Gebt der Wildnis das Wilde zurück! - Michael Wachtler - E-Book

Gebt der Wildnis das Wilde zurück! E-Book

Michael Wachtler

4,8
9,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Fèro (Ferruccio Valentini) wuchs mitten in den Dolomiten auf und verbrachte seine erste Lebenshälfte als Hirte, Senner, Jäger und Kräutersammler. Er entschloss sich, als einziger Mensch im entlegenen Gebiet des Tovelsees zu leben und sich mit Pflanzen, Tieren und Steinen zu verbinden. Als im Jahr 2009 die Dolomiten UNESCO-Welterbe wurden und seitdem die Natur immer mehr dem Tourismus weichen muss, begehrt er auf. Aus dem wortkargen Kräuterweisen wird ein Kämpfer für eine intakte Wildnis der Berge. Er wird politisch aktiv, muss aber immer wieder vor Bürokratie und Gewinnsucht kapitulieren. Seine Erläuterungen über den Wert der Wildnis sowie seine Erzählungen über einzigartige Erfahrungen mit Bären, Gämsen und heilenden Kraftpflanzen sind die Geheimnisse eines der letzten Waldmenschen der Alpen. Fèros Freund, der Südtiroler Naturkenner Michael Wachtler, beschreibt in dieser Biographie Fèros Freiheitswillen, seine Naturweisheit und den unermüdlichen Einsatz gegen die Ausbeutung der Dolomiten.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 237

Bewertungen
4,8 (24 Bewertungen)
18
6
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die Wege kreuzen sich

Begegnung mit dem Mann der Berge

Jahrzehntelang durchwanderte ich die Alpen – immer auf der Suche nach Neuem, Unbekanntem. Ich drang dabei tief ein in die Täler und Berge dieser europäischen Urlandschaft. Meine ausgedehnten Wanderungen führten mich durch einsame Wälder wie auf eiskalte Gletscher, sogar bis in die Höhlen und Grotten tief im Gestein, die niemals ein Licht sahen. Ich entdeckte dabei mehr neue Pflanzenarten und Fossilien als irgendein Mensch vor mir. Auch am bisher größten Goldfund in den Alpen war ich beteiligt. Doch eine „Entdeckung“ der ganz anderen Art sollte mein gesamtes Leben prägen.

Grund dafür war eine alte Freundin: Noris Cunaccia. Es zog sie nach einem Leben in der Hektik unserer modernen Städte in die Wildnis. Sie wurde Kräutersammlerin. Eines Tages nahm sie mich spontan zu einem Bekannten mit. Plötzlich stand ich einem bärtigen Waldmenschen gegenüber. Sie stellte uns kurz vor, und eh wir’s uns versehen hatten, verabschiedete sie sich und ließ mich mit dem unbekannten „Sonderling“ allein. Der Mann blickte mich sanftmütig und wortlos an. Seine Gestalt ähnelte in meinen Augen einer knorrigen Zirbe, während sich in seinem Antlitz die Maserung des Walnussbaumes abzeichnete. Eine Aura von Gutmütigkeit und Gefühl umschwebte ihn. Ich spürte sie so ausdrucksstark wie den Wald und die Berge. Mir schien, als hätte er wie eine Insel im Ozean die Zeit überdauert, so dass ich Schwierigkeiten hatte, sein Alter einzuschätzen. Er mochte um die sechzig sein – vielleicht war er aber auch schon Millionen Jahre alt.

Ferruccio Valentini, so hieß „der Wilde“, wurde von allen einfach Fèro genannt. Er lebte in einer schlichten Bauernkate inmitten alter Tische, Stühle, Bücher, seinem Bett, umgeben vom würzigen und heimeligen Geruch getrockneter Wildkräuter – in Tuenno, einem kaum bekannten Dorf im norditalienischen Trentino. Das fast zerfallene Haus renovierte er im Lauf der Jahre sorgfältig und mit viel Liebe: außen wie innen. Aus den Kacheln ausgemusterter alter Öfen baute er sich seine eigenen Öfen. Ein aus einem großen Steinblock herausgefrästes einfaches Becken diente ihm zum Waschen. Sein ehrwürdiges Haus aus den Materialien der Natur vermittelte einen erstaunlich aufgeräumten Eindruck. Das Geschirr war frisch gewaschen, der antike Holzboden fein säuberlich geschrubbt, alles stand an seinem Platz. Auf Anhieb fühlte ich mich in der Gegenwart des urigen Kauzes wohl und empfand es als eine besondere Ehre, in seinem Allerheiligsten zu sein.

In seinen Holzregalen standen ordentlich aufgereiht viele Bücher, darunter zahlreiche Werke über Kräuter wie Mattiolis’ Dioskurides aus dem 16. Jahrhundert. Erst dachte ich, sogar ein Original zu sehen. Doch nach einiger Zeit erkannte ich, dass es sich um ein Faksimilé handelte, gewissermaßen einen neuen alten Mattioli. Doch der Rest der Bücher war uralt, so schien es jedenfalls. Die Patina der Zeit lag auf ihnen. Ich wusste mir zunächst keinen Reim darauf zu machen, ob Fèro sie in Gebrauch hatte oder sie einzig als Schmuck dienten – doch fühlte ich, dass sie mit seinem Wesen eine Einheit von Zeit­losigkeit und uralter Weisheit bildeten.

Er verwendete eigens gesammelte und getrocknete Kräuter wohl jeden Tag, wie ich aus einer bereiteten Mahlzeit ersehen konnte. Überall standen Gläser mit getrockneten Kräutern oder hingen Pflanzenbüschel von der Decke. Alles in diesem Haus war Natur oder hatte mit ihr zu tun.

Während ich mich in den Räumlichkeiten umsah, legte Fèro gemächlich Holzscheite in einen alten Herd und machte Feuer. Er tat das mit großer Muße und Hingabe und strahlte dabei eine zeitlose Ruhe aus. Wer weiß heute noch, sinnierte ich, dass die Hauswärme nicht in einer automatisch funktionierenden Zentralheizung steckt? Das ist den meisten Menschen wohl gar nicht mehr bewusst. Ich blickte aus dem Fenster. Vor seinem Haus hatte er sich auf wenig Fläche einen eigenen Garten angelegt, mit verschiedenen Kräutern und Gemüsepflanzen. Ich kann versichern, dass ich bis dahin noch nie einen solch geordneten und gleichzeitig naturverbundenen Garten gesehen hatte.

Die antike Wanduhr in seinem Wohnzimmer tickte auf eine merkwürdige Weise. So, als schiene sie sich wenig vertrauensvoll in die Zukunft zu bewegen. Hundert Jahre – wenn nicht mehr – dürfte sie schon in Gebrauch gewesen sein und hatte wahrscheinlich viel Sterben und Vergehen und doch auch Unsterbliches und Bleibendes erlebt. Sie war schon da, als hier im Weltkrieg die Menschen aufeinander schossen. Sie hatte mitangesehen, wie sich ringsherum die Landschaft mehr und mehr veränderte und mit ihr die Menschen. Wer in der Lage ist, eine alte Uhr zu beobachten, in sie hineinzuhorchen, so empfand ich es unmittelbar, dem begegnen Bilder und Geschichten längst vergangener Tage.

Meine Gedanken schweiften zum Dorf ab. Tuenno zählt zu den ältesten Orten der Gegend. Zu Zeiten des römischen Weltreiches war es schon da. Selbst die Überbleibsel noch früherer rätischer Vorfahren hatte man entdeckt.

Mein Blick fiel wieder auf Fèro, der sich noch immer am Herd zu schaffen machte. Mir fielen sein – trotz des struppigen Bartes – gepflegtes Aussehen und die vollen Haare auf. Keines seiner Kleidungsstücke stach hervor, alles war den grünen und braunen Farben der Natur angepasst. Am Hemd fehlte kein einziger Knopf und Hose wie Jacke waren ordentlich ge­bügelt. Fèro musste meine neugierigen ­Blicke bemerkt haben – sie waren wohl auch kaum zu übersehen. Er lächelte mich an.

Von Noris wusste ich, dass es ihn nur ab und zu nach Tuenno zog. Die meiste Zeit des Jahres wohnte er abgeschieden in der Wildnis in einem kleinen Haus am Tovelsee.

„Wie lange lebst du schon in den Wäldern?“, fragte ich ihn.

„Viele Jahre“, antwortete er wortkarg. „Die freie Zeit meines ­Lebens.“

Er machte sich wieder am Herd zu schaffen. Das war wohl seine Art zu reden, dachte ich mir. Ich nahm einen zweiten Anlauf: „Erzähle mir von deinem Leben“, ermunterte ich ihn. „Wie wurdest du der, der du bist?“ Mit seinem wilden Bart und den struppig vollen Haaren schaute mich Fèro an. Aus seinen Augen funkelte eine wache, unbeugsame Seele. Wenn er auch bescheiden in seinen Gesten war, fiel mir umso mehr ein sprühender Kampfgeist auf, der in ihm lebte. Aus seiner Seele schien etwas hervor, das das Zeitlose in diesem Menschen spiegelte.

„Nicht der erzählt am besten, der am weitesten und meisten reiste, sondern jener, der es am tiefsten tat“, sagte er und blickte dabei in mein Inneres. Diese Geste war der Beginn einer bis heute andauernden Freundschaft.

Die Geschichte des Waldmenschen Fèro

War es ein Zufall, dass sich unsere Wege kreuzten, dass sich unsere Interessen und persönlichen Grenzerfahrungen so ähnelten? Wie kommt es, dass sich zwei Menschen begegnen, die so tief und innig mit der Landschaft der Dolomiten verknüpft sind? Bei unserer ersten Begegnung spürten wir beide, dass uns irgendetwas verband. So als ob wir uns bereits jahrelang kennen würden. Gerade, wenn wenig oder gar nicht gesprochen wurde, war dieses Gefühl umso stärker im Raum. So kam es ganz von selbst, dass wir immer mehr Zeit miteinander verbrachten.

Unsere gemeinsamen Wanderungen und Entdeckungstouren führten uns in bisher nicht gekannte Facetten eines Lebens in der Natur. Ich lernte vieles, was ich allein niemals hätte lernen und erfahren können. Vor allem lernte ich eine Biographie kennen, die außergewöhnlicher nicht hätte sein können: die Geschichte des Waldmenschen und Kräutermannes Fèro. Seine entbehrungsreiche Jugend in einer der rauesten Gegenden Europas, sein Leben als Senner und Hirte, sein Wissen über die Heilwirkungen der kräftigen Alpenpflanzen, seine Erlebnisse als Jäger und Kenner der Gämsen, seine Entdeckungen von bisher unbekannten Fossilien und von „Schamanensteinen“ bis hin zu seinem Einsatz und Kampf gegen die moderne Tourismusindustrie, die die unberührte Wildnis der Dolomiten mehr und mehr zerstört.

Es ist der Werdegang eines Menschen, der niemals besondere Schulen besuchte. Dem es nicht vergönnt war, seinen Horizont durch Seminare bei bekannten Lehrmeistern oder durch Studien an Universitäten zu erweitern. Doch vielleicht war es genau das, was ihn so wach und unbeugsam seinen eigenen Weg gehen ließ. Es war weniger Wissen als Weisheit, weniger rationaler Verstand als gefühlte Verbindung mit der Natur und mit den einfachen Menschen, was ihn prägte. Vielleicht sind es gerade die gewöhnlichsten Augen, die einfachsten Gedanken, die schlichtesten Handlungen, die die Fähigkeit des Staunens und Bewunderns in uns erst erwecken können und pflegen.

Fèros Schlichtheit im besten Sinne, sein Empfinden für die Belange der Wildnis, seine feine Beobachtungsgabe sind es, die ihn zu etwas ganz Besonderem machen: einem Menschen, der weiß, was uns die Natur schenkt und wie not es tut, sich für sie einzusetzen.

Was mir Fèro während unserer gemeinsamen Wanderungen im Lauf der Jahre erzählte, möchte ich nun weitergeben. Auf dass das Wissen eines der letzten Waldmenschen unserer Zeit nicht verloren gehe – und auf dass wir in Fèro vielleicht ein Beispiel dafür sehen können, was jeder Einzelne bewirken kann, wenn er der Stimme in seinem Inneren folgt.

Vom Bauernkind zum jungen Senner und Hirten

Ein Leben mit den Kräften und Gaben der Natur

Wir saßen an seinem schlicht gezimmerten Holztisch neben dem prasselnden Feuer im Herd. Fèro zeigte mir ein Foto, auf das er stolz war. Seine Eltern Guerino und Carmela Valentini, wie sie auf einem von einem Pferd gezogenen Wagen in die Kirche zur Heirat fahren und von dort zur Hochzeitsreise aufbrechen. In seiner gewöhnlich wortkargen Art erzählte er mir immer nur das, was ihm wichtig war. Oft ging es dabei neben manchen lokalen Persönlichkeiten auch und gerade um Kühe, die Kräuter, den Wald und die Wildnis. Darüber konnte er stundenlang erzählen.

Er nahm mich nach unserer ersten Begegnung in seinem Haus immer öfter mit in die Zeit seiner frühen Jahre. Vielleicht hatte er an so manches Kindheitserlebnis seit Jahren nicht mehr gedacht. Oder es gab niemandem, der sich dafür interessierte und in dem er einen Zuhörer hatte.

Fèro schob das Foto, das seine Eltern zeigte, zur Seite. Sein Blick war nach innen gerichtet. Die alte Wanduhr tickte. Ab und zu knarrten die alten Holzböden im Haus. Ich lehnte mich zurück und wartete, bis er anfing zu erzählen.

Sein Leben begann in großer Abgeschiedenheit von der Zivilisation, mitten in den italienischen Alpen.

„Ich entstamme einer Familie mit acht Kindern. Drei Schwestern und vier Brüder. Ich bin der Erstgeborene. Mein Vater war Viehhändler und einer der besten Kenner des Tales. Aber auch ein Mann, der das Gemeinwesen sehr schätzte, viel Zeit im Dorf verbrachte und die Familie oft vernachlässigte. Es behagte ihm nicht, zu Hause zu bleiben. Aufgrund seiner Ehrlichkeit verlor er oft viel Geld im Handel mit Vieh. Sein Glück lag darin, einen Apfelhain zu kaufen. Die daraus erzielten Erlöse dienten ihm fast zur Gänze, um die Verluste aus dem Viehhandel auszugleichen. Von den Mitmenschen wurde er geachtet. Er folgte seinem Lebensweg bis zum Ende seiner Zeit.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!