Führungskraft! - Mario Müller - E-Book

Führungskraft! E-Book

Mario Müller

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Beschreibung

Das Must Have für Führungskräfte im 21. Jahrhundert. Fundierte, tiefgreifende Einsichten, augenöffnende wissenschaftliche Erkenntnisse aus den verschiedensten Bereichen, konkrete Regeln und Hinweise, angefüllt mit Anekdoten und Erfahrungen für angehende und etablierte Führungskräfte. Das Fundament für eine langanhaltende, erfolgreiche Führungskarriere und zugleich ein Booster für alle Führungskräftetrainings, die Sie je besuchen werden. Zugleich eingängig und mitreißend. Erfahrungen und Tipps von FBI-Unterhändlern, CEOs und Führungskräftetrainern, die komprimierten Aha!-Effekte von Tausenden von Führungskräften aus 20 Jahren. Ein Nachschlagewerk für Führung, das verblüfft und die unwahrscheinlichsten Wissensgebiete verknüpft, für eine gelassene Führungskarriere.

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Ähnliche


Inhalt

ZUSAMMENFASSUNG

PUZZLESTÜCK EINS: WARUM?

PUZZLETEIL ZWEI: VERTRAUEN

PUZZLETEIL DREI: DER KÖRPER SPRACHE

PUZZLETEIL VIER: REALITÄTSBEVOLLMÄCHTIGUNG

PUZZLETEIL FÜNF: WELTBILD UND SELBSTBILD

PUZZLETEIL SECHS: NEURONE FEUERN!

PUZZLETEIL SIEBEN: DIE AUGEN MEINER CHEFIN

PUZZLETEIL ACHT: DIE DREI WEGE DER DOMINANZ

PUZZLETEIL NEUN: DIE ÖKONOMIE DES MUTES

PUZZLESTÜCK ZEHN: EMPATHIE

PUZZLETEIL ELF: ARBEITEN MIT AUßERIRDISCHEN

PUZZLETEIL ZWÖLF: SUPERKRAFT & FLASCHENHALS

PUZZLETEIL 13: SYSTEMATISIERER UND EMPATHEN

PUZZLETEIL 14: WECHSELKURS KULTUR ZU EURO

PUZZLETEIL 15: DIE ELF GEBOTE DER KULTUR

PUZZLETEIL 16: HALTUNG, BABY!

DER PLAY-RADIUS &

STRESS MACHT DUMM

PUZZLETEIL 17: STRESS

PUZZLETEIL 18: KONFLIKTE UND VERHANDLUNGEN

PUZZLETEIL 19: WIE BESSER WERDEN?

PUZZLETEIL 20: TRAINING IM 21. JAHRHUNDERT

ÜBER DEN AUTOR

Einleitung

Führungskräfte haben wenig Zeit. Darum ist in diesem Buch die Zusammenfassung vorne. Eine These bringt Sie zum Stirnrunzeln oder weckt Ihr Interesse? Das Kapitel dahinter birgt vermutlich den größten Mehrwert für Sie.

Dieses Buch enthält die wichtigsten Dinge, die Führungskräfte und ich uns in den letzten zwei Jahrzehnten gegenseitig beigebracht haben. Es besteht aus denjenigen Erkenntnissen und Techniken, die einige Tausend Führungskräfte und Teilnehmer meiner Vorträge und Trainings am hilfreichsten fanden.

Führung ist ein Kompetenzfeld. In Führungskraft kann und muss man zeitlebens investieren. Wer dies nicht tut, bleibt hinter den Erwartungen zurück.

Aus jedem der zwanzig Puzzleteile in diesem Buch hätte man ein eigenes Buch machen können, von dem Sie mit Glück jeden Monat eines gelesen hätten. Stattdessen finden Sie in diesem einen Buch die Essenz aus diesen beiden Jahrzehnten Führungskräftetraining; aus Geschichte, Ökonomie, Neurologie, Biologie, Schauspielkunst, (Krisen)Kommunikation, Angewandter Improvisation, Organisationsentwicklung und Psychologie. Eine ideale, breite Wissensbasis, die dabei hilft, gute Führungskräftetrainings zu erkennen und zukünftig das Maximum aus ihnen herauszuholen. Meine letzten Bücher waren auch so kompakt – und das kam gut an. Etliche Leute berichteten mir, dass sie immer wieder reinschauen oder sie sie nach dem Sackenlassen und Umsetzen der ersten Punkte einfach nochmals ausschnittweise oder komplett lesen. Die einzelnen Kapitel nähern sich dem Thema oft von sehr unerwarteten Punkten aus und gehen an überraschenden Stellen in die Tiefe. Die Erkenntniswurzeln Ihrer Führungskarriere sollten, finde ich, so breit und tief reichen, wie möglich.

Die einzelnen Puzzleteile sind oft komprimiert. Die Empfehlung des Hauses ist, sie langsam zu lesen und zu kauen wie die einzelnen Gänge im Sternerestaurant. Falls Sie es lieber konkret mögen als metaphorisch, dann lautet die Empfehlung, mit einem Textmarker in der Hand zu lesen, weil das typischerweise die Leseintensität erhöht. Und falls Sie sich eine Erkenntnis markieren wollen, haben Sie gleich einen Textmarker in der Hand!

Es mag nicht immer gleich ersichtlich sein, wie die Teile zusammengehören, aber wir führen immer wieder welche zusammen, nicht erst ganz am Ende. Die verschiedenen Abschnitte variieren auch ziemlich im Anspruch. Nicht nur darin, „wieviel“ gefordert wird, sondern auch in der Art, wie Sie gefordert werden. Weil ich möglichst viele Menschen mitnehmen möchte, sind vermutlich auch Dinge dabei, von denen Sie schonmal gehört haben. Ich bin mir aber auch sicher, dass ich Neues für Sie habe.

Meine Prognose ist, dass Sie mit einigen Teilen des Buches etwas anfangen können, aber vielleicht nicht mit allen. Das ist kein Problem, weil sich das mit der Zeit ändern kann; und vielleicht erschließen sich manche Kapitel bei einem späteren Lesen. Viel Spaß!

Zusammenfassung

B

IOLOGIE UND

E

VOLUTION

1

Menschen sind Rudeltiere, keine Herdentiere. Es bilden sich immer organisch inoffizielle, dynamische Vertrauensbeziehungen, überlagert von offiziellen Weisungsverhältnissen.

P

SYCHOLOGIE

2

Menschen bauen Vertrauen über zwei Pfade auf, Authentizität und Integrität. Der eine Pfad bezieht sich auf das Verhalten, der andere auf das Handeln.

E

NTWICKLUNGSPSYCHOLOGIE UND

S

OZIOLOGIE

3

Alle Menschen sind Körperspracheexperten, über Körpersprache wird in Wahrheit alles verhandelt, Tabus limitieren aber den bewussten Zugang dazu.

S

OZIOLOGIE

4

Personen mit Bewertungsvollmacht schaffen Realitäten mit Faktencharakter. Bezugs- und Respektspersonen stärken oder schwächen unser Vertrauen in unsere (Selbst-)Wahrnehmung.

P

SYCHOLOGIE

5

Menschen haben ein Weltbild, das ein (zumeist qualitativ wertendes) Selbstbild und Selbstnarrativ enthält.

N

EUROLOGIE

6

Gehirne versuchen, ihren Energieverbrauch zu optimieren, indem sie Widersprüche auflösen und unnötige Prozesse inhibieren. Der Anteil des explizit Erlernten an unserem Wissen ist marginal.

S

OZIOLOGIE UND

N

EUROPSYCHOLOGIE

7

Führungskräfte können bewusst und unbewusst Identitätskonflikte verursachen, die bis zum Burnout führen können. Durch Verhaltensänderung ist dieser Effekt praktisch nicht zu beheben. Aber es geht.

S

OZIOLOGIE UND

N

EUROPSYCHOLOGIE

8

Nur fürsorgliche Dominanz ist für Kopfarbeit geeignet, nicht tyrannische oder souveräne. Kreative und eigenverantwortliche Prozesse werden durch Angst, Kämpfe und fehlende Teilhabe unterbunden.

S

OZIOLOGIE UND

O

RGANISATIONSENTWICKLUNG

9

Unternehmen, welche die Ökonomie des Mutes nicht berücksichtigen, haben Nachteile im Risikomanagement, im Wettbewerb um Talente und beim innovativen Lösen von Problemen.

K

OMMUNIKATIONSWISSENSCHAFT UND

P

SYCHOLOGIE

10

Ohne das Paketboten- und das Wir-Prinzip verursachen Emotionen im Betrieb unkontrollierbare und kaum messbare Kosten.

G

ESCHICHTE UND

Ö

KONOMIE

11

Die wesentlich Welt hat radikaler sich in allen verändert zentralen als die Belangen meisten Ahnen; nicht die Generationen.

C

OACHING UND

F

ÜHRUNGSKRÄFTEENTWICKLUNG

12

Fachkompetenz und Sozialkompetenz sind die wichtigsten Flaschenhälse für Führungserfolg. Für eine Führungskarriere ist mutiges Schwächen-Schwächen hier unumgänglich.

S

ELBSTENTWICKLUNG UND

K

OMMUNIKATION

13

Es gibt zwei Formen von Komplexität, in keiner davon darf eine Führungskraft Defizite haben.

O

RGANISATIONSENTWICKLUNG UND

Ö

KONOMIE

14

Wer in der Führungskultur nicht hervorragend performt, kann Talente nur mit höheren Löhnen anlocken und nur für kurze Zeit halten. Der Arbeitnehmermarkt bleibt demografisch perspektivisch erhalten.

K

OMMUNIKATION UND

O

RGANISATIONSENTWICKLUNG

15

Vertrauenskultur ist messbar und anhand von klaren Geboten greifbar. Anhand dieser Gebote müssen Teams einen eigenen kulturellen Kodex entwickeln.

P

SYCHOLOGIE UND

S

ELBSTENTWICKLUNG

16

Haltung entscheidet. Verhalten ohne Haltung und „das Spielen von Rollen“ führen zu Vertrauensverlust und Imposter-Syndrom.

N

EUROLOGIE UND

S

ELBSTENTWICKLUNG

X

Stress enthält ausnahmslos Angst und ist Gift für Problemlösekompetenz. Performante Führungskräfte und Mitarbeiter machen die Problemstellungen der Arbeit zum Spielfeld.

B

IOLOGIE UND

P

SYCHOLOGIE

17

Regeneration, Selbst- und Energiemanagement sind der Schlüssel zu langfristigem Erfolg. Dankbarkeit 1.0, Hilfsbereitschaft und Dankbarkeit 2.0 sind hierfür zentrale Werkzeuge.

(K

RISEN

-)K

OMMUNIKATION

18

Geiselnahme- und Terrorismus-Unterhändler schwören auf Neugier und Verspieltheit. Der Umgang mit Emotionen und das richtige Überbringen schlechter Nachrichten sind zentrale Elemente von Führungskunst.

F

ÜHRUNGSKRÄFTE- UND

O

RGANISATIONSENTWICKLUNG

19

Nur durch die richtigen Trainingsformen und Betreuung werden Führungskräfte gezielt und ihrer Persönlichkeit entsprechend entwickelt.

F

ÜHRUNGSKRÄFTE- UND

O

RGANISATIONSENTWICKLUNG

20

Gute Trainings- und Entwicklungsformen im 21. Jahrhundert sind didaktisch an menschliche Stärken angepasst, ökonomisch, und binden vorhandene Kompetenzen ein.

Puzzlestück eins: Warum?

Frage:

Warum brauchen Menschen überhaupt Führungskräfte?

Antwort:

Weil Menschen Schweißdrüsen haben.

Ich rate jetzt einfach mal und vermute, dass Ihnen diese Antwort nicht auf der Zunge lag.

Wie hängt das miteinander zusammen?

Es gibt auf der Erde nur zwei Tierarten, die schwitzen können: Menschen und Pferde. Alle anderen Tiere haben entweder gar keine Schweißdrüsen oder viel weniger als die rund vier Millionen, die Menschen besitzen. Nur Pferde und Menschen können so viel schwitzen, dass es relevant zur Kühlung des Körpers beiträgt.

Muskeln erzeugen bei Aktivität sehr viel Abwärme. Andere Tiere, die nur über Tracheen oder Lungen Wärme abtransportieren können, würden bei längerer Hochleistung ihrer Muskulatur überhitzen und einen Kreislaufkollaps erleiden.

Praktisch alle Landraubtiere müssen ihre Beute überraschen oder binnen eines kurzen Sprints zur Strecke bringen. Lediglich in arktischer Kälte können Jagden länger andauern.

Menschen sind die einzigen Jäger, die über die Verdunstungskälte ihrer knapp zwei Quadratmeter Haut so viel Wärme ableiten können, dass ihre Muskulatur über Stunden hinweg schwer arbeiten kann. Menschen sind die einzigen Primaten, die ein Pferd im Marathon besiegen könnten.

Menschen sind Treibjäger.

Menschen sind auch die einzigen Primaten mit einer Schulterphysiognomie, die das Werfen von Speeren erlaubt. Und das hat der Homo Erectus bereits vor dreihundert Jahrtausenden ausgiebig getan: aus jungen Bäumen, deren Jahresringe dank der Eiszeiten eng beieinander lagen und die deshalb sehr hart waren, schnitzten sich unsere Vorfahren Wurfspeere, deren Form modernen Berechnungen zufolge ideal waren: der vier bis fünf Zentimeter dicke Schwerpunkt lag ein Drittel hinter der Spitze. Die Spitze saß am Rand des Speeres, weil das Mark des Baumes in der Mitte zu weich wäre. Falls Sie selbst mal in die Verlegenheit kommen sollten, Beute schlagen zu müssen.

Umriss eines Schöninger Speers, ca. 315.000 Jahre alt

Mit diesen Speeren veranstalteten unsere Vorfahren Treib- und Drückjagden. Bei einer Drückjagd werden die Beutetiere auf ein Ziel zu gedrückt, zum Beispiel auf einen Morast, eine Sackgasse, einen Engpass oder eine Falle zu.

Menschen waren indes keine Aasfresser. Das fand man1 heraus, indem man prähistorische Abfallgruben untersuchte. Wären Menschen die Nutznießer anderer Räuber gewesen, hätten sie das essen müssen, was diese ihnen überlassen. Dann wären die Gruben gefüllt mit dem, was tierische Jäger fangen: alte, verwundete, kranke oder junge Tiere. Die Beutetiere der Menschen waren aber überwiegend starke Tiere im besten Alter – also Tiere, die sich ein Jäger aussuchen würde, der frei wählen kann.

Menschen sind also Treibjäger und können Speere werfen. Fein, aber wie beantwortet das die Frage, warum Menschen Führungskräfte haben?

Jene Tiere, die unsere Vorfahren vor 1,6 Millionen Jahren, als sie schon kein Fell mehr hatten2, erbeuteten, waren vielfach zu groß und stark, um von einem Menschen ohne erhebliche Lebensgefahr gestellt werden zu können. Gesunde wilde Pferde, Mammuts und Stirnwaffenträger wie Hirsche würde selbst ein verzweifelter Löwe nicht allein angreifen, weil er das mit dem Leben oder mit seiner Fähigkeit, jemals wieder zu jagen bezahlen würde.

Menschen haben routinemäßig Tiere gejagt und erlegt, die sie nur im Verband überwältigen konnten:

Menschen sind Rudeltiere.

Für eine organisierte Jagd müssen Tiere eine feste Gruppe bilden und sich über Kommunikation koordinieren3 – und sie müssen die Beute fair aufteilen.

Das sind mehrere Gründe, warum entgegen dem Volksmund Menschen eben keine Herdentiere sind, sondern Rudeltiere.

Es gab außerdem prähistorisch gesehen – und insbesondere verglichen mit heute – eine verschwindend geringe Anzahl Menschen. Vor 40.000 Jahren gab es auf dem gesamten europäischen Kontinent wohl nur 1.500 Menschen4. Davon waren die meisten kleine Sippen von ein bis sechs Dutzend Menschen. Überlebensfähige Populationen (von ungefähr 150 Mitgliedern und mehr) gab es in ganz Europa offenbar nur fünf. Wir sehen gleich, was das für uns heute bedeutet.

Immerhin war der Homo Sapiens schon angekommen5. Mehrere Tausend Jahrtausende lang lebten Menschen in verstreuten, kleinen Rudeln und Sippen, die wie heutige Wolfsrudel im Wesentlichen aus einer oder wenigen Familienverbünden bestanden. Heute leben in Europa etwa 17.000 Wölfe, also gut zehnmal so viele wie damals Menschen6.

Wäre unser Zeitstrahl von heute bis zum Beginn unserer Zeitrechnung zehn Zentimeter lang, dann wäre die Zeit, die Menschen in verstreuten Rudeln lebten, mehrere Fußballfelder lang.

In einzelnen Familien gibt es naturgemäß die Eltern und die Kinder. Die Eltern erziehen, füttern, pflegen und führen die Kleinen, bis diese auf eigenen Beinen stehen und selbst eine Familie gründen können. Manchmal bleiben sie, wenn sie das tun, oft ziehen sie weiter.

Wenn sich nun mehrere Familien verbinden – um gemeinsam mehr sammeln zu können und um mehrere starke Individuen für die Jagd auf größere Tiere aufbieten zu können; um sich gemeinsam besser vor Räubern zu schützen und um mit Kleidung und Gebäuden Witterung und Jahreszeiten etwas entgegensetzen zu haben – dann gibt es immer „die Alten“, „die Erwachsenen“ und „die Jungen“: Die Selbstverständlichkeit, den eigenen Eltern zu folgen, wird ausgedehnt darauf, auf diejenigen zu hören, die sich bewährt haben.

Sobald die Sippe größer wird, kann man als Individuum nicht mehr alle gleichzeitig im Auge behalten. Weil die Individuen miteinander auch in Konkurrenz stehen, was Ressourcen und potenzielle Partner angeht, kommt eine neue Dynamik ins Spiel, die in Kernfamilien noch selbstverständlich ist: Vertrauen. Und mit der Notwendigkeit, sich gegenseitig zu vertrauen, kommen Konzepte wie Ehre, Ansehen, Status sowie das inoffizielle und offizielle Gestalten und Manifestieren dieser Werte ins Spiel.

Eine offizielle Gestaltung von Status wäre zum Beispiel ein Initiationsritus, mit dem ein Mädchen zur Frau oder ein Junge zum Mann erklärt wird oder dieser Status durch eine Art Prüfung verdient wird; Formen von Taufe, bei der ein Mensch in die Sippe aufgenommen wird; eine Eheschließung oder später auch die Übergabe von Ämtern oder die Überantwortung von Land in Verbindung mit der Herrschaft über die Leute, die dort leben.

Eine inoffizielle Gestaltung von Status war schon immer der Tratsch, heute der Flurfunk oder das Gespräch in der Umkleidekabine: Ein Austausch über die Handlungen anderer, aufgrund dessen die Betroffenen (zumeist ohne ihr Wissen) im Status und damit im Vertrauen heraufoder herabgesetzt werden. Diese Form des Informationshandels ist essenziell und bildet ein Fundament des Vertrauens zwischen denjenigen, die diese Informationen handeln und erhalten. In der Ära des Homeoffice haben wir gelernt, dass Gruppen, die hierfür keine (wenigstens virtuellen) Räume haben, an Bindung verlieren und zerfallen.

Menschen kooperieren also schon seit Zehntausenden von Generationen. Sie helfen sich gegenseitig und die Erfahrenen lehren und hüten die Jungen. Menschen erwerben sich aufgrund ihres Verhaltens einen Ruf, der über Verantwortung und Ressourcen entscheidet.

Konzepte wie Würde, Ehre, Ansehen, das Gesicht, Ruf, Reputation, Status, Ämter, Standing, Swag, Rang, Meriten, Weihen, Respekt gehen allesamt zurück auf eine Tradition, die unsere Zeitrechnung um ein Hundertfaches übertreffen. In nur 15.000 Jahren wurden Wölfe zu den Hunden domestiziert, die wir heute haben und die uns zu lesen gelernt haben. Es ist keine verwegene Vermutung, dass uns in der zwanzigfachen Zeit diese sozialen Konzepte in Fleisch und Blut übergegangen sind und dass sie daher eine der wenigen kulturellen Elemente sind, die wir wirklich auf der ganzen Welt in leicht verschiedenen Formen vorfinden.

Menschen sind Rudel-Treibjäger, die sich koordinieren, voneinander lernen und vertrauen müssen. Je mehr die Population anwuchs, desto öfters mussten wir Menschen vertrauen, die wir gar nicht kennen.

So haben wir uns unser erstes Puzzleteil, Menschen sind Rudeltiere, verdient. Kommen wir nach einem kurzen Einschub mit Anekdoten und Beispielen zu Puzzleteil zwei: Vertrauen.

1Variability in bone assemblage formation from Hadza hunting, scavenging, and carcass processing, Henry T. Bunn, 1988

2The naked Truth, Nina Jablonski, Scientific American, 2/2010

3A multidimensional framework for studying social predation strategies; Stephen D. J. Lang & Damien R. Farine

4Population dynamics and socio-spatial organization of the Aurignacian: Scalable quantitative demographic data for western and central Europe; Isabell Schmidt & Andreas Zimmermann

5Homo Sapiens reached the higher latitudes of Europe 45,000 years ago, Dorothea Mylopotamitaki Nature, 2024

6 Quelle: WWF

Anekdoten, Beispiele, Konkretes

Generationenwechsel; Stabilität vs. Innovation

Bei einer Konferenz eines Technologieriesen mit knapp 200 Führungskräften von jeweils drei bis fünf Jahren Führungserfahrung spielten wir 2018 unter anderem eine Szene, in der eine junge Führungskraft und eine des alten Schlages miteinander darüber streiten, wie Führung auszusehen hat. Es war totenstill, während wir spielten und es wirkte, als hielte der ganze Saal den Atem an. Später sagte ein Teilnehmer zu mir:

„Jede Woche dieselben Meetings, [meine Führungskraft zeigt] immer dieselben Slides, acht Stunden die Woche. Es ist Zeitverschwendung. Aber ich weiß, wenn ich was sage, werde ich nicht befördert.“

Machtmissbrauch und Selbstinszenierung sind ein sehr verbreitetes und sehr teures Problem in vielleicht jeder Organisationsform.

Die Alten tendieren dazu, auf Bewährtes zu setzen und zu schützen, was sie erreicht haben. Menschen, die vom Vorantreiben von Erneuerung und Fortschritt wechseln zum Festhalten am Altbewährten, setzen ihre Kräfte immer mehr für sich selbst und immer weniger im Sinne des Unternehmens ein. Und nicht jeder Mensch, der alt ist, ist auch erfahren. Denn Erfahrung hängt davon ab, wieviel man aus seiner Lebenszeit lernt. 221

Andererseits sind Unternehmungen absolut auf das Können und die Erfahrung von Routiniers angewiesen. Die jungen Wilden, die oft ungeduldig sind und sich manchmal gerne als „Macher“ sehen, machen schnell mal teuren Unsinn, wenn sie darauf bestehen, die Fehler ihrer Vorgänger zu wiederholen, anstatt auf sie zu hören.

In jeder Institution gibt es Generationenwechsel. Und die ausgetragenen Kämpfe können massive Kosten in der Bilanz und bei Nerven und Gesundheit der Involvierten erzeugen. Darum diese fünf Tipps:

Hören wir nie auf, uns zu hinterfragen und unsere Vorgehensweise hinterfragen zu lassen.

Hören wir zu. Fragen wir nach, was unser Gegenüber meint und bis wir die Beweggründe und Vorteile verstanden haben. Selbst die Fragen von Kindern können uns verblüffen und zu neuen Sichtweisen inspirieren.

Stellen wir unser Ego beiseite und uns hinter den Grundgedanken der Unternehmung.

Bleiben wir beweglich und erhalten wir unsere Neugier und unsere Lust, so lange wir können.

Nur, weil wir uns nicht vorstellen können, dass oder wie etwas funktioniert, bedeutet das nicht, dass es nicht funktioniert. Wir Menschen überschätzen unsere Urteilskraft bei komplexen Zusammenhängen dramatisch.

Welche dieser fünf sind für Sie die einfacheren, welche schwieriger? Warum? Was ist Ihre Strategie, diese Tipps konkret im Alltag umzusetzen?

Puzzleteil zwei: Vertrauen

Manager überschätzen katastrophal ihre Fähigkeit, Vertrauen bei Mitarbeitern und Kunden zu bilden7. Das Thema Vertrauen ist also nicht banal, sondern fundamental. Es ist nicht nur für angehende und unerfahrene, sondern für alle Führungskräfte von zentraler Bedeutung.

Frage:

Was ist Vertrauen, wo kommt es her, wie macht man das und wofür ist es gut?

Antwort:

Das sind mehrere Fragen.

Wo kommt Vertrauen her?

Wir haben gesehen, dass sich Rudel-Treibjäger gegenseitig koordinieren und vertrauen müssen. Nehmen wir mal an, ich wäre sechshunderttausend Jahre früher geboren worden und würde gerade beobachten, wie ein Mitglied meiner Sippe, nennen wir sie Uuna, mit meinen beiden Kindern in den Wald geht. Dann müsste ich doch wissen, ob sie mit meinen Kindern zurückkommt oder ohne.

Wieso muss ich das wissen?

Für Säugetiere sind Junge eine riesige Investition. Ich bin ja keine Stechmücke, die mal eben eine Überstunde einlegen und 170 Eier mehr legen kann. Menschenkinder sind in jeder Hinsicht teuer. Darum sind sie auch uns teuer, sie liegen uns am Herzen, wir sind emotional zutiefst mit ihnen verbunden. Das ist wichtig, weil sie biologisch gesehen eben Jahre unserer Zeit, Nerven und Ressourcen gekostet haben. Ich muss also wissen, ob Uuna Risiken eingehen würde, um meine Kinder zu schützen und zu verteidigen; oder ob sie wenigstens nicht die Absicht hat, meinen Kindern etwas anzutun.

Wie kann ich die Angst, die auf dieses Risiko reagiert, überwinden? Mit einer anderen Emotion, die der Angst Konkurrenz macht und die Risikotoleranz erhöht8: mit Vertrauen. Vertrauen ist ein Gefühl, wie Unternehmensberater Simon Sinek gerne sagt.

Was ist Vertrauen?

„Trust is a feeling“, heißt das Zitat im Original. Wenn wir eine Person kennenlernen, entwickeln wir Annahmen darüber, wie sie sich in bestimmten Umständen verhalten wird.

Und mit diesen Annahmen verbinden wir ein gewisses Maß an Gewissheit. Und das Ausmaß an Gewissheit, mit der wir uns auf das (hilfreiche) Verhalten dieser Person verlassen, die Intensität dieses Gefühls, die nennen wir Vertrauen.

„Wieviel Kraft und Mut wird diese Person einsetzen, um für die anderen hilfreich zu sein? Wie sicher wird sie auf eigene Vorteile verzichten oder sogar Nachteile riskieren oder in Kauf nehmen, um den anderen (oder mir) zu helfen? Wie sicher bin ich mir mit dieser Einschätzung?“ Die Antwort auf diese Fragen ist Vertrauen.

Wofür ist Vertrauen gut?

Vertrauen ist die Basis für Kultur. Kultur ist so etwas wie ein gemeinsames Konto, auf das alle Teilnehmer dieser Kultur einbezahlen. Das tun sie durch das Einhalten von Verhaltensregeln, die bis auf Notfälle und Ausnahmeregeln verbindlich sind.

Regelverstöße bedeuten in der Konto-Metapher eine Veruntreuung – einen kleinen oder großen Diebstahl durch ein Individuum. Wird ein solcher Regelverstoß bemerkt, wird das tradiert und das Ansehen der Person und das Vertrauen in die Person werden reduziert (siehe oben unter Tratsch, Flurfunk). Der Zugang zu Ressourcen kann eingeschränkt werden, wichtige Aufgaben und Ämter werden woanders hin vergeben.

Warum?

Kultur ist ein Verhaltenskodex, der immer damit zu tun hat, die eigenen Triebe, Impulse und die individuellen, kurzfristigen Bedürfnisse zurückzustellen, zum Wohle der Gemeinschaft9. Schon Sigmund Freud hat treffsichere Vermutungen darüber angestellt, wie das im menschlichen Geist in der Entwicklung angelegt wird; viele dieser Vermutungen wurden durch moderne Verfahren bestätigt oder präzisiert.

Dadurch, dass die Individuen die Regeln einhalten, sparen alle gemeinsam Ressourcen ein und ermöglichen durch ihr Verhalten erst die Arbeitsteilung, von der alle profitieren. Jünglinge und Neuzugänge müssen erst beweisen, dass sie sich an die Regeln halten, um aufgenommen zu werden und von den Privilegien zu profitieren.

Je wichtiger eine Aufgabe oder Funktion ist, die ein Individuum übernehmen soll, desto tiefer muss das Vertrauen gehen und desto mehr Leute müssen der Person vertrauen. Vertrauen ist das, was aus Individuen eine Gruppe macht; die Bindekraft, die aus Atomen zusammenhängende Moleküle formt. In einer funktionierenden Gruppe kann Information frei fließen (mehr hierzu in Puzzleteil 8) und Arbeitsteilung und Spezialisierung werden möglich.

Philosophie, Kunst, Wissenschaft und Technologie gibt es nur, weil Dank Vertrauen und Kultur nicht mehr jeder Mensch alles selbst machen muss:

Vertrauen ist das Fundament jeder erblühenden Zivilisation und auch jeder dauerhaft funktionierenden Organisation. #schweissdrüsen

Und wie macht man Vertrauen?

Es gibt im Wesentlichen zwei Pfade, über die wir Vertrauen zu anderen aufbauen – und andere zu uns.

Vertrauenspfad eins: Walk the Talk

Wenn ich Führungskräfte frage, wie sie eigentlich bestimmen, wem sie vertrauen und wie weit, dann war in den letzten zwanzig Jahren die häufigste Antwort sinngemäß: „Ich schaue, wie die Person sich verhält. Passt das, was sie sagt, zusammen mit dem, was sie macht?“

Das ist eine naheliegende und kluge Antwort, nicht? Sie scheint auch erwartbar von Führungskräften, weil die Mehrheit der zur Führungskraft beförderten Menschen noch immer Experten sind. Und unter dem Begriff „Experte“ verstehen wir zumeist eine Person, die mindestens in ihrer Fachkompetenz erfahren und befähigt ist – eine intelligente Person eben. Von einer Führungskraft würde man also eine strategische und kognitive Antwort wie diese erwarten. „Kognitiv“ ist diese Antwort in dem Sinne, dass hier nicht auf Gefühl, Intuition oder andere „weiche“ Faktoren verwiesen wird.

Und gegen diese Antwort ist auch nichts einzuwenden. Wäre sie jedoch die einzige Methode zur Ermittlung von Vertrauensdosierung, hätte sie mindestens zwei Nachteile:

Erstens, dass man bewusst gedanklich mitschneiden und behalten muss, wie die entsprechenden Menschen sich jeweils alle verhalten haben. Das bindet mentale Ressourcen, muss aber kein großes Problem darstellen. Der zweite und wichtigere Nachteil ist, dass diese Methode Zeit braucht. Um zu überprüfen, ob die eigene Theorie über das Verhalten einer Person treffsicher ist, muss diese Person erst einmal Gelegenheit haben, sich zu verhalten.

Zudem sind nicht alle Situationen gleichermaßen aussagekräftig. Momente, in denen für die Person viel auf dem Spiel steht, gewichten wir viel höher als triviale Augenblicke oder Situationen, in denen die Werte dieses Menschen gar nicht wirklich geprüft werden. In vielen Situationen kostet es nicht viel, eine gute Figur zu machen („guten Morgen“ sagen, die Tür aufhalten, Emails höflich beantworten). Aussagekräftiger in Bezug auf die wahren, tieferliegenden Charakterzüge eines Menschen finden wir Situationen, in denen die Person die Wahl hat, ihre Kraft, Zeit oder Ressourcen entweder für die anderen einzusetzen – oder für sich selbst. Also wenn der Wert, den man angeblich hochhält, auch etwas kostet. Menschen haben hervorragende Antennen für die Entscheidungen, die andere hier treffen.

Weil man solche Situationen erst einmal abwarten muss, kann es also Wochen oder Jahre oder länger dauern, bis man die Gelegenheit hatte, einen Menschen wirklich kennenzulernen und ihn beim Ausfechten existenzieller Gewissenskonflikte zu beobachten. Das kann zu lange sein; egal, ob es um das urzeitliche Überleben in der Savanne geht oder um Karrieren und Kooperationen in einem kompetitiven Unternehmensumfeld.

Diese Methode ist ein Bisschen so, als würde man sich auf einen gefrorenen Weiher hinauswagen und mit den Zehen und Füßen ganz langsam herausfinden, wieviel Druck das Eis aushält und ob es das eigene Gewicht trägt. Es ist definitiv klüger, als einfach auf die Eisfläche hinauszuspringen, aber es braucht eben eine Weile, bis man dem Eis überall traut.

Dieser zeitliche Nachteil ist der Grund, warum praktisch alle Menschen sich noch mindestens auf einen zweiten Pfad der Vertrauensbildung verlassen; manche bewusst, die anderen überwiegend unbewusst. Im echten Leben würden wir uns das Eis ja erst einmal ansehen, ehe wir überhaupt für einen Drucktest einen Fuß daraufsetzen.

Ein Punkt, der an dieser Stelle vielleicht noch betont werden sollte, ist dieser: Vertrauen ist wichtiger als alle anderen Kompetenzen.

Simon Sinek hat mit Vertretern des US-Militärs gearbeitet und sie dazu befragt, woran sie entscheiden, wen sie befördern. Das Ergebnis war eine einfache Grafik mit zwei Achsen, Leistung und Vertrauen.

Wer auf beiden Achsen hoch liegt, ist natürlich Favorit. Wenn man aber nicht den Luxus hat, dass alle Kandidaten beides in höchstem Maße bieten, dann sticht Vertrauenswürdigkeit. Menschen, die großes Vertrauen genießen, werden bevorzugt, selbst, wenn sie nur mittelmäßige oder sogar unterdurchschnittliche Leistungen zeigen. Und das ist nicht nur bei den Marines so, sondern in allen leistungsfähigen Unternehmen mit Perspektive, weil Vertrauen eine Stabilität und Verlässlichkeit liefert, die Fachkompetenz nicht bieten kann. Die Fähigkeit, vertrauenswürdig zu sein, ist also der limitierende Faktor für eine Karriere – nicht die Fachkompetenz.

Um Vertrauen zu verdienen, muss man sich auf die Ideale von Authentizität (nächstes Kapitel) und Integrität zu entwickeln. Ein Baum wächst in zwei Richtungen. Was ist damit gemeint?

Wenn wir die Leistungen und die Früchte sehen, welche die Karrieren anderer Menschen hervorbringen, dann vergessen wir den Teil, der unsichtbar ist: ein großer Baum hat auch lange, weitreichende Wurzeln. Ohne die Arbeit im Dunkeln, im Inneren, entgegen den Widerständen, die das Erdreich bietet, kann der Baum nicht die Wurzeln ausbilden, die ihm Halt und Nährstoffe bieten und es entsteht gar nicht der große, imposante Baum mit den tollen Früchten. Persönlichkeitsentwicklung, die Arbeit an sich selbst, dem eigenen Fundament und was uns Kraft gibt, ist die Grundbedingung für eine erfolgreiche Führungskarriere. Kommen wir nun von Puzzleteil zwei, Menschen bauen Kultur auf Vertrauen, zu Puzzleteil drei: Körpersprache.

Abbildung 2. (Brauchen wir später)

7PwC's 2023 Trust Survey, März 202323

8Linguistische Vertrauensforschung, Pavla Schäfer, De Gruyter, 2016

9Das Unbehagen in der Kultur, Freud, 1930, sowie Dimensionalizing Cultures: The Hofstede Model in Context, Hofstede & Minkov, 2010

Puzzleteil drei: Der Körper Sprache

Frage:

Wie funktioniert Körpersprache wirklich und warum reden alle von Haltung und Authentizität?

Antwort:

Viel einfacher, aber ganz anders, als man Ihnen erzählt hat. Von Haltung und Authentizität sprechen alle, weil es sich darauf bezieht, wie Körpersprache eigentlich funktioniert.

Der Start in dieses Kapitel wirkt vielleicht ein bisschen harsch, aber ich hoffe, Sie geben mir hier einen kleinen Vertrauensvorschuss und folgen mir bis zur Argumentation.

Am schnellsten kommen wir voran, wenn Sie mir folgende Bitte erfüllen: Bitte vergessen Sie alles, was Sie je über Körpersprache gehört haben. Ehrlich. Vergessen Sie bitte alle Tipps darüber, was Sie „mit Ihren Händen machen“ sollen, vergessen Sie Verbote, Lektionen über Lächeln und Blickkontakt und Körperdrehungen und Fingergesten und bitte machen Sie sich nicht mit „Gorilla-Machtposen“ zum Affen. Machen Sie sich nicht wie ein berüchtigtes Staatsoberhaupt zum Gespött, indem Sie beim Händedruck an Ihrem Gegenüber reißen und zerren; und bitte verstellen Sie nicht Ihre Stimme. In diesem Kapitel kommt alles vor, was Sie wirklich brauchen – und das, ohne Geld für einen Coach ausgeben zu müssen.

Es gibt ein paar wirklich tolle Trainer für Stimme und Körpersprache. Vinh Giang gehört zum Beispiel dazu. Leider sind sie eine verschwindende Minderheit – und die Chance, dass Sie einen tollen hatten oder zufällig über einen stolpern, ist entsprechend gering. Was unterscheidet die tollen von denen, die Sie getrost auslassen können?

Das ist zum Glück sehr einfach. Es gibt Körpersprache-Trainer, die Ihnen neurologisch fundierte Tipps geben, klare Anweisungen und Regeln, die Ihnen sagen, wie Sie Ihre Hände bewegen sollen und wie nicht – und es gibt die guten. Sie haben richtig gelesen.

Körpersprachetrainer, die Ihnen sagen, wie Sie Ihren Körper bewegen sollen und die Ihnen Tipps für Hände und Posen geben, können Sie getrost ignorieren. Alle. Warum? Aus einem einzigen, sehr folgenschweren Grund:

Weil Tricks nicht funktionieren.

Es gibt bei Körpersprache zwei Sorten von Tricks – und beide funktionieren nicht. Schauen wir erst einmal, welche das sind und dann, wieso sie nicht funktionieren.

Tricksorte eins ist die Selbsttäuschung. Der Bleistift quer zwischen den Zähnen oder auch die Gorilla-Machtpose gehören dazu. Der Bleistift aktiviert die Lächelmuskulatur und soll die Stimmung heben. Die Gorilla-Machtpose (aufrichten und sich ganz, ganz groß machen) soll uns Selbstvertrauen geben. Diese Tricks funktionieren die ersten ein- bis dreimal – deshalb denken wir, dass sie funktionieren – und dann nicht mehr.

Wenn ich wirklich traurig bin und mich mit dem Bleistift aufmuntern will, dann wird mein Gehirn früher oder später einfach dissoziieren und bemerken, dass mein Gesichtsausdruck gerade nichts mit meinen wahren Emotionen zu tun hat.

Das eine hat ja mit dem anderen offenkundig nichts zu tun. Und schwupps, hört der Bleistift auf, zu funktionieren. Das Hirn versteht: Wir tun nur so.

Dasselbe bei der Gorilla-Pose. Bedenken Sie bitte Folgendes: Wenn Sie Ihr Gehirn mit so einem Trick hereinlegen wollen, dann ist die Information, dass Sie sich selbst hereinlegen wollen, ebenfalls in Ihrem Gehirn enthalten. Die Chance, dass solche Selbsttäuschungstricks Ihnen dauerhaft helfen, ist genau dann hoch, wenn Sie auch gegen sich selbst im Schach gewinnen oder auf Ihre eigenen Kartentricks hereinfallen.

Und wenn Sie bei der Gorillapose schon nichts mehr spüren, sie aber trotzdem weiter einsetzen, sind wir bei Tricksorte zwei: Schauspielen, oder auf Neudeutsch fake it till you make it.

Ich habe 18 Jahre lang mit Schauspielern auf der halben Welt gearbeitet und ich kann Ihnen sagen, dass Schauspieler nie wirklich gut werden, solange sie spielen. Mein Credo ist fake it and you will never make it.Kunstfiguren und Scharlatanerie öffnen dem Imposter-Syndrom – bei dem wir denken, dass alle uns zu Unrecht für kompetent halten und wir jederzeit auffliegen könnten – Tür und Tor.

Mein Rat: Führen wir uns selbst und die anderen nicht an der Nase herum, ziehen wir keine Show ab und bauen wir keine Kunstfigur auf. Nur dann wachsen wir wirklich und nehmen den Erfolg auch als wahrhaft unseren eigenen an.

Aber selbst, wenn Sie diese Einschätzung nicht glauben, gibt es noch einen viel wichtigeren Grund, von derlei Tricks die Finger zu lassen: Sie funktionieren nicht. Warum funktionieren sie nicht? Das liegt daran, dass unsere Wahrnehmung menschlichen Verhaltens seit sieben Millionen Jahren konsequent auf eine Sache hin perfektioniert wurde: nämlich die,

Tricks zu entlarven.

Nach dieser Vorrede und der Schmähung weiter Teile eines ganzen Berufsstandes wird es jetzt Zeit, das Versprechen einzulösen und Ihnen das Geheimnis der Körpersprache zu verraten: Menschen – Sie eingeschlossen – schauen bei Körpersprache auf Kohärenz. Das bedeutet: Passt das, was ich sehe, zusammen? Sind Körpersprache und Stimme natürlich und unbeeinflusst, oder greift der Mensch mit Willkürmotorik in seine Stimme, Gestik oder Mimik ein? Darauf schauen wir, von Kindesbeinen an. Dafür ist es unerheblich, ob wir uns dieser Tatsache bewusst sind, oder nicht.

Überlegen Sie mal: Wenn es die eine Sache gäbe, die eine Geste oder Pose, mit der Menschen andere einschüchtern, überzeugen, dominieren, bezirzen oder was auch immer könnten – denken Sie nicht, dass sich das inzwischen herumgesprochen hätte und dass einfach alle genau das machen würden? Jeder weiß, wie man Schuhe bindet, darum gibt es dazu auch keine Seminare und Trainings. Schuhe binden ist kompliziert, aber es ist nicht komplex. Wenn man es einmal kann, kann man es auf alle Schnürsenkel anwenden. Körpersprache ist komplex. Es gibt nicht den einen Handgriff oder die eine Technik, mit der wir gezielt einen bestimmten Eindruck machen oder die Zufuhr von Liebe durch das Publikum garantieren können. Wenn diese Dinge so schnell und einfach zu lernen wären, würden wir Menschen dafür nicht so bewundern.

Teilnehmerfrage einer Führungskräfteveranstaltung 2023: „Sie sind doch Körpersprache-Experte! Dann sagen Sie mir doch mal, was das bedeutet, wenn ich jetzt die Arme so verschränke?“ (Er machte es vor).

Antwort: „Das bedeutet überhaupt nichts. Das ist so, als würden Sie mich fragen, was der Buchstabe e