Geheime Krieger - Yossi Diskin - E-Book

Geheime Krieger E-Book

Yossi Diskin

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Beschreibung

Ein vom israelischen Auslandsgeheimdienst spektakulär durchgeführtes Attentat auf den genialen iranischen Nuklearwissenschaftler Mohsen Fakhrizadeh löst in der iranischen Führung Panik aus. Das Mullahregime schwört Rache. Es plant nicht nur Attentate auf israelische Geschäftsleute und Touristen, sondern auch einen massiven Vergeltungsschlag mit ballistischen Raketen, Marschflugkörpern und Drohnen gegen Israel. In Beirut wird der israelische Topspion Ohad Iluz ermordet. Welches Geheimnis trug er mit sich? Führen die Spuren in den Iran oder direkt zum Kremlchef? Der Mossad schickt seinen besten Agenten, Avi Halon, nach Beirut, um Licht ins Dunkel zu bringen. Unterstützt wird Halon von der attraktiven und erfahrenen Libanon-Expertin Liat sowie seiner Tochter Ronit. Unerwartete Hilfe erhält er vom libanesischen Geheimdienstchef Generalmajor Josef Catroux.

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INHALT

Mittwoch, 4. November 2020

Freitag, 27. November 2020

Juni 2023

Juli 2023

Mai 2024

Der Autor

Weitere Bücher von Yossi Diskin

MITTWOCH, 4. NOVEMBER 2020

Jerusalem, Balfour-Straße, offizielle Residenz des Premierministers – Während in Washington noch tiefe Nacht herrschte und die Hälfte der amerikanische Nation gespannt vor dem Fernseher saß, war über Israel die Sonne bereits vor zwei Stunden aufgegangen. Der Premierminister hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan. In dieser denkwürdigen Nacht hatte er nur den Generaldirektor des Mossad bei sich haben wollen. Während er selbst, leicht nach vorn geneigt und in bequemen Hauslatschen, auf einem braunroten Lederhocker vor dem Flachbildschirm saß und wie gebannt auf die Entwicklung der roten und der blauen Kurve starrte, hatte es sich der Mossadchef zwei Meter hinter ihm in einem Ohrensessel bequem gemacht.

Ron Dahan, so der Name des Topspions, trug eine anthrazitfarbene Hose mit scharfer Bügelfalte und ein blütenweißes Hemd mit gestärktem Kragen. Der oberste Knopf seines Hemds war wie gewohnt geöffnet. Mit übereinander geschlagenen Beinen las er in seinem Tablet den Bericht seines Führungsoffiziers Ohad Iluz. Der ständig aktualisierte Stand der Stimmenauszählung der amerikanischen Präsidentschaftswahl interessierte ihn nicht, da er das Ergebnis bereits kannte – nicht das exakte, aber das ungefähre. Donald Trump würde keine zweite Amtszeit erhalten.

Der Ministerpräsident starrte wie gebannt auf die Entwicklung der roten Linie. Der Abstand zwischen den regierenden Republikanern und den oppositionellen Demokraten wurde unablässig größer. Donald Trump, der amtierende US-Präsident, lag unschlagbar in Führung, und die ganze Welt war von seiner Wiederwahl überzeugt. Bei den vergangenen Wahlrallys hatte der republikanische Amtsinhaber regelmäßig Zigtausende Menschen um sich versammelt, er hatte ganze Stadien gefüllt, während die Wahlveranstaltungen seines demokratischen Herausforderers Joe Biden höchstens ein paar hundert Menschen angezogen hatten. Alle Wahlumfragen sagten einen Erdrutschsieg für Donald Trump voraus.

Ron Dahan wusste es besser: Der Mossadchef hatte seinem Premierminister bereits vor Wochen geraten, sich auf einen Präsidenten Biden einzustellen.

»In welcher Größenordnung werden sie fälschen?«

»Zwischen neun und zehn Millionen Stimmen«, antwortete Dahan, ohne auch nur eine Sekunde lang aufzublicken.

»China?«

»Unter anderem.«

Dahan wusste sehr genau, wie die Chinesen die Wahlfälschung geplant und organisiert hatten. Er wusste auch, wie sie sie umgesetzt hatten, aber solange sein Chef keine weiteren Fragen stellte, würde er die Details für sich behalten. Wie immer. Keinen Politiker hatte es zu interessieren, wie seine Behörde an die Informationen gekommen war. Die gesamte Wahlfälschung war vollumfänglich aufgezeichnet worden. Zum richtigen Zeitpunkt würde sie der Weltöffentlichkeit präsentiert werden. Alles war Teil eines größeren Plans. Aber auch das brauchte der Premierminister nicht zu wissen. Jedenfalls im Moment nicht.

Während auf dem Fernsehschirm nichts von den ungeheuren Manipulationen, die Dahan ihm prophezeit hatte, zu sehen war, kehrten die Gedanken des Ministerpräsidenten für einen Moment in die Vergangenheit zurück. Noch vor wenigen Monaten hatte es hier vor seinem privaten Dienstsitz massive Bürgerproteste gegeben. Die Energie und die Kreativität der Menschen hatten ihn verblüfft. Es war wie ein spontanes Festival gewesen, ein Happening und »völlig basisdemokratisch«, wie die linke Presse später geschrieben hatte. Nichts war choreografiert gewesen. Es hatte noch nicht mal eine Bühne mit offiziellen Rednern, Organisatoren oder Mikrofonen gegeben.

Die Hauptstoßrichtung dieser Mobilisierung war die Wut gegen die immer stärker werdende Korruption in Israel. Sie richtete sich in erster Linie gegen den Ministerpräsidenten, einen Mann, der in drei Fällen von Korruption angeklagt und dennoch entschlossen war, an der Macht zu bleiben, auch wenn er vor Gericht stand. In weiten Teilen der Öffentlichkeit herrschte aufgestaute, gerechte Wut. Die Menschen waren wütend auf eine Regierung, die angeblich »nicht auf dem Laufenden« war.

Etwa eine Million Israelis waren arbeitslos. Die Menschen sahen mit Schrecken in die Zukunft. Das war spürbar, und zwar in allen Bereichen. Als er aus dem Fenster geschaut hatte, war sein Blick auf Hunderte von handgefertigten Schildern gefallen, auch auf ein Plakat mit der Aufschrift »Wo sind die Frauen bei der Bewältigung der Krise?« Er hatte handgekritzelte Schilder von Mizrachi und ehemaligen Likud-Wählern gesehen, die von der Korruption und Vernachlässigung der Regierung genervt waren. Er hatte Hebräisch, Arabisch, Amharisch, Russisch, Englisch und Emojis gesehen.

Es gab kein einzelnes Epizentrum für diesen Moment. Es war ein Zusammenschluss von Tausenden Stimmen, die einen Wandel forderten. Es gab zwar eine Reihe von Basisgruppen, die sich auf die Tatsache konzentrierten, dass er der erste amtierende Premierminister war, der während seiner Amtszeit wegen krimineller Vergehen angeklagt wurde, aber was neu war, war das Ausmaß und die Lautstärke des Aufrufs.

Als die Proteste an Umfang und Lautstärke zugenommen hatten, war die Regierung mit Wasserwerfern, Verhaftungen, falschen Anschuldigungen und Aufwiegelung gegen friedliche Demonstranten vorgegangen. Der Premierminister hatte die Proteste der Bevölkerung als »Versuch, im Namen der Demokratie die Demokratie mit Füßen zu treten« bezeichnet. Sein Sohn Yair hatte prominente Anführer der Proteste verleumdet, indem er ihre Privatadressen und Handynummern getwittert hatte und die Israelis, die für die Demokratie eingetreten waren, als »Ausländer« und Schlimmeres bezeichnet.

Der Premierminister und seine Hardliner-Verbündeten hatten erfolglos versucht, die Proteste als fabriziert, nicht authentisch, als Erfindung der aschkenasischen Elite oder als von ausländischen Interessen geschürt darzustellen. Dies wurde jedoch durch die schiere Größe der Demonstrationen, ihre Vielfalt und die Vielfalt der auf Pappschilder gekritzelten Botschaften widerlegt.

Ein Gefühl des nationalen Erwachens war spürbar gewesen, es hatte sogar ein Schild mit der Aufschrift »Erwachen macht süchtig« gegeben. Es hatte etwas in der Luft gelegen, was man als die wesentliche Zutat jeglichen Wandels bezeichnen könnte: die Elektrizität, die mit der Erkenntnis einhergeht, das etwas anderes möglich ist.

Die Demonstrationen hatten den Ministerpräsidenten völlig erschöpft, und man sah ihm das immer noch an.

Um kurz nach acht Uhr machte die blaue Linie, die für den Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei, Joe Biden, stand, einen vollkommen unnatürlichen, senkrechten Sprung nach oben und überholte damit den amtierenden Präsidenten. Der Ministerpräsident schlug sich mit beiden Händen auf die Knie: »Unfassbar! Du hattest Recht. Aber das kauft denen doch keiner ab. Der Betrug ist doch viel zu offensichtlich!« Er erhob sich von seinem Lederhocker und ging in die benachbarte Küche. »Jetzt brauche ich erst mal einen starken Kaffee.«

»Noch haben sie die Kontrolle über die Informationen«, sagte Dahan.

»Wir nicht?«, rief er aus der Küche.

»Nicht in diesem Ausmaß.«

»Wir brauchen sofort einen Notfallplan.«

»Der existiert bereits«, erwiderte Dahan.

»Möchtest du auch einen Kaffee?«

»Nein, danke. Ich muss ins Büro.«

Während das bittere kolumbianische Gebräu durch den Filter lief, ging der Premierminister zurück ins Wohnzimmer. »Wie konnte es soweit kommen?«

Ron Dahan schaute seinen Chef vieldeutig an. »Die Erklärung ist einfach«, sagte er schließlich.

Und dann schilderte er ihm, was am 20. Januar 2017 passiert war. Wie jeder andere US-Präsident vor ihm, hatte Trump eine Stunde nach seiner Inauguration eine Liste mit Aufgaben erhalten, die er in den kommenden vier Jahren abarbeiten sollte. Er hatte hinter seinem Schreibtisch im Oval Office gesessen, sich die Liste aufmerksam angeschaut und dann jeden einzelnen Arbeitspunkt schriftlich kommentiert: »Mach ich nicht … Mach ich nicht … Mach ich nicht … Mach ich … Mach ich nicht …« Schließlich hatte er seinen Namen unter die Liste gesetzt und sie seinem Assistenten zurückgereicht. Damit stand sein Schicksal fest: Ermordung oder Amtsenthebung. Sollte weder das Eine noch das Andere funktionieren, würde man seine Wiederwahl mit allen Mitteln verhindern. Und das war soeben passiert.

»Wenn wir die Wahlfälschung mal herausrechnen«, begann der Ministerpräsident, »wie viel Prozent hat er deiner Meinung nach tatsächlich erhalten?«

»Ungefähr achtzig Prozent.«

Der Premierminister nickte bloß.

Fünf Minuten später nahm der Mossadchef auf dem Rücksitz seines gepanzerten Peugeot Platz. Eskortiert von zwei weiteren schwarzen Limousinen wurde er mit Blaulicht zurück nach Tel Aviv gebracht. Dahan griff nach dem abhörsicheren Telefon in der Mittelkonsole und drückte eine Taste. Sekunden später wies er seine Sekretärin Ziva Weinthal an, für zehn Uhr eine Konferenz mit seinen Abteilungsleitern anzuberaumen.

***

Tel Aviv – Was er und seine Abteilungsleiter immer befürchtet hatten, würde schon in wenigen Monaten Realität werden. Die neue Biden-Administration würde sofort nach ihrer Machtübernahme im Januar nächsten Jahres zu dem von Donald Trump im Mai 2018 gekündigten Iran-Atomabkommen zurückkehren.

Dahan lehnte eine Rückkehr zu dem Abkommen vehement ab, obwohl er wusste, dass nicht alle in seiner Behörde seine Überzeugung teilten. Die ehemaligen Mossad-Chefs Tamir Pardo, Shabtai Shavit, Danny Yatom, Efraim Halevy und die frühere Leiterin der Iran-Abteilung des Mossad, Sima Shine, kritisierten die Trump-Regierung sogar ganz offen für den Ausstieg aus dem Abkommen, wobei Pardo diesen Akt zusätzlich als »Katastrophe« bezeichnete. Sogar Dahans eigener Stellvertreter hatte die Weisheit des Ausstiegs in Frage gestellt. Und selbst wenn viele der derzeitigen Mossad-Abteilungsleiter, die von Dahan handverlesen waren, sich eher gegen das Abkommen aussprechen würden, so gab es doch viele Mossad-Beamte, die im Stillen glaubten, dass ein Wiedereintritt in das Abkommen die derzeit am wenigsten schlechte Option war.

Tatsächlich war das Verteidigungsestablishment so gespalten wie seit über einem Jahrzehnt nicht mehr, und zwar in allen Institutionen und auf allen Ebenen.

Vor zehn Jahren, als Verteidigungsminister Ehud Barak und Netanyahu zumindest öffentlich erklärten, dass sie das iranische Atomprogramm innerhalb der nächsten zwei Jahre präventiv angreifen wollten, waren der Mossad und die IDF überwiegend dagegen. Doch mit Dahans Aufstieg zum Chef des Mossad schwenkte der Geheimdienst auf eine eher angriffslustige und gegen das JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action; Gemeinsamer Umfassender Aktionsplan) gerichtete Position um, auch ohne Netanyahus Einfluss.

Seit Februar und vor allem seit dem letzten Monat hielt Dahan Teheran mit einer Runde nach der anderen von Operationen auf Trab, die das Atomprogramm und die iranischen Revolutionsgarden zurückwarfen – unabhängig vom Stand der Atomgespräche. Da das Verteidigungsestablishment gespalten war, würde der Ministerpräsident früher oder später allein die schicksalhafte Entscheidung treffen müssen, ob Israel das JCPOA unterstützen, kritisieren oder pulverisieren sollte.

Solange nicht hundertprozentig sicher war, welchen Kurs die durch massive Wahlfälschung zustande gekommene Regierung von Joe Biden in der Iranfrage einschlagen würde, würde sich Netanyahu wahrscheinlich dazu entscheiden, das Angriffsprofil gegenüber dem Iran zu senken, während die großen Luftangriffe und die kleineren verdeckten militärischen Optionen bereit und verfügbar bleiben würden, um bei Bedarf jederzeit eingesetzt werden zu können. Würde es zu keiner Einigung kommen, dann könnte Israels Schattenkrieg mit dem Iran in naher Zukunft weiter eskalieren.

FREITAG, 27. NOVEMBER 2020

Tel Aviv – Die Zahl der einbezogenen und informierten Personen wurde von Anfang an extrem klein gehalten. Der saudische Kronprinz erfuhr davon erst vor vier Tagen, anlässlich eines Geheimtreffens zwischen ihm, Netanyahu und Dahan. Bei dieser Gelegenheit erfuhr er auch, dass die Vorbereitungen bereits im März 2020 begonnen hatten. In der wechselhaften Geschichte des israelischen Auslandsgeheimdienstes sollte es eine der wichtigsten Operationen werden.

Nachdem am 3. Januar 2020 auf Befehl des amerikanischen Präsidenten Irans größter Terrorist, Qasem Soleimani, erfolgreich getötet werden konnte, war im Büro des Ministerpräsidenten die Entscheidung gefallen, den wohl gefährlichsten iranischen Nuklearwissenschaftler ebenfalls vom Spielbrett zu nehmen. Sein Name war Mohsen Fakhrizadeh. Aber im Gegensatz zum Irak, wo der Kommandeur der Quds-Einheit durch eine amerikanische Drohne exekutiert worden war, konnten über dem Iran Drohnen nur mit großem Risiko eingesetzt werden. Das achtköpfige Team, das Aryeh Ben-Zvi, der Chef der Operationsabteilung, persönlich für die Tötung Fakhrizadehs zusammengestellt hatte, ersann schließlich eine Exekutionsmethode, die noch nie zuvor zum Einsatz gekommen war: Die Tötung mit einem ferngesteuerten, von einer künstlichen Intelligenz betriebenen Scharfschützen-Maschinengewehr.

***

In dem hell erleuchteten Saal mit seinen endlosen Reihen von Computerarbeitsplätzen war für den besten Scharfschützen des Mossad, den dreiundzwanzigjährigen Asael D., eine spezielle Kammer gebaut worden, durch dessen schalldichte Wände nicht das geringste Geräusch dringen konnte. Nichts sollte den Meisterschützen bei der Vollstreckung des Urteils ablenken. Unterdessen lief die normale tägliche Arbeit in der technischen Abteilung weiter. Vor jedem Bildschirm saß ein Techniker, von denen keiner älter als fünfundzwanzig war. Sie alle waren Teil des unsichtbaren Krieges gegen den Terrorismus.

Um 11.23 Uhr (11.53 Uhr Ortszeit Teheran) erhielt das Anschlagsteam die Information, dass die schwarze Limousine mit dem Kennzeichen 77.191T98 in Teheran losgefahren war. Mohsen Fakhrizadeh, Irans oberster militärischer Nuklearwissenschaftler und Vater des iranischen Waffenprogramms, steuerte die Limousine selbst. Seine Frau saß neben ihm. Das Paar war in der Begleitung zweier Fahrzeuge mit bewaffneten Wachleuten. Ein Begleitfahrzeug fuhr voraus, das andere hängte sich hinter die Limousine. Der Tross war im Begriff, nach Absard zu fahren, wo die iranische Elite Zweitwohnsitze und Ferienvillen hatte.

Iranische Agenten, die für den Mossad arbeiteten, hatten einen blauen Nissan Zamyad Pickup am Rande der Straße geparkt, die die Stadt Absard mit der Hauptverkehrsstraße verbindet. Die Stelle befand sich auf einer leichten Anhöhe mit Blick auf herannahende Fahrzeuge. Auf der Ladefläche des Lastwagens befand sich, versteckt unter Planen und Scheinbaumaterial, ein 7,62-mm-Scharfschützen-Maschinengewehr. Außerdem war der Pickup mit Kameras ausgestattet, die ein vollständiges Bild des Ziels und seiner Umgebung lieferten, sowie mit Sprengstoff, der die Beweise in die Luft jagen und zerstören sollte.

Das Kommando, das für diese Inszenierung verantwortlich gewesen war, hatte den Iran längst verlassen. Ab jetzt hing alles von dem Scharfschützen ab, der im 1.600 Kilometer entfernten Tel Aviv geduldig auf den richtigen Moment wartete. Bei der Waffe handelte es sich um ein Spezialmodell eines in Belgien hergestellten FN MAG-Maschinengewehrs, das mit einem fortschrittlichen Robotergerät verbunden war. Es war über mehrere Monate in kleinen Teilen ins Land geschmuggelt worden, da alle Komponenten zusammen etwa eine Tonne wogen. Die Waffe war mit künstlicher Intelligenz und mehreren Kameras ausgestattet, wurde über einen Satelliten gesteuert und konnte 600 Schuss pro Minute abfeuern.

In den vergangenen Jahren hatte der Mossad mehrere Pläne entwickelt, Fakhrizadeh auszuschalten, aber wegen zu vieler Unwägbarkeiten waren sie alle wieder verworfen worden. Die Entscheidung für einen Fernangriff mit einem Roboter-Maschinengewehr hatte Aryeh Ben-Zvi persönlich getroffen.

Die KI wurde programmiert, um die Verzögerung von 1,6 Sekunden zwischen dem Eintreffen der Kamerabilder beim Scharfschützen und dem Eintreffen der Antwort des Scharfschützen am Maschinengewehr auszugleichen.

In der Nähe des blauen Pickups befand sich ein weiteres, mit einer Kamera ausgestattetes Fahrzeug, das auf einem Wagenheber stand und dem ein Rad fehlte.

Um 14.56 Uhr (15.26 Uhr Ortszeit Teheran) feuerte Asael mehrere Kugeln ab, die die Vorderseite des Wagens unterhalb der Windschutzscheibe trafen. Nachdem er das Gewehr neu eingestellt hatte, feuerte er drei weitere Male und traf Fakhrizadeh schließlich an der Schulter.

Anstatt sich zu ducken, riss Fakhrizadeh völlig verwirrt die Wagentür auf und sprang aus dem Auto. Er wurde drei weitere Male beschossen. Als sein Körper tot auf den Asphalt fiel, fehlte von seinem Kopf die ganze linke Hälfte. Fotos, die später im Internet auftauchten und seinen eingesargten Leichnam zeigten, waren zuvor einer fundamentalen Bildbearbeitung unterzogen worden.

Aryeh Ben-Zvi, der Chef der Operationsabteilung, und drei weitere hohe Beamten hatten im Büro des Generaldirektors die ganze Operation auf einem riesigen Plasmabildschirm verfolgt. Die Anspannung, die ihnen ins Gesicht geschrieben stand, löste sich auf.

»Jemand soll Asael holen«, sagte Dahan zu den Umstehenden. »Er soll mit uns anstoßen.«

»Ich gehe selbst«, erwiderte Ben-Zvi. »Dann kann ich unterwegs noch eine rauchen.« Im Büro des memuneh herrschte nämlich absolutes Rauchverbot.

Als er zehn Minuten später in Begleitung des jungen Scharfschützen zurückkehrte, waren die Champagnergläser bereits gefüllt und auf dem Konferenztisch befand sich ein Silbertablett mit Cocktail-Kanapees.

»Na, wie war ich, Sir?«, fragte Asael etwas forsch, als Dahan ihm lächelnd die Hand reichte, um ihm zu gratulieren. Die hellblauen Augen des jungen Mannes strahlten. Nicht nur wegen des großen Kunststücks, das er soeben vollbracht hatte, sondern weil er zum ersten Mal in seinem Leben das eigentliche Cockpit der Macht betreten hatte.

»Gar nicht schlecht«, sagte Dahan. »Als die ersten Kugeln nur den Kühler trafen, war ich ehrlich gesagt etwas besorgt, aber du hast die Situation dann doch exzellent gemeistert.«

»Vielen Dank, Sir. Ich fühle mich sehr geehrt.«

Dahan lächelte bloß. Dann wies er mit der Hand auf die Kanapees: »Meine Herren, darf ich bitten?«

***

Der Sprengstoff, der zur Zerstörung der Beweise für das ferngesteuerte Maschinengewehr verwendet wurde, versagte teilweise, so dass genügend Teile intakt blieben. Im Gegensatz zu den späteren Behauptungen der Medien war dieses partielle Versagen aber vom Mossad beabsichtigt, denn so konnten die Iraner herausfinden, was tatsächlich passiert war.

Wie sich später herausstellte, war Fakhrizadehs Tod für das iranische Streben nach einer Atombombe ein ebenso großer Rückschlag wie die Zerstörung der Atomanlage in Natanz im Juli 2020.

Die Jerusalem Post berichtete später, dass ein der Öffentlichkeit unbekannter Mann namens »Farhi« Fakhrizadeh ersetzt habe, auch wenn alle Experten des Mossad sagten, dass Fakhrizadeh nicht vollständig ersetzt werden konnte. Im Gegenteil: Die Operation vom 27. November hatte das iranische Atomprogramm für mehrere Monate ins Chaos gestürzt. Und selbst wenn es dem Iran gelänge, seine Urananreicherung auf 90 Prozent zu erhöhen, also auf waffenfähiges Niveau, dann müsste er trotzdem noch viele weitere Komponenten zusammenstellen, ehe es zu einer Atomwaffenfähigkeit kommen könnte. Dazu gehörten zum Beispiel Aufgaben im Zusammenhang mit der Zündung und dem Einsatz von Raketen. Fakhrizadeh hätte bei diesen Aufgaben mit Sicherheit geglänzt. Aber jetzt waren die Ayatollahs erst mal ausgebremst.

Sehr aufschlussreich waren auch die Reaktionen Teherans auf die Ermordung ihres brillanten Atomwissenschaftlers. Verglichen mit Teherans damaliger Reaktion auf die Ermordung Qasem Soleimanis waren sie geradezu verhalten. »Die Tötung aller amerikanischen Staatsoberhäupter wird nicht ausreichen, um den Tod von General Qasem Soleimani zu rächen«, hatte ein General der iranischen Revolutionsgarde damals gesagt. Soleimani war während eines Besuchs im Irak vom US-Militär getötet worden. Wochenlang hatte der Iran »vernichtende Rache« geschworen an allen, die für seine Ermordung verantwortlich waren. »Auch wenn alle amerikanischen Führer getötet werden, wird dies das Blut von Soleimani nicht rächen. Wir müssen Soleimanis Weg folgen und ihn mit anderen Methoden rächen«, hatte Mohammad Pakpour, der Kommandeur der Bodentruppen der Revolutionsgarden, damals gesagt. Soleimani war der mächtigste militärische Befehlshaber des Irans gewesen. Er hatte Teherans Operationen im gesamten Nahen Osten geleitet. Am 3. Januar 2020 war er auf dem Flughafen von Bagdad bei einem vom Donald Trump angeordneten Angriff getötet worden.

JUNI 2023

Beirut – Das schlichte Apartment liegt nur fünfhundert Meter vom Hauptquartier der libanesischen Hisbollah entfernt. Die Frau, die es bewohnt, heißt Julia al-Banna. Den Namen Julia nahm sie erst vor drei Jahren bei ihrer Taufe an. Vorher hieß sie Mariam und gehörte der Religionsgemeinschaft der Drusen an. Trotz ihrer vierundvierzig Jahre ist sie sehr attraktiv und wirkt manchmal geradezu jugendlich. Ihre natürliche Haarfarbe ist dunkelbraun, aber manchmal, je nach Laune, färbt sie ihr Haar entweder blond oder rötlich. Die Farbe ihrer Augen ist undefinierbar. Je nach Lichteinfall schimmern sie mal grünlich, mal bräunlich oder wie Bernstein. Julia al-Banna ist sehr schlank, fast mager. Trotz ihrer 1,73 Meter bringt sie zurzeit nur fünfundfünfzig Kilo auf die Waage. Sie ernährt sich gesund, treibt viel Sport und wird manchmal auf höchstens Dreißig geschätzt. Julia ist unverheiratet und kinderlos. Sie stammt aus einem vermögenden Elternhaus, was man ihr trotz ihrer finanziellen Notlage immer noch anmerkt. Bis zu ihrem dreißigsten Geburtstag bestand ihr Leben ausschließlich aus Weltreisen, diversen Drogenexperimenten und ausschweifendem Sex, sowohl mit Männern als auch mit Frauen. Aber diese Zeit ist schon lange vorbei. Vor fünfzehn Jahren ging das Unternehmen ihres Vaters, das zu seiner Blütezeit über 220 Mitarbeiter verfügte, Pleite. Kurz darauf verstarb ihre Mutter. Seitdem wird Julia von ihrem Vater und ihren beiden Brüdern regelmäßig mit relativ kleinen Geldbeträgen unterstützt.

Julia weiß, dass sie noch immer sehr attraktiv ist. Sie würde gern in den Hafen der Ehe einlaufen, aber von den Männern, die sie bisher kennengelernt hat, konnte ihr bis auf eine Ausnahme niemand das Wasser reichen. Ihre Weltläufigkeit, ihre Bildung, ihre Mehrsprachigkeit und ihr ausgeprägter Intellekt schrecken die meisten Männer ab.

Die einzige Ausnahme ist André Chamoun. André ist nicht nur sehr männlich, wie sie findet, sondern kann sich auch immer sehr schnell in ihre stets wechselnde Seelenlage einfühlen, worauf sie großen Wert legt. André Chamoun ist groß, schlank, dominant und einfühlsam, also genau das, worauf eine komplizierte Frau wie Julia steht. Aus ihrer Sicht hat André nur einen einzigen Makel: Obwohl sie sich mit ihm seit drei Monaten regelmäßig in einem kleinen Café im überwiegend christlich geprägten Osten Beiruts trifft, macht er keinerlei Anstalten, sie zu vögeln. Offensichtlich hat er das auch nicht vor, schloss Julia, andernfalls hätte er mich schon längst zu einem Candlelight Dinner eingeladen. Der Grund, weshalb sie sich immer noch mit André trifft, ist ein anderer.

In der ersten Zeit ihres Kennenlernens war Julia gegenüber André etwas misstrauisch, was in einem multiethnischen und multireligiösen Land wie dem Libanon völlig normal ist. Im Libanon bleibt normalerweise jede Ethnie und jede Religionsgemeinschaft unter sich. Man heiratet auch nicht untereinander. Manche Religionsgemeinschaften kommen miteinander aus, andere nicht.