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Max, Eyth

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The Project Gutenberg EBook of Geld und Erfahrung, by Max EythThis eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and mostother parts of the world at no cost and with almost no restrictionswhatsoever.  You may copy it, give it away or re-use it under the terms ofthe Project Gutenberg License included with this eBook or online atwww.gutenberg.org.  If you are not located in the United States, you'll haveto check the laws of the country where you are located before using this ebook.Title: Geld und ErfahrungAuthor: Max EythAnnotator: Carl Müller-RastattIllustrator: Theodor HerrmannRelease Date: October 30, 2015 [EBook #50344]Language: German*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GELD UND ERFAHRUNG ***Produced by The Online Distributed Proofreading Team athttp://www.pgdp.net

Anmerkungen zur Transkription

Im Original gesperrter Text ist so dargestellt.

Im Original in Antiqua gesetzter Text ist so dargestellt.

Im Original kursiver Text ist so dargestellt.

Weitere Anmerkungen zur Transkription finden sich am Ende des Buches.

Hausbücherei 32

Hausbücherei

der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung

32. Band

Hamburg-Großborstel Verlag der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung 1910 11.-20. Tausend

Geld und Erfahrung

von

Max Eyth

Mit einem Bildnis Eyths, einer Einleitung von Dr.Carl Müller-Rastatt und Bildern von Theodor Herrmann in Hamburg

Hamburg-Großborstel Verlag der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung 1910 11.-20. Tausend

Inhalt

Seite

Einleitung von

Dr.

Carl Müller-Rastatt

5–10

Max Eyth:

Geld und Erfahrung

11–176

Für die Abdruckserlaubnis dieser Erzählung schulden wir der Deutschen Verlagsanstalt in Stuttgart Dank. Die Erzählung ist dem zweiten Bande des Max Eythschen Werkes »Hinter Pflug und Schraubstock« entnommen.

Ein Bild Max Eyths ist hinter Seite 4 eingeheftet.

Ein ausführliches Verzeichnis der früher erschienenen Bände der »Hausbücherei« sowie der »Volksbücher« befindet sich am Schluß des Bandes.

Einleitung.

Geld und Erfahrung! Man kennt das Geschichtchen von den beiden Männern, die zusammen ein Geschäft begründeten. Der eine brachte das nötige Geld dazu mit, der andere die Erfahrung. Als aber ein paar Jahre ins Land gegangen waren und die beiden sich wieder trennten, da hatten sie die Rollen getauscht: der das Geld mitgebracht hatte, der hatte jetzt die Erfahrung; aber der andere hatte das Geld.

Das Geschichtchen ist eines von denen, die ewig neu bleiben und die sich in der Welt immer wieder abspielen. Umsonst ist der Tod, und Erfahrung gewinnt man nicht, ohne Lehrgeld dafür zu zahlen. Es hilft nichts, daß man darüber klagt und jammert. Man wird am besten damit fertig, wenn man gute Miene zum bösen Spiel macht und sich mit fröhlichem Humor in sein Schicksal findet. Das haben wenige so gut verstanden wie Max Eyth. Sein ganzes Jünglings- und Mannesalter ist ein einziges Sammeln von Erfahrungen gewesen, und er hat sie alle redlich bezahlen müssen. Aber statt sich darüber zu grämen, hat er aus all seinen Erlebnissen lustige und unterhaltsame Geschichten gemacht, von denen dieses Buch eine treffliche Probe gibt.

Es gibt Schriftsteller, die sich ihre Bücher zusammenfabeln, weil sie uns recht absonderliche Dinge erzählen wollen, ohne Rücksicht darauf, ob sie wahr sind oder nicht. Und es gibt andere, die sich ihre Bücher zusammenträumen, während sie irgendwo in der schlichten Alltäglichkeit sitzen und sich heimlich hinaussehnen in Abenteuer, in fremde Länder und zu fremden Menschen. Max Eyth hat nicht gefabelt und nicht geträumt: er hat erlebt. Und das, was er erlebt hat, hat er mit klarem Auge und fröhlichem Wesen beobachtet und dann niedergeschrieben, andern zur Belehrung und zur Freude.

Max Eyth ist im Jahr 1836 im Pfarrhaus des Städtchens Kirchheim unter Teck geboren worden. Die Kunst, mit der Feder umzugehen, war ihm von seinen Eltern überkommen, die sich beide dichterisch betätigten. Daneben hatte er schon in seinen Kinderjahren besonderes Interesse an praktischen Dingen, an Maschinen. Und so entschied er sich dafür, das Stuttgarter Polytechnikum zu besuchen, um Maschinenbauer zu werden. Das war damals, wo die Maschinen erst ganz allmählich anfingen, die Bedeutung zu gewinnen, die sie jetzt in der Welt haben, noch ein kühnes Unterfangen. Aber Max Eyth hat Zeit seines Lebens frischen Wagemut besessen und darauf vertraut, daß dem Kühnen das Glück lächelt und der Erfolg hold ist. Mit diesem Wagemut begann er sein Studium: mit diesem Wagemut beschloß er, als es glücklich beendet war, ins Ausland zu ziehen und sich draußen den Wind um die Nase wehen zu lassen.

Der Anfang war nicht vielversprechend. Er zog rheinabwärts und klopfte in all den großen Fabriken an, die sich links und rechts des schönen Stroms aufgetan hatten. Aber auf seine Frage nach einer Anstellung fand er von Mainz bis Antwerpen nur ein Achselzucken. Und es beweist seine Energie, daß er nicht reumütig umkehrte, sondern über See nach England ging, um dort sein Heil zu versuchen. Auch hier wiederholte sich zunächst, was er auf seiner Rheinfahrt erlebt hatte: Monat für Monat wurde er abgewiesen, wo er anklopfte. Endlich aber kam der Tag, an dem sein Ausharren belohnt wurde: sein guter Stern führte ihn mit John Fowler zusammen, einem der größten englischen Maschinenfabrikanten, der hauptsächlich Dampfpflüge baute.

Fowler berief Eyth in seine Fabrik. Ein Schraubstock, an dem er arbeiten sollte, und dreißig Schilling Wochenlohn: viel war es nicht, was dem jungen Ingenieur geboten wurde. Aber er griff rasch entschlossen zu und hatte es nicht zu bereuen. Bald fand er an den Dampfpflügen Gefallen und Fowler an ihm. Auf der Londoner Weltausstellung hatte er schon als Vertreter der Firma die dort arbeitenden Dampfpflüge zu leiten. Da er sich dabei ausgezeichnet bewährte, entsandte man ihn im Anschluß daran nach Ägypten. Halim Pascha, der Oheim des damaligen Vizekönigs des Pyramidenlandes, einer der größten Grundbesitzer in der ungeheuren Nilebene, wollte seine Güter besser ausnützen, als dies bei der bis dahin üblichen, altväterlichen Weise des Ackerbaues möglich war. Er bestellte bei Fowler ein paar Dampfpflüge und Eyth wurde ausersehen, sie ins Nildelta zu bringen, dort aufzustellen und aus der eingeborenen Bevölkerung die nötige Bedienungsmannschaft heranzubilden.

Es war keine Kleinigkeit, die hier gestellte Aufgabe in einem halb zivilisierten Lande zu lösen. Aber Eyth fand sich in die fremdländischen Verhältnisse so glücklich hinein und stand so wacker seinen Mann, daß Halim Pascha ihm den Antrag machte, als Oberingenieur ganz in seine Dienste zu treten. Eyth ging darauf ein und blieb vier Jahre in Ägypten.

Dann trat er wieder in die Dienste der Fowlerschen Fabrik, aber nicht, um in England hinter Zeichentisch und Schraubstock zu sitzen, sondern um das in Ägypten begonnene Wanderleben weiter fortzusetzen. Zunächst sandte man ihn in die Vereinigten Staaten von Nordamerika, um hier den Dampfpflug einzuführen. Es war bald nach der Beendigung des Sezessionskrieges und der Niederwerfung der Südstaaten, als er den Boden der Neuen Welt betrat. Wie es ihm dort erging, das hat er in »Geld und Erfahrung« ebenso anschaulich wie humorvoll geschildert. Der Kontrast zwischen Nord- und Südstaatlern, das übertriebene Selbstgefühl des Nordamerikaners, sein Drang, Geld zu »machen« um jeden Preis, kurz, das ganze, seltsam zusammengesetzte Wesen tritt uns in der Geschichte lebenswahr entgegen. Und Eyth verhehlt dabei nicht, wie er, der so stolz war, in Ägypten sich durchgesetzt zu haben, dieser amerikanischen Art zunächst ziemlich hilflos gegenübersteht, wie er erst allmählich sie begreift und festen Boden unter die Füße bekommt. Schließlich gelang es ihm auch hier, seinem Auftrag gerecht zu werden. Aber schon harrten seiner neue Aufgaben in der alten Welt. In Deutschland, Österreich, Belgien hatte er zunächst tätig zu sein. Dann ging er mit seinen Pflügen ins Innere des heiligen Rußland, das er verließ, um Fowlers Maschinen in Rumänien einzubürgern. Von Rumänien zog er nach Italien, und weiter übers Mittelmeer in die heißen Gefilde Algiers. Dann beorderte man ihn in die Türkei, die er nur verließ, um nach Westindien zu fahren. Als seine Aufgabe da erfüllt war, schickte Fowler ihn nach Peru und von dort wieder nordwärts nach Kalifornien. Wahrlich, ein buntes, wechselvolles Wanderleben. Und er lebte es nicht in gemütlichem Behagen als Vergnügungsreisender: wohin er ging, folgte ihm als treue Reisegefährtin die Arbeit.

Aber nach zwanzig Jahren solcher Tätigkeit war seine Wanderlust befriedigt. Er gab seine Stellung bei Fowler auf und kehrte nach Deutschland zurück. Freilich war er nicht der Mann dazu, sich hier ruhig auf die Bärenhaut zu legen: Erstens gründete er die große Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft, deren Leitung ihm bis 1896 oblag. Und dann ging er jetzt daran, was er erlebt und erfahren hatte, schriftstellerisch festzuhalten und andern mitzuteilen. Damit beschäftigte er sich, bis ihn am 25. August 1906 der Tod abberief.

Eyths Erzählungen dürfen also nicht als freie Erfindungen angesehen werden. Er hat in ihnen nur Bruchstücke seines eigenen, abwechslungsreichen Lebens aufgefangen und dargestellt. Er hat sich aber nicht damit begnügt, die Wirklichkeit so peinlich treu wiederzugeben, wie etwa ein Photograph es tun würde, sondern er hat jedes Stück in einheitlichen Fluß gebracht und geschickt abgerundet, wie ein Maler die darzustellende Landschaft abrundet. Und er hat seine Erlebnisse nicht rein sachlich, trocken und nüchtern heruntererzählt, sondern er hat die Erzählung mit seinem köstlichen, herzerquickenden Humor gewürzt. Er sieht all die kleinen Schwächen und Absonderlichkeiten der Menschen, mit denen er zu tun hat. Aber sie machen ihn nicht zum Griesgram und nicht zum bissigen Spötter. Er freut sich an ihnen und möchte die Menschen gar nicht ohne sie sehen. Er lacht über sie ein gesundes, herzhaftes Lachen und weiß uns dies Lachen durch seine Darstellung mitzuteilen. Seine Bücher sind voll gesunder Lebenskraft und Lebensfreude. Das macht sie dem Leser lieb und wert, und das ist der Grund, daß sie eine so große Verbreitung gefunden haben.

Hamburg.

Dr. Carl Müller-Rastatt.

1. Im Süden

»Passen Sie auf, Mister Eyth, wenn ich Ihnen die Geschichte noch nicht erzählt haben sollte: Vor drei Jahren begegnete mir im Broadway in New York ein junger Engländer, frisch und grün, wie sie die Alte Welt manchmal noch liefert. Er hatte schon drei Wochen in der Metropole der Neuen verbummelt und darüber nachgedacht, wie er es angreifen könne, sein Glück zu machen, und hatte sogar mich darüber befragt, obgleich ich damals so wenig wie jetzt danach aussah, als ob ich das Problem gelöst hätte. Ein Bürschchen aus guter Familie, dem seine Mama tausend Pfund in die Tasche gesteckt hatte, um ihm den Anfang zu erleichtern. Er strahlte vor Vergnügen, als ich ihn zum zweitenmal sah. Er hatte einen entfernten Vetter gefunden, der Amerika seit fünfundzwanzig Jahren kannte und schon ein halber Yankee geworden sein mußte, scharf und hell wie ein Eingeborener. Sie wollten sich assoziieren, ein Agenturgeschäft gründen, Zucker, Baumwolle, Tabak verkaufen – was weiß ich! Mein Engländer hatte das Geld, der entfernte Vetter die Erfahrung. Das mußte gehen! In fünf Jahren konnten sie Millionen verdient haben! – Zwei Jahre darauf begegnete ich ihm wieder, fast am gleichen Fleck; aber er war traurig. ›Nun, wie geht's mit der Agentur?‹ frage ich. – ›Mittelmäßig‹, sagt er zögernd. – ›Was!‹ rufe ich, ›Ihr Vetter mit der Erfahrung und Sie mit dem Geld – das mußte ja gehen!‹ – ›Wir haben uns gestern getrennt, mein Partner und ich‹, – erklärte er seufzend. ›Jetzt hat er das Geld und ich die Erfahrung!‹ – Passen Sie auf, Mister Eyth, daß ich mit Ihnen in kurzer Zeit nicht etwas Ähnliches erlebe. Seit dem Krieg sind wir alle zweimal so scharf geworden als vor fünf Jahren.«

»Gehört habe ich die Geschichte schon, aber nicht von Ihnen«, sagte ich lachend. »Doch bange machen gilt nicht. Ein Mensch, der in Ägypten vier Jahre lang unter Mamelucken und Eunuchen gepumpt und dampfgepflügt hat und aus dem großen Baumwollkrach vor zwei Jahren lebendig herausgekrochen kommt, ist so grün nicht mehr wie Ihr Engländer. Die Griechen und Armenier von Alexandrien sind keine schlechten Lehrmeister.«

»Mag sein«, nickte der Oberst, indem er nachdenklich an seinem zweiten Frühstücksei herumknusperte. »Ich wünsche Ihnen alles Glück zu Ihrem Glauben und Ihrer Schlauheit und wollte nur, der nächste Dampfer brächte auch mir einen Dampfpflug, der achttausend Golddollar wert wäre. Ich wollte ihn geschwind genug losgeschlagen haben, unter Kostpreis, wenn nötig.«

Wir saßen beim Frühstück an einem der grünen Tischchen im Garten des deutschen Restaurants und Biersalons von Breitling, in der Tschapatulastraße von New Orleans, Louisiana. Der Garten war eine Schöpfung nach Erinnerungen Breitlings aus seiner deutschen Heimat und bestand aus sechs Tischchen und einem alten, knorrigen, schlecht belaubten Hickorybaum, an dem als natürlicher Festschmuck zerlumpte Fetzen hängenden Mooses klunkerten. Der Baum stammte ersichtlich aus der Zeit, in der der Mississippi an dieser Stelle noch wildes Swampland anzuschwemmen pflegte, und stand jetzt trübselig zwischen vier hohen Backsteinmauern, die ihm und uns den stets willkommenen Schatten gaben. Die Luft war dumpf und schwül; doch war man sozusagen im Freien. Die Mittagsglut, welche über die große Stadt hereinzog, war morgens um acht Uhr noch nicht bis in diesen Winkel gedrungen, so daß schon seit vierzehn Tagen, seitdem ich in der Nähe wohnte, mir diese Frühstücksstunde zu den angenehmeren des Tags gehörte. Breitlings Figur, die seinem Namen, sonderlich von hinten, Ehre machte, und eine zerrissene, etwas bierbefleckte »Gartenlaube« sorgten dafür, daß man sich halb in Deutschland fühlen konnte.

Auch der Oberst, den ich hier kennen gelernt hatte, trug dazu bei. Es war ein großer, hagerer, vierzigjähriger Mann, dem man allerdings ansah, daß er einiges erlebt hatte. Schmettkow, Herr von Schmettkow erlaube ich mir ihn aus Rücksicht für seine Familie zu nennen. Er erzählte gerne von seinen leichteren Jugendstreichen, die er in die Zeit verlegte, in welcher er Rittmeister in der preußischen Garde zu Berlin gewesen sein wollte. Dies hatte wohl seine Richtigkeit; ich hatte wenigstens keinen Grund, daran zu zweifeln. Dagegen beobachtete er ein tiefes Schweigen darüber, wie es kam, daß er aufgehört hatte, es zu sein. Nach seiner eignen, etwas unzusammenhängenden Lebensskizze befand er sich plötzlich in Amerika, den üblichen Kampf ums Dasein fechtend, und zwar von der Pike auf; und von was für einer Pike! Der Ausbruch des Bürgerkriegs fand ihn bei Baltimore als Buchhalter einer Baumwollplantage, auf der Südseite der Sezessionsgrenze. Politische Grundsätze beeinflußten ihn sichtlich wenig. Er focht mit als braver Soldat und biederer Landsknecht, wo ihn der Zufall hingestellt hatte, und schied als Oberst von seinem nur noch aus vierundzwanzig Mann, meist Majoren, bestehenden Regiment, als die große Sache der Aristokratie des Südens zusammenbrach. Bei Atlanta, im letzten Gefecht, in dem sich das Regiment auszeichnete, hatte er einen Sergeanten der föderierten Armee unter Sherman samt der Kompagnie, welche dieser zufällig befehligte, beim Frühstück überrascht und gefangen genommen, oder vielleicht richtiger gesagt: er hatte Breitlings Frühstück gefangen genommen und diesen, der ihm sofort wieder entwischte, hierdurch unangenehm überrascht. Die beiden Herren konnten sich über den Hergang der Waffentat nie völlig einigen. Breitling war nach dem Friedensschluß mit andern politischen Kräften gen Süden gewandert und besaß nach kurzer amtlicher Tätigkeit als Steuereinnehmer genügende Mittel, seinen Biersalon in der Tschapatulastraße zu eröffnen. Dort überraschte ihn Oberst von Schmettkow zum zweitenmal, den ein rauhes Schicksal ebenfalls nach Louisiana verschlug. Es war hohe Zeit, denn der Oberst, einer der wenigen Deutschen, die auf der verlorenen Seite des großen Bürgerkriegs gefochten hatten, war dem Versinken nahe. Breitling hatte ein gutes, dickes Herz und zwei Töchterchen von elf und neun Jahren, die während der Kriegsjahre in ihren Elementarkenntnissen etwas zurückgeblieben waren. Das paßte vortrefflich. Der Oberst wurde Haus- und Mädchenschullehrer, hatte bereits sechs höhere Töchter und bei Breitling freie Kost gefunden. Das Dameninstitut befand sich im Tanzsalon hinter der Bierwirtschaft. Wo der Herr Professor wohnte, wußte niemand. Aber seine Schnurrbartspitzen hoben sich aufs neue, und der auf »Ä« gestimmte Ton des einstigen Offiziers vom Tempelhofer Feld klang leise und gedämpft wieder durch. Ganz war er ja auch im größten Elend nicht verschwunden, denn er war hörbar waschecht.

Ich selbst hatte vor zwei Wochen das Sankt Charleshotel verlassen und war in eine Privatwohnung in der benachbarten Tschapatulastraße übergesiedelt. Es war mir im Gasthof etwas zu unruhig geworden. Ein Senator von Alabama hatte am Hotelschenktisch nach dem Mittagsmahl im ruhigsten Gespräch sechs Schritte von mir einen Richter aus Texas niedergeschossen. Man hatte zwar den toten Richter sofort auf die benachbarte Polizeistation und den Senator, nach einem kleinen Wortwechsel mit den Umstehenden, nach seinem Zimmer gebracht. Auch ließ man dessen Tür von zwei nach und nach herbeigeholten Schutzleuten zur allgemeinen Genugtuung der ängstlicheren Hotelbewohner streng bewachen, nachdem der Senator kurz zuvor durch das Fenster abgereist war. Da ich diesen Herrn aus Alabama persönlich nicht kannte, mit ihm also auch nicht sympathisieren konnte, dagegen mit dem Richter, der gleichzeitig großer Grundbesitzer war, schon mehrere Cocktails getrunken und intime Beziehungen betreffs der Dampfkultur in Texas angeknüpft hatte, ärgerte mich dieser Zwischenfall lebhaft und veranlaßte, neben anderm, meinen Umzug nach der Tschapatulastraße. Auch fand ich, daß meine augenblickliche Beschäftigung, das Warten auf den englischen Frachtdampfer »Wild-West«, in einer Privatwohnung ebenso wirkungsvoll gefördert werden konnte als in dem in ganz Louisiana, wenn auch nicht wegen seiner Billigkeit, berühmten Sankt Charleshotel. Meinen anderweitigen leiblichen Bedürfnissen genügte das Nachbarhaus, Breitlings Restaurant und Biersalon, vollständig. Und so genoß ich nach etlichen bewegten Reisewochen in unerwarteter Weise eine kleine, wohlverdiente Ruhepause während meines ersten Aufenthalts in der Crescent City, der »Mondsichelstadt«, wie der poetische Amerikaner New Orleans zu nennen liebt, und konnte mir Land und Leute ansehen, ehe ich mit ihnen handgemein werden sollte.

Das heutige Frühstück war der letzte Takt dieser Pause. Ich hatte schon gestern abend einen Zettel von General Longstreet, dem Haupt der jungen Firma Longstreet, Owen & Co., erhalten, der mich benachrichtigte, daß der »Wilde Westen« signalisiert sei und an der Barre, der achtzig Meilen entfernten Mündung des Mississippi, nur auf die Flut warte, um heraufzukommen. Ich segnete meine Sterne und war schon in einem kleinen Arbeitsfieber, ohne etwas Greifbares tun zu können; denn es war hohe Zeit, daß ich meines Dampfpflugs habhaft wurde, wenn ausgeführt werden sollte, was ich mit Longstreet geplant hatte.

»Nur kühl!« rief mein Oberst, indem er auf die Uhr und die zwei internen Zöglinge seines Dameninstituts sah, die am Nachbartisch Lotto spielten. »Und passen Sie auf! Die Geschichte mit Ihrem Obersten in Washington – wie heißt er?«

»Olcott, Oberst Olcott, Kongreßmitglied aus Ohio«, antwortete ich mit Betonung, um meinen schwankenden Glauben zu stärken.

»Ich möchte vor allen Dingen wissen,« fragte sich Schmettkow nachdenklich, »ob er schon Pulver gerochen hat, Ihr Oberst, oder nur das riecht, das Sie mitbringen. Die Geschichte gefällt mir nur halb.«

»Aber sie kann kaum schief gehen, so wie sie jetzt eingeleitet ist«, meinte ich zuversichtlich.

»Es kann in Washington alles schief gehen, seitdem die große Sache schief gegangen ist«, versetzte der Oberst mit einiger Wärme. »Sie kennen die Yankees noch nicht. Ein Kongreßmitglied in Washington! Guter Gott! Ehe Sie sich umsehen, hat man Ihnen die Augen von Ihrem Wassersüppchen geschöpft. Vollends ein Kongreßmann, den man Ihnen in der Quäker-City angehängt hat, in der Sie am Sonntag in Gegenwart von sechshunderttausend Mitmenschen verdursten können! Lieber Herr Eyth, es mag ziemlich heiß sein in Ihrem Ägypten, aber Sie sind trotzdem grüner geblieben, als Sie es selbst ahnen. Passen Sie mal auf!«

»Hexen können Sie hier auch nicht«, meinte ich, etwas verstimmt. »Ich sehe wirklich nicht ein, wie –«

»Einsehen! Das ist gar nicht nötig. Das Einsehen kommt immer erst später. Sie werden Ihr Lehrgeld bezahlen wie jeder andre. Zum Glück haben Sie, wie es scheint, einen soliden Kassierer im Hintergrund. Lernen Sie wenigstens den benutzen! – Übrigens gebe ich zu, um Sie nicht zu ärgern, daß Sie die Sache nicht ganz ungeschickt angegriffen haben. Wenn Sie so fortfahren, werde ich Ihnen auch künftig gewogen bleiben.«

Er sagte dies im Ton gutmütiger Bevormundung, den wir bei unsern abendlichen Schachpartien unter dem Hickorybaum gegenseitig gebrauchten, um eine drohende Niederlage zu beschönigen. Die Sache aber, um die es sich handelte, war die folgende:

Ich war vor zwei Monaten mit dem Auftrag der Fowlerschen Fabrik ans Land gestiegen, unsre Dampfpflüge in Amerika einzuführen. Das war fast die einzige Weisung, die ich mitbrachte. Man steht mit einer solchen Aufgabe etwas zweifelnd am Strande eines neuen Weltteils; doch scheint der Zeitpunkt, aus der Ferne gesehen, nicht ungünstig. Die Südstaaten, die nach dem furchtbaren Krieg und nach der Befreiung der Sklaven in irgendwelcher Weise weiterleben mußten, hatten sich irgendwie den neuen Verhältnissen anzupassen. Für die Sklavenarbeit auf den Plantagen mußte ein Ersatz gefunden werden. Hier konnte die Dampfkraft eingreifen und nach der blutigen eine friedliche Revolution einleiten; wieder aufbauen helfen, was jene zerstört hatte. Ich war nicht ohne einige Begeisterung bei diesem Gedanken, wenn auch sehr seekrank, über den Atlantischen Ozean gekommen und suchte so rasch als möglich Angriffspunkte für meine Aufgabe zu finden. Leicht fand ich es nicht – nach einigen Wochen –, einen Weltteil zu erschließen; man mußte offenbar an die Arbeit im kleinen und einzelnen gehen. Doch hatte die Firma Fowler Freunde und sogar Verwandte in New York und Philadelphia, ein Haus, das »in Blei« groß geworden war und zur alten Aristokratie der Quäkerstadt gehörte. Hier fand ich wenigstens Ratschläge, auf die ich mich verlassen konnte.

Eins wurde mir sofort klar: mit einem Eingangszoll von fünfundvierzig Prozent des Maschinenwertes, der für jeden Dampfpflug viertausend Dollar in Gold, siebentausend Dollar in Papier jener Tage ausmachte, war die Einführung der Dampfkultur von England aus eine augenscheinliche Unmöglichkeit. Dieses Verhältnis mußte vor allen Dingen geändert werden. Mit einem Brief der Gebrüder Tatham, meiner Berater in Philadelphia, ging ich nach Washington und stellte mich am Schenktisch des Hotels Villard einem Herrn Oberst Olcott vor. Ich fand in ihm einen klugen, energischen Mann, der im Tone biederer Offenheit den kitzlichsten Verhandlungen den wohltuenden Schein der Ehrlichkeit zu geben wußte. »Der Zweck heiligt die Mittel« war für ihn ein über alle Zweifel erhabener Grundsatz. Es schien ihm völlig ausgeschlossen zu sein, daß in unsrer Zeit noch Menschen geboren werden könnten, die in diesem Punkt nicht völlig kapitelfest waren. Was aber die Heiligkeit des Zwecks anbelangt, so kam es eben hauptsächlich darauf an, wieviel dabei zu verdienen war.

Ein gemeinsames Frühstück, zu dem ich mir erlaubte, ihn sofort einzuladen, genügte, ihm das Wesen und die Vorzüge eines Fowlerschen Dampfpflugs zu erklären, ein Mittagsmahl, ihn von der Notwendigkeit der Einführung und Verbreitung dieses großartigen Fortschritts auf dem Gebiet der landwirtschaftlichen Technik zu überzeugen. Mit Papieren aller Art war ich wohl vorbereitet. Ein begeisterter Aufsatz, noch im Manuskript, stellte fest, daß namentlich der wirtschaftliche Wiederaufbau des Südens, dem durch die Sklavenbefreiung die Hauptquelle von Kraft und Arbeit entzogen worden war, nur durch Fowlers Dampfpflüge möglich sei, die in Ägypten in der Hand halbwilder Fellachin Wunder geschaffen hätten und in Indien – hier dichtete ich beträchtlich – die vertrockneten Riesenflächen entlang des Ganges in blühende Teegärten zu verwandeln in Begriff stünden. Ist es nicht die patriotische Pflicht einer erleuchteten Gesetzgebung, fragte ich in einem Wald von Ausrufungszeichen, die Einführung eines derartigen menschenbeglückenden Apparates mit allen zu Gebot stehenden Mitteln zu fördern? jeden Schritt freudig zu begrüßen, der den von ihren Irrtümern befreiten, aber heute daniederliegenden Bruderstaaten ihre materielle Wohlfahrt wiedergibt und sie gleichzeitig dem Fluch einer sündhaften Ausbeutung der Menschenkraft entzieht? Darf nicht erwartet werden, daß die weitsichtige Vertretung des größten Volkes unsrer Zeit mit Freuden das einzige Hindernis entfernt, das der Erreichung dieses herrlichen Zieles Schwierigkeiten bereitet, und ohne Verzug die Abschaffung oder wenigstens die zeitweise Aufhebung eines Prohibitivzolls auf Dampfpflüge beschließen wird?

»Sehr gut!« sagte Olcott, als ich ihm mein Memorandum vorgelesen hatte; »was bezahlen Sie dafür?«

Obgleich selbst nicht Amerikaner, war ich in einen patriotischen Schwung geraten, dem ich so rasch als möglich Einhalt tun mußte, um antworten zu können.

»Wofür?« fragte ich, ein wenig nach Luft schnappend, um Zeit zu gewinnen.

»Nun – für das Spezialgesetz, für die Aufhebung des Zolls auf Dampfpflüge, sagen wir auf ein Jahr.«

»Sagen wir auf fünf Jahre«, schlug ich vor, nach Fassung ringend.

»Gut! Nehmen wir an auf fünf Jahre. Wieviel?«

Ich schwieg. So nahe hatte ich mir das Ziel nicht gedacht. Das schien ja über alles Erwarten einfach zu sein. Aber die Frage kam mir doch mit gar zu betäubender Wucht über den Kopf.

Olcott sah mich verwundert an. Nach einer Pause bemerkte er:

»Ihr Dampfpflug mag vortrefflich sein. Das müssen Sie am besten wissen. Auch was Sie da