Geliebte Lehrerin - Marie Louise Fischer - E-Book

Geliebte Lehrerin E-Book

Marie Louise Fischer

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Beschreibung

Susanne ist Lehrerin. Ihr passiert, was für einen Lehrer am schlimmsten ist. Bei einem Unfall kommen zwei ihrer Schülerinnen ums Leben. Obwohl sie keine Schuld am Unfall trifft, sind von nun alle gegen sie und wenden sich von ihr ab. Nach ihrer Versetzung lernt sie Hans kennen und lieben. Erst als sie schon einige Zeit mit ihm zusammen ist, erfährt sie von ihm, dass er verheiratet ist. Wieder bricht für Susanne eine Welt zusammen. Sie glaubt nicht mehr an sich und an ihr Glück – bis sie wieder auf den Mann trifft, der sie schon immer heimlich geliebt hat.-

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Marie Louise Fischer

Geliebte Lehrerin

SAGA Egmont

Geliebte Lehrerin

Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

Copyright © 2018 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, (www.marielouisefischer.de)represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de)

Originally published 1978 by Heyne Verlag, Germany

All rights reserved

ISBN: 9788711718827

1. Ebook-Auflage, 2018

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk– a part of Egmont www.egmont.com

1

Als es unten auf der Straße zweimal hintereinander kurz hupte, rannte Susanne Schäfer zum Fenster. Sie hatte auf dieses Zeichen, das sie mit ihrem Freund, dem jungen Rechtsanwalt Dr. Oskar Wünning vereinbart hatte, schon ungeduldig gewartet.

Sie öffnete das Fenster und winkte. Vor dem Haus stand keine Laterne, und sie konnte sein Auto eher ahnen als erkennen. Aber sie wußte, daß er ihren Umriß, scharf abgegrenzt gegen den hell erleuchteten Raum im zweiten Stock, sehr deutlich sah.

Hastig schloß sie das Fenster wieder, riß den Kleiderschrank auf, warf noch einen letzten prüfenden Blick in den langen Spiegel, der an der Innenseite der einen Tür befestigt war — ja, sie konnte mit ihrem Aussehen zufrieden sein. Ihr schimmerndes blondes Haar, das sie sich am Nachmittag gewaschen und aufgedreht hatte, bauschte sich in weichen Wellen um ihr schmales Gesicht, die klaren grauen Augen unter den schwarzen getuschten Wimpern strahlten vor Erwartung.

Während der Schulstunden verzichtete Susanne Schäfer ganz bewußt auf jedes Make-up, aber jetzt hatte sie ihren vollen, ein wenig breiten Mund mit einem hellen Stift nachgezogen, damit er kleiner und noch ausdrucksvoller wirkte. Sie trug ein blaues, ganz einfach geschnittenes Kleid in Leinenstruktur — selbstgeschneidert —, das ihre schlanke, mädchenhafte Figur sehr vorteilhaft zur Geltung brachte. Sie dachte manchmal, daß die Figur das Beste an ihr wäre. Dennoch verzichtete sie während der Schulzeit auf jede Betonung ihrer Linien — es hätte sich nicht gehört. So trug sie vor der Klasse gewöhnlich Kleider, Blusen und Pullover, die ihr zwei Nummern zu groß waren.

Gerade deshalb aber machte es ihr doppelt Spaß, jetzt, nach Feierabend, in einem Kleid auszugehen, das so eng wie möglich saß und dessen Rock drei Finger breit über dem Knie endete — ein wirkliches Wagnis für eine junge Lehrerin in einer kleinen Stadt wie Bad Kreuzfeld.

Susanne Schäfer lächelte vergnügt, während sie sich vorstellte, was ihr Freund wohl für Augen machen würde, wenn er sie in dem neuen Kleid sah. Dann schlüpfte sie rasch in ihren weißen Mantel, machte die Schranktür zu, nahm Tasche und Handschuhe, lief in die Diele hinaus. Dr. Oskar Wünning liebte es nicht zu warten.

Dennoch nahm sie sich die Zeit, rasch den Kopf in die Küche zu stecken und: „Ich geh’ jetzt, Frau Schmitt … auf Wiedersehen und gute Nacht!“ zu rufen.

Ihre Wirtin sah sie über die Brille hinweg an. „Schon recht, Fräulein Schäfer. Aber bleiben Sie nicht zu lange, morgen heißt’s wieder früh heraus … und glauben Sie nicht, was die Männer erzählen, die lügen alle das Blaue vom Himmel herunter!“

Susanne lachte. „Ich werd’s mir hinter die Ohren schreiben!“

„Da tun Sie auch gut dran! Ich will nichts gegen Ihren Freund sagen, er kommt aus einer hochachtbaren Familie … aber grade deshalb! Hochnäsig sind die Wünnings alle, bilden sich ein, eine besondere Sorte Mensch zu sein, und dabei …“

Susanne Schäfer unterbrach sie hastig. „Darüber unterhalten wir uns morgen, Frau Schmitt, jetzt muß ich los. Warten Sie nicht, bis ich nach Hause komme. Es kann spät werden.“

Als sie die Treppe hinunterlief, mußte sie ein Gefühl von Beklemmung abschütteln. Sie sagte sich, daß es albern war, Frau Schmitt mit ihrem fast krankhaften Mißtrauen allen männlichen Lebewesen gegenüber auch nur eine Sekunde ernst zu nehmen. Und dennoch blieb ein Stachel in ihrer Seele zurück.

Sie liebte Oskar Wünning von ganzem Herzen, aber sie mußte sich eingestehen, daß sie keine Ahnung hatte, was er für sie empfand. Was konnte sie denn schon, die junge Volksschullehrerin ohne familiären Anhang, die Zugereiste, für ihn, den Sohn des Ratsapothekers, bedeuten? Er war so stolz auf seine Familie, in deren Besitz die Apotheke seit über hundert Jahren war und die seit dieser Zeit der Stadt immer wieder tüchtige und angesehene Ärzte, Rechtsanwälte und Apotheker geschenkt hatte.

Und sie, Susanne Schäfer, wer war sie? Tochter eines Vertreters, der sich nach dem Tod seiner Frau mehr oder weniger zu Tode getrunken hatte. Und von ihrer Mutter wußte sie so gut wie gar nichts. Sie war gestorben, als sie noch ein Kind war.

Es fiel Susanne schwer, das Lächeln auf ihre Lippen zurückzuzwingen, als sie aus dem Haus trat.

Dr. Wünning war ausgestiegen und wartete neben dem Auto. Als sie auf ihn zulief, nahm er sie kurz in die Arme, küßte sie — nett, aber durchaus formell.

Selbst hier, in der schlecht beleuchteten Seitenstraße, bestand Gefahr, daß die junge Lehrerin beobachtet wurde. Im Nachbarhaus wohnte ein Mädchen, das die Pestalozzischule besuchte, und etwas weiter weg ein Junge aus ihrer, der dritten Klasse. Es war durchaus möglich, daß sie jetzt hinter den Gardinen standen und herauszubekommen versuchten, wie sich die Lehrerin verhielt, wenn sie nicht gerade im Dienst war.

Susanne Schäfer sah ein, daß sie ihrem Freund eigentlich dankbar für seine Zurückhaltung hätte sein müssen. Er legte sich ja nur ihretwegen Zwang an. Dennoch fühlte sie sich einmal mehr durch seine allzu beherrschte Art irritiert.

Sie stieg rasch ein, er schloß die Tür hinter ihr, ging um den Wagen herum, setzte sich ans Steuer. Sie sah die Linie seines Profils im Halbdunkel, beobachtete, wie er die weichen Lippen zusammenpreßte, als er kuppelte und Gas gab.

Auch ohne ihn wirklich zu sehen, war ihr jeder Zug in seinem offenen, jungenhaften Gesicht vertraut — die braunen Augen, die mal lachend, mal grüblerisch blicken konnten, das leicht gewellte Haar, fast zu hübsch für einen Mann, die gerade Nase mit den winzigen Sommersprossen, der kleine dunkle Schnurrbart über der Oberlippe, der ihm Würde verleihen und ihn älter als seine fünfundzwanzig Jahre machen sollte, aber eher das Gegenteil bewirkte.

Gewöhnlich begannen sie beide zu reden, kaum daß sie miteinander allein waren. Aber heute sagte er nichts, und dieses Schweigen machte sie seltsam beklommen. Es hatte so vieles gegeben, was sie ihm hätte erzählen wollen, aber plötzlich war alles wie weggewischt.

„Wohin fahren wir?“ erkundigte sie sich, nur um überhaupt etwas zu sagen, und wußte doch im selben Augenblick, wie töricht diese Frage war.

Dr. Oskar Wünning wohnte bei seinen Eltern. Susanne hatte ihn schon einigemale zu Hause besucht, seine Eltern hatten sie immer herzlich aufgenommen. Aber sie waren nicht eine Minute aus dem Zimmer gegangen, solange sie da war. Wenn sie allein sein wollten, blieb ihnen nichts anderes übrig, als in die etwa fünfunddreißig Kilometer entfernte Nachbarstadt Heimholzen zu fahren. In Bad Kreuzfeld waren er als Sohn des Ratsapothekers und sie als junge Lehrerin viel zu bekannt, als daß sie sich in irgendeinem Lokal hätten unbeobachtet fühlen können.

Deshalb war sie maßlos überrascht, als er antwortete: „Wir bleiben hier.“

„In Bad Kreuzfeld?“ fragte sie verblüfft.

„Ja. Ich denke, wir essen eine Kleinigkeit in den ,Altdeutschen Stuben‘. Vorausgesetzt, daß es dir recht ist, natürlich.“

„Eigentlich“, sagte sie, „hatte ich ja gedacht, wir würden tanzen gehen. Ich habe extra ein neues Kleid angezogen. Kniefrei.“

Sie erwartete, daß er irgend etwas dazu sagen würde, aber er ging einfach darüber hinweg.

„Ich möchte in aller Ruhe mit dir reden“, sagte er.

„Es ist nur, ich möchte nicht gern unliebsam auffallen, Os“, erwiderte sie verlegen, „kniefrei in die ,Altdeutschen Stuben‘, das scheint mir doch nicht gerade das Richtige zu sein.“

Er blickte in den Rückspiegel, bog nach links ein. „Wenn du mit mir bist, kann dir keiner was, Liebling“, sagte er, „und wenn du nachts im Bikini herumlaufen würdest — an meiner Seite wird keiner es wagen, etwas dabei zu finden.“

Sie wußte, daß er recht hatte. Er war es, der ihr nach vielen Jahren der Unsicherheit zum erstenmal wieder das Gefühl gegeben hatte, geborgen zu sein. Und manchmal fragte sie sich, ob das nicht mit ein Grund war, warum sie ihn so liebte. „Ich hatte nur Angst, dich zu blamieren“, sagte sie.

Seine rechte Hand tastete sich zu ihr herüber. „Mit deinen schönen Beinen? Daß ich nicht lache!“

Sie errötete in der Dunkelheit und war froh, daß er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Sie war nahe daran, seine Hand zurückzustoßen — nicht, weil ihr die Berührung unangenehm gewesen wäre, sondern weil sie sie erregte. Aber sie wagte es nicht, aus Angst, er könnte es falsch auffassen und sich gekränkt fühlen. Als er sie dann von sich aus zurückzog, um das Steuer fester zu fassen, fühlte sie sich plötzlich enttäuscht.

Er stellte den Wagen unter den Bäumen der Kurallee ab. Es war Juni, die Hauptsaison hatte noch nicht begonnen, und so gab es noch einige Parklücken.

Als er den Zündschlüssel abzog, hatte sie den Türgriff schon in der Hand. Aber gerade noch rechtzeitig fiel ihr ein, wie sehr er es haßte, wenn sie sich so selbständig benahm, wie es für sie seit langem notwendig geworden war. So holte sie tief Atem, lehnte sich wieder zurück, suchte seinen Blick.

Auch er war im Begriff gewesen, auszusteigen. Jetzt sah er sie an, ernst, ohne ihr Lächeln zu erwidern. „Eigentlich“, sagte er, „könnte ich dich ja auch jetzt schon fragen …“

„Was?“

„Ob du …“ Seine Stimme war rauh, er mußte sich räuspern. „Willst du meine Frau werden, Susanne?“

Für Sekunden verschlug es ihr den Atem. Sie starrte ihn nur an, unfähig, ein Wort hervorzubringen.

„Willst du?“ fragte er drängend.

Sie war auf diesen Antrag nicht gefaßt gewesen. Selbst in ihren Träumen hatte sie sich eine solche Situation nicht auszumalen gewagt, aus Angst, daß ihre Hoffnung wie Seifenblasen zerplatzen könnten. So wußte sie auch nicht, was sie antworten sollte.

„Ja“, sagte sie atemlos, „ja, gern …“ Und sie hatte gleichzeitig das Gefühl, wieder einmal zu unumwunden, zu geradeheraus geantwortet zu haben.

Falls er das auch empfand, so zeigte er es doch nicht. Die innere Spannung, die sein gutgeschnittenes Gesicht fast verzerrt hatte, löste sich. „Oh, Susanne“, sagte er, „mein Gott, bin ich froh, daß ich es überstanden habe …“

Er nahm sie in die Arme, küßte sie leidenschaftlich. Selige Schwäche überkam sie, ein süßer prickelnder Schauer lief ihr den Rücken hinunter. Ein so starkes Gefühl ergriff sie, daß es ihr fast die Besinnung raubte. Als er ihren Mund endlich freigab, lehnte sie sich mit geschlossenen Augen an seine Schulter.

„Oskar“, flüsterte sie, „Os, Liebster … ich bin so glücklich!“

Er zog sie noch fester an sich. „Ich wollte es dir ja schon längst sagen, Liebling …“

„Warum hast du es dann nicht getan?“

„Na, ich dachte, es wäre besser … weißt du, es war gar nicht so leicht, es den alten Herrschaften beizubringen, du weißt ja, wie sie sind. Und … mir schien es nicht anständig, sie vor die vollendete Tatsache zu stellen.“

Susanne Schäfer richtete sich auf, öffnete die Augen. Sie fühlte sich schmerzhaft ernüchtert. „Ohne Erlaubnis deiner Eltern hättest du mich also gar nicht …“

Er ließ sie nicht aussprechen. „Unsinn. Du weißt genau, ich bin kein kleiner Junge mehr!“

Er küßte sie wieder, küßte ihre Bedenken, ihren inneren Widerstand fort. „Ich liebe dich, Susanne … ich habe solche Sehnsucht nach dir. Am liebsten würde ich dich entführen … noch heute nacht!“

„Warum tust du es dann nicht?“ flüsterte sie.

„Du weißt, daß das unmöglich ist. Du würdest es auch gar nicht wirklich wollen.“

„Bist du so sicher?“

„Du würdest doch deine Klasse nicht im Stich lassen. Und außerdem — wo sollten wir wohnen? Nein, so geht es nicht.“ Er löste sich von ihr.

Sie sah, daß seine schlanken braunen Finger zitterten, als er sich eine Zigarette anzündete. Ihr Herz klopfte bis zum Hals.

„Ich will nicht davon reden, daß ich am Beginn einer Karriere stehe …“, begann er.

„Ich weiß“, bestätigte sie sofort.

„Aber darum geht es ja gar nicht. Du, unsere Liebe, unsere Ehe sind mir wichtig, zu wichtig, als daß ich irgend etwas überstürzen möchte. Nenn mich einen Pedanten, aber für mich muß einfach alles seine Richtigkeit haben.“

Susanne Schäfer fühlte sich ein wenig beschämt. Überwältigt von einem Glück, das sie, wie es ihr schien, im Grund gar nicht verdient hatte. „Doch, ich verstehe dich, Os“, sagte sie, „und ich bin froh, daß du so bist. Ich glaube, dies … dies ist der schönste Tag in meinem Leben!“

Er küßte sie wieder, diesmal aber mit einer Zärtlichkeit, in der kein Funken Leidenschaft mehr glühte, und sie fühlte beglückt, daß ihr Herz endlich eine Heimat gefunden hatte.

Am nächsten Morgen fiel es Susanne Schäfer schwer, die Gedanken auf den vor ihr liegenden Arbeitstag zu konzentrieren. Noch als sie den breiten Gang entlang an den geöffneten Türen vorbei auf das Zimmer ihrer dritten Klasse zuschritt, hatte sie sich innerlich noch immer nicht von den Ereignissen des gestrigen Abends gelöst.

Ihre Wirtin hatte sie beobachtet, als sie, leicht beschwipst von dem Genuß des ungewohnten Champagners, sich in ihr Zimmer schleichen wollte. Frau Schmitt hatte ihre Untermieterin noch nie so erlebt, sie hatte sich zwar jede Bemerkung verkniffen, aber ihr Blick hatte Bände gesprochen.

Susanne Schäfer lächelte in sich hinein. Wie würde die gute Frau Schmitt erst staunen, wenn sie die Wahrheit wüßte!

Zu gern hätte sie ihr noch in der Nacht alles erzählt, aber sie war mit Oskar Wünning übereingekommen, die Verlobung vorerst geheimzuhalten. Zu Beginn der großen Ferien sollte, so wollte er, eine große offizielle Feier im Kreis seiner weitverzweigten Familie und sämtlicher Honoratioren von Bad Kreuzfeld stattfinden. Sie hatte es nicht sein wollen, die diese Abmachung brach.

Mit einem Ruck schüttelte sie den Kopf, als wenn sie auf diese Weise die wirbelnden Gedanken abstreifen könnte, preßte die Lippen aufeinander, ging mit geradem Rücken und festem Schritt auf das Klassenzimmer zu.

„Achtung!“ rief der Schüler Klaus, der an der geöffneten Tür stand.

Und als der Lärm der anderen, Gelächter, Geschrei, Stühlerücken, nicht sogleich verstummte, fügte er mit Nachdruck hinzu: „Das Fräulein kommt!“

Susanne Schäfer hatte unwillkürlich den Schritt verhalten, weil ihr gar nichts daran lag, gleich am frühen Morgen mit einem Donnerwetter über die Klasse herfallen zu müssen. Erst jetzt, als Ruhe eingetreten war, marschierte sie in das Zimmer.

Sie trug einen grauen Rock, ein blaues Twinset, Schuhe mit flachen Absätzen. Ihr Gesicht war ungeschminkt, und sie hatte das schimmernde blonde Haar zurückgesteckt. Sie hätte in dieser Aufmachung unauffällig, fast unscheinbar gewirkt, wenn nicht der klare Blick ihrer großen grauen Augen gewesen wäre.

Jetzt war sie vorn angekommen, legte ihre Mappe aufs Katheder, grüßte laut: „Guten Morgen, Kinder!“

Wie auf ein unausgesprochenes Kommando hin erwiderte die ganze Klasse im Chor: „Guten Morgen, Fräulein Lehrerin!“

„Setzt euch!“

Aber zu Susanne Schäfers Verblüffung machte die Klasse keine Anstalten, diesem gewohnten Befehl nachzukommen. Sie blieben stehen, zweiundvierzig Jungen und Mädchen zwischen acht und neun Jahren, schlanke und dicke, blonde und braune, blasse und rosige, und alle hatten ein verschmitztes Lächeln um die Lippen, einen triumphierenden Glanz in den Augen.

Peter, der Klassenbeste, sprang vor, fuchtelte mit dem Lineal in der Luft herum, als wenn er ein ganzes Orchester dirigieren wollte.

Auf sein Zeichen hin brüllte die Klasse los: „Wir gratulieren zur Verlobung!“

Im selben Augenblick zauberte Rosel, die rothaarige Rosel Wünning, Tochter von Dr. Oskar Wünnings Bruder, dem Apotheker, einen Blumenstrauß hinter ihrem Rücken hervor. Es war der seltsamste Strauß, den Susanne Schäfer je gesehen hatte: Garten-, Wiesen-und Waldblumen waren bunt durcheinandergemischt, die Stiele verschieden lang, kurzum, es war ein Strauß, zu dem wohl jedes der Kinder ein paar Blumen beigetragen hatte. Susanne Schäfer hatte sogar den Verdacht, daß einige der wundervollen Rosen aus dem Kurpark stiebitzt waren.

Aber ihre Freude war so groß wie ihre Überraschung. Strahlend nahm sie den Strauß entgegen, beugte sich zu Rosel herab, küßte das kleine Mädchen, das nun bald ihre Nichte werden sollte, auf die Wange.

„Na so etwas!“ sagte sie. „Das habt ihr aber schnell herausgekriegt!“ Sie wußte, leugnen war diesen neugierigen, unerbittlichen Kinderaugen gegenüber zwecklos, und jede Frage nach der Quelle dieses überraschenden Wissens beantwortete sich von selbst: Natürlich war es Rosel gewesen, die die große Neuigkeit aus einem Gespräch der Erwachsenen aufgeschnappt und sogleich unter den Klassenkameraden verbreitet hatte.

Jetzt quittierten sie alle Susanne Schäfers ehrliche Verblüffung mit einem vergnügten Gelächter.

„Da staunen Sie, was?“ rief ein kleiner Naseweis aus der letzten Reihe.

„Ja, wirklich“, sagte die junge Lehrerin, „ihr wart mehr als fix. Aber tatsächlich bin ich noch gar nicht wirklich verlobt …“

„O doch!“ rief Rosel dazwischen. „Mein Vater hat’s erzählt!“

„Dein Onkel Oskar und ich, wir wollen uns verloben“, stellte Susanne Schäfer richtig, „die Verlobungsfeier wird zu Beginn der großen Ferien sein. Deshalb ist es vielleicht ganz gut, daß ich sie schon heute mit euch feiere. Wie wäre es, wenn ich euch jetzt eine schöne Geschichte erzählte?“

Dieser Vorschlag fand begeisterte Zustimmung.

„Also, setzt euch!“ sagte Susanne Schäfer.

Sie schloß den Klassenschrank auf, nahm eine ziemlich häßliche Keramikvase, die Stiftung einer Mutter, heraus, drückte sie Rosel zum Wasserholen in die Hand. Die Kleine lief auf den Flur hinaus.

Die anderen hatten inzwischen Platz genommen. Aber wenn Susanne glaubte, die Kinder abgelenkt zu haben, dann hatte sie sich geirrt.

Petra, ein Mädchen mit dunkelbraunem, leicht gelocktem Haar, hob lebhaft den Finger.

„Ja, Petra?“ sagte die Lehrerin ermunternd.

„Wann werden Sie denn heiraten, Fräulein?“ wollte Petra wissen und errötete über ihre eigene Frage.

„Das hat noch lange Zeit“, erklärte Susanne Schäfer freundlich, „vorläufig bin ich ja noch nicht einmal richtig verlobt.“

„Aber wenn Sie erst mal verheiratet sind“, rief der lange Klaus dazwischen, „dann kommen Sie doch nicht mehr in die Schule!“

Diese Bemerkung hatte ein bedauerndes Gemurmel zur Folge.

„Nur keine Angst“, sagte Susanne Schäfer lächelnd, denn die Anhänglichkeit der Kinder tat ihr wohl, „so schnell werdet ihr mich bestimmt nicht los.“

„Erst wenn ein Baby unterwegs ist, nicht?“ rief Rosel, die gerade mit der gefüllten Vase in der Hand in das Klassenzimmer zurückgekommen war.

Die Kinder begannen auf dieses Stichwort hin sofort eifrig miteinander zu diskutieren.

„Ruhe, bitte!“ mahnte Susanne Schäfer. Sie zog es vor, auf Rosels altkluge Bemerkung nicht einzugehen. „Schönen Dank fürs Wasserholen“, sagte sie, „so, und nun stellen wir die Blumen hinein … und jetzt ab auf deinen Platz! Seid ganz still und sperrt die Ohren auf, damit ihr über die Geschichte, die ihr jetzt hören sollt, eine Nacherzählung machen könnt …“ Sie erstickte die enttäuschten Proteste mit einer Handbewegung und begann: „Es war einmal eine Grille, die den ganzen Sommer gesungen hatte …“

Und während sie weiter erzählte, glitt ihr Blick über die blanken, erwartungsvollen Gesichter ihrer Kinder, die sie alle so gut kannte und von denen keines dem anderen glich, und sie fühlte bei allem Glück ein tiefes Bedauern, diese jungen Menschen und den Beruf, den sie sich gewählt hatte, bald aufgeben zu müssen.

2

Die großen Ferien rückten näher und näher und mit ihnen der Tag der offiziellen Verlobung, sie war für den ersten Samstag nach Schulschluß festgesetzt worden.

Susanne Schäfers Freude war mit banger Erwartung gemischt. Oskar Wünnings Eltern hatten darauf bestanden, zu diesem Anlaß die ganze Familie zusammenzutrommeln. Sie würde also nicht nur die Wünnings, die sie kannte, sondern noch vor mehr als dreißig entfernteren Familienmitgliedern bestehen müssen. Dadurch wurde es ihr doppelt deutlich, daß sie selbst eine Waise und ganz allein auf sich gestellt war. Mit den wenigen sehr entfernten Verwandten, die sie besaß, hatte sie seit Jahren keinen Kontakt mehr.

„Mach dir nichts draus, Liebling“, sagte Oskar Wünning, als sie einmal versuchte, ihm ihre Unsicherheit klarzumachen, „keine Verwandtschaft ist immer noch viel besser als eine miese. Außerdem … du hast ja mich, und wenn wir erst offiziell verlobt sind, wirst du ganz zu uns gehören.“

Diese Zugehörigkeit zu einer der angesehensten Familien der kleinen Stadt bekam die junge Lehrerin schon jetzt zu spüren, denn natürlich war es kein Geheimnis geblieben, daß sie den zweiten Sohn des Ratsapothekers heiraten würde.

In den Geschäften wurde sie mit einer ganz neuen und ungewohnten Zuvorkommenheit bedient. Menschen, die sie vorher gar nicht beachtet hatten, grüßten sie jetzt auf der Straße. Die Kolleginnen verbargen einen gewissen Neid hinter honigsüßer Freundlichkeit, die Kollegen plusterten sich auf, als wenn sie sich selbst beweisen müßten, daß sie es noch jederzeit mit einem gewissen einheimischen Rechtsanwalt aufnehmen könnten.

Unverändert in ihrem Benehmen blieben nur Frau Schmitt und Rektor Kagerer.

Die Wirtin hatte sich zwar zu einer Art von Gratulation aufgerafft, aber sie konnte, obwohl doch alles gegen sie sprach, das Unken nicht lassen. Ihr abgrundtiefes Mißtrauen gegenüber den Männern war eben nicht so leicht zu erschüttern.

Rektor Kagerer, Susanne Schäfers direkter Vorgesetzter, ein ruhiger, bedachtsamer Mann, war bekannt für seinen unbeugsamen Gerechtigkeitssinn, den er auch bei dieser Gelegenheit wieder bewies. Er behandelte Susanne nicht eine Spur anders als seine anderen Junglehrerinnen, mochte sie auch so gut wie verlobt mit einem geachteten Sohn der Stadt sein. Für ihn blieb sie in erster Linie Lehrerin, und für ihn zählte nur, was sie in ihrem Beruf leistete.

Die Kinder hatten noch eine Zeitlang über die Veränderung im Leben ihres „Fräuleins“ geschwätzt, in Ecken zusammen gestanden und miteinander gekichert, aber als sich Susanne Schäfers Benehmen und Auftreten so gar nicht änderten, begann die Sensation allmählich zu verblassen und ihren Reiz zu verlieren. Wenn sie vorn am Katheder stand und in ihrer freundlichen, aber sehr bestimmten Art Unterricht erteilte, dann war es fast unmöglich, sie sich als verliebte Braut vorzustellen.

Mitte Juni wurde es sehr heiß. Es wurde schwierig, die Kinder für den Lehrstoff zu interessieren. In der Klasse war es drückend heiß, draußen lockte der Sonnenschein, und die Zeugnisse waren schon geschrieben.

In der letzten Woche vor den Ferien legte Susanne Schäfer zwei Turnstunden zusammen, so daß sie ihre Kinder am Dienstag mittag die letzten beiden Stunden ins Freibad führen konnte.

Es war in der Pestalozzischule durchaus üblich, daß die Lehrkräfte im Sommer ihre Klassen zum Schwimmen führten, und auch Susanne Schäfer fand es ganz selbstverständlich, die diesbezügliche Anordnung Rektor Kagerers zu befolgen. Sie gönnte ihren Kindern das Vergnügen von Herzen. Dennoch war sie immer froh, wenn sie alle wieder heil und sicher zur Schule zurückgebracht hatte.

An diesem Dienstag wimmelte es im Freibad von kleineren Kindern, die mit ihren Müttern oder auch in Gruppen gekommen waren. Der Lärm und das Geplansche waren unbeschreiblich. Es war sehr schwül, und obwohl sich am blauen Himmel keine Wolke zeigte, war das heraufziehende Gewitter deutlich zu spüren.

Susanne Schäfer war ein wenig nervös, aber sie zeigte es nicht. Sie wußte, daß es ihrer ganzen Autorität bedurfte, um die Kinder im Zaum zu halten.

Mit Mühe hielt sie ihre Schar davon ab, sich, kaum daß sie umgezogen waren, kopfüber ins Wasser zu stürzen. Sie achtete streng darauf, daß jeder einzelne erst die Handgelenke und die Herzgegend abkühlte, bevor er ins Wasser ging, sie machte es sogar vor. In ihrem einfachen leuchtend blauen Badeanzug und der weißen Kappe wirkte sie selbst wie ein ganz junges Mädchen.

Nur drei Schüler konnten wirklich schwimmen. Ein vierter, der schwarzlockige kleine Franz, hielt sich mit einer Art Hundepaddelei ganz wacker über Wasser. Aber ein Freischwimmerzeugnis hatte niemand. Deshalb hielt Susanne Schäfer ihre Schar unerbittlich im Nichtschwimmerbecken zusammen, was allerdings gar nicht so einfach war. Immer und immer wieder, bis sie es schon selbst nicht mehr hören konnte, mußte sie rufen: „Hierher! Franz, Jochen, Petra … hiergeblieben! Nein, keiner darf ins große Becken! Wenn ihr nicht folgt, müßt ihr raus … ich ermahne euch nicht noch einmal!“

Während der größte Teil der Kinder vergnügt herumplanschte, im niedrigen Wasser harmlose Schwimm- und Tauchversuche unternahm, turnten diejenigen, die sich mehr zutrauten und sich über die anderen erhaben fühlten, in der Nähe der Absperrung herum und schmollten.

Es war wirklich nicht einfach, hier die Aufsicht zu führen, denn es genügte ja nicht, daß Susanne Schäfer aufpaßte. Die Kinder erwarteten auch, daß sie sich mit ihnen beschäftigte, Spiele und Übungen anregte und selber vormachte. Susanne Schäfer atmete auf, als es endlich soweit war, daß sie die Kinder aus dem Wasser treiben durfte.

Prompt kamen die üblichen Betteleien. „Schon?“ — „Ach, Fräulein, wir sind doch gerade erst gekommen!“

„Noch ein bißchen … bitte, bitte!“

Und ein Witzbold rief: „Die Uhr geht vor!“

Sie planschten, spritzten, entwischten, und Susanne Schäfer mußte jeden einzeln einfangen und an Land bringen. Es entwickelte sich ein Spiel mit richtigen Regeln daraus — wer einmal gefangen war, durfte nicht mehr ins Wasser zurück, die Kinder wachten streng darüber.

Endlich konnte auch die junge Lehrerin, Rosel an der Hand, die sie zuletzt erwischt hatte, die kleine Treppe hinaufklettern. Sie hob ihr Handtuch auf, begann sich abzutrocknen.

„Los Kinder, schnell abzählen, und dann in die Kabinen!“ rief sie.

Die Zahlen flogen von Mund zu Mund: „Eins …. zwei … drei … fünf … neun …“

Susanne Schäfer zählte mit. Klaus fehlte, er war schon mit seinen Eltern in die Ferien gefahren, ein anderer Junge hatte nicht mit schwimmen gehen dürfen, weil er überempfindliche Ohren hatte, ein Mädchen war wegen Krankheit entschuldigt — also mußten es insgesamt neununddreißig Schülerinnen und Schüler sein.

Aber die Kinder kamen nur bis siebenunddreißig.

Noch regte Susanne Schäfer sich nicht auf. Vielleicht waren zwei der Kinder schon zu den Kabinen gelaufen oder hielten sich aus Spaß versteckt.

Aber da rief Petra: „Fräulein, Fräulein …. der Franz und der Jochen, die schwimmen im großen Becken!“

Die Augen der jungen Lehrerin folgten dem ausgestreckten Zeigefinger, und tatsächlich — sie entdeckte die Köpfe der beiden Jungen mitten im tiefen Wasser. Sie lief zum Rand, wollte sie zurückrufen. Doch sie kam nicht mehr dazu, denn da geschah es: Jochen sackte ab, und Franz, der sich mit seiner Hundepaddelei mit Müh und Not selber oben hielt, konnte ihm natürlich nicht helfen. Er schrie, bekam Wasser in den Mund, schluckte, prustete.

Mit einer einzigen Bewegung warf Susanne Schäfer das Frottiertuch ab, tauchte mit einem Hechtsprung ins Wasser, war mit wenigen kräftigen Stößen bei den beiden Jungen, packte sie, einen mit der linken, den anderen mit der rechten Hand und brachte sie, nur mit den Beinen schwimmend, an den Beckenrand zurück.

Es war nichts Ernsthaftes geschehen. Jochen war grün im Gesicht, mußte spucken und schließlich erbrechen. Danach fühlte er sich besser. Franz kam sich mächtig tüchtig vor und prahlte mit seiner Heldentat, bis die Lehrerin mit einer Strafarbeit, die sie den beiden Jungen auftrug, auch seinen Übermut dämpfte. Titel der Niederschrift: „Warum ich nicht ins tiefe Wasser hinausschwimmen darf, wenn ich nicht richtig schwimmen kann.“

Nein, es war nichts Ernsthaftes passiert, aber es war spät geworden, und bis sie endlich alle angezogen waren, wurde es noch später. Als die Uhr eins schlug, erschrak Susanne Schäfer. Die Kinder hätten jetzt eigentlich schon auf dem Weg nach Hause sein sollen, und doch mußten sie erst noch in die Schule zurück, um ihre Sachen zu holen.

Sie entschloß sich, nicht den Umweg durch den Park zu machen, sondern den kürzeren Weg zu nehmen, auf dem einige Straßen überquert werden mußten. Die Kinder waren hungrig geworden und hatten es jetzt eilig. Sie stellten sich brav in Zweierreihen auf und marschierten los. Alles klappte vorzüglich.

Die letzte Straße, die sie überqueren mußten, war sehr breit und in der Mitte durch eine langgestreckte schmale Insel aufgeteilt.

Vor dem Fußgängerüberweg versammelte Susanne Schäfer ihre Kinder um sich. „Alles herhören!“ rief sie. „Sobald ich euch ein Zeichen gebe, geht ihr hinüber bis zur Insel, und dort wartet ihr auf mich! Habt ihr mich verstanden?“

„Ja!“ erscholl es im Chor.

Susanne Schäfer betrat den Fußgängerüberweg, nahm mit ausgebreiteten Armen in der Mitte zwischen Insel und Gehsteig Aufstellung, winkte den Kindern zu, die jetzt paarweise hinübereilten. Der von rechts kommende Verkehr stoppte.

Sie wartete, bis auch das letzte Kind die Insel erreicht hatte, um dann erst zu folgen — da sah sie, wie eine Gruppe von Mädchen, unter ihnen auch Rosel und Petra, Hand in Hand dem jenseitigen Gehsteig zustrebte. Sie wollte rufen, unterließ es dann aber doch, um nicht noch größere Verwirrung zu stiften. Sie war verärgert über die Unfolgsamkeit der Schülerinnen, aber durchaus nicht besorgt; schließlich befanden sie sich ganz ordnungsgemäß auf dem Zebrastreifen und waren nicht zu übersehen, Rosels roter Schopf leuchtete in der Sonne.

Mit wenigen Schritten hatte die Lehrerin die Insel erreicht, auf der der größte Teil der Klasse wartete, die Autos hinter ihr begannen zu rollen. Rosel, Petra und ihre Kameradinnen waren fast beim jenseitigen Gehsteig angekommen. Da brauste ein Lastwagen mit überhöhter Geschwindigkeit heran und raste mitten in die Mädchengruppe hinein.

Ein Schrei gellte auf, ein wahnsinniger, entsetzter Schrei — Susanne Schäfer wurde es nicht bewußt, daß sie es war, die so schrie.

Die Bremsen quietschten, der Lastwagen fuhr halb über den Gehsteig und kam etwa fünfzig Meter hinter dem Fußgängerüberweg zum Stehen.

Auf der Fahrbahn lagen, blutig und verrenkt, die Körper von fünf kleinen Mädchen, die eben noch gesunde, lebendige und lebensfrohe junge Menschenkinder gewesen waren.

Autos, Motorräder, Fahrräder stoppten. Menschen stürzten auf die schwerverletzten Mädchen zu.

Noch in der Besinnungslosigkeit des ersten Entsetzens tat Susanne Schäfer das Vernünftigste: Sie führte den Rest ihrer Klasse durch die herandrängenden Menschen auf den jenseitigen Bürgersteig.

Aber ihre Stimme war kaum mehr als ein Krächzen, als sie befahl: „Lauft zur Schule, holt eure Sachen und dann nach Hause! Beeilt euch und seid vorsichtig. Eure Eltern erwarten euch schon!“

Sie wandte sich ab, taumelte zur Fahrbahn zurück.

Die Neugierigen wichen zur Seite, machten ihr eine Gasse. Sie merkte es nicht. Sie taumelte weiter, fiel neben einem der verletzten Kinder in die Knie.

Es war Rosel Wünning. Ihr rechter Arm stand seltsam verrenkt von ihr ab, um ihren Hinterkopf mit dem leuchtend roten Haar hatte sich eine Blutlache gebildet, ihr zartes Gesichtchen war schneeweiß. Die hellen kleinen Sommersprossen wirkten jetzt wie dunkle Tupfen.

Susanne Schäfer versuchte instinktiv, ohne es zu wissen, was sie tat, den Puls des Kindes zu spüren. Aber sie empfand nichts als die unendlich gähnende Leere in ihrem eigenen Herzen, einen saugenden Abgrund, der sie zu verschlingen drohte.

Nicht einmal das grelle Signal des Martinshorns drang in ihr Bewußtsein.

Sie spürte kaum die hilfreichen Hände, die sie hochrissen. Ihre Beine waren seltsam taub, gefühllos, wie gelähmt.

Männer in weißen Kitteln, Tragen zwischen sich, liefen hin und her, schafften die schwerverletzten Kinder fort. Dunkle Flecken von Blut blieben auf dem Pflaster.

Ein Mann in Polizeiuniform stand vor Susanne Schäfer, ein geöffnetes Notizbuch in der Hand. Er hatte ein braunes, ausdrucksloses Gesicht. Sie verstand, was er sie fragte.

„Sie sind also die Lehrerin? Nun erzählen sie mal … wie konnte das denn passieren? Wo haben sie gestanden … und die Kinder?“

Sie verstand jedes Wort, und sie glaubte sogar, ihm zu antworten. Sie öffnete die Lippen, quälte sich, alles zu erklären, und begriff nicht, daß sie nichts als ein tonloses Würgen herausbrachte.

„Ihren Namen … sagen Sie mir Ihren Namen“, drängte der Polizeibeamte, „den werden Sie doch wissen!“

Im selben Augenblick erschien ein Mann im weißen Kittel neben dem Polizisten, ein Mann mit klugen, durchdringenden Augen in einem kantigen Gesicht, das beinahe häßlich hätte wirken können, wenn es nicht so viel Güte ausgestrahlt hätte.

„Das hat keinen Zweck, Herr Wachtmeister“, sagte er, „merken Sie denn nicht, daß die junge Dame beim besten Willen nicht aussagen kann?“

„Aber … sie ist doch völlig unverletzt!“

„Körperlich vielleicht, aber seelisch hat sie was abgekriegt. Nervenschock.“

Susanne Schäfer sah die Spritze in der Hand des Arztes, sah sie übermächtig auf sich zukommen — der weiße Kittel, das kantige Gesicht des Polizisten, die Häuser, der eben noch blaue Himmel, alles färbte sich in einem blutigen Rot, das sich rasch verdunkelte, bis tiefe, nachtschwarze Dunkelheit sie gnädig umfing.

3

Als Susanne Schäfer erwachte, lag sie in einem schmalen Krankenzimmer. Sie sah den Nachttisch, den Schrank, das Waschbecken, sah das Kreuz über der Tür und begriff nicht, wo sie war, noch wie sie hierhergekommen war.

Unsicher bewegte sie ihre Glieder unter der weiß bezogenen Decke. Ihr Kopf schmerzte, als wenn er von einem eisernen Ring zusammengepreßt würde. Sie hob die Hand, tastete an die Stirn — sie war nicht fieberheiß, wie sie erwartet hatte, sondern kühl, von leichtem Schweiß bedeckt.

Nein, sie war nicht krank. Aber dann — ein Unfall?

So jäh, daß es sie zurückwarf, war die Erinnerung wieder da: der Zehrastreifen, die Kinder, die zum jenseitigen Bürgersteig hinüberliefen, der Lastwagen, das Quietschen der Bremsen, die verrenkten, beschmutzten, blutenden kleinen Gestalten auf der Fahrbahn.

„Nein“, stöhnte Susanne Schäfer, „nein!“ Sie schlug die Hände vor die Augen, als ob sie so das Bild, das sich tief in ihrem Inneren eingeprägt hatte, auslöschen könnte.

Es wäre eine Erlösung gewesen, weinen zu können, aber ihre Augen blieben trocken, und das Schluchzen, das sie schüttelte, brachte ihrem Leid keine Linderung.

„Nein, oh, nein!“ stammelte sie immer wieder, warf sich zur Seite und barg ihr Gesicht in den Kissen.

Auch als sie hörte, daß die Tür aufging, leichte rasche Schritte sich näherten, brachte sie nicht die Kraft auf, sich umzudrehen.

Sie spürte warme, kräftige Hände auf ihren Schultern, hörte eine männliche Stimme, die ihr vertraut war, obwohl sie nicht wußte, woher sie sie kannte.

„Schauen Sie mich doch an, Fräulein Schäfer, bitte! Ich bin sehr froh, daß Sie aufgewacht sind … fühlen Sie sich besser?“

Sie zwang sich, die Augen zu öffnen, sah das nicht schöne, aber ungemein sympathische Gesicht des jungen Arztes vor sich.

„Ich bin Dr. Herzog, Wendelin Herzog“, sagte er.

„Meine Kinder“, brachte sie mühsam hervor, „was ist mit meinen Kindern?“

Er wich dieser Frage aus. „Daran sollen Sie gar nicht denken!“

„Aber ich muß, Herr Doktor … ich muß es wissen! Rosel, Petra, Clärchen … was ist mit ihnen?“

Und als der Arzt schwieg, schrie sie auf: „Sind sie tot?!“

Dr. Herzog setzte sich auf den Rand des Bettes. „Gott hat sie zu sich genommen“, sagte er, „er wird wissen, warum er es getan hat. Es war nicht Ihre Schuld, Fräulein Schäfer.“

„Alle?“ fragte sie benommen. „Alle?“

„Zwei sind nur verletzt. Wir haben sie zusammenflicken können.“

„Die Eltern …“ Susanne Schäfer richtete sich auf. „Man muß die Eltern benachrichtigen …“

Dr. Herzog legte sanft seine Hand auf ihre Schulter. „Das ist längst geschehen.“ Er drückte sie in die Kissen zurück. „Es ist Besuch für Sie da. Wenn Sie ihn sprechen möchten …“

„Oskar? Oskar Wünning?“

„Ja.“ Dr. Herzog stand auf, gab der Schwester, die sich bisher unbemerkt im Hintergrund gehalten hat, einen Wink, die Tür zu öffnen.

Ihr Verlobter trat ein.

Unwillkürlich streckte Susanne Schäfer beide Arme nach ihm aus, wie eine Ertrinkende, die auf Rettung hofft. Aber um seinen Mund lag ein fremder Zug, den sie noch nie an ihm gesehen hatte.

Susanne Schäfers Arme sanken, ohne daß es ihr bewußt wurde, kraftlos herab. In ihrem schneeweißen, blutleeren Gesicht wirkten die grauen Augen übergroß und sehr dunkel.

„Guten Tag, Susanne!“ Die Stimme Oskar Wünnings klang heiser, er räusperte sich. „Na, wie fühlst du dich?“

Sie sah ihn nur an, ihre Lippen bewegten sich, aber sie war außerstande, auf diese unangebrachte Frage zu antworten.

Der junge Arzt mischte sich ein. „Fräulein Schäfer hat einen schweren Schock erlitten“, erklärt er.

Oskar Wünning fuhr herum. „Das haben wir wohl alle!“

„Einen Schock im medizinischen Sinn“, erklärte Dr. Herzog sehr beherrscht, „ich kann Ihnen nur wenige Minuten geben, Dr. Wünning, und, bitte, regen Sie die Patientin nicht auf.“

Von einer Sekunde zur anderen war eine feindselige Spannung zwischen den beiden Männern entstanden, für die sie selbst keine Erklärung hätten geben können.

„Darf ich Sie bitten, mich mit Fräulein Schäfer allein zu lassen?“ fragte der junge Rechtsanwalt eisig.

Dr. Herzog zögerte einige Augenblicke. „Wie Sie wünschen“, sagte er dann, verbeugte sich knapp, wandte sich ab. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloß.

Susanne Schäfer atmete tief durch. „Oskar …“, sagte sie, erleichtert, daß ihre Stimme ihr wieder gehorchte, wenn sie auch immer noch zittrig klang.

Oskar Wünning sah sich um, zog einen Stuhl heran, setzte sich. „So ein alberner Wichtigtuer!“

Susanne sah ihn an, zärtlich verfolgten ihre Augen jede Linie seines hübschen, ein wenig zu hübschen, jungenhaften Gesichtes. „Ich bin so froh, daß du gekommen bist, Oskar.“

„Das war doch selbstverständlich“, sagte er. Seine Finger bewegten sich ruhelos, tasteten die Knöpfe seiner Jacke ab, fuhren über die Taschen.

Jetzt, dachte Susanne, jetzt wird er die Verlobungsringe herausziehen. Denn, so war es abgemacht, er hatte sie gerade an diesem Morgen besorgen sollen.

Aber Oskar Wünning tat nichts dergleichen. „Eine schreckliche Geschichte“, sagte er, ohne Susanne anzusehen, „mein Bruder und meine Schwägerin sind ganz außer sich …“

Eigentlich hatte sie etwas anderes von ihrem Verlobten erwartet. Trost, Ermutigung, Zuspruch. Aber sie zeigte ihre Enttäuschung nicht. „Ja, es ist entsetzlich“, sagte sie.

Oskar Wünning sah immer noch an ihr vorbei. „Wie konnte das bloß passieren?“

In Susanne Schäfers weißes Gesicht stieg eine jähe rote Welle. „Es war nicht meine Schuld, du mußt es mir glauben, ich …“

Er schnitt ihr mit einer Handbewegung das Wort ab. „Ich weiß, Susanne. Ich wollte dir keinen Vorwurf machen.“

„Es war ein Verhängnis, Oskar.“

„Ja“, sagte er, „man hat den Fahrer gestellt. Fünfzig Meter hinter der Unfallstelle. Der Kerl muß betrunken gewesen sein.“

„Wenn ich die Kinder bloß durch den Park zurückgeführt hätte!“ rief sie mit erstickter Stimme. „Wir hatten uns im Freibad verspätet, trotzdem … ich werde mir das niemals verzeihen.“

Wieder fand er kein gutes Wort für sie. „Daß es ausgerechnet Rosel erwischen mußte …“, sagte er nur. Er klemmte die Unterlippe zwischen Daumen und Zeigefinger, zerrte daran.

„Sie war immer so lebhaft“, sagte Susanne.

Er ließ die Hand sinken, setzte sich kerzengerade auf, starrte sie an — es war das erstemal, daß er ihr gerade in die Augen sah, seit er das Krankenzimmer betreten hatte. „Du willst doch wohl nicht etwa meiner Nichte die Schuld an dem Unglücksfall geben?“

„Aber nein, Oskar“, sagte sie erschrocken, „natürlich nicht, nur …“ sie stockte, wagte nicht, weiterzusprechen.

„Na, dafür bin ich dir immerhin noch dankbar“, sagte er mit einem Sarkasmus, der an ihm völlig ungewohnt war, „ich dachte schon …“

„Nein, nein! Die Kinder befanden sich ja auf dem Zebrastreifen, hatten den Gehsteig schon fast erreicht! Wer konnte ahnen, daß …“

„Du, als Lehrerin“, sagte er, sehr langsam, jede Silbe betonend, „hättest eine solche Möglichkeit zumindest in Betracht ziehen müssen!“

Susanne Schäfer zuckte zusammen, als wenn sie einen Schlag bekommen hätte, starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an, die fast schwarz vor Erregung waren.

„Verzeih“, sagte er sofort, „verzeih, Liebling! Ich bin so durcheinander. Diese Aufregung … und diese Szene zu Hause, du kannst dir das nicht vorstellen! Ich weiß schon nicht mehr, was ich rede.“

Sie glaubte ihm, weil sie ihm glauben wollte. „Ja, Oskar, ja … ich verstehe dich! Es ist … es ist alles so ungeheuerlich, daß man … man weiß einfach nicht, wie man sich dazu stellen soll.“

„Wir alle brauchen Zeit, um damit fertig zu werden.“

„Wann ist die Beerdigung?“

„Übermorgen“, sagte er.

„Bis dahin werde ich wieder auf sein.“

Er legte die Stirn in Falten. „Du hast doch nicht etwa vor, zur Beerdigung zu kommen?“

Sie sah ihn erstaunt an. „Warum denn nicht? Schließlich bin ich die Lehrerin …“

„Ja, schon“ gab er widerwillig zu.

„… und beinahe wäre ich Rosels Tante geworden!“

„Gerade deshalb solltest du nicht …“ Er brach ab. „Mein Gott, Susanne, warum machst du es mir denn so schwer! Versuch doch zu begreifen!“

„Was?“

„Man würde in deinem Erscheinen eine Taktlosigkeit … sehen.“

Ihre schmalen Hände verkrampften sich in das weiße Laken. „Das verstehe ich nicht“, sagte sie mühsam.

„Sag lieber, du willst es nicht verstehen.“

„Nein, wirklich …“

„Deine Anwesenheit, Susanne, würde in allen … jedenfalls in den Eltern und den Familienmitgliedern der verunglückten Kinder … die schreckliche Wunde neu aufreißen!“

Sie begriff immer noch nicht — alles in ihr sträubte sich dagegen zu begreifen. „Aber“, sagte sie mit zuckenden Lippen, „an meinen Anblick werden sie sich wohl oder übel wieder gewohnen müssen! Niemand kann von mir erwarten, daß ich mich in Luft auflöse oder in den Erdboden versinke!“

„Das sollst du ja auch nicht. Nur … du mußt den Leuten Zeit lassen.“ Er begleitete diese Erklärung mit fahrigen Handbewegungen. „Die großen Ferien beginnen in wenigen Tagen. Bis dahin kannst du dich krankmelden. Und dann … na, dann verreist du einfach irgendwohin. Bis zu Beginn des neuen Schuljahres ist ja vielleicht schon wieder Gras über die ganze Sache gewachsen.“

„Du willst mich los sein“, sagte sie tonlos.

Er verzog das Gesicht. „Unsinn! Ich versuche nur, dir zu helfen.“

„Indem du mich fortschickst!?“

„Es ist doch nur zu deinem Besten, Liebling.“

Noch nie hatte ihr das Kosewort „Liebling“ so verlogen geklungen wie in diesem Augenblick.

„Mach mir doch nichts vor“, sagte sie hart, „ich bin dir gleichgültig.“

„Susanne!“

„Sonst wäre es nicht möglich, daß du unsere Verlobung einfach unter den Tisch fallenlassen könntest!“

Er stand auf. „Du bringst es also tatsächlich fertig, in dieser Situation noch an eine Verlobungsfeier zu denken!“

„Ich will keine Feier“, sagte sie wild, „ich habe sie nie gewollt, und das weißt du ganz genau! Ich möchte nur wissen, ob das wahr war, was du mir gesagt hast … ob du mich liebst! Aber nein, es kann nicht wahr sein, denn sonst würdest du jetzt ja bedingungslos zu mir halten, gerade jetzt, und nicht versuchen, mich abzuschieben!“

„Solang du dich in diesem Zustand befindest“, erklärte er steif, „hat es wohl keinen Zweck, mich länger mit dir zu unterhalten!“ Er versuchte, seinen Zügen Würde und Überlegenheit zu geben, aber er konnte das unruhige Flackern seiner Augen nicht unter Kontrolle bringen.

„Oskar!“ rief sie.

„Bis bald, Susanne!“ Er näherte sich der Tür.

Bis zur letzten Sekunde hatte sie sich an die Illusion geklammert, daß alles ein Irrtum sein müßte. Sie hatte gehofft, so heiß gehofft, daß er sie in die Arme nehmen, ihre Zweifel ersticken, sie seiner Liebe versichern würde.

„Nein!“ schrie sie außer sich. „Geh nicht!“ Sie warf die Bettdecke ab, lief ihm nach — in einem knöchellangen gestreiften Krankenhausnachthemd, dessen Ärmel ihr über die Handgelenke rutschten.

Oskar Wünning hatte die Klinke schon in der Hand, jetzt aber blieb er unwillkürlich stehen, wandte sich zu ihr um.

Aber sie erreichte ihn nicht. Schon nach zwei Schritten taumelte sie, drehte sich um die eigene Achse und sank lautlos in sich zusammen.

Er wollte hinspringen, aber er reagierte zu langsam. Sie schlug auf dem Boden auf, ehe er sie erreichte.

„Susanne“, stammelte er entsetzt, „Liebling, Susanne …“

Er wurde beiseite gestoßen. Dr. Herzog hatte das Zimmer betreten, überschaute mit einem einzigen Blick die Situation, beugte sich über das ohnmächtige Mädchen. „Da haben Sie ja was Schönes angerichtet“, sagte er grimmig.

„Ich wußte ja nicht … ich wollte nicht …“

Dr. Herzog beugte sich über Susanne, hob sie mit beiden Armen hoch, trug sie zum Bett, ließ sie sanft nieder. Dann wandte er sich zum Nachttisch, klingelte nach einer Schwester. Sein Blick fiel auf Dr. Wünning.

„Was machen Sie denn noch hier?“ fragte er schroff. „Nein, erklären Sie mir nichts. Es ist besser, Sie verschwinden jetzt, bevor Sie noch mehr Unheil anrichten.“

Und Dr. Wünning ging. Er ging mit gesenktem Kopf und zusammengebissenen Zähnen. Es ist überstanden, wiederholte er sich immer wieder, ich habe es geschafft.

Aber die Erleichterung, die er erwartet hatte, wollte sich nicht einstellen.

4

Die Beerdigung der Unfallopfer fand in Abwesenheit ihrer Lehrerin Susanne Schäfer statt. Das fiel umso mehr auf, als außer ihr sämtliche Lehrkräfte der Pestalozzischule auf dem alten Friedhof erschienen waren. Die Schüler und Schülerinnen der fünften bis achten Klasse sangen einen Choral, zweistimmig, und Rektor Kagerer ergriff nach dem geistlichen Herrn das Wort.