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Wir leben in Zeiten voller Veränderungen, wachsender Komplexität und Anforderungen. Und das scheint nur der Anfang zu sein. Trotzdem gibt es diese Menschen, die in sich ruhen und scheinbar alles gelassen und mit einem Lächeln meistern. Wie machen die das? Wie finde ich eine Haltung, die mich windschlüpfrig gegenüber Stressoren wie Hektik, Emotionen, Ärger und viel Arbeit macht? Wie mache ich mir ein dickes Fell und ein sonniges Gemüt? Und was tue ich, wenn ich kurz vor dem Durchdrehen stehe? Die Stress- und Resilienzexperten Mario Müller und Dr. Ben Hartwig lassen in diesem kompakten Buch mehr als 85 weitere Expertinnen und Experten zu Wort kommen und stützen sich auf mehr als 60 Bücher und Studien, um diese Fragen zu beantworten. Das Ergebnis ist eine Fülle von lebensnahen, konkreten Tipps, Methoden und Strategien, mit denen Sie Stressoren in Ihrem Leben reduzieren und Dinge leichter nehmen können. Neben Einsichten zu Haltung, neurologischen Hintergründen, Emotionen, Selbstmanagement, Schlaf, Ernährung und Gewohnheiten gibt es eine Liste mit 15 Sofort-Maßnahmen, die wir Feuerlöscher genannt haben. Mit diesem Buch machen Sie Ihr Leben leichter und schöner.
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Seitenzahl: 269
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Gabriele Amann
Eva Barnewitz, M. Sc.
Dr. Silja Hartmann
Prof. Dr. Martin Högl
Prof. Dr. Tamara Ranner
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EGENERATIVE
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Hallo und herzlich willkommen!
„Du hast ja gut lachen!“ rufen wir Menschen gerne entgegen, die in einer so guten Situation sind, so innerlich aufgeräumt, sattelfest und zuversichtlich, dass sie natürlich den Dingen mit Leichtigkeit begegnen können.
Wir verbringen so viel Zeit damit, uns zu sorgen, zu fürchten, zu grämen – und immer scheint es da diese Leute zu geben, die völlig in sich ruhen. Die ein unerschütterliches Gemüt haben, die irgendwie alles mit Freude angehen können, wunderbar schlafen, ein erfülltes Leben führen und dabei noch eine mysteriöse Leichtigkeit versprühen. In diesem Buch geht es darum, was wir über die Fähigkeiten solcher Menschen wissen und welche dieser Fähigkeiten wir lernen können. Wir glauben, dass so zu Leben keine Eigenschaft oder Zufall ist, sondern eine Kunst. Von den Geheimnissen und Techniken dieser Kunst handelt das vorliegende Buch.
Es gibt diese Bücher, in der eine einzige Kernidee mehrfach auf verschiedenste Arten präsentiert wird. Dieses hier ist kein solches Buch. Ben und Mario wollten hier so viele praktische, alltagstaugliche Kniffe und Techniken unterbringen, wie möglich. Techniken zum Umgang mit allem, was Menschen typischerweise anstrengt, in Stress versetzt oder unglücklich macht. Gleichzeitig sollte das Buch lesbar bleiben und kein tausendseitiger Schinken werden.
Wir haben uns bemüht, zu den einzelnen Methoden genügend Hintergründe und Erklärungen mitzugeben, dass Sie den Geist dahinter verstehen können. Die Welt ist voll von halb verstandenen „Tipps und Tricks“, die zwar gewissenhaft, aber ohne echte Einsicht durchgeführt werden und deshalb den Anwendern wenig bis gar nichts bringen.
Es sind sehr viele verschiedene Themen und Aspekte in diesem Buch. Sie müssen bei weitem nicht alle verinnerlichen oder anwenden, um auf Ihrem Weg einige Sprünge vorwärts zu machen. Wir verstehen die Themensammlung wie ein Buffet, von dem Sie sich einfach nehmen können, was Sie gerade anmacht. Weil das Buch so kompakt ist, werden Sie vielleicht den einen oder anderen Abschnitt nochmals lesen wollen.
Wir wünschen Ihnen mit diesem Buch viel Freude und den einen oder anderen Aha-Moment. Wir würden uns sehr freuen, wenn es Ihnen dabei hilft, jemand zu werden (oder zu bleiben), der immer gut lachen hat.
Wir haben uns in diesem Buch bewusst für eine traditionelle Verwendung von Berufsbezeichnungen entschieden. Wir sind absolut der Meinung, dass alle Menschen verdienen, gleichbehandelt und gefördert zu werden. Gendersternchen und :innen-Konstruktionen halten wir hierfür für ein ungeeignetes Mittel. Wieso? Zum einen behindert es den Lesefluss und bedeutet insbesondere für Menschen mit Sehbehinderung, die sich den Text automatisiert vorlesen lassen, eine massive Erschwernis beim Verstehen. Zum anderen politisiert eine solche Formulierungsweise die Sprache und führt von den Inhalten weg. Weiterhin ist es so, dass das Thema die Menschen sehr polarisiert und manche derart in den Widerstand bringt, dass sie sich auf den eigentlichen Inhalt gar nicht mehr recht konzentrieren können. Wir sind zudem der Auffassung, dass es zutiefst sexistisch wäre, zu unterstellen, dass ein Pilot oder ein Bäcker zwingend ein Mann sein müsse und keine Frau sein könne. Ein Mensch kann ja schließlich auch eine Frau sein. Unsere Kinder lernen bereits eine andere Sicht auf die Welt als unsere Eltern, und das finden wir gut. Wir sind entschieden für Gleichbehandlung und Chancengleichheit unabhängig von individuellen Merkmalen, aber wir sagen es hier einmal und möchten darauf verzichten, es bei jeder Formulierung den Lesern erneut unter die Nase zu reiben. Und jetzt wünschen wir allen Lesern unabhängig von Geschlecht und anderen Eigenschaften viel Vergnügen mit diesem Buch.
Dieses Buch ist weit mehr als ein Seelen-Feuerlöscher. Aber für den Fall, dass jemand dieses Buch aus einem akuten Anlass heraus erworben oder bekommen hat, haben wir eine ganze Sammlung von wirksamen Sofort-Maßnahmen mit aufgenommen, die wir Feuerlöscher nennen.
Wenn es Ihnen einmal mit allem akut zu viel wird und Sie das Gefühl haben, gleich zu platzen oder etwas Dummes zu tun, denken Sie an die Liste der mentalen Feuerlöscher in diesem Buch. Je nachdem, wie viel Zeit Sie dafür zur Verfügung haben und was Ihre Umgebung gerade hergibt, können Sie eine dazu passende Feuerlöscher-Methode anwenden, um mit einer anstrengenden oder überwältigenden Situation umzugehen. Sie finden die Liste im Kapitel Feuerlöscher im Anhang ab Seite →.
Wenn man etwas Neues lernt, wenn man einen Aha-Moment hat oder einen neuen Zusammenhang durchschaut, ist das in sich meistens schon ein lustvoller Vorgang. Man gewinnt etwas hinzu und wächst innerlich wieder ein wenig. Darüber hinaus macht uns Gelerntes dann Freude, wenn wir damit auch etwas anfangen können. Und etwas anfangen bedeutet eigentlich immer, dass wir irgendetwas anders machen als zuvor. Obwohl sich das so leicht sagt, ist das manchmal aber gar nicht so einfach; selbst dann, wenn man Begeisterung mitbringt.
Das liegt unter anderem daran, dass Gewohntes zu tun uns viel weniger anstrengt; und daran, dass wir biologisch darauf ausgelegt sind, uns nur dann anzustrengen, wenn das mit einer guten Chance auf eine Belohnung irgendeiner Art verbunden ist. Veränderung ist eine Investition und muss sich klarerweise lohnen, scheint eines der Mottos unseres Denkund Fühlapparates zu sein.
In diesem Buch gibt es viele Anregungen und wir möchten Ihnen dabei helfen, diejenigen, auf die Sie Lust bekommen, so einfach und erfolgreich anzugehen wie möglich.
Im kommenden Abschnitt möchten wir Ihnen deshalb einen Verbündeten mit auf den Weg geben, der Ihnen ab jetzt dabei helfen wird, schneller, einfacher und konsequenter die Dinge, die Sie sich vornehmen, in die Tat umzusetzen. Ein Assistent für beinahe alle Techniken und Methoden, die wir Ihnen hier präsentieren.
Dürfen wir vorstellen: Wendan.
Begeben wir uns gedanklich in unseren eigenen Kopf. Dort finden wir ein Gehirn, das bekanntermaßen in zwei Hälften (oder Hemisphären) unterteilt ist. Vielleicht haben Sie auch schon vom Hirnbalken (dem Corpus Callosum) gehört; das ist die ungefähr 300 Millionen Nervenzellen breite Datenautobahn, über die Ihre beiden Gehirnhälften miteinander verbunden sind. Um diesen Hirnbalken herum legt sich wie ein Band eine weitere wichtige Hirnregion herum.
Wegen dieser umschließenden Form heißt diese Region Zingulum, "Gürtelchen" (oder auf Englisch Cingulate Cortex).
Das Zingulum tut viele wichtige Dinge für uns und tatsächlich weiß man noch gar nicht, was dort alles passiert. Es verdichten sich aber die Hinweise, dass im vorderen Teil des Zingulums (dem Anterior Cingulate Cortex) Prozesse ablaufen, die damit zu tun haben, wenn wir bemerken, dass wir etwas falsch gemacht haben. Hier finden viele Ereignisse statt, die wir mit dem Selbst assoziieren. Was ist dieses Selbst? Die Grundausstattung des Selbst hat mit der Unterscheidung zu tun, welche Teile der Welt wir sind (also zum Beispiel unsere Hände) und welche Teile nicht (zum Beispiel ein Tisch) - und der Unterscheidung, welche Teile der Welt andere Leute sind.
Das lernen wir bereits sehr früh in der Kindheit.
Kinder entwickeln darauf aufbauend in der Regel im Alter von vier bis sechs Jahren die Theorie des Geistes (auch: Theory of Mind). Diese kann mit dem sogenannten Rouge Test überprüft werden. Einem Kleinkind wird dabei ein roter Punkt auf die Stirn gemalt und es wird vor einen Spiegel gesetzt. Wischt das Kind den Fleck daraufhin von der eigenen Stirn, gilt der Test als bestanden: Das Kind versteht, dass es sich selbst im Spiegel betrachtet. Viele hochentwickelte Lebensformen bestehen den Rouge Test; insbesondere Menschenaffen, Delfine, aber auch einige Vögel und sogar vereinzelte Fische.
Wenn Sie mit Kindern Verstecken spielen, die sich selbst von der Welt noch nicht besonders gut trennen können, erhalten Sie manchmal wundervolle Ergebnisse. Die Kinder verstecken sich schlecht; Beine gucken unter Vorhängen hervor, der halbe Körper ist hinter einer Tür zu sehen oder die Augen werden schlicht zugehalten. Der Satz: „Ich sehe dich nicht, also siehst du mich auch nicht“ wird durch die Entwicklung des Selbst immer stärker zu: „Ich sehe etwas, aber ich verstehe, dass du etwas anderes siehst als ich.“ Im Laufe unseres Lebens vertieft sich unser Verständnis dafür, welchen Wissensstand Andere haben und wo die Unterschiede zu unserem Wissensstand sind, immer weiter.
In einer Ausbaustufe, die in der menschlichen Kindheit etwas später hinzukommt, lernt das Selbst, eigene und fremde Erwartungen mit dem Ergebnis von eigenen Handlungen abzugleichen. Also: Hat das geklappt, was ich vorhatte?
Werden die anderen zufrieden sein mit dem, was ich gemacht habe, oder gibt das Ärger?
Wenn also etwas schiefläuft, dann klingelt bei uns das vordere Zingulum und macht diesen Fehler durch Weitergabe an Sie, also an Ihre Aufmerksamkeit, zur Chefsache. Das wissen wir vor allem aus einer Studie von Redmond G. O'Connell aus dem Jahr 2007.
In einer aktuelleren Studie konnte jetzt am vorderen Rand des Zingulums tatsächlich ein Funktionsbereich identifiziert werden, der wie ein Türsteher funktioniert. Die Aufgabe dieses Türstehers ist, zu filtern, welche Reize es bis ins Wachbewusstsein, also, gewissermaßen zu Ihnen auf den geistigen Schreibtisch, schaffen. Ein menschlicher Körper ist ein Bisschen wie eine hochkomplexe Maschine. Alles, was das Gehirn ohne Ihre Aufmerksamkeit tun kann, wird es auch versuchen, ohne Ihre Aufmerksamkeit zu tun.
Im Buch The Brain stellte David Eagleman 2016 eine äußerst seltene Erkrankung vor, bei der das Gehirn diese Automatismen nicht mehr kann. Betroffene müssen ihren Körper vollständig mit ihrer Aufmerksamkeit steuern. Wenn sie nach einer Tasse auf dem Tisch greifen wollen, müssen sie jeden einzelnen Bestandteil der Bewegung, jede Muskelbewegung gezielt mit ihrer Konzentration in Auftrag geben.
Wer will sich schon die ganze Zeit mit Atmung, Darmbewegungen, Gleichgewicht, dem Steuern des Gefäßdrucks und der Aktivierung aller 656 Muskeln beim Vollziehen von Alltagstätigkeiten befassen? Evolutionär gesehen ist Ihr Job, Pilze zu unterscheiden, Tieren hinterherzurennen, selbst nicht gefressen zu werden und kleine Menschen zu machen. Ihre Aufmerksamkeit ist so etwas wie ein Punktstrahler, ein Signalverstärker, der einen Prozess im Gehirn betonen, hervorheben und stabilisieren kann. Das ist eine enorm zentrale Funktion, von der es nur eine Ausgabe gibt. Deswegen soll sie sich nur mit denjenigen Sachen befassen, die nicht ohne gehen. Wann kommt denn jetzt endlich der Leguan?
Wir alle haben im Laufe unseres Lebens, überwiegend, ohne uns das klarzumachen, sehr viele Dinge gelernt. Zum Beispiel, wie wir damit umgehen, wenn uns etwas ärgert, uns belastet oder Angst macht. Wir alle haben solche Erlebnisse schon gehabt und wir haben dann Sachen ausprobiert, von denen manche nicht so gut funktioniert haben und andere besser.
Beides merkt sich das Gehirn - aber es hat Ihnen deswegen nicht jedes Mal einen Brief geschrieben. Die allermeisten Dinge, die wir lernen, lernen wir unbemerkt und nebenbei. Sie haben bereits etliche Strategien für den Umgang mit verschiedensten Situationen. Darunter finden sich Strategien für Situationen, die schwierig oder anstrengend sind.
Hinweis: Was wir hier „Strategie“ nennen, ist nicht nur eine Beschreibung äußeren Verhaltens, sondern auch ein „festgelegtes Set an Emotionen, dem wir begegnen, wenn wir Fehlschläge oder Zurückweisungen erleben“, wie Psychologe Dr. Guy Winch das nennt. Also innere Strategien. Und wenn Sie nicht aktiv eingreifen, dann werden Sie die Strategien, die Sie irgendwann früher einmal als die Beste festgelegt haben, immer wieder anwenden. Das ist genau dann super, wenn diese Strategie auch für die aktuelle Situation passt - und dann total ungeschickt, wenn sie gerade nicht passt; oder wenn die Strategie sehr viel Kraft kostet, oder wenn Sie das inzwischen einfach viel besser könnten.
Wie aktualisiert und ersetzt das Gehirn veraltete Strategien?
Durch Aufmerksamkeit.
Unsere Aufmerksamkeit ist perfekt geeignet, um im Kopf die Weichen neu zu stellen und alte Standards zu hinterfragen.
Und den oben genannten Türsteher kann man programmieren. Das klingt jetzt technisch, hat aber gar nichts mit Technologie zu tun oder damit, dass man eine verborgene Kunst beherrschen können müsste.
Ihr innerer Türsteher geht davon aus, dass er weiß, was Sie interessiert und was nicht. Er ist schließlich ein erfahrener Türsteher - er sitzt aber auch im Dunkeln und bekommt nur mit, dass Sie neue Anforderungen an ihn haben, wenn Sie sich mit ihm unterhalten. Wenn Sie jetzt ein sensationelles Buch über Stressbewältigung und Persönlichkeitsentwicklung lesen, dann weiß er zunächst einmal nicht, dass ihn das betrifft.
Wenn Sie nun eine neue Strategie ausprobieren wollen, (zum Beispiel: Atmen!, siehe Seite →), dann muss Ihre bisherige Stressantwort überbrückt werden. Und jetzt kommt endlich der Leguan.
Dieses Überbrücken der bisherigen Reaktion funktioniert so:
Stellen Sie sich Ihren inneren Türsteher vor. Und zwar so, wie Sie möchten. Ob das ein bulliger Typ ist, oder Gandalf aus dem Herrn der Ringe, ein loyaler Flaschengeist, Ihre Lieblings-Tatortkommissarin, Doc Brown aus Zurück in die Zukunft oder eben ein freundlicher Leguan, ist ganz egal. Machen Sie sich ein deutliches inneres Bild, das Ihnen gefällt. Und dann sagen Sie zu dieser Türsteher-Figur: Immer dann, wenn ich gestresst bin, sagt Du mir Bescheid. Alles klar? Keine Ausnahmen!
Achtung, wichtiger Hinweis: Machen Sie die Anweisung so spezifisch wie möglich. Machen Sie die Wenn-Bedingung so eindeutig, wie sie können.
Zum Beispiel: Immer, wenn ich morgens aus dem Haus gehe, die Türklinke der Wohnungstür in die Hand nehme und das kalte Metall in meiner Handfläche spüre, dann fasse ich kurz an meine Hosentasche, um zu überprüfen, ob mein Hausschlüssel darin ist.
Merken Sie das? Man sieht die Szene regelrecht vor sich. So deutlich soll die Beschreibung sein. Der Türsteher ist sehr respektvoll und er muss sich wirklich sicher sein, dass jetzt die Situation ist, die Sie gemeint haben, wenn er Sie stören soll.
Wenn es also darum geht, Sofort-Techniken wie die aus der Liste der mentalen Feuerlöscher auszuprobieren, machen Sie eine klare Wenn-Dann-Anweisung.
Beispiel: Stellen wir uns vor, Marios ureigene Stress-Merkmale wären, dass er kalte, schwitzende Hände bekommt, die Nackenmuskeln anspannt und das Gefühl hat, alles auf einmal hinkriegen zu müssen. Und stellen wir uns vor, er würde Atmen ausprobieren wollen. Dann würde er zu seinem kleinen Leguan sagen:
"Wendan! (So heißt sein Türsteher) Immer, wenn ich kalte, schwitzende Hände bekomme, die Nackenmuskeln anspanne und das Gefühl habe, alles auf einmal hinkriegen zu müssen, dann klopfe bei mir an und erinnere mich daran, dass ich durchatmen wollte!"
Je klarer Sie das Bild machen, desto sicherer wird Ihnen Ihr Türsteher in der entsprechenden Situation Bescheid geben.
Die Wenn-Dann-Technik ist die am besten durch psychologische Studien belegte Strategie zur Veränderung von emotionalen und Verhaltensprozeduren, die bisher bekannt ist.
Und dann: Wann immer es funktioniert und Ihr Türsteher Ihnen einen solchen Moment meldet: Loben Sie ihn! Sie wollen ja, dass er das beim nächsten Mal wieder tut. Also sobald der Leguan (oder Ihre Wahl-Figur) zur gedanklichen Tür hereinstürmt und aufgeregt ruft: "Du wolltest, dass ich Dir sage, wenn es soweit ist! Jetzt ist es soweit, jetzt gerade!
Atmen!", dann tätscheln Sie den Türsteher gedanklich und sagen: „Gut gemacht, nächstes Mal wieder, bitte!“
Sagen Sie das gerne in Gedanken, es könnte sonst sein, dass Ihre Mitmenschen anfangen, sich Sorgen um Sie zu machen.
Und nach dem Loben machen Sie das, was Sie sich vorgenommen haben.
Prüfen Sie auch, ob die neu gewählte Strategie den gewünschten Effekt bringt. Wenn es wirkt und Sie dem Türsteher das sagen, dann wird er doppelt stolz sein und noch gewissenhafter auf die Wenn-Dann-Merkmale achten.
Belächeln Sie die liebevolle Ausgestaltung der Figur nicht. Je mehr Bestandteile Ihres Gehirns in das Konzept des Türstehers involviert sind (visuelle Zentren, die "Berechnung" des Gemüts und des Verhaltens der Figur, auditive Zentren für die Vorstellung, wie die Stimme der Figur klingt, taktile dafür, wie sich das Fell oder die Schuppen in den Händen anfühlen würden), desto größer und mächtiger wird das Netzwerk im Kopf und desto wahrscheinlicher ist es, dass es Bestand hat und auch ausgelöst wird. Deshalb:
Machen Sie sich diese Idee zu eigen, mit einer eigenen Figur.
Finden Sie heraus, was genau die Merkmale der Situationen sind, in denen Sie anders vorgehen wollen als bisher und beschreiben Sie sie dem Türsteher. Sagen Sie ihm gleich dazu, woran er Sie erinnern soll! Wenn Sie dann beginnen, in den schwierigen Situationen neue Wege zu gehen, dann bildet sich im Kopf tatsächlich eine Abzweigung, die mit jedem Mal breiter wird, bis sie schließlich zur neuen Standard-Autobahn wird, die dann keine Aufmerksamkeit mehr von Ihnen benötigt.
Sich auf diese Weise selbst zu trainieren und zu entwickeln macht Ben und Mario übrigens richtig Spaß.
Wenn es brennt, - um noch einmal die Feuerlöscher-Metapher zu bemühen - ist es natürlich angemessen, den Brand zu löschen, ehe man sich einer anderen Sache zuwendet. Man muss mit dem Schutz des eigenen Persönlichkeitsinventars aber nicht warten, bis irgendwo die Flammen herausschlagen. Viel entspannter ist es, schon vorher gewissermaßen in Brandschutz zu investieren. Wenn Wendan, der kleine Leguan, in diesem Bild so etwas ist wie ein mentaler Rauchmelder, dann geht es im kommenden Kapitel darum, die Einrichtung grundsätzlich schwer entflammbar zu machen.
Es gibt ja Leute, die kann scheinbar überhaupt nichts aus der Ruhe bringen. Für die scheint Stress ein geradezu außerirdisches Konzept zu sein. Deren mentale Einrichtung scheint nie zu kokeln oder zu brennen. Wie machen die das?
Um das zu klären, müssen wir zunächst schauen, was Stress eigentlich genau ist.
Was Stress ist, wissen wir ja alle irgendwie. Wir haben natürlich eine Vorstellung davon, was wir meinen, wenn wir sagen "ich bin gestresst" oder "es war stressig im Büro" oder dergleichen. Im Alltagsverständnis von "Stress" liegen aber auch ein paar Ungenauigkeiten verborgen, die überraschend hinderlich sein können, wie wir sehen werden. Deshalb jetzt mal eine Klärung des Stress-Begriffs, wie er diesem Buch zugrunde liegt.
Zur Übersicht eine kurze Liste von Dingen, die viele Leute mit Stress in Verbindung bringen:
Aufregung
Intensive Emotionen (eigene oder die von anderen)
Schmerz
Hektik
Beschuldigt oder verdächtigt werden
Hohe Anspannung
Multitasking
Kurzfristige Abgabetermine
Schreiende oder weinende Kinder
Viel Arbeit
Hohe Intensität
Erkennen Sie da Merkmale von Situationen wieder, in denen Sie Stress erlebt haben? Situationen, die sehr fordernd oder aufreibend waren?
Dann wird es Sie vielleicht überraschen, zu lesen, dass nichts davon Stress ist. Weder die Aufregung, bei der unser Herz wie wild schlägt und unsere Hände zittern, noch die Wut, Trauer, Freude, Verzweiflung oder Eifersucht, die wir oder die Menschen in unserer Gegenwart spüren.
Weder der Schmerz, wenn wir uns den kleinen Zeh gegen den Bettkasten hauen, noch die Hektik im Büro, angespannte Muskeln oder auch, vier Dinge gleichzeitig zu machen. Weder der Berg von zu erledigenden Dingen, der mit jedem Schritt der Abarbeitung noch höher zu werden scheint, noch das Ausmaß an Konzentration, wenn wir uns ganz in eine komplexe Aufgabe vertiefen. Das Schimpfen des Chefs. Kein Stress. Nichts davon. Sie sind bekannte Stressoren, aber kein Stress. Auf dieselbe Art, wie Skifahren nicht dasselbe ist wie ein Kreuzbandriss und wie eine Kerze nicht dasselbe ist wie ein Zimmerbrand.
Bevor Sie uns jetzt philosophische Spitzfindigkeit unterstellen und ein reines Jonglieren mit Begriffen, hier die Auflösung; die Antwort auf die Frage, was Stress ist:
Stress ist nichts anderes als eine Kombination aus genau zwei bestimmten Faktoren, auf die wir jetzt eingehen. Für Stress braucht es beide Faktoren, der erste reicht dafür nicht aus.
Der erste Faktor für Stress ist der Wille, mehr zu kontrollieren, als man gerade kann.
Der zweite Faktor für Stress ist die Angst, das nicht zu schaffen.
Lassen Sie das doch einmal kurz auf sich wirken. Gehen Sie gedanklich durch ein paar der Situationen, an die Sie sich eben vielleicht erinnert haben, Situationen, die Sie als Stress empfunden haben, als Belastung, und schauen Sie mal, ob das mit der Beschreibung der beiden Faktoren zusammenpasst.
Menschen lieben Kontrolle. Unsere Fähigkeit, unsere Umgebung zu gestalten; unser Konzept von der Zukunft und die Fähigkeit, gezielt Einfluss auf die Welt zu nehmen, um sie unseren Wünschen anzupassen, ist auf der Erde einzigartig.
Möglich wird das durch unsere Fähigkeit, uns die Zukunft in verschiedenen Varianten auszumalen, also, vor das innere Auge zu holen und sie mit Sprache zu fassen. Was bedeutet „mit Sprache fassen“?
Worte sind die Finger des Geistes. Was ist damit gemeint?
Worte erlauben es uns, Dinge zu greifen, die wir mit den Händen nicht anfassen können. Also zum Beispiel den Planeten Jupiter oder das Bruttoinlandsprodukt. Wir können ferne oder abstrakte Dinge mit Worten greifen und durch die Sprache auch anderen Menschen überreichen. So, wie ein Urmensch mit den Fingern einen Knoten in einen Grashalm machen konnte, um ihn jemandem zu übergeben, können wir zu jemandem sagen: „Der Fußball ist in der Garage.“ Durch diesen Satz kann der Empfänger sein inneres Abbild des Fußballs in sein inneres Abbild der Garage bewegen (und aufhören, anderswo zu suchen). So, wie der verknotete Grashalm von einer Hand geformt und überreicht wurde, wurde das gedankliche Konzept des Fußballs durch Worte gegriffen und in der mentalen Landkarte in die Garage verschoben.
Eine weitere Voraussetzung für die Fähigkeit, die Zukunft zu kontrollieren, ist unser Arbeitsgedächtnis. Die Fähigkeit, Gedanken und mentale Bilder mit der Aufmerksamkeit für eine Weile festzuhalten, um sie miteinander zu verbinden, Strategien zu entwickeln und dann planmäßig, also, mit Absicht zu handeln. Bereits vorab absehen zu können, was aufgrund unserer Handlungen passieren wird, ist eine Fähigkeit, die uns von den allermeisten Tieren unterscheidet.
Hunde oder sehr kleine Kinder haben noch keine Absicht, sie reagieren einfach.
In der Schule lernen wir, dass wir unsere eigenen Denkprozesse und Handlungen steuern können; dass wir mit unserer Konzentration kognitive Kontrolle ausüben können.
Wir haben, wie Nobelpreisträger Daniel Kahnemann in Thinking Fast and Slow beschrieb, im Kopf eine Art Turbo, eine Konzentrationsfähigkeit, mit der wir unsere intuitiven Blitzurteile noch einmal überprüfen und gegebenenfalls geraderücken können. Diese intuitiven Blitzurteile basieren vermutlich auf dem, was wir unbewusst im Laufe unseres Lebens gelernt haben und sind sehr schnell verfügbar – können in komplizierteren oder ungewohnten Fällen aber schnell weit danebenliegen. Der von Kahnemann System zwei genannte Turbo ist tatsächlich sehr leistungsfähig, benötigt aber auch eine Menge Energie, weswegen er möglichst nur punktuell eingesetzt wird.
Was in der Regel in der Schule von uns gefordert wurde, ist, dass wir uns anstrengen. Wir haben gelernt, dass wenn wir eine gestellte Aufgabe nicht hinbekommen, uns mehr anstrengen, also mehr kognitive Kontrolle ausüben, damit es dann (hoffentlich) funktioniert. Manche Lehrer schienen zu glauben, dass unsere Leistungsfähigkeit ausschließlich an unserer Leistungsbereitschaft hing. Gute Lehrer inspirierten uns dazu, uns mehr anzustrengen, weniger gute versuchten mit unterschiedlichen Graden von Druck, uns dazu zu zwingen.
Die meisten von uns haben wahrscheinlich noch in der Schule gelernt, dass man Aufgaben selbständig ("nicht abschreiben!") und durch besondere Konzentration lösen muss. Und auch in der Ausbildung, an der Hochschule und im Berufsleben ist das immer noch eher die Regel als die Ausnahme. Wir lernen, dass kognitive Kontrolle dazu führt, dass eine Situation so verläuft, wie wir (also ursprünglich: der Lehrer) das wünscht.
Im echten Leben geraten wir immer wieder in Situationen, für die es noch keine Lösungshefte gibt und kein Richtig und kein Falsch. In der Schule haben wir auch immer nur eine Aufgabe nach der anderen gemacht. Außerdem war alles, was wir kontrollieren mussten, um die Aufgabe 7 c) zu lösen, unser Geist. Im Leben von Erwachsenen gibt es plötzlich viel mehr Faktoren, die wir so beeinflussen wollen, dass sie das gewünschte Ergebnis liefern.
Im Berufsleben sind solche Faktoren zum Beispiel handwerkliche oder virtuelle Werkzeuge, Kollegen, Kunden, Führungskräfte. Oft haben wir vage, ungenaue Zielvorgaben, die Mittel und Umstände ändern sich dauernd, wir müssen uns auf andere verlassen, sind für viele Dinge gleichzeitig verantwortlich, plötzlich ist die Aufgabe total komplex; dann sind da noch Familie, Wünsche, das, was man eigentlich vorhatte, Peter hat immer noch nicht auf die Email geantwortet, deswegen kann das Angebot nicht raus, das ist aber wichtig, kannst Du heute die Kinder abholen, die warten in der Kälte, der Wagen springt nicht an, das Smartphone klingelt, es ist der Boss, verdammt, der Termin und dann fällt einem ein, dass man heute noch gar nichts gegessen hat und plötzlich ist man mittendrin: Stress.
Wir haben also gelernt, den Ausgang von Situationen zu garantieren, indem wir mit Konzentration kognitive Kontrolle ausüben. Indem wir uns anstrengen. Das ist aber nur die eine der beiden Zutaten für die Zubereitung von Stress. Ohne die andere wird es kein Stress. Die andere für Stress unverzichtbare Zutat ist Angst.
Wie wir später noch ausführlicher sehen werden, ist Angst Grundvoraussetzung für Stress. Intensität allein ist nämlich für unseren Körper erst einmal kein Problem. Manche Menschen bezahlen Geld und stehen Schlange, um sich neunzig Sekunden lang durch eine Achterbahn schießen zu lassen.
Andere springen mit einem Gummiband an den Beinen von Brücken oder in Canyons - zum Spaß. Stand jetzt meldete aber noch nie jemand wegen eines Besuchs in der Geisterbahn ein Burnout-Syndrom an oder begab sich wegen eines gelungenen Fallschirmsprungs in Therapie. Die Intensität eines Erlebnisses scheint also nicht per se ein Problem dazustellen.
Ist es möglicherweise so, dass eine kurze Intensität einfach nicht so schlimm ist? Kommt das Problem vielleicht erst durch Dauerbelastung?
Wir Menschen sind von der physischen Auslage her Treibjäger. Im Gegensatz zu Lauer- und Schleichjägern können wir homo sapiens Schwitzen. Wo ist da der Zusammenhang?
Wölfe und Raubkatzen zum Beispiel können die immense Hitze, die ihre Muskulatur bei der Jagd erzeugt, nur über die Lunge abtransportieren. Ein Wolf oder auch ein Tiger würden bei hoher Dauerleistung der Muskulatur überhitzen und einen Kreislaufkollaps erleiden. Wir hingegen können über die zwei Quadratmeter Hautoberfläche durch Schwitzen dauerhaft große Mengen Wärme ableiten und deshalb prinzipiell über Stunden hinweg Laufen.
Als Menschen können wir insbesondere Ausdauerleistungen sehr gut trainieren, grundsätzlich auch in jedem Alter. Einen Marathon zu laufen ist für jeden gesunden Menschen ein erreichbares Ziel, das einer (großen) Disziplinleistung entspricht.
Wenn also auch eine längere körperliche Belastung nicht zwingend Stress erzeugt - wie steht es mit längeren mentalen Belastungen?
Rennfahrer, Konzertmusiker, Tänzer, Astronauten, Soldaten, Freikletterer, Fluglotsen, Chirurgen - die Liste der Berufe, in denen Männer und Frauen über Stunden hinweg und Tag für Tag Dauerkonzentration auf hohem oder höchstem Niveau erbringen müssen, ist lang. Als Berufe mit den höchsten Burnout-Krankheitstagen weist Statista für 2019 folgende Gruppen aus: Berufe im Dialogmarketing, Führungskräfte in Ein- und Verkauf, verschiedene Pflegeberufe, Sozialverwaltung. Auch Akademiker sind besonders betroffen:
Das Magazin Nature macht alle zwei Jahre eine Befragung mit Doktoranden. Zusammen mit der Veröffentlichung von Levrecque 2017 zeigt sich, dass Doktoranden verglichen mit anderen Berufen mit ähnlich hoher Arbeitsbelastung etwa 2,4 Mal so anfällig für Burnout und andere negative Folgen von Langzeitstress sind. Statt Rennfahrern, Fluglotsen und Chirurgen haben also Menschen, die in Pflege, Verwaltung, Verkauf und an Universitäten arbeiten Burnout.
Ist das nicht verblüffend?
Es scheint, als wären es weder die körperliche, noch die geistige Intensität, die Menschen dauerhaft belasten. Es muss an etwas anderem liegen. Was den Unterschied im Detail ausmacht, werden wir uns in den kommenden Abschnitten ansehen. Aber es liegt offenbar weder an der Intensität, noch direkt an der Dauer der Belastung.
Wenn Menschen ausbrennen, dann liegt es an der Art der Belastung.
Weiter oben wurde erwähnt, dass dieser "Turbo" im Kopf energieintensiv ist und dass wir aus dem evolutionär verankerten Antrieb heraus, Kalorien zu sparen, diesen Turbo sparsam einsetzen. Tatsächlich ist für geistige Erschöpfung sehr relevant, wie wir an Situationen herangehen. Dazu jetzt einmal Marios Lieblingsbeispiel.
Obwohl ich schon oft auf der Bühne stand, bin ich manchmal, wenn ich vor vielen Leuten stehe und zum Beispiel einen Vortrag halte, immer noch aufgeregt (deswegen mache ich das ja). Jetzt will man typischerweise, wenn man vorne steht, auf eine bestimmte Art wirken.
Authentisch, witzig, souverän, beeindruckend, vertrauenswürdig, intelligent, schlagfertig, charmant - und im Idealfall alles gleichzeitig. Nun ist es aber so, dass so etwas grundsätzlich auch nach hinten losgehen kann. Wir sind Rudeltiere, deswegen ist unser Ansehen im Rudel für uns lebenswichtig. Wenn wir in einer Situation sind, in der unsere Reputation in Gefahr ist und Gesichtsverlust droht, dann aktiviert dies Urängste und gleichzeitig unser Ego, dessen Job es ist, genau diesen Gesichtsverlust und jede Form von Blamage zu verhindern.
Was passiert also?
Der Redner möchte entspannt und lässig wirken; gleichzeitig bereitet sich der Körper darauf vor, alles in die Waagschale zu werfen: Blutdruck, Puls, Adrenalin, Dopamin, Muskelspannung, alles wird hochgefahren, bis uns die Finger zittern. Gleichzeitig stürmt unser Ego den Kopf wie die Polizei die Diskothek bei einer Razzia: Alles wird jetzt doppelt kontrolliert, keine falsche Bewegung. Bei, ähm, manchen, äh, Leuten, wird, mehrmals, ehm, im Satz, kontrolliert, äh, ob nicht inzwischen, ähm, versehentlich, etwas Dummes gesagt wurde, und, ähm, das kann den ä Redefluss erheblich, em, hemmen.
Man möchte also souverän und gelassen wirken, während der Körper sich scheinbar auf einen Kampf auf Leben und Tod vorbereitet und der Geist vor der inneren Polizei die Taschen leermachen muss - und das alles, während er spricht.
Dieses Spektakel wiederum kann einem auch ganz schön auf die Nerven gehen und man möchte sich in seinem eigenem Kopf nach hinten umdrehen und dem Körper und dem ganzen Theater im Hintergrund zurufen: "Ruhe da hinten jetzt, ich bin bei der Arbeit!" und dann versucht man sich zu beruhigen, während der Körper weiterhin vor der schrecklichen Gefahr des totalen Gesichtsverlusts warnt.
Wir versuchen, nach draußen zu signalisieren, dass alles bester Ordnung ist, während in uns auf allen Stationen die Alarmanlagen röhren und die ganze Besatzung schreiend durcheinanderrennt.
„Ruhe da unten!“
Und damit sind wir bei einem wichtigen Punkt, der mit Stress viel zu tun hat: Dem Gas-Bremse-Bild.
Wir sind imstande, wirklich außergewöhnliche mentale Leistungen zu erbringen. Typischerweise passiert das dann, wenn wir es am wenigsten bemerken: Wenn wir über eine feuchte Wiese einem Ball hinterherrennen und uns dabei einen gegnerischen Spieler vom Hals halten; wenn wir uns eine ganze Staffel einer Netflix-Serie am Stück ansehen und mit den Protagonisten mitfiebern; oder wenn wir mit unseren befreundeten Musikern einfach Jammen. Alles Dinge, die viele Menschen zur Entspannung tun. Wie wir aus der Entwicklung künstlicher Intelligenzen und Roboter wissen, sind das unglaubliche Leistungen, die unsere Gehirne da abrufen – und das zugleich mühelos, beiläufig und entspannt.
Diese Entspanntheit kommt daher, dass wir unseren Geist und unseren Körper widerstandsarm das tun lassen, was sie tun und worin sie sehr gut sind. Dinge, die unseren Kopf übermäßig anstrengen sind dagegen solche, wo Prozesse gegeneinander arbeiten. Nervenzellen, die ohne Pause Leistung bringen müssen, werden ähnlich müde wie Muskeln, die permanent angespannt sind. Wenn wir widerstreitende Prozesse im Kopf haben, ist das so, als würden wir in unserem Inneren mit uns selbst Armdrücken. Oder als würden wir auf der Autobahn auf der linken Spur anfangen, zusätzlich zum Gaspedal auch ein wenig die Bremse zu drücken. Und ein wenig mehr Gas, damit das Auto nicht langsamer wird. Was wird passieren? Fährt das Auto besser? Schneller? Stabiler?