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Um die Unschuld ihres Vaters zu beweisen, verstrickt sich Robina in ein gefährliches Spiel zwischen Risiko, verzehrender Leidenschaft und Täuschung. Den attraktiven Strafverteider Dorian Fullham kann sie als Anwalt nur gewinnen, wenn sie vorgibt, eine andere zu sein. Vom ersten Augenblick an erliegt sie seiner starken Anziehungskraft und lässt sich auf einen riskanten Deal ein. Doch mit einem Mann wie Dorian spielt man nicht ungestraft.
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Seitenzahl: 179
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Impressum neobooks
"Alle Personen und Handlungen dieser Geschichte sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.“
Copyright by Alexa Malon
„Mein Vater sagt immer: „Gerechtigkeit ist eine Hure. Sie macht die Beine nur für den breit, der sie bezahlen kann.“
Mein Vater hat Geld. Sehr viel Geld. Doch es nützt ihm nichts. Die Hure, die er zu bezahlen hat, will nicht nur Geld. Sie will viel mehr. Lebenslänglich haben sie ihm aufgebrummt. Obwohl er unschuldig ist. Das wissen er und die. Und das weiß ich. Nur beweisen kann ich es nicht. Noch nicht.“
Im Gerichtssaal ist es plötzlich totenstill. Kein Gemurmel, kein Räuspern, nichts. Eine fast schon gespenstige Stimmung. Meine Finger krallen sich ineinander. Mein Herz rast vor Anspannung. Richter Armin Reinhardt legt eine dramatische Pause ein, bevor er mit der Urteilsverkündigung fortfährt. Ich könnte ihn umbringen. Jetzt kriegt er auch noch einen Hustenanfall und muss erst einen Schluck Wasser trinken, eher er dann endlich in diesem nüchternen und vollkommen emotionslosen Tonfall fortfährt.
„Und deshalb wird in dem Mordfall Marek Nowak sowie den vier weiteren Opfern der Klage der Staatsanwaltschaft stattgegeben. Der Angeklagte Laurenz Bogner wird des vorsätzlichen Mordes schuldig gesprochen und zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt.“
Das kann jetzt nicht wahr sein!
Mir stockt der Atem. Alles in mir verkrampft sich. Wie durch Nebel registriere ich den plötzlichen Stimmungsumschwung im Saal. Der Anwalt meines Vaters, ein kleiner, blasser Typ mit Brille und ohne jegliche Ausstrahlung sinkt auf seinen Stuhl, mein Onkel Mick, der neben ihm sitzt, springt auf, brüllt wütend herum, während meine Tante Susan versucht, ihn zurückzuhalten.
Auf der rechten Seite bricht hingegen Jubel aus. Eine schwarzgekleidete Frau – ich nehme an, Marek Nowaks Witwe – weint vor Freude. Der Mann an ihrer Seite, ein hagerer Typ mit zotteligen, grauen Haaren und dünnen Lippen, streckt triumphierend seinen Arm in die Höhe und macht Siegerposen. Onkel Mick will sich auf ihn stürzen, wird jedoch sofort von den Sicherheitsbeamten im Saal überwältigt und ausgebremst. Ich blicke entsetzt zu meinem Vater, der sich eben erhebt und von drei Beamten abgeführt wird. Da seine Hände und Füße mit Handschellen gefesselt sind, kann er nur kleine Schritte machen. Der Schock steht ihm ins Gesicht geschrieben. Fassungslos schüttelt er seinen Kopf. Er sieht müde aus und um Jahre gealtert. Keine Spur mehr von dem selbstbewussten und charismatischen Mann, mit dem ich mich das letzte Mal vor ein paar Monaten in New York getroffen habe. Ich spüre, wie mir die Tränen in die Augen schießen und versuche, sie mühsam zu unterdrücken. Ich will kein Aufsehen erregen und erst recht nicht, dass sich die Journalisten wie die Hyänen auf mich, die Tochter von Laurenz Bogner, dem angeblichen Mörder, stürzen.
Bis auf die Presse ist die Öffentlichkeit von dieser Verhandlung ausgeschlossen. Deshalb habe ich mich offiziell selbst als Journalistin hier hereingeschmuggelt. Ich wollte dabei sein, mir mein eigenes Bild machen. Noch weiß keiner, dass ich aus LA zurück bin. Ich bin losgeflogen, euphorisch und mit der wahnwitzigen Idee, meinen Vater zu retten. Doch jetzt sinkt meine Hoffnung gerade in den Keller. Die Beweislage scheint eindeutig, das Urteil ist gefällt. Trotzdem weiß ich tief in meinem Herzen, dass hier irgendetwas nicht stimmt. Mein Vater ist weiß Gott kein Heiliger, aber er ist kein Mörder. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Scheiß auf die Beweise!
Ich packe mein Notizbuch in meine Tasche, springe auf und mische mich eilig unter die aus dem Saal strömenden Leute. Da erhebt sich plötzlich vor mir ein Mann, wirft lässig seine dunkelblaue Designersteppjacke über die breiten Schultern und versperrt mir den Weg. Er ist groß, hat kurze, ziemlich verstrubbelte, schwarze Haare und trägt sein dunkles Hemd mehr nachlässig als lässig über der Jeans. Die Ärmel sind bis zum Ellbogen hochgerollt und geben einen Blick auf seine kräftigen Unterarme frei. Ich schätze ihn auf Ende dreißig, also gut und gerne acht oder neun Jahre älter als ich. Auf den ersten Blick sieht er aus wie einer der unzähligen Journalisten hier. Als ich jedoch kurz sein Gesicht sehe, fällt mir auf, dass sich hinter der finsteren Miene so etwas wie Genugtuung und Befriedigung verbirgt. Seine dunklen Augen sind schmal zusammengezogen, seine Kiefermuskulatur zuckt, als würde er gerade mit den Zähnen knirschen. Er sieht nicht unbedingt umwerfend gut aus, dafür sind seine Gesichtszüge etwas zu kantig, die Nase zu ausgeprägt und Rasieren ist offensichtlich auch nicht so sein Ding. Aber er hat eindeutig etwas sehr Faszinierendes. Und dieses etwas zieht mich geradezu magisch an, lässt mich für einen Moment alles andere vergessen. Ganz dicht stehe ich nun hinter ihm, kann den Geruch von seinem teuren Aftershave riechen. Sandelholz gemischt mit etwas Herbem oder Tabak. Die Frau hinter mir drängelt ungeduldig und schupst mich. Prompt falle ich ihm in den Rücken.
Wie peinlich ist das denn?
Jäh dreht er sich um, nimmt mich mit seinen stahlgrauen Augen finster ins Visier.
Oh mein Gott! Was ein Blick!
Der schießt mir direkt unter die Haut. Schon zuckt ein feiner Stromschlag durch meinen Körper, löst ein wohliges Prickeln aus. Ein untrügliches Zeichen, das ich aber jetzt so gar nicht gebrauchen kann.
„Tut mir leid.“, stammele ich wie benommen, doch er hat sich schon wieder umgedreht.
Shit!
Plötzlich bereue ich meine alberne Verkleidung, den langweiligen Pagenschnitt und die bescheuerte Brille. Ich sehe aus, wie eine dieser Ökotanten aus dem Bioladen gegenüber. Kein Wunder, dass er mich keines Blickes mehr würdigt und stattdessen Richtung Ausgang eilt. Sekunden später habe ich ihn aus den Augen verloren. Das lautstarke Fluchen meines Onkels Mick hinter mir, reißt mich in die Realität zurück und zu dem Grund, warum ich eigentlich hier bin. Hastig schlängele ich mich durch die Menschenmenge hindurch, renne durch das Gerichtsgebäude nach draußen, über die Straße und in den Park. Grell scheint mir die Sonne ins Gesicht. Die Brille verzerrt das Bild um mich herum. Es ist elf Uhr vormittags und die ersten Junkies und Dealer versammeln sich gerade um die paar wenigen Bänke. Die Grasflächen neben dem Gehweg sind von Spritzen, leeren Dosen und sonstigem Müll übersät. Ich sehe zu, dass ich so schnell wie möglich durch den Park komme, reiße mir beim Laufen die widerlich kratzende Perücke vom Kopf, nehme die alberne Brille ab und werfe alles zusammen mit dem gefakten Presseausweis in den nächsten Mülleimer.
Das kühle Wasser im Pool tut gut. Eigentlich schwimme ich lieber im Meer und hasse Indoorpools, aber ich brauche irgendeine Bewegung, um runterzufahren und mich zu konzentrieren. Während ich Bahn um Bahn ziehe, rotiert es in meinem Gehirn, aber die Gedanken sind zu durcheinander, um zu irgendeinem Ergebnis oder Plan zu kommen. Der Pool im Hilton ist nicht besonders lang. Kein Vergleich mit den Poolgrößen in amerikanischen Hotels. Nach ein paar Schwimmzügen erreiche ich den Beckenrand, drehe um und schwimme zurück zum anderen Ende. So ungefähr muss sich ein Goldfisch in einer Glaskugel fühlen. Nur ein paar wenige Hotelgäste tummeln sich um diese Zeit auf den Liegen. Ich spüre die teils heimlichen, teils unverhohlen interessierten Blicke der Männer und die abschätzenden Blicke einiger Frauen, als ich nach zwanzig Minuten aus dem Wasser klettere, mich abtrockne und Richtung Sauna marschiere. Hundertzehn Grad müssen es mindestens sein, damit ich annähernd ins Schwitzen komme. Doch als ich nackt mit dem Handtuch unterm Arm die Tür von der hundertzehn Grad Sauna öffne, glotzen mich vier fette, ältere Typen an, die verteilt in der ganzen Sauna sitzen. Ich vermute, es sind Banker oder irgendwelche Manager. Entnervt drehe ich mich um und kann förmlich fühlen, wie sie alle auf das kleine Schmetterlings-Tattoo auf meinem Hintern starren. Es ist sehr sexy, aber trotzdem bereue ich es mittlerweile. Der Gedanke, wie der Schmetterling wohl aussehen wird, wenn ich mal älter bin und mein Hintern dünn und faltig wird, kam mir leider erst später. Ich schließe die Tür wieder, da ich keine Lust habe, mich zwischen ein paar notgeile Spanner zu setzen. Scheiß auf Sauna.
Ich verlasse das Spa, fahre mit dem Lift auf mein Zimmer und lege mich im Bademantel aufs Bett. Die riesige Fensterfront gibt den Blick auf die Skyline von Frankfurt frei. Verborgen hinter all den luxuriösen und schimmernden Wolkenkratzern verbergen sich das Bahnhofsviertel und mit ihm die dunkle Seite der Bankenstadt. Angefangen von den schäbigsten Puffs, Assi-Kneipen, Spielhöllen, Bordellen bis hin zu den exklusiveren Clubs. Hier beginnt das wahre Imperium meines Vaters, neben ganz normalen Mietshäusern, Bars und Diskotheken in der Stadt. Ihm gehören ganze Straßenzüge des Bahnhofsviertels, zahlreiche Nutten-Appartements, Bars und der berühmt-berüchtigte Volve Club, ein Edel-Bordell, in dem die VIP’s verkehren. Diskret und anonym, versteht sich. Der andere Teil der Meile ist oder vielmehr war fest in der Hand von Marek Nowak. Dem Mann, den mein Vater angeblich erschossen haben soll. Zusammen mit vier von Nowaks Männern. Richter Reinhardt sprach von einem regelrechten Massaker. Einer Hinrichtung. Mein Vater würde niemals so etwas tun, geschweige denn auch nur eine Waffe anrühren. Wenn das noch einer weiß außer mir dann sein Bruder und bester Freund und Vertrauter, mein Onkel Mick. Ich muss mit ihm reden. Gleich morgen. Ich rolle mich auf dem riesigen Bett herum und starre an die Decke. Meine Gedanken wandern zurück zu dem Mann aus dem Gerichtssaal und ich spüre wieder dieses Prickeln in meinem Körper. Dieser Typ hat so aufregend und sexy ausgesehen. Die Chance, ihn wiederzusehen ist jedoch gleich null. Echt schade. Aber besser so. Ich muss mich schließlich auf andere Dinge konzentrieren.
„Robinchen! Was eine Überraschung!“
Onkel Mick breitet seine schwammigen Arme aus und drückt mich an sich. Auf seiner Anzugjacke zeichnen sich dunkle Ränder unterhalb der Achseln ab. Es sind achtundzwanzig Grad. Absolut kein Wetter für ein strenges Businessoutfit, aber Onkel Mick trägt immer Anzug, Hemd und Krawatte. Seit ich mich erinnern kann. Sein scharfer Schweißgeruch steigt mir in die Nase und ich versuche, das Atmen einzustellen, bis er mich endlich wieder loslässt.
„Wann bist du angekommen?“ Er schiebt mich ein Stück weg und mustert mich wohlwollend.
„Heute Morgen.“, lüge ich und lächele.
„Komm‘ rein, Mädchen. Susan wird sich freuen, dich mal wieder zu sehen.“ Er dreht sich um und brüllt laut in den Hausflur. „Susan?“
Ich schaue mich kurz um. Oberhalb der feudalen Eingangstür der Villa sind gleich drei Kameras befestigt. Das schmiedeeiserne Eingangstor zur Straße wird von Sicherheitsleuten bewacht. Rundum um den Park ähnlichen und prachtvoll angelegten Garten ist eine hohe Steinmauer gezogen, die oberhalb nochmal mit Stacheldraht versehen ist. Wenn’s hier nicht so schön wäre, könnte man direkt denken, man wäre im Knast. Der berühmte goldene Käfig. Aber Onkel Micks Villa ist nicht die einzige hier in Kronberg, einer noblen Wohngegend im Taunus, die so abgesichert ist. Genau wie überall auf der Welt, wollen die Reichen unter sich sein. Abgeschirmt von den Normalsterblichen. Onkel Mick zieht mich in die atriumförmige Eingangshalle, gleich darauf höre ich leise Schritte auf dem Parkett. Meine Tante Susan eilt herbei. Sie ist noch kleiner und zierlicher als ich sie in Erinnerung habe. Ihr Gang wirkt ein wenig unsicher, so als hätte sie Gleichgewichtsstörungen. Auch sie trägt Bluse und Kostüm und reißt erstaunt die Augen auf, als sie mich sieht.
„Robina! Wie schön dich mal wieder zu sehen.“
Ihre Stimme klingt weich und sanft. Als wir uns umarmen, kann ich fühlen wie dünn und fast zerbrechlich sie ist. Im Gegensatz zu Onkel Mick duftet sie lieblich und nach Blumen. Auf ihren Lippen liegt ein Lächeln, das ihre hellen Augen jedoch nicht erreicht. Ihre Wangen sind eingefallen. Die Haut blass. Sie sieht alles andere als gesund aus. Glücklich schon mal gar nicht aus. Ich vermute, sie ist magersüchtig. Neben meinem Onkel wirkt sie auf jeden Fall wie ein kleiner Spatz. Während Onkel Mick eine fast unangenehm laute Stimme hat, haucht Tante Susan mehr, als dass sie spricht. Die beiden wirken rein äußerlich schon so verschieden wie Feuer und Eis. Trotzdem sind sie seit über dreißig Jahren verheiratet und haben eine Tochter. Nicht zum ersten Mal frage ich mich, wie diese Ehe überhaupt funktionieren kann? Onkel Mick ist zwar auch nicht so groß, hat aber einen massiven Körperumfang, ohne dabei dick zu sein. Vielmehr ist alles irgendwie gewaltig an ihm. Selbst sein breites Gesicht mit der dicken, rötlichen Nase und den wulstigen Lippen. Seine kurzrasierten, blonden Haare bedecken seinen Schädel nur noch dürftig. Im Gegensatz zu meinem Vater, der groß und gut gebaut ist, immer noch sein volles, wenn auch mittlerweile graumeliertes Haar und stets ein verschmitztes Lächeln im Gesicht hat, wirkt Onkel Mick schon immer wie ein ungelenkes Walross.
Ich kann nicht behaupten, dass ich einen Draht zu Tante Susan und Onkel Mick habe, auch wenn sie mit mir verwandt sind. Dazu sehe ich sie zu wenig. Eigentlich habe ich außer zu meinem Vater und meiner Mutter überhaupt keine verwandtschaftlichen Beziehungen. Meine Großeltern, sowohl väterlicher als auch mütterlicherseits habe ich nie kennengelernt. Die Verbindung zu meinen Eltern wurde abgebrochen. Mein Vater und mein Onkel waren die schwarzen Schafe der Familie. Meine Mutter wurde enterbt und geächtet, als sie Laurenz geheiratet hat. Mit Leuten aus dem Milieu will eben keiner etwas zu tun haben. Irgendwann hat das auch meine Mutter begriffen und Laurenz verlassen, obwohl sie ihn angeblich über alles geliebt hat. Die Ehe mit dem amerikanischen Filmproduzenten Peter Goodman, dessen Familienname ich trage, hat allerdings auch nicht lange gehalten. Ich nehme an, er war nur ihr Sprungbrett in das Filmgeschäft. Nach ihrem Durchbruch als Schauspielerin hat sie ihn fallen lassen, wie eine heiße Kartoffel.
„Gehen wir in den Garten?“ Tante Susan deutet auf die Terrassentür.
„Gerne.“ Sehnsüchtig blicke ich auf die überdachte, schattige Terrasse.
„Zu heiß. Ins Esszimmer.“, kommandiert Onkel Mick.
Tante Susan zuckte bedauernd die Schultern und fügt sich gehorsam.
Minuten später sitzen wir im klimatisierten Esszimmer, das ungefähr so groß wie mein ganzes Appartement in LA ist. Eine Haushälterin serviert Kaffee und kühle Getränke.
„Wie geht’s deiner Mutter?“, erkundigt sich Tante Susan nun.
„Gut, danke. Sie dreht gerade einen neuen Film.“, erwidere ich etwas ungeduldig. Das Letzte was ich jetzt gerade will, ist über meine Mum zu reden.
„Hast du mitbekommen, wie der Prozess gestern ausgegangen ist?“, wirft Onkel Mick ein, so als hätte er meine Gedanken erraten.
„Ja. Ich hab‘s im Internet gelesen.“
„Schlimme Sache.“ Onkel Mick wiegt bedächtig seinen Kopf. „Sehr schlimm. Für uns alle.“
„Das ist doch alles Bullshit!“, bricht es aus mir heraus. „Laurenz ist kein Mörder! Das würde jeder schwören, der ihn kennt.“
„Glaub‘ mir, ich habe alles versucht. Die besten Anwälte, Privatdetektive, aber keiner konnte irgendetwas abliefern, was ihn entlastet hätte.“
Onkel Mick schaut mich an. Ein trauriger Zug liegt in seinem Blick.
„Ich weiß‘ ja.“, erwidere ich eine Spur ruhiger. „Aber wir müssen doch irgendetwas machen! In Revision gehen. Es kann doch nicht sein, dass er den Rest seines Lebens im Knast sitzen muss für etwas, was er gar nicht getan hat.“
„Vergiss es Robina. Es ist aussichtslos.“
„Du kannst ihn doch nicht einfach so aufgeben!“
„Was denkst du von mir?“ Onkel Mick wird plötzlich unangenehm laut. „Er ist mein Bruder, mein Fleisch und Blut. Ich würde alles dafür geben, ihm zu helfen.“
Seine Augen werden wässrig und ich schlucke schuldbewusst. Das war unfair von mir. Ich weiß, dass Onkel Mick mit Sicherheit alle Register gezogen hat, um Laurenz frei zu kriegen. Wahrscheinlich hat er sogar versucht, Polizeibeamte und Richter zu bestechen.
„Trotzdem muss es doch irgendeinen Weg geben.“
So schnell werfe ich die Flinte nicht ins Korn. Onkel Mick wirft Tante Susan einen kurzen, scharfen Blick zu. Hastig springt sie auf, murmelt irgendeine Entschuldigung und geht aus dem Zimmer. Die Tür fällt hinter ihr ins Schloss. Onkel Mick schaut mich ernst an.
„Auch wenn es mir das Herz bricht, dir das jetzt zu sagen, aber es gibt absolut nichts, was wir noch tun können.“
„Ich will wissen, was wirklich passiert ist!“
„Halt‘ dich da raus. Dieses Geschäft ist hart und du hast keine Ahnung, zu was der Nowak-Clan fähig ist. Was denkst du, weshalb dein Vater und ich dich und den Rest unserer Familie all die Jahre immer abgeschirmt haben? Ich will nicht, dass noch jemand von uns zu Schaden kommt. Haben wir uns verstanden?“, blafft mich Onkel Mick aufgebracht an. Die Traurigkeit in seinen Augen ist weg, dafür steht jetzt Ärger in seinem Gesicht. Enttäuscht wende ich mich ab. Auch wenn ich weiß, dass er Recht hat, so hatte ich mir irgendwie doch mehr Unterstützung und Kampfgeist von ihm erhofft.
„Wie lange wirst du in Frankfurt bleiben?“ Onkel Micks Stimme klingt wieder eine Spur ruhiger.
„Weiß ich noch nicht genau.“, antworte ich ausweichend.
Er steht auf und packt mich an den Schultern. „Schau Mädchen, mach‘ dir ein paar schöne Tage und dann flieg‘ zurück zu deiner Mutter. Da bist du besser aufgehoben und sicherer als hier, glaub‘ mir.“
Ich denke ja nicht im Traum daran, aber um den Familienfrieden zu retten, nicke ich.
„Wo wohnst du?“
„Im Hilton.“
„Warum kommst du nicht zu uns? Susan kann dir das Gästezimmer richten lassen.“
„Das ist lieb, aber ich möchte lieber in der Stadt sein. Bisschen shoppen gehen und ein paar Freundinnen besuchen.“
Auf gar keinen Fall will ich im goldenen Käfig wohnen.
„Gute Idee. Warte, ich hab‘ noch was für dich.“
Er geht aus dem Esszimmer und kommt kurz darauf mit ein paar VIP-Karten für Clubs, die zum Familienimperium gehören, zurück.
„Hier.“ Er drückt mir die Karten in die Hand. „Wenn du Party machen willst mit deinen Freundinnen.“
Als ob er mir danach der Sinn steht. Außerdem habe ich gar keinen Freundinnen mehr in der Stadt. Die paar wenigen von früher leben mittlerweile Gott weiß wo. Mit einem Nicken lasse ich die Karten in meiner Handtasche verschwinden und stehe auf.
„Melde dich, falls es irgendwelche Probleme gibt.“, fordert mich Onkel Mick auf.
„Mach‘ ich, danke. Und noch schöne Grüße an Tante Susan.“
„Richte ich aus. Melli hat übrigens letztes Jahr geheiratet. Netter Kerl. Investmentbanker. Hat Geld wie Heu!“
Onkel Mick schaut mich irgendwie lauernd an. Melli ist meine zwei Jahre jüngere Cousine. Dumm wie Sand und eine absolut verwöhnte Bitch. Ich glaube, sie hat nicht mal einen richtigen Schulabschluss trotz der teuren Internate. Kein Wunder, dass sie sich mit ihren vierundzwanzig den erstbesten Kerl gegriffen hat und jetzt auf brave Ehefrau macht.
„Gut für sie.“, erwidere ich.
In seinem Blick steht ein unausgesprochener Vorwurf. Männer wie mein Onkel Mick betrachten Frauen lediglich als den hübschen Schmuck an ihrer Seite. Für sie sind Frauen dazu da, möglichst viele Söhne und Töchter zu gebären. Der Mann verdient das Geld. Die Frau darf es ausgeben und hin und wieder in der Öffentlichkeit bei Wohltätigkeitsveranstaltungen glänzen. Im Gegenzug wird sie beschützt und abgeschirmt und kann ein sehr luxuriöses Leben führen. Darüber hinaus hat sie keine wirkliche Funktion. Niemals darf sie Fragen stellen. Oder irgendwie aufmucken. Gott sei dank sieht Laurenz das anders. Auch wenn ich mir sicher bin, dass er mich gerne in festen Händen und außerhalb der Schusslinie sehen würde. Dafür bin ich aber zu neugierig und zu abenteuerlustig. Außerdem habe ich seinen Dickschädel geerbt. Die Chancen, dass ich das gleiche Schicksal wie Melli erlebe, sind - zumindest im Moment - gleich null. Enttäuscht, aber nicht entmutigt verlasse ich die Villa und steige in das Taxi. Vielleicht waren meine Erwartungen ja überzogen, denn irgendwie hatte ich mir ein bisschen mehr Unterstützung von Onkel Mick erhofft.
Der Fahrer, ein unscheinbarer junger Kerl, hat auf mich gewartet. Mit laufender Uhr. Ein guter Tag für ihn. Zum Glück ist er einer von der Sorte, die einem nicht die ganze Zeit zu texten. Früher dachte ich immer, es hat was mit Kundenfreundlichkeit zu tun, wenn Taxifahrer ununterbrochen labern. Mittlerweile weiß ich, dass das meistens Menschen sind, die die Stille nicht ertragen können, schon gar nicht auf engem Raum mit anderen. Ich werfe einen Blick aus dem Fenster und auf all die prachtvollen Villen, während das Taxi den Stadtrand von Kronberg erreicht.
Geld zu haben ist geil.
Ich gehöre nicht zu den Leuten, die diese Tatsache verleugnen. Und ich gebe auch nur bedingt etwas auf den Spruch „Geld allein macht nicht glücklich“. Zumal er meistens von Menschen kommt, die überhaupt kein Geld haben. Mir hat all das Geld, das meine Eltern verdienen, viele Türen geöffnet. Bis dato konnte ich immer genau das machen, wozu ich Lust hatte und was mich am meisten interessiert hat. Ich habe in Cambridge und Philadelphia studiert. Sprachen, Psychologie und ein paar Semester Kriminalistik in Berlin. Inspiriert von der Arbeit meiner Mutter, die als Schauspielerin ihren Durchbruch in Amerika geschafft hat, war ich sogar über ein Jahr auf einer Schauspielschule in New York. Ich bin schon als Kind für mein Leben gerne in andere Rollen geschlüpft, habe Menschen imitiert und mich verkleidet. Ich kann fast jeden deutschen Dialekt und einige amerikanische und britische. Aber die Film- und TV-Welt ist nicht meine. Sie ist mir zu oberflächlich. Alle machen sie auf dicke Freunde und im nächsten Moment rammen sie sich gegenseitig das Messer in den Rücken. Sie sind so berechenbar und im Grunde genauso langweilig, wie die Menschen, auf die sie herabblicken. Meine Mutter denkt, ich hätte das Zeug zur Schauspielerin und kann meine Entscheidung bis heute nicht verstehen. Muss sie aber auch nicht. Ich gehe meinen eigenen Weg und mache lieber das, was mich wirklich interessiert. Manche würden sagen, ich lebe in den Tag hinein. Und oft ist es auch so. Denn im Grunde hatte ich nie wirklich ein Ziel in meinem Leben. Oder eine richtige Aufgabe.
Doch das hat sich jetzt geändert.