Gedankentransporter - Felicia C. Gerber - E-Book

Gedankentransporter E-Book

Felicia C. Gerber

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Beschreibung

Dieser Roman ist außergewöhnlich, spannend und hinterlässt Fragen, Nachdenklichkeit und Neugier. Am Ende jedes Kapitels erscheint ein wichtiger Hinweis auf das Roman-Ende. Die verschiedenen Geschichten werden sich zum Schluss zusammenfinden. Zahlreiche spannende Gedanken-Ereignisse ergänzen sich und überraschen.

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Für meinen Mann Günter

Und als Andenken an meinen Eltern und Großeltern die mich bedingungslos geliebt haben.

Ich danke meinem Mann Günter von ganzem Herzen für seine liebevolle und unermüdliche Unterstützung. Ohne ihn würde es diesen Roman nicht geben.

Genauso herzlich möchte ich mich auch bei meiner Tochter Myriam G. Gerber, der Studentin der Vergleichenden Sprachwissenschaft Kira Börner und einem befreundeten Diplom Übersetzer für das Korrekturlesen bedanken.

Cover-Model Myriam G. Gerber

Inhaltsverzeichnis

Kapitel I Die Gedankentransporter

Kapitel II Draculas Urenkel

Kapitel III Zauber Ecken

Kapitel IV Sieben Tage Sehnsucht

Kapitel V Kinderinsel

Kapitel VI Reichenzoo 3030

Kapitel VII Generation X (zwei Stunden)

Vorwort

Meine Fantasie ist zumindest für mich bestätigt als

Jacques Attali

Geboren am 01.11.1943 in Algier; französischer

Wirtschaftswissenschaftler schrieb:

Telepatia este astfel (deja) realitate. “Vom culege cu toții „beneficiile“ acestei tehnologii. „Mâine, aceste procese vor permite să avem forme de comunicare directă prin intermediul minții, să ne îmbunătățim procesul de învățare și de creație în rețele de comunicare asistate electronic.” Consecința acestei evoluții va fi supravegherea sufocantă. Astăzi, statul are acces la profilul nostru de pe Facebook, mâine ne va cunoaște fiecare gând al nostru.

Într-o zi, consideră Attali, conștiința va fi stocată digital și va fi posibil să trăiască în gazde multiple…

Übersetzung aus dem Rumänischen in Deutsch von F. C. Gerber

Die Telepathie ist „schon“ Realität. „Wir alle werden dank dieser Technologie Vorteile bekommen.

Morgen wird dieses Prozedere eine direkte Form der Kommunikation durch den Verstand erlauben, um das Lernprozedere und die Entwicklung in der Kommunikationsvernetzung, die elektronisch assistiert werden, zu verbessern.“

Folglich wird diese Entwicklung die erstickende Aufsicht sein. Heute hat der Staat Zugang zu unserem Facebook-Profil, morgen werden sie jeden unserer Gedanken kennen.

Eines Tages, schätzt Attali, wird unser Bewusstsein digital aufgestockt, und es könnte möglich sein, dass es in mehreren Gastgebern leben kann.

- / -

Die Gedanken waren, sind und werden immer frei sein! Ihre Schriftstellerin

Die Geschichten

sind natürlich frei erfunden und Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen oder Situationen sind rein zufällig.

Marc Aurel

Das Leben eines Menschen ist das, was seine Gedanken daraus machen

Kapitel I

DIE GEDANKENTRANSPORTER

Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach

Ein Gedanke kann nicht erwachen, ohne andere zu wecken.

(1830 - 1916), österreichische Erzählerin, Novellistin und Aphoristikerin

Quelle: Ebner-Eschenbach, Aphorismen, 1911. Originaltext

Genau um Punkt 12 Uhr hört man im ganzen Universum die Nachrichten:

»Ein Gedanke kommt nie alleine. Es folgen ihm tausende, ich meine, Millionen von Gedankentransportern. Liebe Mitmenschen, obwohl wir das Jahr 3030 schreiben, haben wir nichts dazugelernt.

Die Roboter oder die halb-maschinellen Wesen mit ihrer höchst perfektionierten künstlichen Intelligenz und wir, die noch übriggebliebenen Menschen, in denen die Gedankentransporter eine gewichtige Rolle spielen, führen immer noch zusammen oder gegeneinander Kriege. Es gibt wenige Plätze auf den künstlich angelegten Kugelplaneten, an denen Zufriedenheit, Verständnis und Frieden herrscht. Ihr, meine Mitbewohner aller Galaxien, vergesst nicht, dass nur die Denker, diese Gedankentransporter, unsere besten Freunde oder die gefährlichsten Gegner sein können.

Ein Teil von uns Menschen lebt auf bestimmten Flecken der Erde oder unter der Erde. Der Rest von uns auf Kugelplaneten über Wasser oder im Weltall. Die Gedankensammler können unsere Gedanken lesen, erahnen und transportieren! Sie können noch viel mehr, aber bis jetzt konnten wir die Gedankenformel nicht entziffern. Ganz vorne, an oberster Stelle, steht die größte und älteste Denkerin, die Fee. Danach kommen ihre Tochter und Enkelkinder...«

In einem großen Konferenzraum mit undefinierbaren Lichtern, auf einem speziellen Kugelplaneten irgendwo im Universum, hört man in einem geheimen Labor der Weltmacht, wie eine Stimme die Nachrichten unterbricht.

»Jetzt, reicht es!«

Die wichtigste Person in diesem Konferenzraum, der Professor, macht mit der Hand eine horizontale Bewegung in Richtung der Wand, aus der die Nachrichtenstimme kam. Er ist sichtlich aufgeregt.

Jetzt war es ganz ruhig im Raum. Zehn Männer, ganz in weiß gekleidet, sitzen an einem Konferenztisch. Der Tisch ist groß, sehr lang und mit einer Glasplatte versehen, durch die man die Beine der Sitzenden sehen kann. Einige von ihnen haben Schuhe an, andere nicht.

Es war vorauszusehen, dass diese Sitzung mit hoher Wahrscheinlichkeit länger dauern wird. Aus diesem Grund hatten einige Wissenschaftler ihre Schuhe ausgezogen. Jeder ist mehr oder weniger mit sich selbst beschäftigt. Einer spielt mit seinen Händen, ein anderer streichelt mit dem Zeigefinger in langsamer Bewegung zart über den Nagel seines Daumens, und sein Nachbar ist vertieft in ein auffällig rotes Dossier. Nur einer, scheinbar der wichtigste von den zehn Männern, sitzt am Kopfende des Tisches und hält einen unheimlich aussehenden Kugelschreiber in seiner Hand. Dieser Kugelschreiber kann ihn vor Denkern schützen. Das ist seine Geheimformel. Der Professor ist groß, schmal und trägt einen frisch gestutzten Dreitagebart. Er spricht laut und bestimmend:

»Es ist Zeit. Jetzt bitte ich Sie alle um Ihre Aufmerksamkeit. Ruhe bitte!«, sagt er noch einmal laut und schroff, als die Anwesenden nicht aufhören, sich zu unterhalten.

»Ich bitte Sie, für die Dauer der ganzen Vorführung Ruhe zu bewahren. Ihre konstruktiven Meinungen, wenn sie überhaupt notwendig sind, werde ich mir zum Schluss anhören. Ich möchte keine Unterbrechungen haben! Haben wir uns verstanden?«

»Ja, klar und deutlich, Herr Professor!«, kommt prompt die Antwort von den anwesenden Männern.

»Sie werden jetzt live ein Gedankenträgerexemplar erleben. Sie hat von ihrer Großmutter und Urgroßmutter, mütterlicherseits, die meisten Gene, Stärken und Fähigkeiten bekommen. Oder besser gesagt geerbt. Über sehr lange Zeit wurde mit ihren Genen experimentiert. Selbstverständlich hatte keiner etwas bemerkt. Diese Eingriffe in ihre DNA gehörten der höchsten Geheimhaltungsstufe an. Dies ist nicht die einzige Familie, aber für uns die wichtigste, denn sie ist die begabteste von allen Probanden. Sie alle werden erstaunt sein, wie weit wir mit unseren Ergebnissen gekommen sind.«

Der Professor schaut allen Anwesenden reihum tief und eindringlich in die Augen. Er hebt seine Augenbrauen.

Sein Gesicht ist nun noch ernster als zuvor. Er ist sehr zufrieden mit sich. Er weiß jetzt, dass er ihre totale Aufmerksamkeit erlangt hat.

In dem Raum ist es so still, dass man die Mücke an der Wand hören kann. Die molekulare Darstellung ist etwas Undefinierbares. Sie ergänzt und produziert sich selbst schwebend im Raum, super groß und mysteriös zugleich. Das Licht wird heller und ein Kind, ein Mädchen, erscheint mit gesenktem Kopf. Sie ist überdimensional groß, in einer noch nie dagewesenen molekularen Zusammensetzung zu sehen. Das Mädchen sieht aus, als wäre es aus Millionen von Puzzleteilen zusammengesetzt, die durch die Luft auf einen Stuhl transportiert wurden. Sie trägt nur ein weißes T-Shirt, eine kurze rote Hose und einen durchsichtigen außerirdisch aussehenden Helm mit unzähligen Knöpfen und Lichtern, die wie Sterne im ganzen Raum strahlen. Die Lichter sehen wie Gedanken aus. Man kann sie nicht festhalten oder einfangen. Die Wissenschaftler trauen ihren Augen nicht und schauen dem Ereignis mit halbgeöffnetem Mund zu. Das Mädchen, eine menschlich aussehende Lebensform, schaut gerade aus und fängt an, mit ernster Miene zu sprechen:

»Ich bin Mara, das Sprachrohr meiner Oma. Sie schickt mir die Gedankenwörter und ich schenke sie euch hörbar weiter.«

»Also, ihr Sapiens, ich werde euch durch meine Enkelin über die Vergangenheit, vielleicht auch über die Zukunft, ein wenig einweihen. Du kannst jetzt anfangen meine geliebte und über alles talentierte Mara!«

»Ich bin eine von euch, ich bin eine Sklavin des 19. und 20. Jahrhunderts.

Ich bin in den 80er Jahren im Alter von 25 Jahren aus meinem Heimatland geflüchtet.

Ich bin vor den damaligen Ideologien, vor einem Teil der Familie und sogar vor mir selbst geflüchtet. Ich bin vor dem Land geflüchtet, in dem man seine eigenen Worte flüsternd aus dem Asphalt hören konnte. Ich habe das Land, in dem ich geboren wurde, und diese wunderschöne internationale Stadt namens Bukarest, voll mit Kontroversen, Nationalitäten und Farben, verlassen müssen. Aber die Wände haben Ohren und Freunde können Feinde sein. Einige Familienmitglieder sind in der Partei und heiß auf die Vorteile, die für sie dadurch herausspringen. Sie halten sich bedeckt und geben nicht offen zu, dass sie praktisch Spione sind.

Der Securist, der Geheimdienst an meinem Tisch, sozusagen! Die Sicherheit ist der Wunschtraum schlechthin. Sonst habe ich alles, Liebe, viel Liebe, Geborgenheit und Schutz. All dies bekomme ich von meinen Eltern und Großeltern, sowie von den engsten Familienmitgliedern, die nicht in die Partei eintraten.

Ich bin verwöhnt worden und ich lebte in einem Elfenbeinturm, wie es ein griechischer Freund einmal ausdrückte. Mit 20 Jahre habe ich ein nagelneues Auto bekommen. Die Polizei stoppte den ganzen Verkehr in der Piața Romană, mitten in Bukarest, sodass ich mit meinem Auto problemlos rausfahren konnte, vom Bürgersteig aus in Richtung Arc de Triumph, zu meiner Freundin, die Tochter eines Ministers, oder in Richtung Calea Victoriei, zu der Akademie, in der mein Vater eine sehr hohe und wichtige Position innehatte. Ich war wichtig und das nur, weil ich in eine besondere Familie hineingeboren wurde, in der die Mutter die Hälfte der Reden von Ceausescu schrieb, eingesperrt in einem Zimmer, die ganze Nacht. Sie war getrennt von der anderen, ihr unbekannten, aber genauso wichtigen und vertrauensvollen Person, die die andere Hälfte der Reden schrieb. Mein Opa und mein Vater, ebenso wie meine Mutter, waren gewichtige, respektierte und geliebte Menschen in der Akademie. Meine Mutter wurde schon als Kind mit dem Rolls Royce des Ministers und Wissenschaftlers Jorgu Jordan, GriGri genannt, Freund meines Opas, spazieren gefahren.

Mein Vater, der unter anderem auch eine „One-Man-Bank“ war und in einem geheimen Büro mit Siegel an der Tür in der Akademie arbeitete, rettete vielen Menschen das Leben und praktisch ihre Existenz.

Ich flüchtete vor Wohlstand, Ansehen, Geborgenheit, Liebe und Freunden, in ein Land, das mir Hoffnung und politische Freiheit versprach.

Der einzige Mensch, vor dem ich nicht geflüchtet bin und den ich immer und überall in meinem Herzen trage, ist mein Kind.

Wer kann mich verstehen, wenn ich von dem Augenblick erzähle, als mein Herz wie versteinert stehen geblieben ist, wie in einem Vakuum, für ein paar Sekunden lang, denn mein ganzes Wesen verließ gerade mein Kind. Mein Magen war nur noch ein Luftloch, herumgewirbelt wie von einem Taifun. Ein blondes Mädchen mit lockigen Haaren, rehbraunen Augen und gerade mal 3 Jahre alt nannte ich mein Kind.

Der Zug rollte aus dem Bahnhof, langsam, sehr langsam, schmerzvoll und laut, sehr laut. Was ich am Horizont noch sehen konnte, war nur ein blondes kleines Köpfchen und ein winkendes Händchen.

Gott sei Dank, mein kleines Wesen sah meine Tränen nicht.

Das Gefühl ist ein stummer Schmerz, unausgesprochen, unvermittelbar und unersetzbar. Mein Herz wurde in dem Moment in zwei Hälften zerrissen.

Die Mütter, die diese Gefühle kennen, können mich verstehen. Sie können die salzigen Tränen schmecken, die wie Wasserfälle auf den Wangen zum Mund runterkullern. Die Mütter spüren diese unendliche, tiefe Trauer, die der Verlust eines geliebten Menschen auslöst, und nichts und niemand kann sie ersetzen.«

Die zehn Wissenschaftler hören angespannt zu. Es ist offensichtlich, dass dieser Moment sie berührt und aufgewühlt hat.

»Hört ihr, Mara ist das Sprachrohr ihrer Großmutter.

Diese Experimente mit ihren Genen sind phänomenal!

Ihr werdet es unterwegs schon merken.«, sagt der Professor und die Spannung wächst ins Unermessliche.

Die Augen von Mara wandern von links nach rechts und von rechts nach links, ganz schnell hin und her.

Dann fängt sie an zu sprechen:

»Ich erzähle euch jetzt wieder von früher, aus meiner Jugend. Die Familie bestimmt durch die Erziehung deinen Weg. Es ist ein Kampf der Generationen. Es ist immer so gewesen und es wird auch immer so bleiben.

Die Kinder rebellieren gegen die Eltern und die Eltern gegen ihre Eltern.

Wir schreiben das Jahr 1974. Wir Jugendlichen feierten unseren Abiturball im Hotel International, im sogenannten Runden Saal. Im Runden Saal fanden regelmäßig nationale und internationale Veranstaltungen statt. Für unseren Abi-Ball wurden runde Tische in einem Kreis aufgestellt. Die überdimensionalen Kronleuchter verliehen dem Saal eine besondere Note. Die Türen waren groß, mächtig, wie aus der Märchensammlung „Tausendundeine Nacht“. Jeder von uns war elegant und außergewöhnlich schön angezogen. An meinem bodenlangen grünen Abendkleid hatten meine Tante und meine Mama mit sehr viel Mühe und Präzision mehrere Tage und Nächte gearbeitet. Die unzähligen Pailletten an dem Kleid reflektierten tausende von Lichtern an die Wände und ließen mich wie eine Prinzessin aussehen. Mein langes schwarzes Haar, bis an die Taille reichend, hob die mit Pailletten bestickte Pelerine noch mehr hervor. Die silbernen, italienischen Römersandalen verzauberten meine Füße. Dieses Privileg dabei zu sein, genoss ich sehr. Es war damals Luxus pur. Hier durften nur gewichtige Personen teilnehmen. Seit ich neun Jahre alt war, gab es in dem Hotel Farbfernseher, auch wenn im Land selbst noch keine einzige Sendung in Farbe ausgestrahlt wurde. Wir wussten, dass die Nutten für die reichen und wichtigen Personen aus aller Welt zur Verfügung standen. Auf privaten Partys tranken wir Wodka und tanzten zu einer Kassette mit Liedern von Demis Russos und Bob Dylan, oder zu einer Single-Schallplatte von Roger Whittaker. Es war egal. Hauptsache, wir konnten von abends bis morgens die Nächte zusammen verbringen.

Am nächsten Tag gingen wir, wie immer nach solchen Partys, müde, ausgelaugt, aber glücklich an die Uni oder zur Arbeit. Strenge Erziehung hatte starke Menschen aus uns gemacht.

Unter uns Freundinnen liehen wir Kleider, Schmuck und Autos aus. Wir halfen den Schwächeren in der Schule und teilten das Brot mit Heimkindern. Im Gegenzug beschützten sie uns. Wir sprachen und spielten mit behinderten Kindern und halfen der Oma über die Straße. Zu der damaligen Zeit war das im Osten ganz normaler Alltag. Wir sagten „Guten Tag!“ und trugen dunkelblaue Uniformen. Oben links auf der Brust war ein Stück Stoff mit einer Nummer bestickt, wie ein Etikett. Die hellblauen Blusen, dreiviertellange weiße Strümpfe und ein weißes Band im Haar durften nicht fehlen. Wir zogen die Uniformen in den Pausen bis über den Gürtel und so wurden sie zu Mini-Röcken, ganz kurz bis unter den Po, bis die Lehrer uns endeckten und ermahnten. Wir konnten von der Polizei oder von den Nachbarn verfolgt und verraten werden, wenn wir die Schule schwänzten, denn das Etikett war sichtbar. Wir konnten gefangen und bei den Eltern abgeladen werden und uns in der Schule als schlechtes Beispiel des Patriotismus mit rot eingekreist auf einem Plakat wiederzufinden. Und trotzdem schwänzten wir die Schule, rauchten insgeheim, wollten keine sehr guten Noten mehr haben, denn nur die Idioten mit sehr guten Noten wurden an der Wand aufgelistet, und wir waren glücklich und fühlten uns beschützt.

Es war ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Politik, der Polizei und den Generationen.

Man sah keinen Verbrecher auf der Straße. Die Polizei hatte Macht. Die Wände hatten Ohren. Die kleinen Securisten waren die Hunde des Staates. Sie kontrollierten, machten sich wichtiger als alle Chefs zusammen, schnüffelten überall und schmissen Leute aus dem Bett. Bist du ein Kind? Na und? Du hörtest das Holz der Schublade, hrjj, hrjjj, bum, bum! Sie wirbelten alles im Zimmer um, schmissen alle Sachen auf den Boden, traten, zertraten, hinterließen Chaos, schlaflose Nächte, Angst und wieder Angst. Das Telefon wurde abgehört. Du wusstest es, du hörtest es, crrj, crrrjj, und sie wussten, dass du es wusstest, selbst mit gerade mal neun Jahren. Die Tochter der Schwester meines Vaters war in Deutschland. Deswegen die nächtliche Razzia.

»Haben Sie Dollar? Woher kommt das Geld? Vielleicht aus dem Ausland?«, fragten die Securisten kurz und knapp.

»Wenn Sie die Verbindung zu Ihrer Nichte in Deutschland beenden, überwachen wir Sie nicht mehr.«, sagte der Securist.

»Nie! Meine Familie ist für mich das wichtigste auf der Welt.«, antwortete mein Vater souverän.

Wir waren Sklaven der Politik, der Polizei, der Generationen.

Wir waren junge Erwachsene in den 80er Jahren. Die Jungs trugen Bart, karierte Hemden und lange Haare wie die Hippies. Wir Mädchen zogen Mini-Röcke an und Schlagjeans bis unter den Bauchnabel und fühlten uns cool. Wir verliebten uns, trennten uns, litten, wurden betrogen und betrogen aus Rache. So änderten wir unseren Weg. Sie wissen ja, jeder Schritt bestimmt unser Schicksal. Wir wussten, dass wir schwule Kollegen hatten und es interessierte uns nicht, nur der Mensch zählte. Das Regime interessierte sich aber dafür und war gefährlich.

Wir küssten uns in der Schule und wurden von den Lehrern als „Affen im Dschungel“ verspottet. Das nannte man und nennt es auch immer noch Generationenkonflikt. Wir waren Sklaven der Erziehung.

Wir waren in einer Clique, Kinder von Fabrikarbeitern, von Piloten, Ärzten, Ministern, praktisch durch alle Schichten hindurch. Hauptsache wir waren Freunde und wir waren zusammen.

Wir identifizierten uns nicht durch unsere Eltern. Das war nicht unser Verdienst. Wir waren wir und mehr nicht.

Wir hatten Spaß, liebten und stritten uns, auf dieselbe Weise, wie jedes Kind oder jeder Jugendliche, egal in welchem Land auf dieser Erde.

Wir hatten keine Mobiltelefone, kein Tablet, kein E-Book, keinen Computer, und wir waren trotzdem immer vernetzt. Wir hatten uns immer gefunden, wenn wir nur wollten, auch bis ans andere Ende der Welt.

Wir hatten keine E-Mails, sondern haben Briefe geschrieben und Gedichte rezitiert. Wir hatten uns verabredet und bei den Freunden geklingelt und sie einfach besucht, geredet, gelacht, Briefmarken getauscht, gegessen, getrunken und Spaß gehabt.

Wir flirteten und küssten uns im Dunkeln auf den Partys. Sie fanden abwechselnd bei mir und bei jedem anderen aus der Clique zu Hause statt oder bei einem neu dazugewonnenen Freund. Die Väter machten das Licht an und ermahnten uns:

»Bitte, lasst das Licht an und tanzt lieber! Und du, runter von seinem Schoß! Das gehört sich nicht für eine junge Dame!«

Es dauerte nicht lange und die Party war schon vorbei, aber die Pärchen waren schon zusammengekommen und für den Moment zählte nichts und niemand anderes.

Wir wurden sehr streng erzogen.

Was ändert sich in der Zukunft? Ich erahne es nur.

Wir hatten uns gekannt und wir hatten die Eltern von den Freunden gekannt. Wir hatten die Lehrer und Direktoren gekannt.«

»Beobachten Sie, wie minutiös sie uns von den Jugenderlebnissen ihrer Großmutter erzählt? Und das passiert nur, weil sie es will. Es ist fabelhaft, denn nur so können wir viele Fakten von früher erfahren und vielleicht an unserer Zukunftsformel Änderungen vornehmen. Nicht umsonst haben wir synthetische DNA entwickelt.«, unterbricht der Professor, um die anderen weiter für die Erzählung zu sensibilisieren.

»Wir sind ganz Ohr, Herr Professor«, kommt prompt die Antwort.

Der Professor ist zufrieden.

Mara spricht sofort weiter:

»Wir hatten kein Fernsehprogramm, aber zwei Stunden Ceausescus-Rede war Pflicht. Dazu zeigten sie nur Parolen und Filme mit Untertitel. Die Straßen waren leergefegt, wenn „Simon Templer“ mit Roger Moore im Fernsehen lief. Wir lasen den Omas und Opas die Untertitel der Filme vor, denn ihre Augen waren schwach. Ich höre noch die Stimme meines Opas:

»Lest bitte weiter, ich gönne meinen Augen nur ein wenig Ruhe!«

Wir hörten aber die wahren Stimmen der Schauspieler.

Wir waren trotzdem freie Geister und träumten von einer besseren Welt. Wir bestellten Paris Match, besaßen Burda-Muster und wir lasen viele, viele Bücher.

Wir kauften uns mit Dollar Whisky und italienische Sandalen im sogenannten Intershop. Auch das war machbar, denn wir hatten viele Freunde. Wir hatten auch immer Bananen, Mandarinen oder Fleisch, denn jeder kannte jeden. Es gab sie tatsächlich, die geheimen Geschäfte der Politik, mit allem was das Herz sich wünscht.

Mein Opa hatte immer gesagt:

„Du darfst nie vergessen, die Menschen sind wertvoller als Gold.“

Wir schwänzten die Schule, rauchten, machten Autorennen auf den Boulevards, Dacia gegen Citroen.

Wir zählten die Automarken, wie Buick, Trabant, Chevrolet, Corvette, Cadillac, vom Fenster aus und machten uns ein Spiel daraus. Wir liebten Filme, die Eltern, die Freunde, und rebellierten. Wir zogen keinen BH an und die Jungs trugen lange Schlaghosen. Wir durften nicht in das verderbliche Ausland. Vor dem Abi hörten wir in der Klasse „Night in White Satin“, laut, sehr laut, und der Frust vom Lernen und so manchem Liebeskummer ging weiter. Wir studierten fleißig. Wir gehorchten, um einen besseren Status zu haben, einen besseren Platz in der Gesellschaft.

1989 war blutig, hässlich, angsterfüllt. Ich war aber schon längst in Saarbrücken, weit, weit weg von Bukarest.

Mit meiner Mutter am Telefon, so ein Telefon mit Wählscheibe, bei dem man stundenlang für eine Nummer brauchte und mein Mann sich die Finger blutig wählte, bis man die Verbindung bekam, hörte ich die Schüsse aus meiner alten Heimat.

„Versteck dich unterm Tisch!“, hörte ich mich schreien.

Die großen, grässlichen Einschusslöcher waren auch ein Jahr danach noch sehr gut sichtbar und die Gefahr blieb.

Das unwahrscheinlich große Land Rumänien, strategisch hervorragend gelegen, reich an Bodenschätzen, Öl, Wäldern und Sehenswürdigkeiten, wurde verraten.

Wir sind immer noch in Bukarest, aber vor 1989.«

Der Professor macht ein Zeichen in der Luft mit der Hand und sagt:

»Könnt ihr noch folgen? Seid bitte weiterhin sehr aufmerksam. Sie ist sehr gefährlich und die allerbeste Nachkommin von Fee. Wie ihr seht, habe ich euch nicht zu viel versprochen, im Gegenteil. Wenn sie will, kann sie jederzeit verschwinden, sich praktisch in Luft auflösen. Puff! «

Der Professor macht wieder die gleiche Bewegung mit der Hand und das Mädchen fährt fort.

»Die „Oberen Zehntausend“, also die politische Führung, sagte uns, wie lange wir noch gehorchen mussten. Sie gaben den Ton an. Auf einmal, ohne Warnung, wurden keine verlockenden, schmutzigen, verbotenen, westlichen Filme mehr gezeigt. Keine Zeitschriften, kein Paris Match, keine Bücher aus dem Westen hielten wir mehr in unseren Händen. Die Kultur war am Ende.

Es durfte keiner mehr Liebesgedichte ohne „Hoch lebe die Partei!“ schreiben. Na gut, dann eben so. Man schrieb ein Liebesgedicht mit einem Touch Politik innerhalb des wichtigsten literarischen Kreises „Cercul literar Kogălniceanu“ der Akademie. Und so war eines von vielen Gedichten für den 60. Geburtstag von Ceaușescu von mir. Es ist in einem Buch namens „Florile Darurilor“ zu finden. Es ist ein Unikat, nur einmal gedruckt, hochwertig, sehr hochwertig mit echter Goldschrift auf einer seltenen Papierart.

Übersetzt ins Deutsche heißt das Buch „Die Blumen der Geschenke“. Das Buch ist entweder bei dem unbekannten Eigentümer selbst oder irgendwo anders.

Ich habe die Spur leider verloren und nicht einmal Google konnte mir im Jahr 2016, weiterhelfen.

1981 wurde ich als unwürdiger jugendlicher Pionier am schwarzen Brett ausgehängt, obwohl ich schon längst im Ausland lebte. Na bitte, geht doch! Mein Bild war überall. Wir streben alle nach Anerkennung. Die hatte ich damit bekommen. Meine mutige Mama bot ihnen die Stirn und sagte:

»Wenn ihr dieses verleumderische Plakat bis morgen nicht runtergenommen habt, dann habe ich viel zu erzählen.«

Es war eindeutig. Am nächsten Tag war nichts mehr da.

»Entweder du bist still und machst den Mund nicht mehr auf, oder du landest im Gefängnis.«, sagte der Chef der Politischen Partei zu mir als ich noch im Land war.

Seine stufigen Augenbrauen werde ich nie vergessen.

Sie waren groß, sehr stufig, haarig, Angst einflößend.

Ich möchte seinen Namen nicht erwähnen, denn ich will ihn nicht verewigen. Als mein Vater noch lebte, hatte er gekuscht.

Nur drei Tagen nach seinem Tod sagte der Parteichef zu mir:

»Jetzt lebt dein Vater nicht mehr. Er kann dich nicht mehr beschützen.«

Ich konnte nicht auf die Worte meines Großvaters hören:

„Den gesenkten Kopf kann der Säbel nicht schneiden.“

Ich war ein Rebell, und ich bin ein Gedankenrebell geblieben.«

»Hört ihr, wie sie detailgetreu alles erzählt, als wäre sie selbst ihre Großmutter? Spüren Sie diese geballte Gedankenkraft der Generationen?«

Ohne auf eine Antwort zu warten, sagte der Professor:

»Sie spricht weiter. Ruhe bitte!«

Er macht immer wieder die gleiche Handbewegung in der Luft. Das Mädchen spricht:

»Wir hatten kein Fernsehprogramm wie im Westen.

Nur an Ostern bekamen wir ein Extrabonbon. Es wurden uns Konzerte von den Beatles und ABBA im Fernsehen gezeigt, damit kein Jugendlicher zur Kirche geht. Das war ein Wunder und keiner wollte nicht einmal einen winzigen Augenblick davon verpassen.