Generation Beziehungsunfähig. Die Lösungen - Michael Nast - E-Book
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Generation Beziehungsunfähig. Die Lösungen E-Book

Michael Nast

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Beschreibung

Michael Nast, seit seinem Nr.-1-Bestseller das Sprachrohr für die Generation Beziehungsunfähig, hat neue Nachrichten für seine Leserschaft: Den Traumpartner unserer Vorstellungen, der unseren mannigfaltigen Anforderungen entspricht, gibt es nicht! Die Gründe für das ständige Scheitern unserer Dates und Beziehungen sind unsere falschen Idealvorstellungen, gepaart mit dem eigenen Selbstoptimierungswahn und unserer Darstellungswut in den sozialen Medien. Dem Ganzen setzt die Oberflächlichkeit und Unverbindlichkeit der heutigen Dating-Apps Tinder und Co. dann noch die Krone auf. In seinem neuen Buch "Generation Beziehungsunfähig: Die Lösungen" zeigt der Berliner, wie wir unser Verhalten ändern können – denn wir selbst ziehen uns die "Nieten" an Land. Um das zu vermeiden, müssen wir an uns arbeiten – aber eben nicht im Sinne der selbstdarstellerischen Selbstoptimierung! Sondern, indem wir uns selbst besser kennenlernen und verstehen. Michael Nast zeigt seinen Lesern und Leserinnen, dass sie mit ihren Problemen einen Partner zu finden nicht allein sind – und was Lösungswege aus dem Dilemma sein können.

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Inhalt

Das Talent, die falschen Fragen zu stellen

Ein Blick in unsere Psyche

Bindungstypen

Warum Frauen so oft an Gestörte geraten – und Männer an Psychopathinnen

Konsumenten der Liebe

»Tinder für Hässliche«

Liebe ist langweilig

Es gibt keine Liebe in der Komfortzone

Die Versicherungsvertreter der Liebe

Streitet miteinander!

Was die Art, sich zu streiten, über den Zustand einer Beziehung sagen kann

Die Schuld der anderen

Wenn wir die Schuld bei anderen suchen

Vermeidungsstrategien

Die 200 wichtigsten Punkte meiner Traumfrauliste

Die störenden Details

Ein Volk von beziehungsunfähigen Narzissten

Selbstoptimierung ohne Grenzen

Die Diktatur von Instagram

Was aus der Schönheit geworden ist

50 ist das neue 20

Über eine Gesellschaft, die von der Jugend besessen ist

Es kommt eben nicht nur auf die inneren Werte an

Wie wir immer mehr Menschen auf das Äußere reduzieren

Tinder trotz Beziehung

Wie wir uns in der ewigen Suche nach etwas Besserem verfangen haben

Empathie gibts nicht im Appstore

Das Wesen der Notgeilheit

Wie Tinder & Co. unsere hässlichsten Seiten zum Vorschein bringen

Die unverbindliche Leichtigkeit des Seins

Wie moderne Technologien unsere sozialen Beziehungen verändern

Wir interpretieren und interpretieren und interpretieren

Die Wirkung fehlender Details

Wir können ja Stalker bleiben

Was die Transparenz moderner Kommunikationsformen mit uns macht

Smartphone-Abhängigkeit

Wie wir uns an moderne Technologien angepasst haben – obwohl es eigentlich umgekehrt sein sollte

Persönlichkeitsstörungen gibts im Appstore

Wie wir mit WhatsApp und Co. eine schlechtere Version unserer selbst kultivieren

Liebe ist eine Entscheidung, die man trifft

Weiterführende Literatur

Das Talent, die falschen Fragen zu stellen

Der Experte für die Liebe

Es gibt Momente, die etwas in einem lösen. Momente, die ein Hindernis entfernen, das einen lange davon abgehalten hat, einen schon oft begonnenen Gedankengang zu Ende zu führen. Im vorletzten Sommer gab es einen dieser Momente, als ich mich auf der Terrasse des Berliner Soho House mit zwei Freunden unterhielt und plötzlich spürte, wie sich eine Hand auf meine Schulter legte. Ich wandte mich um und blickte in das Gesicht einer Frau, die mir unbekannt war. Sie lächelte allerdings, als würden wir uns kennen. Ich versuchte, ihr Gesicht in einen Zusammenhang zu bringen, aber ich fand keinen Anhaltspunkt, woher wir uns kennen könnten.

Dann sagte sie: »Du bist doch der Mann, der sich mit der Liebe so gut auskennt.«

»Nicht wirklich«, erwiderte ich, ohne nachzudenken. »Ich bin wohl eher der Mann, der sich mit der unerfüllten Liebe so gut auskennt.«

Wir mussten unvermittelt lachen, und jetzt war mir auch klar, woher sie mich kannte. Sie war eine Leserin.

Der Mann, der sich mit der unerfüllten Liebe auskennt, dachte ich. Ich war selbst erstaunt über diese Antwort, mit der ich eigentlich nur eine Pointe setzen wollte. Schließlich habe auch ich lange angenommen, dass die Liebe der Antrieb meines Schreibens ist. Aber das war ein Irrtum, offenbar hatten wir meine Bücher beide falsch verstanden.

Ich hatte vier Beziehungen in meinem Leben, meine längste hat knapp drei Jahre gehalten. Sie endeten, bevor richtige Liebe überhaupt entstehen konnte. Trotzdem gelte ich als Experte für Liebe und Beziehungen. So gesehen bin ich ein Paradoxon. Wenn ich mich frage, warum das so ist, liegt es vielleicht daran, dass man am besten über Dinge schreiben kann, nach denen man sich sehnt. Die Sehnsucht idealisiert die Dinge. Ich schreibe auf, wie es sein könnte.

Genau genommen kenne ich mich nicht mit der Liebe aus, ich kenne mich damit aus, wie Liebe eigentlich sein sollte. Es ist eine poetische Idee von Liebe, die vom Alltag befreit ist. Das macht sie so verheißungsvoll, aber auch unerreichbar. Liebe entsteht mit der Zeit. Sie entsteht, wenn in einer Liebesbeziehung so viel Geborgenheit und Vertrauen entstanden ist, dass sie zu einer Heimat geworden ist. Und um diese Tiefe zu erreichen, braucht man mehr Zeit, als die meisten Beziehungen halten. Auch meine. Ich gab auf, bevor Liebe, nach der ich mich so sehne, überhaupt entstehen konnte.

Ich spürte, wie unser kurzer Dialog bereits dabei war, Gedanken in Gang zu setzen, die zwei Fragen beantworten sollten, die mich und mein Schreiben schon lange beschäftigten: warum es mir so schwerfällt, mich auf eine Frau einzulassen, und warum meine Beziehungen nie lange genug halten. Und jetzt verstand ich auch, was mich so lange daran gehindert hatte, den begonnenen Gedankengang zu Ende zu führen: Er führte zu einer unbequemen Wahrheit.

Einer unbequemen Wahrheit, die zu weiteren, unbequemeren Wahrheiten führte.

Als im Jahr 2016 mein Buch Generation Beziehungsunfähig erschien, löste es eine monatelange Debatte aus, die mehrere Länder erfasste. Es gab unzählige Artikel, Fernsehberichte und Blogbeiträge, in denen diskutiert und analysiert wurde, warum es den jüngeren Generationen so schwerfällt, Beziehungen zu führen, ob sie überhaupt lieben können. Das Buch wurde in vielen europäischen Ländern veröffentlicht, was ich nachvollziehen konnte. Mich überraschte allerdings, dass es auch in Taiwan, Südkorea und Japan erschien, die in einem vollkommen anderen Kulturkreis liegen. Ich beschrieb offensichtlich ein universelleres Problem, als ich angenommen hatte.

Es war ein seltsames Gefühl zu beobachten, wie sich ein Begriff, den ich mir ausgedacht hatte, verselbstständigte. Psychologen wurden panisch, weil viele ihrer Patienten bei sich selbst oder ihren Partnern eine Beziehungsunfähigkeitsstörung diagnostizierten. Es wurden Bücher geschrieben, die auf mein Buch reagierten. Kluge Bücher von Psychologen, in denen es Fragebögen und Selbsttests gab, Anleitungen und Arbeitsanweisungen, um eine gesunde Beziehung führen zu können.

Ein Jahr darauf nahm ich an, dass sich das Thema erledigt hatte. Dass alles dazu gesagt und geschrieben worden war. Offen gestanden wollte ich mich auch nicht mehr mit diesem Thema beschäftigen, denn ich hatte genug. Ich war satt. Als hätte ich einen Song, der mir eigentlich gefiel, zu oft gehört, um ihn noch mögen zu können.

Ich schrieb einen Roman und dann ein Buch, das sich damit beschäftigte, wie der Mauerfall in mein Leben als vierzehnjähriger Ostberliner geschnitten war und was die darauffolgenden Jahre im Kapitalismus mit mir gemacht haben. Aber schon während ich an diesen Büchern schrieb, sprachen mich immer mehr Menschen darauf an, dass sich im Liebesleben vieler trotz aller Debatten und Anleitungen eigentlich nichts geändert hatte. Das Wort »eigentlich« hat einen Grund, denn es schien sich doch etwas geändert zu haben: Es war schlimmer geworden.

Vergangenes Jahr sah mich eine Frau bewundernd an, als ich erwähnte, dass meine längste Beziehung knappe drei Jahre gehalten hat.

»Das ist ja schon sehr lange«, sagte sie. Der Satz enthielt keinen ironischen Unterton. Sie meinte das offensichtlich ernst.

Ich dachte an das nachsichtige Lächeln, mit dem dieser Umstand noch vor einigen Jahren beantwortet wurde. Ein Lächeln, das auch erzählte, dass ich bemitleidet wurde. Heute bin ich mit solchen Zahlen offensichtlich ganz vorne mit dabei. Das war der Moment, in dem ich spürte, dass etwas gekippt ist.

Es ist ja erwiesen, dass die wenigsten von uns eine Beziehungsunfähigkeitsstörung haben. Trotzdem ist es offensichtlich schlimmer geworden. Das eigentliche Problem scheint also woanders zu liegen.

Ich kenne eine Frau, die seit fünfzehn Jahren in Therapie ist. Sie wechselt ihre Psychologen in regelmäßigen Abständen. Ihr Ziel scheint es nicht zu sein, irgendwann austherapiert zu sein, sie versteht die Therapie offenbar als Teil ihres Lebensstils. Ähnlich geht es vielen offenbar mit der Liebe. Sie haben sich auf dem Weg verfangen. Die erfolglose Suche nach Liebe ist zu einem Teil ihres Lebensentwurfs geworden. Das war die unbequeme Wahrheit, die ich mir nicht eingestand: Die unerfüllte Sehnsucht nach einer Beziehung ist zu einem Lifestyle geworden.

Es ist offensichtlich eine große uneingestandene Wahrheit unserer Zeit: Wir reden uns ein, dass es uns um Liebe geht, aber das ist ein großer Selbstbetrug – die Sehnsucht nach der Liebe ist offenbar wichtiger geworden als die Liebe selbst.

Wenn man sich nach Liebe sehnt, empfindet man dieses schöne und tiefe Gefühl als die Lösung. Es gibt ja den wundervoll ironischen Satz: »Wenn das die Lösung ist, will ich mein Problem zurück.« Besser lässt sich die Haltung nicht zusammenfassen. Offensichtlich haben sich viele entschieden, das Problem zu pflegen und nicht an einer Lösung zu arbeiten.

Auch ich nicht.

Denn genau genommen hat sich trotz meiner Erkenntnisse und Einsichten in meinem Liebesleben nichts geändert. Ich bin immer noch Single, oder wieder. Ich breche Beziehungen schneller ab, die Frauen, mit denen ich mich treffe, werden gefühlt immer instabiler. Trotz der Anleitungen, die ja auch mir zugänglich sind, ist es auch in meinem Leben schlimmer geworden.

Das Thema war wieder da. Eigentlich war es nie weg.

Die richtigen und die falschen Fragen

In einem Artikel habe ich mal gelesen, dass eine harmonische Beziehung funktionierende Haushaltsgeräte brauche. Es wäre schön, wenn das so einfach wäre, aber ich fürchte, es hängt nicht nur von der Technik ab. Meine Probleme liegen jedenfalls woanders. Sie entstehen vor der Beziehung. Meine Gefühle überleben häufig nicht einmal die Kennenlernphase. Sie sterben, bevor aus ihnen Verliebtheit oder Liebe entstehen kann. Die Todesursachen können verschieden sein.

Meine Freunde und Familienmitglieder fragen sich seit Jahren ratlos, warum es mir so schwerfällt, eine Frau zu finden, auf die ich mich auch einlassen möchte.

»Du bist einfach zu wählerisch«, sagen die Skeptischen.

»Bei dir entscheiden doch immer schon Kleinigkeiten gegen eine Frau«, sagen die Vernünftigen.

»Du gerätst nur an gestörte Frauen«, sagen die Empfindsamen.

»Ja«, sagte ich mit einer leichten Tragik in der Stimme. »Und sie werden immer gestörter.«

Sie geben die Antworten, die ich mir selbst gebe. Und diese Antworten trafen ja auch zu, aber mein Denkfehler war die Voraussetzung, aus der sie entstanden: Es waren Antworten auf die falschen Fragen. Offensichtlich besitze ich das große Talent, die falschen Fragen zu stellen.

Mein Liebesleben setzte sich im Grunde genommen aus einer Folge abgebrochener Anfänge zusammen. Wenn ich auf meine zahllosen Dates der letzten Jahre zurückblicke, aus denen keine Beziehung entstand, auf die vielen Argumente, die schon bei ersten Dates auftauchten, um gegen die Frau zu sprechen, die Kleinigkeiten, aus denen ich auf den ganzen Menschen schloss, fügten sich meine Liebesbeziehungen zu einer Aneinanderreihung von Gründen, um einer Beziehung aus dem Weg zu gehen.

Ich idealisierte, stellte Listen auf, in denen ich meine Traumfrau zusammenstellte, als könnte man sich die Eigenschaften einer Seelenverwandten aus einer Art Lifestylekatalog zusammenstellen. Ein Katalog, dessen Inhalt in die Farben getaucht war, die den farbkorrigierten Bildern moderner Kinofilme und Netflix-Serien ähnelten.

Schon bei ersten Dates prasselten die Gründe auf mich ein, die gegen die Frau sprachen. Es waren Argumente, die gegen sie und gleichzeitig gegen eine Beziehung sprachen. Ich ging nicht den Frauen aus dem Weg, ich ging einer Beziehung aus dem Weg. Ich war so beschäftigt mit der Sehnsucht nach einer idealen Liebe und der Frau, die in diese ideale Vorstellung passte, dass ich etwas Entscheidendes übersah. Ich übersah, dass ich alles dafür tat, um einer Beziehung auszuweichen.

Wir sind in der privilegierten Lage, die Liebe zu einem Luxusproblem erheben zu können. Ein Privileg, an dem viele scheitern. Auch ich. Es ist ja so: Ich möchte eine Beziehung nicht ertragen müssen. Ich möchte, dass sich beide Partner Halt geben, und auch Kraft. Es geht mir darum, die Frau zu finden, die das Beste in einem zum Vorschein bringt – und nicht das Schlechteste. Aber ich blende erfolgreich aus, dass Beziehungen Arbeit und Ausdauer erfordern. Dass man sich auf jemanden einlassen und verletzbar sein muss.

»Nur der verdient die Liebe, der täglich sie erobern muss.« Das hat Goethe einmal gesagt. Ich frage mich allerdings, ob wir bereit sind, sie täglich aufs Neue zu erobern.

Ich bin es offensichtlich nicht. Und so wie es aussieht, bin ich mit dieser uneingestandenen Wahrheit nicht unbedingt die große Ausnahme, die die Regel bestätigt.

Verliebtheit ist reines Gefühl, aber Liebe ist eine Entscheidung. Man muss Liebe wollen. Aber die meisten wollen offenbar nicht. Man sieht immer nur Hindernisse. Der Weg ist reizvoller als das Ziel, denn das Ziel ist mit Einschränkungen verbunden. Wir haben uns in die Idee des Verliebtseins verliebt. Und nicht in einen Menschen. Wir gefallen uns im Theoretischen und versagen in der Praxis. Die unerfüllten Illusionen scheinen uns lieber zu sein. Wir ziehen die Illusion der Wirklichkeit vor. Die Antworten, die ich mir gab, waren ebenfalls Idealisierungen. Wir haben uns in den Illusionen eingerichtet, sie zum Maß aller Dinge gemacht. Es ist die Sehnsucht von Menschen nach einer Beziehung, die nicht bereit sind, etwas für die Beziehung zu tun. Wir wünschen uns Liebe, wollen aber nichts dafür tun.

Ginge es mir wirklich um eine Beziehung, gäbe ich nicht so schnell auf, wenn erste Probleme auftauchen, die ja nur daraus entstehen, dass der Mensch hinter der Projektion sichtbar wird. Als hätte ich mich für die Illusion eines Traumpartners entschieden, in der ein wirklicher Mensch mit einer eigenständigen Persönlichkeit gar nicht vorgesehen ist.

Offensichtlich stand ich mir selbst im Weg, allerdings nicht auf die Art, in der ich es angenommen hatte.

Ich begriff, dass ich die Fragen ändern musste.

Ich fragte mich: »Warum lerne ich nur Frauen kennen, die mir so offensichtlich nicht guttun?« Aber eigentlich musste ich mich fragen: »Warum interessiere ich mich ausschließlich für Frauen, die mir so offensichtlich nicht guttun?«

Die meisten Fragen, die ich mir stelle, bewegen sich auf der Oberfläche. Sie beziehen sich auf die Symptome, was ganz natürlich ist, weil es die Symptome sind, die mich direkt betreffen. Ich beantwortete Fragen, die sich auf die Oberfläche bezogen, aber die richtigen Fragen, die Fragen, deren Antworten zu Änderungen führten, betrafen das, was sich unter dieser Oberfläche befand.

Ich musste mich fragen, warum ich mich so nach einer Beziehung sehne und dann doch alles unternehme, um ihr auszuweichen. Ich musste hinterfragen, warum ich mich so verhalte, wie ich mich verhalte. Warum ich nicht tiefer schürfe, obwohl ich ja weiß, dass ich gerade dort erfahre, wo ich wirklich ansetzen muss. Vielleicht habe ich mich vor der Antwort gefürchtet. Oder ihren Konsequenzen. Denn die wirkliche Herausforderung ist es ja, eine Erkenntnis im eigenen Leben anzuwenden.

Ich musste mich fragen, warum wir die Lösungen kennen, die uns Psychologen in unzähligen Artikeln und Büchern beschrieben haben, und ich mich doch nicht danach richte. Warum ich in meinem Leben keine Änderungen vornehme, obwohl ich mein Leben ändern will.

Es ist ein seltsames Gefühl, in Texten, Podcasts und Talkshows darzulegen, was wir in unseren Liebesbeziehungen ändern müssten, dann aber zu registrieren, wie wenig ich mich selbst daran halte. Wenn ich kritisiere, wie unverbindlich das Liebesleben vieler inzwischen geworden ist, ist das wirklich Erstaunliche, dass ich mich über diese Unverbindlichkeit beschwere, obwohl ich mich selbst genauso unverbindlich verhalte. In solchen Momenten begreife ich, dass ich genau dort ansetzen muss. Dass ich tiefer schürfen muss. Eben unter der Oberfläche.

Wenn es eine Überzeugung gibt, die aus der Summe meiner Erfahrungen entstanden ist, ist es die, dass alles mit allem zusammenhängt. Vielleicht ist diese Überzeugung sogar die eigentliche Klammer, die die Texte dieses Buches zusammenhält. Wie sich zum Beispiel gesellschaftliche Umstände und Umbrüche, wie sich unser Konsumverhalten oder neue Technologien und Kommunikationsformen auf unser Denken, Fühlen und Lieben auswirken. Welche Impulse uns unbewusst Entscheidungen treffen lassen, obwohl wir sie nicht wahrnehmen.

Um diese Fragen geht es in diesem Buch. Die Fragen nach den Ursachen, die unter der Oberfläche wirken. Die Fragen danach, warum wir uns so verhalten, wie wir uns verhalten. Die Antworten darauf beleuchten die Punkte, an denen man ansetzen muss, um wirkliche Änderungen vornehmen zu können. Ein Weg, der auch mich dazu brachte, mich selbst besser kennenzulernen und zu verstehen.

Darum handelt dieses Buch vor allem von einer gesunden Beziehung zu dem Menschen, den zu verstehen die Voraussetzung ist, um eine gesunde Beziehung zu anderen aufzubauen, zu pflegen und zu kultivieren.

Zu sich selbst.

Ein Blick in unsere Psyche

Bindungstypen

Warum Frauen so oft an Gestörte geraten – und Männer an Psychopathinnen

Warum wir uns gerade in die Menschen verlieben, die uns so offensichtlich nicht guttun

Der Unterschied zwischen »kompliziert« und »zu kompliziert«

Einige kennen vielleicht diese oft ganz unerwarteten Momente, in denen sich der Blickwinkel ändert, mit dem man auf sein Leben schaut. Sie verschieben die Perspektive und lassen einen Dinge sehen, die man bisher gar nicht wahrgenommen hatte. Wie eine Geschichte, die sich vollständig verändert, wenn man ihr nur ein kleines Detail hinzufügt. Wenn man so will, wurde Ende August meiner Geschichte ein solches Detail hinzugefügt. Durch eine Begegnung, durch die ich mein Liebesleben der vergangenen Jahre mit vollkommen neuen Augen sah. Ich verstand nicht nur, warum ich mich so oft in Frauen verliebte, die mir nicht guttaten und denen ich nicht guttat – mir wurde auch klar, dass sich das endlos fortführen würde, wenn ich bestimmte Dinge nicht endlich korrigierte.

Es war eine dieser viel zu warmen Nächte des letzten Sommers, die die Hitze des Tages nicht abkühlten. Es war gegen elf. Ich hatte mich gerade von einer Frau verabschiedet, mit der ich ein Date hatte, und machte einen nächtlichen Spaziergang die Kastanienallee hinunter. Als ich den Prater passierte, blickte ich zur Buchhandlung auf der gegenüberliegenden Straßenseite und hatte plötzlich das unwirkliche Gefühl, neben der Zeit zu sein. Das menschenleere Geschäft war hell erleuchtet, die hohen Glastüren waren weit geöffnet, obwohl es schon seit Stunden geschlossen sein musste. Ich überquerte die Straße und betrat das Geschäft, in dem mein Bekannter Hannes, der dort arbeitet, ein Regal neu einrichtete. Wir begrüßten uns und er erklärte mir, dass er nur außerhalb der Öffnungszeiten die Ruhe dazu fand. Neben ihm stand ein Mann mittleren Alters, den ich nicht kannte. Er hieß Lukas, war nicht unsympathisch und erzählte, dass er ebenfalls zufällig vorbeigekommen war. Hannes holte uns drei Bier aus dem hinteren Teil des Ladens. Wir stießen an und unterhielten uns, während wir hin und wieder zu den Passanten sahen, die neugierig in das Geschäft blickten und mein nicht unangenehmes Gefühl verstärkten, irgendwie außerhalb der Zeit zu sein. Ein Gefühl, das die kommende Stunde vorwegnehmen sollte, in der ich mich fühlte, als würde ich neben mein Leben treten und es mit einem unvoreingenommenen Blick betrachten.

Als Hannes mich fragte, woher ich gerade kam, sagte ich: »Von einem Date.« Bevor Hannes etwas erwidern konnte, fügte ich hinzu: »Von einem Tinder-Date.«

»Verstehe«, lachte Lukas. »Und, wie wars?«

»Na ja«, sagte ich und erzählte, dass sie eine dieser Frauen war, die den Fotos auf ihrem Profilbild kaum ähnelten. »Wär sie nicht von selbst auf mich zugekommen, hätte ich sie gar nicht erkannt.«

»Sie ist also gut in Photoshop«, sagte Hannes.

»Politisch korrekter kann man es wohl nicht ausdrücken«, lachte Lukas, wandte sich zu mir und fragte: »Seht ihr euch wieder?«

»Ich glaub nicht«, sagte ich. »Ich habe gerade eine Trennung hinter mir und bin eigentlich noch gar nicht bereit für eine Beziehung.«

»Verstehe«, sagte Lukas. »Und wie lange wart ihr zusammen?«

»Na ja, zusammen«, erwiderte ich gedehnt, bevor ich entschieden weitersprach. »Ich würde das, was wir da kultiviert haben, nicht wirklich als Beziehung bezeichnen. Das war eher …«, ich suchte einen Moment lang nach den passenden Worten, bevor ich aufgab und sagte: »Es war kompliziert.«

»Michael mag es ja kompliziert«, sagte Hannes. »Aber das war nicht kompliziert, das war zu kompliziert.« Er wandte sich zu mir. »Ist dir das schon mal aufgefallen? Du verliebst dich ausschließlich in Frauen, bei denen es kompliziert ist. Es ist fast so, als würden dich nicht die Frauen anziehen, sondern die komplizierten Umstände, in denen sie sich gerade befinden. Manchmal denk ich wirklich, du verliebst dich eher in Konstellationen als in Menschen. Je aussichtsloser, desto besser. Wenn es zu einfach ist, verlierst du sofort das Interesse. Ganz ehrlich: Ich wünsch dir wirklich, dass du dich in eine Frau verliebst, auch wenn es einfach ist.«

»Aber genau das wünsch ich mir doch auch«, entgegnete ich.

Hannes erwiderte diesen Satz mit einem skeptischen Blick, der auch erzählte, dass er mich für einen Menschen hielt, der einem solchen Konzept vollkommen verständnislos gegenüberstand. Ich verstand seinen Blick. Meine Liebschaften der letzten Jahre gaben ihm schließlich recht.

Liebe ist Liebe, Drama ist Drama, und Leid ist Leid

Unvermittelt musste ich an ein Gespräch denken, dass ich nur wenige Tage zuvor geführt hatte. Ich saß mit Jo, meinem Nachbarn, auf dem Balkon, als er mir erzählte, dass sich seine Ex-Freundin gemeldet hatte. Zu dem Zeitpunkt war ihre Trennung anderthalb Jahre her.

»Ach«, sagte ich. »Und, was wollte sie?«

»Sie hat gefragt, ob wir uns mal wieder treffen wollen.«

»Aha. Und du hast hoffentlich Nein gesagt.«

»Na ja«, sagte Jo langsam.

»Was genau meinst du denn mit ›Na ja‹?«, fragte ich und spürte, wie sich meine Augen verengten.

»›Na ja‹ heißt, dass wir uns am Freitag sehen.«

Gott!, dachte ich.

Mein Nachbar ist ein sensibler Mensch, der weder die Beziehung noch die Trennung von seiner Ex-Freundin gut verkraftet hat. Obwohl sie jetzt schon eine Weile her war, war er meiner Einschätzung nach erst am Anfang des Verarbeitungsprozesses. Denn die Frau bestimmte unsere Gespräche immer noch. Es war also keine gute Idee, sich mit ihr zu treffen. Gar keine gute Idee.

»Na wundervoll«, rief ich. »Die Wunde hat sich noch nicht mal richtig geschlossen und du willst sie jetzt noch mal so richtig schön aufreißen. Wie ein Messer, das man in der Wunde noch mal umdreht, damit sie sich nicht schließt.«

»Ich weiß«, sagte mein Freund und warf mir einen hilflosen Blick zu. »Ich hab auch schon meinen Psychiater angerufen.«

Ich hatte schon angesetzt, um etwas zu erwidern, aber meine Gedanken stoppten praktisch, als mich diese Information erreichte. Ich sah ihn einen Moment lang schweigend an, weil ich ja auch nicht wusste, was ich überhaupt dazu sagen sollte.

»Wenn man vor dem Treffen mit einer Frau erst einmal seinen Therapeuten konsultieren muss, sollte man vielleicht überdenken, ob man sich überhaupt auf ein Treffen einlassen möchte«, sagte ich, bevor ich mit einem leichten Lachen hinzufügte: »Na, zumindest haben wir dann nach dem Treffen wieder ein Gesprächsthema für die nächsten Monate.«

Mein Nachbar erwiderte mein Lachen, allerdings in einer nervösen und auch irgendwie mechanischen Version. Ein gespieltes Lachen, dem man anmerkte, wie künstlich es war.

Scheiße!, dachte ich. Es würden lange Monate werden.

Obwohl ich seine Ex-Freundin nur aus Erzählungen kannte, habe ich die Trennung in unzähligen Gesprächen quasi miterlebt. Wir sprachen so viel darüber, dass es sich manchmal beinahe so anfühlte, als wäre ich mit ihr zusammen gewesen. Wir sprachen jeden Tag über sie, und mit jeder neuen Geschichte lernte ich einen Menschen ein bisschen besser kennen, der mir sehr unsympathisch war. Und mit jeder neuen Geschichte steigerte sich meine Antipathie.

Wenn sich eine Ex-Freundin nach längerer Zeit wieder meldet, neigt man ja schnell dazu, die gemeinsame Zeit zu verklären. Aber hier gab es nichts zu verklären. Beide hätten das Ende ihrer Beziehung als Befreiung empfinden müssen. Als ein Aufatmen, das nach diesem Psychoterror, dem sie sich gegenseitig zwei Jahre ausgesetzt hatten, eigentlich immer noch anhalten müsste.

Aber was soll ich sagen: Ich selbst kenne den Unterschied zwischen dem rationalen Blick, den man aus der Sicherheit der Distanz hat, und der Irrationalität der Gefühle, wenn es einen selbst betrifft, ja nur zu gut. Wenn ich verliebt bin, muss ich mich immer noch zwingen, den unbedarften Teenager in mir zu ignorieren, der das alles zum ersten Mal erlebt. Von ihm kommen keine guten Ratschläge. Er ist beratungsresistent. Darum zählen unter solchen Umständen die Ratschläge anderer nicht, die aus der nötigen Distanz einen Überblick haben, der mir fehlt, um gesunde Entscheidungen treffen zu können.

»Ich liebe sie immer noch«, sagte mein Nachbar trotzig. »Und ich will wieder mit ihr zusammen sein.«

»Überleg doch mal bitte kurz, wonach du dich da sehnst«, rief ich und hob meine Hand zu einer abwehrenden Geste. »Denk mal bitte daran, worüber wir in den letzten Monaten immer und immer wieder gesprochen haben. Das war eine Beziehung, die nur aus Drama und Leid bestanden hat.«

»Wir hatten eben eine dramatische Liebe«, sagte mein Nachbar und sah mich plötzlich entschlossen an. »Liebe ist immer auch Leid.«

»Nein«, entgegnete ich bestimmt. »Liebe ist Liebe. Drama ist Drama. Und Leid ist Leid. Das sind vollkommen verschiedene Dinge.«

Es gibt ein berühmtes Zitat des Schauspielers Liam Neeson, mit dem er sich nach dem Tod seiner Frau, der Liebe seines Lebens, in einem Onlinepost geäußert hat.

»Jeder sagt, Liebe tut weh, aber das ist nicht wahr«, sagt er. »Einsamkeit tut weh. Ablehnung tut weh. Jemanden zu verlieren, tut weh. Neid tut weh. Jeder verwechselt diese Dinge mit Liebe, aber in Wahrheit ist Liebe das Einzige auf der Welt, das all den Schmerz verdeckt und einem wieder ein wundervolles Gefühl gibt. Liebe ist das Einzige auf dieser Welt, das nicht wehtut!«

Diese Sätze haben eine starke Wirkung auf mich. Immer wenn ich sie lese, entdecke ich aufs Neue die tiefe Wahrheit in ihnen. Neeson ist mir in diesen Sätzen so nah und vertraut, dass ich ihn Liam nennen möchte.

»Es ist nicht die Liebe, die die Dinge verkompliziert«, sagte ich zu meinem Nachbarn. »Es sind die Menschen. Mit ihren Neurosen, Unsicherheiten und beschädigten Egos. Liebe hat nichts damit zu tun.«

Mein Nachbar warf mir einen zweifelnden Blick zu, während meine Worte in unser Schweigen hallten, und ich muss zugeben, dass ich ihn ja verstand. Meine entschiedenen Sätze erzeugten auch in mir einen Widerstand. Denn obwohl ich die tiefe Wahrheit erkenne, sehen meine Erfahrungen vollkommen anders aus. Denn auch ich habe Liebe immer mit Drama, Kampf und Leid verbunden.

Es gibt einen Zwiespalt, der sich durch meine Liebesbeziehungen zieht. Obwohl ich mich danach sehne, dass sich eine Liebesbeziehung wie selbstverständlich ergibt, dass die Gefühle zwischen zwei Menschen, die sich sympathisch sind, ganz natürlich wachsen, verliere ich schnell das Interesse, wenn ich einer Frau begegne, mit der sich die Dinge zu einfach ergeben.

Frauen, die sich außer Reichweite befinden, ziehen mich an.

Nehmen wir meine Ex-Freundinnen. Die meisten meiner Beziehungen entstanden aus einer aussichtslosen Situation. Meine erste Freundin zweifelte, weil sie sich nach den Verletzungen ihrer letzten Beziehung gerade keine neue vorstellen konnte, die zweite befand sich noch in der Trennungsphase mit ihrem Ex-Freund, die dritte nahm an, in einer glücklichen Beziehung zu sein, um sich dann doch immer bei mir zu melden, weil sie mich treffen wollte.

Mit meinen Ex-Freundinnen zusammenzukommen, war immer mit einem kräfteraubenden Prozess verbunden. Die Frauen, die mich interessierten, haben immer gezweifelt. Ich habe lange Zeit angenommen, dass Leid dazugehören muss, wenn ich mich um eine Frau bemühe. Es war eine romantische Idee. Ich dachte, dass es meinen Gefühlen Würde gab. Ich verstand Leid als Ausdruck der Größe meiner Gefühle. Je mehr Leid ich investierte, desto wertvoller erschienen sie mir. Je mehr ich im Kampf um eine Frau litt, desto wertvoller wäre die Liebe, die dann entsteht.

Ich habe mich oft gefragt, worin die Gründe dafür liegen. Einer dieser Gründe könnte sein, dass ich die großen Romane von Dostojewski zu früh gelesen habe. Damals war ich zu jung, um diese Bücher zu verstehen, ich fühlte sie eher. Vor allem ihre Liebesgeschichten beeindruckten mich.

Und wahrscheinlich haben sie mich geprägt. Vielleicht empfand etwas in mir diese Romane praktisch als Vorbereitung darauf, wie Menschen miteinander umgehen, wenn sie etwas füreinander empfinden. Ihr Verhalten war eine Art Code, den man entschlüsseln musste. Man musste da durch, wenn man eine Frau für sich gewinnen wollte.

So gesehen waren meine Liebesbeziehungen die Wiederauflagen dieser Liebesgeschichten. Wir waren zu Figuren eines Dostojewski-Romans geworden, was erst einmal elegant klingt, es dann aber ganz und gar nicht ist. In seinen Romanen verhalten sich die Liebenden nämlich ausgesprochen verhaltensauffällig. Wenn man so will, kultivieren sie die Liebe von Menschen mit masochistischen Borderlinepersönlichkeitsmerkmalen. Obwohl ihre Gefühle füreinander sehr tief sind, verletzen sie sich unablässig. Ununterbrochen lösen Euphorie und Leid einander ab. Man liest das und denkt: »Um Gottes willen, was stimmt denn mit den Leuten nicht?«

Ich war damals siebzehn, ein Alter offenbar, in dem einen Romane so stark beeinflussen können, dass man sie schnell auf die eigene Wirklichkeit überträgt. Heute weiß ich, dass es ein dramaturgisches Mittel ist, um die Spannung nie abklingen zu lassen. Bei mir hat es funktioniert: Ich fieberte mit. Obwohl ich es unzumutbar fand, wie Dostojewskis Liebende miteinander umgingen und wie sie sich gegenseitig verletzten, beeindruckten mich ihre Gefühle. Sie schienen durch das Drama sehr tief zu werden. Offensichtlich habe ich mich auch in meinen Liebesgeschichten daran orientiert. An einem dramaturgischen Mittel.

Mir fiel plötzlich ein, dass mein Nachbar genau jetzt, während ich in der Buchhandlung stand, mit seiner Ex-Freundin in einer Bar saß und litt. Weil er nicht auf meine Ratschläge gehört hatte, hatte er sich auf das Treffen eingelassen und lieferte sich ebenfalls einem dramatischen Mittel aus.

Ich machte einen skeptischen Laut und hob meinen Blick. Lukas, der Bekannte von Hannes, sah mich interessiert an und unterbrach meine Gedanken.

Sobald die Jagd eröffnet ist

»Was mochten denn die Frauen so an dir, in die du dich verliebt hast?«, fragte er.

Ich musste einen Moment lang überlegen, bevor ich antwortete.

»Mir haben Frauen oft gesagt, dass ihnen an mir gefällt, dass ich sie mitreiße, meine Euphorie«, sagte ich. »Ich verliebe mich ja wirklich selten, aber wenns dann doch mal passiert, ist das wie ein Rausch.«

»Verstehe«, sagte Lukas.

Er schien kurz nachzudenken, dann begann er, Fragen zu stellen. Viele Fragen. Er ließ mich meine Liebesbeziehungen der letzten Jahre vor ihm ausbreiten. Es war seltsam, mich einem Menschen, den ich kaum kannte, so weit zu öffnen. Vielleicht lag es daran, dass Lukas die richtigen Fragen stellte, oder daran, dass man sich Fremden eher öffnet.

Es war ein langes Gespräch, in dem ich mich besser kennenlernte, in dem mein fest gefügtes Bild über mich selbst aufbrach und ich mich in einem anderen Licht sah.

Irgendwann unterbrach Lukas mich und sagte entschieden: »Du bist also ein ängstlicher Bindungstyp.«

»Wie bitte?«, fragte ich.

»Es gibt vor allem drei Bindungstypen«, sagte er. »Den sicheren, den ängstlichen und den vermeidenden – und du bist offensichtlich ein ängstlicher.«

Ein ängstlicher Bindungstyp?, dachte ich hilflos. Ängstlich klang ja eher beunruhigend.

Bevor Lukas ansetzte, um fortzufahren, fiel mir ein, was meine Ex-Freundin Maxi meiner Ex-Freundin Vivian erzählt hatte, als sich die beiden kennengelernt hatten. Ich war gerade mit Vivian zusammengekommen, und Maxi wollte sie offensichtlich darauf vorbereiten, was da auf sie zukam. Maxi ist eine von den Frauen, die Menschen anhand ihres Sternzeichens erklären.

»Michael ist ja im Jahr des Hasen geboren«, sagte sie in bedeutungsvollem Ton. »Und du weißt ja, dass Hasen Fluchttiere sind.«

Vivian warf mir einen entsetzten Blick zu. Wir waren gerade erst zusammengekommen, unser Ende schien uns noch unmöglich, aber Maxis Analyse klang wie eine Prophezeiung, die dieses Ende bereits vorwegnahm. Zudem war es die Prophezeiung meiner Ex-Freundin, also einer Frau, die mich sehr gut kannte. Was soll ich sagen, obwohl ich Maxi unterbrach, um Vivians fassungslosen Blick mit einigen einlenkenden Sätzen zu beruhigen, hat sich ihre Prognose erfüllt. Wenn ich ein Fluchttier war, hatte meine Flucht aus der Beziehung mit Vivian knappe zwei Jahre gedauert. Und das klang wirklich beunruhigend.

Allerdings stellte sich heraus, dass Lukas etwas vollkommen anderes meinte als Maxi. Er meinte überraschenderweise das Gegenteil, was es aber auch nicht unbedingt besser machte.

»Du bist ein Jäger«, sagte er und betonte das letzte Wort mit einem irgendwie satten Unterton.

»Ein Jäger?«, wiederholte ich skeptisch. »Also ganz ehrlich, wenn es eine Eigenschaft gibt, die man definitiv nicht auf mich anwenden kann, dann ist es die, dass ich ein Jäger bin. Man glaubt das vielleicht nicht, aber ich bin ein schüchterner Typ. Ich könnte nie eine Frau einfach so ansprechen, ich habe dann immer das Gefühl, mich ihr aufzudrängen. Wenn ich es zusammenrechne, habe ich in meinem Leben vielleicht fünf Frauen angesprochen. Ich bin auch kein Flirter. Ich lerne Frauen am besten kennen, wenn sich ein Gespräch ganz natürlich ergibt.« Ich dachte kurz nach, bevor ich hinzufügte: »So gesehen bin ich anscheinend wirklich ein ängstlicher Bindungstyp.«

»Du verstehst das falsch«, sagte Lukas. »Das ›ängstlich‹ bezieht sich darauf, dass dein Bindungsmuster von Verlustangst geprägt ist. Ängstliche Beziehungstypen sind Menschen, deren Jagdinstinkt nur aktiviert wird, wenn sie sich Mühe geben müssen. Bei Menschen, bei denen es zu einfach ist, verlieren sie schnell das Interesse. Die Prägung ihres Bindungsverhaltens ist, dass sie sich Liebe erkämpfen müssen.«

»Oo-kay?«, sagte ich gedehnt.

»Wer so geprägt ist, dass er sich Liebe erst einmal verdienen muss, nimmt an, er müsse beweisen, wie liebenswürdig er ist«, fuhr Lukas fort. »Er wird viel investieren, viel Energie aufwenden, um die geliebte Person für sich zu gewinnen – und er wird genießen, dass er sich beweisen kann.«

Ich sah Lukas irritiert an. Ein Fremder beschrieb die emotionalen Details meines Liebeslebens, als würden wir uns schon seit Jahren kennen. Wenn ich mich verliebt habe, war es wie ein Rausch. Ich filterte und überhöhte die Eigenschaften der Frauen, die uns zu einem perfekten Liebespaar machten. Es gibt ein berühmtes Zitat von Kurt Cobain, das er einem Song von Neil Young entnommen hat. Ein Zitat, das klingt, als hätte er die romantischen Beziehungen meines Lebens im Blick gehabt, als er es schrieb: »It’s better to burn out than to fade away.« Es ist besser auszubrennen, als zu verblassen. Vielleicht beschreibt das meine Gefühlskarriere im Laufe meiner Liebesbeziehungen am besten. Meine Gefühle wuchsen nicht langsam, wurden stärker, tiefer und beständiger. Ihr Wert entstand nicht in der Zeit. Sie waren plötzlich da und brannten so leuchtend, dass sie alle beeindruckten, die sie sahen. Einschließlich mich. Dann brannten sie schnell aus, bis nichts mehr übrig blieb. Sie waren nicht darauf angelegt, Bestand zu haben.

»Du musst dir klarmachen, wie sehr deine Gefühle mit deiner Verlustangst zusammenhängen«, fuhr Lukas fort. »Solange du dir einer Person nicht sicher bist, wird dein Bindungssystem aktiviert. Und sobald dein Bindungssystem aktiviert wird, das ja von der Angst bestimmt wird, die Frau zu verlieren, kreisen alle Gedanken um ein einziges Ziel: die Nähe zum Partner herzustellen. Dann ist dein Denken, Handeln und Fühlen davon bestimmt, sie an dich zu binden. Unbedingt. Und je mehr sie zweifelt, desto attraktiver erscheint sie dir. Und dieser Stresszustand, in dem du nur noch an die geliebte Person denkst, in dem du sie und deine Gefühle für sie idealisierst, in dem du mit Strategien und Taktiken versuchst, sie für dich zu gewinnen, diese Sucht, die ja schon etwas Psychotisches hat – das ist Verliebtheit. Dein von Verlustangst aktiviertes Bindungssystem entscheidet, in wen du dich verliebst.«

Während Lukas sprach, spürte ich, wie sich mein Blick verschob. Verschiedene Szenen der vergangenen Jahre schoben sich zu einem plausiblen Ganzen zusammen, und was sich da zusammenschob, hatte nicht allzu viel mit der großen Bedeutung zu tun, die ich meinen damaligen Gefühlen gegeben hatte. Obwohl ich sie für die große Liebe meines Lebens gehalten hatte.

Scheiße, dachte ich und sah Lukas an. Dann fragte ich ansatzlos: »Was machst du eigentlich beruflich?«

Die Frauen, um die es sich zu kämpfen lohnt

Lukas war Psychoanalytiker. Und offensichtlich waren wir hier gerade in eine Therapiesitzung geglitten. Das war nicht unangenehm, vor allem weil es sehr aufschlussreich war. Ich hing an seinen Lippen, während er mein Liebesleben aus einem anderen, ungewohnten Blickwinkel beschrieb.

Ich verstand plötzlich, warum ich mich verliebe. Das Verhalten der Frau musste ein Auslöser für meinen Jagdinstinkt sein. Sie musste zweifeln, um mein Interesse zu wecken. Das war es, was ich für Verliebtheit gehalten hatte. Ich war so begeistert von meiner Begeisterung, so verliebt in meine eigene Verliebtheit, dass ich die Frauen mitriss. Wenn ich sie nicht mehr von der Größe unserer Gefühle überzeugen musste, wenn ich nicht mehr beweisen musste, wie seelenverwandt wir waren, nahm das unserem Verhältnis die Energie. Die Dynamik. Es wurde langweilig.

»Dein Problem ist, dass das Verhalten der Bindungstypen, die gut zu dir passen würden, nicht in dein Beuteschema passt«, sagte Lukas. »Die Frauen, in die du dich verliebt hast, waren offensichtlich vermeidende Bindungstypen. Ihre Zweifel haben es kompliziert gemacht.«

»Inwiefern?«, fragte ich gespannt.

Lukas erklärte, dass der vermeidende Beziehungstyp Nähe mit dem Verlust von Unabhängigkeit gleichsetzt und darum immer wieder Distanz sucht. Er sehnt sich nach Nähe, benötigt aber Abstand, um nicht das Gefühl zu haben, sich in einer Beziehung selbst aufzugeben.