Gangsterschach - Günter Dönges - E-Book

Gangsterschach E-Book

Günter Dönges

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Beschreibung

Butler Parker ist ein Detektiv mit Witz, Charme und Stil. Er wird von Verbrechern gerne unterschätzt und das hat meist unangenehme Folgen. Der Regenschirm ist sein Markenzeichen, mit dem auch seine Gegner öfters mal Bekanntschaft machen. Diese Krimis haben eine besondere Art ihre Leser zu unterhalten. Butler Parker ist seinen Gegnern, den übelsten Ganoven, auch geistig meilenweit überlegen. In seiner auffallend unscheinbaren Tarnung löst er jeden Fall. Bravourös, brillant, effektiv – spannendere und zugleich humorvollere Krimis gibt es nicht! Butler Parker befand sich in einer seelischen Verfassung, die man als heiter und ausgelassen bezeichnen konnte. Er hielt seine bewährte Gabelschleuder in Händen und war gerade dabei, die dritte Fensterscheibe zu zertrümmern. Er hatte einen runden Kieselstein in die Lederschlaufe der Schleuder gelegt, spannte die beiden starken Gummistränge und visierte das Fenster an. Nachdem er die Lederschlaufe freigegeben hatte, jagte der erwähnte Kieselstein in rasantem Flug durch die Luft und erreichte Sekundenbruchteile später bereits die Scheibe, die explosionsartig auseinanderflog. Parker überlegte, ob er nicht noch ein viertes Fenster zertrümmern sollte. Noch hatte sich in dem Landhaus hinter der hohen Taxushecke nichts gerührt. Die Bewohner waren wohl noch intensiv damit beschäftigt, diese Morgengabe psychisch zu verdauen. Als Parker das wütende Kläffen eines Hundes hörte, legte er die Sportschleuder zusammen, steckte sie in die Innentasche seines schwarzen Zweireihers und hängte den altväterlich gebundenen Regenschirm korrekt über den angewinkelten linken Unterarm. Er schritt gemessen weiter und bot ein Bild würdevoller Unschuld. Er zuckte mit keiner Wimper, als zwei Dobermänner aus dem Gartentor schossen und Kurs auf ihn nahmen. Josuah Parker blieb stehen, zeigte jedoch keine Angst. Er hatte das ausdruckslose Gesicht eines berufsmäßigen Pokerspielers, der sich durch nichts erschüttern läßt. Die beiden starken Hunde hatten ihn erreicht und verharrten. Sie waren irritiert, weil dieser Zweibeiner nicht ängstlich zurückwich, wie sie es gewöhnt waren. Die Geschmacksknospen in ihren Nasen meldeten auch nichts von Angstschweiß. »Zurück! Bei Fuß!« Eine helle, fast peitschende Stimme rief die beiden Dobermänner zurück. Ein Mann von etwa dreißig Jahren kam aus dem Garten und musterte den Butler. Er trug einen Jeansanzug, war schlank und wirkte sportlich durchtrainiert.

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Butler Parker – 154 –

Gangsterschach

Günter Dönges

Butler Parker befand sich in einer seelischen Verfassung, die man als heiter und ausgelassen bezeichnen konnte.

Er hielt seine bewährte Gabelschleuder in Händen und war gerade dabei, die dritte Fensterscheibe zu zertrümmern. Er hatte einen runden Kieselstein in die Lederschlaufe der Schleuder gelegt, spannte die beiden starken Gummistränge und visierte das Fenster an. Nachdem er die Lederschlaufe freigegeben hatte, jagte der erwähnte Kieselstein in rasantem Flug durch die Luft und erreichte Sekundenbruchteile später bereits die Scheibe, die explosionsartig auseinanderflog.

Parker überlegte, ob er nicht noch ein viertes Fenster zertrümmern sollte. Noch hatte sich in dem Landhaus hinter der hohen Taxushecke nichts gerührt. Die Bewohner waren wohl noch intensiv damit beschäftigt, diese Morgengabe psychisch zu verdauen.

Als Parker das wütende Kläffen eines Hundes hörte, legte er die Sportschleuder zusammen, steckte sie in die Innentasche seines schwarzen Zweireihers und hängte den altväterlich gebundenen Regenschirm korrekt über den angewinkelten linken Unterarm. Er schritt gemessen weiter und bot ein Bild würdevoller Unschuld. Er zuckte mit keiner Wimper, als zwei Dobermänner aus dem Gartentor schossen und Kurs auf ihn nahmen.

Josuah Parker blieb stehen, zeigte jedoch keine Angst. Er hatte das ausdruckslose Gesicht eines berufsmäßigen Pokerspielers, der sich durch nichts erschüttern läßt.

Die beiden starken Hunde hatten ihn erreicht und verharrten. Sie waren irritiert, weil dieser Zweibeiner nicht ängstlich zurückwich, wie sie es gewöhnt waren. Die Geschmacksknospen in ihren Nasen meldeten auch nichts von Angstschweiß.

»Zurück! Bei Fuß!« Eine helle, fast peitschende Stimme rief die beiden Dobermänner zurück.

Ein Mann von etwa dreißig Jahren kam aus dem Garten und musterte den Butler. Er trug einen Jeansanzug, war schlank und wirkte sportlich durchtrainiert.

»Ich gestatte mir, Ihnen einen schönen Tag zu wünschen«, sagte Josuah Parker und lüftete seine schwarze Melone. »Sie besitzen zwei Hunde, die bemerkenswert sind.«

»Haben Sie irgendeinen anderen Menschen gesehen?« fragte der Mann und schaute die Straße hinunter.

»Dies allerdings«, bestätigte der Butler in einer höflichen Art, die aber nichts mit servilem Benehmen zu tun hatte. »Ich komme gerade aus der City von London. Meiner bescheidenen Schätzung nach kreuzten dort Tausende von Menschen meinen Weg.«

Der Jeansträger fühlte sich sofort veralbert, doch dann revidierte er sich. Diesem schwarzgekleideten Mann war Ironie wohl kaum zuzutrauen.

»Ich meine, ob Sie hier auf der Straße irgendeinen Typ gesehen haben«, präzisierte er seine Frage, während die beiden Dobermänner seitlich neben ihm Platz nahmen.

»Wären Sie möglicherweise in der Lage, eine genaue Personenbeschreibung zu liefern?«

»Sie haben nichts gehört?« Der Mann im Jeansanzug versuchte sich ein Urteil zu bilden, doch er kam zu keinem Resultat. Dieser Mann, der wie der hochherrschaftliche Butler in einem Film aussah, entzog sich jeder Beurteilung.

»Das Klirren diverser Fensterscheiben traf meine Ohren«, erwiderte Parker würdevoll. »Hat es eine tiefere Bedeutung?«

»Schon gut, schon gut«, sagte der Mann und winkte gereizt ab. »Werden Lausejungs gewesen sein.«

»Dies möchte ich entschieden bestreiten«, entgegnete Parker. »Von sogenannten Straßenjungen war hier weit und breit nichts zu sehen, nur von einem Fahrzeug, das allerdings kurz vor der Hecke hielt.«

»Ein Fahrzeug?« Der Jeansträger wurde hellhörig.

»Ein unscheinbarer Morris«, behauptete der Butler weiter. »Im Wagen befanden sich zwei junge Männer.«

»Sie haben sich nicht zufällig das Kennzeichen gemerkt?«

»Dazu lag keine Veranlassung vor«, meinte Josuah Parker. »Sie gehen von der Annahme aus, daß man das Fensterglas zerstört hat?«

»Keine Ahnung.« Der Mann wandte sich um und ging zurück in den großen Vorgarten, an dessen Ende ein anderthalbstöckiges Landhaus stand. Parker schritt würdevoll weiter und spürte, daß der Jeansträger ihn mißtrauisch beobachtete.

*

Agatha Simpson war eine große und ungemein stattliche Frau, die es längst aufgegeben hatte, auf ihre Linie zu achten. Sie war, höflich ausgedrückt, recht füllig und besaß die Ausstrahlung einer Herzogin.

Lady Agatha, seit vielen Jahren Witwe, immens vermögend und mit dem Blut- und Geldadel Englands verschwistert und verschwägert, liebte die bequeme Kleidung. Sie bevorzugte Chanel-Kostüme, meist einige Nummern zu weit. Sie mußten selbstverständlich aus bestem, handgewobenen Tweed bestehen, der fast unzerreißbar war.

Vor Jahren bereits hatte sie es auf gegeben, ihre Geburtstage zur Kenntnis zu nehmen. Eingeweihte wußten allerdings, daß sie die sechzig schon seit geraumer Zeit überschritten hatte.

Agatha Simpson befand sich an diesem frühen Nachmittag in der Warren Street in einem langgestreckten Wohnbau mit sechs Stockwerken. Die Lady hatte die dritte Etage erreicht und schritt fest und energisch durch einen langen Korridor, bis sie das Apartment Nr. 36 erreichte. Sie läutete und wartete ungeduldig auf das Öffnen der Tür. Es dauerte jedoch längere Zeit, bis hinter der Tür sich etwas rührte. Die Dame merkte, daß sie durch einen Türspion beobachtet wurde, und bemühte sich daher, ihrem Gesicht einen verbindlich-friedlichen Ausdruck zu verleihen.

Endlich öffnete sich die Tür, doch sie blieb durch eine Sperrkette gesichert. Das fragende und irgendwie ängstliche Gesicht eines älteren Mannes war zu erkennen.

»Mr. Fielding?« fragte Lady Agatha. Ihre Stimme war dunkel.

»Fielding«, bestätigte ihr Gegenüber. »Aber ich kaufe nichts.«

»Schnickschnack.« Lady Agatha wurde bereits ungeduldig. »Ich will Ihnen nichts andrehen, junger Mann, ich komme wegen der Mieter-Initiative. Haben Sie nun angerufen oder nicht?«

»Ich ... Ich habe mit einem Mr. Rander gesprochen, Madam.« Der Mann wurde mißtrauisch.

»Anwalt Mike Rander, ich weiß, junger Mann. Er hat mich geschickt.«

»Sie sind eine Angestellte von ihm?« fragte Fielding in völliger Verkennung der Sachlage.

»Seine mütterliche Freundin«, stellte Lady Agatha in etwa richtig. »Wollen Sie mich nun einlassen oder nicht?«

»Einen Moment, Madam.« Die Tür schloß sich, die Sperrkette wurde ausgehakt, und dann stand Fielding in voller Größe vor der älteren Dame. Es war nicht viel, was er an Statur zu bieten hatte. Er war gerade mittelgroß, hatte einen kleinen Bauch und ein rundes Gesicht mit großen Kinderaugen. Sein Kopfhaar war nur noch partiell vorhanden und weiß.

Agatha Simpson schaute sich in dem Wohnraum um, der peinlich sauber war. Außer diesem Raum gab es noch eine winzige Küche und ein Bad. Das Mobiliar war alt, aber grundsolide.

»Ich bin Lady Simpson«, stellte die Besucherin sich vor und setzte sich in einen der alten Ledersessel. »Kommen wir sofort zur Sache, Mr. Fielding: Sie haben Ärger mit Ihrem Hausbesitzer?«

»Ja und nein«, lautete die etwas zögernde Antwort. »Die Sache ist nämlich so, Mylady... Eigentlich haben wir mehr Ärger mit den neuen Bewohnern, verstehen Sie?«

»Nicht ein Wort«, entgegnete Lady Agatha rundheraus. Freunde und Bekannte wußten, daß sie auf die Regeln gesellschaftlicher Höflichkeit pfiff. Sie war stets sehr direkt und nannte die Dinge beim Namen.

»Seitdem die neuen Mieter hier im Haus sind, ist die Hölle los«, berichtete Fielding und dämpfte unwillkürlich die Stimme. Er sah sogar nervös zur Tür, schien Angst zu haben vor dem Belauschtwerden.

»Um welche Mieter handelt es sich?« wollte Lady Agatha wissen.

»Sechs Leute«, antwortete Fielding. »Junge Männer, verstehen Sie?«

»Noch immer nicht, Mr. Fielding. Wo ist das Problem?« Sie zwang sich zur Geduld.

»Dieser Krach«, stöhnte der Mann. »Es ist kaum zu ertragen. Immer dieser Krach.«

»Im Moment höre ich überhaupt nichts, junger Mann.«

»Reiner Zufall, Mylady.« Der ältere Mann schien das schon fast zu bedauern. »Aber es kann jeden Augenblick...«

Er hatte den Satz noch nicht beendet, als Lady Agatha eine Kostprobe serviert bekam. Ohne jede Vorwarnung brüllte plötzlich ein Lautsprecher und ließ die Bilder an der Wand erbeben. Fielding hielt sich sofort die Ohren zu und schloß die Augen. Lady Simpson schluckte vor Überraschung und beobachtete die Lampe. Sie war in Schwingungen geraten.

Die ältere Dame erhob sich und marschierte zur Tür des Apartments. Als sie sie öffnete, prallte sie fast zurück, denn sie wurde von den Schallwellen förmlich angefallen. Die Lady holte tief Luft, stemmte sich gegen sie und hielt auf die Quelle dieser irren und überlauten Pop-Musik zu. Sie blieb vor einer Tür stehen, die erfreulicherweise nur angelehnt war.

Lady Agatha drückte sie auf und ... stand vor einer Lautsprecherbox, die etwa einen Meter hoch war. Sie wies vier offene Trichter auf, die diesen höllischen und gesundheitsgefährdenden Lärm produzierten ...

Die Sechzigjährige war eine Frau schneller Entschlüsse.

Sie kickte mit dem rechten Fuß den Lautsprechersatz zur Seite... Und wenn eine Lady Agatha Simpson zutrat, tat sie es mit Energie. Die Box nahm übel und krächzte mißtönend. Sie gab keinen Laut mehr von sich, als die resolute Dame sie mit einem zweiten Fußtritt ins Innere des Apartments beförderte. Dann fetzte sie einen Vorhang zur Seite und sah sich den jungen Mann an, der in einem Faltstuhl saß, wie Regisseure ihn benutzten. Seine Trommelfelle hatte er durch Ohrenklappen geschützt, wie sie in der Industrie an lärmgefährdeten Stellen getragen werden.

Erst mit einiger Verspätung merkte der junge Mann, daß die Musik nicht mehr spielte. Er riß die Ohrenklappen herunter, drehte sich um und sah Lady Agatha entgeistert an.

»Ich werde mich mit Ihnen über Laut- und Zimmerstärke unterhalten, junger Mann«, sagte die ältere Dame grollend. Sie marschierte auf ihn zu, und der junge Mann merkte sofort, daß mit dieser Frau nicht gut Kirschenessen war.

»Wer sich wie ein Flegel benimmt, wird auch entsprechend behandelt«, redete Lady Agatha weiter und ... verpaßte ihm blitzschnell eine ihrer gefürchteten Ohrfeigen.

Der junge Mann mußte sie voll nehmen. Es riß ihn von den Beinen. Er legte sich waagerecht in die Luft und krachte dann auf den Fußboden. Er war ein paar Sekunden benommen, stand langsam auf und ballte die Fäuste. Er näherte sich seiner Kontrahentin und übersah dabei den perlenbestickten Pompadour, der an Lady Agathas linkem Handgelenk pendelte.

*

Sie sahen deprimiert und mutlos aus.

Sechs Frauen, im Alter zwischen fünfundzwanzig und vierzig Jahren, hatten sich in einem einfach eingerichteten Wohnraum vor einem elektrischen Kamin versammelt und gerade ihre Sorgen vorgetragen.

»Die Mieter-Initiative hat überhaupt nichts gebracht«, sagte die etwa vierzigjährige Mrs. Fall. »Wir haben Briefe geschrieben, wir haben uns bei der Polizei beschwert, wir haben sogar eine Delegation geschickt – aber alles war umsonst.«

»Wir sind noch nicht mal empfangen worden«, fügte Mrs. Lester hinzu und winkte ab. »Schon in der Anmeldung hat man uns abgewimmelt.«

»Und wie«, warf Mrs. Brook aufgebracht ein. »Zwei angebliche Bürodiener haben uns rausgeschmissen. Und wie sie uns rausgeschmissen haben, Mr. Rander!«

Mike Rander hatte sich Notizen gemacht und zündete sich eine Zigarette an. Er war etwa vierzig Jahre alt, schlank, groß und sah aus wie ein Dressman, woran seine Kleidung nicht ganz unbeteiligt war. Er trug einen dunklen Blazer, graue Flanellhosen und eine Krawatte in den Farben der teuren Universität, die er einst besucht hatte. Mike Randers gut geschnittenes Gesicht zeigte einen leicht blasierten und desinteressierten Ausdruck. Im Grund schienen ihn die Dinge, die man ihm da gerade vorgetragen hatte, kaum zu berühren.

»Sind Kündigungen ausgesprochen worden?« fragte er.

»In unserem Block bisher sechs«, antwortete Mrs. Brook, die etwa fünfundzwanzig Jahre zählte. »Aber vier Familien sind bereits freiwillig ausgezogen.«

»Diesen Terror kann man kaum noch ertragen«, seufzte Mrs. Fall auf. »Unentwegt Lärm und Krach, dann die Anpöbeleien im Treppenhaus und in den Gängen.«

»Ist dagegen gar nichts zu machen?« fragte Mrs. Lester.

»Hat irgend jemand eine Anzeige erstattet?« wollte Anwalt Rander wissen.

»Anzeigen am laufenden Band«, entgegnete die fünfundzwanzigjährige Mrs. Brook, die die Sprecherin der Mieter-Initiative war. »Bisher ist aber alles im Sand verlaufen.«

»Sie sind sicher, daß man Sie aus dem Block vertreiben will?« erkundigte sich jetzt Kathy Porter, die neben Mike Rander auf einem Hocker saß. Sie hatte die bisherige Diskussion stenographisch festgehalten.

Kathy Porter, kaum älter als Mrs. Brook, war schlank, ein wenig kleiner als Mike Rander und hatte kastanienbraunes Haar mit einem leichten Rotstich. Sie sah aus wie ein scheues Reh, schien verwundbar und sogar etwas ängstlich. In ihrem Cordanzug wirkte sie ungemein anziehend und löste in jedem Mann automatisch Beschützerinstinkte aus.

Sie war die Sekretärin und Gesellschafterin einer gewissen Lady Agatha Simpson und wurde von ihr wie ein eigenes Kind gehalten. Im Augenblick assistierte sie Anwalt Rander, der nach seiner Rückkehr aus den Staaten von der älteren Dame wie selbstverständlich »vereinnahmt« worden war. Sie hatte ihm die Verwaltung ihres Vermögens übertragen und hoffte seit einiger Zeit, daß aus den »beiden Kindern«, wie sie Mike Rander und Kathy Porter insgeheim nannte, eines Tags ein Paar wurde.

»Wigmore wird es schaffen«, beantwortete Mrs. Brook die Frage von Kathy Porter. »Bisher hat er’s immer geschafft.«

»Er arbeitet also nach bewährtem Muster?« fragte Mike Rander und machte wieder einen fast gelangweilten Eindruck.

»Der reitet jede Masche, um seine Mieter aus den Häusern zu treiben«, sagte Mrs. Lester. »Zuerst kauft er alte Reihenhäuser und ganze Wohnblocks auf, dann setzt er die Mieter an die frische Luft und renoviert. Was dann passiert, können Sie sich ja leicht ausrechnen, Mr. Rander.«

»Er vermietet sie zu wesentlich höheren Preisen.« Mike Rander nickte. Die Methoden dieses Mannes waren ihm aus der Presse bekannt, doch bisher hatte er sich darum kaum gekümmert.

»Wir können natürlich wohnen bleiben«, fiel Mrs. Brook ein, »aber eben nur dann, wenn wir die Mondpreise bezahlen können.«

»Kann man dagegen wirklich nichts machen?« wollte Mrs. Fall wissen.

»Juristisch kaum etwas.« Rander zuckte die Achseln. »Das Recht ist auf seiner Seite.«

»Schönes Recht«, sagte Mrs. Brook bitter. »Hören Sie, Mr. Rander, wir werden unsere Wohnungen besetzen, verstehen Sie? Wir lassen uns nicht vertreiben. Und wenn wir uns anketten müßten, wir gehen nicht raus!«

Sie redeten durcheinander und merkten nicht, daß die Tür zum Wohnraum sich öffnete. Zwei junge Männer blieben in der geöffneten Tür stehen, und einer von ihnen warf plötzlich eine zerdrückte Pappschachtel auf den Boden.

Drei große Ratten, die bisher eingeschlossen waren, witterten eine Möglichkeit, die Flucht zu ergreifen. Sie rannten allerdings erst mal blindlings los und scheuchten die Frauen durcheinander, die die Nager entdeckt hatten und gellend schrien.

»Nur’n Scherz«, sagte der stämmigere der beiden jungen Männer und kam langsam auf Mike Rander zu. »Sie sind der Anwalt, der hier ’ne Show abzieht?«

»Lieber Mann, von einer Show kann keine Rede sein«, antwortete Mike Rander und zuckte mit keinem Muskel, als der junge Mann etwas weit zu einem Haken ansetzte. Sein Schlag war im Ansatz mehr als nur erkennbar, er meldete ihn förmlich an ...

*

Der Geohrfeigte sprühte förmlich vor Haß.

Es machte ihm überhaupt nichts aus, daß er es mit einer älteren Dame zu tun hatte. Er war gemaßregelt worden und wollte sich dafür mit seinen Mitteln revanchieren.

»Sie wollen eine alte und hilflose Frau schlagen?« fuhr Agatha Simpson ihn an.

»Mich schlägt man nicht«, sagte er leise, eindringlich und giftig. »Oder höchstens nur einmal.«

Die Lady wich zurück und streckte abwehrend den rechten Arm aus. Der junge Mann tappte prompt in die Falle, griff nach ihrem Handgelenk und zerrte Agatha Simpson zu sich heran.

In diesem Augenblick ließ die ältere Dame ihren perlenbestickten Pompadour gekonnt kreisen und vorschnellen. Der perlenbestickte Handbeutel, wie er von den Damen um die Jahrhundertwende gern getragen wurde, hatte es im wahrsten Sinn des Worts in sich. Im Pompadour befand sich Myladys sogenannter »Glücksbringer«. Es handelte sich dabei um ein echtes Pferdehufeisen, das sie aus Gründen der Humanität ein wenig mit dünnem Schaumgummi umwickelt hatte.

Der Jüngling dachte, er sei von einem auskeilenden Pferd getreten worden. Er legte sich noch mal waagerecht auf die Zimmerluft und krachte erneut auf den Fußboden. Diesmal blieb er liegen und rührte sich nicht mehr.

Lady Simpson, die ihren »Glücksbringer« genau zu dosieren wußte, kümmerte sich nicht weiter um den jungen Mann. Aus Erfahrung war ihr bekannt, daß die Schwellung auf der linken Wange des Getroffenen nach einigen Tagen wieder abklang.

Sie schaute sich in dem kleinen Apartment um und wunderte sich, daß so gut wie kein Mobiliar vorhanden war. Es gab da ein Feldbett, dann zwei dieser Faltsessel und ein modernes Tonbandgerät, an das der Riesenlautsprecher angeschlossen worden war.

In der Küche stapelten sich auf einem Wandtisch volle und leere Konservendosen. Der junge Mann schien eine Vorliebe für Fertiggerichte aller Art zu haben. Lady Agatha kam zu dem Schluß, daß der Bewohner dieser kleinen Wohnung bestimmt nicht die Absicht hatte, hier für längere Zeit zu bleiben.

Sie zuckte unwillkürlich zusammen, als plötzlich wieder Musik dröhnte, die ebenfalls trommelfellschädigend war. Sie ging ärgerlich und energisch zurück in den Wohnraum, doch der junge Mann lag noch immer auf dem Boden.

Nein, diese donnernden Baßgeräusche, die wie dumpfe Paukenschläge wirkten, kamen aus einer anderen Wohnung. Agatha Simpsons Pompadour geriet bereits wieder in Schwingungen, als sie das Apartment verließ und auf die neue Geräuschquelle zuhielt.

Sie brauchte nicht weit zu gehen.

Am Ende des Korridors blieb sie vor einer geschlossenen Wohnungstür stehen und läutete. Erst nach einigen Sekunden ging ihr auf, daß man das Läuten unmöglich hören konnte. Sie bewegte den Drehknauf der Tür und nickte zufrieden, als das Schloß sich öffnen ließ. Die ältere Dame marschierte in die Wohnung und glaubte im ersten Moment an eine Halluzination.

In einer sonst fast leeren Wohnung saß ein junger Mann in einer Art Regiesessel und bediente eine moderne Tonbandmaschine. Eine Leitung schlängelte sich von diesem Gerät hinüber zu einer Lautsprecherkombination, die wenigstens einen Meter hoch war. Der junge Mann trug ebenfalls Gehörschützer modernster Bauart.

Er trug sie nicht mehr lange.

Agatha Simpson hatte keine Schwierigkeiten, ungehört an den Musikfreund heranzukommen, der ihr den Rücken zuwandte. Sie tippte ihm auf die Schulter, worauf der Liebhaber der lauten Töne sich überrascht umdrehte.

Nach einer Ohrfeige legte er sich auf den kahlen Boden und war eindeutig benommen. Die Lady nahm die Lautsprecherbox und warf sie gegen die Wand, was dem Innenleben des Geräts nicht sonderlich bekam. Mit leichtem Kreischen, das dann in ein Wimmern überging, endete die Übertragung.

Der junge Mann wollte aufstehen und sich wahrscheinlich auf die ältere Dame stürzen. Es blieb allerdings beim Versuch wie sich zeigte. Er stand kaum auf den schlotternden Beinen, als die Knie nachgaben. Der junge Mann legte sich erneut nieder.

»Zimmerlautstärke«, sagte Agatha Simpson grollend. »Melden Sie Ihrem Wigmore, daß er mit diesen Tricks nicht weit kommt, dafür werde ich ab sofort sorgen.«

*

Der Stämmige holte zu einem Haken aus und war überzeugt, daß er diesen blasierten Anwalt treffen und ausknocken würde. Er legte sein ganzes Körpergewicht in den Haken und ... traf nur die Luft. Er war schnell wieder auf den Beinen und baute sich erneut auf.

»Bei wem haben Sie das Boxen eigentlich gelernt?« erkundigte sich Mike Rander ironisch. Er glich gerade jetzt einem Schauspieler namens Roger Moore, der sich als Darsteller des James Bond einen Namen gemacht hatte. Desinteressierter hätte dieser Filmstar auch nicht wirken können.

»Du Lackaffe!« Der Stämmige fintierte, täuschte und wollte dann seinen Schlag landen. Und noch mal legte er in ihn alles, was er hatte. Seine Faust zischte vor und ... landete auf der Sperrholzplatte eines Hockers, den Mike Rander gehoben und dem Angreifer entgegengestreckt hatte.

Die Sperrholzplatte splitterte, gab nach und ließ die bereits zerschundene Hand passieren. Dann stöhnte der Schläger, setzte sich und starrte verbiestert auf seine Faust.