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Eine Armee erwacht ...
Im Spiralarm der Galaxis tobt der Krieg mit den Hydrogern. Mehrere Gestirne erlöschen, darunter auch eine der legendären Sieben Sonnen, die der ildiranischen Zentralwelt Licht spenden. Die einzige Hoffnung der Ildiraner, mit den Hydrogern verhandeln zu können, ruht auf Osira’h, der Tochter der grünen Priesterin Nirah, die über außergewöhnliche telepathische Fähigkeiten verfügt. Doch der Weise Imperator Jora’h muss sich zunächst mit der Rebellion unter der Führung seines eigenen Bruders auseinandersetzen, die den Zusammenhalt des gesamten Reiches bedroht. Die Terranische Hanse bemüht sich verzweifelt, neue Waffen gegen die in den Tiefen der Gasriesen lebenden Hydroger zu entwickeln. Dabei verlassen sie sich auf die Hilfe der Klikiss-Roboter – und ahnen nicht, dass diese eigene Pläne zu verfolgen scheinen: Plötzlich erwachen Tausende Roboter der untergegangenen Zivilisation aus ihrem Winterschlaf und greifen sowohl Menschen als auch Ildiraner an …
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Seitenzahl: 877
KEVIN J. ANDERSON
GEFALLENE SONNEN
Die Saga der Sieben Sonnen
Vierter Roman
Für JOHN SILBERSACK,
meinen ersten Lektor,
Dies ist das vierte Buch der Sieben Sonnen, und die Liste der Personen, die mir geholfen haben, wird fast so lang wie die der Protagonisten meiner großen Geschichte. Besonderer Dank gebührt der Redaktion, bestehend aus Jaime Levine, Devi Pillai, John Jarrold, Melissa Weatherill und Ben Ball; Catherine Sidor und Diane Jones für guten Rat und harte Arbeit; dem aufmerksamen Leser Geoffrey Girard; dem Agenten John Silbersack, Robert Gottlieb, Kate Scherler und Kim Whalen von der Trident Media Group. Und wie immer danke ich meiner Frau Rebecca Moesta dafür, dass sie mein Schreiben – und mein Leben – auf dem bestmöglichen Weg hält.
Nach dem Angriff der Hydroger auf den intelligenten Weltwald auf Theroc versuchten die Kolonisten, wieder Ordnung zu schaffen. Die mit den Weltbäumen telepathisch verbundenen grünen Priester waren bestürzt. Viele der Freiwilligen, die in der Terranischen Verteidigungsflotte (TVF) dienten, verließen ihre Posten und kehrten heim, um dem verheerten Wald zu helfen.
Anschließend griffen die Hydroger die Faeros an, eine Spezies, die im Innern von Sternen lebt. Während Hydroger und Faeros um Planeten und Sonnen kämpften, kündigten König Peter und Königin Estarra in ihrem Palast auf der Erde eine neue militärische Initiative an: Die TVF sollte weitere Klikiss-Fackeln einsetzen – apokalyptische Waffen, dazu imstande, Gasriesen implodieren zu lassen. Durch den Test einer solchen Waffe war es zum Hydroger-Krieg gekommen. Außerdem plante die TVF, nach dem Beispiel des ildiranischen Militärhelden Adar Kori'nh eine Flotte von Rammschiffen zu bauen, für den Einsatz gegen die Kugelschiffe der Hydroger und bemannt von neuen Soldaten-Kompis. Doch König Peters Aktivitäten werden von dem gefährlichen, auch vor Mord nicht zurückschreckenden Vorsitzenden Basil Wenzeslas argwöhnisch beobachtet.
Tasia Tamblyn, eine Roamerin in der TVF, wurde mit dem Einsatz der ersten neuen Klikiss-Fackel beauftragt. Sie wusste nicht, dass sich ihr Freund Robb Brindle und einige andere Menschen als Gefangene in der kristallinen Hydroger-Stadt tief im Innern des ausgewählten Gasriesen befanden. Der Kompi DD sprach dort mit Robb. Kurz bevor Tasias Fackel alles zerstörte, evakuierten die Hydroger den Gasriesen. Die Klikiss-Roboter und DD flohen.
Unterdessen saß Tasias Bruder Jess auf einem abgelegenen Wasserplaneten fest, nachdem die Hydroger sein Schiff zerstört hatten. Um ihn am Leben zu erhalten, erfüllten ihn die sonderbare Wasserentitäten namens Wentals, die er an Bord seines Schiffes transportierte, mit ihren Energien. Mithilfe der Wentals baute Jess ein exotisches Schiff und brach damit auf, um seine verlorene Liebe zu suchen: Cesca Peroni, Sprecherin der Roamer-Clans.
Im Asteroidenhaufen Rendezvous, dem geheimen Regierungszentrum der Roamer, versuchte Cesca, die Clans zusammenzuhalten. Der Scout Nikko Chan Tylar brachte einen Beweis dafür, dass die TVF Frachter der Roamer überfiel, ihre Vorräte an Sternenantrieb-Treibstoff (Ekti) stahl und die Schiffe vernichtete. Diese Piraterie erzürnte die Roamer, und sie brachen die Handelsbeziehungen mit der Terranischen Hanse ab. Cesca stellte der Regierung der Hanse ein Ultimatum: Die Erde würde erst dann wieder Ekti erhalten, wenn die Schuldigen identifiziert und bestraft werden.
Die Roamer behielten einige TVF-Gefangenen, die sie nach der Schlacht in den Ringen von Osquivel gerettet hatten. Patrick Fitzpatrick III., ein arroganter Aristokrat, war ein besonders unglücklicher Gefangener, trotz der Koketterie von Zhett Kellum, der schönen Tochter von Del Kellum, Oberhaupt des Clans, dem die Werften von Osquivel gehörten. Kellums Leute programmierten einige geborgene Soldaten-Kompis der TVF um, damit sie für einfache Arbeiten eingesetzt werden konnten.
Auf der Suche nach Möglichkeiten, interstellare Entfernungen ohne Ekti zurückzulegen, schickte die Hanse mehrere Gruppen von Forschern durch »Transportale«, ein altes Transportsystem zu verlassenen Welten. Zu diesen Forschern zählte der unerschrockene Spion Davlin Lotze. Über die jeweiligen Transportal-Koordinaten war nichts bekannt – am Ziel konnten Gefahren lauern.
Um ihre Abhängigkeit vom Roamer-Ekti zu verringern, richtete die Hanse eine eigene Himmelsmine für die Treibstoffproduktion ein, und zwar in der Atmosphäre von Qronha 3, dem Schauplatz des heroischen Kampfes von Adar Kori'nh gegen die Hydroger. Geleitet wurde die Mine von Sullivan Gold. Sullivans Crew produzierte viel Ekti, bis Kriegsschiffe der Ildiraner eintrafen, denen es ebenfalls an Treibstoff mangelte. Es gelang Sullivan, einen unsicheren Frieden mit den Ildiranern zu vereinbaren, doch während beide Himmelsminen durch die Wolken des Gasriesen flogen, musste jederzeit mit einer Rückkehr der Hydroger gerechnet werden.
Jora'h, der neue Weise Imperator der Ildiraner, rang noch mit dem Thism-Wissen, das ihn mit ungeheuerlichen Plänen konfrontierte, als er an der Bestattung seines vergifteten Vaters teilnahm. Durch den Hydroger-Krieg wurde auch im Ildiranischen Reich das Ekti knapp. Jora'hs Bruder, der Designierte Rusa'h – seit dem Angriff der Hydroger auf seinen Planeten Hyrillka hatte er im Subthism-Schlaf gelegen –, erwachte plötzlich in der medizinischen Abteilung des Prismapalastes. Er zeigte eine dramatisch veränderte Persönlichkeit und behauptete, während seiner Zeit im Koma eindrucksvolle Visionen gehabt zu haben. Beunruhigt schickte Jora'h seinen kranken Bruder zusammen mit dem Erstdesignierten Thor'h zurück nach Hyrillka, damit er dort den Wiederaufbau leitete. Der neue Hyrillka-Designierte Pery'h begleitete ihn.
Der düstere Dobro-Designierte Udru'h zollte dem neuen Weisen Imperator zwar Tribut, aber Jora'h konnte seinem Bruder nicht verzeihen, dass er Jora'hs geliebte grüne Priesterin Nira jahrelang für Zuchtexperimente benutzt hat. Die inzwischen angeblich tote Nira hatte Jora'hs Halbblut-Schwester Osira'h zur Welt gebracht, von der der Dobro-Designierte glaubte, dass sie mit ihren bemerkenswerten telepathischen Fähigkeiten einmal zur Retterin des Ildiranischen Reiches werden könnte. Nira war nicht tot, sondern wurde auf einer fernen Insel versteckt, wo der Weise Imperator sie nicht finden konnte.
Auf einer isolierten ildiranischen Kolonie befasste sich der menschliche Gelehrte Anton Colicos in Gesellschaft seines Freundes und Mentors Erinnerer Vao'sh mit der Saga der Sieben Sonnen. Mit einigen wenigen Ildiranern blieben sie in der Kuppelstadt Maratha Prime auf der dunklen Seite des Planeten, während Klikiss-Roboter eine Schwesterstadt auf der anderen Seite der Welt bauten. Die Ildiraner entdeckten ein ungewöhnliches Netz aus Tunneln, ohne feststellen zu können, von wem sie stammten. Eines Abends, während sich Anton und Vao'sh Geschichten erzählten, kam es bei den Generatoren unter der Stadt zu einer Explosion, wodurch die Energieversorgung zusammenbrach und es plötzlich dunkel wurde. Es handelte sich eindeutig um Sabotage. Ohne ausreichend Energie fürs Überleben beschlossen Anton und die Ildiraner, sich auf den Weg zur Stadt auf der anderen Seite des Planeten zu machen. Nachdem sie ihren Plan den Klikiss-Robotern mitgeteilt hatten, brachen sie mit drei Shuttles auf – von denen zwei explodierten. Neuerliche Sabotage! Anton, Vao'sh und einige andere schafften es, ihr Shuttle rechtzeitig zu verlassen. Sie mussten den Weg zu Fuß durch die Dunkelheit fortsetzen, um bei den Klikiss-Robotern Zuflucht zu finden, doch in Anton wuchs der Argwohn …
Insgeheim hatten die Klikiss-Roboter schon lange geplant, Menschen und auch Ildiraner zu vernichten. Der Roboter Sirix schleppte den Kompi DD von Enklave zu Enklave und weckte seit langem ruhende Klikiss-Roboter. DD musste feststellen, dass sich die Roboter anschickten, ihren Plan in die Tat umzusetzen.
Als ein Klikiss-Roboter im ildiranischen Prismapalast erschien und Einzelheiten über das geheime Zuchtprojekt auf Dobro verlangte, lehnte es Jora'h ab, ihm irgendwelche Informationen zu geben. Anschließend sorgte der Weise Imperator für Unruhe, indem er nach Dobro reiste, um dort seine Tochter Osira'h zu sehen und Niras Grab zu besuchen. Es erstaunte die Ildiraner, dass das Oberhaupt ihres Volkes entgegen der langen Tradition den Palast verließ. Jora'h missachtete die Tradition ein weiteres Mal, als er seine Kriegertochter Yazra'h zur persönlichen Leibwächterin ernannte. Diesen Posten hatte nie zuvor eine Frau innegehabt …
Trotz der schwierigen Lage wollte die Hanse ihre Expansion fortsetzen und ermutigte Bürger dazu, ihre Sachen zu packen, durch die Transportale der Klikiss zu fernen Welten zu reisen und dort Kolonien zu gründen. Zu den ersten Siedlern zählten ein labiler Träumer namens Jan Covitz und seine Tochter Orli. Die Händlerin und Raumschiffeignerin Rlinda Kett sowie ihr Ex-Mann Branson »BeBob« Roberts brachten Kolonisten zum nächsten Transportal, das sie zu den fernen Welten transferieren sollte. Orli und ihr Vater schlossen sich einer Gruppe an, die zum verlassenen Klikiss-Planeten Corribus reiste und sich dort niederließ.
Nach vielen riskanten Forschungsmissionen durch die Transportale erschien Davlin Lotze in den Räumen des Vorsitzenden Wenzeslas und kündigte an, sich auf eine ruhige Kolonie zurückziehen zu wollen. Zwar waren die Entwicklungen im Hydroger-Krieg alles andere als erfreulich, aber Basil Wenzeslas ging trotzdem auf Davlins Wunsch ein und schickte ihn mit Rlinda zur verschlafenen Welt Crenna. Der Verlauf des Krieges enttäuschte den Vorsitzenden ebenso wie König Peters Widerspenstigkeit und das Verhalten von Prinz Daniel, möglicher Ersatz für Peter. Hinzu kam das Ekti-Embargo der Roamer. Er beschloss, die Roamer als Sündenböcke zu benutzen und den Zorn der Öffentlichkeit auf sie zu lenken. Bei einem Treffen mit General Lanyan, dem Kommandeur der TVF, wurde über Maßnahmen gegen die Clans entschieden.
Zur gleichen Zeit erreichte der veränderte Jess Tamblyn Rendezvous. Jess, den viele Roamer für tot hielten, war nicht mehr ganz Mensch. In seinem Körper steckte Wental-Energie, die es ihm unmöglich machte, andere Menschen zu berühren – er hätte sie dadurch getötet. Die ihn noch immer liebende Cesca konnte es kaum fassen, dass sie wieder zusammen waren und doch voneinander getrennt bleiben mussten. Jess berichtete den Roamern, wie er die Wentals, alte Feinde der Hydroger, gefunden hatte. Er bat um die Hilfe von »Wasserträgern«, die die Wentals zu Wasserwelten bringen sollten, damit sie wieder stark wurden, stark genug, um gegen die Hydroger zu kämpfen. Eine Gruppe ehrgeiziger Piloten, unter ihnen Nikko Chan Tylar, schloss sich ihm an. Zu Beginn seiner neuen Mission besuchte Jess einen Kometen, der einmal als romantischer Treffpunkt für Cesca und ihn gedient hatte, brachte dort die Saat der Wasserentitäten aus und gab so dem Kometen Leben.
Unterdessen beschloss Cesca, Roamer nach Theroc zu schicken, um dem dortigen Weltwald zu helfen. Sie war mit dem Oberhaupt der Theronen verlobt gewesen und fühlte sich verpflichtet, Hilfe zu leisten, da von der Hanse keine kam. Techniker der Roamer bauten die Baumstädte wieder auf und stabilisierten den Wald. Auf der Erde stellte Botschafterin Sarein fest, dass sie das neue Oberhaupt ihres Volkes war. Der Vorsitzende Wenzeslas wollte das zu seinem Vorteil nutzen und schickte Sarein nach Theroc, damit sie dort ihrer neuen Verantwortung gerecht wurde. Bei ihrer Ankunft war Sarein bestürzt, als sie die Folgen des Hydroger-Angriffs sah; mit zusätzlicher Sorge reagierte sie auf die Präsenz von Roamer-Arbeitern im verheerten Wald.
Wenzeslas wies die TVF an, den Roamern »eine Lektion zu erteilen«. König Peter brachte große Bedenken zum Ausdruck, aber General Lanyan plante einen Angriff auf das Hurricane-Depot der Roamer. TVF-Schiffe umgaben das Depot, nahmen alle Roamer gefangen und zerstörten die Station. Nikko Chan Tylar war mit Wental-Wasser unterwegs, beobachtete den Angriff und warnte andere Roamer, unter ihnen auch die Arbeiter auf Theroc. Sprecherin Cesca Peroni warf Sarein und der Hanse vor, einen Krieg gegen die Roamer beginnen zu wollen, machte sich dann auf den Weg zur Erde, um den Vorsitzenden zur Rede zu stellen.
In den Roamer-Werften von Osquivel wehrte sich Patrick Fitzpatrick gegen seine Gefühle für Zhett Kellum. Die TVF-Gefangenen suchten ständig nach einer Möglichkeit zur Flucht, aber als einer von ihnen mit einem gestohlenen Schiff zu entkommen versuchte, fand er den Tod. Daraufhin wuchsen die Spannungen zwischen Roamern und TVF-Soldaten.
Bei einem Erkundungsflug zwischen den Wracks und Trümmern in den Ringen von Osquivel fanden Zhett und ihr Vater etwas Einzigartiges: ein intaktes Schiff der Hydroger. In der Hoffnung, durch eine Analyse des fremden Schiffes Möglichkeiten zu finden, den Feind wirkungsvoller zu bekämpfen, wurde der geniale Techniker Kotto Okiah beauftragt, das Kugelschiff zu untersuchen. Es gelang Kotto, das fremde Schiff zu öffnen, und sofort stellte er Gemeinsamkeiten zwischen der Technik der Hydroger und den Transportalen der Klikiss fest …
Während Davlin Lotze noch damit beschäftigt war, sich auf Crenna einzurichten, sah er über den Himmel rasende Kugelschiffe der Hydroger. Die Fremden schienen etwas zu suchen, griffen jedoch nicht an. Einige Tage später beobachtete Davlin durch sein Teleskop, wie die Hydroger in Crennas Sonne gegen ihren Erzfeind, die Faeros, kämpften. Der Stern begann zu sterben, und Davlin drängte die Kolonisten, energische Maßnahmen zu ergreifen, um ihr Überleben zu gewährleisten. Als die Sonne erlosch, erstarrten Crennas Meere zu Eis, und Davlin brach mit einem Schiff auf, um Hilfe zu holen. Die Kolonisten mussten sich eingraben, um zu überleben, als selbst die Atmosphäre des Planeten gefror. Davlin erreichte die nahe gelegene Kolonie Relleker, doch die dortige Gouverneurin wollte nicht helfen. Zum Glück trafen Rlinda und BeBob mit Versorgungsgütern ein und unterstützten Davlin bei seinem Bemühen, die Bewohner von Crenna zu retten.
Die Klikiss-Roboter brachten DD an Bord eines TVF-Kampfschiffes, das zu einer Flotte gehörte, die sie den Menschen gestohlen und modifiziert hatten. Die Besatzungen jener Schiffe bestanden jetzt komplett aus umprogrammierten Kompis. DD fand heraus, dass alle Soldaten-Modelle, die beim terranischen Militär inzwischen weite Verbreitung gefunden hatten, eine Programmierung enthielten, die jederzeit von den Klikiss-Robotern aktiviert werden konnte. Als Test brachten die Klikiss-Roboter die erbeuteten Schiffe nach Corribus und griffen mit ihnen die dortige menschliche Kolonie an. DD versuchte vergeblich, die Roboter aufzuhalten. Orli Covitz musste hilflos beobachten, wie TVF-Schiffe die Siedlung vernichteten. Kolonisten starben, unter ihnen ihr Vater und alle ihre Freunde. Sie sah, wie Klikiss-Roboter und Soldaten-Kompis in den Trümmern nach Überlebenden suchten, sie töteten und dann fortflogen. Als Orli schließlich die brennende Siedlung erreichte, musste sie feststellen, dass außer ihr niemand mehr lebte.
Der Hyrillka-Designierte verhielt sich nach seiner Kopfverletzung recht sonderbar und erzählte dem Erstdesignierten Thor'h, dass er in seinen Visionen die Wahrheit gesehen habe. Er behauptete, dass der Weise Imperator Jora'h, Thor'hs Vater, das Ildiranische Reich in den Untergang führen würde. Das Gerede von Rebellion beunruhigte Thor'h zunächst, doch schließlich schlug er sich auf die Seite seines Onkels. Rusa'h wies die Bewohner von Hyrillka an, die bewusstseinsverändernde Droge Schiing zu nehmen, wodurch es ihm möglich wurde, sie unter seine Kontrolle zu bringen. Dann warf er Jora'h in aller Öffentlichkeit vor, seinen Vater vergiftet zu haben. Rusa'h behauptete, der rechtmäßige Weise Imperator zu sein, und gab sich ein entsprechendes Erscheinungsbild. Nur der junge Designierte Pery'h blieb dem Weisen Imperator Jora'h treu. Als er es ablehnte, sich Rusa'h zu beugen, nahmen Rusa'h und Thor'h ihn gefangen.
Der Hyrillka-Designierte beauftragte eine Gruppe, Jora'h zu ermorden, und gleichzeitig ließ er Pery'h hinrichten, um seinen Bruder von der Gefahr abzulenken. Das rasche Handeln seiner Tochter und Leibwächterin Yazra'h rettete dem Weisen Imperator das Leben; er wusste nun, dass der wahnsinnige Hyrillka-Designierte plante, seinen Platz einzunehmen. Er entsandte Adar Zan'nh mit Kriegsschiffen, um die Ordnung auf Hyrillka wiederherzustellen, ohne zu ahnen, dass sie in eine Falle geraten würden …
Allein auf ihrer Insel baute die grüne Priesterin Nira ein Floß und entkam damit. Tagelang trieb sie auf dem Wasser, bis sie schließlich eine öde Küste erreichte. Sie lebte – und sie war nicht mehr die Gefangene des Designierten Udru'h.
Auf der Erde verlangte Cesca, dass die TVF ihre Angriffe auf Stationen der Roamer unverzüglich einstellte. Die Antwort des Vorsitzenden Wenzeslas bestand aus der Aufforderung an die Roamer, zu kapitulieren und der Hanse wieder Ekti zu liefern. Cesca machte sich zornig auf den Rückweg und schwor, dass die TVF nie die geheimen Basen der Roamer finden würde. Doch General Lanyan hatte das Navigationsmodul eines erbeuteten Roamer-Schiffes entschlüsselt und so die Koordinaten von Rendezvous in Erfahrung gebracht. Er schickte eine Flotte zum Asteroidenhaufen und zerstörte das Regierungszentrum der Roamer. Cesca und andere Überlebende flohen und wussten, dass sie von jetzt an Geächtete waren …
Admiral Stromo war der ranghöchste Offizier an Bord des Manta-Kreuzers, aber die alltäglichen Entscheidungen überließ er Commander Elly Ramirez. Normalerweise lief so alles besser. Stromo hielt es nicht für nötig, sich in den Vordergrund zu schieben, und er hatte gern jemanden zur Hand, dem er die Schuld geben konnte, wenn etwas schief ging.
Seit Jahrzehnten machte er in der Terranischen Verteidigungsflotte Karriere, indem er Verantwortung delegierte. Er mochte es nicht, an Kampfeinsätzen teilzunehmen – er war nicht zur TVF gegangen, um sein Leben zu riskieren! –, aber manchmal war das nützlich. Der große Erfolg beim Roamer-Zentrum namens Rendezvous genügte vielleicht, um ihm den Ruf eines langweiligen Schreibtischoffiziers zu nehmen.
Trotzdem sehnte sich Stromo jetzt an seinen Schreibtisch im komfortablen militärischen Stützpunkt auf der Erde zurück, oder wenigstens auf den Mars. Er hatte nie mit einem verheerenden Krieg gegen mächtige fremde Wesen gerechnet, die tief im Innern von Gasriesen lebten. Was das betraf: Er hatte nicht einmal einen Konflikt mit einem Haufen Weltraumzigeuner erwartet.
Als die Roamer-Jagd in die zweite Woche ging, beobachtete Stromo, wie die neueren TVF-Offiziere Einsatzerfahrungen sammelten. Je schneller sie lernten, desto eher konnte Stromo zu seiner ruhigen Arbeit in Gitter 0 zurückkehren. Mit dem zu deutlich sichtbaren Bauch und gelegentlichen Verdauungsproblemen war er nicht für solche Außeneinsätze geschaffen.
»Haben wir bestätigte taktische Daten in Bezug auf das nächste Ziel, Commander Ramirez?«, fragte er, obgleich er diese Frage schon einmal gestellt hatte. »Wie lautet noch der Name?«
»Hhrenni, Sir.«
»Klingt nach einem niesenden Pferd.«
»Der Name stammt aus alten ildiranischen Sternkarten, Sir. Die TVF verfügt nicht über aktualisierte Daten.«
Falten bildeten sich auf Stromos Stirn. »Ein Versäumnis der Geheimdienste, glauben Sie?«
»Bisher brauchten wir keine Informationen, Admiral. Es ist ein abgelegenes Sonnensystem mit nur wenigen Ressourcen.« Ramirez rief Bilder der Fernbereichortung auf die Schirme und fügte ihnen Diagramme hinzu, die zeigten, wo sich vermutlich die Stationen der Roamer befanden. »Es gibt unbestätigte Hinweise auf Roamer-Siedlungen bei den Asteroiden. Roamer scheinen gern in der Nähe von Schutt zu wohnen.«
»Wenn sie ihn so sehr mögen, können wir ihnen noch mehr davon geben.« Stromo lächelte. »Wie bei Rendezvous.«
Als die aufrührerischen Clans alle Handelsbeziehungen mit der Terranischen Hanse abgebrochen hatten, war der Vorsitzende Wenzeslas zunächst bestrebt gewesen, das Problem friedlich zu lösen. Die Roamer hatten unter den Angriffen der Hydroger ebenso gelitten wie andere Menschen, aber trotzdem weigerten sie sich, dringend benötigten Treibstoff für den Sternenantrieb zu liefern und durchaus vernünftige Anweisungen entgegenzunehmen. Das konnte die Hanse nicht länger hinnehmen.
Deshalb hatte die TVF ein Treibstofflager der Roamer zerstört, um klar zu machen, wie ernst diese Angelegenheit war. Um deutlich zu zeigen, dass die Roamer keine Chance gegen das mächtige terranische Militär hatten. Aber die Roamer hatten nicht etwa nachgegeben, sondern waren noch trotziger und störrischer geworden. Deshalb hatte der Vorsitzende keine andere Wahl gesehen, als ihnen den Krieg zu erklären, zum Wohl der Menschheit.
Wenn die Weltraumzigeuner vernünftig gewesen wären, hätte der Krieg nicht länger als eine Stunde gedauert. Aber leider hatten sie auf stur geschaltet.
Vor einer Woche hatte Stromo den Angriff auf Rendezvous geleitet, und die Clans waren geflohen. Das zwang die TVF-Admirale, noch mehr Zeit und Mühe auf die Suche nach ihnen aufzuwenden. Es war zum Verrücktwerden! Stromo und die anderen Admirale hatten den Befehl, Stützpunkte der Roamer zu suchen, ihre Besitztümer zu beschlagnahmen, wenn sie sich für den Krieg verwenden ließen, und die Leute irgendwie auf Vordermann zu bringen. Früher oder später würden sie um Frieden flehen.
Ramirez sah ihn von ihrem Kommandosessel aus an. Die vollen Lippen zeigten kein Lächeln, das Gesicht wirkte kühl, und das kurze dunkle Haar entsprach genau den Vorschriften. »Möchten Sie die Einsatzleitung übernehmen, wenn wir uns dem Ziel nähern, Admiral? Oder soll ich mich weiter um alles kümmern?«
»Sie leisten gute Arbeit, Commander Ramirez.« Stromo glaubte, dass sie ihn nicht sonderlich mochte, aber sie war eine ausgezeichnete Pilotin und Navigatorin, die eine steile Karriere hinter sich hatte, wie viele junge Offiziere während des schrecklichen Hydroger-Kriegs. »Können wir auf den Schirmen eine bessere Vergrößerung bekommen? Ich möchte genauer sehen, womit wir es zu tun haben.«
»Die erste Welle aus Remora-Scouts hat Relaisstationen eingerichtet, und es treffen gerade Bilder ein.«
Der Raumschutt in der Umlaufbahn um Hhrenni sah aus wie ein Haufen übergroßer Kiesel, die jemand in die Schwärze des Alls geworfen hatte. Aus der Ferne betrachtet wirkten die Felsbrocken unscheinbar, aber die Verteilung von Metallen und das Albedo-Profil einiger geometrischer Objekte bot klare Hinweise: Es gab dort eine unbekannte menschliche Siedlung. Roamer.
»Dort sind sie, genau wie wir dachten.« Stromo rieb sich das Kinn. »Na schön, sehen wir uns das Rattennest aus der Nähe an. Energie in die vorderen und hinteren Jazer-Bänke leiten. Primäre Projektilwerfer laden. Teilen Sie unseren Remoras mit, dass sie alle Schiffe abfangen sollen, die zu entkommen versuchen.« Er deutete auf den Hauptschirm. »Vorwärts, im Namen des Königs und so weiter …«
Als sich die TVF-Schiffe näherten, wurde die Kühnheit der Clans deutlicher. Eine geheime Basis! Transparente Kuppeln klebten an den Asteroiden wie mit Eiter gefüllte Pusteln. Über ihnen, an gravitationsstabilen Punkten, schwebten Solarspiegel, die die Kuppelsiedlungen mit Licht und Energie versorgten. Stationen umkreisten die Anlage in unterschiedlichen Abständen, dienten vielleicht der Lagerung von Ausrüstung.
»Sehen Sie sich das an! Am Ehrgeiz der Kakerlaken besteht kein Zweifel.«
»Sie sind sehr fleißig und einfallsreich«, sagte Ramirez, die nicht sonderlich eifrig klang. »Das hat Commander Tamblyn oft genug bewiesen.«
Stromo runzelte die Stirn. Vor nicht langer Zeit hatte Tasia Tamblyn das Kommando über diesen Manta-Kreuzer geführt. Vor dem Schlag gegen Rendezvous war sie wegen ihrer Roamer-Verbindungen mit weniger sicherheitskritischen Aufgaben betraut worden. Zeigte Ramirez jetzt Loyalität gegenüber ihrer früheren Kommandantin? Eigentlich sollte sie sich doch über ihre Beförderung freuen.
»Die Clans hätten diesen kreativen Enthusiasmus nutzen sollen, um der ganzen Menschheit zu helfen, nicht nur sich selbst.« Stromo beobachtete den Asteroidenkomplex mit seinen hellen Kuppeln und großen Spiegeln. Er schüttelte den Kopf. »Warum leben sie nicht auf Planeten wie alle anderen?«
Trotz der gegen sie gerichteten Aktionen zeigten die Weltraumzigeuner keine Bereitschaft, sich der Autorität zu beugen. Nach der Zerstörung von Rendezvous hatten sie sich in alle Richtungen zerstreut, worin die Hanse natürlich einen Sieg sah. Teile und herrsche. Nach einer vernichtenden Niederlage sollte es leicht sein, sie in die große Familie der Menschheit zurückzuholen … aber sie waren so schwer zu fangen und zu bändigen wie zornige Hauskatzen. Stromo hatte sein ganzes Leben beim Militär verbracht, und bei so viel Anarchie wurde ihm übel. »Querköpfe.«
Als die Clans unter Sprecherin Peroni vereint gewesen waren, hatten sie vermutlich ein wenig Disziplin zeigen müssen. Aber wer konnte jetzt, nach der Zerstörung ihres Regierungszentrums, für sie sprechen? Wer war befugt, für alle Roamer zu verhandeln? Jemand musste eine Kapitulationsurkunde unterschreiben und alle anderen auffordern, sich wieder an die Arbeit zu machen. Es würde lange dauern, alle armseligen kleinen Siedlungen wie diese auszuradieren.
»Wir haben vier Schiffe entdeckt, Admiral. Keins von ihnen groß genug, um eine Gefahr für uns darzustellen. Und die dortigen Einrichtungen sehen nicht aus, als könnten sie uns irgendwelche Probleme bereiten.«
»Das habe ich nicht anders erwartet.« Stromo ließ seine Fingerknöchel knacken.
Die Flugbahndaten der Asteroiden und genaue Darstellungen der Kuppelsiedlungen erschienen auf dem Hauptschirm. Ramirez betrachtete die taktischen Projektionen und schob sich eine Strähne ihres dunklen Haars hinters Ohr. Irgendetwas schien die junge Kommandantin zu beunruhigen. »Admiral … Bitte um Erlaubnis, offen sprechen zu dürfen.«
Stromo wappnete sich. Diese Worte waren immer eine schlechte Einleitung für ein Gespräch. Aber da Ramirez sie laut in Anwesenheit der anderen Brückenoffiziere ausgesprochen hatte, blieb ihm keine andere Wahl, als zu antworten. »Machen Sie schnell, Commander. Ein Einsatz wartet auf uns.«
»Wenn ich fragen darf … Was wollen wir eigentlich hiermit erreichen? Beim Angriff auf das Hurricane-Depot und Rendezvous ging es uns darum, den Roamern einen Denkzettel zu verpassen und sie dazu zu bewegen, das Ekti-Embargo aufzuheben. Aber wenn wir weiter ihren Hass auf uns schüren, werden sie nie wieder mit uns zusammenarbeiten. Wie sollen sie wieder zu wichtigen Handelspartnern werden, wenn wir sie ruinieren?«
»Das hat sich erledigt. Die Hanse braucht die Roamer nicht mehr und überlässt sie dem kalten All. Wir haben bereits eine voll funktionsfähige Himmelsmine, die in der Atmosphäre von Qronha 3 Ekti für uns produziert, und bestimmt wird es bald weitere geben.« Als Ramirez noch immer skeptisch wirkte, hielt es Stromo für besser, die Brückencrew abzulenken. »Sie werden gleich sehen, was ich meine, Commander.«
Er lehnte sich in seinem gepolsterten Beobachtungssessel zurück und freute sich jetzt auf den Angriff, weil er wusste, dass keine Risiken damit verbunden waren. »Von mir aus kann die Show beginnen. Sorgen wir dafür, dass ein nachhaltiger Eindruck zurückbleibt.«
Bei seinem Flug durch den Spiralarm kam Nikko in die Nähe der Roamer-Basis, in der sich seine Eltern um Treibhäuser kümmerten, aus denen frische Lebensmittel für viele Clans kamen. Im Gegensatz zu seinen Eltern war Nikko ein wahrer Roamer, der gern von Sonnensystem zu Sonnensystem zog, um zu sehen, was es zu sehen gab. Aber dies war sein Zuhause. Wie konnte er den Flug nicht für einen kurzen Besuch unterbrechen?
Mit seinem Schiff, der Aquarius, brachte er Wental-Wasser zu unbewohnten Welten, auf denen die Elementar-Entitäten stark genug werden konnten, um gegen die Hydroger zu kämpfen. Leider fiel es schwer, sich auf diese Mission zu konzentrieren, wenn die Große Gans – so lautete der abfällige Name der Roamer für die Hanse – den Clans mit hinterhältigen Angriffen wie denen auf das Hurricane-Depot und Rendezvous zusetzten.
Nikko betrat die größte Treibhausblase, genoss das Gefühl von festem Boden unter den Füßen und sah zur transparenten Kuppel auf. In der Schwärze des Alls jenseits davon waren nicht nur Sterne und Asteroiden zu sehen, sondern vor allem ein Spiegelfilm-Reflektor, der warmes Sonnenlicht durch das Panzerglas schickte. Ganz oben unter der Hauptkuppel schwebten flaumige Massen von Aerogel wie Wolken.
Die ambientalen Bedingungen unter den Kuppeln waren unterschiedlich. In einer wuchsen Palmen und Sukkulenten, eine andere enthielt Obstgärten. In allen Kuppeln gediehen die Pflanzen in künstlichem Boden, einer Mischung aus sterilem Asteroidenmaterial, düngenden Chemikalien und recycelten menschlichen Abfällen. Ebenso gut wie Ackerboden auf der Erde, behauptete Nikkos Mutter.
Marla Chan und Crim Tylar freuten sich über den unerwarteten Besuch ihres Sohns und inspizierten ihre Gemüsefelder, während Nikko mit ihnen sprach. Er zeigte ihnen die Behälter mit Wental-Wasser in seinem Schiff und erklärte, dass es mithilfe dieser sonderbaren Wesen gelingen könnte, den Krieg gegen die Hydroger zu beenden. Sie waren beide beeindruckt und überrascht, als sie hörten, welchen Beitrag er für den Kampf leistete.
»Um ganz ehrlich zu sein, ich habe immer gedacht, dass du uns bei den Treibhäusern oder der Himmelsmine von Ptoro helfen würdest«, sagte Nikkos Mutter und lächelte. Während sie sprach, aktualisierte sie auf einem kleinen Handcomputer das Bestandsverzeichnis. »Es erstaunt mich, dass du dich jetzt so großen Dingen zuwendest.«
Nikko errötete. »Wer hätte gedacht, dass Vater einmal zum Bauern wird? Dass er sät und erntet?«
Crim Tylar runzelte die Stirn. »Shizz, dies ist besser als eine Himmelsmine. Ich würde mich jeden Tag von neuem dafür entscheiden. Ptoro habe ich immer gehasst: kalt, windig, rau.« Er schnitt eine Grimasse.
»Du hast die Bilder gesehen, nachdem die Tivvis ihre Klikiss-Fackel einsetzten, nicht wahr?«, erwiderte Nikko. »Ptoro hat sich in einen großen Feuerball verwandelt.«
»Dann ist es dort jetzt wenigstens warm«, brummte Crim.
Nikkos Eltern konnten ihren Stolz nicht verbergen, als sie ihren Sohn durch einen üppigen Gemüsegarten führten. »Du bist an einer großen galaktischen Mission beteiligt, Nikko, aber nimm dir ein paar Sekunden Zeit, um dich über diese kleinen Dinge zu freuen«, sagte Marla.
»Wenn man all die großen Worte wegnimmt, ist es letztendlich dies, worum wir kämpfen.« Crim bückte sich und pflückte eine weiche, rote Tomate. »Probier mal. So etwas hast du noch nie zuvor gegessen.«
»Dies wäre nicht meine erste Tomate.«
»Es ist die erste von meinen Tomaten, und das sind die besten.«
Nikko hatte schon einmal eine der Tomaten seines Vaters gegessen, aber er kam der Aufforderung trotzdem nach. Er schob sich die kleine Frucht in den Mund, biss zu und schmeckte das Aroma. »Ja, wirklich gut.«
Ein großer Schatten fiel auf die Felder, wie der Schemen eines darüber hinwegfliegenden Geiers. Sie blickten erstaunt auf, und Crim kniff die Augen zusammen. »Was zum Teufel ist das?«
Nikko erkannte ein riesiges Kriegsschiff, das vor den Solarspiegel glitt und sein Licht blockierte. »Ein Schlachtschiff der Tivvis! Ich habe sie beim Hurricane-Depot gesehen …«
Wie um seine Worte zu bestätigen, feuerte das große Schiff eine Salve explosiver Projektile auf den Spiegel ab. Die Geschosse zerfetzten den dünnen Spiegelfilm, der das Licht der Explosionen in alle Richtungen reflektierte. Das Verankerungskabel riss, und die Reflektoren trieben fort, wie Gewebefetzen im Wind. Es wurde dunkel in der Kuppel. Licht kam nur noch von den Sternen und gelegentlichen Reflexionen des zerstörten Spiegels.
Alarmsirenen heulten, und es trafen Meldungen von den peripheren Stationen und anderen Asteroiden ein. »Besorg dir eine Atemmaske!«, rief Marla ihrem Sohn zu. »Alle sollen Schutzanzüge anziehen, wenn ihnen Zeit genug bleibt …«
Sie unterbrach sich, als eine Stimme aus den Lautsprechern des Interkom-Systems kam. »Hier spricht Admiral Lev Stromo von der Terranischen Verteidigungsflotte. Auf Befehl von König Peter beschlagnahmt die Terranische Hanse diese Anlage. Ihre Einrichtungen werden von jetzt an für den Krieg gegen die Hydroger und zum Schutz der Menschheit verwendet.«
»Ach, verpiss dich«, brummte Crim.
»Die Roamer sind zu Feinden erklärt worden. Deshalb werden alle Bewohner der Station gefangen genommen und vor Gericht gestellt. Unsere Schiffe sind bereit, Ihre Kapitulation zu akzeptieren. Widerstand hat sofort massive Vergeltungsmaßnahmen unsererseits zur Folge.«
In Overalls gekleidete landwirtschaftliche Arbeiter eilten zu den Sammelpunkten, so wie sie es bei zahlreichen Übungen gelernt hatten, doch über dem Treibhauskomplex hatte sich eine weit überlegene terranische Streitmacht eingefunden. Sie saßen in der Falle.
Die Notbeleuchtung warf seltsame Schatten zwischen den Pflanzen, und zusammen mit dem pulsierenden Alarmlicht wirkte die Szenerie albtraumhaft. Die Stimme eines Piloten kam über einen Roamer-Kanal aus dem Interkom-System. »Ich beschäftige die Tivvis, während ihr zu entkommen versucht. Ich rate euch, keine Zeit zu verlieren und sofort aufzubrechen.«
»Das ist Shelby. Was für ein Narr! Glaubt er wirklich, etwas ausrichten zu können?«
Der Frachter flog wie ein Matador, der einen Stier reizte. Shelby gab einen blinden Schuss auf den Manta-Kreuzer ab, der offenbar das Flaggschiff der Flotte war.
Nikko und seine Eltern erreichten die nächste Notfallstation, setzten Atemmasken auf und zogen die Riemen stramm, damit sie fest auf Mund und Nase saßen. Crim brummte: »Selbst wenn es ihm gelänge, sie für mehr als eine Nanosekunde abzulenken: Unsere Evakuierungsboote sind nicht schnell genug, um den TVF-Schiffen dort draußen zu entkommen.«
Admiral Stromo machte seine Drohung wahr und reagierte mit tödlicher Gewalt. Zwei Jazer-Strahlen gingen vom Manta aus, brannten über den Rumpf des kleinen Schiffes und rissen ihn auf.
»Shelby«, murmelte Crim voller Abscheu, während seine Frau stöhnte. »Der Kerl taugte nicht mal für den Recycler. Jetzt hat er es für uns alle noch schwerer gemacht.«
Nikko packte seine Mutter am Arm. »Ich habe die Aquarius. Sie bietet nicht vielen Personen Platz, aber wir können …«
Marla richtete einen entschlossenen Blick auf ihren Sohn. »Du hast die Wentals an Bord, Nikko. Du musst fort von hier. Denk nur daran, was die Große Gans anstellen könnte, wenn sie so etwas in die Hände bekommt.«
»Vermutlich würde sie die Wentals in den Ausguss kippen«, sagte Crim mit einem verächtlichen Schnaufen.
Die TVF-Angreifer nahmen Shelbys sinnlose Aktion zum Anlass, einen einzelnen Jazer-Strahl auf die Hauptkuppel abzufeuern. Wahrscheinlich sollte es ein Warnschuss sein, aber der Strahl bohrte ein Loch ins Panzerglas.
Es kam zu einer explosiven Dekompression, die die ganze Kuppel erbeben ließ. Der Sturm entweichender Luft riss Pflanzenkästen und hydroponische Tanks aus ihren Gestellen. Es knackte in Nikkos Ohren, und jähe Kälte traf ihn. Die Luft wurde schnell dünner.
Die Atmosphäre entwich mit der Kraft eines Düsentriebwerks ins All und veränderte die Eigenrotation des Asteroiden. Mehrere Arbeiter verloren das Gleichgewicht und stürzten zu Boden.
Die Aerogel-Wolken wurden von der Luft mitgerissen, verklumpten und bedeckten das Loch im Panzerglas. Die Polymere und Harze des ultraleichten Materials veränderten ihre molekulare Struktur, als sie dem Vakuum ausgesetzt waren. Wie Verbandsmull auf einer Wunde dichteten die künstlichen Wolken das Loch ab und gewährten genug Schutz, um den Roamern das Überleben zu ermöglichen. Doch das Siegel war nicht perfekt: Pfeifend entwich Luft durch winzige Öffnungen im Aerogel-Stöpsel.
Erste Pflanzen verwelkten bereits, und ihre Töpfe lagen überall verstreut, wie von der Hand eines Riesen verteilt. Das Heulen der Sirenen übertönte Crims Flüche.
Marla gab Nikko einen Stoß. »Lauf zu deinem Schiff. Warte auf niemanden. Flieg fort und bring die Wentals in Sicherheit! Bring sie in Sicherheit!«
»Ich kann euch nicht einfach so zurücklassen! Kommt mit mir …«
»Wir müssen bei unseren Leuten bleiben.« Marla deutete auf die Roamer um sie herum. »Aber du bist zu wichtig.«
»Dann lasst mich eine Gruppe zusammenstellen. Ich kann vielleicht zehn oder zwölf Personen mitnehmen …«
»Du hast Verantwortung«, sagte sein Vater, als sich jenseits der beschädigten Kuppel weitere TVF-Schiffe näherten. »Und wenn du noch länger zögerst, hast du keine Chance mehr, den Tivvis zu entkommen.«
Marla sah die Sorge im Gesicht ihres Sohns. »Die Tivvis müssen uns irgendwohin bringen. Wenigstens finden wir heraus, was mit den vielen Gefangenen vom Hurricane-Depot und von Rendezvous geschehen ist.«
Als Nikko noch immer zögerte, donnerte sein Vater: »Fort mit dir! Und enttäusch uns nicht.«
Nikko lief, durch ein Chaos aus niedriger Schwerkraft, blitzenden Lichtern und dem Heulen entweichender Luft.
Die Nachrichtennetze berichteten über die »triumphale Zerstörung« von Rendezvous, und die TVF feierte ihren Sieg mit einer Gala, aber König Peter sah kaum Grund zur Freude. General Lanyan rühmte sich eines sauberen, entscheidenden Sieges, aber jener Kampf hätte überhaupt nicht stattfinden müssen. Das wusste Peter tief in seinem Innern, doch niemand in der Hanse hatte auf seine Einwände hören wollen. Immerhin war er nur der König.
Über Monate hinweg hatten falsche Berichte, Reportagen und Gerüchte die Bürger der Hanse vorbereitet und die Roamer als verschlagen, unzuverlässig und habgierig dargestellt. Für die Weigerung der Clans, den Krieg der Hanse gegen die Hydroger mit Ekti zu unterstützen, war kein Grund genannt worden, aber Peter wusste, dass dies die Reaktion auf heimliche Angriffe der TVF auf unbewaffnete Frachter der Roamer war. Sie waren zweifellos genug provoziert worden, um die Handelsbeziehungen mit der Hanse abzubrechen, doch der Vorsitzende Wenzeslas hatte nie ihre Schuld eingestanden, nicht einmal inoffiziell. Stattdessen benutzte er die Roamer als Sündenböcke und lenkte die Bürger der Hanse von militärischen Niederlagen ab. Auf diese Weise machte der Vorsitzende Politik.
Peter fand es besser, Probleme mit Verhandlungen anstatt mit Gewalt zu lösen. Basil hätte die Sache mit den Roamern auf friedliche Art klären können; jetzt gab es für ihn kein Zurück mehr. Mit jedem verstreichenden Monat war der Vorsitzende diktatorischer geworden, hatte immer schärfere Töne angeschlagen.
Wie soll dies enden, Basil? Du hast deine Muskeln spielen lassen – aber gibt es jetzt noch eine Lösung? Und ist dies wirklich unser größtes Problem?
Was war mit den vielen Randwelten, mit den noch nicht autarken Kolonien, die ohne regelmäßige Lieferung von Versorgungsgütern in große Schwierigkeiten gerieten? Was war mit dem verheerten Weltwald auf Theroc? Was war mit der Möglichkeit, dass zehntausende von Soldaten-Kompis geheime Klikiss-Programmierung enthielten? Basil übersah diese Gefahr absichtlich. Was war mit den Hydrogern?
Mit einem falschen Lächeln erschienen Peter und Königin Estarra beim festlichen Bankett, wie es die Pflicht von ihnen verlangte. Der blonde, blauäugige und klassisch schöne König war angewiesen worden, eine kurze, für ihn vorbereitete Rede zu halten, mit vagen Hinweisen darauf, dass sie »den Feinden der Menschheit die Stirn bieten« würden.
Während Peter die Rede am samtenen Podium hielt, stand Estarra neben ihm, eine dunkle, exotische Schönheit inmitten des organisierten Spektakels. Niemand sah, dass sie seine Hand so fest drückte, dass ihre Knöchel schmerzten, als er versuchte, die vorformulierten Worte zu sprechen, ohne an ihnen zu ersticken. Wie alle Bewohner des unabhängigen Planeten Theroc verstand Estarra, warum sich die Roamer weigerten, Befehle von jemandem entgegenzunehmen, den sie nicht als ihr Oberhaupt anerkannten. Der Angriff auf den Weltwald hatte sie bestürzt, und sie wusste, wie wenig Hanse und TVF getan hatten, um Theroc zu helfen. Die Roamer hingegen waren sofort bereit gewesen, Hilfe zu leisten.
Zwar war ihre Ehe arrangiert, ein politisches Bündnis, aber Peter liebte seine Frau. Estarra hatte sich plötzlich mit der gleichen seltsamen Welt aus Regierungsbündnissen, Manipulationen und Machtkämpfen konfrontiert gesehen wie er. Sie hatte sich ihm geöffnet, und jetzt bildeten sie ein wirkliches Paar, teilten ihre Geheimnisse und Pläne miteinander.
Basil Wenzeslas kannte nicht alle seine Probleme.
In den großen Empfangshallen des Flüsterpalastes feierten Gäste bis tief in die Nacht, hörten Musik und brachten Trinksprüche aus. Protokollbeamte hatten König und Königin auf jeden Moment des Abends vorbereitet. Höflich und so ungezwungen, wie es die Umstände erlaubten, verbrachte das königliche Paar bei jedem wichtigen Gast die erforderliche Zeit, blieb aber nur so lange, wie es politisch notwendig war. Als Peter und Estarra in den königlichen Flügel des Palastes zurückkehrten, waren sie beide müde.
Während der letzten Monate war es dem Vorsitzenden Wenzeslas gelungen, Peter immer erfolgreicher daran zu hindern, direkt an der Politik der Hanse teilzunehmen. Peter war ein Aushängeschild, wie der alte König Frederick vor ihm, und der Vorsitzende erinnerte ihn immer wieder daran. Wenn er versuchte, unabhängig zu denken, wenn er ein wahrer Regent sein wollte und nicht nur eine Marionette in einem bunten Kostüm, so bestrafte ihn Basil hart. Während seiner Jugend hatte Peter die Freiheit nicht richtig zu schätzen gewusst. Damals war er arm, aber glücklich gewesen; und er war von seiner Familie geliebt worden. Er hatte die einfachen Freuden eines gewöhnlichen Lebens genossen. Das alles war vorbei. Er wusste, dass er seiner neuen Rolle nicht entrinnen, nicht zum Leben eines normalen Menschen zurückkehren konnte.
Er saß in der Falle und hatte keine Freunde, abgesehen von Estarra und vielleicht dem Lehrer-Kompi OX. Und er musste sehr, sehr vorsichtig sein. Basil hatte schon einmal versucht, ihn umzubringen.
Selbst im Flüsterpalast gab es keine Zuflucht für das Paar. Als sie ihr privates Quartier erreichten, stellten Peter und Estarra fest, dass der Vorsitzende dort auf sie wartete. Auch er hatte den Empfang verlassen, um ihnen hier aufzulauern.
Geschniegelt und unerschütterlich saß Basil in Peters Lieblingssessel. Daneben hatte Eldred Cain an einem kleinen Tisch Platz genommen, beugte sich über Papiere und einen Handcomputer. Der blasse, haarlose Stellvertreter des Vorsitzenden unterbrach sein Gespräch mit Wenzeslas – er schien nur seine Arbeit zu kennen. Als er das königliche Paar eintreten sah, rückte er seine Unterlagen zurecht und speicherte Analyseergebnisse im kleinen Computer.
Peter holte langsam Luft, um seine Überraschung und seinen Ärger darüber zu verarbeiten, dass er Wenzeslas an diesem Ort antraf. »Warum richten Sie sich hier nicht häuslich ein, Basil?« In seiner ruhigen Stimme kam nur ein Hauch von Missfallen zum Ausdruck – ihm lag nichts daran, Basils Zorn zu wecken. »Sind alle Konferenzzimmer um diese Zeit in der Nacht belegt?«
Basil gab sich gelassen und schien zu glauben, überall willkommen zu sein. »Ich bin Tag und Nacht im Dienst der Hanse, Peter.«
Peter versuchte, seine Feindseligkeit dem Vorsitzenden gegenüber zu verbergen, obwohl er nie vergessen würde, dass dieser Mann für den Tod seiner damaligen Familie verantwortlich war und versucht hatte, Estarra und ihn umzubringen. »Dann lassen Sie uns zur Sache kommen, Basil. Ein langer Tag liegt hinter uns, und ich habe Ihren Namen nicht in meinem Terminkalender gelesen.«
»Ich habe immer einen Termin.« Basil markierte eine Stelle in dem Bericht, den er gelesen hatte, und reichte ihn seinem Stellvertreter, der ihn den anderen Unterlagen hinzufügte. »Ich bin gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass sich eine Änderung in den Plänen ergeben hat. Treffen Sie Vorbereitungen für eine wichtige Reise, für einen Staatsbesuch, den ranghohe Repräsentanten der Hanse für notwendig halten.«
Peter nahm Estarra das mit Edelsteinen besetzte Schultertuch ab und hängte es an die Statue eines dicken Mannes, der eine Schüssel mit Trauben trug. Dann löste er seinen schweren Zeremonienumhang und streckte die Arme. In seiner Müdigkeit ließ er sich dazu hinreißen, den Vorsitzenden zu reizen. »Wohin geht die Reise? Soll ich einen Frieden mit den Roamern vereinbaren?«
Basil runzelte die Stirn. »Sie fliegen nach Ildira. In zwei Tagen brechen Sie auf.«
Peter und Estarra hatten wundervolle Geschichten über die ildiranische Heimatwelt gehört, die das Licht von sieben Sonnen empfing, aber sie waren noch nie dort gewesen.
»Vor kurzer Zeit hat ein neuer Weiser Imperator den Thron übernommen«, erklärte der Vorsitzende. »Es ist angemessen, dass ihm der Große König der Terranischen Hanse seine Aufwartung macht. Die letzten Monate sind sehr hektisch gewesen, aber wir können unsere Pflichten nicht länger vernachlässigen.«
Peter seufzte. »Politische Spielchen.«
Eldred Cain ordnete seine Dokumente. Peter sah den stellvertretenden Vorsitzenden oft, sprach aber nur selten mit ihm. Meistens schwieg Cain, beobachtete nur. Doch jetzt ergriff er das Wort. »Es handelt sich um notwendige Spielchen, König Peter, und sie sind das Ekti für die Reise wert. Wir brauchen die Ildiraner als Verbündete im Krieg gegen die Hydroger. Und wir brauchen die Hilfe der Solaren Marine beim Kampf.« Er sprach leise, als wolle er niemanden stören.
Basil nickte. »Ich würde mich alleine um die Sache kümmern, aber in diplomatischer Hinsicht ist es sinnvoller, wenn sich unser König auf den Weg macht. So sehen das die Ildiraner. Eine schnelle Reise, und wir bleiben nur lange genug, um dem Weisen Imperator zu begegnen und ihm die Ehre zu erweisen. Sie werden dort an die Öffentlichkeit treten.«
Es war ein privates Gespräch, und deshalb beschloss Peter, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. »Woher soll ich wissen, dass Sie unterwegs nicht das Schiff in die Luft jagen, um mich loszuwerden?«
Der Vorsitzende schien an diesen Worten keinen Anstoß zu nehmen. »Weil ich Sie begleite. Eine so wichtige diplomatische Mission kann ich nicht allein dem König überlassen.«
»Ich komme ebenfalls mit«, sagte Estarra und trat an die Seite ihres Mannes. Sie hielten sich an den Händen, gaben sich gegenseitig Kraft.
Basil bedachte sie mit einem herablassenden Lächeln. »Das ist nicht nötig, meine Liebe.«
»Doch, das ist es«, widersprach Peter. »Der neue Weise Imperator wird dadurch den Eindruck gewinnen, dass ihm noch mehr Ehre zuteil wird, und außerdem: Wenn sie bei mir ist, brauche ich mir um ihre Sicherheit keine Sorgen zu machen. Ich möchte nicht, dass meiner Königin etwas … zustößt, während ich fort bin.«
Basil seufzte. »Ich bitte Sie, Peter. Ich dachte, das hätten wir hinter uns.«
»Das werden wir nie hinter uns haben.« Peter nahm diesen Worten mit einem Lächeln die Schärfe, das über seinen inneren Aufruhr hinwegtäuschte. Cains Blick wechselte zwischen den beiden Männern; es schien ihn zu beunruhigen, wie wenig sie einander trauten.
»Bitte denken Sie daran, Vorsitzender: Mein Bruder Reynald besuchte den Prismapalast und war sehr von Jora'h beeindruckt, als der noch Erstdesignierter war«, sagte Estarra ruhig. »Sie schlossen Freundschaft. Ich … sollte dem Weisen Imperator erzählen, wie die Hydroger ihn umbrachten.«
»Das könnten Sie sicher zu Ihrem Vorteil nutzen, Basil«, fügte Peter hinzu.
Der Vorsitzende gab nach. »Wie Sie wünschen. Ja, der König und die Königin zusammen werden großen Eindruck auf die Ildiraner und die Nachrichtennetze machen. Ich sorge dafür, dass sich Funktionäre um die Einzelheiten kümmern.« Wenzeslas stand zufrieden auf und verließ den königlichen Flügel.
Cain nahm Dokumente und Handcomputer, blieb auf dem Weg nach draußen neben Peter stehen und musterte ihn. »Warum provozieren Sie den Vorsitzenden? Sie scheinen einen persönlichen Groll gegen ihn zu hegen.«
Peter sah den blassen Mann an und suchte nach Aufrichtigkeit in seinen Augen. Wie viel wusste Cain von Basils übrigen Aktivitäten? »Vielleicht hat es etwas mit seinem Versuch zu tun, Estarra und mich zu töten.«
Cains Überraschung schien echt zu sein. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich, als ob Teile eines Puzzles hinter seiner Stirn ein neues Bild formten, aus dem sich neue Fragen ergaben. Er öffnete den Mund, und Peter wartete, neugierig darauf, was ihm der stellvertretende Vorsitzende sagen wollte. Doch Basil forderte Cain auf, sich zu beeilen, und sie bekamen keine Gelegenheit, ihr Gespräch zu Ende zu bringen.
In jüngster Zeit waren die Tests intensiver und verzweifelter geworden. Die Dobro-Instruktoren hatten Osira'h und ihren Geschwistern nicht den Grund dafür genannt, aber sie wusste, dass die Zeit knapp wurde. Oder war dieser Notfall eine weitere Lüge, um die telepathischen Halbblut-Kinder zu manipulieren?
Osira'h gab sich unschuldig und kooperativ, aber tief in ihrem Innern rechnete sie mit allem. Sie traute niemandem mehr, seit sie die schreckliche Wahrheit darüber erfahren hatte, was ihr Onkel Udru'h und die anderen hier auf Dobro machten. Ihr geliebter Mentor hatte sie getäuscht und belogen, um sie als willfähriges Werkzeug zu benutzen. Man hatte die Mutter von ihr fern gehalten, und ihr Vater – der mächtige Weise Imperator – gab vor, nicht zu wissen, was geschehen war. Was sollte sie noch glauben?
Man beobachtete sie ständig. Osira'h und ihre Brüder und Schwestern bemühten sich, die Dobro-Mentalisten und Angehörigen des Linsen-Geschlechts zu beeindrucken. Sie alle waren für einen bestimmten Zweck geboren; einem von ihnen musste es gelingen, die Kommunikationsbarriere zwischen Ildiranern und Hydrogern zu durchdringen. Tag für Tag strengten sie sich an und sanken abends geistig erschöpft ins Bett.
Osira'h lauschte und beobachtete, fand aber keinen Ausweg aus ihrem Dilemma. Sie würden den Ildiranern geben, was sie wollten … in der Hoffnung, dass sie irgendwann einsahen, wie falsch dies alles war.
Als es jenseits der gut erleuchteten ildiranischen Siedlungen und der eingezäunten Zuchtstation dunkel wurde, saßen Osira'h und ihre Geschwister auf einer Matte. Einer der Mentalisten hatte auf einem Beobachtungsstuhl Platz genommen und verfolgte ihre Übungen. Sie sprachen nicht. Die beiden Jüngsten schlossen die Augen, um sich besser konzentrieren zu können. Die anderen ließen sie offen und kehrten den Blick nach innen.
Osira'h wusste, worauf es dabei ankam. Als sie sich des inneren Auges bewusst geworden war, konnte sie es von ihrem Körper lösen und den Blick nach draußen richten, auch über die Grenzen der ildiranischen Siedlung und des umzäunten Lagers hinaus, in dem die Nachkommen von menschlichen Gefangenen lebten. Jahrelang hatte sie nicht im Traum daran gedacht, dass sich dort ihre Mutter befand, so nah … Sie war immer wieder vergewaltigt und gequält worden, und schließlich hatte man sie getötet.
Wenn Osira'h jetzt die Zäune sah, die Zuchtbaracken und die Angehörigen des Mediziner-Geschlechts mit ihren Fruchtbarkeitsprüfern, so wusste sie ganz genau, was dort geschah. Sie stellte sich vor, wie Nira in einen Raum mit einem einzelnen Bett gezerrt wurde und den Geschlechtsverkehr mit unterschiedlichen Ildiranern ertragen musste, unter ihnen sogar der Designierte Udru'h. Auf diese Weise hatte Nira ihre Halbblut-Kinder empfangen.
Der von Udru'h gezeugte Rod'h bemühte sich noch mehr als die anderen Geschwister und wollte ebenso erfolgreich sein wie Osira'h. Angeblich hatten sie das gleiche Ziel. Osira'h hätte ihrem Bruder gern die Wahrheit gesagt, aber vermutlich wäre er nicht bereit gewesen, ihr zu glauben.
Von ihnen allen wusste nur Osira'h, was mit ihrer gemeinsamen Mutter geschehen war. Nachdem Nira ihrer Tochter die Wahrheit offenbart hatte, war sie spurlos verschwunden.
Osira'hs leichtgläubige Brüder und Schwestern zweifelten nicht an ihrer Bedeutung für das Schicksal des ildiranischen Volkes. Sie wussten nichts von ihrem wahren Ursprung. Sie trugen nicht das Wissen ihrer Mutter in sich, so wie Osira'h.
Während der dunklen Dobro-Nacht, vor der sich die anderen Ildiraner fürchteten, empfing Osira'h manchmal quälende Gedanken und sogar prophetische Bilder, die sie glauben ließen, dass ihre Mutter noch lebte. Mit der ganzen Kraft ihres Geistes hatte sie eine Antwort gerufen und versucht, jenes ferne Flüstern zu erreichen, das sie an Nira denken ließ. Sie suchte mit dem Geist, bis sie glaubte, dass ihr Kopf zu platzen drohte, fand aber keine Verbindung zu der grünen Priesterin.
Bei der jetzigen Übung ließ Osira'h ihre von Unruhe erfüllten Gedanken wie Schneeflocken über die menschlichen Gefangenen schweben, berührte ihr Selbst und ihre Erinnerungen. Ihre Bewusstseinsstrukturen unterschieden sich von denen der Ildiraner, aber die Menschen waren weitaus weniger fremdartig als die Hydroger …
Nach der Übung stand der Mentalist auf und nickte. »Euer ganzes Leben lang seid ihr unterwiesen und auf eure Pflicht vorbereitet worden. Eure Aufgabe besteht darin, das Ildiranische Reich zu retten.«
Die Kinder nickten. Osira'h hatte jahrelang an diese Worte geglaubt und fühlte sich hin- und hergerissen. Trotz der entsetzlichen Wahrheit konnte sie nicht einfach so ihre Verpflichtungen vergessen. Ungeachtet aller Lügen glaubte sie, dass ihr Mentor die von den Hydrogern ausgehende Gefahr nicht übertrieben hatte – sie war wirklich dafür ausgebildet worden, eines Tages die Tiefen eines Gasriesen aufzusuchen und dort zu versuchen, mit den fremden Wesen zu kommunizieren. Sie begriff, was auf dem Spiel stand: Das Schicksal eines ganzen Volkes hing von ihr ab. Doch sie fragte sich, ob die verlogenen und rücksichtslosen Ildiraner Rettung verdienten …
Laut den Erinnerungen ihrer Mutter war Jora'h gütig; der Dobro-Designierte steckte hinter diesem Plan. Aber wenn Jora'h wirklich so gut war, wie Nira geglaubt hatte, warum unternahm er dann nichts gegen das Zuchtlager? Über Generationen hinweg hatten die Ildiraner Menschen gefangen gehalten und missbraucht. Jora'h war der Weise Imperator des Ildiranischen Reiches, und es mangelte ihm gewiss nicht an der Macht, die grässlichen Zuchtexperimente zu beenden. Doch er hatte nichts gegen sie unternommen.
Osira'h gelangte zu dem Schluss, dass sie niemandem trauen konnte.
Bevor der Mentalist seine inspirierende Ansprache beenden konnte, betrat der Designierte Udru'h den Raum. Sein Blick glitt über die Gesichter von Niras Halbblut-Kindern und verharrte bei Osira'h. In seinen besorgten Augen zeigte sich ein Glanz, der von Tränen hätte stammen können, vielleicht aber auch auf fanatischen, hoffnungsvollen Stolz zurückging. Stolz auf sie.
»Ich habe gerade eine Mitteilung vom Prismapalast erhalten«, sagte Udru'h. »Die Hydroger haben unsere Minenwelt Hrel-oro zerstört, und die Solare Marine konnte nichts gegen sie ausrichten.« Osira'h sah die Aufregung im Gesicht des Designierten und in seinen Bewegungen. Gefühle gingen von ihm aus wie Wärme von einem gerade angezündeten Feuer.
Sie schwieg. Udru'h war so freundlich zu ihr gewesen, so aufmerksam und hilfreich. Sie hatte ihn geliebt und respektiert, doch jetzt sah sie ihn aus zwei verschiedenen Blickwinkeln. Ein Teil von ihr dachte daran, wie Udru'h sie unter seine Fittiche genommen und im Haupthaus untergebracht hatte, von dem aus man das Zuchtlager sah. Er neigte nicht zu Komplimenten und Lob, aber Osira'h wusste, dass sie ihm wirklich viel bedeutete.
Doch sie erinnerte sich auch an die andere Seite des Designierten, an die kalte Brutalität, die ihre Mutter erfahren hatte. Er hatte sie isoliert, ohne sich um ihr Leid zu scheren. Für ihn war nur wichtig gewesen, dass ihr Körper funktionierte, dass sie Kinder zur Welt bringen konnte. Er hatte sie in der Zuchtbaracke aufs Bett gedrückt und vergewaltigt, ohne Hass oder Zorn. Nicht einmal solche Gefühle hatte er ihr entgegengebracht. Nira war immer nur ein Objekt für ihn gewesen, etwas, das er benutzte.
Andere, angenehme Erinnerungen zeigten Osira'h, wie Jora'h – ihr Vater – die grüne Priesterin mit sanfter Zärtlichkeit geliebt hatte. Die Erinnerungsbilder hätten unterschiedlicher kaum sein können: hier Udru'h, der Nira nur schwängern wollte, und dort Jora'hs Liebe.
Wenn Osira'h solche Gedanken durch den Kopf gingen, brachte sie es nicht fertig, Udru'h anzusehen.
»Schon seit einigen Jahren gelingt es den Klikiss-Robotern nicht, die Hydroger von ildiranischen Welten fern zu halten«, fuhr Udru'h fort. »Jetzt haben sie ihr Versprechen endgültig gebrochen.« Er legte Osira'h väterlich die Hand auf die Schulter, und sie gab sich alle Mühe, nicht zusammenzuzucken. »Wir brauchen dich jetzt, Osira'h, mehr als zuvor. Die Hydroger haben es bisher abgelehnt, mit uns zu kommunizieren. Alle unsere Kontaktversuche waren erfolglos. Du sollst eine Verbindung mit ihnen herstellen und sie dazu bringen, mit dem Weisen Imperator zu sprechen, bevor sie alle unsere Welten vernichten.«
Osira'h nickte ernst. »Das ist die Aufgabe, für die ich geboren bin.«
Udru'h hatte noch seltsamere Neuigkeiten. »So unmöglich es auch zu sein scheint: Mein Bruder Rusa'h hat auf Hyrillka eine Rebellion angezettelt. Viele Ildiraner haben das sonderbare Verhalten des Weisen Imperators beklagt, seine Bereitschaft, sich einfach so über alte Traditionen hinwegzusetzen, aber dies geht viel weiter. Der Erstdesignierte Thor'h unterstützt Rusa'h und hat den Designierten-in-Bereitschaft von Hyrillka ermordet.«
Osira'h hatte bereits einen wachsenden, unbegreiflichen Sturm im mentalen Netz des Thism gefühlt, wie ein telepathisches schwarzes Loch, das an der ildiranischen Seele zerrte. Die Störung hatte ihren Ursprung irgendwo am Rand des Horizont-Clusters … Hyrillka. Jetzt ergab das mehr Sinn. Ein Teil des ildiranischen Geistes war durch Rusa'h zu einem brandigen Tumor geworden.
Der Mentalist schnappte überrascht nach Luft. »Ildiraner haben Ildiraner getötet!«
Udru'hs Blick galt den besonderen Kindern. »Der Weise Imperator hat Thor'h seinen Titel genommen, und Adar Zan'nh ist mit einem Manipel aus Kriegsschiffen unterwegs, um die Revolte zu beenden.« Der Designierte brachte seine Unruhe unter Kontrolle. »Das Ildiranische Reich hat es mit vielen unerwarteten Feinden zu tun. Wir müssen alle uns zur Verfügung stehenden Waffen und Werkzeuge nutzen. Der Weise Imperator hat mich angewiesen, dich so schnell wie möglich nach Mijistra zu bringen, Osira'h.«
Osira'h trat einen Schritt vor, fort von ihren Geschwistern. Sie war bereit. Die ganzen Zeit über hatte sie gewusst, dass einmal dieser Moment kommen würde. Udru'h sah sie voller Stolz an. »Ich habe Jora'h versprochen, dass du ihn nicht enttäuschen wirst. Und ich weiß, dass du mich nicht enttäuschst.«
Er ergriff ihre kleine Hand und führte sie hinaus. Osira'h zögerte kurz und sah noch einmal zu ihren jüngeren Brüdern und Schwestern zurück. Udru'h hingegen schenkte ihnen überhaupt keine Beachtung mehr.
Nach gründlichen Vorbereitungen starteten die siebenundvierzig intakten Schiffe von Zan'nhs Manipel und nahmen Kurs auf die Rebellenwelt Hyrillka. Der Einsatzbefehl stammte vom Weisen Imperator Jora'h, und der Adar würde sich genau daran halten. Trotzdem spürten die Besatzungsmitglieder an Bord der Schiffe mehr Unbehagen als während der Konfrontation mit den Hydrogern bei Hrel-oro.
Eine Rebellion war unvorstellbar für sie, erst recht die eines Designierten. Die Ildiraner bildeten eine große Gemeinschaft, verbunden durch das telepathische Netz des Thism, unter der gütigen Herrschaft des Weisen Imperators. Nie zuvor waren Schiffe der Solaren Marine aufgebrochen, um den Aufstand einer ildiranischen Kolonie zu beenden und die Ordnung wiederherzustellen. Doch genau mit diesem Auftrag waren Adar Zan'nh und sein Manipel unterwegs.
Voller Sorge stand er im Kommando-Nukleus und zeigte Entschlossenheit, als er die Sterne des Horizont-Clusters betrachtete. Am Rand jenes Clusters leuchtete die Sonne des Hyrillka-Systems, dessen besiedelter Planet wie eine faule Stelle war, die entfernt werden musste, bevor sich die Fäulnis ausbreiten konnte.
»Setzen Sie sich mit Qul Fan'nh in Verbindung und weisen Sie ihn an, sich auf Präzisionsmanöver vorzubereiten, die unsere Stärke demonstrieren. Der Hyrillka-Designierte soll zur Vernunft kommen und aufgeben.«
Zan'nh versuchte, so stoisch zu sein, wie es sein Held Adar Kori'nh gewesen wäre. Als Junge hatte er in der Strategiekuppel des Prismapalastes gesessen, traditionelle Flugmanöver analysiert und mit ildiranischen Waffen geübt. Er war von der Solaren Marine fasziniert gewesen und hatte sich mit allen Abschnitten der Saga befasst, die das Militär betrafen. Kori'nh hatte Hilfe geleistet, ihm den Weg gezeigt und ihn schließlich zu seinem Nachfolger ernannt.
Aber der alte Adar war nie mit einer solchen Situation konfrontiert worden. Der rebellische Designierte hatte Zan'nhs Bruder Pery'h ermordet. Ildiraner hatten Ildiraner getötet! Um das Blutvergießen und die Rebellion zu beenden, mussten Rusa'h und Thor'h gefangen genommen und zum Weisen Imperator gebracht werden. Es gab keine andere Möglichkeit.
Hyrillka wurde größer, als die Kriegsschiffe das Sonnensystem erreichten. Der Sensortechniker sah von seiner Konsole auf. »Sie haben uns entdeckt, Adar.«
»Gut. Dies wird schnell vorbei sein.« Zan'nh erhoffte sich eine logische Lösung, obgleich er wusste, wie unwahrscheinlich das war. Er wünschte sich nicht, die Rolle des Erstdesignierten zu übernehmen. Er hatte eine militärische Ausbildung hinter sich, war ein talentierter Taktiker und Kommandant in der Solaren Marine. Die Verantwortung des Adar lastete schwer genug auf ihm, aber außerdem auch noch die Pflichten des Erstdesignierten wahrzunehmen … Das erschien ihm zu viel. Er war nicht einmal ein reinblütiger Ildiraner des adligen Geschlechts. Die Vorstellung, dass jemand wie er zum erklärten Nachfolger des Weisen Imperators werden sollte, widersprach der Tradition, und alles in ihm sträubte sich dagegen.
Doch er wusste, was der Erstdesignierte Thor'h getan hatte. Wie konnte er unter solchen Umständen ablehnen?
»Einen Kanal öffnen.« Zan'nh stand am Geländer, das den Kommando-Nukleus umgab, und sprach die Worte, die er sich während des Flugs zurechtgelegt hatte. »Ich komme im Namen des Weisen Imperators und mit dem Auftrag, Rusa'h und Thor'h nach Ildira zu bringen. Wenn sie sich nicht stellen, muss die Solare Marine Gewalt anwenden, um ihrer habhaft zu werden.«
Diese Drohung hinterließ einen schlechten Geschmack in Zan'nhs Mund. Er spürte Unruhe bei der Besatzung. Kein Ildiraner hatte jemals ein solches Ultimatum ausgesprochen.
»Vom Raumhafen neben dem Zitadellenpalast ist gerade ein Shuttle gestartet, Adar.«
»Ist er bewaffnet? Handelt es sich um ein militärisches Schiff?«
»Es scheint ein Transporter zu sein, doch er beschleunigt mit hohen Werten. Mehrere kleinere Schiffe verfolgen den Shuttle.«
Der Hauptschirm erhellte sich, und Thor'hs schmales Gesicht erschien. Verzweiflung flackerte in den Augen des jungen Mannes. »Zan'nh, hilf mir! Gewähr mir deinen Schutz!« Der Schirm zeigte, wie Thor'h die Kontrollen des schwerfälligen Transporters bediente. Er schwitzte, blickte immer wieder auf die Anzeigen und sah, wie die Verfolger näher kamen.
»Was ist los, Thor'h?« Zan'nh verzichtete bewusst darauf, den Titel des Erstdesignierten zu nennen.
»Unser Onkel ist verrückt geworden! Er hält sich selbst für den rechtmäßigen Weisen Imperator und hat Pery'h ermordet, aber mir ist die Flucht gelungen.« Thor'hs Finger huschten über die Schaltelemente, und eine jähe Beschleunigung drückte ihn in den Sessel. Im Hintergrund erklangen Warnsignale. »Bitte nimm mich in einem deiner Kriegsschiffe auf. Rusa'h lässt mich verfolgen. Er will mich töten, weil ich wichtige Informationen habe.«
Die kleineren Schiffe eröffneten das Feuer, aber die Strahlblitze verfehlten Thor'hs Transporter.
Zan'nh runzelte die Stirn und wagte zu hoffen. Dies war eine Erklärung, die er akzeptieren konnte. Der Designierte Rusa'h war nach einer Kopfverletzung während des Hydroger-Angriffs auf Hyrillka verrückt geworden. Aber Zan'nh hatte kaum glauben können, dass sich Erstdesignierter Thor'h, der nächste Weise Imperator, aus freiem Willen gegen das Ildiranische Reich wandte.
»Na schön, Thor'h. Wir nehmen dich an Bord des Flaggschiffs.«
»Ein weiteres Schiff ist vom Raumhafen beim Zitadellenpalast gestartet, Adar«, sagte der Sensortechniker. »Es ist größer, ein königlicher Shuttle.«
Zan'nh dachte kurz darüber nach. »Wie ist seine Bewaffnung?«
»Keine erkennbaren Waffensysteme.«
Der Kommunikationsoffizier wirkte sehr überrascht. »Adar! Der Hyrillka-Designierte bittet um eine Audienz an Bord Ihres Flaggschiffs.«
Der Hyrillka-Designierte sendete sein Bild vom königlichen Shuttle. »Adar Zan'nh, ich reagiere auf den Ruf meines Bruders.« Der ehemals weichliche und korpulente Rusa'h wirkte jetzt dünn und hart, wie gehärteter Stahl. »Solche Drohungen sind nicht nötig. Wir sind alle Ildiraner, oder?«
»Kommst du freiwillig an Bord meines Schiffes?«, fragte Zan'nh überrascht.
»Es ist mein Privileg, dem Ildiranischen Reich zu dienen.«
»Du hast den Designierten-in-Bereitschaft Pery'h ermordet und versucht, den Weisen Imperator zu töten. Wir haben gerade gesehen, wie du auf Thor'h geschossen hast. Du bringst deine Loyalität auf eine recht seltsame Weise zum Ausdruck.«
Rusa'h blieb ruhig und unerschütterlich. »Du wirst verstehen, sobald ich Gelegenheit erhalte, dir alles zu erklären.«
Thor'hs verzweifelt klingende Stimme ertönte erneut, als sich sein Shuttle den Kriegsschiffen näherte. »Ich lehne es ab, an Bord des gleichen Schiffes zu gehen wie der übergeschnappte Designierte. Lass mich von einem anderen Schiff aufnehmen, Bruder. Schütze mich!«
»Du wirst sicher sein.« Zan'nh überlegte kurz und setzte sich dann mit Qul Fan'nh in Verbindung. »Erlauben Sie Thor'h, an Bord Ihres Schiffes zu kommen. Wir halten sie beide voneinander getrennt, wenn das unsere Mission erleichtert.«
Thor'hs Shuttle kam immer wieder vom Kurs ab, vermutlich deshalb, weil der Erstdesignierte ein Schiff normalerweise nicht selbst flog. Zan'nh wusste, dass sein Bruder nie irgendwelche praktischen Fertigkeiten gelernt und es vorgezogen hatte, die Annehmlichkeiten zu genießen, die dem Nachfolger des Weisen Imperators zur Verfügung standen.
Qul Fan'nh aktivierte einen Leitstrahl, und der kleine Transporter erreichte den Hangar des Kriegsschiffs.
Von Thor'hs Worten beunruhigt, dachte der Adar darüber nach, was auf Hyrillka geschehen sein mochte. War der Erstdesignierte gezwungen worden, gegen seinen Willen zu handeln? Hatte Rusa'h allein jene Verbrechen begangen? Der Weise Imperator ging davon aus, dass sie beide schuldig waren, und deshalb hatte er angeordnet, sowohl Thor'h als auch Rusa'h nach Mijistra zu bringen. Aber wenn Thor'h um Schutz bat und seine Unschuld beteuerte … Oder vielleicht war es nur ein Trick.
Der Hangar von Fan'nhs Schiff hatte den Shuttle des Erstdesignierten gerade aufgenommen, als das königliche Schiff des Hyrillka-Designierten, von einem militärischen Eskortenschiff begleitet, die Atmosphäre des Planeten hinter sich ließ.
Der seltsamste Aspekt dieser Situation bestand darin, dass er weder Thor'h noch den »verrückten« Designierten Rusa'h spüren konnte. Wegen seiner Abstammung war Zan'nhs Verbindung zum Thism so stark, dass er in der Lage hätte sein sollen, die Präsenz von Bruder und Onkel wahrzunehmen. Aber bei Thor'hs Transporter und Rusa'hs königlichem Shuttle entdeckte er nur leeres Grau. Hatten sie so viel bewusstseinsveränderndes Schiing konsumiert, dass ihr Selbst für andere ildiranische Gedanken unerreichbar wurde? Ihm fiel keine andere Erklärung ein. Wie sonst sollte es ihnen möglich gewesen sein, sich vom Netz des Thism zu trennen?
Zan'nhs Unruhe nahm zu, aber seinen Leuten gegenüber ließ er sich das nicht anmerken. Er fühlte bereits Erleichterung bei den Soldaten der Solaren Marine. Sie hatten die Möglichkeit eines direkten Konflikts mit anderen Ildiranern gefürchtet.