Gemeinsam schlau statt über Schule meckern - Béa Beste - E-Book

Gemeinsam schlau statt über Schule meckern E-Book

Béa Beste

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Beschreibung

Meckern adé – gemeinsam Schule gestalten: In diesem Mitmachbuch erfahren Eltern, was Kinder ab 6 Jahren zum erfolgreichen Lernen brauchen – und wie sie durch wertschätzende Kommunikation eine gute Beziehung zur Schule aufbauen können. Denn wenn Eltern und Lehrende miteinander entspannt agieren, schaffen sie die ideale Grundlage für das Groß- und Schlauwerden unserer Kinder – und haben auch noch Spaß dabei. Mit kreativen Übungen zum Ausfüllen und fast 100 Spielen und Ideen, die Eltern gemeinsam mit Lehrenden und Kindern umsetzen können. Getestet von einer der größten Eltern-Communitys tollabea.de.

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Es wurde größte Sorgfalt darauf verwendet, dass die in diesem Werk gemachten Angaben korrekt sind und dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Für dennoch wider Erwarten im Werk auftretende Fehler übernehmen Autorin, Redaktion und Verlag keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung. Dasselbe gilt für spätere Änderungen in Gesetzgebung oder Rechtsprechung. Das Werk ersetzt nicht die professionelle Beratung und Hilfe in konkreten Fällen. Das Wort Duden ist für den Verlag Bibliographisches Institut GmbH als Marke geschützt.

Die Webseiten Dritter, deren Internetadressen in diesem Werk angegeben sind, wurden vor Drucklegung sorgfältig geprüft. Verlag und Autorin übernehmen keine Gewähr für die Aktualität und den Inhalt dieser Seiten oder solcher, die mit ihnen verlinkt sind. Alle Rechte Vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, verboten.

Soweit in diesem Buch Personen erwähnt und ihnen von der Redaktion fiktive Namen, Berufe, Dialoge und Ähnliches zugeordnet oder diese Personen in bestimmte Kontexte gesetzt werden, dienen diese Zuordnungen und Darstellungen ausschließlich der Veranschaulichung und dem besseren Verständnis des Inhalts.

© Duden 2022

Bibliographisches Institut GmbH, Mecklenburgische Straße 53, 14197 Berlin

Redaktionelle Leitung Susanne Klar

Unter redaktioneller Mitarbeit von Larissa Krull

Lektorat Friederike Moldenhauer, www.moldenhauer-text.de

Herstellung Alfred Trinnes

Layout und Satz Veronika Neubauer

Illustrationen Béa Beste

Umschlaggestaltung 2issue, München

Umschlagabbildung © Jan von Holleben, Berlin

ISBN 978-3-411-91339-8 (E-Book)

ISBN 978-3-411-75656-8 (Buch)

www.duden.de

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Teil 1: Gemeinsam schlau: Eltern, Lehrende & Kinder

Kapitel 1: Die frühkindliche Entwicklung: Vom Neugeborenen zum Schulkind

Lernen und Motivation

Schule, was ist das eigentlich?

Lernen in der Schule – ein paar alte und ein paar neue Ideen

Kapitel 2: Der Paradigmenwechsel in Familien- und Schulkultur – oder warum Co-Learning die neue Lernkultur ist

System Schule und System Familie – wie hängen beide zusammen?

Paradigmenwechsel Familie

Die Familie-Checkliste – Dimensionen

Paradigmenwechsel Schule

Schlau für die Zukunft – unsere Schulschlaus

Das Co-Learning – warum wir unseren Kindern nichts mehr beibringen können und miteinander weiter kommen als je zuvor

Kapitel 3: Die schulische Kind-Eltern-Beziehung

Welche Haltung habt ihr – und was hat das mit Schule zu tun?

Die Checkliste des positiven Abc

Fremdbetreuung?

Die Schul-Checkliste

Die Lernmotivation

Zukunftsperspektiven

Kapitel 4: Die Kind-Lehrende-Beziehung

„Ich liebe sie“ – „Ich hasse sie“

Angst

Vertrauen

Kapitel 5: Eltern-Lehrende-Beziehung

Miteinander sprechen und einander verstehen

Die Kraft der Erstbegegnung

Der Elternabend

Kommunikation – Relevanz – Kooperation – Stimmung

Die E-Mail-Checkliste

Kapitel 6: Und jetzt alle zusammen

Die Eltern-Kinder-Lehrkräfte-Typologie

So sehen die Typen in Aktion aus

Gemeinsam schlau – aber wie?

Teil 2: Gemeinsam machen

Gemeinsam loslegen!

So geht gemeinsam

Wir lernen uns kennen

Wir sind unterwegs

Wir gestalten unseren Lebens- und Lernraum

Wir sind kreativ

Wir lernen zusammen

Wir gehören zusammen

Wir kochen zusammen

Wir sprechen miteinander

Wir entscheiden gemeinsam

Wir feiern gemeinsam

Wir klugscheißen gemeinsam

Teil 3: Anhang

Register

Quellen und Literaturhinweise

Die letzte Seite

Vorwort

Liebe Menschen, die ihr Kinder erzieht,

eure Kinder gehen (bald) zur Schule? Dann kennt ihr das Thema „Eltern und Schule“. Und es regt viele Menschen auf, seit Beginn der Pandemie sogar um ein Vielfaches. Es geht dabei um viele unterschiedliche Aspekte: Es geht um unsere Kinder, das Wichtigste in unserem Elternleben überhaupt. Es geht ums Lernen, um nachhaltige Bildung, die zukunftstauglich ist. Es geht um die Institution Schule als solche, es geht um Ver- und Gebote, um Lehrende und es geht um euch, liebe Eltern. Ihr Eltern schickt das Wertvollste, was ihr habt, zur Schule und hofft, dass die Lehrenden alles voll und ganz in eurem Sinne machen. Und die Lehrkräfte tun ihr Mögliches und hoffen, dass das Elternhaus ihrer Schützlinge in ihrem Sinne kooperiert und alle wertvollen Empfehlungen umsetzt. Wir haben es erlebt, es funktioniert so noch nicht. Das gewünschte Miteinander gerät oft zum GEGENeinander.

Und letztlich meckern meistens alle über alles!

Das reicht uns nicht, deswegen haben wir dieses, unser zweites Buch Gemeinsam schlau statt über Schule meckern geschrieben.

Ach ja: Unser erstes Buch! Gemeinsam schlau statt einsam büffeln war die Grundlage unserer Co-Learning-Idee für Eltern und Kinder. Wir haben gezeigt, dass Freude, Spielen und Lernen einfach untrennbar zusammengehören. Und wir haben gezeigt, dass das nur gemeinsam klappen kann. Wir nutzen jetzt die Gelegenheit, uns für euer begeistertes Feedback zum Buch zu bedanken (), und schlagen euch vor: Nehmt diese Begeisterung mit in die Lernzukunft eures Kindes. Begleitet es durch seine Schulzeit. Ihr denkt jetzt an Hausaufgaben, Zensuren und Elternabende und habt vielleicht gerade keinen Spaß, wenn ihr daran denkt. Wir zeigen euch, dass es Möglichkeiten, Ideen, Aktivitäten und Spiele gibt, die mehr Freude machen können und Eltern und Lehrende zu Verbündeten. Vielleicht nicht immer, aber immer öfter.

Wir beide sind selbst Schulmenschen. Stephanie war als Schulleiterin und ist als Lehrerin aktiv, Béa ist Mutter und sie gründete und leitete mehrere Schulen sowie deren Dachorganisation. Wir erleben Schulalltag in all seinen Facetten live und in bunten Farben! Uns liegen Kinder am Herzen und wir finden: Eltern und Lehrkräfte können sich gegenseitig nichts anordnen UND kommen dennoch gemeinsam mit den Kindern weiter als je zuvor.

Warum das so ist, erzählen wir euch in Teil 1 – „Gemeinsam schlau – Eltern, Lehrende & Kinder“ dieses Buchs. Wir beleuchten das Thema „Lernen“ kurz aus neurologischer Sicht, werfen einen Blick in das „System Schule“ und definieren Beziehungen zwischen Kindern und Lehrenden und zwischen Eltern und Lehrenden. Denn Lernen (und jede Art von Bildung) ist Beziehungssache und geprägt vom MITeinander. Wir laden euch in Übungen zum Mitmachen ein, um euch selbst dabei zu reflektieren und eure Perspektive auf viele und vieles zu verändern.

In „Teil 2 – Gemeinsam machen“ liefern wir euch fast 100 Inspirationen für das aktive Miteinander von Elternhaus und Schule im Schulkontext. Denn zusammen entstehen so für unsere Kinder starke Beziehungen zwischen Eltern und Lehrenden und tragfähige Erziehungspartnerschaften.

Wir schlagen vor: Lernt euch kennen und verstehen, redet miteinander, stimmt euch zeitlich und inhaltlich ab und bildet so belastbare Netzwerke, damit diese alle weiter bringen als je zuvor.

Nein, die Erkenntnisse und die Perspektivwechsel, die wir euch im Buch als Übungen und Checklisten zur Selbstreflexion anbieten, heilen kein krankes System. Aber sie sind für uns, vielleicht auch für euch, der erste Schritt in die Zukunft eures Kindes im aufbauenden Miteinander. Wir glauben, unsere Co-Learning-Ideen für Eltern-Lehrkräfte und Kinder in diesem Buch können einen sinnvollen und alltagstauglichen Beitrag dazu leisten.

Wir laden euch ein, von unseren (von Béa liebevoll illustrierten) Übungsvorlagen reichlich Gebrauch zu machen: Schreibt rein, malt, zeichnet und nutzt sie, um selbst aktiv zu werden. Habt den Mut, eure bekritzelten Vorlagen mit euren Kindern, Partnern, Freundinnen, Lehrkräften und vielen anderen zu teilen.

Ihr könnt die Vorlagen mit einem Zugangscode (siehe Seite 351) herunterladen. Und wir werden euch auch in den Tollabea-Social-Media-Kanälen die Möglichkeit anbieten, euch auszutauschen – mit uns und allen Interessierten. Folgt uns und bleibt dran!

Liebe Lehrkräfte,

wenn ihr das jetzt (auch) lest, freut uns das! Egal, ob ihr lange im Beruf oder gerade angehende Lehrende seid. Wir brauchen euch alle sehr maßgeblich für die Weiterentwicklung an unseren Schulen.

Um Erkenntnisse und Impulse unmittelbar aus der Lehrendenausbildung mit ins Buch einfließen zu lassen, ist Larissa Krull, Lehramtstudentin für Englisch und Geografie, mit in die Entwicklung dieses Buchs eingestiegen. Sie hat viel recherchiert und eigene Textpassagen beigesteuert. Das war – für uns wie fürs Buch – in jeder Hinsicht bereichernd. Und wir sind dankbar für den frischen Bildungswind, den Larissa mit hereingebracht hat. Was für ein Co-Learning-Spaß!

Béa, Stephanie & Larissa

Teil 1:Gemeinsam schlau: Eltern, Lehrende & Kinder

Bevor wir uns in die Welt der Eltern, Kinder und Lehrenden begeben, möchten wir euch einen kurzen Einblick geben, wie sich euer Kind entwickelt, welche Familien- und Schulkultur es gibt und welche Aspekte für unser Modell des Co-Learnings und Co-Sharings wichtig sind.

KAPITEL 1

Die frühkindliche Entwicklung: Vom Neugeborenen zum Schulkind

Willkommen neuer Erdenbürger! Fühlt es sich für euch so an, als ob euer Kind erst gestern geboren wurde? Und kaum habt ihr euch umgedreht, schon steht ihr mit einer Schultüte und einem Ranzen in der Hand bei der Einschulung. Ein großer Tag und ein ganz neuer Lebensabschnitt, der euch herausfordert und viel von euch verlangt. Nicht nur von euch, auch von eurem Kind und auch von den Menschen, die euer Kind unterrichten werden.

Bevor wir aber auf das Verhältnis zwischen euch als Eltern, euren Kindern und ihren Lehrenden eingehen, wollen wir mit euch einen kurzen Blick zurück auf die letzten fünf bis sieben Jahre werfen.

Wenn euer Kind geboren wird, ist es erst einmal ganz und gar von euch abhängig, auf allen Ebenen. Ihr müsst es füttern, waschen, kleiden und euch mit ihm auf emotionaler und sozialer Ebene beschäftigen. Was es lernt, das lernt es (erst mal) von euch. Verantwortlich dafür sind die sogenannten Spiegelneuronen, die es dem Kind ermöglichen, sich durch Nachahmung in der Welt zu orientieren und zu erfahren.

Ganz allgemein funktionieren die Spiegelneuronen so: Ihr lächelt? Euer Kind lächelt. Ihr macht ein ernstes Gesicht? Euer Kind legt die Stirn in Falten. Ihr seid erschöpft und müde? Euer Kind nimmt diese Emotion wahr und wird womöglich unleidig und unruhig. Dass Eltern ein Vorbild für ihre Kinder sind, ist also nicht nur ein moralisierender Spruch, sondern schlicht und ergreifend Realität, in allen Bereichen eurer Interaktion. Und die Kleinen lernen dank der superschnellen Vernetzung ihrer Nervenzellen im Gehirn sehr viel in kürzester Zeit.

Das ist euch sicherlich schon aufgefallen, aber habt ihr euch mal Gedanken gemacht, was sich eure Kinder so alles von euch abschauen? Nicht nur die Dinge, die ihr möchtet, dass sie euer Kind kann, sondern häufig auch andere Verhaltensweisen, die ihr euch vielleicht ganz unbewusst angeeignet habt. Kinder spiegeln euch im wahrsten Sinne des Wortes wider. Und das gilt auch für die anderen Bezugspersonen, mit denen sie viel Zeit verbringen. Nehmt euch einen Moment Zeit und schreibt auf, was sich euer Kind von euch und anderen abgeschaut hat.

Zum Wachsen und Sichentwickeln gehört es auch, dass eure Kinder ihre Welt erobern, um nach und nach räumlich unabhängiger zu sein. War da zunächst das Strampeln auf einer Decke oder im Bett, geht es schon bald mit Rollbewegungen, Krabbeln (oder anderen Fortbewegungsabläufen vor dem Laufen) und schließlich mit dem Laufen weiter. Kinder erkunden nach und nach den zu ihrer Entwicklung passenden Aktionsradius – zumindest in eurem Zuhause recht unabhängig. und schließlich erkunden sie mit und durch euch auch die Außenwelt. Die Straße, einen Kinderspielplatz, den Park, das Dorf oder die Stadt. Ob zu Fuß oder mit rollendem Untersatz, sie sind neugierig auf die Welt und kaum zu bremsen. Und auch wenn jedes Kind unterschiedlich abenteuerlustig ist: Alle wollen die Welt innerhalb ihrer Komfortzone entdecken.

Mit der zunehmenden Mobilität geht auch die sprachliche Entwicklung einher. Durch beständiges Hören von Wörtern, Lauten, Liedern – auch in Kombination mit Bewegung – entsteht nach und nach die Sprache eurer Kinder. Von kleinen Gluckslauten, Ein-Wort-Sätzen bis hin zu ganzen Geschichten, die euer Kind euch erzählt, wird es in seiner Sprache und seinem Denken zunehmend unabhängiger. Auch wenn Kinderlogik nicht immer mit unserer Erwachsenenlogik deckungsgleich ist, oft ist sie bestechend, und so manches Mal wünschen wir uns, dass die Welt so einfach wäre.

Stephanie erzählt: Die Weisheit eines Erstklässlers

Auf einer Busfahrt fragte mich ein Schüler aus der ersten Klasse einmal, ob ich Kinder hätte. Als ich verneinte, schwieg er für einen Moment, schaute sich um und sagte dann im Brustton der Überzeugung und mit einem Hauch von Bewunderung: „Das macht nichts, Frau Jansen, Sie haben ja die ganzen Kinder in der Schule!“

Aber Bewegung und Sprache allein machen die Entwicklungsschritte eures Kindes nicht aus. Ein wichtiger Bestandteil für eine gesunde Entwicklung ist auch die emotionale Beziehung, die ihr zu und mit ihm aufbaut.

Ihr könnt euer Kind versorgen und ihm Sprechen und Gehen und all die anderen Dinge beibringen, jedoch erst durch Emotionen und soziale Interaktion gebt ihr eurem Kind die Möglichkeit, sich selbst wahrzunehmen und Sicherheit im Umgang mit anderen Menschen zu bekommen. Hierbei sind Stabilität und Verlässlichkeit entscheidend.

Wenn ihr jedes Mal in der gleichen oder einer ähnlichen Situation vollkommen unterschiedlich reagiert, kann euer Kind kein Referenzsystem entwickeln und bleibt unsicher, wie es sich verhalten kann oder soll. Im Rahmen eines solchen Systems entwickelt es die Sicherheit, in schwierigen Situationen mit euch kommunizieren zu können. Selbst wenn es sicherlich gut ist, dass Kinder Grenzen lernen, ist das Gefühl, uneingeschränkt geliebt zu werden, essenziell, um sich sicher zu fühlen. So wie sich eure Kinder die Welt der Worte und des Bewegens erschließen, wachsen sie auch an ihren Emotionen und sozialen Interaktionen.

Für uns Erwachsene scheint es selbstverständlich, dass es nicht gut ist, einem anderen Kind einfach die Schippe über den Kopf zu ziehen, aber Kinder müssen erst lernen, dass ihr Handeln nicht bei ihnen selbst aufhört, sondern auch andere betrifft.

Dafür reicht die soziale Interaktion nur mit euch als Eltern oder anderen Erwachsenen in eurem Umfeld nicht aus. Andere Kinder in der Krabbelgruppe oder etwa auf dem Spielplatz kennenzulernen ist ein wichtiger Bestandteil der Entwicklung. Je selbstständiger euer Kind in Sprache, Bewegung und sozialer Interaktion wird, je mehr es sich seiner selbst bewusst wird, desto autonomer wird es auch in seiner emotionalen Reife.

Erst um das dritte Lebensjahr herum benutzen Kinder das Pronomen „ich“. Vorher benutzen sie ihren Namen, wenn es um sie selbst geht. Ist das Ich-Sagen erst mal da, kann es zu einer ungeahnten Herausforderung werden. Früher nannte man diese Zeit die Trotzphase, heute sprechen wir von einer Autonomiephase und das trifft es auf den Punkt. Euer Kind unternimmt die ersten Schritte hin zu seiner Selbstständigkeit, weg von euch als Beschützende und alles Organisierende. Es will seine Kleidung selbst aussuchen, dieses oder jenes liegt ihm quer, und das kann, wenn es es noch nicht schafft, seine Gefühle in Worten zu kommunizieren, zu unendlichem Frust und viel Geschrei auf beiden Seiten führen.

Für euch als Eltern ist es deshalb spätestens dann an der Zeit, ein Stück loszulassen. Es seid nicht mehr ihr, die am besten wisst, was euer Kind jetzt braucht. Euer Kind ist ein Teil des Entscheidungsprozesses und hat die Hand mit am Lenkrad. Das kann bedeuten, dass ihr es aushalten müsst, dass euer Kind zwei unterschiedliche Socken trägt – oder gar Schuhe! –, aus Prinzip nichts isst, was grün ist, oder sich keine Bücher mehr vorlesen lassen will … zumindest eine Zeit lang.

Die Community erzählt: Wenn das Kind sich durchsetzt

Wir haben in unserer Tollabea-Community einige Beispiele zu diesem Thema gesammelt:

•Leo wurde in Hauspuschen eingeschult, das ging in dem Städtchen, in dem seine Eltern lebten, viral und stand sogar im Ortsblatt.

•Carl isst gern stehend am Tisch. Anfangs fand seine Mutter es unmöglich, doch dann fiel ihr auf, dass er viel entspannter und ausreichend isst – das war vorher nicht der Fall.

•Die Kinder von Ulrike wollten im Taucheroutfit, Brille und Schnorchel inklusive, zum Supermarkt. Die Truppe wurde ein wenig belustigt angeschaut, aber die Kinder fanden es klasse.

•In Gummistiefeln und Bademantel auf einem Familienfest? Warum nicht? Alva hatte ihren Spaß und wir anderen auch.

All das sind Schritte auf dem Weg in die Unabhängigkeit und wollen liebevoll begleitet werden, denn den Wunsch eines Kindes zu ignorieren, weil es gerade nicht passt oder ihr keinen Sinn darin seht, hinterlässt Narben. Das bedeutet nicht, dass ihr eurem Kind alles durchgehen lassen solltet, aber schon ziemlich früh könnt ihr mit euren Kleinen Deals aushandeln und versuchen zu verstehen, warum etwas eurem Kind so wichtig ist, aber auch, warum es für euch jetzt wichtig ist, dass es seinen Willen nicht bekommt.

Die Meilensteine, die wir hier aufgezeigt haben, Laufen, Sprechen, Ich-Sein, sind aber vielleicht gar nicht die Meilensteine, die ihr bei eurem Kind oder bei euch selbst beobachtet habt. Welche sind es für euch und eure Kinder?

Noch mal zurück zu den Spiegelneuronen. Eure Kinder spiegeln nicht nur euer äußeres Handeln, sie sind auch innerlich durch eine „emotionale Nabelschnur“ mit euch verbunden. Auch wenn sie es vielleicht nicht so deutlich aussprechen können, fühlen sie sehr genau, was in euch vorgeht. Ihr seid ängstlich, dass etwas bei der Eingewöhnung im Kindergarten schiefgeht, und habt ein schlechtes Gewissen, euer Kind loszulassen? Dann ist es sehr wahrscheinlich, dass euer Kind mit der Eingewöhnung kämpft und relativ viel Energie darauf verwendet, nicht im Kindergarten zu bleiben, weil es nicht möchte, dass es euch schlecht geht. Manchmal sind Kinder aber auch einfach grundverschieden, wie die Geschichte von Béa zeigt.

Béa erzählt: Jeder nach seinem Geschmack

Bei meiner Schwester gab es einen krassen Gegensatz zwischen ihren zwei Söhnen: Während der Ältere vom ersten Tag an den Kindergarten mochte, gar abwechselnd in drei Erzieherinnen „richtig verliebt“ war und am liebsten auch am Wochenende hingegangen wäre, war der zwei Jahre Jüngere ein sturer Kitaverweigerer. Er erklärte bereits in der Eingewöhnung, dass er nicht dableiben wolle, und büxte regelmäßig aus. Sobald sich nur eine Gelegenheit ergab, verließ er die Einrichtung und lief schnurstracks nach Hause. Häufig heulte er oder verweigerte alles. Nach gut vier Monaten gab die Familie auf und ließ ihn noch ein Jahr zu Hause.

Ein Jahr später wiederholte sich alles genau so, auch in zwei weiteren Kitas. Als das Vorschuljahr anstand, versprach der Jüngere, sich zu Hause an den Vormittagen selbst zu beschäftigen, ohne jemanden zu stören, und dann ab der ersten Klasse ohne Protest zur Schule zu gehen. Da meine Schwester und ihr Mann selbstständige Architekten sind, gingen sie mit ihm den Pakt ein. Er blieb das Vorschuljahr immer brav in seinem Zimmer und trat die erste Klasse ohne weiteres Murren an. Heute ist er erfolgreicher Informatiker.

Loslassen

Aber nicht nur euer Kind muss sich auf ein neues Umfeld einlassen, auch ihr müsst den Sprung ins kalte Wasser wagen und euer Kind – auf Gedeih und Verderb – jemandem überlassen, den ihr nicht persönlich kennt, jedenfalls nicht so gut, dass ihr zusammen in Jogginghosen auf dem Sofa einen Hollywoodfilm anschauen würdet. Ihr gebt euer Kind an jemanden ab, der dafür Geld bekommt, dass er es betreut, versorgt und für sein seelisches und leibliches Wohl sorgt. Diesen Menschen habt ihr euch nicht ausgesucht. Was für eine Zumutung! Ihr müsst Mut sowohl für euch als auch für euer Kind aufbringen, dieser Person zu vertrauen. Habt ihr eine stabile Bindung zu eurem Kind und es kann spüren, dass ihr dem Betreffenden vertraut, dann habt ihr einen guten Grundstein für eine erfolgreiche Kindergartenzeit gelegt. Aber mal ehrlich, wie geht es euch eigentlich in der Situation?

Wenn ihr euer Kind in eine Betreuungssituation abgebt, egal ob es der Kindergarten, die Tagesmutter oder Oma und Opa sind, dann ist die eine Seite das partielle Loslassen, die andere ist aber auch die Rückeroberung eures eigenen Lebens- und Arbeitsraums. Manchen von euch fällt es leichter, weil ihr euren Job vermisst habt, anderen vielleicht schwerer, weil euch nichts anderes übrig bleibt, als wieder arbeiten zu gehen. Egal zu welcher Gruppe ihr gehört, nichts ist mehr so wie früher. Im Hintergrund läuft immer die Frage nach dem Wohlergehen eures Kindes mit, und sei es „nur“ die Frage, ob ihr es rechtzeitig zum Abholen zur Kita schafft.

Ihr müsst darauf gefasst sein, dass es auf die eine oder andere Art eine schwierige Situation ist. Wir möchten hier nicht von Belastung sprechen, weil es auch Menschen gibt, denen sie Freude bereitet. Aber ihr müsst einen neuen Rhythmus entwickeln und gleichzeitig damit leben, dass euer Kind immer mehr lernt und kann, von dem ihr gar nicht mitbekommen habt, wie es zustande kam.

Und hier schließt sich der Kreis, kaum ist euer Kind schulreif, schon sucht ihr nach der passenden Ausrüstung, um es für die Schule vorzubereiten. Oft vergeht die Zeit so schnell, dass ihr gar nicht mitbekommen habt, dass euer Kind von seiner Wissbegierde getrieben jetzt endlich die Welt der Zahlen und Buchstaben entdecken möchte. Höchstens das Wort „warum“, das ihr vermutlich manchmal aus dem Vokabular streichen möchtet, hat euch daran erinnert.

Für die meisten von euch ist es bestimmt keine Frage, auf welche Grundschule euer Kind gehen wird, entweder weil es nur eine in der unmittelbaren Nähe gibt oder weil ihr eine Schule durch das Schulamt zugeteilt bekommt. Aber immer mehr Eltern möchten Einfluss darauf nehmen, auf welche Schule ihr Kind geht. Das führt sie entweder zu Privatschulen oder im Extremfall zu einem Umzug, um im „richtigen“ Einzugsgebiet der „richtigen“ Schule zu wohnen. In Kapitel 2 werden wir ein bisschen mehr auf die Schulwahl schauen, hier geht es erst einmal darum zu fragen, warum sie wichtig sein kann.

Lernen und Motivation

Lasst uns einen kleinen Ausflug in die Welt der Bedürfnisse und eine Bestandsaufnahme machen: Was sind eigentlich eure Bedürfnisse und was die eures Kindes?

Ist Lernen überhaupt ein Bedürfnis? Wollen und brauchen wir das überhaupt? Die einfache Antwort ist ein Ja, nur die Frage ist, woher kommt das? Wir werden als Lernende geboren, jeder von uns. Wenn das nicht so wäre, könnten wir nicht überleben. Am Anfang lernen wir, um unsere Grundbedürfnisse zu befriedigen. Wir müssen essen und trinken, brauchen ein Dach über dem Kopf. Maslow1 bezeichnet diese in seiner Bedürfnispyramide als Grund- oder Existenzbedürfnisse, denen Sicherheits- und Sozialbedürfnis folgen. Schutz durch unsere Eltern, ihre Liebe und Unterstützung, aber auch Anerkennung, sei es in der Familie, bei Freunden oder in der Schule, gehören ebenfalls dazu. In seinem Ursprungsmodell identifiziert Maslow darüber hinaus das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung – und da liegt der Hase im Pfeffer. Wenn wir uns nicht entwickeln und lernen, werden wir nicht dorthin kommen können, wo wir hinmöchten. Um aber unser Ziel erreichen zu können, bedarf es einiger Faktoren: das richtige Umfeld, Motivation und lebenslanges Lernen.

Das Letztere ist immer auf die eine oder andere Art möglich, und das verdanken wir der Neuroplastizität unseres Gehirns. Schon mal gehört? Lange war man der Überzeugung, dass wir mit zunehmendem Alter nicht mehr lernen, sondern nur noch verlernen können. Mit der modernen Forschung wurde aber nach und nach deutlich, dass unser Gehirn plastisch ist, das heißt: Es ist formbar und dynamisch, es bleibt nicht ein Leben lang gleich, sondern es kann sich ständig verändern und anpassen – ein ganzes Leben lang.

Jedes Mal, wenn wir etwas Neues lernen, werden neue Pfade im Gehirn angelegt. Jeder kennt doch diese kleinen Trampelpfade, die irgendwo quer über eine Wiese laufen und meistens an einer Bushaltestelle enden. Wo zunächst noch überall hohes grünes Gras wuchs, wird aus einem häufig genutzten Pfad ein erkennbarer Weg. So funktioniert das auch im Gehirn. Wenn du das erste Mal Golf spielst, dann werden passende Neuronen oder Nervenzellen, die Reize weiterleiten, gebildet, ebenso wie Synapsen, die unterschiedliche Neuronen miteinander verknüpfen. Je häufiger du dann den Golfschläger schwingst, desto mehr erforderliche Neuronen und Synapsen entstehen und desto mehr wird dieser Pfad gestärkt. Dadurch fällt es uns leichter, Dinge, die wir schon oft geübt oder angewendet haben, abzurufen. Dein Gehirn lässt sich also darauf ein, alles zu lernen – wenn du es genügend fütterst! Und das bis ins hohe Alter.

Wir lernen aber langsamer oder über die Jahre womöglich immer weniger, wenn die ersten beiden Bedingungen, also das richtige Umfeld und die Motivation nicht vorhanden sind oder nur sehr reduziert zur Verfügung stehen. Wie sieht es mit eurer Motivation aus? Schon mal drüber nachgedacht?

Lernen findet zwar ständig und überall statt, aber nicht immer unter gleichermaßen günstigen Bedingungen, deshalb ist es wichtig, ein Augenmerk darauf zu haben, wie sich das Lernumfeld gestaltet.

Als günstiges Lernumfeld bezeichnen wir einen (Lebens-)Raum, in dem sich Kinder sicher fühlen und bereit sind, Risiken beim Lernen einzugehen. Sie wissen, dass Eltern und Lehrende im Hintergrund stehen, die ihnen genug Freiheit geben, sich auszuprobieren, aber ihnen helfen, wenn es eng wird. In diesem Umfeld geht man wertschätzend und achtsam miteinander um und versucht nicht, durch Drohung oder gar Strafe Macht zu demonstrieren. Hier gibt man sich gegenseitig durch Respekt, klare Grenzen und Aufgabenzuteilung Sicherheit.

Kinder, Eltern und Lehrende haben alle eine bestimmte Rolle im Lernprozess. Diese können so gestaltet werden, dass alle miteinander auf Augenhöhe sind. Sicherlich macht es auch Spaß, ab und an in die Rolle des anderen zu schlüpfen, um dann umso wertschätzender seinen eigenen Anteil am Gelingen beizutragen.

Die gute Nachricht ist: Kinder sind immer motiviert! Von sich aus sind sie kleine Lern-Kampfroboter, die gar nicht stillstehen: „Mehr“, „noch mal“ und „warum“ lautet ihr Motto, und sie sind nicht nur ständig Lernende, sie sind auch ausdauernde Lehrende. Wir haben mehr als einmal von Eltern gehört, dass sie von ihren Kindern unendlich viel lernen. Es handelt sich dabei sicherlich nicht um höhere Mathematik, aber um viele wertvolle Ideen und Sichtweisen. Die schlechte Nachricht lautet allerdings: Wenn die Motivation erst mal durch Regeln und Verbote, durch Befehle wie „Du musst jetzt aber das und nicht das machen“ zu Grabe getragen wurde, ist es fast unmöglich, sie wieder zu entflammen, schon gar nicht von außen und mit Druck. Ebenso kontraproduktiv ist es, Lernwünsche und Interessen eines Kindes zu unterdrücken, weil in dieser Zeit noch Hausaufgaben „nur“ fürs Erreichen einer guten Zensur gemacht werden müssen. Zuckerbrot und Peitsche dienen nicht der Motivation.

Und das ist unser Problem. So, wie Schule bis in die heutige Zeit im Wesentlichen funktioniert, fehlt häufig etwas, um Menschen zu motivieren, für sich selbst zu lernen. Aber eigentlich möchte jeder Mensch, der Kinder hat, dass es seinem Kind gut geht, und wird das Beste dafür tun. Auch ihr fühlt euch verantwortlich dafür, dass euer Kind eine gute Schulbildung bekommt.

Durch die Entwicklung der letzten Jahrzehnte und den Input der Bildungsforschung ist der Ort Schule nicht mehr nur eine Blackbox, in die Kinder morgens hineingehen und mittags wieder herauskommen, mit neuem Wissen und Hausaufgaben. Schule ist ein eigenes Universum, zu dem ihr als Eltern oft nur bedingt Zugang habt. Das wollen wir ändern. Dazu müssen wir aber erst einmal verstehen, was Schule eigentlich ist und welche Entwicklung – vor allem in sozialer Hinsicht – eure Kinder dort durchlaufen.

Schule, was ist das eigentlich?

Erinnert ihr euch noch an euren ersten Schultag? Wisst ihr noch, wie eure Schultüte aussah? Und wusstet ihr, dass es eine feierliche Einschulung eigentlich nur in Deutschland gibt? In anderen Ländern werden die Kinder einfach am ersten Tag hingebracht und gut ist.

Was glaubt ihr, was sich seit eurer Einschulung in der Schullandschaft verändert hat und welche Konsequenzen das für euer Kind und euch selbst hat? Ist es einfacher, heute Schulkind zu sein als zu der Zeit, als ihr zur Schule gegangen seid, oder schwerer? Haben eure Kinder ein schöneres und vielfältigeres Lernumfeld? Und wie sieht es mit der Wahl der Schule aus? Was waren die typischen Kommentare von euren Eltern, wenn es um Schule ging, und welche davon habt ihr übernommen?

Eure Kinder werden eingeschult, aber was ist eigentlich Schule? Auf den ersten Blick scheint das ganz einfach zu sein: eine Einrichtung, die Kinder und Jugendliche im Alter von 6 bis 16 Jahren besuchen müssen, um die grundlegenden Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben und Rechnen zu erlernen. Über diese Definition hinaus ist Schule über die Zeit hinweg auch zu einem Lebensraum geworden.

Der Gedanke, gemeinsam an einem Ort zu lernen, ist nicht neu. Bereits im 4. Jahrtausend vor Christus gab es bei den Sumerern Schulen. Sie wurden von den Kindern, die sie besuchen durften, sehr wohl geschätzt, denn es bedeutete, nicht auf dem Feld oder im elterlichen Handwerksbetrieb arbeiten zu müssen. Der Schulbesuch kostete Geld und blieb oft nur der Gesellschaftsschicht vorbehalten, die es sich leisten konnte.

Diese Struktur blieb über die Jahrtausende gleich. Der Gedanke einer Schule, wie wir sie heute kennen, existiert hingegen erst gut 350 Jahre und wurde im Jahr 1657 von dem Gelehrten Comenius eingefordert: Jeder sollte zur Schule gehen dürfen.

In Deutschland besteht die allgemeine Schulpflicht seit 1919 und bezog sich zunächst nur auf die Volksschule, die acht Jahre dauerte. Trotz dieser allgemeinen Schulpflicht bedeutete das noch lange nicht, dass alle dieselben Möglichkeiten hatten, denn der Besuch einer sogenannten höheren Schule war in der BRD bis in die 1950er-Jahre kostenpflichtig.

Inzwischen ist das überwiegend nicht mehr der Fall, nachdem 1964 Georg Picht den Begriff der „Bildungskatastrophe“ prägte und damit die Politik zum Handeln zwang. Von einer Bildungskatastrophe wird in Deutschland schon seit fast 60 Jahren gesprochen, und auch wenn sich seitdem einiges getan hat, scheinen sich immer wieder neue Probleme aufzutun. Eines davon ist der Föderalismus, der bildungspolitische Entscheidungen auf Bundesländerebene trifft und regelt. Das führt zu vielen landesspezifischen Unterschieden in der Beschulung, und das macht jegliche Einheitlichkeit und damit auch eine deutschlandweite gute Schulbildung unmöglich. Wer dafür die Verantwortung trägt, ist umstritten. Ohne in diesem Buch weiter in dieses bedeutungsvolle Thema einzusteigen, wird klar, dass dies für alle Eltern schulpflichtiger Kinder Konsequenzen hat. Denn in der Hoffnung, höhere und bessere Bildungschancen zu erreichen, entscheiden sich manche Familien, die es sich leisten können, für einen Schulplatz an einer privaten Schule.

Schule, wofür ist sie gut?

Schule ist also ein Ort, an dem wir lernen, aber das können wir eigentlich auch woanders, was uns die Monate des Fernunterrichtes während der Corona-Pandemie gezeigt haben. Wozu also in die Schule gehen, um dort zu lernen? Um das beantworten zu können, müssen wir uns erst einmal deutlich machen, was Lernen eigentlich ist. Alles, was wir uns als neue Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissen aneignen, ist Lernen. Es kann bewusst oder unbewusst stattfinden bzw. mit Absicht oder unabsichtlich – und überall. Lernen findet anhand dieser Definition nicht nur in der Schule statt. Wenn ich ein Instrument erlerne, dann ist das ein ganz bewusstes Lernen, für das ich mich entschieden habe und das in der Regel zu Hause oder auch in einer Musikschule oder einem Verein stattfindet. Beim Lesen eines Buches kann ich unbeabsichtigt neue Informationen aufnehmen, nach denen ich nicht gesucht habe, die aber meinem Gedächtnis als so relevant erscheinen, dass es sie abspeichert. Der Ort aber, an dem ich dieses Buch lese, ist dabei weniger wichtig. Wichtig ist aber, dass wir ständig lernen, an vielen Orten, ganz allein, mit anderen, durch Medien und durch eigenes Tun. Welche anderen Orte und Lernvarianten oder -inhalte gehören für euch eigentlich noch zum Lebensraum Schule? Welche finden an anderen Orten statt? Welche sind das?

Egal was wir lernen, wir lernen immer und fast alles von unserer unmittelbaren Umwelt. Unsere Eltern, Geschwister und Nachbarn sind mindestens genauso wichtig, und in den ersten Jahren noch viel wichtiger als unsere Erzieher, Erzieherinnen, Lehrer und Lehrerinnen. Sportvereine, Musikschulen und Freunde spielen eine Rolle und die Medien sowieso. Und ganz nebenbei sind wir nicht nur Lernende, immerzu, sondern auch Lehrende. Wie sonst sollten unsere Eltern verstehen, dass wir Äpfel nicht mögen, wenn wir sie nicht jedes Mal im hohen Bogen ausspucken würden? Die Konstellationen sind also vielfältig und vielschichtig. Was also ist so wichtig daran, in der Schule zu lernen?

Welche Aufgaben hat Schule?

Fangen wir mit dem Offensichtlichen an. Oft wird davon gesprochen, dass Schule der Ort von Wissensvermittlung ist. Wir möchten das aber gerne umbenennen und von Wissensaufbau sprechen. Der Begriff Wissensvermittlung ist für uns zu unstrukturiert und wirkt beliebig, wir denken da an den Nürnberger Trichter, durch den alles in Kinder gleichsam hineingekippt wird. Der Lehrstoff wird an den oder die Lernende herangetragen, das bedeutet aber nicht, dass diejenige ihn dann auch tatsächlich annimmt bzw. behält.

Wissensaufbau jedoch geht davon aus, dass Lerninhalte und Gelerntes miteinander in Verbindung stehen und aufeinander aufbauen können, sich also gegenseitig – auch fächerübergreifend – verstärken. Idealerweise entsteht ein tragendes Fundament, das, analog zu den Hängenden Gärten von Babylon in der sumerischen Hochkultur, Wissensgärten entstehen lässt, die blühen und wachsen, doch auch ständiger Pflege bedürfen. Wissen, das nicht genutzt wird, verkümmert.

Man kann Wissen auch mit einer Kiste voller Bausteine vergleichen. Bei der Wissensvermittlung werden alle Teile einfach nur in die Kiste getan, damit alles schön ordentlich weggeräumt ist. Dann ist zwar nach außen hin alles sortiert, also an alle Inhalte des Lernplans ein Haken gemacht, aber in der Kiste herrscht oft heilloses Chaos.

Sobald die Teile auf dem Boden verteilt sind und das Kind mit seinen Ideen und seiner Kreativität etwas daraus entstehen lässt, können wir von Wissensaufbau sprechen. Es wird gebaut und zusammengefügt und so entstehen fantastische Gebilde, die alle eine Geschichte haben.

Manchmal bleiben einfach Steine übrig, weil sie nicht gebraucht wurden. Das sind dann die Teile, auf die ihr tretet und die euch laut aufschreien lassen. Wir finden das kreative Chaos außerhalb der Kiste genau richtig, denn genau hier findet der Wissensaufbau statt. Der Gedanke, dass alle gleichzeitig das Gleiche lernen können, ist veraltet und bei genauem Hinsehen auch vollkommen unlogisch, denn wir alle haben nicht nur unterschiedliche Geburtsdaten, sondern auch Veranlagungen.

Wie genau passiert aber dieser Wissensaufbau? Wenn wir ehrlich sind, dann ist das von Schule zu Schule, ja eigentlich von Lehrerin zu Lehrer und von Kind zu Kind anders. Wir alle kennen das aus unserer Schulzeit. Es gab Lehrende, bei denen haben wir uns alles gemerkt und das Lernen ging leicht von der Hand, und bei anderen konnte die Stunde nicht schnell genug vorbei sein.

Lernen in der Schule – ein paar alte und ein paar neue Ideen

Lasst uns den Blick vom Lehrenden zu den Lernenden wenden, denn dann bekommt Wissensaufbau eine ganz neue Bedeutung. Als kleine Kinder lernen wir durch Nachahmung. Diese Fähigkeit bleibt uns auch noch zu Anfang der Schulzeit, so etwa bis zur dritten Klasse, in abgeschwächter Form erhalten. Weshalb es uns häufig genug verwundert, was Kinder, die weder schon lesen, schreiben noch rechnen können, schon alles behalten.

Es bestehen verschiedene Theorien, wie Kinder am besten lernen, und noch mehr Ansätze, wie dieses Lernen im Schulkontext umgesetzt werden kann. Reformpädagogische und alternative Schulkonzepte sind allerorten zu finden. Im Lernumfeld des innovativen Bildungszentrums aus Barcelona namens „Learnlife“2 zum Beispiel bestimmen Schüler selbst, womit sie sich beschäftigen. Sie können sich Projekte aussuchen, die auch außerhalb der Schule einen Sinn ergeben – zum Beispiel in der freien Wirtschaft oder in anderen Einrichtungen wie Kitas oder Hilfsprogrammen. In der Evangelischen Schule Berlin Zentrum spricht man nicht mehr von Lehrenden, sondern von „Lernbegleitern“3. Auch hier sind Lernprozesse den Lernenden überlassen, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Allen neuen Ansätzen, egal ob an staatlichen oder privaten Schulen, ist aber eins gemeinsam: Lernen ist kein passiver Prozess. Inhalte müssen von unserem Gehirn aktiv „ergriffen“ und zusammengesetzt werden, um sich verankern zu können. Die Bedingung dafür, dass unser Gehirn dazu bereit ist, ist nicht die Tatsache, dass wir auf einem Stuhl an einem Tisch in einem Raum sitzen, der zu einem Gebäude gehört, das sich Schule nennt.

In den letzten Jahren hat sich das Verständnis mehr und mehr durchgesetzt, dass das Lernen von singulären Wissensblöcken nicht nachhaltig ist. Das klassische Lernen für den Test, um eine gute Zensur zu bekommen, ist zwar immer noch weit verbreitet, deshalb aber nicht effektiv. Oft ist alles Erlernte nach dem Test wie weggeblasen.

Wer lernt, muss eine Sinnhaftigkeit in diesem Lernen erkennen oder zumindest wahrnehmen. Warum ist es wichtig, Maßeinheiten zu kennen? Im alltäglichen Leben begleiten sie uns ununterbrochen. Will ich etwas backen, muss ich ein Verständnis von Gramm und Kilogramm haben. Möchte ich einen Schrank kaufen, der genau an diese eine Wand passt, ist es wichtig, dass ich mit Metern, Zentimetern und Millimetern umgehen kann. Und so weiter. Das bedeutet, dass mit lebenspraktischem Lernen auch denen, die mit der Abstraktion von Zahlen zu kämpfen haben, ein Zugang zu diesem Wissen geschaffen werden kann.

Ein anderer Ansatz, Lernen zu vernetzen, sind Projekte, die nicht nur den praktischen Sinn von Inhalten vermitteln, sondern auch verschiedene Bereiche zusammenbringen. Das kann zum Beispiel ein Projekt sein, bei dem Lernende ein Video oder einen Podcast in der zu lernenden Fremdsprache zu einem bestimmten landeskundlichen oder Geschichtsthema präsentieren. Neben den sprachlichen Fähigkeiten werden Medienkompetenz, Teamwork, Recherche und Inhalt sowie Zeitmanagement miteinander verknüpft.

Gelerntes Wissen der Art, wer zum Beispiel 1970 Bundespräsident war, ist hier nicht mehr gefordert, sondern der Fokus liegt darauf, Kompetenzen zu fördern, die auch außerhalb der Schule in anderen Kontexten hilfreich sind. Schlüsselkompetenzen nannte man das in den 1990er-Jahren, heute wird oft von Skills gesprochen. Vor allem an den klassischen Reformschulen wie Montessori- und Waldorfschulen, die beide bereits rund 100 Jahre existieren, ist der Gedanke des lebenspraktischen Bezugs des Lernens wichtig.

Aber auch an staatlichen Schulen gibt es viele Ansätze, das Lernen anders zu definieren, als ihr es als Eltern vielleicht noch erlebt habt. Klassenverbände werden aufgelöst und es gibt Lerngruppen, Fächer wie „Verantwortung“ werden eingeführt und statt Zensuren gibt es Lerngespräche. Am deutlichsten zeigt sich diese Veränderung oft in der Diskussion, wie Kinder lesen und schreiben lernen sollen. Die einen schwören auf Fibeln, andere sind der Ansicht, dass das phonetische Schreiben ein guter Ausgangspunkt ist. Und alles Mögliche dazwischen, das gibt es auch.

Schulen sind also im Prozess, vieles neu zu denken. Und ihr als Eltern und als Lehrende, die ihr den Anspruch habt, vieles neu und besser zu machen, lauft immer wieder in dieselbe Falle: Ja, wir alle wollen das Beste für die Kinder! Ja, wir möchten, dass es ihnen gut geht und dass sie glücklich werden! Aber niemand weiß so genau, wie das aussehen müsste. Und wenn wir viele Wünsche und erste konkrete Ideen hätten, wir wüssten einfach nicht, wo wir anfangen sollten. Welche Wünsche habt ihr (nicht) für euer Kind?

Oft stehen altmodische und unnötige Vorurteile einer positiven Veränderung im Weg: „Also, als ich zur Schule ging, da habe ich das aber so und so gelernt!“, „Das ist doch die Aufgabe der Schule/Eltern“ oder „Ich habe keine Zeit, keine Kraft, keine Lust … mich zu engagieren“. Das gilt sowohl für die Lehrenden als auch für die Eltern. Oft lautet die Frage einfach, wo ihr am besten anfangt und was ihr einsetzen und erreichen möchtet.

Auf der Suche nach den Voraussetzungen dafür, wie Schule erfolgreich glückliche, selbstwirksame, lebenslang Lernende hervorbringen kann, veröffentlichten John Hattie und Kollegen4