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Ein Drittel aller Kinder kommt hierzulande per Kaiserschnitt auf die Welt, nur 7 % aller deutschen Frauen erleben eine Geburt ohne medizinische Eingriffe. Michel Odent beschreibt erschreckende Konsequenzen, die dieser Wandel mit sich bringt – nicht nur auf individueller, sondern auch auf evolutionärer Ebene. Ein aufrüttelndes Plädoyer dafür, die Geburt wieder in ihre natürlichen Bahnen zu lenken.
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Seitenzahl: 201
Über das Buch
Die natürliche Geburt hat seit Tausenden von Jahren den Menschen optimal auf das Leben und Wachsen vorbereitet. Doch in jüngster Zeit nehmen medizinische Eingriffe bei der Geburt überhand, Wehentropf, Kaiserschnitt und PDA sind an der Tagesordnung. Welche Konsequenzen haben diese Veränderungen – für den einzelnen Menschen, aber auch für die Zukunft der Menschheit?
Was passiert, wenn das natürliche Oxytocin der Mutter – also das Hormon, das neben der Geburt auch die Liebesfähigkeit steuert – durch künstliche Wirkstoffe ersetzt wird? Wie wird sich unser Gehirn verändern, wenn der Geburtsweg durch das mütterliche Becken fehlt?
Michel Odent hat eine unbequeme Antwort: Nachhaltige Veränderungen der Geburtspraxis wirken langfristig auch auf evolutionärer Ebene.
Dieses Buch ist eine fundierte Analyse – und ein aufrüttelndes Plädoyer dafür, die Geburt wieder in ihre natürlichen Bahnen zu lenken.
Michel Odent
Generation Kaiserschnitt
Wie die moderne Geburtspraxis die Menschheit verändert
Kösel
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Copyright © 2014 Kösel-Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlag: Fuchs Design
ISBN 978-3-641-14811-9
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Inhalt
Kapitel 1
Ecce homo
Kapitel 2
Evolution – ein Rückblick
Kapitel 3
Die Zukunft des menschlichen Oxytocinsystems
Ein nur noch wenig genutztes physiologisches System | Die Fähigkeit zu gebären | Die Fähigkeit zu stillen | Genitalsexualität | Die Fähigkeit zur Empathie | Was wir von Bulldoggen lernen können
Kapitel 4
Ein Meilenstein in der Evolution der Gehirngröße?1
Unverrückbare Grenzen | Pulverisierte Grenzen
Kapitel 5
»Mikroben machen Menschen«
Kapitel 6
Ist die geplante Vaginalgeburt kriminell?
Zwei wichtige Schritte | Maßstäbe für die Sicherheit des Kaiserschnitts
Kapitel 7
Das ist hier die Frage
Die Antwort | Die vielfältigen Funktionen der Primal Health Research Database | Der kritische Zeitraum
Kapitel 8
Eine aktive Lenkung der menschlichen Evolution
Die Gründe für neue Fragen | Aktive Lenkung braucht Ziele
Kapitel 9
Physiologie versus kulturelle Konditionierung
Die Naturgesetze verstehen | Tief verwurzelte kulturelle Konditionierung | Verstärkte kulturelle Konditionierung
Kapitel 10
Vernünftiger Optimismus
Vor einer bedeutenden wissenschaftlichen Erkenntnis | Die Entdeckung | Direkte Auswirkungen der Entdeckung
Kapitel 11
Forschungsansätze
Ein einfaches physiologisches Grundkonzept | Die neokortikale Inhibition
Kapitel 12
Unterdrückte Vernunft
Was wäre, wenn …? | Analyse eines konkreten Szenarios | Das Einvernehmen von Wissenschaft und Vernunft
Kapitel 13
Die Geschichte geht weiter
Kapitel 14
Noch einmal die Wehen
Ein physiologisches Schutzsystem | In der Zwischenzeit
Kapitel 15
Kein Paradigmenwechsel ohne sprachliche Veränderungen
Ein neues Vokabular | Vermeidbare Begriffe | Beispiel »Gestationsdiabetes« | Weitere Beispiele
Kapitel 16
Liebe als evolutionäres Handicap
Die kritische Zeit im Licht der Anthropologie | Die Geburt vor und nach der neolithischen Revolution | Die unterdrückten mütterlichen Instinkte
Kapitel 17
Vernünftiger Pessimismus
Was bedeutet »ausgeglichen«? | Ein Planet der Aspies? | Depression in der Zukunft | Der Zauberlehrling
Kapitel 18
Die Zukunft des Enthusiasmus
Kapitel 19
Der Homo sapiens und die Virosphäre
Grenzen einreißen | Die virale Bedrohung
Kapitel 20
Kulturelle Blindheit
»Sackgassen-Epidemiologie« | Was wir von Biografen lernen können | Die wichtige Funktion des Wahnsinns
Anhang
Wie man unsere kulturelle Blindheit behandeln kann
Anmerkungen
Kapitel 1
Ecce homo
Die menschlichen Lebensumstände haben sich in den letzten Jahrzehnten drastisch verändert. Diese unbestreitbare Tatsache führte zu allerlei Ausführungen über Veränderungen des Homo sapiens in der jüngsten Zeit, warf aber auch Fragen nach der Zukunft unserer Spezies auf. Dabei ist es bemerkenswert, dass weder in akademischen Kreisen noch in den Medien der Zeitraum rund um die Geburt – die perinatale Phase – in die Überlegungen mit einbezogen wird, obwohl sie unzweifelhaft ein Abschnitt des menschlichen Lebens ist, der radikal auf den Kopf gestellt wurde, und obwohl sie mehreren wissenschaftlichen Disziplinen zufolge als eine kritische Entwicklungsstufe bei der Entstehung des Individuums gilt.
Doch bevor wir über die Zukunft nachdenken, wollen wir als Ausgangspunkt zunächst einmal betrachten, was wir unter einem Homo sapiens überhaupt verstehen: Wie könnte man unser Bild von der menschlichen Natur zusammenfassen?
Die Fähigkeit zu denken wird allgemein als Hauptmerkmal unserer Spezies angesehen. Es ist bezeichnend, dass sich das englische und niederländische Wort man (deutsch »Mann, Mensch«, dänisch mand und so weiter) wahrscheinlich aus dem Sanskritbegriff für »denken« herleitet. Nach Blaise Pascal ist der Mensch un roseau pensant (»ein denkendes Schilfrohr«). Im aktuellen wissenschaftlichen Kontext unterscheidet sich eine allgemeine Darstellung des Homo sapiens nicht wesentlich von der traditionellen, auch wenn sie mit anderen Worten beschrieben wird. Heutzutage können wir uns als Mitglieder der Schimpansenfamilie mit gigantischem Gehirn von ungeheurer Komplexität rühmen. Wir haben den Teil des Gehirns, den man als Neokortex bezeichnet, außerordentlich weit entwickelt. Ihm verdanken wir unsere geistigen Fähigkeiten, zu denen die abstrakte Beurteilung, die Sprache, die Selbstbeobachtung, die Problemlösung und der Gebrauch von Werkzeugen gehören.
Viele verschiedene wissenschaftliche Disziplinen haben das Ziel, unser Verständnis von der menschlichen Natur zu vertiefen. Die extreme Spezialisierung moderner Wissenschaft wird bei der Darstellung eines zusammenfassenden Überblicks über die Besonderheiten des Homo sapiens allerdings zum Hindernis. Man denkt unwillkürlich an die weithin bekannte Geschichte über die blinden Männer, die gebeten wurden, einen Elefanten zu beschreiben, nachdem sie verschiedene Stellen seines Körpers berührt hatten. Der Blinde, der das Bein angefasst hatte, meinte, der Elefant sei wie eine Säule. Der den Schwanz zu fassen bekam, sagte, er sei wie ein Seil. Der den Rüssel fühlte, fand, er sei wie ein Ast. Der das Ohr berührte, verglich ihn mit einem großen Fächer. Der den Bauch befühlte, hielt ihn für eine Wand. Und der, der den Stoßzahn angefasst hatte, behauptete schließlich, er sei wie ein stabiles Rohr. In einer Zeit mit enormem Bedarf an Kommunikation und Respekt für unterschiedliche Perspektiven ist diese Parabel aktuell wie nie.
Bakteriologie – oder genauer gesagt die molekulare Mikrobiologie – ist ein typisches Beispiel für eine Disziplin, die so rasante Fortschritte macht, dass der Homo sapiens im Rahmen einer »mikrobiomen Revolution« dargestellt werden kann. Im Prinzip ist der Mensch ein Ökosystem, in dem ständig Billionen von Mikroorganismen, die den Körper (das »Mikrobiom«) kolonisieren, mit Billionen von Zellen – den Produkten unserer Gene – interagieren. Anders gesagt, hat es heute den Anschein, als würden sowohl unsere Gesundheit als auch unser Verhalten wesentlich von unserer Darm- und Hautflora beeinflusst werden. Jeder Mensch hat ein anderes Mikrobiom, das als Teil seiner Persönlichkeit in gewissem Maß bei der Geburt von den ersten Mikroben bestimmt wird, die den Körper eines Neugeborenen kolonisieren. Darüber hinaus kann man heute sagen, dass das Mikrobiom beim Evolutionsprozess eine Rolle spielt.1
Als man die nahrungsspezifischen Bedürfnisse des Gehirns besser verstand, kam der Begriff der »gehirnspezifischen Nährstoffe« auf. Dieses Konzept hat für eine Spezies, bei der das Gehirn immer wichtiger wird, weitreichende Folgen. Ein typischer Nährstoff des Gehirns ist Jod, denn es ist zur Bildung von Schilddrüsenhormonen wichtig, die die Energiestoffwechselfunktionen des Gehirns beeinflussen. Jodmangel wird gleichgesetzt mit verminderter Gehirnentwicklung und -funktion. Dennoch gibt es keine Mechanismen, die verhindern, dass Jod mit dem Urin ausgeschieden wird, und somit keine Möglichkeit, es zu speichern.2 Dies lässt vermuten, dass der Homo sapiens an eine Umgebung angepasst ist, in der er Zugang zu ausreichenden Mengen an Jod hat. Praktisch bedeutet das Zugang zu Nahrung aus dem Meer. Es ist bezeichnend, dass Jodmangel mit fast zwei Milliarden Betroffenen weltweit die häufigste Mangelerscheinung ist,3 obwohl Jod der einzige Nährstoff ist, dessen Lieferung von einigen Regierungen sogar gesetzlich geregelt wird.
Ist Jod das wichtigste spezifische Mineral für das Gehirn, so ist Docosahexaensäure (DHA) die wichtigste Fettsäure.4 Das Molekül DHA ist so lang (22 Kohlenstoffatome) und so ungesättigt, wie es nur geht (sechs Doppelbindungen). Es gehört zur Omega-3-Familie. Diese Fettsäure wird nur in Lebensmitteln aus dem Meer gebildet und kommt dort im Überfluss vor. Interessanterweise können Menschen DHA nur in geringen Mengen herstellen. Ein großes Gehirn mit einem Enzymsystem, das zu schwach ist, um ausreichend ungesättigte und lange Fettsäuren zu produzieren, lässt vermuten, dass Menschen Zugang zu Fisch und Meeresfrüchten brauchen, um ihr Potenzial voll auszuschöpfen. Aus nahrungsspezifischer Sicht scheint der Mensch auf ein Leben an der Küste spezialisiert. Diese Annahme verleiht der sogenannten »Wasseraffentheorie« neue Bedeutung.
Abgesehen von der Gehirngröße unterscheiden uns noch Dutzende anderer Merkmale von unseren nahen Verwandten, den Schimpansen. Die wichtigsten Unterschiede sind Nacktheit, eine Fettschicht unter der Haut, die Körperform (bei der die Hinterbeine die Verlängerung des Rumpfes darstellen), eine vergleichsweise niedrige Basaltemperatur, eine hervorstehende Nase, große leere Nasennebenhöhlen, ein niedriger Kehlkopf, eine verringerte Anzahl von roten Blutkörperchen, anatomische Besonderheiten der Hände und Füße sowie eine Schicht von Fruchtschmiere, die ein Neugeborenes umgibt. All diese Merkmale sind ebenfalls Säugetieren, die an das Meer angepasst sind, gemein und lassen vermuten, dass der Mensch für ein Leben an der Küste geschaffen ist.
Diese neue Vision des Homo sapiens wurde zuerst 1942 von Max Westerhofer aus Berlin und unabhängig davon 1960 von Alister Hardy in Oxford vorgestellt. Doch erst die britische Wissenschaftlerin Elaine Morgan verhalf der Sache mit ihren Büchern5 und ihren Seminaren, mit denen sie ihre Theorie zu stützen versuchte, zum Durchbruch. Dieser neue theoretische Rahmen wurde durch ein wissenschaftliches Fachbuch6 und eine Konferenz zur menschlichen Evolution in London, an der ich teilgenommen habe, auf den neuesten Stand gebracht.7
Nach diesem knappen Überblick darüber, wie die menschliche Natur im 21. Jahrhundert betrachtet wird, wollen wir nun angemessene Fragen nach der Zukunft unserer Spezies stellen.
Kapitel 2
Evolution – ein Rückblick
Bis zur Entstehung von Disziplinen wie Epigenetik und bis zur Entwicklung von Konzepten wie dem der »mikrobiomen Revolution« war es provokant, von so unbestreitbaren Fakten wie der Vererbung erworbener Merkmale zu sprechen. Ebenso herausfordernd war es, sich mit der Schwächung von Organen und physischen Funktionen zu befassen, die nur noch wenig oder gar nicht mehr genutzt werden. Dafür gab es einen offensichtlichen Grund: Während einer Übergangsperiode in der Mitte des 20. Jahrhunderts beschränkten sich die dominanten Paradigmen – oft auch als »Neodarwinismus« bezeichnet – auf die Auswirkungen der Integration von Genetik und der Darwin’schen Evolutionstheorien, nach dem, was man »die moderne Synthese« nannte. Man betrachtete genetische Mutationen als ausschließliche Quelle für Veränderungen in einer Population. Natürliche Auslese, mit Hilfe deren Anpassungen vorgenommen wurden, ward als Hauptursache für die Evolution angesehen, die als sehr langsamer Prozess galt und an Mutationsraten gemessen wurde. In diesem restriktiven theoretischen Rahmen fehlte die Neugier für die mögliche schnelle und spektakuläre Veränderung von Spezies. Die Fortschritte auf dem Gebiet der Epigenetik und Mikrobiologie führten zu einer neuen Phase im Wissen um die Evolution und zu einem nie da gewesenen Interesse an der möglichen Veränderung des Genus Homo in der näheren Zukunft.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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