Fünf Jahre in Flag - Martin Bolt - E-Book

Fünf Jahre in Flag E-Book

Martin Bolt

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Beschreibung

Für viele Menschen, die zu irgendeinem Zeitpunkt mit Scientology in Berührung kamen, ist das Thema Sea Org mehr oder weniger ein Buch mit sieben Siegeln. Wer diese Leute sind, was sie motiviert, wie man als Teil deiser Elite lebt und arbeitet, sind Fragen, auf die es wenig Antowrten gibt. Hier erhält der Leser einen tiefen Einblick in dieses Mysterium, ungeschminkt, direkt, ehrlich.

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Die Anzahl von Leuten, welche sich ohne Scientology Vorgeschichte in die Sea Organisation (Sea Org) verirren, dürfte ziemlich gering sein. Ich zumindest kannte niemanden.

Gemeinheim hält man sich für eine geraume Zeit in entsprechenden Kreisen auf, um dann meist unerwartet und plötzlich von jemanden angesprochen zu werden.

Meine eigene Geschichte fängt 1991 an, zumindest jene, welche mich für fünf Jahre ins sonnige Florida verschlug.

Mit meiner Vorgeschichte als Mitarbeiter in der Berliner Organisation, als Junggeselle und schuldenfrei noch dazu, erschien ich für solch einen Schritt ziemlich prädestiniert.

Da meine Zeit in Berlin gezählt erschien, suchte ich, unzufrieden mit meiner damaligen Arbeitssituation, nach neuen Aufgaben und Gefilden. Ich konnte mich als Arbeitnehmer und einer Wohnung, die 80 m2 hatte und mich lediglich 365 DM kostete, nicht sonderlich beschweren. Ich hätte auch dableiben können, es war nicht das schlechteste Los gewesen. Noch dazu hatte ich den einzigen Balkon im ganzen Haus, ein Glücksgriff sondergleichen, ohne Frage.

Aber Wohnung und ein unbefriedigendes Beschäftigungsverhältnis ist nicht für jeden das Rezept für ein erfülltes Leben, selbst in Berlin nicht.

Mein ehemaliger Schwager, so traf es sich, hatte ein Jahr zuvor den mutigen Schritt gewagt, sich in die Selbstständigkeit zu stürzen.

Nachdem meine Schwester nebst beiden Kindern ausgezogen war, hatte er eine sehr zentral gelegene Drei-Zimmer

Wohnung oberhalb einer Sparkassenfiliale in Rodgau-Niederrohen für sich alleine. Mittendrin in dem kleinen Örtchen. Außer einem Küchentisch mit zwei Stühlen, einem Einzelbett mit Kleiderschrank und einer minimalistischen Büroausstattung, welche aus einem weiteren Stuhl und einer Schreibtischoberfläche bestand, gab es sonst nichts mehr. Wohl das typische Los des zurückgebliebenen Ehemannes in solch einer Situation. Aber soweit ich mich erinnern kann, gab es sogar schon Internetanschluss, ein nicht selbstverständliches Novum zu jener Zeit. Von Geschwindigkeit aber noch keine Spur.

Wie hieß noch mal das Non-Plus-Ultra damaliger Internetanschlussgeschwindigkeiten? DSL? Ja, ich glaube es war DSL. Das gab es dann in den unterschiedlichsten Schnelligkeitsstufen, soweit ich mich erinnern kann. Die Alternative war ein Internetanschluss, welcher mit Hilfe einer normalen Telefonverbindung zu Stande kam, einwählen, warten, Verbindungsaufbau, wieder warten, Benutzeridentifizierung, Aufbau der Benutzeroberfläche, alles sehr beschaulich. Und das Einzige, was wirklich ohne größere Aussetzer funktionierte, war die E-Mail. Überhaupt der Versuch, mit Hilfe der Telefonverbindung irgendeine Seite aufzurufen, war unheimlich zeitraubend and selten erfolgreich. Ach ja, das waren die Zeiten, vielen Dank auch, Deutsche Post.

So jener Schwager also kontaktierte mich eines Tages und fragte, ob ich nicht Interesse daran hätte, Teil seines florierenden Unternehmens zu werden. Was mache er denn so?

Nun, da gab es diese Unternehmen mit dem Namen ON TOP Management. Ein ehemaliger Manager eines mittelständigen Unternehmens hatte ein paar Jahre zuvor ein Konzept erarbeitet, welches Unternehmensberatung mit der Unternehmensphilosophie von L. Ron Hubbard verband. Zur damaligen Zeit war das zwar keine allzu neue Idee, viele Unternehmen versuchten damals, sich mit Hilfe seiner geschützten Werke eine Existenz aufzubauen, seine Herangehensweise schien allerdings ein wenig individueller gestaltet.

Gemeinhin galt es, lediglich die geschriebenen Richtlinien L. Ron Hubbards herzunehmen, um diese auf sein Unternehmen anzuwenden, unabhängig davon, um welche Art von Unternehmen es sich handelte.

Richtlinienbriefe, im englischen „Policy Letters“ genannt, sind jene Schriftstücke, welche sich mit dem Aufbau, der Struktur und der Expansion einer Gruppe beschäftigen.

Es gibt ganze Bände an Policy Briefen, für jeden Teil eines solcherart gestalteten Unternehmens ein eigener Band. Eine Organisation im Stile von L. Ron Hubbard (LRH) sieht Sieben Hauptabteilungen vor, ergo gab es für jede Abteilung einen eigenen Band, welcher sich mit den Aufgaben eben jener Abteilung befasste. Selbstredend gibt es auch eigene Kurse, in denen ein jeder die gesamte Theorie einer solcherart strukturierten Firma erlernen konnte (01)

Prinzipiell war es bei ON TOP also möglich, die gesamte Bandbreite der Unternehmens-Technologie von LRH zu erlernen, wenn ein Unternehmer oder Manager denn so wollte.

Es fing allerdings ganz einfach an.

Die Einführungsdienstleistung bestand aus einer einfach zu erklärenden Übung. Dieses war das Brot und Butter unseres Unternehmens und behandelte lediglich eine einzelne Referenz aus dem Fundus aller sieben Bände. Es handelte sich hierbei um den Aktionszyklus. Es besagt einfach, wenn man eine Aktion ausführt, muss man das folgende tun: Diese starten, etwas verändern und diese Aktion dann zu Ende bringen, oder stoppen, drei einfache Schritte. Eigentlich ist es genial einfach und man bräuchte keinen Unternehmensberater, um dieses umzusetzen, eigentlich. (02)

Wie sich aber herausstellte, führt die Einführung dieser Übung zu beachtlichen Erfolgen.

In der Praxis sah dies wie folgt aus.

Wir begleiteten den Kunden von morgens bis Abend, taten selbst nichts außer dem Kunden bei allem, was er in die Hand nahm zu fragen „Was ist der nächste Schritt?“. Hört sich einfach an, oder?

Ist aber nicht so einfach, weshalb es kaum ein Unternehmer macht.

Das Training beginnt also, gemeinhin in seinem Büro.

Er nimmt ein Stück Papier in die Hand, was sich irgendwo auf seinem Schreibtisch oder an seinem Arbeitsplatz befindet. Es liegt nur so rum, aber irgendwo muss man ja anfangen. Stellt sich heraus, es ist eine Anfrage an das Unternehmen, so weit so gut. „Was ist der nächste Schritt?“. „Nun“, sagt, er, „Ich muss schauen, ob wir das Rohmaterial in ausreichender Menge zur Verfügung haben“.

„Was ist der nächste Schritt?“.

„Ich muss ins Lager, wo wir unsere Rohlinge aufbewahren.“

„Was ist der nächste Schritt?“

„Ich meine, wollen sie mit mir ins Lager gehen? Da muss ich nämlich als nächstes hin“.

„Ja, natürlich.“

„Gut, dann gehen wir.“

Er überprüft, was er im Lager hat, sieht sich um, schaut in diese oder in jene Richtung, schreibt diverse Zahlen auf ein Stück Papier.

„Was ist der nächste Schritt?“

„Jetzt müsste ich einen Produktionsauftrag an meinen Chef-Maschinist schreiben. Ich weiß, wir haben die Rohlinge, daher kann ich ihm auch einen Kostenvoranschlag schicken.“

„Was ist der nächste Schritt?“

„Ich gehe zurück ins Büro, schreibe eine kleine Notiz an meine Sekretärin, so dass Hr. Meier den Kostenvoranschlag erstellt. Dann kann sie ebendiesen zurück an die Firma schicken.“

„Ok“

Dann macht er das alles und innerhalb von fünf Minuten ist diese eine Sache erledigt. Er hat lediglich eine Aktion gestartet, hat diese Aktion in dem Masse verändert, wie er es sollte und diese dann für sich erledigt. Basierend auf seiner eigenen Erfahrung könnte er sich noch eine kleine Notiz in seinem Kalender machen, nach einer Woche bei seiner Sekretärin anzufragen, ob das Angebot für dieses Produkt rausgegangen ist. Oder er weiß, dass es rausgehen wird auch ohne nachzuhaken.

In dieser Art und Weise nimmt er jedes Teil an seinem Arbeitsplatz in die Hand and verfährt mit allen Dingen in genau derselben Vorgehensweise. Das Endergebnis ist ein organisierter Arbeitsplatz und ein Chef oder Manager, der am Ende des Tages nach Hause fährt, ohne die Notwendigkeit zu haben, sich zehn oder fünfzehn Dinge merken zu müssen, die er gleich am nächsten Morgen in Bewegung setzen muss.

Es ist also keine theoretische Übung im Klassenzimmer, sondern ein praktisches Training an seinem eigenen Arbeitsplatz, ohne die Notwendigkeit, seine Arbeit ruhen lassen zu müssen.

Im Gegenteil, er schafft fünf Mal so viel wie an normalen Tagen. Und da er sehr froh darüber ist, wird dieser Tag gemeinhin ein sehr guter Tag für ihn oder ihr. Weil unser Kunde den Wert dieser Dienstleistung zu schätzen weiß, fragen wir ihm am Ende des Tages nach drei weiteren Personen, welche von dieser kleinen, aber sehr effizienten Übung profitieren könnten. Und wenn er geneigt ist, uns weiterzuempfehlen, hatten wir gleich drei weitere Kontakte, mit denen wir arbeiten konnten, einschließlich einer Referenz, welche diese drei neuen Leute bereits kannten.

Es heißt immer, der Mittelstand ist das Rückrad der deutschen Wirtschaft. Aber man möchte manchmal gar nicht glauben, in welch einer Misere sich manche dieser Leute eigentlich befinden.

Sie stellen Leute ein, damit diese ihnen die Arbeit abnehmen, so dass die Chefs sich um wichtigere Dinge kümmern können. Aber wenn Chefs diese neuen Leute in den Mechaniken und Vorgehensweisen des Unternehmens einführen möchten und diese das nicht sofort und unmittelbar begreifen, frustriert sie das und sie machen es lieber selbst. Dann verkommt der neue, teure Abteilungsleiter zum Botenjungen. Somit hat der Chef also nicht nur Tage und Wochen damit verbracht, jemanden neues zu finden, der ihm aushelfen könnte, nach all dem hat er jetzt einen überbezahlten Botenjungen, weil der Chef selbst nicht dazu fähig ist, die Geduld dafür zu haben, neue Leute einzuarbeiten.

Die Situationen, mit denen man bei solch einem Training konfrontiert wird, sind demzufolge manchmal recht interessant.

Das war also, womit sich mein Schwager beschäftigte. Darüber hinaus bot er auch weiterführende Dienste an, wenn diese erwünscht waren, aber dieses kleine, feine Training war das Hauptprodukt.

Man geht die Liste aller Unternehmen in seiner Gegend durch, ruft jedes Unternehmen an und fragt nach dem Chef. Wir hatten ein kleines Musterblatt für kalte Kontakte vorbereitet. Wie in vielen solcher Fälle fungierte es als Leitfaden für Manager, welche man zum ersten Mal kontaktierte. Aber prinzipiell muss man einfach sehen, was individuell gesehen am besten funktioniert. Muss man sich z.B. erst mit zwei Sekretärinnen auseinandersetzen, um überhaupt zum Chef vordringen zu können? Wie ist der Gemütszustand der Vorzimmerdame an diesem Tag? Alle diese Faktoren sind wichtig und mit der Zeit muss man einfach ein Gefühl für die jeweilige Situation entwickeln.

Aber das war mein erster Job, als ich in Rodgau ankam.

Es war vereinbart, dass sich meine Bezahlung nach den zu Stande gekommenen Terminen richtete und danach, ob mein Schwager darin erfolgreich war, dieses Training zu verkaufen. In diesem Fall würde ich einen prozentualen Anteilssatz ausgezahlt bekommen.

Eigentlich ist das nicht so fair, da ich auf sein Verkaufstalent wenig Einfluss nehmen konnte, aber auf der anderen Seite hatte ich keine Mietkosten und da wir ein Team waren, nahmen wir die Details nicht zu genau. Am Ende waren wir beide zufrieden. Jetzt konnte jemand einen Termin bestätigen, verschieben oder ganz absagen und konnte tatsächlich mit jemanden darüber sprechen, weil ich meistens das Büro besetzte.

Die ganze Sache lief gut an, entwickelte sich sogar besser und besser, das Unternehmen entwickelte sich in die richtige Richtung.

Das Geschäftsmodell des ON TOP Gründers beinhaltete allerdings auch, Lizenzgebühren von den Franchise

Unternehmen zu verlangen. Daher überwiesen wir bis zu einem gewissen Punkt, ungefähr fünf Prozent des Umsatzes an ihn. Es schien gerechtfertigt, da er alle Unterlagen und Trainingsunterlagen zur Verfügung stellte.

Irgendwann stutzten wir allerdings.

Denn was dieser Herr machte, war eigentlich ein sehr grauer Bereich. Er nahm einen der Policy Briefe von LRH, änderte leidglich den obersten und den letzten Abschnitt des Dokuments und mehr oder weniger „verkaufte“ das Original als das seinige.

Jeder Policy Brief beginnt. mit „Hubbard Communications Office” und endet logischerweise mit der Unterschrift von LRH.

Das „Hubbard Communications Office“, kurz „HCO“ ist die erste Abteilung in einer Organisation und verantwortet unter anderem die Herausgabe aller Richtlinien. Als Ron die erste Organisation in Südengland aufbaute, verfasste er die Richtlinien, welche noch heute in Benutzung sind. So entstand der Name (03).

In unserem Fall wurde der erste Teil solch eines Dokumentes auf die Bedürfnisse der „ON TOP“ Kunden hin geändert und auch das Ende des Dokumentes bezog sich nicht auf den eigentlichen Verfasser, sondern auf unser Unternehmen. Für den unbedarften Betrachter erstellte sich demzufolge der Eindruck, einer von uns hätte das Papier verfasst.

Dieser Umstand, ein originales Dokument so zu verändern, dass der Ursprung desselbigen nicht mehr zu erkennen war, brachte uns in Schwierigkeiten. Unser Hauptprodukt bezog sich auf eine Referenz, welche mit „Aktionszyklus“ betitelt war. Es stammte nicht vom ON TOP Gründer, sondern vom Gründer und Leiter der ersten Organisation.

Auf der anderen Seite war nicht nur der ON TOP Gründer damit sehr erfolgreich, auch ca. zehn Lizenznehmer innerhalb Deutschlands allein, uns eingeschlossen. Und offenbar störten sich nicht allzu viel Leute an diesem Umstand. Dennoch war es unsere Meinung, diesen Umstand berichtigen zu müssen, weil es ein ständiger Punkt für Diskussionen war, wenn auch nur zwischen uns selbst.

Schließlich gab es WISE, was für World Institute of Scientology Enterprises stand. Dieser Arm des weltweiten Scientology Netzwerkes ist dafür zuständig, Lizenzen an jene zu vergeben, welche mit den Schriften von LRH innerhalb ihrer eigenen Organisation arbeiteten. Im Jahr 1989/1990 gab es weltweit sehr viele Firmen, welche sich auf die Werke von LRH gründeten.

Uns war klar, wir mussten eine Lösung finden.

Es war nicht so, dass wir überhaupt keine Lizenzgebühren bezahlen wollten, das war nie das Ziel, wir wollten es nur richtig machen. Im Grunde war die Verwendung dieser Policy Briefe, wie wir es bewerkstelligten, streng genommen sogar illegal, selbst nach gemeinem Urheberrecht. Irgendwann mussten wir also streng genommen damit rechnen, in illegale Fahrwasser zu geraten, davon abgesehen, ob wir das nun zehn Jahre unbehelligt durchziehen konnten oder nicht. Unser Standpunkt war, Ehre wem Ehre gebührt. Oder anders ausgedrückt, nach kurzer Umstellungsphase bezahlten wir unsere Gebühren an den eigentlichen Urheber oder in diesem Fall, an den Lizenzgeber des eigentlichen Urhebers (04)

Daher änderten wir den Briefkopf und überhaupt alles an unseren Arbeitsdokumenten.

Von einem Tag auf den anderen benutzten wir ausschließlich Originale von LRH. Auf unseren Referenzmaterialien stand demzufolge immer „Hubbard Kommunikationsbüro“, der Tag der Erstveröffentlichung und einfach alles, was dazu gehörte, nebst Unterschrift vom selbigen und allem.

Herr Alex, unser bisheriger Lizenzgeber fand das erstmal gar nicht lustig, musste sich aber schlussendlich damit abfinden. Wir zahlten unsere Lizenzgebühren nur noch an WISE, nicht mehr an ihn. Es ist nun nicht so, dass dieser vorhatte, uns in einen großen Rechtsstreit hineinzuziehen, für derartiges hatte er einfach keine Handhabe. Er wusste nur zu gut, was er da machte.

Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, ob er selbst oder einer der anderen Lizenznehmer unserem Beispiel folgte, aber wir waren um diese Entscheidung recht dankbar. Von dort an gingen wir einfach zu einem Kunden und legten ihm oder ihr das originale Dokument vor.

„L. Ron Hubbard.., L. Ron Hubbard, ist das nicht dieser Sektengründer von dieser Scientology Organisation?“, wurden wir oft gefragt.

Ich würde nicht sagen, Dianetik, Scientology und L. Ron Hubbard waren in jedem Munde, aber jeder wusste ein wenig darüber oder hatte zumindest irgendetwas darüber gehört, in manchen Fällen nicht allzu viel Positives. Was allerdings auch vorkam. Es gab eine große Organisation in Frankfurt, welche ca. eine halbe Stunde von uns entfernt war. Und damals lief vieles sehr gut in Sachen Scientology und deren Expansion und Verbreitung, trotz der Unkenrufe diverser Medien.

Und nicht zuletzt sind Unternehmer aus einem etwas anderen Holz geschnitzt, wie wir sehr oft feststellten.

Deren Einstellung und Ansichtsweisen unterscheiden sich oft von jenem gemeinen Arbeitnehmer. Sie waren selbst oft genug Unkenrufen und negativer Stimmung ausgesetzt. Dessen Bekannte und Verwandte hatten diese in den Anfangsjahren ihres Unternehmens oft genug mit bissiger Kritik überzogen. Wenn sie mit anderen Worten auf alle Neider und Schwarzseher gehört hätten, gäbe es überhaupt kein Unternehmen, von dem schlussendlich auch diese Neider und Schwarzseher profitierten. Daher sehen erfolgreiche Unternehmer solche Hetztiraden oft mit anderen Augen. Sicher trifft dies wohl nicht auf alle zu, aber ich kann mich nicht daran erinnern, in dieser Richtung je auf große Probleme gestoßen zu sein.

Nun gut, wir taten das für eine Weile.

Da wir wie kurz erwähnt, die Frankfurter Organisation (Org) gleich nebenan hatten, gingen wir hier und da auch zu der einen oder anderen Veranstaltung, so etwas ergab sich einfach. Wir kauften ein Buch im Buchladen und schwupps di wupps rief jemand an, der uns ein Ticket für die Neujahrs Veranstaltung verkaufte. So lief das.

Im Zuge dieser relativen Nähe und des Flusses ausgetauschter Informationen wurde schlussendlich auch die IAS auf mich aufmerksam, die International Association of Scientologists (Internationale Vereinigung von Scientologen).

Ob es in der Frankfurter Org ein eigenes IAS-Büro gab oder lediglich eine Person zugeben war, welche ihre Runden durch ganz Deutschland machte, kann ich nicht mehr nachvollziehen. Auf jeden Fall kontaktierte mich diese Person und meinte, ich sollte doch nun einmal endlich Mitglied der IAS werden. Aus einem mir nicht bekannten Grund, war ich es noch nicht, obwohl die Organisation zu diesem Zeitpunkt bereits ein paar Jahre existierte. Ich denke einfach, wenn man nicht gefragt wird, ob man ein Mitglied werden wollte, kommt man wohl nicht selbst auf die Idee. Das Leben hat sonst schon so viele Überraschungen und Herausforderungen auf Lager, an was soll man denn noch alles denken.

Es gab zwei Mitgliedschaftsmöglichkeiten. Das war alles noch sehr einfach gehalten damals. Eine temporäre Mitgliedschaft auf sechs Monate für ein paar Deutsche Mark (DM) und eine lebenslange Mitgliedschaft für ungefähr 2000 DM. Jeh nach Kurswechsel können es auch ein paar Mark mehr gewesen sein. Aber von diesen unglaublichen Summen für diese ganzen Mitgliedschaften, in deren Kreis man sich heute einkaufen kann, davon träumte damals noch niemand. Ich glaube zur heutigen Zeit kann man sich sogar in einen Status einkaufen, welcher die Spendensumme von $ 10 Millionen beinhaltet. Ich könnte allerdings leicht daneben liegen, vielleicht ist es auch nur eine Million.

Was man generell für eine Mitgliedschaft bekam, ist einfach erklärt. Man bekommt einen gewissen Prozentsatz an Nachlässen auf Materialien, das sind Bücher und Tonträger. Je nach gegenwärtiger Lage und was es an Angeboten gibt, können das mal 5 %, mal 20 % sein. Ob Leute, welche eine Million und mehr an diese Organisation entrichteten, in den Genuss weiterer Annehmlichkeiten kommen, ist mir nicht bekannt, erscheint mir aber logisch.

Da die Geschäfte gut gingen, musste man mich nicht groß überzeugen und ich überwies die Summe für eine Mitgliedschaft auf Lebenszeit.

Alles in allem lief alles also sehr gut für mich und für uns beide. Wir mussten uns nicht einmal um Steuern und Buchhaltung kümmern, das wurde gegen eine gewisse Gebühr von meiner Schwester erledigt, der Ex-Frau meines Schwagers.

Sie wohnte fast noch im selben Ort. Rodgau war auf drei Teile aufgeteilt, wir hatten unsere Wohnung und Büro in Niederrhoden und sie wohnte in einem der anderen Ecken, der Name entfällt mir gerade.

So ging das für eine Weile.

Aber irgendwann war es dann endlich so weit.

Ich bekam einen Anruf. Es war kein normaler, x-beliebiger Anruf, kein Verwandter, kein Kunde oder jemand, der etwas zu verkaufen hatte.

Nicht mehr nachvollziehbar für mich, hatte ein Mitarbeiter in Flag meine Nummer bekommen und bestand darauf, mich für eben jene Organisation als Mitarbeiter zu gewinnen.

Selbst wenn man mit Flag zur damaligen Zeit auch nicht allzu viel anfangen konnte, weil man noch nie dort gewesen war, wusste man doch eine Sache darüber. Das Wort Flag stand für die Creme de la Creme aller Scientology Organisationen. Es gab nichts Besseres, nichts Höheres oder Größeres.

Kurz erklärt kam das offenbar wie folgt zustande.

Um 1967 entschied LRH, eine Operation in Angriff zu nehmen, die ihn dazu befähigte, weitere Forschungsarbeiten in Bezug auf das Potential und die Möglichkeiten eines Wesens in Angriff zu nehmen.

Nun, was soll ein Wesen sein? Ein Wesen, spezieller ein geistiges Wesen, bist einfach du. Wie in vielen anderen Religionen auch der Fall, gibt es in Scientology ein Versprechen auf Erlösung in der einen oder anderen Form. Wenn man dieses oder jenes macht und befolgt, wird man dazu befähigt, sich von seiner sterblichen Hülle zu befreien und in einen Zustand zu gelangen, welcher nicht mehr viel mit deinem gegenwärtigen Zustand auf der Erde gemein hat. Das Versprechen im Christentum besteht einfach darin, in den Himmel aufzusteigen. Es gibt wahrscheinlich andere Namen und Definitionen für den Begriff Himmel, im Christentum wie auch innerhalb anderer Religionen, aber das Versprechen an und für sich ist wohl immer ähnlich. Wir arbeiten in Richtung einer Form der Erlösung. Da ich nicht denke, mit meinem Körper gen Himmel entsteigen zu können, gehe ich demzufolge davon aus, dass man sich zu einem bestimmten Zeitpunkt vom Körper befreit.

Wie das genau im Einzelnen aussehen mag, in welchem Zustand man sich genau befindet und wohin man genau geht oder entschwindet, ist im Christentum meines Wissens nicht im Detail erläutert.

In Scientology spricht man allerdings von Thetan, wenn es um das geistige Wesen selbst geht (05)

In den wohl meisten Religionen, ob groß oder klein, gibt es dieses Versprechen einer Erlösung. Ich betitele mich keineswegs als Experten, der muss ich auch nicht sein, diverse Grundideen kann man an vielen Stellen erläutert bekommen, keine große Sache.

Irgendwann sah er also die Notwendigkeit, seine Forschung im Bereich des geistigen Wesens in relativer Ruhe and Abgeschiedenheit fortsetzen zu müssen. Mir nichts, dir nichts wurde eine Gruppe zusammengebracht, die ihm auf dieser Reise unterstützen sollte, was demzufolge das Gründungsjahr der Sea Org wurde. Daher der Name Sea Org, zum Namen Flag kommen wir jetzt.

In der Navy gibt es ein Flagship. In einem Verband befindet sich der Kommandierende Offizier oder Admiral oder Flottenführer ganz allgemein, auf jenem Flagship, dessen Name von der Tatsache herrührt, die Flag, also die Fahne des Verbandes zu tragen und die Fahne, welche signalisiert, dass sich auf diesem Schiff der Chef befindet. Das Flagship signalisiert also, hier geht die Post ab, hier werden die Entscheidungen getroffen.

Aus mir nicht geläufigen Gründen wählte Ron also für seine Truppe eine Art von Navy Anstrich, alles sollte ähnlich der US Navy aussehen. Es gab Uniformen, Ränge, Abzeichen, Übungen und sogar die entsprechende Nomenklatur der Navy (06, 07).

So haben wir also Flag and Sea Org kurz erklärt, soweit so gut.

1975 wurde die ganze Flotte, auf denen sich die Sea Org inzwischen befand, auf Land gebracht. Warum, weshalb, warum, alles Spekulation, zumindest was mich betrifft. Es war einfach so, tut auch nichts weiter zur Sache, zumindest in meinem Fall.

Seitdem existiert also die Flag Land Base, oder auch kurz eben Flag.

Damals auf See wurden die höchsten Stufen, welche man erreichen konnte, allesamt auf den Schiffen geliefert. Viele Dienstleistungen gab es ausschließlich auf dem Schiff oder den Schiffen. Es gab viele, exklusive Auditing Aktionen, was der Name für den geistlichen Beistand in Scientology ist, und auch viele Ausbildungsmöglichkeiten und Ausbildungsstufen, welche es nur dort gab. Auditing nebenbei gesagt, heißt so viel wie zuhören, also jemand der zuhört, lauscht (08).

Wie die Legende besagt, saß Ron also in seinem Büro und forschte fleißigst an neuen Stufen der geistigen Möglichkeiten und Potentiale. Und alles, was er herausgab, wurde umgehend in die Praxis transferiert. Ein Policy Brief zum Bleistift, welcher um drei Uhr morgens fertig war, konnte sich also schon ein paar Stunden später auf dem Schreibtisch eines Kursleiters befinden, um diesen entsprechend an die Studenten weiterzugeben. Daher weht Flag dieser Ruf der Perfektion voraus, denn alles Neue, verbesserte und teilweise einzigartige, wurde auf Flag geliefert.

Und weil Ron eben persönlich zugegen war, wurden auch viele Leute persönlich von ihm unterrichtet, ergo erwarb Flag auch den Ruf, den höchsten Standard an Fertigkeiten unter seinen Ausbildern und Auditoren zu besitzen. Alles also nachvollziehbar.

Jeder Mitarbeiter innerhalb dieser exklusiven Organisation unterschrieb einen Milliarden-Jahres-Vertrag.

Vielen potenzielle Rekruten, die ich über die nächsten Jahre traf, stieß der Umstand seiner Existenz sauer auf, verständlicherweise, kann ich nachvollziehen.

Aber man muss das ganze mal folgendermaßen betrachten.

Im Christentum arbeitet man sein Leben lang daran, in den Himmel zu kommen. In der Sea Org ist es einfach andersrum. Die Sea Org ist das Vorzimmer zum Himmel und jeder, der dort arbeitet, macht dies mit der Zielsetzung, allen anderen den Zugang zum Himmel zu ermöglichen. So denke ich, muss man das betrachten. Daraus erklärt sich dann auch der Vertrag. Das Ganze braucht seine gewisse Zeit. Es gibt eine Menge Leute, die auf ihren eigenen Weg in Richtung Erlösung gebracht werden müssen.

Nun gut, wenn mich eine andere Organisation angerufen hätte, eine andere Sea Org, wäre ich vielleicht gar nicht erst eingetreten. Es gibt ja noch die sogenannten Advanced Organizations, oder AO’s, also die „Fortgeschrittenen Organisationen“ (09).

Wenn man sich der sogenannten „Brücke“ hinaufbewegt, also immer weitere Dienstleistungen in Anspruch nimmt, welche zu immer höheren Stufen führen, kommt man schließlich zu den OT-Stufen, zumindest was Auditing betrifft. Thetan hatte ich ja bereits erläutert, dass „O“ steht für „Operating“, also „Operating Thetan“, jemand der in der Lage ist, Dinge zu verursachen oder die Ursache von etwas zu sein, und zwar in allen Bereichen der Gesellschaft. Jeh höher man sich die Brücke hinaufbewegt, desto ursächlicher wird man, desto mehr kann man also verursachen. Sein eigener Wirkungsbereich expandiert (10)

In einer sogenannten Klasse IV Organisation, dessen Mitarbeiter normale Arbeitsverträge erhalten und nicht Mitglieder der Sea Org sind, kann man sich bis zu einer bestimmten Stufe hinaufbewegen. Dann geht man zu einer dieser Fortgeschrittenen Organisationen und man kann Dienstleistungen erhalten, die wiederum bis zu einem bestimmten Punkt gehen (11)

Über diesen steht Flag. Und über Flag steht, zumindest bezüglich der geistigen Beratung, nur noch das Schiff „Freewinds“, welches offenbar ausschließlich für den Zweck in Dienst gestellt wurde, die Stufe OT VIII zu liefern. So hieß es zumindest zum Zeitpunkt der Freigabe dieser Stufe.

Daraus folgt aber auch, dass Flag auf jeden Fall die Krone der Ausbildung darstellt. Man kann nirgendswo höhere Stufen der Auditoren Ausbildung bekommen als dort.

Für Nicht-Sea-Org Mitglieder hört diese Ausbildung bei Klasse IX auf, für Sea Org Mitarbeiter ist dies erst bei Klasse XII der Fall (12)

Aus all diesen Gründen war Flag also etwas Besonderes.

Flags Beiname ist „Mecca of technical perfection”. Das Non-Plus-Ultra also in Bezug auf Ausbildung.

Demzufolge war ich also hellhörig. Nicht das ich von Anfang an Feuer und Flamme war. Ich hatte mir in der Nähe

Frankfurts eine kleine Oase erarbeitet, konnte mich selten beschweren.

Ich und mein Schwager hatten viel zu tun, meine Schwester kümmerte sich um alle steuerrechtlichen Aspekte und an den Wochenenden hieß es entweder Dart spielen oder sich bei meiner Schwester zu treffen, um tagelang und nächtelang Skat zu kloppen.

Dennoch bin ich von Haus aus eher der abenteuerliche Typ. Ich liebe Herausforderungen, große und kleine. Und wer weiß, dachte ich mir damals, vielleicht war dies mein nächster Schritt.

Nach ellenlangen Diskussionen und dem für und wider solch einer lebensverändernden Entscheidung, tendierte ich immer noch eher dazu, dort zu bleiben, wo ich war. Es lief also nicht so gut für die Frau am anderen Ende der Leitung. Sie brauchte noch irgendein Ass, den Kreuz Bube, um beim Skat zu bleiben. Der Trumpf, der alle anderen aussticht.

Und ich weiß nicht, ob es ihre Idee war oder ob ihr das jemand auf einem Blatt Papier gereicht hatte, auf jeden Fall fragte sie mich: „Wenn dich Ron anrufen würde und dich bitten würde, ihm bei seiner Arbeit zu helfen, weil er es allein einfach nicht schaffte, was würdest du sagen?“

So etwa formulierte sie diese Frage.

Was soll ich sagen, es gibt wahrscheinlich tausend und einen Grund, warum Leute in die Sea Org gehen und manches funktioniert für den einen, aber nicht für den anderen und umgekehrt. Ich weiß nur noch, diese Frage funktionierte für mich.

Ich sagte also schlussendlich doch noch zu, sie faxte mir den Vertrag, ich unterschrieb ebendiesen und faxte ihn zurück. Es gab ein Großes Hurra am anderen Ende der Leitung, irgendwelche mir unbekannten Leute klatschten und gratulierten mir und ich für meine Person, bereitete mich geistig auf mein neues Aufgabengebiet vor.

Ich hatte natürlich meine Erwartungen, und die waren meilenhoch.

Alles, was ich bis dahin über Flag gelesen oder gesehen hatte, war beeindruckend, um es kurz zu fassen. Es gab offenbar nicht viel, wenn es überhaupt etwas gab, das Flag falsch machte.

Als jemand, der sich mit der Materie nicht auskannte, kann man sich ja nur auf das verlassen, was man mit seinen eigenen Augen sah, und es gab weit und breit nichts Schlechtes zu berichten. Es war ja nun auch nicht so, dass ich danach gesucht hätte. Niemand suchte nach irgendetwas Schlechtem über Flag.

Man kannte die Flag Veröffentlichungen, welche regelmäassig ihren Weg über den Atlantik machten, zur Genüge.

Ich persönlich kannte einige Leute, die ihre Dienstleistungen auf Flag bekamen, entweder weil sie wollten oder weil sie eben an diesen Punkt angelangt waren. Denn eigentlich kann man alles in Flag machen, was irgendwie mit Scientology zu tun hat. Theoretisch kann man als komplett unbedarfte Person hereinmarschieren und jedwede Dienstleistung in Anspruch nehmen, welche es überhaupt gibt, dagegen spricht absolut nichts, mit der Ausnahme von OT VIII natürlich. Aber solange es nicht das ist, bietet Flag alles an. Aus Zeit- und Kostengründen passiert das allerdings recht selten, wenn ich mal kurz aus meiner eigenen Erfahrung in Flag berichten darf.

Ich habe in meiner Zeit in Flag eine Hand voll von Leuten getroffen, welche langjährige Scientologen waren und den einen oder anderen Verwandten mitbrachten. Diese würden dann hin und wieder eine kleine Auditing Sitzung bekommen oder einen kleinen Einführungskurs machen, etwas in dieser Richtung. Vielleicht den „Wie führe ich eine gute Ehe“ Kurs oder ähnliches. Das kommt also durchaus mal vor.

Diese Aussicht auf ein perfektes Erlebnis, auf eine perfekte Umgebung, sprach mich schon sehr an.

Ich hatte immer den Ehrgeiz, meine Arbeit gut zu machen, was es auch immer sein mochte. Ich war nie mit einem Abklatsch zufrieden. Wenn ich wusste, dass ich nicht nur eine gute Arbeit abgeliefert hatte, sondern darüber hinaus denjenigen, der von dieser Arbeit profitierte, zumindest in diesem Bezug glücklich machen konnte, dann bedeutete das viel für mich. Diese Hoffnung hatte ich auch für Flag.

Wenn ich in die Sea Org gehen sollte, dann musste es Flag sein. Und ich wollte gar nicht lange um den heißen Brei herumreden. Ich wollte ein Class XII Auditor werden, die höchste Ausbildungsstufe in dieser Richtung. Ich hatte nicht vor, irgendwelche Kompromisse einzugehen. Warum sollte ich woanders hingehen, wenn ich alles haben konnte? Sicher wäre Kopenhagen z.B. eine Alternative. Dort gab es nicht nur eine Fortgeschrittene Organisation, es gab sogar ein „CLO“, ein „Continental Liaison Office“, oder „Kontinentales Verbindungsbüro“, wie es sich damals nannte. Diese gibt es, wie der Name suggeriert, auf jedem Kontinent und fungieren einfach als eine Art von Arm des Internationalen Managements. Sie geben Anweisungen von ganz oben weiter, untersuchen die jeweiligen Organisationen in ihrem Gebiet, schreiben Programme, um eine stetige Expansion zu erreichen, erarbeiten die jeweiligen Statistiken und berichten diese nach Los Angeles, wo die Top Management Organisation ihren Sitz hat (13).

Das wäre insofern ein logischer Schritt für mich, da Kopenhagen, der Sitz dieser Org, vor unserer Haustür lag, mehr oder weniger. Zumindest war es unendlich einfacher, von Frankfurt nach Kopenhagen zu fahren als von Frankfurt nach Florida zu fliegen.

Habe ich erwähnt, dass Flag in Clearwater, Florida ist?

Ginge ich stattdessen nach Kopenhagen, könnte ich sogar an Wochenenden meine Familie besuchen. Oder sie könnten mich besuchen. So naiv war ich damals noch. Ich dachte wirklich, ich könnte alle paar Wochen eine Woche frei nehmen, um Familie und Freunde zu besuchen. Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, woher diese Idee kam. Sogar mit dem Milliarden Jahren langen Vertrag im Hinterkopf erschien es mir fast schon selbstverständlich, in regelmäßigen Abständen Deutschland besuchen zu können.

Ich hatte demzufolge keine wirkliche Idee, was mich erwartete. Das Einzige, was mir klar war, dass Flag das Beste war. Was auch immer ich vorfinden sollte, was auch immer auf mich zukommen sollte, es würde alles perfekt sein. Wenn Flag etwas kann, dann ist es Perfektionismus.

So machten wir uns daran, diverse Hindernisse aus dem Weg zu räumen.

Wenn ich es nach Flag schaffte, dann brauchte ich erst einmal einen Reisepass, den ich natürlich nicht hatte. Das letzte Mal, an dem ich Deutschland verließ, war mit ca. fünf Jahren.

Unsere Familie wurde auf eine Erholungsreise irgendwo nach Österreich verschickt. Und mit fünf Jahren hat man noch keinen eigenen Reisepass. Seitdem hielt ich mich ausschließlich in Deutschland auf, und zwar in Gesamtdeutschland, was die alte DDR miteinschloss. Ich hielt mich natürlich nicht darin auf, aber wir durchfuhren diese oft genug, mit und ohne Haustiere, welche wir tunlichst unter Decken und Gepäckstücken versteckt hielten. Ich glaube jeder machte das, irgendwie erschien das Beibringen des nötigen Papierkrams, den man für irgendwelches Viehzeug beibringen musste, unverhältnismäßig kompliziert gewesen zu sein. Ich würde mich sogar so weit aus dem Fenster lehnen und behaupten, die Grenzsoldaten wussten von dem einen oder anderen Verstoß dieser Art, sagten aber nichts und hielten sich von Anzeigen zurück. Ich bin mir im Nachhinein sicher, auch sie interessierten sich nicht großartig für noch mehr Papierkram, den es auszufüllen galt. Und man kann es nachvollziehen, schließlich brachten wir „Wessies“ keine Tiere in die DDR, wir erlaubten uns lediglich, dort hindurchzufahren. Aber als Kind in einem VW-Bus mit sieben weiteren Personen und zwei Katzen auf dem Schoss, ich schwitzte schon sehr.

Glücklicherweise war das Erlangen von Reisepässen damals noch keine große Sache. Ich meine, das ist es heute auch nicht, aber heute bekommt man seinen Reisepass von einer zentral gelegenen Stelle zugeschickt. Man geht zum Rathaus, füllt das eine oder andere Formular aus und ein paar Wochen später wird man hoffentlich über die Tatsache informiert, dass der Reisepass bei ihnen angekommen war und man ihn zu dieser oder jenen Zeit abholen durfte. Nicht weiter tragisch.

Das musste ich aber alles nicht machen. Es war wirklich nicht der Rede wert.

Man ging aufs Amt, wie man so schön bei uns sagt, füllt zwar ein Formular aus, schließlich sind wir immer noch in Deutschland, brachte zwei Passfotos mit, konnte aber am selben Tag einen frischen Pass mitnehmen. Damals hatten die lieben Amtsträger noch stapelweise, jungfräuliche Pässe in ihren Panzerschränken rumliegen. Dieser wurde in einen Drucker eingespannt, vielleicht war es in meinem Fall sogar noch eine Art von Schreibmaschine, die freundliche Dame versah das Dokument mit den penibel recherchierten Informationen zu meiner Person und wenn sonst nichts zu tun war, konnte man ihn nach nicht einmal einer Stunde sofort mitnehmen.

Solchermaßen ausgestattet konnte ich diesen Erfolg nach Flag berichten.

Im Gegenzug bekam ich auch gleich eine Barrage an Formularen geschickt. Wie wohl jedes Mal, wenn man Arbeit und Ort wechselt, wollten die neuen Arbeitgeber einiges in Erfahrung bringen. Das Ganze nannte sich „Life History Form“, oder „Lebensform“, so etwa die deutsche Übersetzung.

Die Hürden, um erfolgreich in der Sea Org zu landen, waren erstaunlich hoch, wie sich herausstellte.

Man darf kein Perverser sein, was sich wohl anhand seiner sexuellen Vorlieben feststellen ließ, die man penibel und detailliert zu Papier bringen musste. Nach Möglichkeit sollte man zu keiner Zeit in seinem Leben irgendwelche Drogen konsumiert haben. Die Theorie und die Meinungen, was bestimme Drogen mit einem anstellen können, ist weit gefächert. Aber zumindest was die Sea Org angeht, gab es keinen Spielraum. Der Konsum bestimmter Substanzen in irgendeiner Menge disqualifizierte jemanden auf der Stelle. Da war ich noch mal froh. Ich war bis zu diesem Zeitpunkt, und nebenbei gesagt, auch seitdem, nicht unbedingt ein klassischer Feind von Drogen, nur konnte ich ihnen einfach nicht viel abgewinnen. Ich glaube bis zu diesem Punkt in meinem Leben konnte ich behaupten, niemals auch nur Drogen ausprobiert zu haben, legal oder illegal. Das höchste der Gefühle war wohl eine harmlose Schmerztablette als Kind.

Jahre nachdem ich aus der Sea Org verschwand, probierte ich mal einen Joint, den ich von einer ehemaligen Arbeitskollegin angeboten bekam. Schöne Grüße an Babsie an dieser Stelle.

Unmittelbar danach wurde mir derart übel, ich musste mich alsbald von ihr verabschieden und war froh, auf der S-Bahn Fahrt nach Hause nicht in die Papiertüte kotzen zu müssen, die ich vorsorglich dabeihatte. Es war mir immer ein Rätsel, wie sich Menschen in diese ganzen Drogengeschichten verhedderten. Drogen scheinen nicht nur schädlich für sein Leben im Allgemeinen zu sein, sie kosten wohl auch entsprechend. Aber nun ja, dafür rauche ich, wer bin ich also, der sich über Drogen mokierte.

Allerdings scheint es die Sea Org nicht großartig zu kümmern, was man so an Alkohol in seinem Leben zu sich genommen hatte. Offenbar ist man der allgemeinen Ansicht, Alkohol verursache keinerlei bleibenden, geistigen Schaden. Ich könnte nicht sagen, damit in Übereinstimmung zu sein.

Mein Vater war Alkoholiker und ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn er mit einem Mal gezwungen gewesen wäre, die

Flasche aufzugeben. Es wäre sicher nicht angenehm geworden.

Aber dennoch, keine großartigen Fragen in Bezug auf Alkohol, aus welchen Gründen auch immer.

Dann kamen noch die eigene Familie und die Freunde unter die Lupe.

Was gibt es an Schwestern und Brüdern, Enkel und Onkel, Oma und Opa, überhaupt die ganze Familie. Das kann ich wiederum eher nachvollziehen. Man möchte wohl vermeiden, von opportunistisch eingestellten Angehörigen in Bezug auf deinen Verbleib in der Sea Org unter Druck gesetzt zu werden. Wie sähe es denn aus, wenn man selbst als Erbe von einer Million Euro in Betracht gezogen würde und der reiche Onkel dieses Vermächtnis mit dem Austritt aus der Sea Org verband? Man kann sich bestimmt noch andere solcher Konstellationen ausmalen, aber Sinn und Zweck dieser Form bleibt immer, herauszufinden, ob irgendeine Art von Druck auf dich ausgeübt werden konnte, welcher deine Arbeit in Mitleidenschaft ziehen würde. Das war wohl die ganze Idee dahinter.

Während ich das alles ausfülle, selbstredend nach bestem Wissen und Gewissen, musste sich Flag über den nächsten Schritt Gedanken machen, mein Visum.

Sicher konnte ich einfach nach den USA fliegen, das kann ja jeder, damals wie heutzutage auch. Das ist allerdings nichts anderes als ein Touristenvisum. Man darf keine Arbeit aufnehmen und darf nicht länger als drei Monate im Land verweilen. Ich denke, das ist ziemlich universell von Land zu Land.

Damit wollten wir aber gar nicht erst anfangen, ich sollte eigentlich schon ein paar Tage länger bleiben. Nicht dass man ein Visum für eine Milliarde Jahre bekommen würde, aber wir wollten uns so nahe wie möglich an diese Zahl heranarbeiten.

Hier kommt „OSA“ in Spiel, das „Office of Special Affairs”, das “Büro für spezielle Angelegenheiten“. Hört sich schon mal fantastisch an. Die Man In Black lassen grüßen.

So aufregend ist es allem Anschein nach dann aber doch nicht.

Diese Leute kämpfen sich mit Paragrafen ab, kümmern sich um den korrekten Wortlaut bei allen Verträgen, helfen bei allen steuerrechtlichen Hokus Pokus und vor allem, was mich betrifft, gaben dir Hilfestellung, wenn es um Visa-Fragen ging.

Deren Idee für eine perfekte Herangehensweise bestand darin, mich quasi als einen Studenten nach Clearwater zu bringen. Nur würde ich eben nicht in Princeton oder MIT die Studentenunterkünfte unsicher machen, sondern im Fort Harrison, dem Hauptgebäude in Flag, das große Hotelgebäude, welches Bestandteil jeder Flag Broschüre war.

Dazu gebrauchte man sich eines Einladungsschreibens, wie sich so etwas nannte. Ich hatte keine Ahnung, wie so etwas in Harvard aussah, aber OSA schickte mir ein Fax mit einem eher lapidarem Textgeschwulst merkwürdigster Machart.

Sicher was alles auf Englisch und obschon meine Fertigkeit in dieser Sprache nicht die Beste war, konnte ich dennoch den arg verunglückten Satzbau ausmachen.

Mir war einfach nicht klar, dass Flag nicht jeden Tag jemanden von Deutschland einlädt, sie mussten einfach improvisieren. Obschon ich meine Bedenken hatte, musste ich von einer allgemeinen Verurteilung Abstand nehmen. Denn tatsächlich wusste ich noch nicht, dass OSA Flag bezüglich Einladungsschreibens genauso inkompetent war wie ich selbst. Es blieb mir nichts anderes übrig, als mein Glück zu versuchen.

Das Amerikanische Konsulat befand sich in meiner Nachbarschaft, in Frankfurt, um genau zu sein, was ja lediglich eine kurze Bahnfahrt von uns entfernt war.

Frohen Gemütes stellte ich mich also vor, durfte sogar für zehn Minuten ein paar Fragen beantworten und wurde anschließend auf die einladende Wartebank verwiesen, der Dinge harrend, die da kommen sollten. Während die Mühlen der amerikanischen Behörde ihrer steten, überaus wichtigen Arbeit nachgingen, wollte ich mir eigentlich einen Kaffee aus einer der Maschinen ziehen. Zu meinem Verdruss gab es aber keine. Das war damals noch alles sehr ernst, keiner der Mitarbeiter, die ich traf oder sah, konnte sich auch nur den Schatten eines Grinsens abringen. Ich dachte allerdings, ich war für dieses Ereignis ziemlich gut vorbereitet, insofern man sich auf ein Visum-Interview vorbereiten konnte. Zumindest hatte ich meinen besten Anzug an, das sollte doch schon mal für etwas gut sein.

Ach was soll ich sagen, ich wurde von der Person, mit der ich das Interview hatte, ein zweites Mal zu sich gebeten und sie eröffnete mir, mein Visum sei abgelehnt. Einen schönen Tag noch, mein Herr.

Sie übergab mir meinen frischen Ausweis und ich stakste aus ihren Hallen. Eigentlich waren es keine Hallen. Es war eher ein großes Bürogebäude. Aber wie man es auch immer nennen sollte, erst mal war ich perplex. Wie konnte man mich einfach abblitzen lassen, das schien mir nicht gerecht. Schließlich befand ich mich auf einer fast heiligen Mission, ich sollte in der Sea Org anfangen. Wer konnte sowas schon von sich behaupten? Und überhaupt, wer wagte es, sich meiner neuen Aufgabe in den Weg zu stellen? Die US-Regierung, das ich nicht lache. Da mussten wir noch mal drüber reden.

Das tat ich dann auch, mit OSA in Flag.

Ihre beste Lösung war, dem Einladungsschreiben einen leicht veränderten Ton zu geben, vielleicht den Briefkopf etwas umgestalten und den Namen der Person, der dieses Schreiben unterzeichnete, einen anderen Beruf zuzuweisen. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wer dies war, aber vielleicht hörte sich das Originalschreiben zu Kirchen mässig an, wer weiß. Auf jeden Fall brachte das Konsulat offenbar meine vermeintliche Studententätigkeit nicht mit der Kirche zusammen. Diese beiden Dinge zusammen machten für sie vielleicht nicht den größten Sinn.

Was es im Endeffekt auch immer war, ich wurde erst mal gestoppt. Erst mal konnte ich keinen Flug buchen.

Wie es sich allerdings ergab, war es bereits Montag oder Dienstag.

Auf den ersten Blick für den Normalsterblichen nicht von großer Bedeutung, welcher Wochentag es war. Umso mehr jedoch für alle Organisationen, die irgendwie, irgendwo ein Teil der großen, weiten Scientology Welt sind. Für jene machte es sehr wohl einen Riesenunterschied, welcher Wochentag gerade war.

Jede Organisation arbeitet nämlich ausschließlich von einem Donnerstag bis zum nächsten Donnerstag. Das scheint auf den ersten Blick etwas merkwürdig, um es milde auszudrücken, ist aber tatsächlich genau das, was passiert.

Jeder Mitarbeiter arbeitet aufgrund und mit Hilfe einer Statistik, so würde ich mal anfangen. Egal, wer man ist und was man für einen Posten innehat, jeder hat eine Statistik (14).

Am Ende einer Woche, welche um 14:00 Uhr an jedem Donnerstag endet, hat man z. B. 20 von irgendetwas. Man hat also 20 Dudas produziert. Diese Zahl kommt auf ein Blatt Papier, auf der sich bereits die Duda Produktionszahlen der letzten Monate befanden. Jeder dieser Punkte wird mit einer Linie verbunden. Man kennt das von Börsenberichten aus dem Wirtschaftsteil eines Nachrichtensenders. Genauso handhabt es sich mit jeder Statistik eines jeden Mitarbeiters. Wen man sich also die Produktionszahlen ansah, stellt man über Wochen und Monate gesehen, einen Trend fest, soweit so logisch.

Darauf schaut man aber nicht in erster Linie. Es ist interessant und hilft, aber worauf der einzelne Mitarbeiter schaut, ist, wo sich diese Linie im direkten Vergleich zur direkt davor liegenden Woche befindet. Denn jetzt hat man einen Zustand, wie man es bei uns formulierte.

Man greife sich nun das Buch „Einführung in die Ethik der Scientology“, schlage nach, in welchem Teil der Begriff „Zustände“ behandelt wird, und begäbe sich dort hin.

Ein Zustand bezieht sich auf die Lage der Linie. Geht diese Linie, welche sich von der vorangegangenen Woche zur Linie von dieser Woche streckt, leicht nach oben, befindet man sich im Zustand „Normal“. Wenn sie steil nach oben steigt, bedeutet das „Überfluss“, und so weiter.

Wie es so ist, schreibt jeder dieser Zustände eine bestimmte Abfolge von Aktionen vor. Um ein Beispiel zu nennen, würde z.B. beim Zustand „Normal“ einer der Punkte sein, nichts zu verändern. Es bedeutet, was immer auch du gemacht hast, um deine Produktion aufrecht zu erhalten und tatsächlich leicht zu verbessern, behalte diese Aktionen bei.

In dieser Art und Weise hat jeder Zustand eine Reihe von Aktionen, welche man in Bezug zu seiner Produktion setzen muss. Das gesamte System dieser Aktionen bei den einzelnen Zuständen läuft darauf hinaus, dass man seine Produktion immer weiter verbessert, also immer mehr von einem Produkt hervorbringt. Das ist das ganze Geheimnis.

Darum hat jeder Mitarbeiter mindestens eine Statistik, welche sich auf mindestens ein Produkt bezieht. Es gibt keinen Posten, der keine Produkte hat, demzufolge existiert auch keine Position, die keine Statistiken führt. Jeder muss irgendetwas produzieren, punkt um, basta.

Und wie schon gesagt, dein Produktionszyklus endet am Donnerstag um 14:00 Uhr und alles was man nach 14:00 Uhr hervorbringt, wird für die darauffolgende Woche gezählt.

Ich denke, rein theoretisch müsste das auch auf einen Monat hin funktionieren. Ich kann mich nicht erinnern, jemals etwas gegensätzliches gelesen zu haben.

Das kann alles sein, muss aber nicht, auf jeden Fall arbeitet Flag, wie jeder andere auch, auf wöchentlicher Basis. Und eine Statistik für den Personaldirektor auf Flag ist gewiss die Anzahl an neu eingestellten Mitarbeitern. Wir mussten es also irgendwie schaffen, mich auf diese verdammte Statistik zu bekommen.

Das Konsulat legte uns bis dato nur Steine in den Weg, Zeit also, sich nach anderen Lösungen umzuschauen.

Denn was würde passieren, wenn das Konsulat unseren Einladungsbrief noch einmal ignoriert oder ablehnt? Dann war es das für diese Woche. Selbst wenn sie mir wider aller bisherigen Erfahrungen ein Visum ausstellen sollten, ist das Zeitfenster, einen Flug zu buchen und mich vor 14:00 Uhr als neuen Mitarbeiter gezählt zu bekommen, denkbar schmal, extrem schmal. Es musste also eine andere Lösung her.

Diese Lösung kam in Gestalt der Idee, mich nach Kopenhagen zu schicken.

Ich sollte mein EPF dort starten.

Mein was bitte?

Das ist das „Estate Project Force“, kurz „EPF“.

Es ist ein Programm für neue Mitarbeiter und ist ruck zuck erläutert.

Die erste Hälfte des Tages besteht aus irgendwelcher physischen Arbeit. In meinem Fall war es das Arbeiten an einem neuen zu gestaltenden Kursraum. Wir mussten Böden schleifen, Bauschutt vom vierten Stock ins Parterre bringen, diverse Malerarbeiten verrichten und neben einem der Eingänge die Steine und Betonreste aus dem Boden entfernen, damit neues Material aufgeschüttet werden konnte, um dem neuen Design entsprechend, frischen Belag zu verlegen.

Danach darf man einen Happen zu sich nehmen und begibt sich selbst in einen der Kursräume, wo man sich kurz gesagt, alles Wissenswerte aneignet, damit man als neuer Mitarbeiter zumindest ein bisschen Ahnung darüber hat, was vor sich geht und über was diese ganzen Leute eigentlich reden. Es gibt tausend und eins neue Wörter zu lernen (15).

Um von unserem Büro nach Kopenhagen zu kommen, war denkbar einfach. Es gibt regelmäßigen Zugverkehr zwischen Frankfurt und Kopenhagen.

Ich packte eine Reisetasche voller Dinge, welche man eben innerhalb einer Zeitspanne von zwei Wochen so benötigt, kaufte am DB-Schalter ein Ticket für Dänemark und bestieg an einem Mittwochabend den Nachtzug gen Norden. Wenn ich am darauffolgenden Donnerstag ankommen sollte, müsste noch genügend Zeit vorhanden sein, mich aufs EPF zu lotsen. Aller benötigter Papierkram war bereits ausgefüllt. Nach einem kurzen Sec Check kurz nach meiner Ankunft, sollte es ein Kinderspiel sein, rechtzeitig starten zu können.

Der Sec Check, was für Security Check steht, Sicherheitsüberprüfung, beinhaltet gemeinhin zwei Schritte unterschiedlicher Länge, wenn ich mich richtig erinnere.

Beim ersten Teil hat man den ganzen Lebenslauf vor sich nebst des einen oder anderen Dokuments und dein gegenüber fragt dich, ob alle gemachten Angaben der Wahrheit entsprechen. Das E-Meter ist dabei obligatorisch. Diese Abkürzung steht wohl für Elektron und Metering, also dem Messen elektronischer Ströme, wenn man so möchte. Jeder, der sich zu irgendeinem Zeitpunkt jemals mit SCN beschäftigt hat, wird so etwas schon einmal gesehen haben. Während dein gegenüber einen sich auf und ab bewegenden Zeiger beobachtet und mit diversen Kontrollen hantiert, hältst du auf der anderen Seite des Tisches zwei zylinderförmige Dosen in der Hand, welche oben und unten offen sind. Zwei Kabelstränge verbinden diese Rohrstücke mit dem Korpus des Instrumentes. Da ich weder in der Handhabung dieses Messinstruments ausgebildet bin noch eine Idee davon habe, wie es genau aufgebaut ist, kann ich nur so viel sagen, dass es wohl etwas mit den elektronischen Strömen in deinem Körper zu tun hat. Es kam seit Mitte der Sechziger Jahre in diversen Ausführungen auf dem Markt und ich glaube, heutzutage ist man noch bei der Version Mark VIII, was den aktuellen Stand repräsentiert (16).