Geheimnisblind - Karin Pelka - E-Book

Geheimnisblind E-Book

Karin Pelka

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Beschreibung

Jutta und Holger kommen nach vielen Ehejahren noch miteinander aus - weil sie ihre Geheimnisse gut voreinander hüten. Doch als Jutta wieder einmal überstürzt davon fährt, wittert Holger Betrug. Er folgt ihr, will sie zur Rede stellen - ohne zu ahnen, mit wem seine Frau eine gefährliche Liaison unterhält. Die Jagd nach der Wahrheit beginnt. Ein rasanter Kurzroman zwischen Realität und Fantasy.

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Seitenzahl: 74

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Die Autorin:

1983 im fränkischen Neuendettelsau geboren, wuchs Karin Pelka im kleinbäuerlichen Umfeld auf. Nach einer abgebrochenen Verkäuferinnenlehre drückte sie weiter die Schulbank und lernte schließlich in München als IT-Systemelektronikerin. Dort lebt sie mit Mann, Kind und zwei Katzen.

Geschichten übten seit jeher eine große Faszination auf sie aus. Erste eigene Erzählversuche verliefen nach ausbleibenden Erfolgen im Sande. Erst als mit 30 die Midlife-Crisis unerwartet früh zuschlug, entschloss sie sich, das Träumen aufzugeben und mit Stift und Papier Tatsachen zu schaffen.

Außerdem erhältlich: „Rosina und die Fee“

Eine magische Geschichte um die Frage, wer wir ohne unsere Wünsche sind.

Thyra träumte und es war derselbe scheußliche Traum. Um das Gesicht des Tempelvorstehers zu sehen, legte sie den Kopf in den Nacken. Er ragte vor ihr auf, wie die marmornen Säulen, die so weit oben endeten, dass sie in Thyras Blick verschwammen.

Räucherwerk erfüllte die Luft, auf dem Altar brannten dicke Kerzen. Es war so still im Tempel, dass sie jede Bewegung hörte, jedes Rascheln von Kleidung, jeden Atemzug, selbst das Flackern der Flammen.

Neben ihr schluckte Thyras Vater hart.

„Sie ist zu jung, das weißt du“, sagte der Vorsteher zu ihm.

Der Vater antwortete mit einem Nicken.

„Bring sie in zwei oder drei Jahren wieder, dann sehen wir weiter.“

Thyra fühlte den Griff des Vaters an der Schulter, der wortlos kehrtmachte, sie mit sich zog.

„Nein!“, rief Thyra, riss sich los. Es hallte tausendfach.

„Entschuldigung“, sagte sie, als das Echo verklang. „Aber ich gehe nicht. Seit ich zum ersten Mal hier war, wusste ich, wohin ich gehöre. Nichts anderes will ich. Nur in den Dienst Gottes treten. Ihm dienen, um jeden Preis.“

Sie ging in die Knie, verlor vor Aufregung das Gleichgewicht und stützte sich mit den Händen ab. Thyra senkte den Blick auf die spiegelnden Fliesen.

„Ein entschlossenes Kind hast du“, sagte der Vorsteher.

Wenn er nur mit ihr reden würde, nicht über sie.

„Steh auf, Mädchen.“

Sie erhob sich, versuchte, in seinen Zügen zu lesen. Ein altes Gesicht mit tief eingekerbten Falten und hängenden Backen.

„Wie alt bist du?“, fragte er.

„Zehn. Aber ich bin kein kleines Kind mehr, ich -“

„Zehn? Möchte man nicht vermuten bei dem Mundwerk.“

Thyra schluckte. Noch zwei oder drei Jahre warten? Das hatte sie schon getan und jeden Tag davon gebettelt.

Der Tempelvorsteher lächelte, streckte die Hand nach ihrem Kopf aus. Thyra unterdrückte den Impuls, zurückzuweichen. Er strich ihr übers Haar.

„Sie kann bleiben“, sagte er. „Ich nehme sie als Novizin.“

Stumm nickte der Vater, sein Adamsapfel hüpfte.

Er kniete sich zu Thyra hinab, schaute ihr ins Gesicht und öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Die Lippen zitterten.

Thyra streckte die Arme aus, umschlang seinen Hals und zog sein Gesicht an ihre schmale Brust. Es fühlte sich schön an, und fremd.

„Du besuchst mich doch“, flüsterte sie.

Spürte sein Nicken. Und die nassen Flecke auf ihrem Kleid.

Sie löste sich, der Vater blieb auf dem Boden knien, das Gesicht abgewandt.

„Und du, Mädchen, kommst mit mir. Ich zeige dir deine Aufgaben“, sagte der Vorsteher.

Seine Robe raschelte, als er kehrtmachte. Im Luftzug verlosch eine Kerze.

Im Schlaf wand sich Thyra, schlug um sich, versuchte etwas zu packen, um sich daran aus der Erinnerung zu ziehen. Sie fand nichts.

Das höhnische Lachen, die langen Gewänder, unter denen blasse Leiber zum Vorschein kamen. Der schwüle Geruch, die losen Haare im Mund. Sie würgte. Wollte nachhause - der Tempelvorsteher lachte lauter.

„Wolltest du nicht um jeden Preis diesen Dienst verrichten?“

„Mein Vater -“

„Dein Vater? Der hat dich längst vergessen.“

Sie blieb, musste bleiben. Fand keinen Fluchtweg aus den kalten Tempelmauern, ertrug mit zusammengebissenen Zähnen was die Würdenträger des Tempels unter dem Dienst an Gott verstanden und schwor, sobald die Zeit dafür kam, das Geheimnis zu lüften und alles Unrecht zu sühnen.

Im Spiegel streifte Jutta nur flüchtig das strähnig blonde Haar und ihr Gesicht. Die schonungslosen Lichter, rings um den Spiegel aufgereiht, blendeten sie und zeigten alles, was Jutta sich zuhause ersparte. Sie tat, als merkte sie nichts.

Bisher erkannte sie niemanden im Friseur-Salon; es zahlte sich aus, gleich morgens herzukommen. Trotzdem achtete sie auf ihre Außenwirkung, es konnte immer Gerede geben.

Unter dem Umhang staute sich schon jetzt die Wärme. Jutta zupfte den Rocksaum übers Knie, befreite die Hände und griff nach der Illustrierten, die Yolanda dort für sie bereit gelegt hatte. Die Zeitschrift würde sie auch diesmal ablenken.

Summend näherte sich Yolanda, stellte eine Tasse Kaffee vor Jutta. Yolanda besaß eines von diesen Gesichtern, das Jutta gerne besessen hätte: Es sah von jeder Seite im Spiegel gut aus, egal ob sie lachte oder betroffen dreinschaute. Daran änderten auch die rosa und grünen Strähnchen nichts. Eine Frau Ende dreißig, die von Komplexen nichts wusste.

„Hast dir einen schlechten Tag ausgesucht, Jutta“, sagte Yolanda. „Es fängt an zu nieseln.“

Bevor Jutta antwortete, fügte sie lachend hinzu: „Aber wie ich dich kenne, hast du immer einen Schirm parat.“

Jutta legte die Zeitschrift zurück, nahm die Tasse, führte sie zum Mund und pustete auf die hellbraune Flüssigkeit, obwohl sie nicht dampfte. Kaffee und Klatschspalten, beides so widerwärtig wie überlebenswichtig.

„Hm“, machte Jutta.

„Ich habe nie einen mit. Vor allem nicht, wenn es regnet“, sagte Yolanda.

Jutta nahm einen Schluck Kaffee. Nicht heiß, dafür mit viel Zucker. Die einzige Unsitte, die sie sich zugestand. Ohne viel Zucker brachte sie Kaffee nicht herunter. Jutta stellte die Tasse ab.

„Schneiden wie immer?“, fragte Yolanda.

Kundige Finger glitten durch ihr Haar, die Kopfhaut prickelte. Dankbar schloss Jutta die Augen.

„Wie immer“, sagte sie.

„Gerne. Steht dir auch ausgezeichnet.“

Yolandas Hände verschwanden, Jutta hörte Schritte, dann den heranrollenden Wagen mit Friseur-Werkzeug.

Sie blinzelte, streckte die Beine auf der Fußstütze aus und sah sich verstohlen im Spiegel an: keine berauschende Aussicht. Mit jedem Jahr verknitterte sie mehr, die Augenringe wurden chronisch und der Mund - kräuselte sich.

Das war beim letzten Mal noch nicht! Schrecklich sah das aus, wie bei den uralten Leuten, deren Namen sie demnächst bei den Todesanzeigen fand.

Schleunigst schlug Jutta die Zeitschrift auf. Sie überflog Bilder und Texte, während Yolanda mit dem Kamm auf Juttas Kopf hantierte, einzelne Strähnen fest klipste, ihr Wasser aufs Haar sprühte und zur Schere griff.

Das satte Geräusch der schnippelnden Klingen, das Prasseln der Haarspitzen auf dem Umhang, dazu Yolandas Summen. Wären nicht die vielen Spiegel ringsum, die vielen Lichter, nicht die aufmerksamen Blicke der Friseurinnen, die Jutta beim verschämten Spiegelblick ertappten, gefiele ihr das Haareschneiden richtig gut.

Jutta blätterte um und starrte auf eine ganzseitige Anzeige: Werbung für die Neuerscheinung der Saison. Den schwarzen Buchdeckel zierte das Bild einer nackten Frau mit Heiligenschein, deren Scham ein blutiger Dolch bedeckte. Darüber in roten Lettern der Titel: „Lebensblut - Teil V“.

In Juttas Brust rumpelte das Herz, sie griff nach der Seite um umzublättern, als Yolanda fragte: „Hast du die Bücher gelesen?“

Jutta hielt den Blick gesenkt.

„Am Wochenende fange ich mit dem neuen an - die anderen vier Bände habe ich schon gelesen. Wirklich Bombe, die Bücher“, sagte Yolanda.

„Ja?“

„Ja, auf jeden Fall! Ich sage dir, das geht unter die Haut. Wie das Mädchen sich durchkämpft und gegen die Übermacht stellt: Das fühlt sich an, als würde das alles wirklich passieren, als wäre es echt.“

Jutta riskierte einen Blick in den Spiegel, erwartete schamrote Wangen, doch Yolanda hantierte fröhlich weiter. Als ihre Kollegin mit einem Stapel Handtücher vorüber kam, fragte sie so laut, dass alle es hören konnten: „Oder, Bine, die Lebensblut-Bücher sind spitze?“

„Na sicher“, sagte Bine und lachte.

Juttas Wangen glühten. Mit der Zunge befeuchtete sie die Finger, griff nach der Seite -

„Die Autorin veröffentlicht unter Pseudonym. Oder der Autor, wer weiß. Stellenweise geht es schon derb zur Sache - wer das schreibt, kann nicht ganz sauber sein.“

„Ja“, sagte Jutta.

„Ist nicht dein Genre, was?“

Yolanda zwinkerte ihr im Spiegel zu.

„Nicht ganz“, antwortete Jutta.

Sie stellte sich vor, wie sie das schwarze Buch mit der Nackten auf dem Cover im Wohnzimmer aufs Regal stellte. Neben die farbenfrohen Kinderbücher, die sie in den vergangenen Jahren geschrieben hatte: „Heinchen, das Schweinchen“, „als Lukas richtig wütend wurde“, die Glückshexenreihe und viele andere.

Dann dachte sie an Holger, der mit dunkelroten Lederschlappen zum Sofa schlurfte, seit fünf Monaten den Frührentnerstatus zelebrierte, indem er sich morgens vor den Fernseher setzte und erst zum Schlafengehen den Posten verließ.

„Schätze mein Mann lässt mich einweisen, wenn ich damit nachhause komme“, murmelte Jutta. „Oder er erstickt vor Lachen.“

„Die Männer müssen nicht alles mitbekommen. Ich leihe dir nächstes Mal den ersten Band. Ist nichts für schwache Nerven, aber es wird dir gefallen.“

Jutta suchte nach einer dieser diplomatischen Entgegnungen, die den Frieden wieder herstellte - für die Kinderbücher fand sie solche Texte immer leicht. Sie schwitzte unter dem Plastik-Umhang.

„Danke“, sagte sie, weil ihr nichts einfiel, und rettete sich auf die nächste Seite, bevor Yolanda noch etwas sagte. Hoffentlich vergaß sie die Idee wieder. Besser, niemand brachte sie mit diesen Büchern in Verbindung.