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»Lübeck scheint außerstande zu glauben, daß aus seiner Mitte außerordentliche Geister hervorgehen können.« In diesem Text offenbart sich einmal mehr das angespannte Verhältnis Thomas Manns zu seiner Heimatstadt. Der Artikel wurde am 12. April 1913 in den Lübecker Nachrichten abgedruckt (und ebendort 1957 erneut) und bemüht sich zwar um Objektivität – der Leser wird jedoch den Eindruck nicht los, dass Mann hier persönliche Enttäuschungen auf einen aktuellen Fall projiziert. Ausgangspunkt für den Text war die Vergabe eines öffentlichen Auftrages für ein Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. Der Auftrag ging nicht an den ebenfalls aus Lübeck stammenden Bildhauer Fritz Behn – für Mann ein weiterer Beweis des fehlenden Kunstsinns seiner Landsleute und er bemerkt resignierend: »Fritz Behn zu entdecken, ihn ans Licht zu ziehen, dazu ist es nach alldem für Lübeck zu spät.«
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Seitenzahl: 17
Thomas Mann
Für Fritz Behn
Essay/s
Fischer e-books
In der Textfassung derGroßen kommentierten Frankfurter Ausgabe(GKFA)Mit Daten zu Leben und Werk
Als das neue Rathaus von Bremen gebaut werden sollte (sein Hauptsaal hat eine dekorative Decke von Behn, Fritz Behn, k.b. Professor, – hergestellt gerade von diesem Künstler auf besondern Wunsch des Bürgermeisters Marcus): Als, – sage ich – die Bremenser sich ein neues Rathaus leisten wollten, beschlossen sie allen düsteren Erfahrungen zum Trotz, die mit künstlerischen Konkurrenzen in der Welt schon gemacht worden sind, einen »engeren Wettbewerb« auszuschreiben, und sie beschlossen ferner, zu diesem Wettbewerb fünfzehn Teilnehmer heranzuziehen, nämlich 10 Bremer und 5 auswärtige Architekten. Es scheint demnach, daß dieses Gemeinwesen eine Menge überflüssiges Geld hat: sonst wären Beschlüsse von so unwirtschaftlicher Sentimentalität nicht zu erklären. Denn so ein Preisausschreiben ist kostspielig, und daß von den 10 einheimischen Baukünstlern, denen man Gelegenheit gab, zu zeigen, was sie konnten, auch nur einer für die Aufgabe ernstlich in Betracht kommen werde, war recht unwahrscheinlich; vielmehr war man sich klar, daß (es sind die Worte eines Senators, die ich zitiere) »sehr wenig Leute von Importanz darunter seien«; und wenn man sie dennoch einlud, zehn Landsleute gegen nur fünf Auswärtige, so geschah es aus sträflicher Generosität, unter dem empfindsamen Gesichtspunkt, daß, wenn es um den bedeutenden, ehrenvollen und höchst förderlichen Auftrag gehe ein Bremer Rathaus zu bauen, einheimische Kräfte vorzugsweise zum Wettbewerb heranzuziehen seien, – kurz aus einem Lokalpatriotismus, der als parteiisch und schwärmerisch streng zu verurteilen ist.
Es ist sicher, daß Lübeck sich einer solchen Schwäche niemals schuldig machen wird. Dieser charakterfesten Stadt ist die {364}