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Seitenzahl: 247
von
George John Romanes.
Die religiöse Entwicklung eines Naturforschers vom Atheismus zum Christentum.
Autorisierte Übersetzung nach der 7. Auflage des englischen Originals
von
Dr. phil.E. Dennert.
Göttingen
Vandenhoeck und Ruprecht
1899.
In dem Verhältnis der Naturforscher zur Religion ist in den letzten Jahrzehnten eine merkwürdige Wendung vor sich gegangen. Bekanntlich herrschte in den fünfziger und sechsziger Jahren eine kraß materialistische Strömung, welche in Deutschland von Männern wie Vogt und Moleschott angebahnt war. Die namhaften Naturforscher blieben jedoch von ihr unberührt, sie hatten fast alle eine religions- und christentumsfreundliche Stellung. Als aber in den siebenziger Jahren die Lehre Darwins mehr und mehr Eingang fand und Haeckel seinen Monismus predigte, änderte sich das Verhältnis, und die Stellung der in den beiden folgenden Jahrzehnten, wie auch noch in dem laufenden maßgebenden Naturforscher zur Religion wurde eine zum mindesten gleichgiltige. Die Naturwissenschaft und die induktive Methode steht bei den meisten dieser Männer so sehr im Mittelpunkt des Denkens und des Lebens, daß alles andere, was sonst ein Menschenleben erfüllt und ausmacht, bei ihnen weit zurücktritt.
Wenn manche dieser Forscher nach ihrem religiösen Standpunkt gefragt werden, so erklären sie sich für „Agnostiker“, sie wissen nichts von religiösen Fragen oder überhaupt von Fragen, die jenseits des naturwissenschaftlichen Gebiets auftauchen. Dieses Wort wurde jedoch von vielen in dem Sinn gebraucht, daß man jenseits der natürlichen Kausalität überhaupt nichts wissen, keine Gewißheit je erlangen könne. Eine große Reihe von Naturforschern stand, wenn sie nicht geradezu glaubensfeindlich waren, vor 10-20 Jahren so. Zu erklären ist diese Erscheinung sicherlich durch den Einfluß der gewaltigen Entwicklung der Naturwissenschaft überhaupt und des Darwinismus im speziellen: es gab viele, denen erschien alles Erforschte als unantastbare Wahrheit, und die Zeit schien ihnen nicht fern, in der die ganze Natur, auch alles Leben und Werden, für den Forscher völlig klar und durchsichtig sein würde; bei solchen Gedanken mußte eine Verkennung des Wertes der naturwissenschaftlichen Methode nur zu nahe liegen, sie erschien daher vielen als der einzig mögliche Weg zur Erkenntnis der Wahrheit.
Allein es ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen, das kann man auch auf diesem Gebiete sagen: allmählich trat vor allem in Bezug auf den Darwinismus eine Ernüchterung ein, im eignen Lager wurde an dem vermeintlich unzerstörbaren Bollwerk gerüttelt, und da seine Festigkeit eine eingebildete war, so konnte nicht ausbleiben, daß es um so schneller fiel, bezw. fällt. Dieser Zerbröckelungsprozeß setzt sich noch weiter fort, aber es ist nicht anzunehmen, daß abgesehen von einigen „Alten“, die sich noch um Haeckel und Weismann scharen, echte Darwinianer ihren Einzug in das neue Jahrhundert halten werden. Das ist aber nicht ohne Einfluß auf die philosophischen und religiösen Anschauungen der Naturforscher geblieben. Zwar wird sich das alte Verhältnis, d. h. ein Überwiegen der religiös und christlich gerichteten Forscher, so schnell noch nicht wieder herstellen — kommen wird es ganz sicher wieder —; aber eine Anbahnung ist schon heute gar nicht zu verkennen. Diese äußert sich zunächst in einer viel freundlicheren Stellung zu religiösen Fragen und vor allem in der Anerkennung, daß Religion und Naturwissenschaft zwei getrennte Gebiete sind, die mit einander nur wenig zu thun haben. Aus dieser Erkenntnis wird sich dann sicherlich mehr und mehr die andere entwickeln, daß man bei allem naturwissenschaftlichen Wissen auch einen persönlichen religiösen Glauben besitzen kann, weil die Quellen der wissenschaftlichen und religiösen Erkenntnisse ganz verschieden sind.
Der Agnostizismus, wie ich ihn oben gekennzeichnet habe, erhält unter diesem Einfluß ein ganz anderes Gesicht; allerdings sagt er sehr richtig auch jetzt noch, daß man mit naturwissenschaftlichem Wissen und naturwissenschaftlicher Methode auf religiösem Gebiet nichts ausrichten, nichts erkennen kann, allein er fügt nun hinzu: vielleicht kann man es auf anderem Wege, und dieser Möglichkeit steht er ganz unparteiisch gegenüber.
Zu den Männern, welche die letztgenannte Art von Agnostizismus vertraten, gehört vor allem G. Romanes, der englische Biologe, er ist am 26. Mai 1848 zu Kingston in Kanada geboren, war ein Freund Darwins, der ihm eine Reihe von unveröffentlichten Manuskripten hinterließ, von denen Romanes einige veröffentlichte. Romanes selbst schrieb ein Werk über „physiologische Zuchtwahl“, eines über „tierische Intelligenz“, „Vor und nach Darwin“, „eine Prüfung der Lehre Weismanns“ u. a. m., er starb schon am 23. Mai 1894. Romanes zeigt an sich selbst die eigentümliche Entwicklung, welche das Verhältnis der Naturforschung zur Religion in den letzten Jahrzehnten genommen hat: von Haus aus dem Glauben zugethan, wurde er durch die Darwinsche Strömung allgemach zu vollem Skeptizismus und Unglauben getrieben, aus dem er sich jedoch wieder emporarbeitete, so daß er sogar als ein gläubiger Christ gestorben ist. Diese religiöse Entwicklung spiegelt sich nun auch in seinen religionsphilosophischen Schriften wieder, alle eben genannten Stufen finden sich in letzteren, und es ist daher im höchsten Grade interessant, sie zu vergleichen und die stufenweise Rückkehr des Verfassers zum Glauben zu verfolgen. Die letzte dieser Schriften zu vollenden und zu veröffentlichen ist dem Entschlafenen leider nicht vergönnt gewesen. Nach seinem Tode aber hat sein Freund Charles Gore, Kanonikus an Westminster, in liebevollster Weise die Herausgabe dieser Schrift, sowie der anderen, die einen Einblick in das innere Leben des Verfassers gestatten, besorgt. Diese Aufsätze sind vor 3 Jahren unter dem Titel „Thoughts on religion“ erschienen und haben innerhalb zweier Jahre in England sieben Auflagen erlebt. Das Buch verdient es im höchsten Grade, auch in Deutschland bekannt zu werden, um auch bei uns in ähnlicher Weise wie die Werke des auch leider zu früh entschlafenen Drummond ein Zeuge dafür zu sein, daß Glaube und Wissen keine Gegensätze sind.
Der Unterzeichnete hat, nachdem er das Buch kennen lernte, die deutsche Ausgabe um so lieber übernommen, als der Inhalt dieses Buches in derselben Richtung liegt wie manche seiner eignen Schriften, und er übergiebt seine Bearbeitung nunmehr der Öffentlichkeit mit dem Wunsche, daß sie bei seinen naturwissenschaftlichen Fachgenossen ebenso wie bei anderen zum weiteren Nachdenken anregen möchte. — Wie die Übersetzung nicht immer leicht gewesen ist, so wird es auch die Lektüre nicht immer sein; dieselbe fordert an manchen Stellen Aufmerksamkeit und Nachdenken, wird aber auch den Leser, der beides nicht scheut, ganz gewiß reichlich belohnen.
Die letzten Abschnitte sind Fragmente, die leider unvollendet blieben, der Verfasser ist eben mitten in der Arbeit an dem Buch und mit ihm an seinem religiösen Glauben abberufen worden, niemand wird anders können als mit Canon Gore voller Wehmut bedauern, daß es nur Fragmente sind. Aber der Übersetzer ist auch überzeugt, niemand wird dieses Buch aus der Hand legen, ohne ein Gefühl der Verehrung für den edlen Mann, dessen unbeugsames, „unbefangenes“, reines und selbstloses Streben nach Wahrheit in ihm so lebhaft und schön zum Ausdruck kommt.
Einen besonderen Dank möchte ich an dieser Stelle noch dem englischen Herausgeber Canon Ch. Gore an Westminster für sein lebhaftes Interesse an der Übersetzung aussprechen, dasselbe zeigte sich auch darin, daß er eine Korrektur des Druckes gelesen hat.
Rüngsdorf-Godesberg.
Dr. phil.E. Dennert.
Romanes hat mit 25 Jahren 1873 eine Abhandlung geschrieben, in der er das Verhältnis des Gebets zur Unabänderlichkeit der Naturgesetze erörtert. Hier zeigt er einen ganz theistischen Standpunkt, ja, er ist damals sogar noch Anhänger des christlichen Offenbarungsglaubens, den er mit der Unabänderlichkeit der Naturgesetze zu versöhnen sucht. Bald nach jener Zeit jedoch muß er sich innerlich merkwürdig schnell geändert haben, wie das seine anonym im Jahr 1878 veröffentlichte „Unbefangene Prüfung des Theismus“ zeigt. Hier untersucht er mit großer Gewissenhaftigkeit und Schärfe die Frage nach dem Dasein Gottes. Sein Gedankengang ist ungefähr folgender:
Der Theismus erklärt die Welt nicht besser als der Atheismus. Daß unser Herz einen Gott fordern soll, ist ganz subjektiv und beweist obendrein auch nicht, daß ein Gott existiert, jedenfalls nicht für die, deren Herz einen Gott nicht fordert. Daß die Menschheit in dem Glauben an einen Gott übereinstimmt, ist nicht der Fall; daß die Welt eine erste Ursache haben müsse logisch nicht haltbar; ebenso wenig läßt sich beweisen, daß alle Kausalität einem Willen entspringen müsse. Auch der Gedanke, daß unser Geist auf einen anderen Geist als Ursache hinweise, ist (hierbei offenbart sich der Einfluß des damaligen naturwissenschaftlichen Materialismus auf Romanes) zurückzuweisen, ebenso die aus „vermeintlicher“ Willensfreiheit und sittlichem Bewußtsein abgeleiteten Argumente: jene existiert nicht, dieses ist das Ergebnis einer natürlichen Entwicklung (nach Darwin).
Die Wichtigkeit des aus dem Zweck gefolgerten Beweises für das Dasein Gottes ist anzuerkennen, trotzdem ist er nicht stichhaltig. Auch die wundervolle Schönheit und Harmonie des Weltalls läßt sich mit Notwendigkeit aus der Erhaltung des Stoffes und seinen Eigenschaften ableiten. So brechen also alle Beweise für das Dasein Gottes scheinbar hoffnungslos zusammen. Ist der Satz, daß zur Erklärung der Welt eine intelligente Ursache nötig sei, nun nicht aber doch nur ein solcher, der höchstens Wahrscheinlichkeit, nicht aber Gewißheit beansprucht? Kann höhere Erkenntnis ihn am Ende nicht ganz umstoßen? Ja, es ist möglich, daß die Wahrscheinlichkeit, die Natur sei ohne Gott, vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus sehr groß, vom logischen aus aber ganz wertlos ist; jene Wahrscheinlichkeit ist thatsächlich keine absolute, und das um so weniger als es in dem Zusammenwirken der Naturgesetze doch noch einen unerklärbaren Rest giebt, nämlich die kosmische Harmonie; — diese Abänderung der Zweckmäßigkeitslehre nennt Romanes metaphysische Teleologie, ihre Grundlage liegt jenseits der Naturwissenschaft und ist der letzteren ganz unzugänglich. Nun fragt es sich aber noch, ob diese Grundlage sonst ganz einwandfrei ist, ob also die metaphysische Teleologie die Harmonie des Weltalls begreiflicher macht als der Atheismus? Romanes kommt in seiner Untersuchung zu dem Resultat, daß keine von beiden Erklärungen vor der anderen etwas voraus habe. Man wird über die Annahme der einen oder der anderen Erklärung nach seiner sonstigen Gewohnheit zu denken entscheiden müssen. Gewißheit läßt sich darüber nicht erlangen. Romanes selbst kommt hier zu einer völligen Verneinung Gottes, allein mit ergreifenden Worten (I, § 7) bekennt er, daß damit das Weltall für ihn die „liebenswerte Seele“ verloren habe.
Zweierlei fällt in dieser Abhandlung besonders auf: der Glaube an das ausschließliche Recht der naturwissenschaftlichen Methode und der Ton der Gewißheit. Beides hat sich nachher bei Romanes sehr geändert. Er hat sich von jener Zeit an wieder mehr und mehr von dem schroffen Skeptizismus abgewendet; es ist bezeichnend, daß er schon 1885 in der Schrift „Geist und Bewegung“ eine strenge Kritik der materialistischen Ansicht vom Geist liefert und einem pantheistischen oder auch schon theistischen Monismus zuneigt. Drei Jahre darauf schrieb Romanes einige bisher nicht veröffentlichte Artikel über den „Einfluß der Naturwissenschaft auf die Religion“. Zwei von diesen bilden den zweiten Hauptabschnitt dieses Buches. Sie enthalten eine Kritik jener anonymen „Unbefangenen Prüfung des Theismus“, haben aber noch einen ganz skeptischen Schluß.
Nach diesen Vorbemerkungen wird ihr Inhalt keine Schwierigkeiten machen.
George John Romanes, der heimgegangene Verfasser von „Darwin und nach Darwin“, so wie von „Prüfung der Weismannschen Lehre“, nahm in den letzten Jahrzehnten eine hervorragende Stellung in der Biologie ein. Aber er beschäftigte sich auch unaufhörlich und je länger desto mehr mit den Problemen der Metaphysik und Theologie. Bei seinem im Frühsommer dieses Jahres (1894) erfolgten Tode hinterließ er unter seinen Papieren einige Notizen, welche zumeist im vorhergehenden Winter geschrieben und für ein Werk über die Grundfragen der Religion bestimmt waren. Er hatte angeordnet, daß diese Aufzeichnungen mir gegeben werden sollten, damit ich mit ihnen nach meinem Dafürhalten verführe.
Nach seinem Tode wurden sie mir demgemäß zugleich mit einigen noch nicht veröffentlichten Abhandlungen, von denen zwei den ersten Teil dieses Buches bilden, eingehändigt. Nachdem ich die Notizen gelesen und das für mich maßgebende Urteil Anderer über sie gehört habe, trage ich kein Bedenken, ihren bei weitem größeren Teil zu veröffentlichen und zwar mit dem Namen des Autors, obwohl das Buch ursprünglich anonym erscheinen sollte. Nach dem Wenigen, was mir George Romanes selbst darüber gesagt hat, zweifle ich keinen Augenblick, daß er damit einverstanden sein würde, wenn die Veröffentlichung nach seinem Tode unter seinem Namen geschieht.
Ich sagte, daß ich nach der Lektüre dieser Notizen nicht daran zweifelte, daß sie veröffentlicht werden sollten. Sie verdienen es wegen ihres inneren Wertes und auch deshalb, weil sie die religiöse Denkweise eines Naturforschers beleuchten, der im hohen Grade begabt, vielseitig gebildet und in seltenem Maße unparteiisch und offenherzig war. Von allen diesen Eigenschaften legen die Notizen, die ich hiermit der Öffentlichkeit übergebe, unzweifelhaft Zeugnis ab.
Nach größeren Bedenken entschloß ich mich, auch die anderen schon erwähnten, bisher noch ungedruckten Abhandlungen zu veröffentlichen. Da dieselben einen früheren Standpunkt als jene Aufzeichnungen vertreten, so setze ich sie natürlich an erste Stelle.
Die Abhandlungen und die Notizen offenbaren aber beide die Entwicklung eines Geistes vom Unglauben zum Glauben an die christliche Offenbarung. Sie zeigen das Streben eines Mannes, der Gott sucht, „ob er doch ihn fühlen und finden möchte“, nicht den Standpunkt festbegründeter christlicher Überzeugung. Selbst die Notizen enthalten in der That noch manches, was ein im Glauben feststehender Mensch nicht aussprechen könnte. Bei dieser Sachlage muß ich natürlich ein Wort darüber sagen, wie ich mein Amt als Herausgeber verstanden habe.
Ich habe die Frage, ob ich diese oder jene Notiz veröffentlichen sollte, lediglich darnach entschieden, ob sie hinreichend bearbeitet war, um verständlich zu sein und habe streng jede Frage nach meiner eignen Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung ausgeschlossen. Besonders bei einer Notiz wäre es mir unklar gewesen, ob ich sie hätte veröffentlichen sollen, hätte meine bestimmte Abweichung von ihrem Inhalt mich nicht fürchten lassen, daß nur Vorurteile mich geneigt machten, sie dem Leser vorzuenthalten. Die Notizen samt den vorhergehenden Abhandlungen sind, denke ich, besser zu verstehen, wenn ich einige erläuternde Bemerkungen über ihre Vorläufer, d. h. über Romanes frühere die religiösen Fragen betreffenden Schriften voranschicke.
Im Jahre 1873 erhielt George Romanes auf Grund einer Abhandlung den „Burney-Preis“ in Cambridge. Der Gegenstand dieser Abhandlung war das christliche Gebet in Beziehung zu dem Glauben, „daß der Allmächtige die Welt nach feststehenden Naturgesetzen regiert.“ Sie wurde 1874 mit einem Anhang über „die physische Kraft des Gebets“ veröffentlicht. In dieser Abhandlung, die Romanes mit 25 Jahren geschrieben hat, zeigten sich schon die charakteristischen Eigenschaften seines Geistes und Stils. Da offenbarte sich schon die Liebe zur Wissenschaft, wie man es ja von einem Naturforscher erwarten kann. Da finden wir die logische Schärfe und die Vorliebe für exakte Definitionen, auch die natürliche Frömmigkeit und die Wertschätzung des christlichen Gebets, welche spätere Reflexionen im Grunde doch niemals ausrotten konnten. Auch dieser Aufsatz zeugt schon von hervorragender Befähigung.
Einerseits wird zum Zweck der Beweisführung das Dasein eines persönlichen Gottes angenommen, desgleichen die Gewißheit der christlichen Offenbarung, die uns ein Recht zusichert, wenn auch bedingungsweise und in gewissen Grenzen, doch wirkliche Antworten auf Gebete um irdische Güter zu erwarten. Andrerseits wird der Glaube als selbstverständlich angenommen, daß allgemeine Naturgesetze das der Beobachtung zugängliche Gebiet der Natur beherrschen.
Dann wird die Frage erörtert: „Wie läßt sich die physische Wirksamkeit des Gebets, welche der Christ auf Grund der Offenbarung annimmt, mit der wissenschaftlich erkannten Thatsache vereinbaren, daß Gott die Welt durch feststehende Naturgesetze regiert?“
Die Antwort sucht er hauptsächlich dadurch zu geben, daß er die enge Begrenzung jenes Gebiets mit Nachdruck hervorhebt, innerhalb welcher wissenschaftliche Forschung angestellt und wissenschaftliche Erkenntnis erlangt werden kann. Es können besondre göttliche Antworten auf Gebete selbst im Gebiet der Natur vorkommen —, ja es können sogar als Antwort auf Gebete Naturkräfte in Erscheinung treten; aber dennoch brauchen sie nicht Phänomene hervorzubringen, welche die Naturwissenschaft beachten und als wunderbar und die gewöhnliche Ordnung der Dinge durchbrechend ansehen müßte.
An einer Stelle kommen die Notizen auf diese Abhandlung zurück, und häufiger, wie wir darauf aufmerksam machen werden, wiederholen sich Gedanken, die schon in jener früheren Abhandlung ausgesprochen, aber inzwischen verworfen waren. Ich weiß nicht, ob Romanes im Grunde genommen wirklich von der Spekulation und der Schlußfolgerung seiner Erstlingsarbeit befriedigt blieb, jedenfalls sah er sich bald nach der Veröffentlichung jener Abhandlung veranlaßt, die dort zugegebene Grundlage des Theismus zu verwerfen: Er wandte sich nämlich rasch und entschieden zu einem skeptischen Standpunkt, auf dem er das Dasein Gottes überhaupt bezweifelte.
Die genannte Abhandlung wurde im Jahre 1874 veröffentlicht. Schon 1876 wenigstens hatte er ein anonymes Werk mit einem gänzlich skeptischen Schluß geschrieben, der Titel desselben lautete: „Eine unbefangene Prüfung des Theismus,[2] von Physicus“[3].
Da die „Notizen“ mit direkter Bezugnahme auf dieses Werk geschrieben wurden, so scheint mir eine nähere Erörterung seiner Beweisführung notwendig, und diese finden wir in dem letzten Kapitel des Werkes selbst, wo der Verfasser die Ergebnisse zusammenfaßt. Ich gebe daher dieses Kapitel ausführlich wieder.[4]
***
§ 1. Unsre Auseinandersetzung ist nun zu Ende, und wenige Worte werden genügen, um einen kurzen Ueberblick über die zahlreichen Thatsachen und Schlüsse zu gewinnen, deren Betrachtung für unsern Zweck nötig war.
Wir sprachen zuerst von der offenbar thörichten Annahme, daß der Anfang aller Dinge oder das Geheimnis des Daseins, [d. h. die Thatsache, daß überhaupt irgend etwas existiert] durch die Theorie des Theismus irgendwie besser als durch die Theorie des Atheismus erklärt würde. Dann wurde gezeigt, daß das Argument „unser Herz fordert einen Gott“ deshalb hinfällig ist, weil wir sahen, daß solch eine subjektive Notwendigkeit, selbst wenn sie bewiesen wäre, doch nicht hinreichte, um objektiv die Existenz Gottes zu beweisen oder auch nur wahrscheinlich zu machen. In Bezug auf das weitere Argument, daß die Thatsache unseres theistischen Verlangens nach Gott auf Gott selbst als auf ihre erklärende Ursache hinweise, mußten wir bemerken, daß dasselbe nur dann zulässig sein könnte, wenn die Möglichkeit der Wirkung natürlicher Ursachen [eben bei dem Entstehen unsers Verlangens nach Gott] abgeschlossen wäre. In ähnlicher Weise wurde gefunden, daß das Argument von der mutmaßlichen, unmittelbar erkannten Notwendigkeit des Gedankens eines einzelnen Individuums, [d. h. die Behauptung, daß die Menschen sich nicht von der Überzeugung befreien können, daß Gott existiert], unhaltbar ist: erstens, weil diese mutmaßliche Notwendigkeit nur für jenen einzelnen besteht; und zweitens, weil es thatsächlich höchst unwahrscheinlich ist, daß diese mutmaßliche Notwendigkeit eine wirkliche ist, selbst auch nur für den, der sie behauptet, während sie dies für die große Mehrheit des Menschengeschlechts ganz sicherlich nicht ist. Da das Argument von der allgemeinen Übereinstimmung der Menschheit[5] den Thatsachen gegenüber ganz augenscheinlich ein trügerisches ist, so wurde dieses ohne weitere Besprechung übergangen. Das Argument ferner: Die Welt müsse eine erste Ursache haben, — enthält einen logischen Selbstmord. Das letzte Argument lautete: Da der menschliche Wille die Kausalität der Natur beeinflußt, so ist wahrscheinlich alle Kausalität ihrem Wesen nach der Ausfluß eines Willens. — Dieses Argument besteht, wie gezeigt wurde, aus einer Reihe so ungeheuerlicher Schlüsse, daß es wertlos ist.
§ 2. Bezüglich der weniger oberflächlichen Argumente zu Gunsten des Theismus zeigte sich zuerst, daß der Vernunftschluß: alle bekannten Geister stammen von einem unbekannten Geist ab; unser Geist ist ein bekannter Geist; daher stammt auch er von einem unbekannten Geist ab — aus zwei Gründen unzulässig ist. Erstens ist es keine Erklärung des Geistes, wenn man ihn auf einen früheren Geist als seinen Ursprung zurückführt, und wenn diese Hypothese, falls zulässig, nun auch eine Erklärung für einen bekannten Geist ergeben würde, so ist sie doch als Beweis für die Existenz eines unbekannten Geistes, dessen Annahme doch ihre Grundlage bildet, ganz nutzlos. Und ferner: Wenn man sagt, daß der Geist derartig ein Wesen eigener Art ist, daß er entweder aus sich selbst existiert oder aber einen andern Geist als Ursache haben muß, so giebt es auch für diese Behauptung keinen wirklich zureichenden Grund. Das ist der zweite Einwand gegen den obigen Vernunftschluß; denn nichts in dem ganzen Gebiet des Möglichen könnte unseres Wissens imstande sein, eine selbstbewußte Intelligenz zu erzeugen. Deshalb braucht sich ein Gegner des obigen Vernunftschlusses überhaupt keine Theorie von dem ersten Ursprung aller Dinge zu bilden; aber gerade gegenüber zu der klaren und bestimmten Lehre des Materialismus ist der obige Vernunftschluß nicht besonders beweiskräftig. Wohl wissen wir, daß das, was wir Kraft und Stoff nennen, allem Anschein nach ewig ist, wir haben aber hingegen keinen entsprechenden, ebenso sicheren Beweis dafür, daß ein Geist ewig wäre. Ferner ist der Geist, so weit die Erfahrung reicht, stets mit hochdifferenzierten Kombinationen von Stoff und Kraft verbunden,[6] und viele Thatsachen beweisen den Schluß, — keine einzige aber widerspricht ihm — daß der Grad der Intelligenz stets von einem entsprechenden Grad der Gehirnentwickelung abhängt oder doch wenigstens mit ihm verbunden ist. Darnach besteht sowohl qualitativ als auch quantitativ[7] eine Beziehung zwischen Intelligenz und Gehirnorganisation. Wenn man dann aber einwirft, daß Materie und Bewegung kein Bewußtsein hervorbringen konnten, weil dies unfaßbar ist, so haben wir gesehen, daß dies nichts entscheidet. Es handelt sich hier ja um etwas zugegebener maßen Transzendentales, auch steht es fest, daß das Wesen des Geistes unerkennbar sein muß, und es ist doch wohl von vornherein wahrscheinlich, daß die Ursache dieses unerfaßbaren Wesens viel schwieriger zu erkennen sein wird, als der Inhalt jeder andern Hypothese, die für den Verstand faßbarer ist. Wenn man auch sagt, daß die begreiflichere Ursache auch die wahrscheinlichere ist, so haben wir gesehen, daß man in unserm Fall unmöglich die Gültigkeit dieses Ausspruchs anerkennen kann. Die Behauptung endlich, daß die Ursache aktuell schon alles enthalten muß, was ihre Wirkungen enthalten können, ist logisch unzulässig und wird durch tägliche Erfahrung widerlegt, während das Argument von der vermeintlichen Willensfreiheit und der Thatsache des moralischen Sinnes sowohl deduktiv durch die Entwicklungslehre, als auch induktiv durch die Lehre des Utilitarismus zurückgewiesen wird. Die Lehre vom freien Willen ist in der That durchaus unhaltbar[8] und der Beweis dafür, daß der moralische Sinn das Ergebnis einer völlig natürlichen Entwicklung[9] ist, überwältigend, und diese Erkenntnis, zu welcher wir aus allgemeinen Gründen gelangten, wird auch mit unwiderstehlicher Gewalt durch die Darstellung des menschlichen Gewissens bestätigt, welche die Theorie des Utilitarismus liefert, und diese gründet sich auf die breitesten und auf ausnahmslos gültige Induktionen.[10]
Kurz, wir müssen in Bezug auf das Argument vom Dasein des menschlichen Geistes sagen, daß ihm jeder nachweisbare Wert fehlt: man ist nicht berechtigt, den Schluß zu ziehen, daß unser Geist durch einen anderen Geist hervorgebracht worden ist; mit gleichem Recht könnte geschlossen werden, er sei durch irgend etwas anderes sonst verursacht.
§ 3. In Bezug auf das Argument vom Zweck ist zu bemerken, daß Mills Auseinandersetzung desselben [in seiner Abhandlung über den Theismus] nur eine Wiederholung desselben Arguments ist, das schon Paley, Bell und Chalmers aufstellten. Wir sahen, daß der erstgenannte Schriftsteller den ganzen Gegenstand mit einer Schwäche und Ungenauigkeit behandelte, welche bei ihm sehr überrascht, denn während er gar kein Gewicht auf den induktiven Beweis der organischen Entwicklungslehre legt, nimmt er andererseits anstandslos eine übernatürliche Erklärung der biologischen Erscheinungen an und ist überdies merkwürdiger Weise in der Auseinandersetzung des Zweckarguments selbst fehl gegangen, indem er ebenso wenig wie alle früheren Schriftsteller beachtete, daß wir ganz unmöglich die Beziehungen zwischen dem Zwecksetzer und dem Bezweckten wissen; noch viel weniger können wir von der Behauptung ausgehen, daß der höchste Geist — seine Existenz einmal angenommen — die Welt durch irgend eine besondere Denkoperation hervorgebracht hat. Alle Anwälte des Zweckarguments haben nicht bemerkt, daß wir, selbst wenn wir von dem Dasein der Natur auf einen schöpferischen Geist schließen, doch mit keinem Schatten eines Rechts folgern dürfen, daß dieser Geist seine schöpferische Kraft nur durch irgend eine Denkoperation habe ausüben können. Wie thöricht muß es daher sein, die vermeintliche Gewißheit solcher Denkoperation zu einem Beweise für das Dasein eines Schöpfergeistes selbst zu erweitern! Wenn aber ein Theist erwidert, es sei von geringer Bedeutung, ob wir die Art und Weise, wie die Schöpfung vor sich ging, erraten können, wenn nur die Thatsachen bezeugen, daß die Naturerscheinungen aus irgend einer höchsten Intelligenz als letzter Ursache herzuleiten sind, — dann bin ich der erste, der dem zustimmt. Es ist mir von jeher eine der unbegreiflichsten Thatsachen in der Geschichte der Spekulation gewesen, daß so viele maßgebende Gelehrten den Zweck als einen Beweis für den Theismus ansehen, wissen sie doch alle sehr wohl, daß sie keine Mittel haben, das Wesen des höchsten Geistes zu erkennen, dessen Dasein das Argument erweisen soll. In Wahrheit kann und darf sich das Argument vom Zweck nur einzig und allein auf die der Beobachtung zugänglichen Thatsachen der Natur stützen, es darf aber nicht auf die geistigen Prozesse, durch welche diese Thatsachen vermutlich zu erklären sind, bezugnehmen. Bei dem gegenwärtigen Stand unsrer Erkenntnis müssen wir dann aber an Stelle des Zweckarguments in seiner groben, von Paley herrührenden Form das Argument von der allgegenwärtigen Wirkung des Naturgesetzes setzen.
§ 4. Das Zweckargument[11] sagt: es muß einen Gott geben, weil der Bau eines organisierten Gebildes einen geistigen Prozeß[12] voraussetzt. Das aus der allgegenwärtigen Wirkung der Naturgesetze gefolgerte Argument besagt: „es muß einen Gott geben, weil der Bau eines organisierten Gebildes schließlich auf eine Intelligenz zurückzuführen ist.“ Jedes organische Gebilde zeigt nämlich mehr oder weniger verwickelt das Prinzip der Ordnung, jedes Ding ist ferner mit allen andern Dingen zu einer allgemeinen Naturordnung verbunden. Wegen dieser Allgemeinheit der Ordnung ist es unvernünftig, die Zufalls-Hypothese auf das Weltall anzuwenden. „Wir mögen von einer höchsten Ursache denken, was wir wollen, die Thatsache bleibt bestehen, daß aus ihr ununterbrochen ein unmittelbarer Einfluß ausgeht und zwar so verblüffend, großartig und exakt, wie es nur unsrer höchsten Vorstellung von der Gottheit würdig ist.“[13] Dieses Argument haben wir mit den Worten von Prof. Baden Powell folgendermaßen erläutert: „Was Vernunft und Denken erfordert, um verstanden zu werden, muß selbst Vernunft und Denken sein. Was nur der Geist erforschen oder ausdrücken kann, muß selbst Geist sein. Und wenn der höchste Begriff, den man von einem zu erforschenden Geist oder einer zu erforschenden Vernunft erlangt, nur unvollkommen ist, dann sind beide größer als der Geist und die Vernunft dessen, der sie erforscht. Wenn mit der gründlichen Erforschung der dadurch offenbarte notwendige Zusammenhang der Dinge um so ausgedehnter und komplizierter wird, dann wird auch die Größe und der Umfang der Vernunft, die sich derartig doch immer nur teilweise offenbart, um so augenscheinlicher; auch wird es dann sicherer, daß sie wirklich in der unwandelbar verbundenen Ordnung der Dinge unabhängig von dem Geist des Forschers existiert.“ Dieses aus einem universellen Kosmos gefolgerte Argument hat den Vorteil, daß es durchaus unabhängig von der Art und Weise ist, wie die Dinge das wurden, was sie jetzt sind. Es wird also von der Annahme einer Entwicklung nicht berührt. Bis vor kurzem schien es daher thatsächlich auch unantastbar zu sein.[14]
„Wir sind aber nichtsdestoweniger zu dem Bekenntnis gezwungen, daß seine scheinbare Stichhaltigkeit vor der unbestreitbaren Thatsache zu nichte wird, daß jedes Naturgesetz, wenn Kraft und Stoff seit Ewigkeit gewesen sind, ganz natürlich entstanden sein muß. ... Man darf keinen Augenblick daran zweifeln, daß die wundervolle Schönheit und Harmonie der Natur notwendig und unvermeidlich aus der Erhaltung der Kraft und aus den Ureigenschaften des Stoffes folgen, gerade so zweifellos wie der Satz, daß die Kraft erhalten wird oder daß der Stoff Ausdehnung besitzt oder undurchdringlich ist.[15] ... Man wird sich erinnern, daß ich diese Wahrheit lange und mit großem Ernst erörterte, nicht allein weil sie in Rücksicht auf unsern Gegenstand so unermeßlich wichtig ist, sondern auch, weil kein anderer sie bis jetzt in diesem Zusammenhange erörtert hat.“ Es wurde auch auseinandergesetzt, daß der Zusammenhang und die Übereinstimmung des Makrokosmos des Weltalls mit dem Mikrokosmos des menschlichen Geistes daraus entspringen kann, daß der menschliche Geist nur ein Produkt der allgemeinen Entwicklung ist; denn seine subjektiven Beziehungen werden notwendiger Weise jene äußeren Beziehungen, deren Produkt sie selbst sind, wiederspiegeln.[16]
§ 5. Unsere weitere Erörterung milderte indessen den unerbittlich strengen Schluß aus dem gänzlichen und hoffnungslosen Zusammenbruch aller etwa möglichen Beweise zu Gunsten des Theismus. Als wir nämlich ausführlich dargelegt hatten, daß es nicht einmal einen Schatten eines positiven Beweises zu Gunsten der theistischen Theorie giebt, da entstand die Gefahr, daß manche nun irrtümlicher Weise weiter schließen könnten: aus diesem Grunde sei die theistische Theorie selbst falsch. Es war nun also noch folgendes zu erwägen: wenn auch die Natur nach dem Stande unserer heutigen Erkenntnis keiner intelligenten Ursache zur Erklärung irgend einer ihrer Erscheinungen bedarf, sollten wir dann nicht bei höher entwickelter Erkenntnis möglicher Weise doch einmal entdecken können, daß die Natur ihr Dasein doch einer intelligenten Ursache verdanken muß? Die Wahrscheinlichkeit, daß eine intelligente Ursache unnötig ist, um irgend eine Naturerscheinung zu erklären, ist dann nicht größer als die andere, daß die Lehre von der Erhaltung der Kraft überall und zu allen Zeiten gegolten hat.