Gefallene Helden - Kel Kade - E-Book

Gefallene Helden E-Book

Kel Kade

0,0
11,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Mathias ist der geborene Held: Er sieht gut aus, strotzt vor Kraft, ist hilfsbereit und freundlich. Die Frauen in seinem Dorf liegen ihm zu Füßen, die Männer wollen sein wie er. Als er eines Tages erfährt, dass er der lange prophezeite Erlöser ist, stürzt sich Mathias begeistert in sein erstes großes Abenteuer. Ihm treu zur Seite steht sein bester Freund Aaslo. Doch Mathias' Aufstieg zum strahlenden Retter der Welt verläuft nicht ganz so wie geplant, und plötzlich ist es Aaslo, der sich auf einer gefährlichen Mission befindet. Auf einer Mission voll gewaltiger Ungeheuer, tödlicher Feinde und mächtiger Götter ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 678

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Buch

Mathias ist der geborene Held: Er sieht gut aus, strotzt vor Kraft, ist hilfsbereit und freundlich. Die Frauen in seinem Dorf liegen ihm zu Füßen, die Männer wollen sein wie er. Ganz anders als sein bester Freund Aaslo, der eher schüchtern und zurückhaltend ist. Wo Mathias geschmeidig und elegant ist, ist Aaslo eher ein bisschen plump und langsam. Alles, was Mathias zufällt, muss sich Aaslo erst hart erarbeiten. Doch das ist in Ordnung, schließlich ist Mathias der Auserwählte, der eines Tages gegen die Mächte der Finsternis antreten und die Welt retten wird.

Als dieser Tag endlich gekommen ist, stürzt Mathias sich begeistert in sein erstes großes Abenteuer. Zusammen mit Aaslo und der Zauberin Magdaley macht er sich auf den Weg an den Königshof. Doch schon am ersten Tag geht alles schief, was nur schiefgehen kann: Mathias wird bei einem Überfall getötet. Ohne den Auserwählten ist das Königreich dem Untergang geweiht!

Verzweifelt setzt Aaslo seinen Weg an den Königshof fort, um die traurige Nachricht zu überbringen. Auf dem Weg dorthin muss er mit blutrünstigen Monstern, launischen Göttern und einer schier übermächtigen Bedrohung fertigwerden – und entdeckt dabei, dass auch in ihm ungeahnte Kräfte schlummern …

Die Autorin

In ihrer Jugend zog Kel Kades Familie oft um, daher wuchs sie überall auf der Welt auf. Die vielen Reisen zeigten ihr, dass die Erde so vielfältig und interessant wie ihre Bewohner ist. Die unterschiedlichen Länder und Kulturen inspirierten sie nicht nur zum Geochemie-Studium, sondern auch zum Schreiben. Inzwischen lebt die New York Times-Bestsellerautorin mit ihrer Familie in Texas, und wenn sie nicht gerade in fantastische Welten abtaucht, unterrichtet sie am College oder erforscht unterseeisches Vulkangestein im Pazifik.

KEL KADE

GEFALLENE HELDEN

Roman

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Michael Siefener

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

Titel der Originalausgabe:

FATE OF THE FALLEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Deutsche Erstausgabe 06/2021 

Redaktion: Joern Rauser

Copyright © 2019 by Dark Rover Publishing LLC

Copyright © 2021 der deutschsprachigen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Guter Punkt GmbH & Co. KG, München, unter Verwendung einer Illustration von Jamie Jones

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-25968-6V001

www.heyne.de

Prolog

»Ihr habt sicher alle schon von der Zeit gehört, als die Toten noch nicht über das Land gewandelt sind?«

Das Meer jugendlicher Gesichter erglühte im goldenen Schimmer des Kamins. Die Kinder nickten, ihre Mienen wurden von Besorgnis und Angst überspült. Dennoch lauschten sie gebannt, so wie an jedem Abend zu dieser Zeit, wenn sie auf dem Boden hockten und von den Erwachsenen umgeben waren, die es sich in den Sesseln bequem gemacht hatten oder sich gegen die Wände lehnten.

Ich drehte mich um und sah aus dem Fenster. Die Neugier der Kinder drängte sie dazu, meinem Blick zu folgen. Im silbrigen Schein des Mondes erblickten wir die Wanderer, die in der Dunkelheit umherstreiften. Ihre blasse Haut wirkte im Mondlicht eisig blau, so kalt wie der spätherbstliche Abend. Die Vordertür klapperte, und alle fuhren zusammen. Sie öffnete sich aber nicht, und wir sahen einen der Wanderer, der weiterging; er kam an dem Fenster vorbei, ohne einen Blick hineinzuwerfen.

Neben mir nahm der junge Corin die Hand seines älteren Bruders. »Ich möchte jetzt nicht darüber nachdenken«, sagte er.

Ich strich dem Jungen über das Haar und erwiderte: »Nur, weil sie uns nicht gefällt, dürfen wir die Wahrheit nicht missachten. Es ist wichtig, dass wir verstehen, warum die Welt so geworden ist, wie sie sich uns jetzt darstellt, damit wir lernen und uns weiterentwickeln können. Wir haben keine Garantie für unser Überleben. Ganz im Gegenteil.«

Corin schaute zu seinem Bruder auf, dann sah er wieder mich an und nickte.

Ich lehnte mich in meinem Sessel zurück und dachte an die Worte meiner Mutter, die vor ihr schon ihr Vater und ihr Großvater ausgesprochen hatten. »Einst wandelten die Lebenden allein auf dieser Welt. Sie bestellten das Land, sie bauten Nahrung für sich und ihre Kinder an. Sie errichteten Häuser und Paläste. Sie segelten über die Meere, erforschten ferne Länder und teilten ihre Träume durch Kunstwerke und faszinierende schauspielerische Darstellungen mit. Zauberer und Hexen, Magier und Beschwörer und alle anderen Arten von weisen Menschen vollbrachten mit ihren Künsten große und kleine Taten. Weltlichen wie uns wurde das Leben damit leicht gemacht.

Wenn das Leben eines Menschen damals an sein Ende kam, ging seine Seele in das nächste Reich hinüber, und der Körper wurde in die Erde gelegt, damit er ruhen – und verwesen – konnte.« Ich sah ihre nachdenklichen Blicke und beugte mich vor. »Das war so, bevor sich die Toten erhoben, vor dem Grabeskrieg also – und bevor der König der Toten die Macht eines Gottes stahl.«

Einige der jüngeren Kinder keuchten auf, während die älteren, die diese Geschichte schon kannten, vor Aufregung grinsten. Ich zeigte mit der Hand über ihre Köpfe hinweg und sagte: »Seht euch im Zimmer um, und hört gut zu, denn eines Tages werdet ihr es vielleicht sein, die diese Geschichte erzählen müssen. Während zahlloser Jahrhunderte wurden die Menschen durch Prophezeiungen geführt und geleitet, aber was geschieht, wenn der Pfad des Guten und Richtigen, der Triumph des Lichtes über die Finsternis, der einzige Pfad zur Erlösung … in die Irre führt?

Es beginnt in einem Wald …«

»Warum?«, fragte Mathias, während er auf den Hinterkopf seines besten Freundes hinunterstarrte.

Aaslo klopfte die nährstoffreiche Erde um den Stamm des Schösslings fest und stand auf. »Warum was?«

Der Wind fuhr über die Bäume, deren grüne und goldene Blätter raschelten, und hätte Mathias beinahe den schmutzigen Stofffetzen, den er Aaslo hinhielt, aus den Fingern gerissen. »Warum gehst du nicht mit Elanee zum Tanz? Sie möchte dich dorthin begleiten.«

Aaslo ergriff den Fetzen, rieb sich damit die dreckigen Hände, und Mathias überlegte, ob sie dadurch nicht noch dreckiger wurden. Vermutlich bemerkte Aaslo es gar nicht, und falls doch, war es ihm wohl egal. Der Forstmann schien immer dann besonders zufrieden zu sein, wenn er von Erde und Blättern nur so überzogen war. Und er beantwortete die Frage nicht sofort. Das tat er nie. Mathias wartete, denn er wusste, dass Aaslo zuerst jede mögliche Antwort überdachte, bevor er sich zu einer entschied. Andere mochten das als nervenaufreibend empfinden, aber Mathias wusste deshalb immerhin, dass Aaslos Antwort wohlüberlegt war. Er ärgerte sich schon seit Langem nicht mehr über die Merkwürdigkeiten seines Freundes. Die Forstmänner hatten ihre eigene seltsame Sicht auf die Dinge.

Aaslos Mundwinkel zuckten vor Betroffenheit, und dann erwiderte er Mathias’ Blick. Seine Augen waren von dem dunklen, satten Grün eines alten Waldes, der gewaltige Mysterien verbarg. Er fuhr mit den Fingern sein schlecht rasiertes Kinn entlang und hinterließ einen Streifen aus Dreck und Erde. Schließlich brummte Aaslo: »Du weißt doch, dass ich mit Reyla dorthin gehe.«

»Hast du sie gefragt?«, wollte Mathias wissen, auch wenn er die Antwort schon kannte.

Aaslos Lippen verzogen sich zu einer altbekannten Linie der Missbilligung. »Warum sollte ich sie fragen müssen? Wir gehen doch immer zusammen.«

Mathias zuckte mit den Achseln und warf sich eine goldene Locke aus dem Gesicht. »Woher willst du wissen, dass sie dich tatsächlich begleiten wird, wenn du sie nicht vorher fragst? Nur weil ihr gemeinsam zum letzten Tanz gegangen seid …«

»Und zu dem davor auch – und zu den sechsen davor«, sagte Aaslo.

»Richtig«, erwiderte Mathias, »aber das heißt immer noch nicht zwingend, dass sie auch diesmal mit dir dorthin gehen will.«

Aaslo schnaubte leise, als er den Schlamm, der seinen Stiefel überzog, an einem der vielen Baumstümpfe abschabte, die den dichten Wald sprenkelten, der vor Kurzem von den Holzfällern heimgesucht worden war. »Das ist doch lächerlich. Schließlich weiß sie, dass ich mit dem Haus vorankomme. Vater und ich haben gestern die Balken gesetzt. In ein paar Monaten wird es bezugsfertig sein, und dann werden Reyla und ich heiraten. Es gibt keinen Grund, warum sie mit jemand anderem zum Tanz gehen sollte.«

Mathias’ Blick wurde von den Wipfeln der hohen Kiefern angezogen, die sich unter der Kraft des Windes bogen. Dann sah er wieder Aaslo an und sagte: »Das stimmt, aber ich bin trotzdem der Meinung, dass du sie vorher fragen solltest. Weißt du, Frauen mögen so was.«

Aaslo überprüfte seine Werkzeuge, dann schlang er sich seinen Beutel, der all seine Forstmann-Werkzeuge enthielt, über die Schulter. Mathias war froh, dass er kein solches massiges Ungetüm tragen musste, das genauso viel zu wiegen schien wie sein Freund. Er nahm sein leichteres Gepäck auf, das Wasser und Essen enthielt, und folgte Aaslo zwischen den Bäumen hindurch. Er machte sich nie Sorgen darüber, dass sie sich verirren könnten. Aaslo würde seinen Weg auch in einem Schneesturm und mit verbundenen Augen finden.

Nachdem sie eine Weile schweigend nebeneinander hergegangen waren, fragte Aaslo: »Und wen wirst du um Begleitung bitten?«

Mathias grinste in sich hinein, als er sich vorstellte, wie Neasey reagieren mochte, wenn er sie fragte – oder vielleicht Arielle. Dann erinnerte er sich an ein Versprechen, das er beim letzten Tanz abgegeben hatte.

»Ich glaube, ich muss Jessi mitnehmen. Sie war ziemlich aufgebracht, als ich beim letzten Mal mit Laney gegangen bin. Sie meinte, ich hätte sie auffordern sollen, da J vor L kommt.«

Aaslo warf einen raschen Blick über die Schulter. »Du hältst dich an die Reihenfolge des Alphabets?«

Mathias’ Lachen wurde vom Knirschen und Rauschen der Äste und Blätter verschluckt, als ein weiterer Windstoß durch den Wald fegte. »Das war eigentlich nicht mein Plan, aber er ist genauso gut wie jeder andere.« Als Aaslo stehen blieb und auf einen Klumpen aus Pilzen zeigte, die am Stamm eines Baumes wuchsen, ächzte er.

»Der da«, sagte der Forstmann.

»Ich sehe nicht ein, warum ich das wissen muss, Aaslo. Ich bin ja kein Forstmann.«

Aaslo drehte sich zu ihm um und biss die Zähne zusammen, während der Wind durch seine zotteligen braunen Haare fuhr. Er verschränkte die fleischigen Arme vor der Brust und starrte Mathias an. Obwohl Aaslo einen Zoll kleiner war als er, besaß er außerordentliche Kräfte – das Ergebnis lebenslangen Schleppens von Ausrüstung sowie eine Auswirkung der Arbeit an den Bäumen des efestrianischen Waldes. Dennoch wusste Mathias, dass er Aaslo zu Fall bringen konnte, denn für gewöhnlich gewann er zwei von drei freundschaftlichen Duellen. Er wartete darauf, dass Aaslo etwas sagte, und schließlich meinte dieser:

»Wenn ich die Buchstaben und Zahlen lernen muss, und Geschichte und Naturwissenschaften …«

Mathias warf die Hände in die Luft. »Also, Aaslo, das ist doch etwas völlig anderes.«

»… und so vieles über Landkarten und Kulturen, und über Sprachen und das Kämpfen …«

»Aas…«

»… dann kannst du auch etwas über den Wald lernen.«

Unter schwerem Seufzen sagte Mathias: »In Ordnung, ich habe verstanden, aber ich kann nun mal nichts anfangen mit … Pilzen. Mir schmecken sie auch nicht. Aber was du von Groma lernst, ist wirklich nützlich.«

Aaslo grunzte. »Was soll an dem Wissen nützlich sein, dass Akyelek die offizielle Sprache in Mouvilan ist? Es liegt doch auf der anderen Seite der Welt. Niemals werde ich dorthin gehen, und vermutlich werde ich auch nie auf einen Mouvilaner treffen.«

Mathias hüpfte auf einen der vielen frischen Stümpfe und breitete die Arme aus. »Aber die Welt ist so gewaltig und voller Rätsel! Wo bleibt dein Sinn für Abenteuer, Aaslo?«

Aaslos Blick bohrte sich in ihn hinein, als wollte er einen Feind niederstarren. »Worte sollten nicht darauf verschwendet werden, dir Dinge zu erzählen, die du schon weißt.«

Mit einem Kichern sagte Mathias: »Das klingt wie etwas, das dein Vater sagen würde.«

Aaslo nickte. »So ist es.«

Mathias verschränkte die Arme vor der Brust. »Es ist nämlich keineswegs so, als hättest du in deinem Leben nur eine beschränkte Anzahl von Wörtern zur Verfügung. Sie werden dir niemals ausgehen.«

»Das ist es, was ich immer sage«, meinte Aaslo mit einem Lächeln. Es war zwar eher ein Grinsen, aber es ähnelte einem Lächeln mehr als alles, was Mathias jemals bei ihm beobachtet hatte. Dann wurde Aaslos Miene wieder mürrisch, und er fuhr fort: »Trotzdem ist es richtig. Du weißt doch, dass ich kein Verlangen danach habe, diesen Forst oder Goldenwald zu verlassen – niemals möchte ich das. Da draußen wartet nämlich nichts als Ärger, und alles wirklich Wichtige findest du hier drinnen.«

Mathias hob eine Braue. »Etwas so Wichtiges wie diese Pilze?«

»Ja«, sagte Aaslo und nickte knapp, »denn die Pilze wachsen direkt vor unseren Augen, und wenn deine Großmutter nicht wäre, wüssten wir nicht einmal, dass Mouvilan existiert.«

Wie immer wirkte Aaslos schlichte Denkweise auf Mathias sowohl demütigend als auch lustig. Sein Blick fiel auf den hell-orangefarbenen Pilz, und er seufzte. »Laetiporus?«

Aaslo nickte kurz. »Ziemlich gut. Aber es hätte auch kaum leichter sein können.«

Als Aaslo wieder auf den Pfad zurückkehrte, den nur er und andere Forstmänner wahrnehmen konnten, grinste Mathias. Er war froh darüber, dass sie das Unterholz auf ein Mindestmaß begrenzten, denn sonst wäre der Weg wesentlich anstrengender gewesen, und Aaslo hätte ihn über noch viel mehr Gewächse ausfragen können. Auch wenn sein Freund es niemals zugegeben hätte, wusste Mathias doch, dass es Aaslo Freude bereitete, ihm etwas über den Wald beizubringen. Eine Knospe der Schalkhaftigkeit spross in ihm, und Mathias sagte: »Du kannst deinen Stolz ruhig beiseiteschieben, Aaslo. Du weißt genau, dass ich ihn und deine Haut heute Nachmittag im Übungshof zerfetzen werde.«

Aaslo drehte sich nicht um, als er antwortete: »Vermutlich ist das so, aber danach wirst du – für Jessi – immerhin ein wenig hübscher aussehen. Ein blaues Auge und eine aufgeplatzte Lippe passen bestimmt gut zu den absurden Gedichten, die du andauernd von dir gibst.«

»Hatte ich Jessi gesagt? Vielleicht habe ich Reyla gemeint.«

Aaslos Machete schnitt durch die Luft und hieb den Kopf eines Giftpilzes ab. »Wenn du darüber Witze reißt, schlag ich dir den Kopf ab.«

Mathias verspürte Zufriedenheit darüber, dass er die dicke Haut des Forstmannes offenbar durchdrungen hatte, und darum sagte er: »Du kannst es ja versuchen, aber ich habe Cromley dazu gebracht, mir eine neue Kampffigur beizubringen. Eigentlich wollte ich dich damitüberraschen, aber ich glaube, es macht mehr Spaß, dich schwitzen zu sehen.«

Aaslo hieb einige Ranken durch, die ihm im Weg hingen, und nörgelte dann: »Wenn der alte Hauptmann überhaupt jemandem einen Vorteil verschafft, dann sollte ich das sein. Ich bin nämlich selbst dann grün und blau, wenn ich gegen dich gewonnen habe.«

»Das stimmt«, gab Mathias zu, »aber darum geht es nicht.«

»Und worum geht es dann?«, fragte Aaslo und warf ihm einen raschen Blick zu.

Mathias grinste breit. »Natürlich darum, dich zu schlagen.«

Aaslo schüttelte den Kopf und fuhr danach mit der Begutachtung der dritten Sektion fort. Er pflanzte, setzte um, düngte, beschnitt und behandelte die Bäume und anderen Pflanzen, die für das Gedeihen des ganzen Waldes wichtig waren. Mathias kümmerte sich um all das nicht, aber der Gang in den Wald war das Abenteuerlichste, das ihm seine Groma je gestattet hatte, und auch das nur in Begleitung von Aaslo oder Ielo. Er war noch nie in Mierwyl gewesen, wo die Dorfbewohner von Goldenwald den größten Teil ihrer Nahrungsmittel kauften. Es lag nur drei Tagesritte entfernt, wenn er denn ein Pferd gehabt hätte – aber er hatte keines. Groma besaß zwar eines, doch sie hätte ihn mit Feuer und Vernichtung übergossen, wenn er es genommen hätte, ohne sie vorher zu fragen, und sie hätte ihm niemals die Erlaubnis gegeben. So blieb ihm nichts anderes übrig, als durch das feuchte Laubwerk zu stapfen, das ihm mit jedem Windstoß auf Haar und Kleidung fiel. Als die Sonne allmählich unterging, hatte Aaslo die Überprüfung der jüngsten Schösslinge abgeschlossen. Der Marsch zurück zum Dorf war nicht so lang, aber dafür ziemlich steil. Zu Aaslos Belustigung hatte sich Mathias fast genauso sehr mit Schlamm und Erde bedeckt wie der Forstmann selbst.

Nach einem ungeplanten Rutsch einen Hang hinunter, der von lockerer Erde und Schutt bedeckt war, rappelte sich Mathias mit zitternden Beinen vom Boden auf und sagte: »Ich weiß nicht, warum ich dich überhaupt begleitet habe.« Er wischte feuchte Erde und Blätter von seinem Gesäß, während Aaslo geduldig am Fuß der Erhebung wartete und die Arme vor der Brust verschränkt hatte.

»Insgeheim bist du gern im Wald«, erwiderte Aaslo.

Mathias warf ihm finstere Blicke zu. »Nein, ich bin gern außerhalb des Hauses. Das ist nicht dasselbe. Du weißt genau, dass ich nicht viel nach draußen komme, wenn Groma daheim ist – außer zum Üben und Arbeiten.«

Aaslo runzelte die Stirn. »Aber das hier ist doch Arbeiten.«

Mathias war froh, als er es ohne weiteren Zwischenfall bis zum Fuß des Hügels geschafft hatte. »Das hier ist deine Arbeit«, sagte er. »Das ist etwas anderes. Außerdem muss ich zu Hause meine Nase immer in diese verschimmelten alten Bücher stecken. Versteh mich nicht falsch. Ich lerne gern. Aber sie möchte, dass ich mir alles Wissen der Welt aneigne – doch wozu? Sie nimmt mich nicht einmal auf ihre Reisen mit. Ich könnte dem Kaufmannsmeister helfen, die Waren nach Mierwyl zu bringen, oder ich könnte mit dir über den Berg gehen, aber nein! Bleib zu Hause, Mathias. Wann werde ich die Welt sehen? Nie.«

»Also«, sagte Aaslo, während er stehen blieb und sich das stoppelige Kinn rieb, »alle sagen, dass du eines Tages der Bürgermeister unseres Dorfes sein wirst. Ich nehme an, der Bürgermeister muss ziemlich klug sein, und dann wirst du die Gelegenheit haben, zu Treffen mit anderen Bürgermeistern in die Umgebung zu reisen.«

Sie gingen den Pfad entlang, der zu Mathias’ Haus führte. Es lag am Rande des Dorfes, das hundert Ellen vor ihnen in einem offenen Gelände lag, bei dem es sich einmal um eine kleine Wiese gehandelt hatte. Das gesamte Dorf wurde von einem steinernen Ring umgeben, der von allen Bäumen und Unterholz gesäubert worden war, damit Goldenwald im Falle eines Waldbrands geschützt war. Mathias dachte über Aaslos Bemerkung nach, als sie durch einen Schuttstreifen liefen, der neues Wachstum verhindern sollte.

Schließlich sagte er: »Ich weiß nicht, Aaslo. Bürgermeister Toca scheint kein besonders gelehrter Mann zu sein. Er hat nicht einmal gewusst, wer Parshia war.«

»Keiner weiß, wer Parshia war«, sagte Aaslo, »außer dir und mir und Groma.«

»Die Bewohner von Lodenon wissen es.«

»Und keiner hier weiß, dass Lodenon überhaupt existiert, und deshalb hat auch Parshia nicht existiert. Bürgermeister Toca muss nichts über Parshia wissen.«

»Richtig, aber warum muss ich dann etwas über sie wissen?«

Für eine Weile schwiegen beide, während das Knirschen des Kieses unter ihren Stiefeln sie weiter und weiter von dem Rauschen des Waldes wegführte und den Rufen und dem Geklapper des Ortes entgegenbrachte. Als sie nur noch wenige Ellen von dem ersten Gebäude entfernt waren, meinte Aaslo: »Ich verstehe, was du sagen willst.«

Mathias sah seinen Freund an, dessen Stirn noch in Falten lag, während er nachdachte. »Was das angeht, was du heute Morgen gesagt hast – du weißt ja, dass du nicht mit mir zusammen zum Unterricht gehen musst.«

Aaslo riss den Kopf hoch, wirbelte herum und zwang Mathias stehen zu bleiben. Der Forstmann sah ihn an, als habe er den Verstand verloren. »Natürlich muss ich das«, fuhr Aaslo ihn an. Seine Miene hatte sich verdüstert, und in seinen Augen funkelte der Ärger. Sofort bedauerte Mathias das, was er gesagt hatte, während sein Freund weitersprach: »Es ist so, wie du immer behauptest – Brüder in jeder Hinsicht.« Aaslo deutete mit dem Kopf auf den Berg. »Deshalb gehst du mit mir in den Wald, obwohl du es nicht tun musst. Und jetzt hör auf, dumme Dinge zu sagen.« Ohne auf eine Antwort zu warten, ging Aaslo auf den Ort zu.

In Goldenwald ging es an diesem Nachmittag geschäftig zu, doch der unablässige Wind hielt viele davon ab, sich weit von ihrem Gartentor zu entfernen. Hier, in dem von Menschen geschaffenen Loch im Wald, stieß der ungehinderte Sturm Hüte von Köpfen, riss Locken unter Kappen heraus und fegte Tücher von den Wäscheleinen. Dennoch lächelten die Einwohner und riefen Mathias und Aaslo Grüße zu, als die beiden durch den Mittelpunkt des Dorfes schritten. Die meisten Wege bestanden aus Erde, die mit den Jahren festgestampft worden war, während Wagenspuren die größeren Straßen eingefurcht hatten. In den eleganteren Gegenden verhinderten hölzerne Gehsteige den tragischen Verlust von Schuhen während der nassen Monate; sie wurden von den Zimmerleuten und Holzfällern des Ortes, also von fast jedermann, stets in gutem Zustand gehalten. Die hölzernen Häuser waren in hellen Farben angemalt, die in starkem Kontrast zu dem dunklen Wald der Umgebung standen.

Mathias blickte zurück zu seinem Freund, der nun hinter ihm her schritt. Wie gewöhnlich hatte Aaslo in dem Augenblick, in dem sie das Dorf betreten hatten, Mathias erlaubt, die Führung zu übernehmen. Der Forstmann zog die Schultern ein, sein Kinn lag beinahe auf der Brust, und er schaute kaum hoch, denn er wollte die Blicke der Passanten nicht erwidern. Aaslo war einer der wenigen Forstmänner, die sich mehr als nur ein paarmal im Jahr in den Ort wagten, aber die meisten Bewohner wussten inzwischen, dass sie ihn nicht belästigen durften. Mathias richtete den Blick wieder auf den Weg vor sich und blieb ganz plötzlich stehen.

»Hallo, Mathias!«, rief Meister Grünlich und trat zur Begrüßung aus seinem Büro. Der Mann schob sich die Brille auf die Nasenwurzel und hinterließ dabei einen verschmierten Tintenfleck auf der Spitze. »Seid ihr Jungs heute im Wald gewesen? Scheint mir ein wenig stürmisch für die Arbeit in der freien Natur zu sein, wenn ihr mich fragt.«

Mit einem kaum vernehmlichen Brummen sagte Aaslo: »Woher weiß er überhaupt, dass es so etwas wie die freie Natur gibt?«

Mathias wusste, dass der alte Meister Grünlich ihn nicht gehört haben konnte, aber er warf seinem Freund trotzdem einen tadelnden Blick zu. Aaslo zuckte nur die Achseln und schabte mit der Spitze seines Stiefels an den Rändern der Planken entlang.

Mathias drehte sich um und lächelte den alten Buchhalter an. »Hallo, Meister Grünlich. Im Wald war der Sturm nicht so schlimm. Ich würde sogar sagen, wir hatten mehr Glück als Ihr hier.«

»War kein Glück«, murmelte Aaslo. »Bäume sind zu mehr gut als nur dazu, in Stücke gehackt zu werden.«

Meister Grünlich richtete den Blick seiner azurblauen Augen auf Aaslo. »Was war das? Ich habe es nicht ganz verstanden.«

Aaslo sah Mathias finster an; es verwirrte ihn, dass seine Worte nicht überhört worden waren. Er hob die Stimme. »Ich sagte, der Wald kümmert sich um diejenigen, die sich um ihn kümmern.«

Meister Grünlich nickte und lächelte. »So ist es wohl – gesprochen wie ein wahrer Forstmann. Dieser Ort wäre schon lange untergegangen, gäbe es euch Waldleute nicht. Mein Großvater hat mir oft von der Zeit vor den Forstmännern erzählt. Die Bäume sind verschwunden, und ganze Dörfer sind ausgestorben. Die Bewohner mussten alles zusammenpacken und ihre Heimat und ihre Freunde verlassen – und das alles nur, weil sie den ganzen Wald gefällt hatten, ohne vorher nachzudenken.« Der Mann blinzelte und richtete den Blick auf die Baumwipfel. »Es scheinen so viele zu sein. Man kann sich einfach nicht vorstellen, dass es sie einmal nicht mehr geben könnte.« Der Buchhalter wandte sich wieder an den Forstmann. »Du weißt, dass wir alle euer Opfer zu schätzen wissen. Das tun wir wirklich. Es ist bestimmt nicht leicht, das ganze Leben fernab von den anderen zu verbringen, Bäume zu pflanzen und sich um sie zu kümmern, sodass wir sie wieder fällen können.«

Aaslo verlagerte das Gewicht seines Gepäcks auf dem Rücken und senkte unverbindlich den Kopf, aber Meister Grünlich schien mit dieser Geste der Zustimmung zufrieden zu sein. Mathias wusste, dass es für Aaslo jedes Mal dann ein großes Opfer war, wenn er den Wald verlassen musste.

Mathias räusperte sich und versuchte Meister Grünlichs Aufmerksamkeit zu gewinnen. Der alte Mann starrte den Forstmann weiter eindringlich an, und Mathias wusste, dass Aaslo diese Blicke nicht genoss. Mathias hob die Stimme und sagte: »Verzeihung, Meister Grünlich, aber wir müssen weitergehen. Hauptmann Cromley erwartet uns. Es war schön, mit Euch zu sprechen.«

Meister Grünlich blinzelte mehrfach, als wäre er aus einer Benommenheit erwacht. »Wie bitte? Oh ja, natürlich, Mathias. Sage deiner Großmutter bitte, dass Eleanor und ich euch beide gern in nächster Zeit zum Essen einladen wollen.« Er wandte sich an Aaslo und fügte hinzu: »Du und dein Vater, ihr seid natürlich auch willkommen, Meister Forstmann.«

Aaslo nickte und erwiderte mit eingeübter Höflichkeit: »Vielen Dank für die Einladung, Meister Grünlich, aber ich muss sie ergebenst ausschlagen.«

Meister Grünlich nickte wissend, begab sich zurück in sein Büro und machte den beiden den Weg frei, sodass sie zu Mathias’ Haus gehen konnten.

»Wie oft müssen wir uns wohl noch etwas über die Zeit vor den Forstmännern anhören?«, brummte Aaslo.

Mathias schaute zurück zu seinem Freund und grinste, während er den Holzsteig verließ und quer über den Platz ging. »Immer wieder.«

Als sie die Steinfliesen um den Brunnen herum erreicht hatten, hielt Mathias inne. Der Wind fegte an seinen Ohren vorbei und dämpfte alle Geräusche, aber er glaubte, seinen Namen in der Brise zu hören. Am Rande seines Blickfeldes sah er einen Farbblitz, und Aaslo keuchte auf.

»Mathias!«

Diesmal war die Stimme klar und deutlich zu vernehmen. Eine weibliche Stimme. Mathias’ Grinsen kehrte zurück, und er klopfte Aaslo auf den Rücken. »Jetzt kommt deine Gelegenheit, Bruder. Die Dame deines Herzens naht.«

Reyla, Jessi und Mirana schritten auf sie zu, eine Mädchenschar folgte ihnen. Mathias vermutete, dass den Frauen in einem größeren Ort die Gegenwart der Mädchen nicht recht gewesen wäre, aber in Goldenwald gab es nicht viel Gesellschaft, insbesondere deshalb nicht, weil viele gleichaltrige Frauen schwanger waren oder sich schon um ihre eigenen Kinder kümmern mussten.

»Hallo, Reyla«, sagte Aaslo.

Reyla sah Aaslo an und lächelte süß, während sie sich eine vom Wind gepeitschte Locke aus dem Gesicht schob. »Hallo, Aaslo. Wie war’s im Wald?«

»Mit dir wäre es dort besser gewesen. Ich habe unseren Baum besucht. Er ist schon fast doppelt so groß wie ich – ein gutes Zeichen.«

Mathias bemerkte, dass Reylas Lächeln dünn wurde, und das Licht in ihren Augen zog sich zurück. Es war nicht das erste Mal, dass er diese Reaktion bei ihr bemerkte, aber Aaslo schien es nie wahrzunehmen.

Sie sagte: »Das ist schön.« Dann wandte sie sich an Mathias. Sie hielt den Kopf schräg und wickelte sich eine widerspenstige Locke um den Finger. »Also, Mathias, hast du dich schon entschieden, mit wem du zum Tanz gehen möchtest?«

Mathias sah Jessi und Mirana an und täuschte Verwirrung vor. Er hielt die Handflächen gen Himmel und fragte: »Was für ein Tanz? Ich, äh, ich muss jetzt nach Hause gehen. Groma wird toben, wenn ich zu spät komme.« Er drehte sich zu Aaslo um, deutete auf die Stelle, wo der Weg an der gegenüberliegenden Seite des Platzes wieder in den Wald führte, und sagte: »Ich warte dort auf dich, solange du dich mit Reyla unterhältst.«

Jessi und Mirana tauschten einen schelmischen Blick aus.

»Wir begleiten dich«, sagte Jessi.

Mirana fügte hinzu: »Wir sollten Reyla und Forstmann Aaslo ein wenig Verschwiegenheit zugestehen.«

Die zwei Frauen grinsten Reyla an, die keineswegs zufrieden zu sein schien, als sie die Gefälligkeit erwiderte: »Danke. Ihr beide seid so liebenswürdig.«

Mathias beantwortete Aaslos Grinsen mit einem stolzen Nicken, während ihn Jessi und Mirana über den Platz zerrten; sie hatten sich beide bei ihm untergehakt.

Aaslo betrachtete Reyla, während sie hinter ihren Freundinnen hersah. Ihr langer, schlanker Hals und die alabasterne Haut erinnerten ihn an die Espen, die den Berghang friedlich sprenkelten. Die mahagonifarbene Mähne, die über ihre Schultern fiel, wirkte wie das sanfte Schaukeln einer Weide im Wind. Sie wandte sich ihm zu; ihre Augen waren grau wie der Himmel nach einem Sturm, und ihre kecken Lippen glichen den Blättern der Kirschblüten. Sie lächelte und sah ihn erwartungsvoll an, auch wenn es den Anschein hatte, als wüsste sie genau, was er sagen würde. So sollte es sein, dachte er. Es war dumm von Mathias gewesen, ihn zu der Frage zu drängen.

Aaslo räusperte sich und zwang sich, die Worte auszusprechen, die nicht ausgesprochen werden mussten. »Reyla, willst du mit mir zum Tanz gehen?«

Ihr Lächeln verschwand. »Ich … äh … hatte geglaubt, dass du mich diesmal nicht fragen wirst.«

»Das wollte ich auch nicht«, brummte Aaslo. »Überflüssige Worte für etwas, was offensichtlich ist. Wir gehen immer zusammen dorthin – aber Mathias war der Meinung, dass es dir gefällt, wenn ich frage. Er sagt, es sei romantisch.«

Freude zupfte an ihren Mundwinkeln, aber sie lächelte nicht. »Also, wie du sagst, wir gehen immer zusammen. Diesmal aber hatte ich doch daran gedacht, mit jemand anderem zu gehen.«

Aaslos Magen sank wie ein Stein. »Mit jemand anderem? Warum?«

Reyla hob die Hände und flocht ihre Haare zu einem Zopf, der ihr über die Schulter hing. Als sie damit fertig war, sagte sie: »Es macht Spaß. Jeder geht hin und wieder mit einem anderen zum Tanz – natürlich außer den verheirateten Paaren.«

»Genau«, sagte Aaslo, der froh war, endlich etwas Vernünftiges von ihr zu hören. »Unser Haus wird bald fertig sein. Da wir heiraten werden, ist es doch ganz sinnlos, mit jemand anderem zum Tanz zu gehen.«

»Äh … was das angeht …«, sagte Reyla und warf einen Blick auf ihre Freundinnen.

Aaslo folgte ihrem Blick. Mirana und Jessi wetteiferten schamlos um Mathias’ Aufmerksamkeit, während die jüngeren Mädchen zusahen und kicherten. Als Forstmann hatte Aaslo die ihm gebührende Aufmerksamkeit erlangt, aber er hatte deutlich gemacht, dass es ihm nur um Reyla ging. Er wandte sich ihr wieder zu und sagte: »Was das angeht …?«

Sie schaute ihn an, aber ihr Blick hob sich nicht über seinen Brustkorb. Sie sagte: »Ich weiß, du redest schon seit einer Weile von Hochzeit, aber wir haben eigentlich nie etwas beschlossen …«

»Wovon sprichst du?«, fragte Aaslo, während sein Herz die Brust zu sprengen drohte und sich sein Blut so sehr erhitzte, dass es nicht mehr angenehm war. Er sah sich um und wollte herausfinden, ob ihn die ganze Welt anstarrte. Aber sie bekamen von den Vorübergehenden nur flüchtige Blicke; jedermann wollte sich in den Geschäften und Wohnhäusern vor dem heulenden Wind in Sicherheit bringen. Er wusste, dass seine Worte auch dann an niemandes Ohren gedrungen wären, wenn sich das ganze Dorf hier versammelt hätte, um dem Zerfall seiner Welt zuzusehen. Er drehte sich wieder zu Reyla um und sagte: »Du bist doch mit den Plänen für das Haus einverstanden gewesen. Du hast gesagt, dir gefällt der Ort, an dem es steht.«

Sie nickte langsam und bedächtig. »Ja, aber du hast mich nur nach meiner Meinung gefragt. Es gefällt mir – für dich.«

»Du hast genau gewusst, worüber wir gesprochen haben«, sagte er.

Sie schüttelte den Kopf und erwiderte: »Nein, mir war nicht klar, was du dir dabei gedacht hast.«

Aaslo schenkte ihr einen abfälligen Blick, in dem der ganze Protest lag, den er nicht aussprechen wollte. An ihrer Miene erkannte er, dass sie ihn verstanden hatte.

»Also gut, das stimmt nicht«, gestand sie ein, »aber du hast mich nie gefragt. Ich hatte gehofft, dass du mich fragst, damit ich dir sagen kann, was ich wirklich fühle.«

»Was willst du mir damit sagen? Dass du mich nicht heiraten willst?« Eine Windbö stürmte vorbei, und er hatte das Gefühl, als würde sie die Worte von seinen Lippen reißen und ihm ins Gesicht peitschen.

Reyla legte die Finger gegen seine Brust und sah ihm endlich in die Augen. »Das ist es nicht, Aaslo. Du bist großartig – sogar wundervoll. Es ist nur so, dass … dass ich jemand anderen heiraten möchte.«

»Aber ich kann dir alles geben, was du brauchst«, sagte er. »Du bist etwas Besonderes, Reyla. Du hast es verdient, dass dir der Respekt entgegengebracht wird, der einer Forstmannsfrau gebührt. Das ist eine Ehre.«

Reyla schüttelte heftig den Kopf. »Du und die anderen Forstmänner, ihr habt die Ehre verdient, aber ich bin nicht bereit, dieses Opfer zu bringen.«

Er ergriff ihre zitternden Hände und fing ihren Blick auf. »Es ist kein Opfer, Reyla. Der Wald ist ein Segen, und wir Forstmänner haben die Ehre, in seiner Umarmung zu leben und zu seiner Pracht beizutragen.«

Sie zog die Hände weg und fing ihre vom Wind befreiten Locken wieder ein. »Ich mag nicht im Wald leben. Ich habe Angst vor der Wildnis, und dann … ich will auch nicht so weit entfernt von meinen Freunden und meiner Familie sein.«

»Früher hattest du nie Angst – kein einziges Mal während all unserer Spaziergänge und Picknicks.«

»Nur weil du bei mir warst. Ich vertraue dir. Ich wusste, dass du mich beschützen wirst.«

»Als meine Frau würde ich dich genauso beschützen.«

»Wenn ich deine Frau wäre, würdest du aber nicht immer bei mir sein können. Du würdest im Wald umhergehen, und ich wäre in einem Haus gefangen, das ich vor lauter Angst nicht verlassen kann.«

Aaslo zog sich die Kapuze über den Kopf. Gefühle, die er seit seiner Jugend nicht mehr verspürt hatte, quollen in ihm hoch und drohten, als Tränen aus seinen Augen überzufließen. »Weißt du, meine Mutter hatte damals ähnliche Gefühle. Wenigstens hast du es vor der Hochzeit erkannt. Die meisten in unserem Alter sind entweder schon verheiratet oder wenigstens verlobt. Wenn ich es nicht sein kann, wer ist es dann?«

Reyla warf einen kurzen Blick zu ihren Freundinnen hinüber, aber Aaslo wusste, wem ihre eigentliche Aufmerksamkeit galt. Sein erhitztes Blut kühlte sich schlagartig ab; es war, als sei das Leben in seinem Körper von einem Augenblick auf den anderen erloschen. Sie sah ihn wieder an und hatte Tränen in den Augen.

»Es tut mir leid, Aaslo. Ich habe schon meinen Vater darum gebeten, Herrin Brelle den Antrag zu überbringen. Sieh mich nicht so an. Ich weiß, was du jetzt denkst. Warum ausgerechnet er? Ich schwöre, wenn er es nicht wäre, dann wärest du es.« Sie sagte es, als wollte sie damit erreichen, dass er sich besser fühlte, doch sie machte es nur noch schlimmer, indem sie fortfuhr: »Aber er ist Mathias. Er ist hübsch und klug und so romantisch. Und eines Tages wird er der Bürgermeister sein. Jeder weiß das. Die Frau des Bürgermeisters zu sein, das passt viel besser zu mir. Vielleicht werde ich sogar die Gelegenheit haben, mit ihm nach Fernvalle oder Dempsy zu reisen. Kannst du dir das vorstellen?«

»Ich stelle es mir lieber nicht vor«, murmelte Aaslo. »Ich stelle mir lieber gar nichts davon vor. Mein bester Freund – mein Bruder – und die Frau, die ich heiraten wollte! Bist du wirklich so grausam, dass du mich zwingen willst, mir das vorzustellen?«

»Oh, Aaslo, ich wollte nicht …«

»Nein«, sagte Aaslo. »Ich bitte um Entschuldigung. Ich habe zu viel gesagt.« Es klang, als würde das Echo der Stimme seines Vaters gegen sein Herz prallen. »Worte, die in einer aufgewühlten Stimmung gesprochen werden, können bestenfalls wirr und stürmisch klingen. Windböen brechen Zweige ab und stürzen Bäume um, aber Friede und Heiterkeit ermuntern zum Wachstum.«

Reyla blinzelte ihn an, dann wischte sie sich die Tränen aus den Augen. »Ich verstehe nicht.«

»Das ist auch nicht wichtig«, sagte er. »Es ist eine Weisheit der Forstmänner – eine, die ich bisher zu wenig geschätzt habe. Ich werde sie von nun an befolgen – um unser beider willen.«

Reyla wollte etwas sagen, aber er hob die Hand. Er hatte etwas gehört. Unter dem heulenden Sturm, unter dem Klappern von lockeren Fensterläden und dem Knirschen ferner Äste war ein Pulsieren zu vernehmen, das durch den Boden fuhr. Er griff nach Reyla, gerade als Mathias mit ihm zusammenstieß. Aaslo drückte Reyla fest an seine Brust, zog sie zu Boden und stützte sich ab, damit er sie nicht verletzte. Er sah sie an, als sie verwirrt zu ihm hochstarrte, dann wurde er am Kragen hochgezogen. Aaslo stolperte über seine eigenen Beine, während Mathias ihn den Platz entlangschleifte und dabei irgendetwas schrie. Endlich fand Aaslo wieder Halt und konnte sich konzentrieren.

»Komm, Aaslo!«, rief Mathias. »Wir müssen sie aufhalten!«

Endlich erkannte Aaslo, was den Aufruhr ausgelöst hatte. Mathias ließ sein Hemd los. Ein durchgegangenes Pferd war in den Ort hereingestürmt und hätte den Forstmann und Reyla beinahe niedergetrampelt. Sie blieben ganz plötzlich stehen, und Aaslo prallte gegen Mathias. Als das Pferd den Brunnen in der Mitte des Platzes erreicht hatte, bäumte es sich auf und griff sie an, während es seinen bewusstlosen Reiter umherwarf, der sogleich zwischen die Beine geriet. Der Fuß des Mannes hatte sich im Steigbügel verfangen, und anscheinend war er schon eine ganze Weile mitgeschleift worden.

Mathias stieß Aaslo zur Seite. »Du näherst dich von links, ich komme von rechts. Langsam. Wir wollen das Tier nicht erschrecken.«

Die wilde Stute stampfte auf und schnaubte laut. Wenn sie ausatmete, sprühte Blut aus ihren Nüstern. Die Augen rollten wild, und sie drehte sich um und trat immer wieder gegen den Reiter.

»Ruhig«, sagte Aaslo leise, während er vorsichtig einige Schritte auf das Tier zumachte. »Ganz ruhig. Wir werden dir nichts tun.«

Nun sah er, dass Pfeile aus dem Hals und der Hüfte der Stute hervorstachen, und zwei davon ragten auch aus dem Rücken des Reiters. Aaslo streckte die Hand aus und ergriff einen der herabhängenden Zügel, während Mathias den anderen nahm. Das Pferd wieherte und versuchte zurückzuweichen, aber Aaslo und Mathias ließen es nicht los, sondern streichelten es und flüsterten ihm zu, bis es sich allmählich beruhigte. Mathias hielt den Steigbügel fest, während Aaslo das Bein des Reiters befreite.

»Was ist hier los?«, rief eine heisere Stimme.

Die Bewohner des Ortes hatten sich neugierig auf dem Platz versammelt. Sie machten Hauptmann Cromley von der Dorfwache Platz.

»Auf Ross und Reiter ist geschossen worden«, erklärte Mathias, »und dann wurde der Reiter auch noch fast totgetrampelt.«

Aaslo zog das zerquetschte Bein heraus und bemerkte, dass der Stiefel außerordentlich klein war. Als Mathias das Pferd zur Seite führte, drehte Aaslo den Reiter auf den Rücken, und sein Verdacht wurde bestätigt.

»Es ist eine Frau«, rief er aus und kniete sich neben sie.

Hauptmann Cromley stand über ihm, während Aaslo das blutdurchtränkte Haar und den Schmutz aus dem Gesicht der Frau wischte. Plötzlich keuchte sie auf, und ihre Augen öffneten sich. Blut tropfte von ihren Lippen, als sie nach Luft rang, und sie griff mit gebrochenen Fingern nach Aaslos Hemd. Ihre Zähne waren gesplittert und das Gesicht so zerquetscht, dass es kaum mehr menschlich wirkte. Doch hinter all dem Blut und Dreck lagen leuchtende, moosgrüne Augen, mit denen sie ihn ansah. Dann wurden die Augen glasig, und bevor sie das Bewusstsein verlor, konnte sie noch zwei Worte aussprechen.

»Das Licht …«

»Was hat sie gesagt?«, fragte Mathias, als der Dorfarzt Aaslo wegscheuchte.

»Ich bin mir nicht sicher«, sagte Aaslo. »Es war schwer zu verstehen. Ich glaube, sie hat ›das Licht‹ gesagt, aber das war bestimmt nicht ihre ganze Botschaft.«

Hauptmann Cromley zeigte auf die beiden. »Mathias, bring das Pferd in deinen Stall. Ich muss mir die ganze Sache genau ansehen. Heute Nachmittag gibt es keine Übungskämpfe.«

»Ja, Herr«, sagte Mathias. »Seid Ihr der Meinung, dass wir uns Sorgen machen müssen? Jemand hat auf sie geschossen. Was ist, wenn derjenige hierherkommt?«

»Vermutlich waren es Straßenräuber. Sie überfallen nur einsame Reiter und wagen sich meistens nicht bis hierher vor.«

»Woher wollt Ihr wissen, dass sie allein war?«, fragte Mathias. »Es ist ungewöhnlich für eine junge Frau, allein zu reisen.«

Cromley nickte. »Ja, das ist auch etwas, worum ich mich kümmern muss. Wir werden einen Suchtrupp aussenden und nachsehen, ob jemand auf der Straße zurückgelassen wurde.«

Mathias’ Muskeln zuckten erwartungsvoll. Aufgeregt sagte er: »Dürfen wir mitgehen?«

»Dafür habe ich meine Leute«, sagte Cromley. »Du begibst dich jetzt nach Hause zu deiner Großmutter. Du weißt, wie wütend sie sein wird, wenn ich dich ohne ihre Erlaubnis losschicke.«

»Ich bin sechsundzwanzig«, rief Mathias. »Da brauche ich Gromas Erlaubnis nicht.«

Cromley schenkte ihm einen wissenden Blick. »Das musst du mit deiner Großmutter ausmachen. Und jetzt solltet ihr beiden von hier verschwinden.« Er zeigte auf Reyla und die anderen jungen Frauen und bedeutete ihnen, sich zu der Menschenmenge zu gesellen. »Ihr alle geht jetzt nach Hause und bleibt dort, bis wir herausgefunden haben, was passiert ist. Na los! Weg mit euch!«

Mathias hielt noch die Zügel des Pferdes in der Hand und trieb Aaslo in Richtung des Weges, doch er war erst wenige Schritte weit gekommen, als er zum Anhalten gezwungen wurde. Aaslo trat vor und wollte Reyla abfangen, aber sie beachtete ihn nicht weiter und umrundete ihn.

»Danke, Mathias«, sagte sie und schlang ihm die Arme um den Hals. »Du hast mich gerettet. Dieses Pferd hätte mich totgetrampelt.«

Mathias befreite sich aus ihrer Umarmung und brachte ein wenig Abstand zwischen sich und sie. »Natürlich habe ich das«, sagte er und zwinkerte ihr zu. »Deshalb nennt man mich ja auch den Helden von Goldenwald.«

»Niemand nennt dich so«, murmelte Aaslo, als er sein Gepäck aufhob und den Weg zum Dorfrand entlangstapfte.

Mathias nickte Reyla zu, dann bückte er sich und nahm sein eigenes Gepäck an sich. Er führte die verletzte Stute an den Zügeln auf das Haus seiner Großmutter zu. Es dauerte nicht lange, bis er das Dorf hinter sich gelassen und zu dem Forstmann aufgeschlossen hatte. »He, Aaslo! Was ist los? Bist du wütend, weil wir Cromley nicht begleiten dürfen? Ja, das wäre sicher aufregend gewesen. Ich hasse es, wenn er mich immer weiter wie ein Kind behandelt, andererseits verstehe ich auch, dass er nicht Gromas Zorn erregen will.«

Darauf sagte Aaslo nichts, und diesmal war sich Mathias keineswegs sicher, ob der Forstmann einfach nur so still wie üblich war oder über etwas nachbrütete.

»Vielleicht können wir Groma überreden, uns mitgehen zu lassen. Ich nehme an, du könntest auch ohne mich gehen. Keiner hält dich zurück …«

»Du hast mich gerettet«, sagte Aaslo.

Mathias hielt kurz inne. »Ja, ich glaube, das stimmt. Ihr solltet mich mit Lob überschütten.«

»Nein«, sagte Aaslo. »Du hast mich gerettet. Und ich habe Reyla gerettet.«

Mathias schaute zu den Baumwipfeln hoch, die vom Sturm gepeitscht wurden, aber er sah sie nicht. Er grinste zufrieden und sagte: »Nun, wenn ich dich nicht gerettet hätte, hättest du Reyla nicht retten können, und deshalb habe ich im Grunde euch beide gerettet.«

»Du bist nicht einmal in ihre Nähe gekommen. Hätte ich nicht nach ihr gegriffen, wäre sie zertrampelt worden.«

Als Mathias erkannte, dass Aaslo die Sache zu ernst nahm, versuchte er nicht mehr, witzig zu sein, sondern sagte: »Du bist verärgert. Ich weiß, dass du sie liebst, und vermutlich hättest du es vorgezogen, dass ich nicht dich, sondern sie rette – aber es war nicht so, dass ich sie nicht retten wollte. Du bist einfach näher gewesen, und ich habe nicht wirklich darüber nachgedacht. Das Pferd ist geradewegs auf dich zugaloppiert. Ehrlich, es war keine andere Entscheidung möglich. Du bist doch mein Bruder, Aaslo.«

»Darum geht es nicht«, brummte Aaslo.

»Worum dann?«, fragte Mathias verzweifelt.

Aaslo schnaubte, sagte aber nichts. Mathias wusste, dass es sinnlos war, ihn zu bedrängen, bevor er bereit war zu reden. Sobald der Forstmann seine Gedanken gebündelt und hundertmal darüber nachgesonnen hatte, würde er dieses Thema vielleicht wieder ansprechen.

Sobald sie aus dem Hain traten, der sich zwischen dem Dorf und dem Gebäude erstreckte, das im Schatten der Bäume nistete, kam das malerische Bauernhäuschen in Sicht. Ein Garten verlieh dem Vorhof Farbe und Leben; er war von einer niedrigen, zerfallenden Steinmauer umgeben. Der vertraute Duft von Kräutern mischte sich mit dem süßlichen Aroma von Wildblumen, und weiße und gelbe Blütenstäubchen tanzten in der Brise wie die Elfen in den Sagen.

Mathias hatte das Gartentor noch nicht geöffnet, als seine Großmutter bereits aus den Schatten in das abnehmende Licht des Nachmittags trat, das auf das Tor fiel. Das pechschwarze Haar der älteren Frau war fest um ihren Kopf gewunden, und weiße Strähnen durchzogen es wie Wirbel in einem winterlichen Fluss. Sie hatte die Arme über ihrer schwarzen Reiterjacke verschränkt, aus der weiße Rüschen am Hals hochkletterten und ein Gesicht einrahmten, dessen rot geschminkte Lippen vor Missbilligung gekräuselt waren. Sie sah die beiden jungen Männer über den Rand ihrer Brille hinweg an und tappte mit der Spitze ihres kniehohen Stiefels langsam und rhythmisch auf die Bodenplanken – ein sicheres Zeichen, dass eine Tracht Prügel zu erwarten war. Magdelay Brelle war keine geduldige Frau.

Mathias machte sich nicht einmal die Mühe nachzusehen, ob ihm Aaslo in sein Schicksal folgte. Aaslo würde jeden Sturm neben ihm durchstehen. Wie Aaslo vorher schon betont hatte, waren sie in allen Dingen Brüder, und geteiltes Leid war halbes Leid.

Mit dem fröhlichsten Grinsen, zu dem er fähig war, sagte Mathias: »Sei gegrüßt, Groma! Es freut mich zu sehen, dass du unbeschadet zurückgekommen bist – und auch ziemlich schnell, wie ich hinzufügen darf.«

In Magdeleys Augenwinkeln zuckte es. »Wessen Pferd ist das? Nein, das kannst du mir später erzählen.« Ihr Blick glitt zu Aaslo hinüber. »Hat er etwas Nützliches gelernt?«

Mathias sah Aaslo hoffnungsvoll an, erkannte aber nur die Anzeichen seiner üblichen Sturheit.

»Alles, was ich mache, ist nützlich«, brummte Aaslo.

»Rede nicht in diesem Ton mit mir, Junge. Du weißt, wonach ich frage«, sagte Magdelay.

»Ich bin kein Junge, und er ist auch keiner mehr«, schnaubte Aaslo. »Die meisten Dorfbewohner in unserem Alter sind entweder verheiratet oder verlobt. Und die Hälfte von ihnen hat schon eigene Kinder.«

»Für mich wirst du immer ein Junge bleiben«, sagte Magdelay. Kurz wurde ihr Blick sanfter, doch dann schien sie sich daran zu erinnern, mitten in einer Zurechtweisung zu stecken. »Ihr beide habt eure Zeit im Wald verschwendet, während ihr eigentlich hättet lernen sollen. Cromley wartet bestimmt schon in der Lichtung auf euch. Wenn ihr mit ihm fertig seid, könnt ihr die Liste abarbeiten, die ich für euch vorbereitet habe.«

»Cromley wird nicht kommen«, sagte Mathias. »Eine Reiterin ist ins Dorf geprescht, fast zu Tode getrampelt und von Pfeilen im Leib getroffen worden. Der Hauptmann hat uns befohlen, das Pferd hierherzubringen.« Mathias streichelte das Maul der Stute und fuhr fort: »Diese Stute braucht deine Hilfe. Sie hat ebenfalls zwei Pfeile abbekommen.«

Magdelay runzelte die Stirn. »Eine Reiterin? Hatte sie irgendwelche Abzeichen? Eine Uniform?«

»Ich habe nichts an ihr gesehen, das hätte helfen können zu erkennen, wer sie ist«, sagte Mathias.

»War sie eine sehr große Frau?«, fragte Magdelay misstrauisch.

Mathias warf Aaslo einen raschen Blick zu.

»Nein, Herrin«, sagte Aaslo. »Sie war eher klein. Und jung.« Er sah das Pferd an. »Ich verstehe, was du meinst.«

»Was habe ich übersehen?«, fragte Mathias.

Der bohrende Blick seiner Großmutter durchdrang ihn fast vollständig. »Denk nach, Mathias. Was übersiehst du?«

Mathias schaute wieder Aaslo an, der die Stirn runzelte. Er hatte zwar keine Ahnung, warum sein Freund wütend war, aber er wusste, dass er von Aaslo keine Hilfe zu erwarten hatte. Er betrachtete das Pferd eingehend, dann dämmerte es ihm. »Das Tier ist zu groß. Eine so kleine Frau hätte ein kleineres Pferd für die Reise von … nun, von überall nach hier genommen, wenn sie die Wahl gehabt hätte.«

»Genau. Ich werde mich um die Verletzungen der Stute kümmern und dann mit Cromley sprechen.« Magdelay ergriff die Zügel und schaute zu ihm auf. Trotz ihrer hochhackigen Reitstiefel reichte ihr Kopf nur knapp über seine Schultern. »Du bleibst heute Abend im Haus. Sollte ich herausfinden, dass du nach Banditen gesucht hast, wirst du es bereuen. Beschäftige dich lieber mit der Liste, die du heute Morgen missachtet hast.«

»Und was ist mit dem Abendessen?«, fragte Mathias.

Magdelay lächelte wehmütig. »Du bekommst es, sobald du deine Aufgaben erledigt hast.« Sie sah wieder Aaslo an und zuckte die Schultern. »Natürlich darf Aaslo gern zum Abendessen ins Haus seines Vaters gehen, wenn er es wünscht. Ich bin sicher, dort gibt es ein Festmahl. Ielo hat heute ein Wildschwein erlegt. Er hat uns eine Keule für die Räucherkammer gegeben.«

Mathias’ Magen knurrte anerkennend, und er warf Aaslo einen neidischen Blick zu.

Aaslo fing den Blick auf, schob ihn beiseite und schritt auf die Treppe vor der Haustür zu. Dabei brummte er: »Sieh mich nicht so an. Du weißt genau, dass ich dir bei deinen Studien helfen werde – was auch immer es nützen mag. Du bist mir um Wochen voraus.«

Mathias umarmte seine Großmutter und lief dann hinter Aaslo her. »Du hättest dir halt nicht so viel Freizeit gönnen sollen«, sagte er.

»Freizeit? Du nennst die Reise über den Berg, das Wegräumen von Trümmern und das Ersetzen von Bäumen, die durch ein Feuer vernichtet wurden, das sowohl von geschmolzenem Fels – aus dem ausgebrochenen Vulkan – als auch von Blitzen aus einer Aschewolke herrührte, Freizeit?«

»Du hast nichts bewirkt, was der Wald nicht auf natürliche Weise auch selbst getan hätte«, sagte Mathias und wandte sich ab, um sein Grinsen zu verbergen.

»Ja, ja«, murmelte Aaslo. »Der Wald wäre vielleicht von selbst nachgewachsen – in etlichen Generationen. Aber ein großer Teil wäre für immer und ewig verloren gewesen. Wir mussten Abflussgräben ausheben und zahlreiche steile Hänge sichern, denn sonst wäre die Krume in den Stürmen der vergangenen Woche abgetragen worden. Und dann wäre ganz Jabois nach dem ersten kräftigen Regen von einer Gerölllawine zerstört worden.«

»Ich verstehe!«, sagte Mathias. »Der mächtige Aaslo hat den Ort gerettet und dem Wald das Leben zurückgegeben. Wir sollten ein Fest feiern – eine Parade abhalten! Wir werden dir eine Statue errichten. Sie soll unmittelbar neben der des Helden von Goldenwald stehen – aber sie wird etwas kleiner sein.«

Aaslo warf sein Gepäck mitten auf den Boden und wirbelte mit erhobener Faust herum. »Ich habe nie behauptet, dass ich es allein war. Wir alle waren es – die Forstmänner –, so wie es sein soll. Und keiner von uns braucht eine Parade oder eine Statue.«

Mathias steckte die Hände in die Achselhöhlen und schaukelte mit einem Grinsen auf den Absätzen hin und her. »Du willst die Anerkennung für Reylas Rettung für dich allein haben.«

»Nein! Ich habe dir schon gesagt, dass es darum nicht geht.« Aaslo zog seine Jacke aus und warf sie auf das Gepäck. Frustriert fuhr er sich durch die Haare, und Blätter segelten zu Boden. Dann sah er zu Mathias auf und sagte: »Für dich kam sie nie an erster Stelle. Du liebst sie nicht.«

»Wen? Reyla?«, fragte Mathias. »Warum sollte ich …«

»Wenn sie deine Frau werden soll, musst du sie an die erste Stelle setzen«, fuhr Aaslo ihn an.

Plötzlich war Mathias verwirrt. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und atmete stoßweise aus. »Was?«

»Es ist nicht richtig«, sagte Aaslo und lief im Kreis herum. Mathias hatte ihn noch nie so aufgeregt gesehen. Gewiss, sein Freund jammerte und nörgelte über ihre Studien und die Notwendigkeit, hin und wieder den Wald aus irgendeinem Grund zu verlassen, aber nie hatte Aaslo so … verstört gewirkt. »Du liebst sie nicht. Sie hat es aber verdient, geliebt zu werden.« Unvermittelt blieb Aaslo stehen und sah ihn an. Seine tiefen grünen Augen waren von Schmerz erfüllt. »Wusstest du es?«

»Was soll ich gewusst haben?«, fragte Mathias.

Aaslo schluckte und schaute aus dem Fenster, bevor er wieder seinen Freund ansah. »Reyla will dir einen Heiratsantrag machen. Dir!«

»Mir?«, rief Mathias. »Warum sollte sie das tun? Sie ist doch dein Mädchen.«

»Sie will mich aber nicht. Sie will dich.«

Mathias seufzte. »Nein, Aaslo, sie will mich nicht. Sie will höchstens den nächsten Bürgermeister von Goldenwald heiraten. Während der letzten Jahre hat Groma schon mindestens ein Dutzend Anträge für mich entgegengenommen, und vielleicht waren einige Mädchen sogar tatsächlich der Meinung, mich zu lieben. Aaslo, Reyla ist wunderschön, sicher, und sie ist freundlich, aber sie ist auch etwas … oberflächlich.«

»Rede nicht so über sie!«

»Das ist sie aber. Ich bin mir sicher, dass du ihr etwas bedeutest, doch ich habe schon immer vermutet, dass sie gern damit angibt, einen Forstmann zum Freund zu haben. Sie scheint mir die Art von Frau zu sein, die so leben möchte wie du.«

»Das will sie überhaupt nicht«, gestand Aaslo ein, während er sich auf einen Stuhl vor dem Kamin fallen ließ. Er drehte sich um, rückte das Zunderholz zurecht und sagte: »Aber du musst dich gut um sie kümmern.«

Mathias bemühte sich, die Ruhe zu bewahren, als er sagte: »Aaslo, ich werde Reyla nicht heiraten.«

Aaslo hielt inne. »Nicht?«

»Nein, ich werde doch niemals die Frau heiraten, die das Herz meines besten Freundes erobert hat.«

Aaslo atmete schwer aus und ließ die Schultern hängen. »In Ordnung«, sagte er. »Vielleicht kommt sie ja zurück …«

»Nein«, sagte Mathias. Er zog einen Stuhl heran und setzte sich Aaslo gegenüber. »Reyla wird sogar bestimmt zurückkommen. Dessen kannst du dir sicher sein. Sie will heiraten, weil sie anerkannt sein will. Möglicherweise wäre sie bereit gewesen, die Ehre, die der Frau eines Forstmannes erwiesen wird, gegen die einer Bürgermeistersgattin einzutauschen, aber weniger kommt für sie gewiss nicht in Frage.«

Aaslo hob den Blick. »Glaubst du das wirklich? Das ist gut …«

Mathias schüttelte den Kopf und erwidere den Blick seines Freundes. »Nein, das ist gar nicht gut. Du wirst Nein sagen. Du wirst ihren Antrag ablehnen.«

Aaslo runzelte die Stirn. »Warum sollte ich das tun?«

»Du hast Besseres verdient. Du bist ein Forstmann. Dir wird in diesem Dorf die höchste Ehre erwiesen, und obwohl ich dich manchmal damit aufziehe, hast du diese Ehre voll und ganz verdient. Was du tust, ist eine schwere und einsame Arbeit, und obwohl die Wirtschaft dieses Dorfes – und die jedes Holzfällerdorfes und in gewisser Weise sogar die des ganzen Reiches – von dir abhängt, wirst du nie wohlhabend werden. Deinen ganzen Reichtum findest du in dem Wald, den du persönlich pflegst und nährst. Du, Aaslo, darfst dich einfach nicht mit dem Zweitbesten zufriedengeben.« Mathias lehnte sich zurück und fügte hinzu: »Bestimmt hat hin und wieder eine andere Frau deine Aufmerksamkeit erregt.«

»Ich hatte doch Reyla«, erwiderte Aaslo. »Es war sinnlos, jemand anderen in Betracht zu ziehen. Welche Rolle spielt es, dass sie dich haben wollte? Das heißt noch nicht, dass ich ihr weniger bedeute.«

Mathias seufzte und ergab sich der Tatsache, dass Aaslo Reyla trotz ihrer Mängel heiraten würde.

Aaslo nahm eine kleine Schachtel vom Kaminsims und hockte sich vor das aufgeschichtete Holz. Funken stoben von dem Flint und Stahl auf, und bald hatte das Zunderholz Feuer gefangen. Während Aaslo in die Flammen blies, durchstöberte Mathias die Bücher auf dem Tisch in der Mitte des Zimmers. Das Einzige auf der Liste seiner Großmutter, auf das er sich gefreut hatte, waren die Kampfübungen mit Hauptmann Cromley gewesen, aber sie waren verschoben worden. Eine Stunde später warf ihm Aaslo ein Buch zu. Er öffnete es auf der Seite, die Aaslo markiert hatte, und grinste.

»Woher hast du gewusst, dass ich danach gesucht habe?«

»Ich habe die Liste gelesen«, murmelte Aaslo, während er den Stapel vor sich durchwühlte und schließlich die abgenutzte Karte von Aldrea fand.

Mathias’ Blick ruhte kurz auf der Landkarte – wie jedes Mal, wenn er sie sah. Jedes Land, das den Gelehrten von Uyan bekannt war – also die Gesamtheit der erforschten Welt –, war in allen Einzelheiten auf diesem Pergament verzeichnet. Die leuchtende Landschaft war voller ferner Berge, Wälder, Meere und Flüsse – und dennoch gab es weiße Flecken. Wenn Mathias diese Karte gezeichnet hätte, dann befände sich das Königreich Uyan in der Mitte, aber die Kartografen stammten nicht aus Uyan. Wie auf den meisten Karten befand sich auch hier Mouvilan in der Mitte. Das viel kleinere Uyan beanspruchte die nordwestliche Ecke der Karte, und Goldenwald war mit einem winzigen Punkt in der nordwestlichen Ecke Uyans verzeichnet. Der einzige Grund dafür, dass dieses unbedeutende Dorf die Karte überhaupt zierte, bestand darin, dass seine Großmutter es an dem Tag eingefügt hatte, als ihr dieses Meisterwerk in die Finger gefallen war.

Ein Geräusch hallte in seinem Kopf wider, und er erkannte, dass Aaslo mit ihm sprach. Mathias riss den Blick von der Schönheit Aldreas los und fragte: »Wie bitte?«

Aaslo sah ihn finster an; offensichtlich war er nicht erfreut, sich wiederholen zu müssen. »Ich fragte gerade, warum du noch nicht geheiratet hast.«

Mathias lachte; es war seine übliche Art, ein Gespräch zu unterbrechen, bis er eine Entschuldigung dafür fand, das Thema zu wechseln. »Du zuerst.«

Aaslo lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Warum?«

Mathias grinste. Höflichkeit wirkte angeblich entwaffnend, und er wollte, dass Aaslo nicht mehr darüber sprach. Aber Spott half meistens auch. »Brüder in allem, oder? Du bist ein Jahr älter als ich. Der Ältere muss zuerst heiraten.«

Aaslo kniff die Augen zusammen. »Diese Tradition trifft nur bei Schwestern zu. Aber wir sind Männer, und wir sind nicht einmal miteinander verwandt. Außerdem plane ich schon lange, Reyla zu heiraten. Wir wollten nur warten, bis das Haus fertig ist. Du bist nicht einmal verlobt.«

»Also bitte, Aaslo«, sagte Mathias, stand vom Tisch auf und goss Getränke ein, die auf der Anrichte standen. »Warum soll ich eine Frau auswählen, wo es doch so viele gibt? Mir bleibt noch viel Zeit, sesshaft zu werden.« Er drehte dem Zimmer den Rücken zu, während er redete, sodass Aaslo seinen inneren Kampf nicht bemerken konnte. Er weigerte sich, seinen Freund zu belügen, aber er konnte ihm auch nicht die Wahrheit erzählen.

»Es sind nicht mehr so viele übrig«, sagte Aaslo. »Hast du dich um sie bemüht?«

Mathias hielt inne, drehte sich um und sah Aaslo mit aufrichtiger Verwirrung an. »Um wen?«

»Um Reyla. Hattest du gehofft, dass ich es mir anders überlege und du sie dann haben kannst?«

Mathias’ Schultern entspannten sich. Er war froh, dass er darüber aufrichtig sprechen konnte. »Nein. Ich habe dir gesagt, dass ich den Antrag ablehnen werde.«

»Aber nur, weil du das Gefühl hast, du würdest sie mir stehlen. Wenn ich mir jemand anderen ausgesucht hätte, könntest du sie ohne Schuldgefühle zur Frau nehmen.«

»Ehrlich, Aaslo, es spielt keine Rolle, wer den Antrag abgelehnt hat. Meine Entscheidung wäre in keinem Fall anders ausgefallen.«

»Warum?«

Mathias rollte mit den Augen und sagte: »Weil ich Reyla nicht heiraten möchte.«

»Nein, ich meine, warum hast du bisher nicht geheiratet?«

Mathias hielt Aaslos anklagendem Blick stand und hoffte, er wirkte so, als hätte er nichts zu verbergen, aber sofort begriff er, dass es nicht gelang. Aaslo war misstrauisch geworden.

»Ich wusste es«, fuhr Aaslo ihn an. »Wie lange hast du es vor mir geheim gehalten? Warum hast du es überhaupt vor mir geheim gehalten?«

»Was soll ich geheim gehalten haben? Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, erwiderte Mathias. »Ich habe doch gar nichts gesagt.«

Aaslo hieb mit der Hand auf den Tisch und meinte: »Du gehst fort.«

Magdelay brüllte ihn von der Tür aus an: »Du hast es ihm gesagt?«

Mathias hob den Blick und sah, dass seine Großmutter in der Tür stand und ihn mit finsteren, missbilligenden Blicken bedachte – ähnlich jenen, die er von Aaslo erhalten hatte.

»Nein! Ich habe gar nichts gesagt. Er hat es nur vermutet. Du weißt doch, wie er ist.«

Magdelay sah Aaslo an. »Diese sturen Forstmänner.«

»Wir sind entschlossen«, sagte Aaslo.

»Widerspenstig«, sagte Mathias. Er wünschte, er hätte den Mund gehalten, als Aaslo sich ihm zuwandte. Mathias sagte: »Ich hätte es dir gesagt, aber Groma …«

»Das spielt jetzt keine Rolle mehr«, meinte Magdelay, als sie in den Raum trat und die Bücher und Papiere auf dem Tisch durchwühlte. »In einer Stunde wird es dunkel. Dann müssen wir aufbrechen.« Sie nahm die Karte von Aldrea vom Tisch, legte sie zu einigen weiteren Landkarten und Pergamenten, rollte alles zusammen und steckte die Blätter in ein ledernes Futteral. Sie warf einen Blick zu Mathias hinüber und sagte: »Geh und pack deine Sachen. Nur eine Reisetasche. Leichtes Gepäck.«

Mathias erwiderte: »Du machst Spaß, nicht wahr? Wir brechen nicht jetzt schon auf.«

Magdelay durchwühlte weitere Stapel im Arbeitszimmer und schob einiges in eine Tasche, die sie während seiner entsetzten geistigen Abwesenheit irgendwie hervorgeholt haben musste.

»Und wie lange werden wir voraussichtlich unterwegs sein?«, fragte Mathias.

»Für immer«, sagte sie. »Wir werden nicht zurückkehren.«

Aaslo sprang von seinem Stuhl am Tisch hoch. »Ihr reist jetzt ab – auf Nimmerwiedersehen? Und keiner wollte es mir sagen?«

Mathias schüttelte den Kopf. »Nein, ich weiß selbst nicht, was los ist. Sie hat mir gesagt, dass wir eines Tages aufbrechen werden. Aber das ist schon fünfzehn Jahre her!« Er wandte sich an seine Großmutter und fragte: »Ist es nur deshalb, weil er es jetzt weiß? Müssen wir weggehen, weil er es herausgefunden hat?«

Magdelay unterbrach ihre Vorbereitungen nicht, um eine Antwort zu geben. Sie murmelte: »Nein, das war reiner Zufall.« Dann hielt sie inne und schaute Aaslo von der Seite an.

Aaslo verschränkte die Arme vor der Brust und meinte: »Sieh mich nicht so an. Du bist doch diejenige, die Geheimnisse hatte.«