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Frau von Saalbach betreibt kein Allerweltsgeschäft, sie ist Inhaberin einer Heiratsvermittlung von Rang. Was sie anbietet, ist etwas ganz Besonderes: Liebe und eheliches Glück. Im Sommer eignet sich zu diesem Zweck ganz besonders das Grandhotel Güldner am schönen Wörthersee. Das elegante Hotel am See gibt einen großartigen Rahmen dafür ab, dass sich die einsamen Herzen in einem gepflegten gesellschaftlichen Rahmen kennenlernen können. Von ihrem Apartment im ersten Stock des Hotels lenkt sie die Geschicke der Menschen, aber auch die ihrer Mitarbeiter. Ihr bestes Pferd im Stall ist dabei Peter, Charmeur und Herzensbrecher. Zu den Gästen, die nicht der Erholung wegen im Hotel sind, gehört die Harfners, die hier ihre Tochter Lilo unter die Haube bringen wollen. Als der Sommer zu Ende geht, hat sich im Leben vieler Menschen Entscheidendes geändert. Auch bei der Baronin selbst ...Marie Louise Fischer wurde 1922 in Düsseldorf geboren. Nach ihrem Studium arbeitete sie als Lektorin bei der Prag-Film. Da sie die Goldene Stadt nicht rechtzeitig verlassen konnte, wurde sie 1945 interniert und musste über eineinhalb Jahre Zwangsarbeit leisten. Mit dem Kriminalroman "Zerfetzte Segel" hatte sie 1951 ihren ersten großen Erfolg. Von da an entwickelte sich Marie Louise Fischer zu einer überaus erfolgreichen Unterhaltungs- und Jugendschriftstellerin. Ihre über 100 Romane und Krimis und ihre mehr als 50 Kinder- und Jugendbücher wurden in 23 Sprachen übersetzt und erreichten allein in Deutschland eine Gesamtauflage von über 70 Millionen Exemplaren. 82-jährig verstarb die beliebte Schriftstellerin am 2. April 2005 in Prien am Chiemsee.-
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Seitenzahl: 271
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Marie Louise Fischer
Roman
SAGA Egmont
Geliebter Heiratsschwindler
Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof A/S
Copyright © 2017 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, (www.marielouisefischer.de)
represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de)
Originally published 1980 by Herrnberger Verlag, Germany
All rights reserved
ISBN: 9788711718834
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt og Ringhof und Autors nicht gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com
Der Wörthersee bot ein Bild sommerlicher Lebensfreude; Rennboote durchschnitten die klaren, azurblauen Fluten, Mädchen in leuchtend bunten Bikinis und braungebrannte junge Männer sausten in ihrem Schlepp über die spiegelglatte Oberfläche des Wassers, strahlend weiße Segel trieben vor dem Wind, und über allem ein Himmel, noch blauer als der See, eine Sonne, die so golden strahlte, daß die wenigen bauschig-weißen Wolken es eilig hatten, davonzukommen.
Von der Rückfront des ›Grandhotel Güldner‹ hatte man einen wunderbaren Ausblick über dieses ferienfrohe Panorama. Aber Frau von Saalbach, geborene Schultze, die im Schatten einer erdbeerroten Markise auf dem Balkon ihres Apartments saß, hob nicht ein einziges Mal die Augen. Ihr ganzes Interesse war auf die Posteingänge des heutigen Tages gerichtet, die sie aufmerksam studierte, sortierte, registrierte und zu deren Beantwortung sie sich Notizen auf einen ledergebundenen Schreibblock machte.
Auch als ihre Sekretärin auf den Balkon hinaustrat, wandte sie sich nicht einmal um. »Was gibt’s?« fragte sie nur kurz angebunden.
»Peter Loose ist da, Frau Baronin!«
»Na, endlich!« Mit einer Behendigkeit, die man der kleinen, ein wenig fülligen Frau kaum zugetraut hätte, erhob sie sich aus dem bequemen Korbsessel und wandte sich zur Tür. »Bringen Sie die Briefschaften hinein und legen Sie sie mir auf den Schreibtisch!«
»Jawohl, Frau Baronin!« Hertha Münster verzog keine Miene. Sie war an die etwas geschraubte Ausdrucksweise ihrer Arbeitgeberin längst gewöhnt, ganz davon abgesehen, daß ihr Sinn für Humor von Natur aus äußerst dürftig war.
Sie schob Briefe, Umschläge und Notizen in die Vorlegemappe und folgte Frau von Saalbach in den eleganten kleinen Salon, der jetzt, nach der sommerlichen Helle draußen, dämmrig erschien.
»Schließen Sie die Balkontür, bitte… nein, anlehnen genügt nicht, fest schließen!« befahl Frau von Saalbach. »Und dann lassen Sie den Herrn Doktor herein. Ich habe mit ihm zu sprechen. In den nächsten zehn Minuten möchte ich nicht gestört werden.«
Hertha Münster legte die Mappe mit den Schriftsachen auf den zierlichen Chippendale-Schreibtisch, dann huschte sie aus dem Zimmer – ein unauffälliges ältliches Mädchen in grauem Kostüm mit hochgeschlossener Bluse, mausgrauen, kurzgeschnittenen Haaren.
Frau von Saalbach setzte sich hinter den Schreibtisch, schlug mit der beringten Rechten einen ungeduldigen Trommelwirbel auf die matt polierte Platte.
In dieser Haltung traf sie Peter Loose, der wenige Sekunden später, ein halb verlegenes, halb freches Grinsen auf dem männlichen Gesicht, in den Salon trat.
Er legte salutierend die Hand an seine weiße Schirmmütze. »Melde mich gehorsamst zum Befehlsempfang, Baronin!«
Er machte – in weißer Leinenhose, blauem Blazer mit dezentem Wappen – eine ausgezeichnete Figur, und Frau von Saalbach betrachtete ihn nicht ohne Wohlgefallen. Dennoch sagte sie streng: »Ich wäre Ihnen dankbar, Herr Doktor, wenn Sie sich um mehr Seriosität bemühen wollten.«
Er zog einen der seidenbezogenen Stühle mit den zierlich geschwungenen Beinen heran, schwang sich rittlings darauf, kreuzte die Arme über der Lehne, stützte das Kinn auf die Hände, sah sie mit herausforderndem Spott an.
Frau von Saalbach ließ sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen. »Ich gewinne immer mehr den Eindruck, lieber Doktor«, sagte sie mit einer Liebenswürdigkeit, die die versteckte Drohung doppelt fühlbar machte, »daß unser kleines Abkommen Ihnen lästig zu werden beginnt. Ich könnte nun sagen, Vertrag ist Vertrag. Das wäre ein durchaus berechtigter Standpunkt. Aber ich glaube, wir beide sparen uns sehr viel Widerwärtigkeiten, wenn wir jetzt und auf der Stelle im guten auseinandergehen …« Sie machte eine bedeutungsvolle Pause; das Lächeln um ihren schmalen, sehr sorgfältig nachgezogenen Mund wirkte wie eingefroren.
Ihre kleine Ansprache erzielte die gewünschte Wirkung. Peter Loose drehte den Stuhl zwischen den Beinen um, setzte sich ordentlich hin, mit dem Rücken zur Lehne. »Ich weiß überhaupt nicht, wovon Sie reden«, behauptete er treuherzig.
»Seit acht Uhr«, erklärte Frau von Saalbach und tippte mit dem Ende ihres goldenen Kugelschreibers auf die Schreibtischplatte, »seit heute morgen acht Uhr hat meine Sekretärin vergeblich versucht, Sie zu erreichen …«
»Aber ich war im Hotel!« sagte er impulsiv, dann aber, als Frau von Saalbach den scharfen Blick ihrer kleinen, sehr lebendigen Augen nicht von ihm wandte, fügte er erklärend hinzu: »Ein Irrtum des Portiers. Ich hatte gebeten, nicht gestört zu werden …«
»Wie ich eben schon bemerkte«, sagte Frau Saalbach mit zuckersüßer Höflichkeit, »empfinden Sie meine berechtigten Wünsche als Störung.«
»Entschuldigen Sie, Baronin«, murmelte er, »es soll nicht wieder vorkommen …« Er erhob sich hoffnungsvoll. »Kann ich jetzt gehen?«
»Durchaus nicht. Es gibt da noch ein anderes …« Sie zögerte, als würde sie nach dem richtigen Ausdruck suchen, sagte dann, mit fühlbarer Ironie: »… Mißverständnis, das ich gerne geklärt haben möchte.« Ihr goldener Kugelschreiber begann schon wieder zu pochen. »Ich habe Ihnen gestern abend eine junge Dame anvertraut …«
Peter Loose hatte sich wieder gesetzt, schlug aufseufzend die langen Beine übereinander. »Na… und?«
»Ich hatte Ihnen ans Herz gelegt, sich um meine Klientin zu kümmern. Statt dessen… was haben Sie getan? Dreimal mit ihr getanzt, um dann sang- und klanglos zu verschwinden.«
»Hat sie sich etwa beklagt?«
»Das tut nichts zur Sache. Im übrigen… unterstellen wir mal, Sie fragen aus ehrlichem Berufsinteresse… Es war ihre Mutter, die noch gestern bei mir anrief und sich beschwerte. Die gute Frau war außer sich, und ich kann es ihr nicht verargen.« Frau von Saalbach beugte sich vor. »Herr Doktor, ich erwarte keine Erklärung von Ihnen. Ich weiß Bescheid. Sie haben gestern einen großzügigen Scheck von mir bekommen – mein Fehler! Und natürlich hatten Sie nichts Eiligeres zu tun, als mit dem Geld ins Spielcasino zu stürzen und es bis auf den letzten Schilling durchzubringen.«
»Aber nein«, sagte Peter Loose unbehaglich, »so war es ja gar nicht. Ich meine, ich hatte keineswegs vor… Nur, dieses Mädchen, diese Eva Müller, war wirklich zu langweilig …«
Frau von Saalbach hob die dunkel nachgezogenen Augenbrauen. »Herr Doktor«, sagte sie mit gespieltem Erstaunen, »erwarten Sie etwa, daß meine Klientinnen Sie amüsieren?«
»Nein, das natürlich nicht, nur …«
Sie fiel ihm ins Wort. »Es ist Ihre Aufgabe, die jungen Damen zu unterhalten«, sagte sie scharf, »dazu und zu nichts anderem habe ich Sie engagiert. Sie haben sich freiwillig dazu bereit erklärt. Wenn es Ihnen nicht paßt …«
»Natürlich paßt es mir«, sagte er hastig, »das von gestern abend tut mir leid. So etwas soll nicht wieder Vorkommen.«
»Das möchte ich aber auch wirklich hoffen. Und jetzt gehen Sie hinunter in die Halle, telefonieren Sie mit Zimmer siebzehn und laden Sie Fräulein Müller zu einer Segelpartie ein. Es ist selbstverständlich, daß Sie ausreichend Erklärungen und Entschuldigungen für Ihr gestriges Benehmen finden müssen.«
Horst Harfner durchschritt den Salon, trat durch die halb geöffnete Tür auf den Balkon hinaus, wo seine Mutter bei einem späten Frühstück unter der Markise saß, den Blick auf den sonnenüberfluteten See gerichtet.
»Guten Morgen, Mama!« grüßte er fröhlich.
Frau Harfner zuckte zusammen, der Löffel, den sie eben in die Schale mit ungezuckertem Joghurt hatte führen wollen, entfiel ihrer zitternden Hand. »Mein Gott, hast du mich erschreckt!« sagte sie verstört.
»Hast du jemand anderen erwartet?« fragte er lächelnd. »Ich bin seit sieben Uhr auf und habe schon einen langen Spaziergang hinter mir. Weißt du eigentlich, daß es hier wunderbare, ganz abgelegene Waldwege gibt?«
Sie ging auf diese Frage nicht ein, sagte statt dessen: »Dann möchtest du sicher… Bitte, klingle doch dem Zimmerkellner!«
»Danke, Mama. Aber ich will mir den Appetit auf das Mittagessen nicht verderben. Wenn ich eine Pfeife rauchen darf?«
»Aber natürlich, Horst… Warte, hier ist kein Aschenbecher.«
»Macht nichts, Mama, ich nehme mir das Schälchen.«
Sie sah zu, wie er Tabaksbeutel, Pfeife und Streichhölzer aus der Hosentasche zog, den Kopf mit ruhigen, geschickten Händen zu stopfen begann. »Mama«, sagte er, »ich glaube, ich habe hier meine Mission erfüllt. Morgen werde ich nach Hause fahren.«
»Das ist doch nicht dein Ernst!«
»Und warum nicht?« Er paffte genüßlich. »Es war doch von Anfang an so ausgemacht.«
»Aber«, fragte Frau Harfner ganz erschüttert, »gefällt es dir hier denn nicht?«
»Meine liebe, unlogische kleine Mama!« Er lächelte ihr durch den Rauch seiner Pfeife zu. »Natürlich leugne ich nicht, daß es wunderbar hier ist – obwohl ich persönlich etwas weniger Jubel, Trubel und Heiterkeit erholsamer fände. Aber du solltest doch mittlerweile wissen, daß im Sommer für das Baugewerbe nun mal Hochsaison ist, und da wir Baumaschinen herstellen …«
»Wir brauchen dich«, sagte Frau Harfner, plötzlich sehr ernst geworden, »jetzt und hier. Wir sind nämlich… nicht nur zur Erholung hier.«
»Nicht?« fragte er erstaunt.
»Nein, ich… Es ist so schwer zu erklären, du bist immer so unduldsam, aber ich habe mit Papa schon alles besprochen, er ist einverstanden, es ist ja auch gar nichts dabei …« Sie holte tief Atem: »Ich möchte mit Lilo zu einer Heiratsvermittlung!«
»Erzähl weiter«, sagte er, ohne sie anzusehen. Er wollte an seiner Pfeife ziehen, aber sie war ausgegangen.
»Es ist ein sehr gutes Wiener Institut, mit ausgezeichnetem Ruf. Ich habe mich natürlich vorher erkundigt«, verteidigte Frau Harfner sich hastig, als wenn sie fürchtete, jeden Augenblick unterbrochen zu werden. »Während der Sommerferien pflegt die Inhaberin, eine Frau von Saalbach, sich hierher an den Wörthersee zu begeben.«
Horst Harfner hatte ein Streichholz an seine Pfeife gehalten; jetzt brannte sie wieder »Schön und gut«, sagte er, »ich habe nichts gegen diese Frau von Saalbach und ihr Unternehmen. Wahrscheinlich muß es auch sowas geben. Ich begreife nur nicht, was du damit im Sinn hast… Schließlich ist Lilo erst zweiundzwanzig und alles andere als eine alte Jungfer.«
»Aber sie hat uns, seit wir denken können, nur Sorgen gemacht. Erinnere dich doch! Sie ist von einem Internat ins andere geflogen, und später… Weißt du denn nicht, wie viele Pläne sie hatte, und keinen hat sie zu Ende geführt! Erst wollte sie medizinisch-technische Assistentin werden, dann Kosmetikerin, dann Gymnastiklehrerin …«
»Das beweist doch nur, daß sie noch unreif ist …«
»Und ich finde, daß sie jetzt endlich erwachsen werden könnte!«
»Da bin ich ganz deiner Meinung. Nur… die Methode, die du anwendest… anscheinend sogar mit Einverständnis von Papa… scheint mir nicht nur falsch, sondern geradezu verwerflich. Du kannst mir nicht einreden, daß eine kühl kalkulierte Heirat für Lilo gut sein könnte.«
»Aber, Horst, ich bitte dich, du verstehst das ganz falsch!«
»Weiß Lilo wenigstens …« Er unterbrach sich, denn er hatte das Öffnen der Salontür gehört.
Wenige Sekunden später trat Lilo zu ihnen heraus, strahlend jung und lebensfroh in einem weißen T-Shirt, einem minikurzen weißen Faltenröckchen, einen maisgelben Pullover achtlos um den Hals geschwungen, einen Tennisschläger unter den Arm geklemmt. Ihr schönes roten Haar war zerzaust, ihre grünen Augen leuchteten, ihre langen, schlanken Beine zeigten schon den ersten Schimmer einer matten Bräune.
»Puh, war das eine Hetz!« Sie strich sich mit dem Handrücken über die glühende Stirn, ließ sich aufatmend in den freien Korbsessel fallen. »Eine Schande, Horst, daß du nicht dabei warst …« Sie blickte von ihrem Bruder zu ihrer Mutter. »Was ist los mit euch? Welche Grabesstille! Habt ihr euch gestritten oder über mich gesprochen?«
»Beides«, erklärte ihr Bruder.
»Wie interessant!« Lilo war schon wieder auf den Beinen. »Ich bin, scheint mir, langsam auf dem sicheren Weg, mich zu einer umstrittenen Persönlichkeit zu entwickeln!« Sie zog eine kleine, belustigte Grimasse und lehnte sich gegen die Balkonbrüstung.
Ihr Bruder stand auf und trat zu ihr. »Sag mal, weißt du, daß deine Mutter dich hier in Pörtschach an den Mann bringen will?«
»Leise, um Himmels willen sei leise!« mahnte Frau Harfner.
»Klar bin ich im Bilde«, sagte Lilo ungerührt, »warum auch nicht? Zumindest bringt es ein bißchen Abwechslung in die Bude! Und wenn wirklich einer dumm genug ist, mich zu nehmen… na, dem würde ich schon die Hölle heiß machen! Nach der Hochzeit, wohlverstanden.«
»Bisher«, sagte ihr Bruder, »habe ich immer für dich Partei ergriffen, aber jetzt …«
»Tut mir leid, daß ich dich enttäusche! Aber nun mal eine ganz andere Frage: Was sagst du dazu, daß Mama dich verkuppeln will?«
»Lilo!« sagte Frau Harfner scharf.
Horst wandte sich ihr zu. »Ist das wahr, Mama?«
»Von Verkuppeln kann gar keine Rede sein …«
»Also doch!« Horst sah seine Mutter fast traurig an. »Das, Mama, hätte ich dir nun doch nicht zugetraut. Tut mir leid, daß ich deine Pläne durchkreuzen muß. Ich reise morgen ab.«
Eva Müller fand den jungen Mann, der ihr als Dr. Peter Loose vorgestellt worden war, eigentlich ganz nett; Nett genug für einen kleinen Flirt, mehr aber auch nicht. Wenn sie daran dachte, daß er womöglich ernsthaft um ihre Hand anhalten würde, drehte sich ihr das Herz im Leibe um.
Sie hatte aufgeatmet, als er sich am Abend zuvor so schnell verzogen hatte, war fest überzeugt gewesen, es schon überstanden zu haben. Aber sie hatte sich verrechnet, und jetzt schlenderte sie mißgelaunt und schweigsam neben ihm her.
Er mißverstand sie gründlich. »Sind Sie mir immer noch böse, Fräulein Evchen?« fragte er schmeichelnd. »Ich habe Ihnen doch erklärt …«
Sie schnitt ihm das Wort ab. »Ach, keine Spur.«
»Dann lächeln Sie mich doch mal an, bitte!«
Sie blieb stehen, aber der Blick ihrer runden, porzellanblauen Augen war alles andere als freundlich. »Ich kann nicht segeln«, behauptete sie, »das ist alles.«
Er lachte, und wider Willen mußte sie sich eingestehen, daß er viel Charme hatte – viel mehr als Herbert Rhode, der zu Hause auf sie wartete und dem sie ewige Treue geschworen hatte.
»Sie sind ein richtiges kleines Schaf«, sagte er lustig, »segeln werde ich ja… Sie brauchen mir nur Gesellschaft zu leisten!«
»Wozu?«
Jetzt, zum erstenmal, wurde er stutzig. »Wenn Ihnen eine Motorbootfahrt lieber ist… aber dabei kann man sich so schlecht unterhalten!«
Sie hatte eine schnippische Antwort auf der Zunge, besann sich gerade noch rechtzeitig. Ihre Mutter würde sehr böse werden, wenn sie ihre Pläne durchkreuzte. »Dann lieber nicht«, sagte sie achselzuckend, »ich habe nur Angst, ich werde mich ungeschickt anstellen.«
»Das macht ja nichts!« Er war durchaus nicht aus der Ruhe zu bringen. »Diese übersportlichen Mädchen liegen mir durchaus nicht.«
Sie erschrak, änderte sofort ihre Taktik. »Aber ich bin sehr sportlich«, behauptete sie, »ich habe auf einem Schulfest sogar schon einmal einen Preis in Leichtathletik gemacht.«
»Großartig«, sagte er anerkennend, »ich muß schon sagen… ich lerne Sie von Sekunde zu Minute mehr schätzen.«
Sie sah ihn mißtrauisch von der Seite an. »Machen Sie sich über mich lustig?«
»Aber wieso denn?« Er lächelte entwaffnend. »Hat Ihnen noch niemand gesagt, daß Sie ein ganz bezauberndes Persönchen sind?«
Sie krauste die Stirn. »Wenn man Sie so reden hört, könnte man glauben, Sie meinten es ernst.«
»Haben Sie etwa daran gezweifelt?«
»Ein Mann wie Sie«, sagte sie, seine elegante Erscheinung von den Schuhen bis zur weißen Schirmmütze musternd, »kann doch bestimmt jedes Mädchen haben, das ihn interessiert.«
Er dachte nicht daran, das abzustreiten, sagte nur: »Na ja… aber deshalb ist es nicht einfach, die Richtige zu finden!«
»Ich bin es bestimmt nicht!« platzte sie heraus und errötete heiß, weil sie glaubte, sich verraten zu haben.
Aber wieder einmal verstand er sie grundfalsch. »Warum nicht?« sagte er großmütig, »Sie haben bestimmt keinen Grund zu Minderwertigkeitskomplexen!«
Plötzlich wurde ihr bewußt, wie komisch die Situation war. Sie mußte lachen und zeigte dabei zwei Grübchen, die ihr stupsnäsiges Gesicht unter den blonden Locken überraschend reizvoll machten. »Sie aber auch nicht«, sagte sie kichernd.
Er strahlte, ganz selbstzufriedene Eitelkeit. »Warum auch? Solange man jung ist und das ganze Leben noch vor einem liegt!«
Sie waren am Seeufer angekommen, und Eva wurde plötzlich wieder ernst.
Auf einem etwas erhöhten Platz, halb verdeckt von den herabhängenden Zweigen einer Trauerweide, saß ein blasses, großäugiges junges Mädchen in einem Rollstuhl und blickte auf das fröhliche Treiben der Gesunden hinab.
Peter Loose zog grüßend seine Mütze, und die Kranke dankte mit einem Lächeln, unter dem ihr stilles Gesicht aufblühte.
»Die Ärmste!« sagte Eva Müller. »Kennen Sie sie?«
»Nein. Ich weiß nur, wer sie ist… Harriet Kennycot, Tochter eines amerikanischen Millionärs.«
»Ist sie ich meine, wird sie wieder gehen können?«
Er zuckte die breiten Schultern. »Keine Ahnung. Es heißt, daß ihr Vater mit ihr zu den berühmtesten Ärzten kutschiert ist. Aber keiner hat ihr helfen können.« Er merkte, daß das Gesicht seiner Begleiterin sehr nachdenklich geworden war, und fügte rasch hinzu: »Aber natürlich… die Leute reden viel. Es braucht ja nicht zu stimmen.«
»Es wäre zu schrecklich«, sagte Eva und schauderte im warmen Sonnenlicht, »das ganze Leben lang an einen Rollstuhl gefesselt sein! So etwas dürfte es gar nicht geben.«
Er hatte jeden Gedanken an die kranke Amerikanerin schon wieder abgeschüttelt. »Wir werden die Welt nicht ändern …« Er schritt voraus auf den Steg des kleinen Hafens. »Warten Sie, es dauert nicht lange… ich muß nur erst die Segel setzen!«
»Kann ich helfen?« fragte sie.
Er hob den Kopf, grinste sie an. »Lieber nicht!«
Er zog seinen Blazer aus, rollte ihn zusammen, legte ihn unter den Sitz und streifte die Schuhe und die weißen Wollsocken ab. »Sie sollten es sich auch ein bißchen bequem machen!« rief er ihr zu. »Haben Sie einen Badeanzug mit?«
Sie schüttelte stumm den Kopf und beobachtete fasziniert, wie geschickt seine kräftigen braunen Hände hantierten, wie die Segel sich auf geisterhafte Art entrollten, den Mast hinauffuhren und sich unternehmungslustig in der leichten Brise blähten.
»So… jetzt springen Sie rüber!« rief er ihr zu.
Zaghaft ergriff sie seine Hand, wagte den Schritt über das Wasser.
Er wies ihr ihren Platz an. »Setzen Sie sich dahin!« sagte er. »Und bleiben Sie ruhig, was auch geschieht… Ich bin ein alter Seebär. Bei mir kann Ihnen nichts passieren.«
Er löste die Vertäuung, stieß die Jolle mit dem Hilfsruder ab, stakte noch ein paarmal auf den Boden des seichten Wassers. Dann zog er das Ruder ein und bediente das Trysegel.
Das Boot schoß mit dem Wind auf den leuchtenden blauen See hinaus. Schwimmer nahe dem Ufer winkten ihnen zu. Peter Loose manövrierte die Jolle geschickt zwischen Booten und aus dem Wasser ragenden Köpfen hindurch. Sie erreichten das offene Wasser.
»Na, das ist was?« brüllte er ihr durch das Knattern der Segel hindurch zu.
Sie nickte stumm, ein wenig benommen. Das Gefühl des schwerelosen Dahingleitens war berauschend. Es erfüllte ihr Herz mit einem seltsamen Gefühl von Freiheit und Leichtsinn. Sie war so glücklich, daß es ihr wie Verrat vorkam. Sie versuchte, an Herbert Rhode zu denken, die große Sehnsucht in sich wachzurufen – aber das war gar nicht so einfach, hier draußen auf dem See, wo das sanfte Streicheln von Sonne und Wind wie eine zarte Werbung wirkte.
»Achtung! Wir kreuzen!« rief Peter Loose.
Eva riß die Augen auf, sah das Rennboot über den See schießen. Unwillkürlich sprang sie auf, wollte schreien. Aber da bog das Motorboot schon ab, gleichzeitig hatte Peter Loose den Kurs der Jolle geändert. Er lachte, daß seine schönen weißen Zähne blitzten.
Eva begriff, daß es nur ein Scherz gewesen war, und sie ärgerte sich über ihre eigene Torheit.
Die Jolle beschrieb eine elegante Kurve, neigte sich dabei nach Lee, und Peter Loose verlagerte sein Gewicht nach Luv.
»Keine Angst!« schrie er. »Hinsetzen!«
Aber da war es schon passiert.
Eva Müller, die das Manöver nicht begriffen hatte, stürzte kopfüber in die blauen Fluten.
Als sie wieder auftauchte, prustend und um sich schlagend, brauchte sie ein paar Sekunden, bis sie die Jolle entdeckte. Sie kam auf sie zu, die Segel wieder hoch aufgerichtet, langsam, fast würdevoll gleitend.
Peter Loose beugte sich über die Reling, streckte ihr die Hand entgegen und zog sie zu sich hoch. »Ein Glück, daß Sie wenigstens schwimmen können«, sagte er, von dem Zwischenfall ganz unbeeindruckt, »warm genug ist das Wasser ja auch, erkältet haben können Sie sich nicht!« Er grinste jungenhaft. »Das nächste Mal werden Sie sich aber doch wohl besser einen Badeanzug anziehen!«
Sie spürte Wut in ihrem Herzen – Wut auf sich selber, Wut auf ihn und Wut auf ihre Eltern, die sie in diese Situation gebracht hatten. »Ein nächstes Mal«, sagte sie mit einer Würde, die schlecht zu ihrer nassen, schlotternden Kleidung und ihrem triefenden Haar paßte, »ein nächstes Mal wird es für mich nicht geben!«
Er wurde ernst, sah sie ehrlich erschrocken an. »Sie werden sich doch nicht über mich beschweren? Bitte, tun Sie mir das nicht an!«
Plötzlich glaubte sie zu begreifen. »Sie… Sie tun das auch nicht freiwillig?«
Er starrte sie an. »Sie auch nicht… Ich meine, Sie wollen gar nicht heiraten?«
»Ach, woher denn!«
Sie lachten beide los, laut und übermütig, und waren sich noch nie so restlos sympathisch gewesen wie in diesem Augenblick, als ihnen klar wurde, daß sie beide betrogene Betrüger waren.
Als Horst Harfner das ›Grandhotel Güldner‹ kurz vor Mittag verließ, war er immer noch sehr ärgerlich.
Horst Harfner war mit seinen achtundzwanzig Jahren ein sehr ernsthafter junger Mann. Er hatte Maschinenbau studiert, war ein versierter Kaufmann, den sein Vater ohne Zögern mit der Durchführung schwieriger Verhandlungen betraute.
Mit finsterem Gesicht, die volle Unterlippe zwischen die Zähne gezogen, die Augen dunkel vor Zorn, überquerte er die Straße. Auf der anderen Seite blieb er seitlich von einem Kiosk stehen, starrte gedankenabwesend auf die bunten Plakate, die sich gegenseitig mit Anmut, Sex und Einfallsreichtum zu überbieten suchten, um die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden auf sich und die von ihnen angepriesenen Zeitschriften zu ziehen.
Da hörte er eine Stimme – eine klare, ausdrucksvolle Mädchenstimme, nur wenig gefärbt von dem reizvollen weichen Kärntner Dialekt – eine Stimme, die ihn aufhorchen ließ.
Es dauerte ein paar Sekunden, bis er begriff, daß sie aus dem Inneren ds Kiosks kam, und sein Interesse wuchs. So oft er in den letzten Tagen hier eine Zeitung gekauft hatte, war er immer von einem alten Mann – einem durchaus nicht angenehmen alten Mann mit auf gequollenem Gesicht und trüben, bösartigen Augen – bedient worden, Die Leute in Pörtschach nannten ihn den alten Moser.
Horst Harfner lauschte.
Jetzt antwortete eine Männerstimme – nein, das konnte nicht der alte Moser sein, es war eine schneidend harte Männerstimme, die auch durch den ausgeprägten Kärntner Tonfall durchaus nicht angenehmer wurde. »Warum erzählen Sie mir das alles, Fräulein Christine? Sie können doch die Tatsachen nicht aus der Welt reden. Ihr Vater schuldet mir Geld, und Sie können auch nicht leugnen, daß er oft genug gemahnt worden ist …«
»Aber das will ich ja gar nicht, Herr Prohaska«, sagte das Mädchen so beherrscht, daß Horst Harfner staunte. »Sie sind vollkommen im Recht. Das habe ich ja nie bestritten.«
»Also… wird Ihr Vater zahlen?«
»Herr Prohaska, Sie wissen doch genau, daß er das nicht kann!«
»Dann werde ich ihm einen Zahlungsbefehl schicken!« »Dazu sind Sie doch viel zu klug, Herr Prohaska!« »Zu klug? Sie haben vollkommen recht… Ich bin zu klug, mich von Ihnen für dumm verkaufen zu lassen!« sagte Herr Prohaska in einem Ton, für den Horst Harfner ihn zu hassen begann.
»Wir sind arme Leute …«
»Ihr Vater hat eine sehr schöne Rente, vom Kindergeld ganz zu schweigen …«
»Wenn Sie uns wirklich einen Zahlungsbefehl schicken, sind wir ruiniert. Nützt Ihnen das etwas? Geld werden Sie auf diese Art und Weise nicht sehen.«
»Es würde mir schon genügen, wenn ein ordentlicher Pächter in diesen Kiosk käme. Schauen Sie mich nicht so an, als wäre ich ein grausamer Halsabschneider! Ich bin es nicht! Ich bin nichts weiter als ein anständiger Geschäftsmann, und ich kann nicht länger mit ansehen, was Ihr Vater aus diesem Kiosk macht! Sie hätten mir gar nicht zu erklären brauchen, daß Ihr Vater nichts unterschlagen hat. Das habe ich immer gewußt!«
»Aber dann …«, versuchte Christine ihn zu unterbrechen.
Herr Prohaska ließ sie nicht zu Wort kommen. »Für mich ist es genauso schlimm, wenn die Abrechnungen nicht stimmen, wenn die Remittenden nicht zurückgeschickt, wenn die Plakate nicht ausgehängt werden! Wissen Sie, was dieser Kiosk ist? Ein wahrer Schandfleck! Und was könnte er sein? Eine Goldgrube, Fräulein Christine, eine wahre Goldgrube!«
»Sie haben recht«, sagte Christine, »Sie haben mit allem recht, was Sie mir gesagt haben. Würden Sie meinem Vater die zehntausend Schilling stunden, wenn ich Ihnen verspreche, daß von jetzt an alles anders wird?«
»Damit erreichen Sie bei mir nichts. Von Versprechungen wird der Mensch nicht satt!« Plötzlich fügte er milder hinzu: »Ich weiß, das alles ist nicht Ihre Schuld, Fräulein Christine. Sie sind ein vernünftiges Mädchen, aber Ihr Vater hat einfach nicht das Zeug zu einem Geschäftsmann!«
»Ja, ich weiß, und deshalb …« Christine stockte, als wenn sie sich überwinden müßte, und fragte dann mit klarer Stimme: »Würden Sie Ihre Meinung ändern, Herr Prohaska, wenn ich den Kiosk für meinen Vater führte?«
Herr Prohaska schwieg verblüfft, dann sagte er: »Das kann doch nicht Ihr Ernst sein?!«
»Und warum nicht? Sie haben eben selber gesagt, daß es ein Jammer um dieses Geschäft ist.«
»Dabei bleibe ich auch. Und ich bin auch nicht der Meinung, daß jemand für eine anständige, ehrliche Arbeit zu schade sein könnte – keineswegs!«
»Na also!«
»Aber ich dachte… Ich meine einfach, jetzt wo Sie Ihr Abitur haben, und es war sicher nicht ganz einfach für Sie, allein schon die ewige Hin- und Herfahrerei nach Klagenfurt, von allem anderen mal ganz abgesehen… Wollten Sie denn nicht studieren?«
»Doch. Ich habe sogar schon einen Studienplatz.«
»Na, sehen Sie, und wenn Sie die Sache ernst nehmen, werden Sie vor Oktober nicht hier fortkommen. Also hören Sie mich mal an. Es ist vielleicht ganz gescheit, wenn Sie bis zum Semesterbeginn arbeiten… aber dann für sich selber, Fräulein Christine… Sie wissen, ich will nichts gegen Ihre Familie sagen, aber es weiß doch jeder, daß die wie ein Faß ohne Boden ist …« Er unterbrach sich plötzlich, weil ihm bewußt wurde, zu weit gegangen zu sein. »Also, machen Sie, was Sie wollen… Ich weiß, Ihnen ist doch nicht zu raten. Aber schreiben Sie sich eines hinter die Ohren: Die zehntausend Schillinge sind nur gestundet, nicht etwa erlassen! Spätestens Ende der Saison möchte ich sie mit Zinsen zurück haben. Und wenn noch einmal eine Unregelmäßigkeit vorkommt, Fräulein Christine …«
»Bestimmt nicht, Herr Prohaska«, sagte Christine rasch, »Sie sind ein Engel! Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll!«
Horst Harfner begriff gerade noch rechtzeitig, daß er direkt vor der Seitentür des Kiosks stand, und konnte gerade noch nach hinten ausweichen, bevor Herr Prohaska heraustrat.
Wie zufällig schlenderte er um den Kiosk herum und beugte sich über die Auslage. »Guten Tag«, sagte er zögernd.
Ein Mädchen sah ihn an, ein Mädchen mit einem Madonnengesicht und tiefschwarzem Haar, zwei hellen Augen, in denen er alles fand, was er bisher bei den Frauen vergeblich gesucht hatte: Klugheit, Humor, Herzlichkeit und Bescheidenheit.
»Ja, bitte?« fragte dieses Wunderwesen, und Horst Harfner hätte alles darum gegeben, wenn das kleine, unpersönliche Lächeln um ihre Lippen ihm und nicht dem unbekannten Kunden gegolten hätte.
»Ist die ›Frankfurter‹ schon gekommen?« fragte er und wunderte sich, daß seine Stimme genau wie immer klang.
»Vor zehn Minuten«, sagte Christine freundlich und reichte ihm die Zeitung, nahm das Geld entgegen, wechselte – und er fand nicht den Mut zu einem einzigen privaten Wort.
Erst als er wieder in der Hotelhalle stand, begriff er, daß er eine Gelegenheit verpaßt hatte. Er kam sich wie ein dummer Junge vor. Er wandte sich der Terrasse zu, als er seine Schwester Lilo sah.
Sie lächelte ihn strahlend an, legte die schlanke, gepflegte Hand auf seinen Arm. »Hör mal, würde es dir furchtbar viel ausmachen, morgen mit der Bahn nach Hause zu fahren? Sieh mal, Brüderchen, du kannst uns doch hier nicht einfach ohne Auto sitzenlassen!«
»Wenn das deine ganzen Sorgen sind …«
»Du kannst dir doch zu Hause einen Firmenwagen nehmen!«
»… kann ich dich beruhigen«, fuhr er fort, ohne sich unterbrechen zu lassen, »ich habe es mir überlegt. Ich reise doch nicht ab.«
»Was?!« sagte sie überrascht und mit deutlich gemischten Gefühlen.
»Ich bleibe hier«, bestätigte er und fügte mit einem raschen, jungenhaften Lächeln hinzu: »Ich dachte mir schon, daß dich das sehr freuen würde!«
»Aber natürlich, gnädige Frau, ich verstehe Sie durchaus!« Frau von Saalbach lächelte Frau Harfner mit entwaffnender Liebenswürdigkeit an. »Es ist mir ganz und gar recht, daß unsere erste Besprechung nicht in Gegenwart Ihres Fräulein Tochter stattfindet. Im übrigen… ich habe sie ja heute mittag im Speisesaal beobachten können. Eine sehr attraktive junge Dame, wirklich, sehr attraktiv!«
Die beiden Damen saßen sich in dem eleganten kleinen Salon, der zum Apartment der Heiratsvermittlerin gehörte, beim Tee gegenüber.
Frau von Saalbach zeigte beim Lächeln ihre prächtigen weißen Jacketkronen. »Darf ich Ihnen noch ein Täßchen Tee kredenzen?« Sie faßte einladend den Griff der silbernen bauchigen Teekanne.
»Ja, bitte!« Frau Harfner ließ eine Zitronenscheibe auf den Grund ihrer Tasse gleiten. »Ich bin sehr froh, daß ich zu Ihnen gekommen bin, Baronin«, sagte sie impulsiv.
»Sie werden es gewiß nicht bereuen, gnädige Frau«, sagte Frau von Saalbach und führte auf die zierlichste Art und Weise ihre Teetasse zu den Lippen. »Wenn Sie mir nun etwas über Ihr Fräulein Tochter erzählen würden …«
»Erzählen?« Frau Harfner sah die Heiratsvermittlerin fast erschrocken an.
»Aber ja, meine Liebe, ich muß doch etwas über die junge Dame wissen!« Frau von Saalbachs Ton glich dem einer strengen, aber gütigen Gouvernante, die zu einem bockigen Kind spricht. »Wie könnte es mir sonst möglich sein, ihr den richtigen Mann zu vermitteln? Nicht irgendeinen Mann, sondern wirklich den richtigen… das wollen wir doch beide, nicht wahr?«
Frau Harfner zerbröckelte nervös eines der goldbraunen Mandelplätzchen auf ihrem Teller. »Sie dürfen nicht schlecht von Lilo denken. Sie hat ein gutes Herz, wissen Sie. Und dumm ist sie auch durchaus nicht, wenn sie auch in der Schule… Aber wahrscheinlich lag es daran, daß wir nicht streng genug zu ihr waren.«
»Das Schulwissen ist für das spätere Leben durchaus nicht ausschlaggebend«, tröstete Frau von Saalbach, »im übrigen habe ich diese rein sachlichen Angaben ja schon in meiner Kartei. Was mich vor allem interessiert – ohne indiskret zu sein –, wie ist denn ihre Einstellung zu den Herren der Schöpfung?«
»Ziemlich – unernst.«
»War sie nicht schon einmal verlobt?«
Frau Harfner hob ruckartig den Kopf. Eine feine Röte stieg ihr bis in die Haarwurzeln. »Woher wissen Sie das?!«
Frau von Saalbach begegnete ihrem Blick mit größter Gelassenheit. »Ich denke, Sie haben es mir geschrieben.«
Frau Harfner wußte genau, daß sie in keinem ihrer Briefe auch nur ein Wort über diese peinliche Verlobungsgeschichte erwähnt hatte. Aber sie spürte, daß ihr Widerspruch die Situation nur noch unangenehmer gemacht hätte. »Lilo ist nicht sitzengelassen worden!« sagte sie mit Nachdruck, konnte aber nicht verhindern, daß ihre Stimme vor Erregung zitterte. »Es war ganz anders. Ich weiß nicht, was man Ihnen erzählt hat, aber es war Lilo, die Schluß gemacht hat. Vier Wochen vor der Hochzeit. Sie erklärte plötzlich, daß sie diesen Mann nicht heiraten könnte. Sie zeigte sich jedem Argument unzugänglich.«
Zum erstenmal schienen der Heiratsvermittlerin die passenden Worte zu fehlen. »Ein ungeheuerlich bedauerlicher Vorfall«, sagte sie schließlich lahm, »wirklich außerordentlich bedauerlich. Sie werden verstehen; daß ich Unter diesen Umständen …« Sie machte eine vage Handbewegung.
Frau Harfner richtete sich kerzengerade auf. »Soll das heißen, Sie wollen nichts für Lilo tun?«
»Ich werde mich selbstverständlich nach besten Kräften bemühen«, versicherte sie mit ihrem strahlendsten Lächeln.
Aber Frau Harfner war noch nicht beruhigt. »Und… glauben Sie, daß etwas zu machen sein wird?«
»Es besteht bestimmt kein Grund zur Resignation«, sagte Frau von Saalbach vorsichtig und beschloß im gleichen Augenblick, daß Peter Loose sich dieses Mädchens annehmen müßte. »Im übrigen«, fügte sie nach einer Pause, die ihr selber etwas zu knapp bemessen schien, hinzu, »schrieben Sie nicht auch, daß wir eventuell eine passende Partnerin für Ihren Sohn finden sollen? Ich nehme an, es handelt sich um den gutaussehenden jungen Mann an Ihrem Tisch.«
»Ja«, sagte Frau Harfner, »ja, Baronin. Ich sähe es tatsächlich sehr gerne, wenn Horst sich zur Heirat entschließen würde. Allerdings… das wird nicht ganz einfach sein.«
Frau von Saalbach schwieg, verbarg ihre Unruhe hinter einem freundlich-fragenden Gesicht.
»Es ist nämlich so«, fuhr Frau Harfner fort, »Horst ist ganz anders als seine Schwester. Er ist… sehr, sehr zurückhaltend. Er würde niemals einverstanden sein, wenn er erführe… Sie verstehen, was ich meine? Er darf nie erfahren, daß ich Pläne für ihn mache.«
»Ach so!« Jetzt wurde Frau von Saalbachs Lächeln geradezu mütterlich. »Wenn es weiter nichts ist… Ich habe schon oft sehr, sehr diskret gearbeitet. Der junge Mann wird die Absicht natürlich nicht merken. Das ist weiter nichts als eine Frage des Arrangements.«
Christine Moser war so in das Studium eines Lehrbuches vertieft, daß sie zusammenzuckte, als sie angesprochen wurde. Sie ließ das dicke Buch schleunigst unter dem Verkaufstisch verschwinden und sprang auf.
»Sie wünschen, bitte?« fragte sie und ärgerte sich, daß sie rot geworden war wie ein ertapptes Schulmädchen. Sie sah in das markante Gesicht eines jungen Mannes.