?«

Roberts drehte sich auf dem Absatz um, fuhr Andrews an:

»Was stehen Sie da rum, holen Sie den verdammten Wagen.«

Andrews fand es ein starkes Stück, dass sie jetzt seinen Ärger abbekam, behielt den Gedanken aber für sich.

Roberts tröstete sich damit, dass alle auf dem Revier eingehenden Anrufe routinemäßig aufgenommen wurden, vielleicht ließ sich da was rausziehen. Er befahl dem Diensthabenden, die Bänder in sein Büro zu bringen … zack, zack!

Der Diensthabende murmelte:

»Sieg Heil.«

3

Falls schwankte zwischen Hochgefühl und Depression. Eben noch wollte sie in Triumphgeheul ausbrechen, dann stürzte sie krachend in die Tiefe. Sie hatte die Sergeantprüfung bestanden, im dritten Anlauf.

Na ja, bei der Sergeantprüfung geschummelt.

Brant hatte ihr die Prüfungsfragen besorgt. Als er ihr mit diesem Angebot gekommen war, hatte sie den erforderlichen Protest eingelegt. Nämlich:

»Oh, das kann ich nicht machen.«

Brant lächelte sein Wolfslächeln, sagte:

»Okay, aber dann fällst du wieder durch, und wie du weißt, Babe, gibt es keine vierte Chance.«

Beidem musste sie leider zustimmen, aber sie sagte:

»Ich habe gelernt, mir wirklich Mühe gegeben.«

Brant lachte laut, sagte:

»Blödsinn. Du bist schwarz, die Minderheitenquote ist bereits erfüllt, und du hast eine echt … bunte … Akte.«

Dem ließ sich nicht widersprechen, sie hatte sich mehr Fehltritte geleistet als Liza Minnelli, also hatte sie fragen müssen:

»Und was kostet mich das?«

Wer mit Brant Geschäfte machte, zahlte immer drauf, und zwar richtig, wenn es bloß Geld gewesen wäre, aber nein, man musste sich kompromittieren. Er sagte:

»Ich überleg mir was.«

Sie fragte:

»Wie kommen Sie an die Fragen ran?«

Er lachte laut, dann:

»Willst du das wirklich wissen?«

Wollte sie nicht, und er sagte:

»Hab ich mir gedacht.«

Und fügte hinzu:

»Sergeant.«

Und hier war nun die offizielle Bestätigung. Nach all den Jahren des Schuftens war sie Sergeant Falls. Einst war sie der feuchte Traum des Reviers gewesen, alle Cops waren heiß auf sie, und ihr Schwarzsein erhöhte nur die Attraktivität. Aber der Job hatte sie fast in einen weiblichen Brant verwandelt, und ihre Beliebtheit war im Eimer. Jetzt war die neue Bitch, Andrews, der heiße Scheiß. Falls war zum Opfer von Koks und Alkohol geworden, und sie wusste, dass man sie verdächtigte, am Tod eines berüchtigten Cop-Killers beteiligt gewesen zu sein. Sie hatte es hingekriegt, die gesamte Episode aus ihrem Kopf zu verdrängen.

Manchmal sah sie in Albträumen einen Hammer vor sich, und wenn sie schweißgebadet aufwachte, war sie entschlossen, nicht darüber nachzudenken, murmelte:

»Nur noch mehr Scheiße.«

Die Vergangenheit war weniger ein fremdes Land als ein Minenfeld des Horrors. Sie schüttelte sich, um das schlechte Karma aus ihrer Psyche zu bekommen, flüsterte:

»Weitermachen, Mädel.«

Konzentrierte sich auf ihren neuen Status … Sergeant … Sergeant Falls, das klang doch nach was, nach Siegerin. Das Telefon klingelte, sie tippte auf Brant. Der Preis, den es zu zahlen galt. Es war Porter Nash. Früher waren sie beste Freunde gewesen, Minderheiten im Schulterschluss.

Hatte nicht gehalten.

Schade drum.

Porter Nash kam direkt zur Sache, sagte:

»Brant wurde niedergeschossen.«

Das traf sie wie ein … Hammerschlag?

Ihr Verstand brauchte einen Moment, und sie fragte:

»Ist er …?«

Porter sagte:

»Er ist auf der Intensiv. In ein paar Stunden wissen wir mehr.«

Er nannte ihr das Krankenhaus, und sie versprach, sofort zu kommen. Erst als sie aufgelegt hatte, fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte, Porter von ihrer Beförderung zu berichten. Würde wohl keine Party geben, und voller Selbsthass kam ihr der Gedanke, dass sie Brant vielleicht nichts würde zurückzahlen müssen, dann sagte sie laut:

»Reiß dich zusammen, Sergeant.«

Was anziehen für einen Besuch im Krankenhaus? Sie entschied sich für das Dienstfreizeit-Outfit: Jeans, einfaches Sweatshirt, Sneakers, aber halt, Moment. Krankenhaus, süße Ärzte, stimmt’s? Sie griff zu einem kurzen Rock, dazu halbhohe Schuhe, ein bisschen heller Lippenstift und ihre beste Jacke, ein schwarzer Blazer, der ihre Hautfarbe hervorhob und ihr einen lässig-beiläufigen Stil verlieh, der nichts von den Stunden der Pein verriet, die er gekostet hatte. Bei ihrem Anblick würden die Ärzte sagen:

»Stoppt die Herzmassage.«

Klar, genau so würde es laufen.

Als sie mit totaler Konzentration in den Spiegel schaute, entdeckte sie neue Falten um die Augen herum und log:

»Lachfältchen, was sonst.«

Ihr Leben war so ein Spaß gewesen. Es war nur überraschend, dass sie nicht noch mehr hatte, also Falten. An ihrem Wagen, einem halbwegs neuen Datsun, steckte ein Umschlag unter dem Scheibenwischer, sie tippte auf Pizzawerbung oder Ähnliches, bis sie die Handschrift sah:

LIEBSTE

Mit schwerem Herzen stieg sie in den Wagen, sah sich nervös um und gab Gummi.

4

Im Krankenhaus angekommen, bemerkte Falls sofort die vielen Cops, überall Cops, und Thermosflaschen.

Und Nutten.

Eine ganze Schar.

So viele Nutten auf einem Haufen hatte Falls seit ihrer letzten Streife am Kings Cross nicht mehr gesehen, und noch bemerkenswerter war, wie still sie waren.

Stille und Nutten passten eigentlich nicht zusammen. Falls kannte die Älteren, ging hin, fragte:

»Was ist los, Mädels?«

Die Jüngeren sahen sie höhnisch an, aber Beth, eine Altgediente, sagte:

»Wir sind wegen Brant hier.«

Wenn die Presse davon Wind bekam. Falls wusste, dass Brant entzückt sein würde, fragte:

»Gibt’s was Neues?«

Beth warf einen Blick in Richtung Cops, die in einer Ecke standen, sagte:

»Klar, die Wichser halten uns natürlich auf dem Laufenden.«

Falls lächelte fast, und Beth fügte hinzu:

»Die meisten haben einen Heidenschiss, dass ich sie beim Vornamen ansprechen könnte, und vielleicht tu ich das noch.«

Falls sagte, sie würde mal sehen, was sie in Erfahrung bringen konnte, und Beth betrachtete sie, sagte:

»Lass den Blazer weg.«

Porter löste sich aus der Gruppe der höheren Tiere, kam auf Falls zu, fauchte:

»Wieso bist du jetzt erst hier?«

Falls wusste von der seltsamen Freundschaft zwischen ihm und Brant, aber das musste er nicht an ihr auslassen. Sie schnauzte zurück:

»Du hast mich vor zwanzig Minuten angerufen. Glaubst du, ich hab Flügel?«

Er gab nach, sagte:

»Es gibt nichts Neues, er ist immer noch auf der Intensiv, ich muss aufs Revier, aussagen, ich war dabei, als Brant niedergeschossen wurde.«

Falls ging in Cop-Modus, fragte:

»Hast du den Angreifer gesehen?«

Porter sagte müde:

»Es ging so schnell, ich hab nichts mitbekommen.«

Falls dachte kurz nach und sagte im Weggehen:

»Bloß die eigene Haut retten.«

Roberts traf mit Andrews im Schlepptau ein, betrachtete verblüfft die Nuttenversammlung, ging zu den Polizisten, sagte:

»Schafft die hier raus.«

Ein jüngerer Cop sagte:

»Sie könnten Theater machen.«

Roberts sah ihn direkt an, sagte:

»Halt den Mund, sorg für Ordnung.«

Er griff sich Porter, hörte sich an, wie das Attentat abgelaufen war, dann:

»Der Angreifer hat angerufen.«

Porter war erstaunt, fragte:

»Hat er gesagt, warum?«

Roberts konnte die Dämlichkeit nicht fassen, sagte:

»Weil es Brant ist, was glauben Sie denn?«

Roberts fragte, ob Brant Familie hätte, und Porter sagte:

»Wir dachten, das würden Sie am ehesten wissen, schließlich sind Sie ja befreundet und so.«

Roberts wischte das beiseite, sagte: