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Daniel und Ben sind die besten Gamer in ihrer Klasse. Nur an Gigantus, dem Endgegner von "Space Agents", sind sie bislang gescheitert. Da greifen sie zu einem Mittel, das sie sonst nur müde belächelt haben: Sie cheaten. Auf einmal geht alles ganz schnell. Sie verlieren die Kontrolle über ihr Raumschiff, es rast auf sie zu und kracht durch den Monitor! Und auch Gigantus, der Killerroboter, steht plötzlich im Zimmer!
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Seitenzahl: 212
Als Ravensburger E-Book erschienen 2017
Die Print-Ausgabe erscheint in der Ravensburger Verlag GmbH
© 2017 Ravensburger Verlag GmbHText © Susanne RauchhausCover- und Innenillustrationen: Helge VogtRedaktion: Beate SpindlerAlle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.
ISBN978-3-473-47807-1www.ravensburger.de
Für Christoph
DANIEL Spielt ihr Computerspiele? Dann wisst ihr ja, wie übel es ist, wenn ihr das letzte Level knacken wollt – und immer wieder zersemmelt es euch. Game Over! Und ihr denkt: Da muss irgendwas kaputt sein, das kann doch niemand schaffen! Aber wisst ihr, was noch übler ist? Wenn ihr es doch schafft! Aber nicht mit den … ähm … üblichen Mitteln. Das klingt jetzt krass, aber habt ihr auch nur den Hauch einer Ahnung, wie gefährlich Computerspiele sein können? Ich verrate euch ein Geheimnis: Wenn ihr die falsche Tastenkombi drückt, kann alles passieren …
BENJetzt mal stopp! Das ist doch gequirlte Banane, du fängst ja mittendrin an! Siehst du nicht, wie verwirrt die Leute jetzt schon gucken?
DANIEL Kann schon sein. Aber sollen wir die Geschichte überhaupt erzählen? Die glaubt uns doch kein Mensch!
BENWas andere glauben, ist mir doch egal. Aber wenn wir das jetzt nicht aufschreiben, dann glauben wir das bald alles selbst nicht mehr. Erzähl es eben richtig! Ich würd’s ja machen, aber du tippst schneller.
DANIEL Na gut! Dann fange ich am besten mit unserem Computerspiel Space Agents an, damit ihr wisst, worum es da geht (und das ist wirklich ein Megaspiel!).
Gerade flogen Ben und ich in unserem Jet quer durch die Galaxie, auf dem Weg zu den Minen von Molos. Die liegen versteckt auf einem steinigen, gefährlichen und extrem düsteren Planeten. Die Sonne ist so weit entfernt, dass sie diese Felsenwüste in ein blauschwarzes Licht taucht. Wie nachts, wenn Mondschein zwischen den Wolken durchsickert.
Trotz der Dunkelheit konnte ich es mir nicht verkneifen, ganz dicht über den Boden zu rasen. Das ist ein Wahnsinnsgefühl, weil die Landschaft so echt aussieht.
Wenn man den Jet durch ein Tal lenkt, kurz vor einem Berg hochzieht und dann durch zwei Felsnadeln steuert … Wow!
Okay, dabei war ich allerdings etwas zu schnell.
„Du musst das Tempo drosseln”, zischte Ben, „sonst sind wir gleich Weltraumschrott!”
„Das ist diese olle Kiste doch schon lange”, sagte ich. Eine bessere konnten wir uns leider nicht leisten. „Hätten wir im letzten Raumhafen bloß etwas mehr Gold gehabt, dann hätten wir uns dieses Megaschiff kaufen können …”
„PASS DOCH AUF!”, brüllte Ben mich plötzlich an.
Musste er gleich so laut werden?
BENJa, musste ich! Sonst wärst du Gigantus direkt in die Arme geflogen!
DANIEL Die Bewegung hinter den Felsen hatte ich natürlich auch bemerkt. Doch, ehrlich! Eine gewaltige Gestalt erhob sich in den finsteren Himmel. An diesem Gegner würden wir nur mit sehr viel Können vorbeikommen.
Hastig riss ich unseren Flieger zur Seite, während der Angreifer mit einem seiner Arme ausholte. Die Riesenfaust ließ unseren Bildschirm kurz schwarz werden … Glück gehabt! Er hatte uns nur knapp verfehlt!
BENIn sicherer Entfernung wendete Daniel den Jet, damit wir das Monstrum von vorne sehen konnten. Kein schöner Anblick! Gigantus trägt seinen Namen nicht umsonst: Er ist ein gewaltiger Kampfroboter, bestimmt zehn Stockwerke hoch!
DANIEL Ein Sinnbild perfekter, tödlicher Technik! Sein Metallkörper glänzte, wenn ein Lichtstrahl der fernen Sonne ihn traf …
BENSag mal, tippst du gerade die Werbung von der Hülle ab?
DANIEL Jetzt bring mich nicht raus! Gigantus muss man richtig beschreiben, sonst kapiert keiner, warum er so ein mächtiger Gegner ist. Falls das Spiel noch nicht ganz klar ist: Auf allen Planeten, die wir bis jetzt erreicht hatten, mussten wir gegen irgendwas kämpfen. Weltraumpiraten, Monster und Schwärme von Metallkäfern. Natürlich hatten die alle irgendeine Schwäche, man musste sie nur genau beobachten.
PIPIFAXGEGNER FÜR UNS!
BENJa, und genau beobachten ist eben Daniels Ding. Wenn er sich in eine Sache verbeißt, dann probiert er mit nervtötender Geduld jede Taktik aus. Ich komme schneller zum Ziel, indem ich einfach mache.
DANIEL Stimmt! Mal passt dein Bauchgefühl, mal meine Taktik. Aber Gigantus haben wir mit beidem nicht geknackt. Er war anders als die bisherigen Gegner: ein unbesiegbarer (leider nicht ganz doofer) Kampfroboter mit VIER (!!!!) Greifarmen, die alles bekämpften, das sich den Minen von Molos auch nur näherte. Aber irgendwie mussten wir an ihm vorbei!
Wir schwebten also gerade vor ihm in der Luft und ich sagte zu Ben: „Der Eingang liegt direkt hinter ihm.”
Ich deutete auf ein schwarzes Loch im Felsen.
Ben nickte. „War ja klar! Und Gigantus steht davor wie ein Torwart beim Elfmeter.”
Der Vergleich passte. Nur dass wir der Ball waren. Und ein echter Ball hat deutlich mehr Knautschzone, wenn man ihn tritt.
„Neue Ideen?”, fragte ich. Eigentlich hatten wir alle denkbaren Strategien schon ausprobiert.
Ben reagierte wie immer ganz spontan: „Versuch es doch einfach mit Ausweichbewegungen. Dann ziehst du den Jet plötzlich runter, durch die Beine, und schwups sind wir die Sieger!”
„Oder die Opfer”, murmelte ich.
Aber wie meistens hörte ich auf ihn. Ich atmete tief ein, fixierte den Gegner, legte die Hand an den Steuerknüppel – und drückte ihn ganz nach vorn.
BENUnd da fing der Ärger an …
DANIEL Kann man so sagen. Die Tür flog auf (die echte!) und Mama kam rein. Natürlich ohne zu klopfen.
TYPISCH!
„Sitzt ihr schon wieder vor der Kiste? Ich glaub’s ja nicht!”
Mist!, dachte ich. War sie heute früher von der Arbeit zurück? Oder hatten wir die Zeit aus den Augen verloren?
„Pass auf, Daniel!”, flüsterte Ben.
Doppel-Mist! Mama hatte mich eine Sekunde abgelenkt – zu lange. Aus den Augenwinkeln konnte ich gerade noch erkennen, wie eine Riesenfaust meinen Kampfjet zerschmetterte und ihn gegen die Felsen von Molos donnerte. Dann rieselten ein paar Trümmerteile über den Bildschirm. Und mit gemeiner Endgültigkeit erschienen die Buchstaben GAME OVER.
„Na guck mal, dann passt es doch gerade”, sagte meine Mutter ohne Mitleid. „An der Stelle hättet ihr sowieso nicht weitermachen können. Speichern und ausmachen!”
Mütter! Welcher Depp speichert denn, wenn er gerade atomisiert wurde?
BEN„Nur noch ein paar Minuten!“, bettelten wir.
DANIEL „Keine Widerrede!”, schimpfte Mama und dabei hatte sie diesen Du-weißt-warum-Blick drauf. Da ahnte ich schon: Da kam noch irgendwas nach.
„Rate mal, wen ich gerade im Treppenhaus getroffen habe.”
Oh-oh!
„Frau Kramer!”, beantwortete sie ihre Frage selbst. „Und was hat sie mir so ganz nebenbei erzählt? Dass du am Mittwoch Mathe und am Freitag Englisch schreibst. Wann wolltest du das eigentlich erwähnen? Morgen ist Mittwoch!”
Ich biss mir auf die Lippen. Hatte eigentlich noch ein anderer Junge auf dieser Welt das Riesenglück, im selben Haus zu wohnen wie seine Klassenlehrerin?
BENNee, aber der beste Freund dieses Jungen zu sein, ist nicht viel leichter. Ich laufe ihr ja auch ständig vor die Füße.
DANIEL Du schon, aber wenigstens nicht deine Mutter! Meine findet es nämlich „praktisch”, die Kramer ständig zu treffen.
Jedenfalls sagte sie dann (in einem Ton, in dem ein Richter ein Todesurteil verkündet): „Heute ist also Üben angesagt!” Und mit einem Seitenblick auf Ben fügte sie hinzu: „Du musst doch bestimmt auch noch was für Mathe tun? Wie wär’s, wenn ihr beide ein bisschen lernt? Jeder für sich.”
Eine deutliche Aufforderung an Ben, sofort zu gehen. Warum sagen Eltern eigentlich immer „ein bisschen”, wenn sie den Rest des Tages meinen?
Natürlich gingen wir betont langsam die Treppe runter. Jede Sekunde ohne Lernen war eine gute Sekunde!
„Und? Versuchen wir es morgen noch mal?”, fragte ich Ben.
Er grinste. „Was heißt hier versuchen? Nach der Schule machen wir den Metallhaufen platt!”
Wenn wir da nur schon geahnt hätten, wie weit wir mit unserer Vorfreude danebenlagen.
DANIEL Ben meinte eben, dass ich uns beide noch gar nicht richtig vorgestellt habe. Da hat er ja recht!
Ben ist eigentlich das genaue Gegenteil von mir. Schon äußerlich: Er ist einen halben Kopf größer als ich und hat ziemlich kurze dunkelbraune Haare, ich habe hellblonde Zotteln. Aber auch sonst sind wir wie zwei Welten. Ben ist richtig gut in Sprachen und Sport – er liebt Fußball – , aber Mathe ist für ihn der blanke Horror. Ich mag Mathe, doch das bleibt jetzt besser unter uns, okay? Dafür kann man mich mit Sport und Sprachen jagen.
Trotzdem haben wir zwei uns auf Anhieb super verstanden, seit wir in der ersten Klasse nebeneinandergesetzt wurden. Warum? Na ja, wir waren damals die Ersten, die schon einen Nintendo hatten. In den Pausen haben wir ständig über unsere Spiele geredet und damit alle tierisch genervt.
Heute spielt meistens jeder von uns ein neues Game und zeigt dann dem anderen, worauf es ankommt. Oder der eine springt ein, wo der andere nicht weiterweiß. Ben fehlt ja oft die Geduld, um nach einer Lösung zu suchen …
BENHallo? Du meinst wohl dein ewiges Herumtüfteln an der richtigen Taktik, bis der Gegner vor Langeweile eingeschlafen ist?
DANIEL Lass mich doch ausreden! Dafür punktet Ben immer wieder, indem er einfach handelt. Und meistens funktioniert auch, was er macht. Er hat einen erstaunlich guten Instinkt.
Als Mr. Ehrgeiz und Mr. Bauchgefühl sind wir natürlich doppelt so schnell wie andere Gamer und können ihnen gute Tipps geben.
Wer ein Problem hat, kommt damit zu uns. So wie an diesem Katastrophen-Mittwoch, den wir nie vergessen werden.
Unter der großen Kastanie standen die Leute, die jeden Punkt und jedes Komma der Mathearbeit noch mal durchhecheln mussten. Dahin hatte sich auch der Neue verirrt, der am Morgen in unserer Klasse aufgetaucht war. Ein Typ mit feuerroten Haaren und Hornbrille. Sein erster Tag – und er musste gleich Mathe mitschreiben! Er tat mir richtig leid.
BENNa, komm! Die Kramer hat seine Arbeit ja nicht gewertet.
DANIEL Ich meinte, weil er in der falschen Gruppe stand. Wir jedenfalls waren auf der anderen Seite vom Hof, bei den Fahrradständern (HIER SPIELT DIE MUSIK!). Ben und ich und noch sechs Leute.
BENEigentlich sind es immer dieselben. Justin war wie immer nur dabei, weil er protzen musste, wie teuer sein neuer Computer gewesen war. Kai hatte gerade ein Spiel mit Grabräubern und Mumien und kam mit seiner Steuerung nicht klar. (Daniel gab ihm den Tipp, einfach auf die Pfeiltasten umzustellen.) Melanie mühte sich mit einem Aufbauspiel ab. Dabei ging es um die Besiedlung von Inseln. (Ihr Problem war lösbar: Sie hatte sich nicht getraut, mit den Piraten zu handeln, aber nur die hatten Werkzeug.) Dann war da noch David. Er hat sich für meinen Tipp beim Autorennen bedankt. Und Patrick steckte in einem Fantasyspiel fest. Mal wieder. Sein Problem war immer das gleiche, aber das peilte er nicht: null Geduld. Er raste durch das Spiel, als würde sein Hintern brennen.
DANIEL Für meinen Tipp (dass Patrick einfach mit allen Figuren reden musste) bedankte er sich und schlug mir auf die Schulter.
„Genial! Wenn ich euch mal helfen kann, sagt Bescheid. Spielt ihr immer noch dieses Space Agents? Vielleicht hab ich ja einen Tipp für euch.”
BENHa, der war gut! Patrick ist bei Level 6 ausgestiegen. Wir waren bei Level 20! Inzwischen kannte ich die Tricks unserer Gegner – und Daniel flog den Jet, als wäre er wirklich auf der Raumakademie gewesen.
DANIEL Danke! Soll ich reinschreiben, dass ich gerade rot werde?
BENLass den Quatsch! Mach einfach weiter.
DANIEL Wo war ich? Stimmt, bei Patrick! Er kam auf die geniale Lösung: „Und wenn ihr das letzte Level einfach weglasst?”
Weglassen???
„Das wäre doch, als würde man wie verrückt für eine Klassenarbeit lernen und dann nicht hingehen”, stieß ich hervor. „Seit Wochen suchen wir die übelsten Planeten der Galaxie
ab. Überall verstreut liegen Teile einer Maschine, mit der wir am Ende die Erde retten können. Vor monstermäßigen Außerirdischen. Und diese Maschine ist die einzige, die sie besiegen kann. Das ist der Sinn des Ganzen! Das muss einen Wahnsinns-Showdown geben!”
BEN„Der muss echt gigantisch sein! Und wir sind soooo kurz davor!“
DANIEL Und dann kippte die Stimmung (VON 0 AUF 100 IN 1 SEKUNDE).
„Kurz davor waren schon viele”, sagte eine Stimme hinter Patrick. „Aber weiter geht’s nicht. Das ist ein Bug.”
Alle drehten sich um, und jemand drängelte sich durch, bis er vor mir stand. Es war der Neue. An den Namen konnte ich mich nicht erinnern. Andalf? Adalbert? Alfons? Irgendwas mit A.
BENAaron.
DANIEL Okay, dann halt irgendwas mit zwei A.
„Du weißt doch, was ein Bug ist?”, fragte er mich.
Hatte er das gerade mich gefragt? Mich!!!
BENJa, wahrscheinlich, weil du in dem Moment etwas dämlich geguckt hast.
DANIEL Nicht dämlicher als du. Aber kein Wunder, so wie der uns überfahren hat! Und dann erklärte er uns (uns!): „Ein Bug ist ein Fehler. Das Spiel ist falsch programmiert. Der Hersteller ist pleite gegangen, kurz nachdem das Spiel rauskam. Deshalb konnte er keinen Patch mehr ins Netz stellen, also keine Nachbesserung.”
„Woher willst du das wissen?”, fragte Ben.
Leider bekam er auch eine Antwort. „Mein großer Bruder hat für die Firma gearbeitet und war dabei, als Space Agents entwickelt wurde.”
Das hättet ihr sehen müssen! Dieser Satz wirkte, als hätte der Typ mitten auf dem Pausenhof sein Laserschwert gezückt. Sein Bruder war Spiele-Entwickler? Unsere Freunde wandten sich Aaron zu und ließen Ben und mich stehen wie einen kaputten Automaten, aus dem nichts mehr rauszuholen war.
BENJa, und genau zu dem Zeitpunkt hätten wir gehen sollen, dann wäre das alles sicher nie passiert. Aber da drängelte sich Aaron zurück zu uns.
„Ihr werdet im Internet keine Cheats finden“, sagte er. „Ihr wisst doch, was Cheats sind?“
Jetzt waren wir aber wirklich kurz vorm Platzen! Hielt der uns für den harten Kern der Häkel-AG, oder was?
DANIEL „Cheats sind Schummel-Codes, mit denen man in einem Computerspiel weiterkommt”, erwiderte ich lässig. „Aber das ist was für Sonntagsgamer ohne Ehrgeiz. Wir benutzen so was nicht.”
Der selbst ernannte Spieleexperte nickte – mit so einem nervigen, oberschlauen Lächeln. „Gute Einstellung. Aber in dem Fall seid ihr aufgeschmissen.” Er zwinkerte uns zu. (Und ich hasse Zwinkern!)
„Lieber aufgeschmissen als zu betrügen”, gab ich zurück. „Da drückt man irgendwas mit Steuerung und Alt, und plötzlich hat man gewonnen. Ist doch blöd!”
„Manchmal eröffnet ein Cheat ungeahnte Möglichkeiten”, sagte Aaron geheimnisvoll. „Also, wenn ihr so weit seid, dass ihr meinen Rat annehmen wollt, sagt Bescheid. Okay?”
BENIn dem Moment konnte ich dir ansehen, dass du gleich irgendwas von dir geben würdest, was du später bereust. Deshalb hab ich dich weggezogen.
DANIEL Du mich? Ich war völlig ruhig. Aber du hattest ein knallrotes Gesicht. Da dachte ich mir: Gleich gibt’s Ärger. Aus taktischen Gründen zog ich dich von Aaron weg und hob nur lässig die Hand. Das konnte „Tschüss!” heißen oder auch „Fahr zur Hölle!”.
DANIEL Nach der sechsten Stunde zog uns ein fast magischer Sog zurück an meinen Computer (KENNT IHR DOCH, ODER?), vor dem wir am liebsten zu zweit spielten. Wir wollten gleich wieder in unseren Jet steigen. (Natürlich an der Stelle, wo er noch nicht zu Weltraumstaub zerfallen war.) Wir brauchten doch keine Cheats! Wir hatten bisher alles geschafft. Und wir waren ganz heiß darauf, es Gigantus endlich zu zeigen!
Unsere erste Mission nach der Schule war allerdings eine völlig andere. Nix mit Weltraumhelden und Kampfrobotern. Nix in Level 20, sondern im Treppenhaus, zwischen dem Erdgeschoss und dem vierten Stock. Der Gegner hatte auch keine Laserwaffen, sondern eine rote Brille und hochgesteckte graue Haare: unsere Klassenlehrerin.
BENSie stand heftig keuchend hinter der Haustür, neben sich ihre Ledertasche und vier prall gefüllte Einkaufstüten. Als sie uns sah, leuchtete ihr Gesicht auf.
„Euch schickt der Himmel! Aus dem Auto habe ich die Tüten ja gerade noch geschafft, aber … ihr hättet nicht zufällig Lust, mir beim Hochtragen zu helfen?“
Wir nickten ergeben. Mit Lust hatte das nun wirklich nichts zu tun, aber wir konnten ja schlecht Nein sagen. (Schon gar nicht, bevor sie unsere Mathearbeit korrigiert hatte.)
DANIEL Na ja, es gibt schlimmere Lehrer als Frau Kramer, und sie hat es eben in den Knien. Und ich glaube, sie ist eigentlich auf unserer Seite. Sonst hätte sie meiner Mutter schon ganz andere Dinge aus der Schule erzählt …
BENDu meinst, das ist der Deal? Wir schleppen, sie schweigt?
DANIEL Na ja, so würde ich es jetzt auch nicht sagen … Egal, jedenfalls schnappten wir uns jeweils zwei Tüten und sprinteten damit an ihr vorbei in den vierten Stock, wo wir die Einkäufe vor ihre Wohnungstür stellten.
„Das ist lieb von euch!”, sagte sie mit einem breiten Lächeln, als wir auf dem Rückweg wieder an ihr vorbeikamen. Wir grinsten zurück, aber mehr Geduld konnte niemand von uns erwarten. Tür auf, ohne Umwege in mein Zimmer, Computer an!
In den nächsten zwei Stunden zockten wir, was das Zeug hielt. Und Gigantus schien mit jedem neuen Versuch zu wachsen. Er war einfach unzerstörbar! Und lernfähig. Immer wieder passte er sich unseren Strategien an und immer wieder prasselten uns die Einzelteile des Jets nur so um die Ohren.
Ich wurde immer verzweifelter. Schließlich schlug ich sogar vor, das Spiel noch mal komplett neu zu starten.
BEN„Bist du irre?“, keuchte ich. „Alles auf Anfang? Dafür brauchen wir Wochen! Vielleicht hat Aaron ja doch recht mit dem Bug.“
DANIEL Aaron! Ich konnte es nicht fassen! Wir waren doch immer diejenigen, die alles geschafft haben! Da muss man doch nicht irgendeinem Neuling glauben, der den Einschaltknopf am Computer allein findet!
BENDaniel tickte völlig aus. Sonst denkt er immer zehnmal nach, bevor sein Mund oder seine Hände sich bewegen. Aber diesmal hat sich alles gleichzeitig bewegt – ganz ohne Nachdenken.
Daniel brummte irgendwas über blöde Typen und blöde Cheats, während seine Finger die Tastatur klappern ließen. Innerhalb von Minuten durchforstete er alle Foren, in denen über Spiele diskutiert wird. Da findet man alles: Komplettlösungen, Tipps und Cheats. Von allen Spielen dieser Welt. Nur von unserem nicht. Und weil Daniel absolut hilflos aussah, fühlte ich mich unter Druck gesetzt.
Da habe ich das Erstbeste getan, was mir einfiel. Ich schob Daniel zur Seite und startete das Spiel zum gefühlt hunderttausendsten Mal. Dann flog ich mit einem Wahnsinnstempo über die steinige Wüste von Molos. Ich sah, wie sich ein riesiger Schatten zwischen den Felsen erhob. Sah, wie sich diese tödliche Maschine vor mir aufbaute und wie sich unser Untergang schon in ihren Augen spiegelte …
DANIEL Komm auf den Punkt: Und dann hast du gecheatet.
OH-OH!
BENNicht bewusst! Hastig riss ich den Jet herum und drückte irgendeine Tastenkombination. Pure Verzweiflung!
Fast im gleichen Moment spürte ich, dass etwas anders war. Der Jet flog das Wendemanöver, aber ich verlor die Kontrolle. Als hätte mir jemand den Steuerknüppel aus der Hand gerissen. Auf einmal sah ich auf dem Monitor unser Raumschiff von außen anstatt von innen. Ganz klar: Ich war nicht mehr der Pilot!
Ich starrte wie gebannt auf die Spitze des Jets, der direkt auf mich zuflog. Dicht hinter ihm folgte Gigantus.
Instinktiv duckte ich mich zur Seite. Wie peinlich!
DANIEL Wieso peinlich? Ich bin ja auch in Deckung gegangen. Zum Glück, denn knapp über uns zersplitterte der Monitor.
BENJa, die Splitter rieselten in meinen Nacken. Ich dachte schon, der Nachbar wäre mit der Bohrmaschine durch die Wand gebrochen, beim Versuch, einen Dübel zu setzen.
DANIEL Quatsch! Mir war sofort klar, dass irgendwas aus dem Bildschirm ins Zimmer gesaust war. Schließlich hab ich den Windzug gespürt. Aber wer denkt denn an so was? Als ich wieder hochkam, sah ich ihn. Unseren Jet aus dem Spiel! Ihr glaubt, das ist jetzt ein Tippfehler oder so? Nein! Er flog direkt an meinem Ohr vorbei und raste auf die Wand zu. Auf mein Star-Wars-Poster!
Er war viel zu schnell. Gleich würde er wieder aus Einzelteilen bestehen – diesmal jedoch aus echten. Aber kurz bevor das passieren konnte, wurde das Steuer herumgerissen. Der Flieger, der gerade mal dreißig Zentimeter lang war, legte eine Notlandung hin, bis er gegen mein Regal knallte. Jetzt konnte ich sogar riechen, dass das alles hier real sein musste, denn Spiele riechen nicht. Schon gar nicht nach verbranntem Teppich.
BENIch warf Daniel einen Blick zu – in der wilden Hoffnung, dass er eine Erklärung für das hatte, was hier passierte. Hatte er natürlich nicht, er starrte nur wie gebannt auf seinen Monitor. Ach du heilige Bratwurst! Kaputter ging’s nicht!
Aber das war es nicht, was ihn so nervös machte. Aus dem Schwarz des toten Bildschirms tauchte etwas Silbernes auf: ein Greifarm! Einer, der mir sehr bekannt vorkam. Drei weitere Greifarme folgten. Wie in Zeitlupe kam etwas Großes ins Zimmer!
DANIEL Gigantus – der echte Gigantus! Mit einem schmerzhaften Knacken brach der Rahmen des Monitors, als der Kampfroboter auf meinen Schreibtisch trat. Mit dem linken Metallfuß hinterließ er einen Staubabdruck auf meiner Mathe-Hausaufgabe. Sternenstaub vom Planeten Molos. (Das würde mir die Kramer nie glauben!) Mit dem rechten Fuß zerbrach er meinen Tintenkiller, als wäre er aus Schokolade. Dann wendete er ganz langsam den Kopf, bis er uns direkt ansah … als wären wir … Futter?
BENSo habe ich mich auch gefühlt, bei diesem Wesen aus Metall. Das war gigantisch!
DANIEL Na ja, nicht dass das falsch rüberkommt: So groß wie im Spiel war Gigantus natürlich nicht mehr. Vielleicht 80 Zentimeter.
BEN80 Zentimeter Metall, das zählt doppelt!
DANIEL Auf jeden Fall groß genug, um sich auf uns zu stürzen. Aber sein Computerhirn brauchte wohl ein paar Sekunden, um sich neu zu orientieren.
Mein Hirn allerdings auch. Hier half kein Joystick mehr, aber vielleicht die Tastatur! Gigantus’ Augen erfassten mich wie die Zielvorrichtung einer Waffe. Bevor er etwas tun konnte, das mir nicht gefiel, zog ich die Gardine zurück, riss das Fenster auf und griff nach der Tastatur. Dann holte ich damit aus und schlug zu.
Wie mit einem Tennisschläger.
BENVerblüfft sahen wir Gigantus nach, der zwar durchs Fenster flog, aber nichts von den Gesetzen der Physik zu halten schien. Anstatt steil abwärts Richtung Gehweg zu stürzen, blieb er mitten in der Luft stehen. Sein Antrieb spotzte leicht, dann zündete er die Triebwerke unter seinen Metallfüßen und schoss in den Nachthimmel. Weg war er.
„Hast du das eben echt getan?“, fragte ich. „Den unbesiegbaren Gigantus mit einer Tastatur ins All gekickt?“
Was mich daran wirklich umhaute, war, dass Daniel zum ersten Mal, seit wir uns kennen, spontan gewesen war.
DANIEL Das war nicht spontan. Es war logisch. Die einzig mögliche Taktik gegen einen überlegenen Gegner: ihn aus dem Spiel kicken, bevor er es merkt.
BENÄhm, das ist spontan. Und ich konnte Daniels Gesicht ansehen, dass sein Denkapparat erst verspätet wieder einsetzte.
„Ich glaube, er wollte sowieso gerade gehen“, murmelte er.
Das war so bescheuert, dass ich laut anfing zu lachen. Wir beide lachten, als hätten wir Seifenblasen im Kopf.
DANIEL „Ja, der ist jetzt auf dem Weg zum Mond!”, prustete ich bei der Vorstellung, dass Gigantus endlich besiegt war.
„Wohl kaum”, sagte eine Stimme hinter uns. „Seine Energie reicht nicht aus, um die Anziehungskraft dieses Planeten zu überwinden.”
Ich drehte mich um, aber außer Ben war niemand zu sehen. Und aus dem kaputten Computer konnte ja nichts mehr kommen.
„Bis eben wussten wir immerhin, wo Gigantus sich aufhält”, fügte die Stimme verärgert hinzu. „Jetzt ist er eine Gefahr, die jederzeit aus dem Nichts auftauchen kann.”
DANIEL Ben und ich warfen uns einen ratlosen Blick zu. Wo kam die Stimme her?
Radio? Handy? Durchgeknallt?
BENDa bemerkte ich aus den Augenwinkeln, dass etwas unter das Bett huschte. Wie eine dicke Spinne oder eine Maus. Doch als ich näher hinsah, fielen mir fast die Augen aus dem Kopf. Daniels Blick war ähnlich belämmert wie meiner.
DANIEL Wir konnten es kaum fassen. Hinter einem der Bettpfosten standen zwei winzige Gestalten, die sich vor uns versteckten. Ich weiß, was ihr denkt: dass es Playmobilfiguren waren. Die Größe hätte auch gepasst, aber die beiden bewegten sich. Sie streckten ihre Köpfe um die Ecke und umklammerten den Pfosten mit ihren Händen. Es waren Minimenschen!
„Hallo?”, sagte ich. (Genialer Erstkontakt, ich weiß, aber mir fiel nichts Besseres ein.)
Die Gestalten zogen sich erschrocken zurück und tuschelten.
„Wer seid ihr?”, stieß Ben hervor.
Eine Weile blieb es still. Dann streckte der linke der beiden wieder den Kopf hervor. „Wo sind wir hier gelandet?”
„In Goslar. Im Harz”, antwortete ich. „Niedersachsen.”
„Was war jetzt der Name des Planeten?”, kam es unter dem Bett hervor. „Imharz?”
Irgendwas piepte, dann folgte ein Bong! – wie bei meinem Computer, wenn er einen Befehl nicht ausführen konnte.
„Gibt’s nicht auf meiner Sternenkarte.”
„Sternenkarte?”, kicherte ich. „Goslar liegt links vom Jupiter, mit Blick auf den Andromeda-Nebel.”
HILFE! MEIN NAVI SPINNT!
Unter dem Bett piepte es schon wieder, als würde jemand die neuen Infos eintippen. Dann machte es: Bong! Bong!
Ben warf mir einen Mörderblick zu.
BENDas war auch unfair, schließlich waren die beiden fremd hier.
„Wie heißt der Planet?“, fragte die Stimme jetzt in einem Ton, als hielte sie uns für Vollpfosten.
„Und wie viele Punkte bringt er?“
Ups! Den letzten Teil der Frage ließ ich mal lieber unbeantwortet.
„Der Planet heißt Erde“, erwiderte ich.
DANIEL Das hat die beiden Bruchpiloten ziemlich aufgescheucht. Nun schoss auch der zweite Kopf hinter dem Bettpfosten hervor.
„Erde?”, wiederholte der linke Typ, offenbar der Anführer. „Du lügst! Wir kommen von der Erde – und da gibt es keine Monster.”
„Monster? Wo?”
Hastig sah ich mich um. Waren noch mehr Wesen aus dem Spiel in meinem Zimmer gelandet?
BEN